The Bright Sword - Lev Grossman - E-Book

The Bright Sword E-Book

Lev Grossman

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Beschreibung

Große, epische Fantasy und eine meisterhafte Neuinterpretation der Artus-Mythologie von Bestseller-Autor Lev Grossman. "Wenn Sie König Artus so sehr schätzen wie ich, dann werden Sie The Bright Sword lieben. " George R. R. Martin Als der junge Ritter Collum in Camelot eintrifft, um seinen Platz an der Tafelrunde einzunehmen, muss er feststellen, dass er zu spät kommt. Der König ist tot und hinterließ keinen Erben. Nur eine Handvoll Ritter hat die Schlacht von Camlann überlebt, doch es sind nicht die Helden der Legende, wie Lancelot oder Gawain. Es sind die Sonderlinge der Tafelrunde wie Sir Palomides, der sarazenische Ritter, und Sir Dagonet, Artus' Narr, der zum Scherz zum Ritter geschlagen wurde. Zu ihnen gesellt sich Nimue, die Merlins Lehrling war, bis sie sich gegen ihn gewendet hat. Gemeinsam macht sich diese zusammengewürfelte Gemeinschaft auf den Weg, um Camelot in einer zerstörten Welt wieder aufzubauen. "Für alle, die sich schon immer nach einem Platz in der Tafelrunde gesehnt haben. Absolut bezaubernd." Rebecca Yarros Für Leser*innen von Robert Jordan, Bernard Cornwell und Andrzej Sapkowski

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Seitenzahl: 947

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Lev Grossman

The Bright Sword

Ein Artus-Roman

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Heide Franck und Alexandra Jordan

 

Über dieses Buch

 

 

Als der junge Ritter Collum in Camelot eintrifft, um seinen Platz an der Tafelrunde einzunehmen, muss er feststellen, dass er zu spät kommt. Der König ist tot und hinterließ keinen Erben. Nur eine Handvoll Ritter hat die Schlacht von Camlann überlebt, doch es sind nicht die Helden der Legende, wie Lancelot oder Gawain. Es sind die Sonderlinge der Tafelrunde wie Sir Palomides, der sarazenische Ritter, und Sir Dagonet, Artus' Narr, der zum Scherz zum Ritter geschlagen wurde. Zu ihnen gesellt sich Nimue, die Merlins Lehrling war, bis sie sich gegen ihn gewendet hat. Gemeinsam macht sich diese zusammengewürfelte Gemeinschaft auf den Weg, um Camelot in einer zerstörten Welt wieder aufzubauen.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Lev Grossman ist der Autor der Bestseller-Trilogie The Magicians, die als Fernsehserie adaptiert wurde. Von 2002 bis 2016 arbeitete er für das Time Magazine, für das er zwanzig Titelgeschichten schrieb. Er verfasste Essays und Artikel unter anderem für Vanity Fair, The Believer, das Wall Street Journal, die New York Times und Wired. Er lebt in Brooklyn, New York, hat drei Kinder und eine stetig wachsende Anzahl von Katzen.

Inhalt

[Content Note]

[Widmung]

[Motto]

Buch I Krieg der Wunder

1 Blau, drei Zepter, goldener Sparrenstreif

2 Römerstraßen

3 Der junge Rittersmann

4 Camelot

5 Die Geschichte von Sir Bedivere

6 Die Geschichte von Sir Bedivere, Teil II

7 Die letzte Schlacht

8 Die Geschichte von Sir Bedivere, Teil III

9 Der Grüne Ritter

10 Ein neues Schwert

11 Die Geschichte von Sir Palomides

Buch II Ein Gott des Sandes und des Staubs

12 Neue Wege

13 Die Geschichte von Sir Palomides, Teil II

14 Der Tintenbrunnen

15 Das gläserne Schloss

16 Die Schlacht von Camelot

17 Die Geschichte von Sir Dinadan

18 Ein Silberschilling

19 Die Löwin in der Wüste

20 Der gewundene Stab

21 Die Geschichte von Sir Dagonet und Sir Constantine oder Die Suche nach dem Heiligen Gral oder Das allerletzte Abenteuer

22 Die Geschichte von Sir Dagonet und Sir Constantine, Teil II

23 Die Geschichte von Sir Dagonet und Sir Constantine, Teil III

Buch III Der blinde Riese

24 Der Blaue Ritter

25 Wunder

26 Das Ödland

27 Das Hügelgrab

28 Nimues Geschichte

29 Die Wilde Jagd

30 Die Lanze

31 Die Geschichte von Sir Scipio

Buch IV Die Saxonenküste

32 Galahad

33 Die Königin

34 Der Traum des Königs

35 Die Dame vom See

36 Nachtwache

37 Lancelot

38 Drei Hexen

39 Ein neues Land

40 Eine schimmernde Welt

Historische Bemerkung

Dieser Roman enthält rassistische und antisemitische Äußerungen. Sie spiegeln in keiner Weise die Haltung des Autors, des Verlags oder der Übersetzerinnen wider.

Für meine Familie:

Sophie, Ross, Hally und Baz

anoeth bid bet y Arthur

ein seltsam Ding ist das Grab des Artus

 

The Stanzas of the Graves aus The Black Book of Camarthen

Buch IKrieg der Wunder

Strange women lying in ponds distributing swords is no basis for a system of government.

Monty Python and the Holy Grail

1Blau, drei Zepter, goldener Sparrenstreif

Den Schwertknauf fest im Griff, zimmerte Collum dem anderen Ritter seinen Panzerhandschuh mit so viel Wucht ins Gesicht, dass seine Knöchel Dellen in den dunklen Tauschierungen hinterließen. Doch sein Gegner machte keinerlei Anstalten, hintenüberzukippen oder sich zu ergeben. Collum fluchte leise und schickte einen Tritt gegen das Bein hinterher, verfehlte es allerdings und stolperte beinahe, während der andere Ritter elegant herumwirbelte und ihm einen geschickten Hieb gegen den Schädel verpasste, dass ihm die Ohren klingelten. Er hätte tausend Pfund dafür gegeben, sich den Schweiß aus den Augen wischen zu können. Wobei er keine tausend Pfund besaß. Exakt drei Schilling und zwei Silberpfennige nannte er sein Eigen.

Die beiden Männer wichen voneinander zurück und umkreisten sich, die großen Schwerter in steilen Winkeln hochgehalten, wechselten von einer Hut in die nächste. Dicke Streifen hellen Sonnenlichts blitzten grell an den Klingen auf. Nach dem Tjosten hatten sie ihre Schilde fallen lassen, um beide Hände frei zu haben. Jetzt bloß keinen Fehler machen, dachte Collum. Kreise statt Linien, flüsterte Marschall Aucassin ihm im Geiste zu. Achte auf den Körper, nicht auf die Klinge. Er teilte einen diagonalen Hieb aus, der völlig harmlos von der Schulter des anderen Ritters abglitt. Collums Helm war der reinste Backofen, und es roch scharf nach Heu und nach Leder. Er war hierhergekommen, um sich an der Blüte des britischen Rittertums zu erproben, und bei Gott, er bekam sein Fett weg. Der Kerl machte ihn komplett zur Schnecke.

Leichtfüßig schlichen sie umeinander, nur auf den Fußballen, täuschten an, gaben Blößen. Jeder noch so kleine Schritt auf der stillen Wiese ließ ihre Rüstungen quietschen, klirren und klappern; sogar ihre Schwertspitzen pfiffen leise in der stickigen Luft. Warum – warum nur hatte er das hier für eine gute Idee gehalten? Warum war er nicht zu Hause auf Mull geblieben? Die Hitze kribbelte Collum im Nacken. Auf Leben und Tod fochten sie zwar nicht, doch wenn er verlor, bezahlte er dafür mit Pferd und Rüstung. Und die hatte er Lord Alasdair sicherlich nicht gestohlen, um sie irgendeinem namenlosen Ritter zu überlassen, der wahrscheinlich ein halbes Dutzend Ersatzrüstungen in seinem gemütlichen Schloss lagerte.

Ohne sein Pferd und seine Rüstung war Collum ein Niemand, ein Nichts. Eine Waise und ein Bastard, arm wie eine Kirchenmaus und sehr weit weg von zu Hause. Zurück konnte er ohnehin nicht, dafür hatte er ja gesorgt.

Er wusste nicht einmal, gegen wen er kämpfte; durch puren Zufall war er über diesen Mann gestolpert, oder vielleicht hatte ihn der Wille Gottes hierhergeführt – herzlichen Dank auch, wie üblich. Der Kerl hatte unter einer knorrigen Esche auf einer Wiese gesessen, den Kopf in die Hände gestützt, wie erdrückt vom bloßen Gewicht des Sonnenlichts. Er hatte aufgesehen und Collum eine Herausforderung zugerufen, und wer tat so etwas denn heute noch? Das passierte doch nur noch in den Geschichten. Wie auch immer er heißen mochte, er war ein Ritter der alten Schule.

Auch seine Rüstung war altmodisch, die Brustplatte aus schwarzem Stahl, damasziert mit einem Muster aus feinen Silberwirbeln, in der Mitte prangte eine Rose. Die Rüstung eines Reichen. Eines Adligen. Sein Helm hatte ein spitzes schnabelartiges Visier, und genau wie Collum trug er den vergescu, den schlichten weißen Schild eines Ritterknappen. Collum trug ihn, weil er genau genommen – wie er ja auch zu erklären versucht hatte – gar kein Ritter war, noch nicht, er hatte keinerlei Schwur geleistet. Doch es gab andere Gründe, den Vergescu zu tragen, zum Beispiel um die eigene Identität zu verbergen, nachdem man in Ungnade gefallen war. Und Sir Lancelot trug ihn manchmal, weil sonst niemand gegen ihn antreten mochte.

