4,99 €
Abigails Leben verändert sich an einem einzigen Tag radikal: Noch Studentin, verliert sie durch einen tragischen Schicksalsschlag ihren Vater, Lord Montgommery, und ihr Zuhause. Da taucht das Königspaar von Manor Sky auf – mit einem unfassbaren Vorschlag: Sie soll deren Sohn Prinz Jasper heiraten, um das Erbe der Krone zu sichern.
Zwischen royalen Pflichten und dem grellen Rampenlicht der heutigen Medienwelt findet sich Abigail plötzlich im Zentrum der Öffentlichkeit wieder. In einer Zeit von Social Media, Schlagzeilen und Skandalen, schafft sie es, die Herzen der Bürger zu erobern – weil sie zuhört, hinsieht und Mut zeigt.
Während sie lernt, zwischen Glanz und Realität zu bestehen, treten zwei sehr unterschiedliche Männer in ihr Leben: der Unternehmer Vince Cave, der ihr in einer schwierigen Situation zur Seite steht, und der geheimnisvolle Commander Patrike Strike, den sie einfach nicht aus ihrem Herzen verbannen kann.
Ein moderner Royal-Roman voller Emotionen, Leidenschaft und dem Mut einer jungen Frau, die über Nacht zur Prinzessin wird und in der heutigen Welt ihren Platz zwischen Liebe und Pflicht finden muss.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2022
The Crown of Manor Sky
Plötzlich Prinzessin
Teil 1
Von
Skyler Rose
Covergestaltung: Constanze Kramer by Coverboutiqe
Bildmaterial: Ka_Lou-shutterstock.com, envatoele-ments.com, rawpixel.com, Freepik.com
Lektor: Jörg Querner, Pforzheim Anti – Fehlerteufel
Sandra Eckervogt/Skyler Rose
Langschmidtsweg 54
49808 Lingen
Deutschland
Kontakt:
E-Mail: [email protected]
Verlag / Herausgeber:
BookRix GmbH & Co. KG
Streelib Deutschland
Agnesstraße 14
80687 München
Deutschland
Verantwortlich gemäß § 18 Abs. 2 MStV:
Sandra Eckervogt
Langschmidtsweg 54
49808 Lingen
Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten! Ohne ausdrückliche schriftliche Erlaubnis des Autors/Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden, wie zum Beispiel manuell oder mit-hilfe elektronischer und mechanischer Systeme inklusive Fotokopien, Bandaufzeichnungen und Datenspeicherung. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz.
Die Personen und Handlung des Buches sind vom Autor frei erfunden.
© Skyler Rose 2021/2022/2025
Diese Geschichte ist nichts für schwache Nerven und auch nichts für Menschen, die mit Glitzer zwischen den Zeilen so gar nichts anfangen können. Sie wird niemandem gefallen, der keine rosarote Brille trägt, Happy Ends verabscheut oder mit Fantasie grundsätzlich auf Kriegsfuß steht.
Und warum habe ich so etwas überhaupt geschrieben?
Ganz einfach: Genau so sind Serien wie Rosamunde Pilcher, Das Traumschiff, Grey’s Anatomy, Katie Fforde, Der Bergdoktor, Um Himmels Willen, In aller Freundschaft, Alles was zählt, GZSZ, Das Traumhotel … und, und, und.
Und was soll ich sagen?
Alle sind durch die Bank weg erfolgreich.
Also dachte ich mir: Schreib doch auch mal so ein völlig überdrehtes, glitzerndes Zeugs.
Meine persönliche Empfehlung: Es liest sich deutlich leichter, wenn man einen guten Vorrat an Alkohol zuhause hat und die Leser*innen während der Lektüre fleißig nachschenken. Stößchen!
Natürlich alles mit einem dicken Augenzwinkern.
Wo liegt Manor County?
Manor County, ein kleines, geheimnisvolles Land von der Größe Belgiens liegt eingebettet zwischen Frankreich und Spanien, wo seine südlichen Küsten sanft vom glitzernden Mittelmeer umspült werden.
Etwa 9,8 Millionen Menschen nennen dieses Land ihre Heimat. Im Herzen des Reiches erhebt sich die Hauptstadt Manor Sky, eine lebendige Metropole voller Eleganz und Geschichte. Dort thront das prachtvolle Manor Castle, im Rokokostil erbaut zwischen 1745 und 1751 – seit Generationen der Sitz der königlichen Familie Beaufort.
Heute herrscht Königin Katherine Beaufort, deren Blutlinien sich bis zum britischen Königshaus zurückverfolgen lassen. An ihrer Seite steht Alexander Baranow, dessen Vorfahren aus dem schillernden Zarenreich Russlands stammen.
Alles in diesem Land, von seinen Gesetzen über seine Traditionen bis hin zu den adeligen Titeln und Zeremonien – ist frei erfunden. Und doch fließt durch jede Zeile der Zauber eines Königreichs, das nur in der Fantasie existiert.
Ein sehr junger Prinz und dieser Prinz liebte es, ausgefallene Designerkleidung zu tragen. Er genoss seinen exquisiten Geschmack bei Möbeln, seine schnellen Autos und Urlaube an Luxusorten, wo er ausgelassen feiern konnte. Er liebte es zu tanzen und sich unter Gleichgesinnten frei auszutoben.
Genau an solch einem dunklen, verruchten Ort befand er sich jetzt und konnte seiner Sexualität freien Lauf lassen. In diesem geheimen Club stellte niemand Fragen, und niemand erkannte ihn. Es war Pflicht, das Gesicht hinter einer Maske zu verbergen. Und gerade das machte das Ganze noch erotischer, gefährlicher und zugleich verlockender.
Er liebte es, seinen Frust und seine schwarzen Dämonen mit viel Alkohol zu verscheuchen und mit Drogen zu betäuben. Hier konnte er der Krone entfliehen – all dem Hofgedöns und der schweren Bürde, eines Tages König von Manor Sky werden zu müssen. Allein die Vorstellung raubte ihm seit seiner Kindheit den Verstand und den Atem.
Dieses ganze stocksteife Getue: wie er am Tisch sitzen, wie er essen, wie er stehen, wann er die Toilette aufsuchen und mit welchen Kindern er spielen durfte – all diese strengen königlichen Regeln und Gesetze kotzten ihn an. Und so begann er schon im zarten Alter von vierzehn Jahren zu rebellieren.
Besonders als er herausfand, dass ihn das männliche Geschlecht weitaus mehr faszinierte als das weibliche. Nachdem er in den folgenden Jahren mit einigen Frauen geschlafen hatte, kam er zu dem Entschluss, dass er definitiv schwul war.
Jasper akzeptierte es, doch musste er diese Neigung all die Jahre verbergen.
An seinem achtzehnten Geburtstag wurde er offiziell zum Thronfolger von Manor Sky gekrönt. In einer traditionellen Feier wurden ihm die unzähligen Seiten der königlichen Bibel vorgetragen. Nach fünf Minuten jedoch war er bereits eingeschlafen.
Laut der königlichen Bibel durfte kein Mann aus der Blutlinie schwul sein und keine Frau lesbisch.
In Manor Sky herrschten sowohl eine Regierung als auch die streng katholische Kirche. Beide besaßen großen Ein-fluss und Macht. Immerhin brauchte die Königsfamilie keine Steuern zu zahlen. Die Royalen genossen das Ansehen des Volkes, ihre weitläufigen Ländereien und Gottes Segen. Es war ein Geben und Nehmen: Politik und Kirche konnten nicht ohne die Könige, und die Könige konnten nicht ohne Politik und Kirche. Eine höchst interessante, aber auch gefährliche Symbiose.
Seit Jasper seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag ausgiebig gefeiert hatte und er sich in der Öffentlichkeit so gut wie nie mit einer weiblichen Begleitung gezeigt hatte, kochte inzwischen die Gerüchteküche. Wann würde der Thronfolger endlich heiraten?
Seine Mutter hatte wegen dieser prekären Lage bereits ein ausführliches Gespräch mit der Präsidentin des Staates Manor County, Miss Claire de Winter, führen müssen. Sie war so kalt, wie es ihr Name bereits erahnen ließ. Doch seine Mutter konnte Miss de Winter beruhigen und erklärte ihr, dass Jasper sehr hohe Ansprüche an eine Frau habe. Auch vor seinen Eltern konnte er eine ganze Zeit lang sei-ne Liebe zu Männern verbergen.
Doch das änderte sich an diesem Abend schlagartig.
Die Musik dröhnte aus den Boxen und brachte die Tanz-fläche zum Kochen. In jeder Ecke und Nische standen Männer.
Gierig küssten sie andere Typen und vergaßen die Umgebung.
Jasper beugte sich ein letztes Mal über den Tisch, zog eine Line Koks und nickte den unbekannten Personen knapp zu, ehe er ging.
Draußen wartete Julian auf ihn, sein privater Bodyguard. Er öffnete dem Prinzen die Tür.
»Julian, fahre bitte in die Narrows.«
»Sir, ich würde Ihnen davon abraten.« Julian stieg ein und startete den SUV.
»Wenn du nicht auf der Stelle in die Narrows fährst, schmeiße ich dich raus, hast du mich verstanden!«, brüllte Jasper den Mann an.
»Jawohl, Sir.« Julian verdrehte die Augen und machte sich auf den Weg.
Die Narrows lagen in einer dunklen Gegend von Manor Sky. Hier beherrschten illegale Prostitution und Drogen das Viertel.
