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The Enemy I Crave – Der Feind, den ich begehre Sie ist Undercover-Agentin. Er ist ihr Ziel – und das Verlangen, das sie nicht stoppen kann. Alina Moreau lebt im Schatten. Ihre Einsätze sind präzise, ihre Tarnungen perfekt – Gefühle haben darin keinen Platz. Doch als sie in Cristóbal Reyes’ Welt aus Waffen, Geld und Macht eindringt, gerät alles ins Wanken. Cristóbal ist gefährlich, dominant, unberechenbar – und genau das macht ihn so unwiderstehlich. Zwischen ihnen lodert etwas, das mehr ist als Verführung: ein Spiel aus Vertrauen und Verrat, Nähe und Kontrolle. Wie kannst du jemanden zu Fall bringen, den du längst mit jeder Faser begehrst? Ein Roman über Liebe am Abgrund, über den Preis der Wahrheit – und darüber, was geschieht, wenn Kontrolle zur Illusion wird.
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Seitenzahl: 464
Veröffentlichungsjahr: 2025
Kristin Reinelt
The Emeny I Crave
Der Feind den ich begehre
Sie war niemand. Zumindest sah sie so aus.
Jeans, Pullover, ein schmaler, aber athletischer Körper unter dicker Baumwolle. Das Haar zu einem strengen Zopf gebunden, das Gesicht nüchtern, nicht einladend, aber auch nicht bedrohlich. Alina Moreau war die Art Frau, an der man auf der Straße vorbeiging, ohne sie je wirklich gesehen zu haben.
Genau das machte sie gefährlich.
New York war laut, hektisch, voller Menschen, die nie lange hinsahen. Perfekt für jemanden wie sie. Inmitten des Chaos konnte sie verschwinden. Beobachten. Zusehen, wie ihre Zielpersonen glaubten, in Sicherheit zu sein. Bis sie zuschlug.
Ihre Erfolgsquote? Hundert Prozent. Kein verlorener Einsatz, kein entkommener Gegner, keine Spur zu schwach, kein Detail zu klein. Wenn Alina geschickt wurde, war der Fall so gut wie abgeschlossen.
Sie hatte viele Namen getragen. Viele Leben gelebt. Zu viele.
Als Sophie Hart war sie Barkeeperin in einem Underground-Club gewesen, in dem ein russischer Oligarch Waffen gegen Drogen tauschte. Sie hatte ihn nachts mit Wodka abgefüllt und tagsüber seine Finanzdaten entschlüsselt.
Als Isabella Cruz war sie die Gespielin eines brasilianischen Dealers – heißblütig, auffällig, mit High Heels und rotem Lippenstift. Zwei Monate hatte sie sich in seiner Villa aufgehalten, unter Kameras und Bewachung. Und dann hatte sie die Geodaten für einen der größten Koks-Container an die DEA und das FBI weitergegeben.
Als Claire Delaney hatte sie eine Sekretärin in einer Investmentfirma gespielt. Der CEO hatte nichts von der millionenschweren Geldwäsche gewusst, die sein rechte Hand betrieb – bis Alina es aufdeckte. Leise, sauber, kalt.
Lena Voss, Maya Sinclair, Riley Bennett – jede von ihnen war Alina gewesen. Immer nur für eine Weile. Immer bis zur Zielperson. Und nie einen Tag länger.
Gefühle? Hatte sie gelernt auszublenden. Vertrauen? Eine Schwäche, die sie sich nicht leisten konnte. Nähe? War eine Illusion, die in ihrer Welt tödlich endete.
In der Einsatzzentrale in Manhattan kannte man sie nur unter einem Namen: Codename "ECHO". Weil sie sich wie ein Echo durch die Räume der Unterwelt bewegte – lautlos, unaufhaltsam, und niemand wusste, woher sie kam.
Ihre Akte war verschlossen. Ihre Vergangenheit ein Rätsel. Und ihre Zukunft? Ein einziges Ziel: den nächsten Auftrag abschließen. Sauber. Schnell. Ohne Fehler.
Doch was keiner wusste: Irgendetwas in ihr begann zu reißen.
Nicht bei den Toten. Nicht bei den Lügen. Sondern in den Momenten dazwischen – wenn sie allein war. Wenn sie wieder einmal aus einem Leben verschwand, das fast echt gewesen war. Wenn jemand sie zum ersten Mal nicht durchschaut – sondern gesehen hatte.