Ein Lancelot war dieser Mann zwar nicht, aber trotzdem verdammt gut. Vom Knappen keine Spur. Collum war zwar größer, der geheimnisvolle Ritter jedoch schneller – Collum sah kaum seine Bewegungen, als, Pang!, sein Handgelenk taub wurde und, Deng!, sich ein winziger Metallstift von seinem Handschuh löste und für immer im Gras verschwand. Geschickt trat der Kerl dicht an Collum heran, packte ihn mit der freien Hand am Unterarm, und Collum sprang wie ein Blasebalg schnaufend nach hinten, aber er stolperte, und der Ritter rammte ihm die Klinge in den Spalt, wo seine Achselplatte nicht richtig saß, und schnitzte einen scharfkantigen Stahlkringel vom Metall.

Dann nutzte er seinen Vorteil für einen Rückhandschlag gegen Collums Kopf, verfehlte ihn allerdings ganz knapp.

Das war’s. Der Ritter zog seinen Schlag ein kleines bisschen zu weit durch. Er war müde oder hatte zu viel Schwung in den Hieb gelegt, jedenfalls konnte er seine Bewegung nicht mehr einfangen und geriet aus dem Gleichgewicht. In Collums Adern fing es an zu rauschen, und unter Aufbietung seiner letzten Kräfte preschte er vor, schlug dem Ritter mit dem Panzerhandschuh, WATZ!, gegen den Helm, und noch zweimal, WATZ! WATZ! Innerhalb eines Lidschlags befand er sich plötzlich an einem anderen Ort, wo er sich wie ein kleiner Gott aus massivem, glänzendem Stahl fühlte und nichts ihm widerstand, schon gar nicht dieser verweichlichte, taumelnde Wicht vor seiner Nase! Collum packte das Heft seines Schwertes fester und lieferte einen sauberen, hohen horizontalen Hieb ab. Der Kopf des Ritters rasselte herum, und er setzte sich rückwärts ins Gras. Sir Vergescu versuchte, sein Schwert anzuheben, ließ es jedoch gleich wieder fallen, als hätten Elfen es mit einem tausend Pfund schweren Fluch belegt.

Keuchend stützte Collum die Hände in die Hüften und ließ die Schultern nach vorn sacken. Der Schweiß brannte ihm in den Augen, sammelte sich zu Rinnsalen und lief ihm bis unters Kinn. Hatte er gewonnen? So richtig gewonnen? Der Mann saß einfach nur da. Ja, er hatte gewonnen.

Er ließ sich auf ein Knie fallen und drückte die Helmspitze gegen den Kreuzgriff. Dank sei dem allmächtigen Gott im Himmel! Danke, Gott, dass du deinem unwürdigen Diener diesen überwältigenden verschissenen Sieg geschenkt hast! Er hatte auf einer echten britischen Heuwiese gegen einen echten britischen Ritter gefochten, und er hatte gewonnen. Er durfte seine kostbare Rüstung behalten, zumindest vorerst. In der Dunkelheit seines Helms kribbelten ihm unritterliche Tränen in den Augen. Irgendwo tief in ihm wohnte eine Stärke, die Stärke, nach der er sich immer gesehnt, doch an die er nie ganz geglaubt hatte. Nicht so richtig. Nicht mit Überzeugung.

War er denn wirklich so stark? Oder war ihm der Sieg nicht doch ein klein bisschen zu mühelos zugefallen? Collum verdrängte diesen unangenehmen Gedanken, zog die Nase hoch und hievte sich wieder auf die Beine.

»Gut gefochten, Sir«, sagte er. »Ergebt Ihr Euch?« Collum dachte auf Gälisch, der Sprache des Nordens, doch in diesem Fall bediente er sich des vornehmsten, korrektesten, römischsten Lateins, das er aufbrachte.

Der Mann antwortete nicht. Der schnabelige Helm starrte lediglich ausdruckslos zu ihm auf. Er sah neugierig aus und auch ein wenig lustig.

Jetzt, da Collum ihn in Ruhe betrachten konnte, wirkte die gesamte Erscheinung des Mannes seltsamer, als ihm zunächst aufgefallen war. Die Rüstung verbarg sein Gesicht, sprach jedoch Bände. Die hübsche Silberrose auf der Brust war völlig verkratzt; jemand hatte sie mit einem Nagel oder einem scharfkantigen Stein bearbeitet. Oben auf dem Ritterhelm, wo sich das Gunstband einer Dame hätte befinden können, war stattdessen ein trockenes Grasbüschel festgeknotet.

Roststreifen zierten sein Kettenhemd, wo die Panzerplatten auseinanderklafften. Sir Vergescus gemütliches Schloss lag wohl in weiter Ferne, falls es überhaupt existierte. Er musste schon ziemlich lange unterwegs sein. Vielleicht unterschied er sich doch gar nicht so sehr von seinem Gegenüber.

Collum schüttelte den Handschuh ab, fummelte mit den bloßen Fingern an den Schnallen und Verschlüssen an seinem Hinterkopf, riss sich den Helm herunter und ließ ihn ins Gras fallen. Die grelle Welt stürzte von allen Seiten auf ihn ein, giftgrün und laut. Er rieb sich kräftig mit beiden Händen übers Gesicht. Die heiße Sommerluft fühlte sich wunderbar kühl an. Allmählich legte sich der Siegesrausch, und Hitze, Hunger und Durst kehrten zurück. Er spürte seine Knie schwächeln. Seine letzte Mahlzeit war zwei Tage her.

Hoffentlich war der Mann nicht ernsthaft verletzt. Genau genommen wollte Collum nämlich noch ein Schwätzchen mit ihm halten. Ihr Duell auswerten, ein bisschen fachsimpeln. Vielleicht wusste er etwas über die derzeitige Lage auf Camelot. Vielleicht kannte er sogar Sir Bleoberys von der Tafelrunde.

»Gut gefochten, Sir«, wiederholte Collum. »Ergebt Ihr Euch mir nun?«

»Fick deine Mutter.«

Die Stimme des Mannes klang rau und erschöpft. Irgendwo sang eine Heidelerche: Tii-tii-tii-tii-tii, tlüüi, tlüüi, tlüüi.

»Verzeiht?«

»Deine Mutter.« Sein Latein klang überraschend wortgewandt. Sehr viel besser als das von Collum. »Fick. Sie.«

Eventuell wurde nichts aus dem Schwätzchen.

»Das ist nicht sehr freundlich von Euch, Sir.« Collum räusperte sich. »Ich frage nochmals: Ergebt Ihr Euch mir nun?«

»Tja, das hängt ganz davon ab«, erwiderte der Mann, »ob du deine Mutter schon gefickt hast oder nicht.«

Ganz offensichtlich war er sauer. Das war ja auch peinlich, gegen einen unerfahrenen Möchtegern zu verlieren. Collum selbst hätte weiß Gott nicht gegen sich selbst verlieren mögen. Andererseits war dieser Kampf nicht auf seinem Mist gewachsen.

Vielleicht war er ja doch verletzt. Womöglich litt er Schmerzen. Collum hielt ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen, und der geheimnisvolle Ritter streckte ihm ebenfalls die Hand entgegen, packte ihn jedoch flink wie eine Echse am Unterarm, riss mit der anderen Hand etwas Dünnes, Dunkles aus einer Scheide an seiner Hüfte – einen Misericordia, einen langen, dünnen Dolch, der zwischen Panzerplatten hindurchstach – und stieß damit nach Collums Schritt.

Rein instinktiv wirbelte Collum zur Seite und ließ den Stich geschickt von seinem Kettenrock abgleiten. Er fing die Messerhand des Mannes ein, und einen Herzschlag lang verhakelten sie sich in einem bebenden Ringergriff. Der Ritter fegte Collum die Beine weg und wälzte sich mit all seinem Gewicht auf ihn. Collum entglitt die Messerhand – Heilandsblut! –, und er spürte Panik, griff hektisch um sich und kriegte die Hand gerade rechtzeitig wieder zu fassen, um nicht die Kehle aufgeschlitzt zu bekommen.

Den freien Arm warf er dem Mann um die Schultern, wuchtete ihn mit der Hüfte zu Boden und rollte sich auf ihn drauf.

»Heilandskreuznagel, hört auf!« Ihm brach die Stimme vor Anspannung. »Ergebt Euch einfach!«

Collum riss mit fahrigen Fingern sein eigenes Messer hervor und jagte es durch den Schlitz im Helm des Ritters. Der Kerl zitterte wie ein Kaninchen in der Schlinge, kratzte Collum übers Gesicht, warf den Unterleib umher. Dann hustete er einmal und rührte sich nicht mehr.

Insektenlärm rasselte wie trockene Samen in ihrer Hülse. Stumme Säulen goldenen Sonnenlichts sengten das grüne Timotheegras langsam zu Heu.

Der Ritter lag platt auf dem Boden, als wäre er von weit oben herabgefallen.

Großer Gott. Schwer atmend rappelte Collum sich hoch. Heiliges Scheißhaus. Du hinterfotziger Ritter. Er hatte noch nie jemanden getötet. Gott sei uns beiden gnädig.

Der Mann trat noch einmal mit dem Bein aus, dann lag er für immer still. Der einzig sichtbare Körperteil war die fischbleiche Hand, die er von der Rüstung befreit hatte, um seinen Misericordia zu zücken. Den Handrücken zierten einige braune Sprenkel und ein paar verästelte blaue Adern. Sir Misericordia war nicht mehr der Jüngste gewesen.