Der Prinz wies Julian an, den Wagen zu stoppen. Er ließ die Scheibe herunter und sprach einen jungen Mann an, der auf den Straßenstrich ging. »Willst du dir eine Stange voll Geld verdienen?«
Der Typ nickte und stieg ein. »Warum trägst du eine Maske?«
»Komm von einem Maskenball«, log der Prinz und bot ihm eine Flasche Wodka an. »Hier, trink was.«
»Danke.« Der junge Mann nahm einige Schlucke. »Cool, ich war noch nie auf einem Maskenball.«
Jasper begann mit seiner Hand an dem Stricher zu fummeln. »Vielleicht nehme ich dich mal zu einem mit.«
»Echt? Das wäre toll.« Wieder nahm er einige Schlucke vom Alkohol und erwiderte die Zärtlichkeiten.
»Zum Palast«, befahl Jasper. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne und riss sich die Maske vom Gesicht. Achtlos ließ er sie in den Fußraum fallen.
Julian hatte schnell bemerkt, dass Ihnen seit dem Club ein roter Civic folgte. Sicherlich ein Paparazzo. Das hatte ihm ausgerechnet gefehlt.
»Wow! Du bist der Prinz von Manor Sky!«, strahlte der Stricher, als er das Gesicht von Jasper erkannte.
»Klar, das darfst du nur niemandem erzählen, hast du mich verstanden! Ansonsten muss ich dich töten lassen«, lallte Jasper und drückte ihm einen Kuss auf. »Und du musst dich im Kofferraum verstecken.«
»Du machst Witze.« Der junge Mann kicherte albern.
»Nein, mache ich nicht. Dich darf niemand sehen. Julian, halte da vorne an.« Jasper blieb ernst, stieg aus und öffnete den Kofferraum.
Der Typ zögerte ein paar Sekunden, stieg dann aber ein. Die Chance, mit dem echten Prinzen eine heiße Nacht zu verbringen und in den Stadtpalast zu gelangen, ließ er sich nicht entgehen. Zumal Jasper ihm bereits eine Menge Geldscheine zugesteckt hatte.
Julian fuhr zum Hausboteneingang, der hinter dem Palast lag. Der Civic konnte nicht weiter folgen und parkte außerhalb der Palastmauern.
Jasper holte den jungen Mann aus dem Kofferraum und führte ihn durch endlos wirkende Flure. Nach wenigen Minuten hatte der Stricher jegliche Orientierung verloren. Er konnte kaum glauben, in welchem Prunk und Luxus die Beauforts lebten. Vielleicht konnte er beim Verlassen des Palastes etwas mitgehen lassen – die würden es bestimmt sowieso nicht merken.
Jasper öffnete eine Tür. »Hereinspaziert in meine privaten Gemächer.«
»Wow, ist ja irre!« Der junge Mann drehte sich tanzend durch den Raum.
»Möchtest du noch etwas trinken?«, erkundigte Jasper sich und ging zur Bar. »Wie heißt du eigentlich?«
»Sam. Und ich nehme gern einen Drink.«
Der Prinz reichte ihm ein Glas. »Auf uns!«
»Auf uns! Ich wusste von Anfang an, dass du schwul bist … Warum darfst du es nicht zugeben?«
»Das würdest du nicht verstehen. Ich gebe dir viel Geld, damit du deinen Mund hältst.«
»Meine Lippen sind versiegelt.«
»Na, das hoffe ich doch nicht.«
Die beiden stießen an und landeten wild knutschend auf seinem großen Bett.
Der Journalist hatte sich seit dem Club an die Fersen des Prinzen geheftet. Obwohl der Prinz eine Maske trug, erkannte er ihn sofort an seinem arroganten Gang und natürlich an seinem persönlichen Bodyguard. Er parkte den Wagen und schaffte es, ungesehen in den Palast einzudringen.
Den Tipp hatte er von einem Insider bekommen. Eine ordentliche Summe hatte es ihn gekostet, doch wie es aussah, war es jeden Cent wert. All der Prunk und Luxus beeindruckten ihn nicht. Entscheidend war nur: Wenn er endlich beweisen konnte, dass der Thronfolger schwul war, würde er über Nacht steinreich werden. Das war die Sensationsstory, die Schlagzeile schlechthin! Schon jetzt sah er das Foto und die fette Überschrift vor seinem inneren Auge: »Schwuler Prinz – Königsfamilie muss ins Exil!«
Vorsichtig schlich er den beiden hinterher und verharrte in einer dunklen Nische. Er musste ihnen ein wenig Vor-sprung lassen, bis sie zur Sache kamen. Also umklammerte er seine einsatzbereite Kamera und wartete.
Julian hingegen meldete den Verstoß umgehend dem Privatsekretär der Königsfamilie, Mister Edward. Dieser eilte sofort mit vier Wachmännern in den Palasttrakt, den Jasper bewohnte.
Jasper stöhnte genussvoll auf, während Sam ihn unter der Decke befriedigte. Mit der Hand krallte er sich in dessen Locken und bewegte sich im gleichen Rhythmus mit.
Plötzlich riss jemand die Tür zu seinem Zimmer auf. Gleißende Blitze blendeten ihn. Er riss entsetzt die Hand hoch. »Wer ist da? Was machen Sie hier?«
Sam schreckte unter der Decke hervor und wurde im nächsten Augenblick ebenfalls von grellen Blitzen geblendet. »Scheiße, was soll das? Scheiße!«
Die Ereignisse überschlugen sich. Mehrere bewaffnete Männer stürmten ins Zimmer. Sie rissen den Fotografen zu Boden. Der schrie und wehrte sich, doch ein leises Plopp brachte ihn zum Schweigen.
Edward eilte zum Thronfolger. »Prinz Jasper, was haben Sie sich nur dabei gedacht, einen Stricher in Ihre Gemächer zu lassen!«
Jasper starrte entsetzt auf den reglosen Mann, der vor ihm auf dem Boden lag. Sein Schädel dröhnte von all den Drogen, dem Alkohol und der grauenhaften Vorstellung, dass soeben jemand in seinem Schlafzimmer erschossen worden war.
Sam blickte völlig hilflos und überfordert in die Runde. Hatten die Bodyguards gerade tatsächlich den Kerl erschossen? So hatte er sich seinen Aufenthalt im Stadtpalast nicht vorgestellt.
»Wer sind Sie?« Edward baute sich bedrohlich vor dem halbnackten Mann auf.
»Ich … ich … bin Sam«, stotterte er ängstlich und presste ein Kissen vor seine Blöße.
»Sam, Sie hätten lieber nicht herkommen sollen.« Edward nickte einem der Leibwächter zu – der zögerte keine Sekunde und erschoss den jungen Mann.
Jasper hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund und erstarrte.
»Zieht ihn an und lasst beide verschwinden, schnell! Und Tony?« Edward winkte einen der Leibwächter zu sich.
»Ja, Sir.«
»Kontrollieren Sie alle Kameras vom Club über die Narrows bis hierher. Finden Sie heraus, wie er überhaupt in den Palast gelangen konnte. Und wo sein Wagen steht. Es müssen alle Hinweise vernichtet werden.«
»Verstanden, Sir.« Tony machte sich sofort an die Arbeit.
Die drei übrigen Leibwächter schafften die beiden Leichen aus dem Zimmer.
»Das wird Konsequenzen haben, Eure Hoheit. Sie werden die Nacht im Safe Room verbringen. Ziehen Sie sich etwas über – ich warte draußen auf Sie.« Edwards Stimme ließ keine Widerworte zu.
Jasper starrte ihn mit geweiteten Augen an und tat, was ihm befohlen wurde.
Am nächsten Morgen
Die Königin traute ihren Ohren nicht. Geschockt saß sie im Sicherheitsbüro des Palastes, während König Alexander aufgebracht umherlief. Fassungslos schüttelte er den Kopf. »Konnten Sie alle Spuren beseitigen, Edward?«
»Ja, Sir. Tony hat sämtliche Kameras überprüft. Der Reporter war ihnen ab dem Club gefolgt. Wir haben alles sorgfältig verschwinden lassen.«
»Und der … der andere Kerl?« Alexander schluckte schwer, ein dicker Kloß saß in seinem Hals.
»Wir haben ihn in einem See weit außerhalb von Manor Sky versenkt. Es handelte sich um einen einundzwanzig-jährigen Stricher. Die Polizei wird sicherlich keine Nachforschungen anstellen – Berufsrisiko«, informierte Edward die beiden.
»Und was ist mit dem Reporter? Da werden doch ganz bestimmt Nachforschungen angestellt. Kann die Polizei die Spur bis zum Palast zurückverfolgen?« Alexander verschränkte die Arme und sah Edward beunruhigt an.
»Alles bereits erledigt. Die Aufzeichnungen der Verkehrskameras, die ihn erfasst haben, wurden gelöscht. Die Stadtwerke hatten einen kurzen Stromausfall – die Polizei hat dies bereits bestätigt.«
Kate nagte an ihrer Unterlippe, ehe ein schwerer, verzweifelter Seufzer über ihre Lippen kam. »Ich kann es einfach nicht fassen … Jasper, ausgerechnet Jasper! Dass er tatsächlich Männer liebt und dass zwei von ihnen hier, in unseren eigenen Räumen, den Tod finden mussten … es ist unerträglich.«
»Cilest hat uns schon vor Jahren gesagt, dass ihr Bruder schwul sei. Du wolltest es nur nicht wahrhaben, meine Liebe«, sagte Alexander mit fester Stimme. »Und jetzt haben wir den Salat.«
»Ja, danke … und nun habe ich den knallharten Beweis für seine Homosexualität«, meckerte Kate. Seufzend rieb sie sich die Stirn. »Wir müssen ein ernstes Wörtchen mit ihm reden.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung. Ich habe kein Verlangen, wegen Jaspers Neigung meinen Königsstatus zu verlieren.«
»Da bist du nicht allein.« Kate erhob sich und schenkte Edward ein kühles Lächeln. »Vielen Dank, Edward … Sie haben uns das Leben gerettet, auch wenn mir die Umstände zutiefst missfallen.«
»Ich weiß. Doch es ließ sich leider nicht anders handhaben, Eure königliche Hoheit.«
»Tja, dann werden wir unserem Thronfolger wohl gehörig den Kopf waschen.« Die Königin öffnete die Tür und schritt voran, Alexander folgte ihr.