Er war Macht. Nicht das schreiende, plakative Schauspiel von Männern, die sich aufplusterten, um andere zu beeindrucken. Nein, Cristóbal Reyes war die Art von Macht, die sich nicht erklären musste. Sie war einfach da – spürbar wie Strom in der Luft, heiß wie ein Lufthauch vor dem Gewitter.
Er betrat einen Raum, und Gespräche stockten. Nicht, weil er laut war. Sondern weil seine Präsenz jede Aufmerksamkeit aufsog wie ein Magnet. Seine Schritte waren ruhig, kontrolliert, fast majestätisch. Er bewegte sich nicht – er glitt. Und in seinen dunklen Augen lag ein Versprechen: Wenn du seine Regeln befolgtest, warst du sicher. Wenn nicht, warst du Geschichte.
Cristóbal war groß. Breite Schultern, kräftige Arme, die Tattoos wie Schatten auf gebräunter Haut trugen. Spanische Schriftzüge auf seinen Unterarmen, ein alter Schwur auf der Schulter, die Silhouette eines toten Freundes auf dem Rücken. Sein Körper war kein Tempel, sondern ein Schlachtfeld – trainiert, geformt, markiert von dem Leben, das er führte.
Sein Gesicht war hart geschnitten – markante Wangenknochen, ein kantiges Kinn, schmale Lippen, die selten lächelten. Wenn doch, war es gefährlich. Denn niemand wusste, ob es Verführung oder Warnung war.
Sein Haar: kurz, schwarz, oft mit einem Hauch Gel zurückgestrichen. Seine Haut war glatt rasiert, makellos – als wolle er nichts dem Zufall überlassen. Kein Bart, kein Schatten. Nur Härte. Klarheit. Kontrolle.
Und seine Kleidung – immer makellos. Schwarze Hemden, dunkle Jeans, Lederjacken, elegante Anzüge, je nachdem, was er von seinem Gegenüber wollte. Selbst sein Duft – holzig, schwer, mit einem Hauch von Tabak – ließ Menschen näher treten, ohne zu wissen warum.
Frauen sahen ihn und wollten ihn. Manche flüchtig. Manche sehnsüchtig. Manche ohne zu begreifen, dass man sich an einem Mann wie ihm verbrennen konnte.
Und Cristóbal? Nahm, was er wollte. Ohne Reue. Ohne Erklärung.
Seine Beziehungen waren kurz. Intensiv. Körperlich. Eine Nacht, vielleicht zwei. Er gab nichts. Er nahm alles. Und keine Frau hatte ihn je gebrochen – bis jetzt. Denn Cristóbal suchte nicht nach Liebe. Er suchte nach Kontrolle. Nach Dominanz. Nach völliger Hingabe. Und niemand hatte ihm das je verweigert.
In der Unterwelt von Los Angeles war er mehr als ein Name. Er war ein Mythos. Die Polizei flüsterte ihn. Seine Feinde verfluchten ihn. Seine Männer gehorchten ihm mit einer Loyalität, die sich nicht mit Worten erklären ließ.
Waffen, Geld, Kontakte – Cristóbal war das Zentrum eines Netzwerks, das pulsierte wie ein Herzschlag unter der Oberfläche der Stadt. Wer mit ihm Geschäfte machte, wusste: Es gab nur zwei Regeln. 1) Verrate ihn nie. 2) Stell keine Fragen.
Er hatte sich sein Imperium aufgebaut mit Blut, mit Strategie, mit Geduld. Und mit dem Willen, alles zu opfern – außer seine Schwester. Carmen war sein Schwur an die Vergangenheit. Die Einzige, für die er weich wurde. Und selbst das wusste niemand.
Cristóbal war nicht nur ein Mann. Er war eine Prüfung. Ein Sog. Ein Spiel, das man nie gewinnen konnte.
Und dann war da diese Frau.
Keine Angst in ihren Augen. Kein gesenktes Kinn. Kein gespieltes Lächeln. Sie sah ihn an – direkt, unerschrocken, mit einer Arroganz, die ihm gefiel. Ihre Haltung war aufrecht, ihr Blick kühl. Sie sprach mit ruhiger Stimme, aber jeder Satz war wie eine Herausforderung.
Er hatte erwartet, dass sie ihm schmeichelt. Oder ihn meidet. Stattdessen hatte sie ihm Kontra gegeben – leise, klug, mit einem Funken Stolz, den sie nicht einmal zu verbergen versuchte.