Und jetzt war er tot. Und wofür? Für gar nichts. Für ein Spiel, ohne Publikum, in der leeren Landschaft.

All das kaum einen Tagesritt von Camelot entfernt, der Sonne der Ritterlichkeit, in deren goldenem Licht ganz Britannien badete.

»Gott sei uns gnädig«, flüsterte Collum. Noch vor einer Stunde war er ein Niemand gewesen, dann ein Held, jetzt ein Mörder. Lange stand er da, wusste selbst nicht, wie lange eigentlich. Eine Wolke schob sich vor die Sonne. Die beiden Pferde, sein eigenes und das des toten Ritters, betrachteten ihn gleichgültig unter ihren langen Wimpern hervor.

Dann kniete Collum sich hin und zog schaudernd sein Messer aus der Augenhöhle des Mannes. Als Nächstes ging er zum Schild des gefallenen Ritters und drehte ihn mit der Fußspitze im strubbeligen Gras herum. Das Wappen war unter der hastig aufgetragenen Schicht aus weißer Farbe noch zu erkennen: blau, drei Zepter, ein goldener Sparrenstreif.

2Römerstraßen

Es war später Nachmittag. Collum ritt durch kühlen Juniregen, saß kerzengerade im Sattel und starrte stur vor sich hin in die diesige Ferne. Durch die Laubkronen über ihm rieselten Tropfen von Blatt zu Blatt und rannen ihm kitzelnd in die Rüstung. Warum hatte er sich nicht einfach ergeben? Normalerweise kam Collum für jedes Problem früher oder später auf eine Lösung, doch hier fand sein Geist absolut keinen Ansatzpunkt. Genauso wenig wie dafür: Was lief ein so erfahrener, gut ausgestatteter Ritter mitten im Nirgendwo herum und starb bei einem Zweikampf? Gegen einen Niemand wie ihn? Er war bloß ein großer Junge mit einem Schwert, von einer gottverlassenen Insel am Rande der Welt, grün und feucht hinter den Ohren wie Gras im Morgentau.

Die Wolken hingen als schlaffes Zelt über ihm, grau wie ungewaschenes Leinen. Das Regenwasser fühlte sich kühl auf seinem Gesicht an; der Kratzer, den der sterbende Ritter ihm verpasst hatte, brannte.

Der Tod an sich erschütterte Collum kaum. Menschen waren flackernde Kerzen, immer kurz vorm Erlöschen, durch Masern oder die Pocken oder eine Niederkunft oder einen Husten. Sie starben an Hunger oder Scheißerei oder wurden von Bären und Wölfen gefressen. Niemand allerdings sollte so sterben wie dieser Mann. Der Übergang vom Leben in den Tod war gefährlich und unheilvoll, und er war nackt und ungeschützt hinübergestolpert, hatte weder Freunde noch Familie bei sich gehabt, keinen Priester, der ihn von seinen Sünden losgesprochen und die Letzte Ölung vorgenommen hatte. Nur sein Mörder hatte ihm Gesellschaft geleistet.

Vor seinem Aufbruch hatte Collum ihn begraben – wenigstens das konnte er für ihn tun, auch wenn die Erde voller Wurzeln und Steine war und er das Grab mit dem Schwert des Gegners ausheben musste, einer hübschen, schmalen Klinge mit radförmigem Knauf, die Schneide war anschließend völlig ruiniert. Dann hatte er den Ritter unter seiner knorrigen Esche zur letzten Ruhe gebettet und den weißen Schild an einen knorrigen Ast über ihn gehängt. Ein Unglücksbaum, diese Esche. Jedes Pflänzchen, auf das ihr Schatten fiel, würde welken. Collum hatte sich nicht dazu durchringen können, dem Mann seine noble Rüstung abzuknöpfen; er würde keine Leiche fleddern. Doch der Kerl hatte eine Silbermedaille mit einer seltsamen Prägung an einem Riemen um den Hals getragen: Ein gewundener Stock aus knotigem Holz war darauf erkennbar, wie ein krummer Wanderstab. Das Metall sah alt aus. Collum hatte es sich zu seinen anderen Medaillons vom heiligen Christophorus und heiligen Laurentius umgehängt. Von den Dingern konnte man nie genug haben.

Zudem hatte er den braunen Apfel sowie das getrocknete Rindfleisch aus den Satteltaschen des Ritters mitgenommen. Entschuldige, alter Knabe. Hättest dich ergeben sollen. Eine Ewigkeit war er danach auf allen vieren durchs Gras gekrochen und hatte diesen verdammten Metallstift gesucht, doch vergebens.

Dann war er weiter Richtung Camelot geritten.

Was ihn dort erwartete, wusste er gar nicht genau. Mit seinen siebzehn Jahren war Collum groß gewachsen, gottlos stark, mit links ebenso geschickt wie mit rechts und erschreckend leichtfüßig, hatte die Schultern eines Hafenarbeiters und die geschickten Hände eines Goldschmieds. Er war der beste Kämpfer auf der ganzen Insel Mull, nicht nur dieser Tage, sondern seit Menschengedenken.

Allerdings galt Mull nicht unbedingt als Brutstätte für Rittertalent von Weltrang. Es war ein kaltes, buckliges Fleckchen Erde mit baumlosen grünen Hügeln, durchzogen von silbrigen Flüsschen, besetzt von weißen Wolken wie Baumwollbüscheln, die im Dornengestrüpp hängen geblieben waren. Mulls einzige Besonderheit lag vermutlich darin, dass es trotz starker Konkurrenz die verregnetste der Hinterinseln war. Wind scheuerte hart über die von eiskalten Seen durchlöcherte Landschaft. Riesige zottelige rote Kühe und winzige braune Schäfchen streiften über die rauen Wiesen.

Ritter hingegen streiften nicht so viele über die Wiesen von Mull. Seit Jahren war Collum niemandem begegnet, der ihm das Wasser reichen konnte; nicht, seit er mit dreizehn den Hausritter von Dubh Hall besiegt hatte, der behauptete, er hätte an Artus’ Seite bei Bedegraine gekämpft, in der Elfkönigsschlacht. Collum war gut, aber reichte das? Die Ritter der Tafelrunde bildeten die unvorstellbare, sagenumwobene Auslese der Insel. Der Goldreif der Tafel band diese zerborstene Welt zusammen und zog die größten Krieger Britanniens und darüber hinaus an: Sir Tristan von Cornwall, Sir Marhaus aus Hibernien, Parcival aus Northgalis, Lancelot aus der Gascogne und Palomides von noch viel weiter weg, aus dem fernen Osten, Sarras oder weiß der Teufel, wo er nun herkam.

Doch wenn es in der Tafelrunde für Palomides einen Platz gab, dann vielleicht auch für Collum. Fremdartiger als ein Sarazene konnte er wohl kaum sein. Und eine hauchzarte Verbindung zur Welt Camelots besaß er ja, nämlich Sir Bleoberys, angeblich ein Großvetter des Patenonkels der Frau von Collums Bruder.

Der Weg von Mull nach Camelot war lang. Abenteuer mochten flott und aufregend klingen, wenn man sie erzählt bekam, doch wenn man mittendrin steckte, ging es nur sehr, sehr langsam voran. Es gab keine Karten von Britannien, und Collum folgte der Sonne und der Küste und den Straßen der Viehtreiber und den Wegbeschreibungen von Unbekannten, von denen manche in fremden Zungen sprachen und offenbar noch nie einen Mann in Rüstung gesehen hatten. Sie starrten ihn an, als wäre er ein glänzender Metallengel, der zur Erde herabgefallen war.

Collum durchquerte ein absolutes Durcheinander aus nördlichen Königreichen: das Royaume Sauvage, dessen aufsässige Könige und Königinnen über Brutus Grünschild die Abstammung von einem der ersten Britonen für sich beanspruchten, nämlich Brutus von Troja; das gebirgige Rheged, Königreich des blutjungen Carmac; das Herzogtum Cambenic unter der Herrschaft von Escant, dessen Volk von Pikten vertrieben worden war und seitdem eine verdorrte, bitterkalte Halbinsel besiedeln musste. Diese Herrscher hatten ihre eigenen Königreiche, doch sie alle regierten unter König Artus, Großkönig von Britannien. Artus’ Gesetze banden sie, und auf ihren Thronen hockten sie, weil ihm es so gefiel.

Über weite Strecken und ganze Tage begegnete Collum keiner Menschenseele. Die Welt war weit und spärlich besiedelt. Zum Schlafen legte er sich in seinen Umhang gehüllt aufs nächste Feld, über ihm die Milchstraße, die den schwarzen Himmel überzog. Er klapperte durch eingesunkene Hohlwege und vorbei an einsamen Gehöften, deren kleine quadratische Felder längs und quer von Linien durchzogen waren wie Schachbretter. Er umrundete mehr Seen, als er einem vernunftbegabten Schöpfer zugetraut hätte. Unzählige Hunde bellten ihn an. Je weiter nach Süden er kam, desto grüner und üppiger wurde die Landschaft.

Doch das Erstaunlichste an Britannien war Rom.

Dass Britannien dreihundertfünfzig Jahre lang unter römischer Herrschaft gestanden hatte, wusste Collum – zumindest theoretisch; bis zu den Hinterinseln hatten es die Römer nie persönlich geschafft, und so kannte er Rom lediglich in Form vereinzelter Details, Kleinigkeiten wie Glasperlen oder Münzen mit den Köpfen von Kaisern darauf. Verirrte Bruchstücke eines fernen Imperiums.