Jasper war inzwischen wieder in seinem Wohntrakt, doch er vermied es, sein Schlafzimmer zu betreten. Die schrecklichen Bilder der letzten Nacht ließen ihn nicht los. Zu-nächst hatte er geglaubt, es sei nur die Folge einer viel zu hohen Dosis Drogen gewesen, die ihn völlig ausgeknockt hatte. Aber nein, die Realität präsentierte sich am Morgen ebenso grausam wie in der Nacht zuvor.
Jetzt wartete er auf das Erscheinen seiner königlichen Eltern. Mit welchen Drohungen würden sie diesmal kommen?
Alexander hielt seine Frau zurück. »Was wollen wir ihm denn sagen?«
»Was wir ihm sagen wollen?«, wiederholte Kate mit schriller Stimme. Sie räusperte sich, strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich weiß nur zu gut, was ich unserem missratenen Sprössling sagen werde.« Energisch setzte sie ihren Gang fort.
Der Prinz kam gerade aus dem Bad, als es an seiner Tür klopfte. »Ja!«
Seine Eltern traten in den Wohnbereich. »Guten Morgen, Jasper«, begrüßte Kate ihren Sohn. Es gelang ihr tatsächlich, ein freundliches Gesicht aufzusetzen – doch nur für wenige Sekunden. Dann blieb sie vor ihm stehen, fixierte ihn und sagte scharf: »Wir hören!«
Jasper schluckte vergeblich gegen die Trockenheit an, die seinen Hals rau werden ließ und seinen Mund wie mit Sand ausfüllte. Dieses schreckliche Gefühl hatte er dem exzessiven Alkohol- und Drogenkonsum zu verdanken.
»Wird’s bald!«, fauchte Kate schließlich.
»Es tut mir leid …«, kam es emotionslos über seine Lippen. Sein Blick war gesenkt, starr auf den teuren Teppich gerichtet. Er dachte flüchtig, dass er sich eigentlich mal wieder einen neuen gönnen sollte, diese Farbe war längst nicht mehr angesagt.
»Es tut dir leid, aha … und mehr möchtest du nicht dazu sagen?« Kate kochte innerlich. Sie musste sich beherrschen, ihrem Sohn nicht eine schallende Ohrfeige zu verpassen. Noch nie hatte sie ihre Kinder geschlagen, doch gerade in diesem Augenblick war die Versuchung so groß wie nie.
Jasper zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Was wollt ihr denn von mir hören? Dass ich Mist gebaut habe?«
Kate holte tief Luft, ein lautes, zorniges Atemholen. Sie wandte sich von ihm ab, nur um sich gleich wieder umzudrehen. Mit drohend erhobenem Zeigefinger kam sie auf ihn zu. Ihre dunkelbraunen Augen wirkten fast schwarz, unendlicher Zorn flackerte in ihnen. »Mist gebaut? Wegen dir mussten gestern Nacht zwei junge Männer sterben!«
Jasper blieb unbeeindruckt. »Ich habe sie nicht getötet.«
»Doch! Deren Blut klebt jetzt ein Leben lang an deinen schmierigen Fingern, mein Lieber! Denn hättest du diesen Stricher nicht mit in den Palast geschleppt, wäre das alles nie geschehen!« Die Königin starrte ihn fassungslos an. »Was zur Hölle hast du dir nur dabei gedacht?«
In Jasper kochte die Wut hoch. Es machte ihn rasend, dass er in dieser Familie immer der Sündenbock war. Stets galt er als Schuldiger, als Versager. Seine Schwester Cilest hingegen durfte sich alles erlauben, die krankhaft kotzende Prinzessin, die ohne Höschen ausging und dabei prompt von einem Fotografen erwischt wurde, der ihre blanke Mitte festhielt. Oder als sie nackt im Stadtbrunnen stand. Alles kein Problem! Im Gegenteil: Durch solche Skandale sammelte Cilest noch mehr Follower und lukrative Werbeverträge.
Aber er durfte seine wahren Gefühle nie ausleben, nicht einmal heimlich.
»Was ich mir dabei gedacht habe? Ich stehe verdammt noch mal auf Schwänze!«, schleuderte er seinen Eltern ordinär entgegen. »So blind könnt ihr doch nicht sein! Cilest und Trent wissen es seit Jahren, nur ihr verschließt die Augen davor. Ich bin schwul! Kapiert es endlich!«
»Wir haben es kapiert, akzeptieren es aber nicht«, mischte sich sein Vater ein. »Es ist strengstens verboten, in der königlichen Familie von Manor Sky schwul zu sein. Und das weißt du ganz genau, mein Junge. Paragraph 78, Absatz 12.«
Jasper verdrehte die Augen und presste sich verzweifelt die Hand an die Stirn. »Oh Mann … ich glaub’s nicht.«
»Und wir können nicht glauben, dass du wegen deiner sexuellen Neigung unser ganzes Königreich aufs Spiel setzt!«, fuhr Kate mit aufgebrachter Stimme dazwischen. »Du weißt doch, welche Konsequenzen uns drohen, wenn das herauskommt. Schon einmal hatten wir die Präsidentin deswegen im Palast. Ein weiteres Mal werde ich sie ganz bestimmt nicht mehr mit deiner angeblichen Schüchtern-heit besänftigen können und mit deiner krankhaften Art, die perfekte Frau zu suchen.«
»Und? Was soll ich jetzt machen? Meinen Schwanz abhacken?«, schleuderte er ihnen voller Inbrunst entgegen und packte sich demonstrativ in den Schritt.
»Die Idee ist gar nicht mal so schlecht«, erwiderte sein Vater kalt. »Dann kommst du auch nicht mehr in Versuchung.«
Jasper stöhnte auf und vergrub den Kopf in den Händen, als würden die Worte seiner Eltern ihm körperliche Schmerzen bereiten. Er wandte sich von ihnen ab.
»Wir machen Folgendes«, begann Kate mit fester Überzeugung. »In den nächsten Wochen wirst du eine Frau heiraten – es wird eine Scheinehe. Hast du mich verstanden? Alles Weitere klären wir, sobald wir die Richtige für dich gefunden haben.«
Jasper spürte, wie sich Tränen der Wut in seinen Augen sammelten. Es war, als würde seine Mutter ihm bei lebendigem Leib das Herz herausreißen. Wie ein Tier, das in die Enge getrieben war und nur noch auf den Gnadenschuss wartete.
Seine Mutter trat dicht an ihn heran. »Wir haben keine andere Möglichkeit, das hast du dir gestern Nacht selbst versaut! Wir können froh sein, dass Edward alles so perfekt organisiert hat und niemand Verdacht schöpfen wird.«
»Deine Mutter hat recht«, stimmte Alexander zu. »Wir werden dir so schnell wie möglich eine Frau suchen und können nur hoffen und beten, dass du dich im Griff hast. Denk daran: Du bist der nächste Thronfolger.«
»Wie könnte ich das jemals vergessen! Aber ich will nicht auf diesen verdammten Thron! Ich will endlich mein eigenes Leben leben!«, schrie Jasper, außer sich vor Zorn und Ohnmacht.
»Es tut mir leid – du hast kein Recht auf dein eigenes Leben, mein Sohn.« Kates Stimme klang wie blanker Stahl. »Du bist der Thronfolger von Manor Sky. Also benimm dich endlich und krieg deine Männlichkeit unter Kontrolle – sonst lasse ich sie dir wirklich abschneiden.« Sie deutete auf seinen Schritt und machte mit den Fingern eine schneidende Geste, wie eine Schere. »Verstanden?«
*
»Und, woher bekommen wir jetzt so schnell eine passende Frau?« Alexander saß mit Kate am Mittagstisch und blätterte in der Tageszeitung.
Kate tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. »Wir werden Edward darauf ansetzen. Er soll die naheliegenden Königshäuser prüfen. Vielleicht findet er irgendwo noch eine verlorene Prinzessin.«
»Das wird schwierig. Immerhin gibt es nur noch wenige Königshäuser auf der Welt. Und soweit ich informiert bin, sind die Damen entweder bereits vergeben oder noch nicht im heiratsfähigen Alter.«
Sie schenkte ihm ein sarkastisches Lächeln. »Danke, mein Schatz. Genau das wollte ich nicht hören.«
»Aber nun mal im Ernst, Kate, was machen wir dann?« Alexander legte die Zeitung auf den Tisch.
Die Königin nahm einen Schluck Kaffee. »Dann wird die Suche eben ausgeweitet. Es gibt genügend Ärztinnen oder bekannte Frauen, die in Manor Sky ein erfolgreiches Unternehmen führen.«
Alexander lachte hart auf. »Entschuldige bitte, aber du glaubst doch nicht im Ernst, dass eine hochstudierte, wohlhabende Frau unseren missratenen Sohn ehelichen wird. Außerdem muss sie von adeligem Blut sein.«
Kate kaute unzufrieden an ihrem Brötchen. »Ja, ja … du hast recht. Aber wir werden schon das passende Mädchen finden. Ich verlasse mich da vollkommen auf Edward. Und nun entschuldige mich bitte – ich muss zum Empfang der Witwen und Waisen.« Sie stopfte sich den Rest des Brötchens in den Mund und erhob sich.
*
»Ach, du heilige Scheiße! Und Mom hat echt gesagt, du sollst irgendeine Bitch heiraten?« Cilest lümmelte auf dem Sofa neben ihrem Bruder und starrte auf den Bildschirm ihres Smartphones.
»Ich bin so wütend! Am liebsten würde ich abhauen. Ich will das alles nicht!« Jasper lief aufgebracht im Zimmer umher. »Warum kann ich nicht einfach mein Leben genießen?«
»Weil du die Arschkarte gezogen hast. Du bist der Erstgeborene – und damit der Thronfolger. Und die heilige königliche Bibel lässt keine Abweichungen zu. Du bist echt am Arsch, Bruderherz.« Mit einem lauten Plopp ließ Cilest ihre Kaugummiblase zerplatzen.
Jasper ließ sich ihr gegenüber in den Sessel fallen und fuhr sich gereizt durchs Haar. Mit einem bitterbösen Blick fauchte er: »Danke. Ich liebe deine offene und ehrliche Art, Schwesterherz!«
»Ach, komm schon. Vielleicht hat das auch was Gutes.«
»Was soll daran bitte gut sein, wenn ich eine Tusse heiraten und auch noch den Liebesakt mit ihr vollziehen muss!« Allein bei der Vorstellung verzog er angewidert das Ge-sicht.
Cilest kaute ungerührt auf ihrem Kaugummi und beugte sich zu ihm vor. »Na ja … vielleicht lassen sich unsere Eltern ja auf einen Kompromiss ein?«
»Und der wäre?« Jasper seufzte schwer und ließ die Schultern hängen.
»Wenn du jetzt ganz artig bist und die von ihnen ausgesuchte Frau heiratest, kannst du ja von ihnen eine kleine Gegenleistung verlangen. Die zum Beispiel so aussehen könnte: Du darfst einmal im Monat heimlich im Palast einen Kerl treffen und dich austoben«, unterbreitete sie ihm ihre Idee.
Jasper prustete los vor Lachen und verstummte augenblicklich, als er sah, dass seine Schwester es vollkommen ernst meinte. »Du spinnst.«
»Nein, jetzt überleg doch mal. Es wäre machbar. Wir haben die besten Sicherheitsleute, die können doch jemanden für dich hier einschleusen und wieder ungesehen hinausschaffen oder etwa nicht?«
»Hinausschaffen?« Bei dem Wort riss Jasper erschrocken die Augen auf. Er sah noch zu deutlich die zwei Männer, die vor seinen Augen getötet wurden. »Was meinst du mit hinausschaffen?«
»Ach, doch nicht erschießen oder so. Wir haben zig Geheimgänge, durch die dein Typ verschwinden kann.«
Wenn du wüsstest, dachte Jasper. Von dem schrecklichen Vorfall wusste niemand etwas. Und so sollte es auch bleiben.
»Aber dann muss es jemand sein, der vollkommen verschwiegen ist. Wenn nur eine Information ans Tageslicht kommt, sind wir alle geliefert. Das Risiko werden unsere Eltern nie im Leben eingehen. Nie!«
»Es gibt dafür professionelle Agenturen. Genau wie bei den Edelhuren. Die sind verschwiegen. Ein Versuch ist es wert, oder nicht?« Cilest ließ erneut eine Kaugummiblase zerplatzen. »Was hast du schon zu verlieren?«
*
»Darf ich eintreten?« Jasper hatte all seinen Mut
zusammengenommen und stand gegen Abend vor dem Wohnzimmer seiner Eltern.
»Sicher, komm rein.« Seine Mutter nickte und legte den Stift beiseite. »Was können wir für dich tun?«
Alexander blickte von seiner Zeitung auf. »Bitte, setz dich.«
»Nein danke, ich stehe lieber, und mache es kurz.« Mit fester Stimme trug Jasper den Vorschlag vor, den Cilest ihm am Nachmittag unterbreitet hatte. Seine Eltern reagierten nicht. Kein Wort, keine Regung.
»Und? Was haltet ihr davon?«
Kate blies die Wangen auf und ließ die Luft hörbar entweichen. Alexander nahm seine Brille ab und rieb sich müde die Augen.
»Und du bist wirklich überzeugt davon, dass dieser Kerl brav und artig seinen Mund halten würde?«, fragte seine Mutter scharf. »Wirklich?«
»Es gibt professionelle Agenturen für solche Dienste – sie werben ausdrücklich mit ihrer Verschwiegenheit.«
»Ach, gibt es die, ja?« Kate lachte kalt.
»Nun ja, sie kosten etwas, aber wie gesagt: Sie schweigen wie ein Grab«, versicherte Jasper.
»Wir sollen also ein Vermögen bezahlen, nur damit du einmal im Monat deinen Spaß haben kannst?«, fragte seine Mutter bissig.
Jasper richtete sich auf und straffte die Schultern. »Das ist es euch doch wohl wert, oder? Immerhin müssten wir dann nicht ins Exil.«
»Willst du uns etwa drohen?«, stellte sein Vater unmissverständlich klar.
»Wenn ihr es als Drohung anseht, dann habt ihr mich vollkommen richtig verstanden. Immerhin wollt ihr all den Prunk doch nicht verlieren«, stellte er mutig klar.
Kate erhob sich hinter ihrem Schreibtisch und legte die Hände flach auf die Platte. »Du opferst also dein Leben für uns.« Einen Moment lang machte sie eine Pause – und musste sich tatsächlich ein Lachen verkneifen. Doch dann veränderte sich ihre Mimik schlagartig. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich, ihre Stimme schnitt wie ein Messer:
»Was fällt dir, kleinem Licht, eigentlich ein, uns zu drohen? Seit deinem zwanzigsten Geburtstag lässt du es doch nur krachen – rund um die Welt! Von einer Party zur nächsten, die teuersten Luxussachen, die schnellsten Autos, Koks und Alkohol! Und wegen deiner Blödheit mussten zwei junge Männer sterben. Hast du das überhaupt kapiert? Zwei junge Männer, die wegen deiner verdammten Sexualität ihr Leben verloren haben! Sie können nichts mehr unternehmen, nichts mehr erleben! Du hast sie eigenhändig umgebracht! Und dann wagst du es auch noch, uns gegenüber eine Drohung auszusprechen?«
Jasper zuckte unter den harten Worten seiner Mutter regelrecht zusammen. Das Schlimmste war: Sie verlor nie die Beherrschung. Ihre Stimme zischte wie die einer giftigen Schlange. In seinem bisherigen Leben hatte er sie nicht ein einziges Mal laut und unkontrolliert schreien hören. Seine Mutter war durch und durch eine knallharte Königin.
Jasper hatte von Anfang an gewusst, dass Cilests Idee absurd war. Nun hatte er den Salat und seine Eltern waren noch schlechter auf ihn zu sprechen.
»Du hast deine Mutter gehört. Du wirst eine Frau heiraten und dich damit abfinden, nie wieder einen Mann privat zu treffen. Ansonsten drehen wir dir den Geldhahn zu. Und dann will ich sehen, wie du dein Leben noch genießen willst, mein Freundchen!«, setzte sein Vater noch einen drauf.
Er verließ umgehend das Büro und stürmte in seine Gemächer. Dort schnappte er sich eine Flasche Wodka, die lächerliche zweitausend Dollar gekostet hatte, und kippte sie maßlos in sich hinein. Zwischendurch tippte er mit Cilest, die sich gerade auf irgendeinem Mode-Event präsentierte, um ihre Follower mit unzähligen Fotos zu füttern. Auf ihre Frage, wie das Gespräch mit der königlichen Hoheit verlaufen war, schickte er ihr nur den Kackhaufen-Emoji. Augenblicklich verließ sie das Event und eilte zu ihm nach Hause.
Als sie eintraf, war Jasper bereits weit jenseits von Gut und Böse. Lallend sprach er von Ungerechtigkeit und davon, ein Attentat auf seine Eltern zu planen.
»Da mache ich mit«, erklärte Cilest betroffen. Sie war ebenso verloren wie ihre Brüder.
Ich, Abigail Montgommery, verabschiedete mich von meinen Studienkolleginnen und fuhr mit dem Stadtbus zum Bahnhof. In zwanzig Minuten würde mein Zug nach Hause gehen, nach Montgommery Castle. Seit Wochen freute ich mich darauf, meinen Vater endlich wiederzusehen. Beim letzten Besuch hatte er mir ganz und gar nicht gefallen. Er wirkte abwesend, mager und krank.
Zum Glück gab es noch Bobby, die gute alte Seele des Hauses. Seit der Geburt meines Vaters war er bereits Hausdiener und Verwalter des großen Anwesens und kümmerte sich liebevoll um unsere Familie.
Als vor fünf Jahren meine Mutter an Krebs verstarb, starb auch ein Teil meines Vaters. Er war nicht mehr der lebenslustige Mann, der einst mit mir durch die Wälder streifte und mir die Natur nahebrachte. Der mit mir zu Pferd die Gegend erkundete und abends Gesellschaftsspiele spielte.
Ich war ein Einzelkind. Als ich sechs war, war meine Mutter noch einmal schwanger gewesen, doch sie verlor das Kind im fünften Monat. Es wäre ein Junge geworden. Seit diesem Schicksalsschlag stand für meine Eltern fest, keinen weiteren Versuch zu wagen und so blieb ich ihr einziges Kind.