Doch hier im Süden war Rom gewachsen und gediehen, und seine Ruinen lagen überall verteilt, die bleichen Gebeine eines Kaiserreichs. Nachdem er bei Luguvalium Hadrians weltumspannenden Wall überquert hatte, fand Collum sich auf einer prachtvollen Römerstraße wieder, ebenmäßig und mit gewölbter Mitte, gepflastert und erstaunlich geradlinig, rücksichtslos durch Wälder und Sümpfe und über Flüsse und Abgründe geschlagen. Er lugte in eingefallene Villen mit verwitterten Mosaikböden und Terrakottafliesen, die im hohen Gras versteckt lagen. Er ritt an bröckelnden Aquädukten, abgedeckten Kornspeichern, ausgetrockneten Bädern und ganzen leer stehenden Städten vorbei, die allmählich von Plünderern ausgenommen wurden.

Das alles wirkte hoffnungslos traurig, wie eingestürzte Himmelsbauten. Die Römer hatten die Zivilisation nach Britannien gebracht. Sie hatten Äpfel und Birnen und Glas und Wasserleitungen und Keramik etabliert. Sie hatten Gott und das geschriebene Wort eingeführt. Sie schenkten Britannien Handelsrouten bis zum Kontinent und noch weiter, bis nach Indien und China. Auch Frieden brachten die Römer. Vor ihrer Ankunft hatte jeder stets die Hand des Nachbarn an der Kehle gehabt.

Und dann wurden sie von ihrem fernen Kaiser übers Meer zurückgerufen, und die Lichter waren erloschen. Die Geheimnisse der Zivilisation versanken in den wachsenden Schatten. Die Menschen hasteten zurück in die alten Wallburgen, in denen sie kaum noch zu leben wussten. Aus zurückgelassenen Legionen wurden Stämme, und aus herrenlosen Legaten wurden Kriegsfürsten. Britannien verwandelte sich wieder in eine finstere, zänkische, zersplitterte Gegend. Ein Königreich der Klüfte.

Durch dieses Reich ritt König Artus, und wo immer er entlangritt, kehrten Friede und Ordnung ein. Er war das letzte Licht in der Dunkelheit.

Collum säbelte mit dem Schwert dem Riesenkerbel die Köpfe ab. Er kaute Klee und Sauerampfer, um seinen knurrenden Magen zu besänftigen, und pulte an den Schwielen seiner Schwerthand. Er machte halt und betete am Straßenrand. Er brach ein dünnes Zweiglein von einem Baum und schob es sich hinten in die Rüstung im verzweifelten Versuch, sich am Rücken zu kratzen. Allmählich wich sein Entsetzen über die Ereignisse des Tages der Eintönigkeit der Straße. Er sagte sich, dass der Mann eben einfach ein Halunke gewesen sei, mehr nicht. Die Welt war voller Halunken, sie waren die Dunkelheit, die König Artus so erfolgreich vertrieb, und Collum würde ihm dabei – möglicherweise, hoffentlich – helfen. Ein oder zwei Stunden lang hatte seine ganze Welt auf ihrer Achse geschlingert, der Vorfall auf der Wiese hatte irgendein tieferes Chaos angekündigt, tiefer als das Böse, vor dem seine Seele instinktiv zurückschreckte – doch jetzt kam die Welt wieder ins Gleichgewicht. Er hatte einen ungehobelten Ritter auf der Straße getroffen, sie hatten sich duelliert, und Collum hatte ihn getötet, genau wie jeder Ritter der Tafelrunde es getan hätte. Wie Gott es gewollt hatte. Und Gott würde ihm vergeben.

Es war eine gute Geschichte. Er fühlte sich gleich viel besser. Geschichten waren recht nützlich, sie glätteten die Ecken und Kanten der Welt und stopften die Löcher. Hinter der ganzen Sache steckte kein großes Mysterium, und falls doch, dann musste er es nicht ergründen. Und auch wenn das nicht unbedingt die komplette Geschichte war, tja, dann war es zumindest nicht die einzige Lüge, die er der Tafelrunde auftischen würde.

 

Die nahende Ortschaft erkannte Collum daran, dass unter den Bäumen keine abgebrochenen Äste mehr lagen. Die Einwohner hatten sie alle verfeuert. Gegen Sonnenuntergang erreichte er das Dorf, eine wirre Ansammlung von sprießenden Gärten und Lehmfachwerkhäusern, die in seltsamen Winkeln zueinander standen, als hätte ein Riese sie dorthin gewürfelt. Ein Gasthaus gab es auch, ein klotziges, anständig wirkendes Gebäude mit rundem Torbogen und einem Schild, auf das zwei Halbmonde gemalt worden waren.

Ein Betrunkener lag besinnungslos draußen im Gras, ein Hüne, dessen speckige Tunika ihm über den weißen Bauch gerutscht war. Ein paar Kinder bewarfen ihn mit Matschklumpen.

»He! Haut ab!«

Collum sah sie finster an. Die Kinder tauschten einen Blick, kamen gemeinschaftlich zu dem – durchaus korrekten – Schluss, dass er sie nicht ernsthaft zur Rechenschaft ziehen würde, und bewarfen den Saufbold weiter.

Er bezweifelte, dass er sich ein Bett für die Nacht leisten konnte, ließ sein Pferd dennoch im Hof stehen und zog den Kopf ein, als er durch die niedrige Tür trat. Der Wirt, ein Mann mittleren Alters mit feuerrotem Schopf und der eisernen Miene eines Kerkermeisters, rümpfte die Nase über Collums nordbritischen Akzent, ließ ihn jedoch wissen, dass er hier den Ort namens Ditchley erreicht habe, im Königreich Logres, und dass Camelot bloß zehn Meilen Richtung Süden und Osten liege. Folgt einfach dem Flusslauf der Brass und den Spuren zahlloser anderer naiver, hoffnungsfroher Jünglinge.

Zehn Meilen. Nach all dieser Zeit wäre es morgen so weit. Mit großer Geste überreichte Collum ihm ein Viertel seines gesamten Vermögens im Tausch gegen ein Bett und eine Mahlzeit. Noch nie in seinem Leben hatte er in einem Gasthaus übernachtet, doch er brauchte gute Erholung, und wenn alles nach Plan lief, wenn er einen Platz in der Tafelrunde errang, dann wäre er für den Rest seines Lebens ohnehin alle Geldsorgen los. Der Wirt deutete mit dem Kinn auf eine Frau mit grüner Kittelschürze, die gerade den Boden schrubbte.

»Vor der seht Euch vor, die hat sie nicht alle.«

Die Frau zwinkerte ihm zu.

Oben nutzte Collum die Gelegenheit und stieg zum ersten Mal seit einer Woche aus seiner Rüstung. Wie ein Hummer, der sich vorsichtig schälte, nahm er alle siebenunddreißig Einzelteile ab, eins nach dem anderen, jedes mit eigenen Scharnieren und Stiften und Schnallen und Befestigungsmechanismen, und legte sie zu einem Haufen auf eins der Betten. Ein paar Ersatzteile passten nicht ganz zum Rest – die rechte Beinschiene, die linke Achselplatte, neuerdings mit Kratzer –, doch das waren nicht viele. (Jetzt allerdings fehlte auch dieser Metallstift, verdammt.) Collum hatte immer einen kleinen Hammer und eine Metallfeile dabei, um Dellen auszuschlagen und kleine Scharten auszubessern. Auf der Innenseite jedes Teils prangten das Siegel des Herstellers und die Löwin von Brescia. In Britannien gab es nicht allzu viele vernünftige Waffenschmiede.

Er trocknete jedes Stück ab und ölte es ein. Pflegte man die Einzelteile nicht regelmäßig, wie der verstorbene Sir Goldsparren, rosteten sie, und man musste sie in einer sandgefüllten Tonne sauber scharren. Auch seine Klinge reinigte und ölte er – für so tödliche Waffen waren Schwerter überraschend empfindlich. Schon eine Berührung mit bloßen Händen hinterließ Fingerabdrücke, aus denen sich Rostflecken entwickeln konnten. Als er fertig war, öffnete er sein Haar – wie die meisten Ritter trug er es schulterlang und band es unter dem Helm hoch, als zusätzliche Polsterung. In einem Becken wusch er sich die schmuddeligen Hände und Füße und das Gesicht. Nun fühlte er sich fast wieder wie ein Mensch und ging hinunter.

Die Frau im grünen Kittel stellte ihm einen Becher Ale und einen Teller Lammschmorbraten mit Zwiebeln und Rotweinsoße hin, und dann konnte er lange Zeit an nichts anderes mehr denken. Er aß, bis ihm der Bauch wehtat. Seine feuchten Kleider dampften in der Wärme. Er war satt, er war in Sicherheit, er war fast da.

Die Sonne ging unter, und der Wirt stocherte neues Leben ins Feuer. Er diskutierte mit zwei Gästen und der Frau, ob der große Trunkenbold draußen weggeschafft werden musste oder nicht, und wenn ja, von wem, und wie überhaupt, wo er ja nun mal sehr groß und sehr betrunken war. Collum bemerkte unwillkürlich, dass die Frau ihn beobachtete, dreist und schamlos. Ein Mann in Rüstung interessierte die Leute immer. Sie sagte etwas, die anderen lachten. Ihr Haar war sehr kurz geschnitten, kürzer als er es je bei einer Frau gesehen hatte. Läuse womöglich. Oder geschoren wegen Ehebruchs. Ein Kreuz auf den Schädel zu scheren heilte Wahnsinn.

Er hatte sich abgewandt und gerade beschlossen, dass er sie für den Rest des Abends lieber ignorierte, als sie sich ihm unvermittelt gegenübersetzte.