Der Zug fuhr pünktlich ab. Ich genoss die einstündige Fahrt und ließ meinen Blick aus dem Fenster schweifen. Dabei überlegte ich, was ich mit meinem Vater alles unternehmen könnte, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
Da fiel mir die neue Ausstellung ein, die gerade bei uns im Dorf gezeigt wurde. Dort präsentierten sie alte Gegenstände, die man bei Ausgrabungen entdeckt hatte. Außerdem stand in der nächsten Woche der alljährliche Flohmarkt bevor.
Dort trafen sich alle Bewohner von Montgommery Castle, und ich war sicher, den neuesten Klatsch und Tratsch zu erfahren, den ich in den letzten Wochen verpasst hatte.
Irgendwann übermannte mich die Müdigkeit, und ich nickte kurz ein. Eine Lautsprecherdurchsage riss mich aus dem Kurzschlaf.
Am Bahnsteig blieb ich stehen und sog tief die frische Landluft ein. Ich liebte sie. In der Uni roch es dagegen ständig nach Reinigungsmitteln, Tennissocken, Schweiß, Restalkohol und Fertiggerichten.
Ich trat aus dem Bahnhofsgebäude und hielt Ausschau nach Bobbys Oldtimer. Er hatte mir am Telefon gesagt, er würde mich abholen. Seltsam, auf Bobby war Verlass, er kam nie unpünktlich. Nach fünfzehn Minuten des vergeblichen Wartens nahm ich mir ein Taxi. Sicherlich gab es eine plausible Erklärung für sein Nichterscheinen.
»Huch, was ist denn hier los?«, rief der Taxifahrer, als er den Schotterweg hinauf zum Schloss fuhr und plötzlich Blaulicht aufblitzen sah.
Ich drückte mein Gesicht fast an die Scheibe. Vor unserem Eingang standen drei Polizeiwagen und ein Krankenwagen. Sofort schoss mein Puls in die Höhe. Oh nein – war etwa Bobby etwas zugestoßen? Hatte er mich deshalb nicht ab-geholt?
Hastig bezahlte ich den Taxifahrer und eilte mit meiner Reisetasche zum Eingangsbereich.
»Warten Sie, wer sind Sie, Miss?« Ein Polizist hielt mich zurück, als ich weitergehen wollte.
»Bitte? Ich bin Abigail Montgommery. Ich wohne hier. Was ist denn passiert?« Ich reckte den Hals, um an dem Beamten vorbeizuschauen.
»Können Sie sich ausweisen?« Der Polizist blieb hartnäckig.
Genervt seufzte ich, kramte in meiner Handtasche und zog meinen Ausweis hervor. Meine Hände zitterten vor Aufregung. »Bitte – reicht das jetzt?«
Der Polizist tippte sich an die Mütze und trat mit einem verlegenen Lächeln beiseite. »Entschuldigen Sie, Miss Montgommery. Bitte.«
»Was ist denn passiert?«, wiederholte ich meine Frage und spürte, wie sich die Angst langsam in mir ausbreitete.
Die Gesichtszüge des Beamten bedeuteten nichts Gutes. »Es gab … einen Unfall …«
»Unfall? Was für einen Unfall?«, bringe ich stammelnd hervor.
»Abigail!«
Ich wirbelte herum und sah Bobby. Sofort stürmte ich auf ihn zu. »Bobby? Was ist passiert? Warum sind Polizei und Krankenwagen hier? Ist etwas mit Dad?«
Sein Lächeln und seine Fröhlichkeit fielen in sich zusammen, wichen der darunter lauernden Sorge und Verzweiflung. Bobby kämpfte mit den Tränen und legte behutsam seine Hände auf meine Arme. »Es … es ist …«
»Was? Was ist mit meinem Vater?«, rief ich aufgebracht.
»Er … er ist tot, Abigail. Dein Vater ist tot.«
Ich riss den Mund auf, doch es kam kein einziger Laut über meine Lippen. Mein Herz pochte wild und unregelmäßig in meiner Brust. Meine Augen füllten sich mit Tränen, die mir in der nächsten Sekunde heiß über die Wangen liefen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, das sich mein Geist von meinem Körper trennte. Als könnte ich von oben herab auf diese Situation blicken.
»Ja, es tut mir so unendlich leid, mein Kleines.« Bobby nahm mich in seine Arme.
»Wie … warum? Was um alles auf der Welt ist denn geschehen?«, bringe ich schwer atmend hervor. Meine Kehle war in Millisekunden ausgetrocknet.
»Guten Tag! Miss Abigail Montgommery? Mein Name ist Officer Benton.«
Ich löste mich wie in Zeitlupe aus Bobbys Umarmung und blickte zu einem großen Mann auf. Ich wischte mir die Tränen fort und schniefte. »Ja?«
»Mein aufrichtiges Beileid, Miss Montgommery.« Er reichte mir die Hand. Ich erwiderte wie in Trance seinen Händeruck. Es fühlte sich an, als hielte ich einen nassen Waschlappen.
»Was … was ist denn mit meinem Vater geschehen, dass die Polizei hier ist?« Dass mein Vater nicht mehr leben sollte, war einfach unvorstellbar. Ich musste träumen, ganz schlecht träumen. Warum klingelte nicht mein verdammter Wecker und holte mich aus diesem Alptraum.
»Es tut mir sehr leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass sich Ihr Vater das Leben genommen hat.«
Die Worte zogen mir augenblicklich den Boden unter den Füßen weg. Ich begann zu schwanken. Was? Was hatte der Officer gerade zu mir gesagt? Mein geliebter Vater hatte Selbstmord begangen? Bobby konnte mich gerade noch stützen und brachte mich sicher in den kleinen Salon.
Ich kauerte wie ein Häufchen Elend in dem Sessel und fühlte mich plötzlich wieder wie ein kleines, verlorenes Mädchen. Ich holte mir den Tag vor Augen, als meine Mutter verstarb. Aber das hier war schlimmer, so viel schlimmer. Bei meiner Mutter waren wir auf deren Tod vorbereitet, konnten uns mit dem grausamen Gedanken irgendwie anfreunden. Aber jetzt? Mein Vater war nicht mehr da? Ganz plötzlich ausgelöscht? »Umgebracht? Warum sollte sich mein Vater … umbringen? Und wie?« Die Worte blieben mir fast im Hals stecken, als würde ich an ihnen ersticken. Schmerz, Kummer und unzählige Fragen drohten mir den Kopf zu sprengen.
Officer Benton räusperte sich und nahm mir gegenüber Platz. »Er hat sich erschossen. Wir haben einen Abschiedsbrief gefunden. Er lag vor ihm auf dem Schreibtisch.«
»Erschossen? Abschiedsbrief?« Ich konnte den Officer durch meine tränenverschleierten Augen kaum noch wahrnehmen.
»Ja, in dem Brief steht, dass Ihr Vater komplett verschuldet ist. Das Schloss und das ganze Anwesen sollten nächsten Monat versteigert werden.«
»Bitte?«
»Wir werden das natürlich alles noch überprüfen. Aber laut Aussage Ihrer Hausbank stimmt es. Es tut mir leid, aber Ihr Vater war haushoch verschuldet und hat alles verloren.«
Ich schluchzte und vergrub mein Gesicht in den Händen. Das durfte doch nicht wahr sein. Mein Vater hatte sich das Leben genommen, weil er verschuldet war? Nein, das konnte einfach nicht stimmen. Ich hätte es doch bemerken müssen. Oder etwa nicht? In den letzten Monaten war ich so sehr in mein Studium vertieft gewesen, dass die Welt um mich herum hätte untergehen können, und ich hätte es nicht einmal gemerkt.
Bobby reichte mir ein Glas Wasser. »Hier, trink einen Schluck.«
»Wusstest du, dass wir verschuldet sind?« Ich sah ihn fragend an. Das Glas zitterte in meiner Hand, der Inhalt schwappte fast über den Rand. Ich nahm keinen Schluck, obwohl ich das Gefühl hatte, das meine Eingeweide in Flammen standen und das Wasser sie löschen konnte.
Bobby seufzte und sein schlechtes Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er nahm mir das Glas wieder ab und stellte es beiseite.
»Bobby? Warum hast du mir nie etwas gesagt?«
»Weil dein Vater nicht wollte, dass du dir Sorgen machst. Du solltest dich ganz auf dein Studium konzentrieren. Aber dass es so schlimm war … also … dass wusste auch ich nicht«, endetet er betroffen.
Ich schloss die Augen und hoffte, dass ich mich wirklich in einem Albtraum befand. Warum klingelte denn nicht dieser scheiß Wecker!
»Also wussten Sie beide nicht, wie es um die finanzielle Lage von Montgommery Castle stand«, kombinierte der Officer.
Ich öffnete die Augen und schüttelte den Kopf. Meine Finger krallten sich in den Saum meiner Jacke.
»Das tut mir leid, Miss Montgommery. Darf ich Ihnen trotzdem ein paar Fragen stellen?«
»Ja.« Mein Blick war noch immer an meiner Jacke geheftet.
»Wann haben Sie Ihren Vater das letzte Mal gesehen?«
Ich räusperte mich und überlegte kurz. »Das muss vor fast zwei Monaten gewesen sein.«
»Leben Sie nicht mehr auf dem Anwesen?«
»Doch, ich meine, ich bin seit einem halben Jahr am Studieren und komme deshalb nur gelegentlich hierher.« Ich umklammerte jetzt das Ende meines Schals, als könnte er mir Trost spenden.
»Und warum sind Sie heute angereist?« Officer Benton notierte sich alles auf einem kleinen Block.
»Weil die Semesterferien heute angefangen haben. Ich wollte für zwei Monate hierbleiben.« Und im Zug hatte ich mir so schöne Sachen überlegt, die ich mit meinem Vater in der Zeit unternehmen wollte. Nie wieder würde ich etwas mit ihm erleben können.
Dieser Gedanke brach mir das Herz und ließ die Tränen erneut fließen. Bobby reichte mir ein Taschentuch, das ich dankend entgegennahm.
»Von Mister Singer habe ich erfahren, dass Miss Montgommery bereits vor fünf Jahren verstorben ist. Hat Ihr Vater eine neue Partnerin?«
»Nein. Er war seitdem allein.« Ich starrte auf das weiße Taschentuch. Die helle Farbe schmerzte in meinen verweinten Augen.
Officer Benton erhob sich. »Gut. Dann bedanke ich mich und wünsche Ihnen alles Gute und viel Kraft. Noch mal mein aufrichtiges Beileid.«
»Darf ich ihn sehen?«
»Bitte?«
Ich sah zu Officer Benton auf. »Ich möchte ihn sehen. Wo hat er sich erschossen?«
»In seinem Arbeitszimmer«, antwortete Bobby leise. »Aber ich bitte dich, Abigail, tu dir das nicht an.«
Ich stand auf, straffte die Schultern und tupfte mir die Tränen fort. Eine unwillkürliche Stärke durchflutete meinen Körper. »Bobby, magst du mich begleiten?«
Unsicher blickte er zu dem Officer, der ihm mit einem Nicken zu verstehen gab, dass ich hingehen durfte.
Das Arbeitszimmer meines Vaters lag im hinteren Flügel. Er hatte es geliebt, dort stundenlang vor dem Kamin zu sitzen und zu lesen. Meistens lag einer seiner Hunde zu seinen Füßen. Doch … wo steckte Han? »Wo ist Han?«, fragte ich Bobby auf dem Weg.
»Ich habe ihn in den Grünen Salon gebracht.«
Ich nickte geistesabwesend. Je näher ich dem Arbeitszimmer kam, desto stärker zog sich mein Herz zusammen, als würde es vom Schmerz zerdrückt. Das Blut rauschte in meinen Ohren, hinterließ ein lautes, dröhnendes Pochen.
Bobby stützte mich. Es tat gut, ihn jetzt an meiner Seite zu haben. Für mich war er immer wie ein Großvater gewesen, ein wahrer Freund.
Plötzlich blieb ich abrupt stehen. Gleißende Blitzlichter blendeten mich, und aus dem Arbeitszimmer drangen mehrere Stimmen.
»Die Spurensicherung ist noch da«, erklärte Bobby sanft. »Und du willst dir das wirklich antun?«
Ich nagte an meiner Unterlippe. »Ja … das bin ich meinem Vater schuldig.«
Wir betraten den Raum, worauf die Gespräche verstummten.
»Könnten Sie uns einen Moment geben?«, fragte Bobby die drei Männer, die ihrer Arbeit nachgingen und sofort den Raum verließen.
Wie in Trance sah ich meinen Vater hinter seinem Schreibtisch sitzen. Von dort aus bot sich der traumhafte Blick über das Anwesen von Montgommery Castle, seit fünf Generationen im Besitz unserer Familie. Und doch hatte mein Vater versagt. Er hatte es verschuldet.
Warum um alles in der Welt hatte ich davon nichts bemerkt?
Mit langsamen Schritten ging ich auf ihn zu und sog den grauenhaften Anblick in mich auf. Sein Kopf war nach hinten gesunken, die Augen starr und weit aufgerissen. Seine Hände lagen schlaff in seinem Schoß, in der rechten hielt er noch immer die Waffe.
Er trug eine dunkelbraune Hose, ein schlichtes, hellbraunes Hemd mit passender Weste und darüber seinen karierten Lieblingsblazer.
Die Wand hinter ihm war mit Blut bespritzt.
Je länger ich auf die Blutflecken starrte, desto stärker formten sich seltsame Bilder vor meinen Augen. Einige Tropfen erinnerten mich an eine Blume aus unserem Garten, andere wirkten wie ein Sternbild am nächtlichen Himmel.
»Komm, es ist besser, wenn wir jetzt gehen.« Bobby berührte mich sanft und ich ging mit ihm.
Officer Benton war noch da. »Ihr Vater wird gleich abgeholt. Er muss für ein paar Tage in die Gerichtsmedizin, danach wird er freigegeben und Sie können ihn beerdigen.«
»Darf ich den Brief sehen?«, fragte ich tonlos.
»Sicher, aber auch er geht erst noch ins Labor. Sobald meine Kollegen damit fertig sind, wird er Ihnen zugestellt.«
»Danke, Officer Benton.“
»Ich verabschiede mich und werde mich bei Ihnen melden, sobald ich Näheres weiß.« Er reichte mir die Hand. Sie fühlte sich immer noch wie ein nasser Lappen an.
»Ich begleite Sie zur Tür«“ Bobby machte eine Geste, dass der Officer ihm folgen sollte.
Völlig verloren kehrte ich ins Arbeitszimmer zurück. Die Männer der Spurensicherung packten gerade ihre Sachen zusammen.
Ich blieb mitten im Raum stehen, meine Arme hingen schlapp an meinem Körper, so, als gehörten sie gar nicht zu mir. Ich starrte auf den Leichnam meines Vaters, der inzwischen von einem weißen Tuch bedeckt war. Wie ein Geist. Ein Geist, der jetzt sein neues Zuhause, hier in Montgommery Castle antritt.
»Wir möchten Ihnen unser aufrichtiges Beileid aussprechen, Miss Montgommery.« Die drei Männer blieben vor mir stehen.
»Danke.« Mehr konnte ich nicht sagen.
Als die Männer das Zimmer verlassen hatten, ging ich zum Schreibtisch und nahm im gegenüberstehenden Stuhl Platz.
Fieberhaft versuchte ich mich daran zu erinnern, was ich bei unserem letzten Treffen mit meinem Vater besprochen hatte. Doch es wollte mir ums Verrecken nicht einfallen. Warum konnte ich mich nicht daran erinnern? Ich hatte so ein verdammt gutes Gedächtnis, konnte mir jeden unwichtigen Mist merken und jetzt? Waren all die Erinnerungen, die ich an meinem Vater hatte, mit ihm gestorben? Ein dumpfer Schmerz breitete sich rasend schnell in meinem Körper aus. Er tat so unendlich weh. Ich hatte das Gefühl, dass er mich innerlich zerriss. Mein Atem begann zu rasseln. Ich umklammerte mit festem Griff die Stuhllehnen. Meine Knöchel traten weiß hervor. Ich hatte aufgehört zu atmen. Tränen liefen mir über die Wangen, und schließlich brach ich in bitterliches Weinen aus.
»Hier bist du! Komm, ich bringe dich auf dein Zimmer.« Bobby erschien im Zimmer.
»Warum hat er das nur getan, Bobby? War er so verzweifelt? Sind wir tatsächlich pleite?« Schluchzend sah ich ihn durch tränenverschleierte Augen an.
»Ich weiß es nicht, mein Engel. Ich mache mir die größten Vorwürfe.« Sanft tätschelte Bobby meine Schulter. »Komm, du musst dich ausruhen. Wir reden später noch einmal darüber.«
Behutsam begleitete er mich auf mein Zimmer.
Als ich mich hinlegte, hoffte ich, dass ich nie wieder aufwachen würde. Dieser brennende Schmerz in mir, raubte mir den Atem.
Tage später
Die Beerdigung fand im engsten Kreis statt. Bis jetzt war es mir gelungen, den Tod meines Vaters geheim zu halten. Die Regenbogenpresse hätte sich nur allzu gierig darauf gestürzt – die Schlagzeile, dass ein Lord alles verloren hatte, wäre für sie ein gefundenes Fressen gewesen.
Ich wollte niemanden sehen und schon gar nicht jedem, Rede und Antwort stehen müssen. Wie konnte ein Mann im Alter von fünfundvierzig Jahren so verzweifelt sein, dass er sich das Leben nahm und seine einzige Tochter allein zurückließ? Teilweise hatte sich die Trauer in Wut verwandelt. Ja, ich war wütend auf meinen Vater! Er hatte die einfachste Lösung gewählt und sich das Leben genommen, mich und Bobby mit all dem scheiß allein zurückgelassen. Und dann plagte mich das schlechte Gewissen, da ich wütend auf ihn war. Es war ein Auf und Ab der Gefühle.
Die finanzielle Katastrophe wurde mir und Bobby erst bewusst, als Fitz-Walter, der Familienanwalt, zur Testamentseröffnung erschien.
Nachdem alle förmlichen Angaben erledigt waren, begann er mit dem finanziellen Teil. Er räusperte sich und sah uns beide unglücklich an. »Das Anwesen Montgommery Castle, ist bis aufs Äußerste verschuldet. Dein Vater hat seit vielen Jahren hohe Verluste im Aktiengeschäft eingefahren. Zuerst musste er das Land an die Bank überschreiben und vor drei Monaten schließlich auch das Schloss.«
»Aber was ist denn mit all den Pachteinnahmen?«, wollte Bobby wissen.
»Weg. John hat alles in diese Aktien gesteckt und alles verloren.«
»Und wie geht es jetzt weiter? Bleibt Abigail denn noch irgendetwas?« Bobby sah den Anwalt verzweifelt an.
Der faltete die Hände wie zum Gebet und seufzte traurig. »Nur das Mobiliar, mehr nicht.«
»Wir müssen also hier ausziehen?«, rief Bobby entsetzt.