»Bist du ein Ritter?«

Ihr Alter war schwer zu schätzen. Ihre Augen leuchteten in einem eigentümlichen Grau.

»Noch nicht.«

»Ich hab’s ihnen gesagt, ein echter Ritter würde nicht in so einem Drecksloch absteigen. Wo kommst du her?«

»Von den Hinterinseln.« Collum musste sich räuspern. In geschmeidiger Gesprächsführung war er ziemlich aus der Übung, wobei er ohnehin nie sonderlich geübt gewesen war. »Und selbst?«

»Bin von hier.« Sie hatte ein einnehmendes, leicht schiefes Lächeln und einen seltsamen Akzent, der so gar nicht nach von hier klang. »Was hast du mit deinem Gesicht angestellt?«

»Hab ein Duell gegen ’nen Weißdorn verloren.«

Sie schnaubte.

»So ein Geflunkere lassen sie dir als Ritter aber nicht mehr durchgehen. Was ist das?« Sie griff so abrupt über den Tisch, dass er zusammenzuckte, und nahm die Silbermedaille des toten Ritters zwischen die Finger.

»Eine Medaille.«

»Schon klar.« Sie wog sie in der Hand. »Wo hast du die her?«

Er hatte bereits beschlossen, keiner Menschenseele je von dem Vorfall mit dem Ritter auf der Wiese zu erzählen; er hatte sich sogar fest vorgenommen, nur noch ein wenig Wasser zu trinken, nach oben zu gehen und sich den besten Nachtschlaf seines Lebens zu gönnen. Stattdessen sprudelte nun alles aus ihm heraus: die Herausforderung, der Zweikampf, die hässlichen Worte, das hässliche Ende. Die ganze Geschichte purzelte ihm einfach von der Zunge, als wäre die Frau seine beste und älteste Freundin.

Vermutlich war er einfach einsam. Im Laufe der letzten Woche hatte er mit exakt zwei Menschen gesprochen, und einen davon hatte er getötet. Die Frau hatte wundervoll große Augen, und sie blickte ihn an, als wäre er der interessanteste Kerl, der ihr je begegnet war.

»Dunkle Zeiten«, sagte sie. »Ich hoffe, du hast ihn begraben.«

»Ja.«

»Eine Leiche darf man nicht einfach rumliegen lassen, das geht nicht. Sonst kommen die Geister sie holen. Und Eulen auch.«

»Mhm-hm.«

»Nachher läuft eine Eule im Ritterkörper rum, das geht wirklich nicht.«

Collum pflichtete ihr bei, dass es absolut nicht ging, wenn Eulen in Ritterkörpern herumliefen.

»Sein Wappen waren drei goldene Zepter und ein Sparren«, sagte er. »Hast du das schon mal gesehen?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Den Kram merke ich mir nie.«

»Und eins lässt mir keine Ruhe.« Collum starrte ins Feuer. Er hatte Ale bestellt, weil ihm das ritterhaft erschien, aber das war er nicht gewohnt, und jetzt fühlte er sich etwas beduselt. »Ich bezweifle, dass dieser Ritter mich töten wollte. Ich glaube, er wollte mich dazu bringen, ihn zu töten. Ich glaube, er wollte sterben.«

Die Frau tippte sich nachdenklich mit dem Finger an die Lippe, ihre großen Augen schimmerten. »Von allen Tieren«, sagte sie, »ist nur der Mensch imstande, unerträgliche Verzweiflung zu verspüren.«

»Ein unerträgliches Schicksal hätte Gott ihm nicht auferlegt.«

»Dein Gott ist ziemlich optimistisch, wie viel die Leute so ertragen. Kannst du lesen?«

Dein Gott. Also eine Heidin. Collum beschlich das Gefühl, das Gespräch mit einer Person begonnen zu haben und nun mit einer komplett anderen weiterzuführen, deren Intelligenz die seinige um ein Mehrfaches überstieg.

»Ich kann lesen.«

»Nur lateinische Buchstaben? Oder kannst du auch das Beith-luis-nin?«

»Nur lateinische.«

Mit Beith-luis-nin meinte sie Ogham, die alte Schrift der Druiden. Noch mehr Heidenkram. Jeder Buchstabe sollte für einen Baum stehen: beith war eine Birke, luis eine Vogelbeere, nin eine Esche, irgendwie so. Zu Hause auf Mull machten die Ältesten einem ein schlechtes Gewissen, wenn man es nicht lernte. Collum hatte es nicht gelernt. Er war ein guter Christ, genau wie König Artus.

Dennoch wollte er unwillkürlich, dass diese Frau ihn mochte. Sie hatte etwas schrecklich Aufregendes an sich – ihre rasche Auffassungsgabe, ihr Lächeln, dieser wunderbar aufmerksame Blick …

»He, nicht träumen, Collum.« Sie schnipste unter seiner Nase mit den Fingern. »Morgen willst du weiter nach Camelot, richtig?«

Ein riesiger schillernder Käfer ließ sich auf ihrer Schulter nieder und flatterte dann so rasch weiter, dass Collum nicht mal sicher war, ob er ihn wirklich gesehen hatte. Ein kalter Geruch stieg ihm in der Nase auf, wie im Winterwald.

»Ich hege die Hoffnung, dass …«

»Ja, sicher. Tja, ich kann dich nicht aufhalten. Immerhin kannst du mit einer Klinge umgehen. Oder zumindest jemandem das Auge ausstechen.« Genauso plötzlich, wie sie sich hingesetzt hatte, stand sie wieder auf. Was immer sie für ein Spiel miteinander gespielt hatten, sie war dessen müde geworden. »Vergeude bloß nicht noch mehr Zeit, du bist ohnehin schon spät dran. Das Schwert liegt im Ozean, und das letzte Schiff hat abgelegt.«

»Ich weiß nicht, was das bedeutet.« Er kam sich dumm vor.

»Ich weiß, dass du das nicht weißt. Ich sage es dir jetzt, damit du, wenn du es herausfindest, wissen wirst, was ich wusste.«

Sie nahm die Kittelschürze ab und warf sie nachlässig auf den Tisch.

»Ich kündige«, rief sie dem Wirt zu.

Damit spazierte sie in die Nacht hinaus. Collum starrte ihr durch die offene Tür nach.

Es war wohl Gepflogenheit für einen verirrten fahrenden Ritter wie ihn, von mysteriösen Jungfern behelligt zu werden. Wobei sie in den Erzählungen normalerweise längere Haare hatten. Und was hatte sie von dem Schwert im Ozean erzählt? Und dann war da noch etwas, etwas Wichtiges, das er sofort vergessen hatte, kaum dass ihr die Worte über die Lippen gekommen waren. Er nahm einen Schluck von seinem sauren Ale. Sie gehörte zu diesen lebenssprühenden Menschen, deren Geschichte immer spannender wirkte als die eigene, und als sie gegangen war, hatte sie sie mitgenommen und ihn am tristen Rande des Geschehens zurückgelassen. Hier war das Fräulein die Heldin und er das genaue Gegenteil, schnell verworfen und vergessen. Er strich über den rauen Stoff ihrer Kittelschürze. Nicht träumen, Collum.

Das war es doch. Er fuhr auf. Genau das. Seinen Namen hatte er ihr nämlich gar nicht genannt.

Die Bank kippte polternd um, als er aufsprang und zu drei Vierteln betrunken in den Hof rannte. Der Lärm und das Licht und die Hitze des Gasthauses blieben hinter ihm zurück. Die Frau war nirgends zu sehen. Er lief auf die nasse Straße hinaus.

Hektisch sah er nach rechts und links, entschied sich wahllos für eine Richtung und marschierte drauflos, vorbei an einer dunklen Scheune, einem Brunnen, einem Marktplatz mit einem Teppich aus zermatschten Zwiebeln und zertrampeltem Kohl. Das gemütliche Gasthaus geriet außer Sichtweite. Camelot hatte er völlig vergessen, jetzt schien es das einzig Wichtige, die kurzhaarige Frau zu finden und die Botschaft zu erhalten, die sie für ihn haben musste. Das Abenteuer war zu ihm gekommen, und wie ein Dussel hatte er es sausen lassen!

Der Regen setzte wieder ein. Irgendwie hatte die Straße alle Behausungen hinter sich gelassen und bot nur noch zwei Radrillen mit hohen Grasbüscheln in der Mitte. Ein tiefenentspannter Hase hoppelte träge über den Weg. Käfer surrten und zirpten in der nächtlichen Umgebung. Vielleicht hatte er einen Fehler begangen. Vielleicht war sie eine Zauberin, die ihn hier hinausgelockt hatte, um ihn ins Unglück zu stürzen. Ihm kribbelte der Nacken. Die Welt löste sich schon wieder auf, genau wie bei der Sache mit dem Ritter, dabei hatte er doch gerade wieder alles sortiert. Warum benahm sich die Welt nicht einfach?