»Ja. Die Bank gibt euch vier Wochen Zeit, um euch ein neues Zuhause zu suchen und die Möbel zu entfernen.«
Ich konnte nicht fassen, was der Anwalt uns gerade eröffnet hatte. Wir mussten hier raus? Raus aus unserem Zuhause? Das, was meine Vorfahren aufgebaut und erwirtschaftet hatten, sollte auf einmal irgendeinem Fremden gehören? »Aber … aber ich habe doch kein Geld … ich studiere«, stammelte ich entsetzt. Sollte mir das auch noch genommen werden?
»Auch die Studienzuschüsse fallen weg. Die Universität hat sich bereits bei mir gemeldet. Nach den Semesterferien brauchst du nicht zurückzukehren«, erklärte der Anwalt mit belegter Stimme. »Dein Vater hat in den letzten Monaten keine Studiengebühren mehr gezahlt.«
Ich rang nach Luft und sprang vom Stuhl auf. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Es fühlte sich an, als würde ein Hammer wild in meinem Kopf um sich schlagen. »Was? Aber … aber … wie soll es denn weitergehen? Ich meine … ich bin erst einundzwanzig Jahre alt. Bobby wird bald siebzig! Was sollen wir denn jetzt machen?«
»Ich werde mich darum kümmern, einen Käufer für das alles hier zu finden. Entweder dürft ihr weiterhin hier wohnen oder es bleibt etwas von der Verkaufssumme für euch übrig, um neu anzufangen. Andere Möglichkeiten gibt es nicht. Es tut mir so unendlich leid, Abigail.«
Manor Sky – Schloss
Edward rieb sich das Kinn und tippte weiter auf der Tastatur. Seit Tagen suchte er nach einer passenden Frau für den Loser von Prinzen. Nichts. Wie der König schon vermutet hatte: Die meisten Prinzessinnen waren längst unter der Haube, und zwei kamen nicht infrage – sie waren gerade einmal zehn Jahre alt. Schauspielerinnen und Models schieden ohnehin aus dem Protokoll aus, und anders als die Königin gehofft hatte, kam auch keine reiche, kluge Unternehmerin infrage.
Da klingelte das Telefon.
»Edward hier. Ah, Paul … wie geht es dir? Lange nichts mehr von dir gehört.«
»Hey Ed, du altes Haus! Mir geht’s gut. Und was macht das Königspaar?«
»Alle gesund und munter.«
»Du, ich habe gerade von einem Bekannten erfahren, dass Montgommery Castle zum Verkauf steht. Wolltet ihr das nicht immer haben? Die Königin schwärmt doch von den weiten Wiesen und dem dazugehörigen Wald, oder?«
Dann berichtete Paul, was sich in den letzten Tagen dort Dramatisches zugetragen hatte und dass alles unter den Hammer kommen sollte. Doch das Wichtigste sparte er sich bis zum Schluss auf.
»Stell dir vor: Er hinterlässt eine Tochter. Sie muss sogar ihr Studium abbrechen, weil kein Geld mehr da ist.«
»Eine Tochter?« Edward wurde schlagartig hellhörig.
»Ja, ich habe sie mal bei einem Weihnachtsessen kennengelernt. Eine sehr hübsche und pfiffige junge Dame. Sie hat bald kein Dach mehr über den Kopf, ist das nicht schrecklich?«
Aber bald einen ganzen Palast! dachte Edward und hätte seinen Bekannten am liebsten durch den Hörer gezogen und umarmt.
»Danke für die Info, Paul … gib mir bitte die Daten, ich werde die Königin und den König umgehend informieren. Sag mal, kannst du das Angebot für uns reservieren?«
»Klar, für die Krone mache ich doch alles.« Paul lachte in den Hörer.
Edward begann sofort, alle verfügbaren Informationen über Montgommery Castle zusammenzutragen. Dabei stieß er auf ein Foto, das John Montgommery mit seiner Tochter zeigte. Genau dieser Typ Frau entsprach seiner Vorstellung für Jasper. Sie verkörperte alles, was eine Prinzessin ausmachte.
Ihre lockigen Haare waren eine harmonische Mischung aus Braun und warmem Rot. Über ihre schmale Nase verstreuten sich einige Sommersprossen, die ihr ein keckes, fast freches Aussehen verliehen. Ihre Haut war zart und hell, schimmerte wie die Glasur einer Porzellanpuppe. Und ihre mandelförmigen Augen strahlten so viel Wärme und Herzensgüte aus, dass selbst ihm dabei warm ums Herz wurde.
Edward druckte alle Angaben aus und eilte umgehend zum königlichen Paar, das gerade beim Abendessen saß.
Kate stutzte, als Edward im Salon erschien. »Edward? Was ist passiert? Haben wir schon wieder einen Illegalen hier im Schloss?«, scherzte sie trocken.
»Nein, Eure königliche Hoheit, und ich bin untröstlich, Sie beim Essen zu stören, aber ich habe eine Braut gefunden.« Edward strahlte über das ganze Gesicht und wedelte mit einer Mappe.
»Bitte?« Alexander starrte ihn entgeistert an. »Sie scherzen doch, Edward.«
»Nein, nein … Ich habe die perfekte Prinzessin gefunden.« Sein Strahlen verschwand nicht.
Kate nahm den letzten Bissen, legte das Besteck zur Seite und sah Edward an. »Entschuldigung akzeptiert. Und nun spannen Sie uns nicht länger auf die Folter.«
Edward nahm einen tiefen Atemzug und berichtete von dem tragischen Unglück, das sich auf Montgommery Castle ereignet hatte. »Die Öffentlichkeit weiß noch nichts davon.«
»Das ist ja schrecklich! Wir kannten John flüchtig. Aber er hat doch erst vor fünf Jahren seine Frau an Krebs verloren, oder?« Kate erinnerte sich an die lebensfrohe junge Frau, der sie in der Krebsklinik Mut und Hoffnung zugesprochen hatte. Zwei Tage später hatte diese den Kampf verloren.
»Und wie sollen wir dadurch eine Braut bekommen?«, fragte Alexander, der den Sinn noch nicht entdeckt hatte.
Edward erzählte, dass das Anwesen zum Verkauf stehe und seine Tochter Abigail in vier Wochen obdachlos sei, da John alles in falsche Aktien investiert hatte.
»Es ist kein Cent mehr übrig. Nichts, sie muss sogar ihr Medizin-Studium abbrechen, da die Gebühren nicht bezahlt werden können.« Er holte ein Bild aus der Mappe hervor und reichte es der Königin. »Hier, das ist ein Bild von Abigail Montgommery.«
»Wow«, entfuhr es Kate und ihre Augen begannen zu leuchten.
»Gib her!«, drängelte Alexander und schnippte ungeduldig mit den Fingern.
»Edward, Sie sind ein Engel! Nein, Abigail ist eindeutig ein Engel!«
»Jetzt gib schon her!«
Sie reichte ihrem Mann das Bild.
»Wow! Sie ist wirklich ein Engel!«, stimmte der König den Worten seiner Gattin zu.
»Und die nächste Königin von Manor Sky.« Kate hob das Weinglas. »Auf Sie, Edward.«
»Aber wie wollen wir sie denn ins Boot holen?« Alexander reichte Edward das Bild zurück.
»Alex, das Mädel ist am Ertrinken. Sie wird ohne zu zögern in unser Boot springen«, sagte Kate und zwinkerte ihm zu. »Edward, lassen Sie sofort den Kaufvertrag auf-setzen. Wir fahren gleich morgen nach Montgommery Castle und unterbreiten ihr ein Angebot, zu dem sie nie im Leben Nein sagen wird.«
Alexander hob sein Glas und lachte. »Du warst doch schon immer scharf auf das Anwesen, oder?«
»Genau, und jetzt bekomme ich es sogar noch mit einer Kirsche auf der Sahne. Manchmal dauert es eben etwas länger, bis sich ein Traum erfüllt. Obwohl der Umstand mehr als schrecklich ist. Das Mädel tut mir leid.«
Montgommery Castle
Kate liebte diese Gegend. Schon als Kind war sie oft mit ihren Eltern hier gewesen. Das Anwesen von Lord Victor Montgommery erstreckte sich über unzählige Hügel und Wälder. Doch der alte Lord war vor fast zehn Jahren gestorben und hatte alles seinem Sohn John hinterlassen – Abigails Vater.
Anscheinend lag ein Fluch auf dieser Familie, denn viele ihrer Angehörigen waren schon in jungen Jahren verstorben. Doch dass nun auch der junge Lord sich das Leben genommen hatte, weil er das Anwesen verschuldet hatte, setzte ihrer tragischen Familiengeschichte im wahrsten Sinne des Wortes die Krone auf.
»Es ist wirklich zauberhaft, Kate«, schwärmte Alexander. »Irgendwie sieht hier alles grüner aus oder bilde ich mir das nur ein?«
Kate tätschelte seine Hand und lächelte. »Nein, hier ist wirklich alles grüner und die Luft kommt einem viel frischer vor, warte es nur ab.«
Der Wagen rauschte über die Landstraße, und in der Ferne zeichnete sich bereits das Schloss ab.
»Edward, Sie haben alle Papiere bei sich?«, erkundigte Kate sich zum gefühlt hundertsten Mal.
»Kate, das hast du unseren lieben Ed schon mehrmals gefragt«, schmunzelte Alexander. Er bemerkte sofort, wie nervös seine Frau war, etwas, das er seit Langem nicht mehr erlebt hatte.
Kate war eine taffe, faire und aufrichtige, manchmal aber auch strenge Königin. Ihre wahren Gefühle wusste sie stets hinter ihrem perfekt schönen Gesicht zu verbergen. Da zeigte sich ihre britische, akkurate Abstammung.
Kate strich sich über die Stirn und lachte. »Ich bin tat-sächlich nervös. Entschuldige bitte, Ed.«
»Ich bin auch nervös, Ma’am, ich auch.« Edward nickte den beiden zu und umklammerte die Ledertasche, in der sich alle wichtigen Unterlagen befanden. Die Zukunft von Manor Sky.