Vielleicht war die Frau eine Fee. Er blieb stehen. Die ganze Geschichte stank ziemlich dolle nach Feen. Collum fluchte leise vor sich hin und klopfte sich auf den Schenkel. Sein Schwert hatte er im Gasthaus zurückgelassen. Dumm. So dumm. Er berührte seine Medaillen – doch die hatte die Frau auch berührt, waren sie dann jetzt verflucht? Feen erlaubten sich gern mal ein Späßchen, aber sie gingen dabei nicht sonderlich rücksichtsvoll vor und scherten sich nicht darum, ob ihr Spielzeug kaputtging. Als einstige Götter waren sie mit der Ankunft Christi geschrumpft und verblasst, und nun hockten sie in hohlen Hügeln und an den Rändern und Fransen der Dinge, an Orten, die offenbar selbst Gott vergessen hatte, oder warum wurde er sie nicht einfach allesamt los? Sie hatten auch ihre eigene Welt, die Anderswelt, und wer mit dem falschen Fuß auf eine durchlässige Stelle trat, fiel einfach hinein und saß dann hundert Jahre dort fest …

Er wippte nervös auf und ab. Fühlte sich der Boden hier dünner an als normal? Heiliges Aas, war er bescheuert. Wo er es doch gerade fast geschafft hatte. »Verleihe uns, wir bitten dich, allmächtiger Gott, die Gnade«, flüsterte er, »dass wir, die wir deines Schutzes Huld ersehnen …« Er hätte einfach ins Bett gehen sollen. Er schwor einen feierlichen Eid, dass er sich, sollte er das hier überleben, für den Rest seines Lebens in derlei Situationen ausnahmslos und schnurstracks ins Bett begeben würde, sofern er die Wahl hätte.

Mit schwirrendem Schädel hockte er sich ins Gras und betete noch ein bisschen länger. Vielleicht würde es den Feen dann langweilig, und sie ließen ihn in Ruhe. Was für eine gefährliche Welt, dachte er, in der man so leicht vom rechten Pfad abkam, selbst mit den besten Absichten. Oder zumindest ziemlich guten. Er dachte an morgen. Wenn er keinen Platz in Camelot ergatterte, müsste er seinen Weg einfach fortsetzen. Nach Astolat vielleicht; angeblich suchte der dortige Herzog Männer. Wenn nicht dort, dann in Londinium. Wenn nicht Londinium, dann Rhydychen, Norholt, Car Loyw, Aquae Sulis; Städte, in denen er nie gewesen war, wo er in den Dienst eines Herrn treten würde, dem er nie begegnet war, für den er kämpfen, für den er töten, für den er sterben würde. Das war nichts Ungewöhnliches, Tausende machten das so, landlose, herrenlose Ritter wie er. Doch wie seltsam, dass so sein Leben verlaufen sollte.

Aber zunächst Camelot. Er musste gar kein Ritter sein, er konnte auch ein Knappe werden, ein Diener, er würde alles tun, wenn sie ihn dafür nur bleiben ließen, alles! Er würde in der Küche arbeiten wie Gareth Beaumaynes …

Hinter ihm knirschten Schritte auf der Straße. Einen entsetzlichen Augenblick lang dachte er, es wäre der feige Ritter, der rastlos und eulenbesessen nun Rache nehmen wollte.

Doch er war es nicht. Es war bloß der große Saufbold. Der vor dem Gasthaus im Gras gelegen hatte.

»’n Abend, mein Freund.«

Er war riesig, noch größer als Collum, und ihm fehlte eine Hand, der Ärmel war am Stumpf mit einem Stück Faden abgebunden. Eine alte Verletzung. Wie hatte er es so weit geschafft? Doch Collum selbst hatte es nicht sonderlich weit geschafft. Er saß auf der nassen Straße vor dem Gasthaus, genau da, wo er losgelaufen war. Alles nur eine Sinnestäuschung.

»’n Abend«, brachte Collum hervor.

»Ihr kommt aus dem Norden.«

»Mull.« Offenbar ließ sein Akzent keinerlei Zweifel.

»Das ist eine Insel.«

»Ja, das ist eine Insel.« Er stand auf. Sein Hintern war feucht vom kalten Matsch. Auf einmal war er sehr, sehr müde.

»Und was bringt Euch hierher?«

»Ich bin auf dem Weg nach Camelot.«

»Camelot? Ha!« Das schien der Mann urkomisch zu finden. Als wäre Collum hier der beschmutzte, heruntergekommene Suffkopf.

»Ja, Camelot.« Collum bemühte sich heldenhaft um männliche Beiläufigkeit. »Ich suche einen Ritter namens Sir Bleoberys.«

»Oh, da kommt Ihr zu spät.« Der große Saufbold lachte noch ein bisschen und schüttelte den Kopf. »Der alte Sir Blaubeer weilt nicht mehr unter uns. Schon längst nicht mehr!«

Er drehte sich um und ging immer noch lachend auf die Suche nach besserer Unterhaltung. »Camelot«, brummte er amüsiert. »Herrje. Viel zu spät. Geht nach Hause.«

Irgendetwas an dieser Bemerkung ließ Collums Geist erstarren so wie kleine Tiere vor einem Erdbeben. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, die Wolken waren wie weggefegt, und leuchtende Sterne drängten sich am Himmel. Im Mondlicht atmeten die Felder und Gärten, die den Regen aufgesaugt hatten, weißen Nebel aus.

Und noch etwas zeigte ihm das Mondlicht: Er stand in einem makellos runden Feenring aus knochenweißen Giftpilzen.

3Der junge Rittersmann

Am nächsten Morgen ritt Collum nach Camelot.

Er hatte nicht gut geschlafen. Auf dem gesamten Weg hierher hatte er tatsächlich davon phantasiert, ein einziges Mal eine Nacht in einem Gasthaus zu verbringen, in einem echten Bett. Doch als er endlich in einem drin lag – neben einem fahrenden Seilmacher aus Garlot –, fühlte sich die Matratze an wie mit Nadeln gestopft, und er konnte seine Gedanken einfach nicht zur Ruhe bringen. Zuerst die Katastrophe mit dem ungehobelten Ritter. Dann die schlaue Feenfrau im Gasthaus und dann der betrunkene Riese, der gesagt hatte, Bleoberys wäre nicht mehr da. Nichts davon hatte irgendetwas zu bedeuten oder hätte etwas zu bedeuten haben sollen, doch in der Anderswelt der Nacht bedeuteten Dinge oft etwas völlig Abwegiges. Und in der Dunkelheit des Gasthauses bedeutete das für Collum, dass irgendetwas nicht stimmte, wo alles stimmen musste, wo alles stimmen sollte. Auf Camelot, dem Herzen des Herzens der Welt, stimmte irgendetwas nicht.

Bei Tagesanbruch hatte sich sein Gedankenstrudel beruhigt und seine Laune zu grimmiger Entschlossenheit gewandelt. Er weckte die Wirtstochter – die sich an keine Frau mit grüner Kittelschürze und kurzem rotbraunen Haar erinnern konnte, nicht ansatzweise, nie gesehen oder gehört –, schnappte sich einen Kanten Gerstenbrot und brach auf, während sich die Sonne gerade schwerfällig vom Weltenrand löste und die Wiesen aufzuheizen begann.

Beim Reiten sagte er es immer wieder rhythmisch vor sich hin: »Auf nach Camelot – auf nach Camelot – auf, auf, auf nach Camelot.« Nun war er gekommen, der größte Tag seines Lebens. Collum trieb sein Pferd grundlos zur Eile an, das Kinn stur gereckt wie in Zement gegossen. Er hatte das Gefühl, wenn er sich nicht beeilte, würde er es verpassen. Alles wäre vorbei, Camelot bei seiner Ankunft nur noch ein Trümmerhaufen. Du bist ohnehin schon spät dran, sagte die Frau mit dem kurzen Haar. Zu spät, echote der betrunkene Riese. Geht nach Hause. Doch das war Blödsinn. Camelot währte ewig. Collum zwang sich ein Lächeln auf das übermüdete, verquollene Gesicht. Es war so weit. Heute würde sich seine Zukunft entscheiden, in die eine oder andere Richtung.

Vermutlich in die andere, um ganz ehrlich zu sein. Er hatte diesen Gedanken mühsam auf Abstand gehalten, aber es war sehr gut möglich, dass er schon bald vor den größten Männern des Königreichs öffentlich gedemütigt wurde.

Das Problem lag nicht darin, dass er noch kein Ritter war. Falls irgendwer fragte, behauptete man einfach, dass sie einen zu Hause schon hätten zum Ritter schlagen wollen – dass sie um dieses erhabene Privileg geradezu gebettelt hätten! –, man sich allerdings geweigert hätte, von geringerer Hand als von König Artus in den Ritterstand erhoben zu werden. Das Problem lag darin, dass die Mitgliedschaft in der Tafelrunde theoretisch aufgrund von Tugend, Ritterlichkeit und Kampfgeschick verliehen wurde, in der Praxis allerdings jeder einzelne Ritter der Tafel von adliger Abstimmung war, die meisten obendrein von königlichem Geblüt der ein oder anderen Sorte. Und selbst wenn sie jemanden mit bescheidenerer Herkunft aufnahmen, stellte sich hinterher unvermeidlich heraus – Überraschung! –, dass er doch die ganze Zeit Adelsblut in sich getragen hatte, ohne es zu wissen. So wie Sir Gingalin, Le Bel Inconnu, der sich als Gawains Sohn erwiesen hatte. Oder Parcival, der in solch totaler Abgeschiedenheit aufgezogen worden war, dass er noch nie überhaupt von Rittern gehört hatte, geschweige denn von seinem Vater (König Pellinore).

Doch Collum bluffte nicht. Sein Vater war ein Kaufmann, ein Wollhändler, und auch wenn Collum zwar tatsächlich ein Ritteranwärter war, so doch nur im technischsten aller Sinne. Obendrein war sein Vater eigentlich überhaupt gar nicht sein Vater. Seine Mutter hatte ihn außerehelich mit einem Fischer gezeugt, der schon vor seiner Geburt auf See verschollen war, was Collum nicht bloß zu einem gemeinen Bürger, sondern noch dazu zu einem gemeinen Bastard machte, der keinerlei Anrecht besaß, auf Camelot aufzukreuzen und einen Platz in der Tafelrunde für sich zu beanspruchen. Das wusste er, und er hatte sich trotzdem auf den Weg gemacht. Er konnte nicht anders. Als gierte er nach der Erniedrigung, als hätte er den perversen Drang, sich und ihnen und der ganzen Welt ein für alle Mal zu beweisen, wie absolut unwürdig er war.

Das ganze Desaster hatte mit Alasdair, Lord von Mull, seinen Anfang genommen; früher war er sogar Gutsherr auf Mull gewesen, doch nachdem König Artus seine siegreichen Truppen nördlich des Walls geführt hatte, waren die dortigen Clanherrschaften nach dem Vorbild der südlichen Aristokratie umstrukturiert worden. Alasdair, ein fauler, nichtsnutziger Mann, hatte immense Schulden bei verschiedenen Geldleihern, Goldschmieden, Weinhändlern, Kurpfuschern und Spielkumpanen angehäuft, und zwar die gewaltige Summe von fünfundvierzig Pfund.

Collums Stiefvater Peadar war weder adelig noch arm und dumm schon gar nicht. Irgendwie musste er seinen unehelichen Stiefsohn loswerden, damit der sein Geschäft nicht erbte. Also schickte er Collum in den Haushalt von Lord Alasdair nach Dubh Hall, wo Alasdair ihn zum Ritter ausbilden sollte. Im Gegenzug zahlte Peadar ihm eine monatliche Rate, die reichte, um dessen exorbitante Schulden zu bedienen. Seiner Ansicht nach schenkte er Collum damit die besten Aussichten, die sich ein junger Bursche erhoffen konnte.

Dubh Hall lag auf dem Lande, meilenweit entfernt von den matschigen Straßen der einzigen richtigen Stadt auf Mull, doch für einen kleinen Jungen war es nicht der allerschlimmste Ort auf Erden. Es war zugig und undicht und von einer ständigen kriechenden Feuchte heimgesucht, aber in seiner Mitte befand sich ein riesiger, doppelseitiger, immerwarmer Schornstein, der angeblich noch aus vorrömischen Zeiten stammte – man hatte ihn frei stehend auf einem Feld gefunden und das Herrenhaus drumherum gebaut. In einen der Steine war ein primitives Bild einer nackten Frau mit gespreizten Beinen geritzt, und die anderen Jungen im Haus rissen Witze darüber, aber wann immer die älteren Bediensteten daran vorbeigingen, berührten sie das Bildnis, weil das Glück brachte.

Auch Collum berührte den Stein. Glück brachte er ihm allerdings nicht.

Bald stellte er fest, dass Lord Alasdair keinerlei Absicht hegte, ihn aus- oder sonst wie zu bilden. Er interessierte sich überhaupt gar nicht für Collum außer als Sündenbock, an dem er seinen Ärger über die vielen Demütigungen seines Lebens auslassen konnte, wozu auch zählte, dass er (nur durch niederträchtige Südländerlist!) von König Artus herabgesetzt worden und nun von der Gunst eines Händlers abhängig war, um seinen Titel von Schulden zu befreien. Niemand durfte mit Collum sprechen. Er wurde in ausrangierte Kleider gesteckt. Als mutterlosen Jungen – sie war gestorben, als er drei gewesen war – hatte es ihn immer an warme, gemütliche Orte gezogen, doch nun schlief er mit der Dienerschaft auf einer dünnen Matte auf dem Boden der großen Halle unter dem Gurtbogendach, mit einem Holzscheit als Kopfkissen; er lauschte den Geräuschen der Fremden, die ihn umgaben, lauter Erwachsene, die schnieften und sich umherwälzten und vor sich hin murmelten und furzten und manchmal – auch wenn er das lieber verdrängte – Sex hatten.

Für jede kleinste Übertretung prügelte und peitschte Alasdair Collum aus. Er schickte ihn den Kamin hoch, um den Ruß auszukehren, wobei er fast erstickte. Andere Erwachsene in Dubh Hall mit einem Hang zur Grausamkeit ermutigte Alasdair noch. Der Bäcker hielt Collums Hand über eine Kerze, weil er einen Brotlaib in die Asche hatte fallen lassen, und der Kaplan drückte Collum mit dem Kopf in einen Wassereimer, ohne ersichtlichen Grund. Er wurde nachts ausgesperrt, und er wurde die Treppen hinuntergetreten; einmal brach er sich dabei das Bein, und es wurde schlecht gerichtet, sodass es für alle Zeiten kürzer blieb als das andere. Einmal spritzte ihm jemand Lauge auf die Bettdecke.

Und das war nicht das Schlimmste, was in seinem Bett geschah. Es gab genügend Männer in Dubh Hall, die skrupellos einen gut gewachsenen Jungen ohne mächtige Beschützer ausnutzten, der es sich nicht leisten konnte, Ärger zu machen oder mit wilden Vorwürfen laut zu werden.

Er selbst dachte lediglich, das müsste alles irgendwie seine Schuld sein. Etwas stimmte nicht mit ihm, und er bekäme bloß, was er verdient hätte. Nicht ein einziges Mal leistete er Widerstand. Doch wenn er draußen schlief, betete er manchmal, dass er nie mehr aufwachte. Er träumte nicht von Freiheit oder Rebellion oder Rache. Er verabscheute sich selbst genauso sehr wie sie ihn. Collum arbeitete und aß und schlief am Grunde eines dunklen Ozeans des Elends, den Kopf gesenkt, verloren in der Tiefe, wo kein Licht hindrang. Er hatte das Gefühl, von dem ganzen Gewicht erdrückt zu werden. Pater Conall nannte diese lustlose Verzweiflung acedia und sagte zu Collum, das sei eine Sünde. Wenn das stimmte, dann sündigte Collum in einem fort, sündigte und sündigte und konnte gar nicht damit aufhören.

Sein einziger Zufluchtsort war die Schmiede, ein mollig warmer Schlupfwinkel, in den er sich manchmal bei Kälte, Regen oder Schnee zurückzog. Der Schmied sorgte auch tagsüber stets für Dunkelheit; damit er die Hitze im Metall besser sehe, erklärte er. Collum hockte in der Ecke, hielt die Knie eng umschlungen und schaukelte vor und zurück. Er stellte sich den Schmiedeofen als einen Dämon vor – die Flammen waren rot glühende Gedanken, die ihm quälend durchs Dämonenhirn zuckten. Collum beobachtete, wie die Funken über den Steinfußboden stoben, und folgte ihrem Schicksal mit dem Blick. Erst leuchteten sie kühn auf, dann erloschen sie einer nach dem anderen. Genau wie der Funke seines Vaters und der seiner Mutter. Genau wie sein eigener Funke eines Tages.

Der Schmied war von einer Anstellung auf Caerleon nach Dubh Hall gekommen. Er weigerte sich strikt, die Gründe für diesen Wechsel darzulegen, und brachte einen großen Fundus an Geschichten über die Ritter der Tafelrunde mit, die er gern während der Arbeit zum Besten gab. Die meisten Leute auf Mull hielten solche Geschichten für Propaganda der widerwärtigen Südländer, doch in Collum fand der Schmied einen hingerissenen Zuhörer.

Genau wie er wurden die Ritter der Tafelrunde auf Mull gehasst und verleugnet, aber im Gegensatz zu ihm kümmerte sie das nicht. Sie waren zu weit weg und zu stark. Sie lebten in einer warmen, sicheren Welt aus altem Gold, voller Stärke und Liebe und Kameradschaft, wo das Böse mächtig, doch das Gute noch mächtiger war, wo Gott nie wegsah und selbst Traurigkeit edel und schön war. Das war die Welt, in der Collum leben wollte. Das waren seine Leute. Erst nachdem er diese Geschichten gehört hatte, wollte er selbst Ritter werden.

Das bedeutete allerdings, dass er Christ werden musste, auch wenn Jesus auf Mull noch unbeliebter war als Collum. Ein guter Gäle misstraute Jesus, diesem Neuankömmling, der nach Süden stank. Doch König Artus liebte Jesus und Gott obendrein, und so beschloss Collum, die beiden ebenfalls zu lieben und anzubeten, obwohl er dafür über einen schmalen eisigen Sund zu einer kleinen Insel noch hinter Mull hinüberrudern musste, wo ein Kloster stand. Die Messe dort wurde von dem fröhlichen buckligen Pater Conall gehalten. Die wenigen anderen Kirchgänger waren hauptsächlich da, um zu tratschen – was sie während des Gottesdienstes ausgiebig taten, auch wenn Pater Conall protestierte – und die kleinen Stückchen magischen Brotes einzustecken, die verteilt wurden und bekanntermaßen Glück brachten.

Im Gegensatz zum Schornstein brachte das magische Brot Collum tatsächlich Glück – entweder das Brot oder was anderes. An einem ungewöhnlich warmen Vormittag im April, zwei Jahre nach seiner Ankunft in Dubh Hall, trat der wundersame Fall ein, dass Collum nichts zu tun hatte. Die Stiefel der anderen Jungen hatte er geputzt. Aus der Küche und aus dem Stall hatte man ihn hinausgescheucht. Nirgends wurde er gebraucht. Also schlenderte er zum Übungsplatz im Hof.

Collum hatte gesehen, wie die anderen Jungen dort mit Schwertern trainierten. Es waren insgesamt drei, Alasdairs Sohn Marcas und noch zwei Ziehkinder von anderen Inseln. Zunächst schaute er bloß zu. Niemand beachtete ihn. Die Jungen fochten nicht gegeneinander, sie hieben und stachen bloß in die leere Luft, auf die bellenden Befehle des Marschalls hin, eines schlanken dunkelhäutigen Franken, der vermutlich mehr als einen Schuss nordafrikanischen Bluts in sich trug.