*
In den letzten Tagen hatte ich all die Dinge zusammengesucht, die ich unbedingt behalten wollte. Am Ende kam doch mehr zusammen, als ich gedacht hatte. Zum Glück konnte Bobby bei einem Landwirt eine Scheune organisieren, in der wir unsere wichtigsten Möbel unterstellen durften. Der Mann verlangte nicht einmal Geld dafür – ein kleiner Trost in all dem Unglück.
Ich befand mich gerade im obersten Stockwerk, als ich ein Auto hörte. Ich eilte zum Fenster, doch ich konnte aus diesem Winkel nichts erkennen.
Han, der Dobermann meines Vaters, war ebenfalls aufgesprungen und knurrte leise. Der arme Kerl lag seit Vaters Tod jeden Abend vor dem leeren Bett seines Herrchens und jaulte klagend. Nach der vierten Nacht trottete er schließlich in mein Schlafzimmer und legte sich vor mein Bett.
Han war erst vier Jahre bei uns. Den Namen hatte mein Vater nach Han Solo aus den alten Star-Wars-Filmen ausgesucht. Er hatte diese Filme geliebt und wir hatten zusammen oft einen langen Filmabend mit all den Teilen vor dem Fernseher verbracht. Bobby konnte mit dem Schnickschnack nichts anfangen und schüttelte jedes Mal den Kopf, wenn wir mit Stöcken ein Laserschwert nachstellten und uns durch die Räumlichkeiten kämpften. Dazu gaben wir diese Summgeräusche von uns, die die Schwerter in den Filmen hatten.
Ich hörte die Türglocke und wenige Minuten später drangen Stimmen nach oben. Ich packte weiter die Kartons zusammen. Wenn es jemand Wichtiges war, würde Bobby mich rufen.
Er rief mich nicht, sondern erschien persönlich. Er wirkte irgendwie nervös. »Abigail, wir haben Besuch.«
»Ja, ich habe ein Auto gehört. Wer ist es denn?«
Bobby verzog das Gesicht, es sah wie ein missglücktes Grinsen aus. Er rieb sich die Hände an seinen Hosenbeinen ab. »Nun ja … ihre königlichen Hoheiten.«
»Bitte?« Ich stutzte und Han bellte zweimal.
»Es sind Königin Kate und König Alexander.«
»Was … was will denn das Königspaar von uns?« Mein Herzschlag beschleunigte sich, und als Han erneut bellte, strich ich ihm beruhigend über den Kopf. »Ruhig, mein Junge.«
»Sie möchten dich sehr gern sprechen.«
Ich machte große Augen. »Mich sprechen? Haben sie gesagt, worum es geht?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein.«
»Nun, dann wollen wir das Königspaar nicht warten lassen.« Ich ging vorher noch ins Bad, wusch mir die Hände und kontrollierte mein Aussehen. Tja, ich trug einen schlichten roten Rock und eine geblümte Bluse. Zum Umziehen hatte ich keine Zeit. Han sperrte ich zur Sicherheit ins Bad ein.
Bevor ich den Salon aufsuchte, schloss ich die Augen und holte tief Luft. Was um alles auf der Welt wollte das Königspaar von Manor Sky von mir?
Als ich das Zimmer betrat, drehten die beiden sich zu mir um. »Eure königliche Hoheit, womit verdanke ich Ihren Besuch?« Ich deutete einen Knicks an.
Die Königin reichte mir die Hand. »Guten Tag, Miss Montgommery.«
Alexander tat ihr Gleiches nach. »Guten Tag, Miss Montgommery.«
»Darf ich vorstellen, das ist Bobby, die gute Seele meiner Familie.«
Bobby verneigte sich und reichte ebenfalls beiden die Hand. »Eure königliche Hoheit.«
»Und das ist Edward, unsere gute und treue Seele des Palastes«, deutete Kate auf Edward.
»Entschuldigen Sie unser unangekündigtes Erscheinen, doch wir sind hier, um Ihnen nachträglich unser aufrichtiges Beileid zum Verlust Ihres Vaters auszusprechen. Erst gestern haben wir davon erfahren«, sagte die Königin mitfühlend.
»Danke, das bedeutet mir sehr viel. Sie kannten meinen Vater?«, wollte ich wissen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass mein Vater mit der königlichen Familie etwas am Hut hatte. Und die Frage, was sie hier verloren hatte, schwirrte in meinem Hinterkopf.
»Wir haben ihn auf einigen Veranstaltungen getroffen«, antwortete Kate Beaufort.
»Möchten Sie sich nicht setzen?« Ich deutete auf das Sofa. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Sehr gern.« Die beiden setzten sich. Edward wählte einen Sessel.
»Tee oder Kaffee?«, erkundigte sich Bobby.
»Sehr gerne einen Tee.«
Bobby nickte und verschwand in der Küche.
»Darf ich den Grund Ihres Besuches erfahren? Soweit ich mich erinnern kann, waren Sie noch nie auf unserem Anwesen?« Ich ließ unsicher meine Hände über den Rock gleiten. Hoffentlich sprach ich die Herrschaften korrekt an? Ich war zwar die Tochter eines Lords, aber in meiner adeligen Schicht ging es wesentlich lockerer zu.
»Ich war als Kind öfter hier, da lebte Ihr Herr Großvater noch. Ich habe schon immer das Anwesen Montgommery Castle geliebt.« Die Worte der Königin klangen aufrichtig.
»Das freut mich zu hören, Eure königliche Hoheit.«
»Wir werden offen und ehrlich zu Ihnen sein, Miss Montgommery«, begann Kate. »Wir haben erfahren, dass das Anwesen zum Verkauf angeboten wird und Sie nicht wissen, wo Sie nach dem Verkauf wohnen werden.«
Ich schluckte gegen die Röte an, die sich auf meinen blassen Wangen ausbreiten wollte. »Da sind Sie bestens informiert.«
»Ich will es Ihnen einfach machen, Abigail: Wir werden das Anwesen kaufen. Und ich verspreche Ihnen, es wird sich nichts verändern – alles bleibt so, wie Sie es kennen.« Die Königin sah mich dabei mitfühlend an.
»Sie wollen Montgommery Castle kaufen?« Ich machte große Augen. Damit hatte ich ja nun gar nicht gerechnet.
»Genau.« König Alexander schenkte mir ein freundliches Lächeln.
»Nun ja, das ist sehr gut, aber … nun, wie soll ich es sagen …« Ich räusperte mich. »Damit ist mir nicht wirklich geholfen, denn die Kaufsumme deckt nur einen kleinen Teil der Schulden ab, die mein Vater mir hinterlassen hat.«
Bobby erschien mit frischem Tee und servierte jedem eine heiße Tasse sowie Gebäck. Danach nahm er neben mir Platz.
»Deswegen möchten wir Ihnen einen Vorschlag unterbreiten, Miss Montgommery. Einen Vorschlag, der all Ihre Sorgen und Geldnöte umgehend in Luft auflösen wird«, sagte Kate und nahm einen Schluck vom Tee. »Sie können sogar Ihr Medizinstudium weiterführen.«
Bobby und ich warfen uns skeptische Blicke zu. »Und was für ein Vorschlag soll das sein?«, fragte Bobby ohne Umschweife. »Und was soll Miss Montgommery dafür machen?«
Kate stellte die Tasse ab und begann ausführlich zu erzählen.
Bobby verzog das Gesicht, sichtlich nicht begeistert von ihrer Idee, und unterbrach die Königin: »Meine Abigail soll Ihren Sohn ehelichen?«
Behutsam legte ich meine Hand auf seinen Arm. »Bobby, die Königin war noch nicht fertig. Entschuldigen Sie bitte. Fahren Sie fort.«
Kate bewunderte die Ruhe, die diese junge Dame ihr gegenüber ausstrahlte. Vor wenigen Tagen hatte sie ihren Vater durch Selbstmord verloren und außerdem erfahren, dass Haus und Hof nicht länger ihr gehörten. Das es Selbstmord war, hatte sie durch einen Insider erfahren. In der Presse war von einem Krebsleiden zu lesen.
»Bobby hat recht – es klingt unverschämt, beinahe frivol. Doch wir verlangen nichts Unseriöses von Ihnen.«
»Nicht? Also ich finde es äußerst unseriös, dass meine Abby einen wildfremden Mann heiraten soll!« Bobby spürte, wie die Wut in ihm aufstieg.
»Was ich Ihnen jetzt anvertraue, unterliegt der strengsten Geheimhaltung. Von diesem Gespräch darf kein anderer erfahren – wirklich niemand.« Die Königin sah uns dabei mit fester Entschlossenheit an.
Alexander warf seiner Frau einen entsetzten Blick zu, der alles ausdrückte: Bist du von allen guten Geistern verlassen? Doch Kate beruhigte ihn mit einem kaum merklichen Signal.
»Es klingt albern, ich weiß. Aber wenn dieses Gespräch an die Öffentlichkeit gelangt, könnten wir unser Königreich verlieren.«
Bobby rollte theatralisch mit den Augen.
»Ich gebe Ihnen mein Wort«, sagte ich und nickte.
Kate verschränkte die Hände vor sich. »Unser Sohn Jasper, den Sie ehelichen sollen … ist schwul.«
Einige Sekunden lang herrschte erdrückende Stille. Bobby lachte plötzlich auf, überspielte es jedoch hastig mit einem Husten.
»Und somit hat er kein Anrecht auf den Thron«, schlussfolgerte ich und verstand die Sorge der Königin.