Genau das war Collum versprochen worden. Dafür hatten sie ihn hergeschickt. Das hatte er fast vergessen. Die Jungen, rotgesichtig und verschwitzt in ihrer unförmigen Polsterkleidung, beschwerten sich über die Hitze. Als sie eine Pause einlegten, räusperte Collum sich und klappte den Mund auf. Dann quollen die Worte aus ihm heraus, als würde jemand Fremdes durch ihn sprechen, ohne dass er wusste, wer oder warum. Wie ein Wunder aus den Geschichten – ein Schwert, das ihm aus den dunklen Gewässern hingehalten wurde.

»Kann ich jetzt mit meiner Ausbildung anfangen?«

Die Jungen brachen in Gelächter aus. Der Marschall sah Collum unter schweren Lidern hervor an: ein zerlumptes Kind, hoffnungslos dünn und zottelhaarig, die schmutzige Wange aufgeschürft.

»Heute nicht, Kleiner.«

»Aber wann dann?«

»Woher soll ich das wissen? Klär das mit Lord Alasdair.«

»Der sagt es mir nicht.« Collum brannte das Gesicht, doch lockerlassen konnte er nicht. »Er hat es meinem Vater versprochen!«

Das Wort »Stiefvater« kam ihm nicht über die Lippen.

»Ein Lord hält seine Versprechen. Aber bis dahin geht mich die Sache nichts an.«

Sein Instinkt riet Collum, sich in die Schmiede zu verziehen. Doch irgendwo tief in seinem Inneren hatte er einen Endpunkt erreicht. Er hatte so lange gewartet und gelitten, wie er konnte. Wie ein Pflug, der im Feld auf einen Stein stieß, und die Schar schlug unterirdisch einen unsichtbaren Funken und rührte sich nicht mehr von der Stelle.

Er trat an den Jungen heran, der ihm am nächsten stand – ein Bengel mit großen Augen und abstehenden Ohren, dessen Namen er nicht einmal kannte –, und riss ihm das Schwert aus der Hand. Der Junge war so überrascht, dass er sich nicht einmal wehrte.

Die anderen grinsten und johlten. Das versprach unterhaltsam zu werden.

Collum hörte sie nicht. Er betrachtete das Schwert in seiner Hand, drehte es herum und packte es am Griff. Er hatte noch nie eins in der Hand gehalten. Äste, Besenstiele, alle möglichen Spielschwerter, doch nie ein echtes.

Auch das hier war nicht echt, nur ein hölzernes Übungsschwert. Es war überraschend schwer; später erfuhr Collum, dass sie mit Blei versehen wurden, um ihnen zu Trainingszwecken zusätzliches Gewicht zu verleihen. Doch Collum kam es in dem Moment vor, als hätte Jupiter persönlich ihm einen Blitz ausgehändigt. Ein schwindeliges Hochgefühl stieg in ihm auf, als würde er vom Grunde seines Ozeans aus Acedia aufschießen, in einer glorreichen Fahrt aus der schwarzen Tiefe bis hinauf zur sonnenüberfluteten Oberfläche. Die erdrückende Schwere war fort, die Farben leuchteten, und er atmete süße Luft. Als würde er aus einem schrecklichen Traum erwachen.

Der Junge mit den Segelohren versuchte, sich sein Schwert zurückzuholen, aber Collum wollte es noch nicht wieder hergeben. Er glitt außer Reichweite. Dann beging Segelohr den Fehler, der den meisten – Jungen wie Männern – in einem Faustkampf unterläuft, er holte großzügig zu einem mächtigen Fausthieb aus, den Collum schon von Weitem kommen sah. Bevor er zuschlagen konnte, watzte Collum ihm mit der freien Hand eins gegen die Schläfe und stach ihm rasch in die Augen. Der Junge hielt sich das Gesicht; Collum boxte ihm noch dreimal durch die vorgehaltenen Hände auf die Nase und trat ihm zum Abschluss zwischen die Beine.

Der Junge war weder schwach noch ein Feigling. Er hatte bloß das Pech, im Weg zu sein, als Collum sein einziges Talent entdeckte.

Jetzt näherten sich Marcas und das andere Ziehkind, die Schwerter beidhändig vor sich. Zwei gegen einen. Doch Collum begriff instinktiv, dass ihm mehrere Vorteile in die Hände spielten. Zwar waren sie in der Überzahl, aber das machte sie übermütig. Außerdem wollten sie einander nicht in die Quere kommen, und jeder wartete darauf, dass der andere den Anfang machte. Collum fiel auf, dass er der einzige Linkshänder auf dem ganzen Platz und deshalb eine ungewohnte Herausforderung für sie war, und auch wenn die anderen Jungen ihm immer riesig vorgekommen waren, bemerkte er nun, dass er sie um eine Handbreit überragte. Dazu kam, dass Collum im Gegensatz zu ihnen keinerlei lästige Vorstellungen von der korrekten Handhabung eines Langschwerts hatte.

Er wich kreisförmig nach links aus, sodass seine Gegner sich hintereinander vor ihm aufreihten, und schob Marcas’ Klinge mit seiner eigenen beiseite. Dann schlug er ihm auf die Finger, sodass Marcas sein Schwert fallen ließ, stürmte auf ihn zu und trat ihm fest gegen beide Schienbeine, eins, zwei, und als Marcas sich vornüberkrümmte, rammte er ihm noch das Knie gegen die Nase.

Der Kampfgeist des Dritten verpuffte rasant. Collum stürzte schreiend auf ihn zu, sodass er erbleichte und sich in die Sicherheit des Hauses flüchtete.

Bis hierher hatte der Marschall, ein kleiner, eleganter Mann, nicht eingegriffen; hatte alles lediglich schweigend und mit verschränkten Armen beobachtet. Jetzt seufzte er, bückte sich und sammelte ohne jede Eile Marcas’ Schwert aus dem zertrampelten Gras auf.

Collum war über jede Angst hinaus in ein Stadium höchster Konzentration gelangt, die ans Mystische grenzte. Er war nicht mehr Collum, er war ein Gott unter Sterblichen, Jupiter Triumphans. Er war Sir Lancelot du Lac höchstpersönlich, das vom Blitz getroffene Schwert Arondight erstrahlte in seiner Hand!

Eine Stunde später erwachte er mit geschwollenen Knöcheln, höllischen Kopfschmerzen und einer gebrochenen Nase.

 

Von diesem Zeitpunkt an zeigte Marschall Aucassin nicht unbedingt Interesse an Collum, doch er überließ ihm einen Platz auf dem Übungshof. Für den Marschall schien die Regel, nach der die anderen Lehrer von Dubh Hall Collum zu ignorieren oder gar zu malträtieren hatten, nicht zu gelten; vielleicht lag es daran, dass er jeden Einzelnen von ihnen mit einem Schwert hätte besiegen können, vielleicht war es auch sein festländischer Feingeist. Für einen Marschall in einem abgelegenen Haushalt auf den Hinterinseln war er ein weitgereister Mann. Er sprach alle möglichen Sprachen, wenn auch mit starkem fränkischen Akzent. Er hatte unter König Bors von Gannes und später unter König Claudas vom Wüsten Land gekämpft und bei mehreren namhaften Schwertmeistern auf dem Kontinent gelernt. Er hatte die saxonischen Lehrer Octa und Baldulph aufgesucht und sogar einen Ägypter, der irgendwie in Paris gelandet war.

Er hatte eine starke Neigung zum Mystischen, und sein Unterricht erfolgte oft in Form obskurer Aphorismen – Ein gestreckter Arm ist das eigentliche Wesen der Männlichkeit; ein bewegliches Bein ist die eigentliche Männlichkeit des Wesens – und kryptischer Verse:

Kreise statt Linien

Regung statt Rast

Flink nach links und rechts dich winde

Bis dass du ihn getötet hast

Doch mit der Zeit erkannte Collum zwischen all den blumigen Worten und verwirrenden Metaphern ein geordnetes System, das das Kampfchaos auf ein fast begreifliches Maß zusammenschnurren ließ. In der Kunst des Langschwerts gab es vierzehn Huten, fünf Grundhuten und neun Nebenhuten. Es gab acht Häue, die mit fließenden Bewegungen aneinandergereiht wurden. Es gab vier Stiche und vier Paraden. Alles Weitere entstand aus Kombinationen dieser Grundelemente.

Collums Welt teilte sich nun scharf in die demütigenden Misshandlungen seines Lebens als Knecht und seinen steten Fortschritt im gelobten Land des Übungsplatzes. Schon früh war ihm die Idee gekommen, ein echtes Schwert zu stehlen und Lord Alasdair zu töten, doch das schien nicht länger nötig. Es lohnte sich nicht, hätte ihn lediglich abgelenkt. Wie bei Wunderkindern üblich überflügelte Collum zunächst seine Altersgenossen und dann den bunten Haufen von Hausrittern, die in Dubh Hall logierten. Sie lernten rasch, dass sie mit Alasdairs furchterregendem ungezähmten Ziehkind nichts zu schaffen haben wollten. Er verbrachte viel Zeit allein im Kampf gegen den Schlagbaum, einen dicken, kahl gehauenen, mannshohen Pfahl, der fest zur Ritterausbildung gehörte. Aucassin lehrte ihn ein altes Gedicht dazu, das natürlich »Über den Schlagbaum« hieß und folgendermaßen begann:

Zu üben sich in Kampf und Hieben

Den Pfahl im rechten Lot schlagt an

Von Leibes Höh’, so steht’s geschrieben

Auf dass der junge Rittersmann

Sich fürder tüchtig weisen kann