Ihr Körper war nicht der einer Frau, die sich präsentierte. Sondern der einer Frau, die wusste, was sie hatte – und es nicht nötig hatte, zu blenden. Ihre Bewegungen waren kontrolliert, fast militärisch. Ihre Lippen formten Worte mit Präzision. Ihr Blick bohrte sich in ihn, als wollte sie ihn lesen – nicht verführen.
Und doch war genau das ihre stärkste Waffe.
Er wollte sie nicht besitzen, weil sie schön war. Er wollte sie besitzen, weil sie ihn herausforderte. Weil sie ihm die Stirn bot. Weil sie ihn nicht fürchtete. Noch nicht.
Ein Feuer loderte in ihm, das er nicht erwartet hatte. Kein heißes Verlangen. Sondern etwas Dunkleres. Tieferes. Eine Lust, sie zu brechen – langsam, genüsslich, mit jedem Atemzug, den sie zu lange stolz hielt.
Sie wusste nicht, wer er war. Oder sie wusste es – und es machte ihr nichts aus.
Er würde sie sehen. Nackt, keuchend, entwaffnet – nicht durch Gewalt, sondern durch das, was sie sich selbst nie erlaubt hatte: Hingabe.
Und wenn sie sich ihm ergab, dann nicht aus Angst. Sondern aus Verlangen.
Dann gehörte sie ihm. Ganz. Und für immer.
Der Regen zeichnete dunkle Schlieren an die Fensterscheiben des gläsernen Hochhauses, in dessen 37. Stockwerk Alina Moreau regungslos vor der großflächigen Aussicht stand. New York lag unter ihr, vibrierend, dreckig, gefährlich – genau wie sie selbst. In ihrer Hand hielt sie die dampfende Tasse schwarzen Kaffees wie einen Anker, während ihr Blick durch das Grau der Stadt in eine Zukunft driftete, die sich bereits ankündigte: Los Angeles. Hitze, Licht, Illusion. Und ein Mann, den sie noch nicht kannte, aber bereits fühlen konnte.
"Er heißt Cristóbal Reyes" sagte Sophia Kane, ihre Vorgesetzte, ohne Einleitung. Ihre Stimme war kalt wie Marmor, ihre Haltung so starr wie ihr Dutt. "Boss einer der am besten getarnten Organisationen in L.A. Waffen, Geld, Macht. Und niemand kommt an ihn ran."
Alina drehte sich langsam um. Ihr Gesicht zeigte nichts. Keine Unsicherheit, kein Zögern. Nur die gewohnte Maske: Kontrolle. "Was wissen wir über seine Struktur?"
"Er delegiert. Perfekt. Kein direkter Kontakt zu den Transaktionen. Die Spur führt zu einem Club an der Küste. Exklusiv, diskret, dekadent. Dort wirst du anfangen."
Alina nickte kaum sichtbar. Sie wusste, was das bedeutete: eine neue Identität, ein neues Leben. Alles an ihr musste verschwinden. Nur Elena Marquez dürfte übrigbleiben. Und Elena war Buchhalterin – mit umfassendem Wissen über internationale Firmenstrukturen, Steueroptimierungen und Transaktionsflüsse. Sie musste sich von der Menge abheben, professionell und unantastbar wirken, um den Job zu bekommen. Ein naiver Versuch hätte keine Chance.
"Deine Tarnung ist bombensicher. Du bist Expertin für internationale Geschäftskonstrukte. Dein Ruf eilt dir voraus – diskret, aber effektiv und du sollst ihn dir nicht verdienen, sondern holen. Elena repräsentiert Disziplin, Anmut, Unnahbarkeit.
Alina lächelte schmal. "Wie passend."
Sophia trat näher, reichte ihr einen USB-Stick. "Hier ist alles. Kontakte, Bewegungsprofile, Zugangscodes. Du fliegst morgen."
Ein letzter Blick hinaus. Der Regen hatte nachgelassen, das Licht der Stadt schien durch die aufbrechenden Wolken. Und irgendwo, weit im Westen, wartete ein Mann, dessen Welt sie zerschlagen sollte.
Oder in der sie sich selbst verlieren würde.
Alina schloss die Augen. "Dann auf nach Los Angeles."
Ein Spiel begann. Und sie war bereit, jede Rolle darin zu spielen.
Der Flughafen von Los Angeles empfing sie mit einer trockenen Hitze, die sich wie ein unsichtbarer Film auf ihre Haut legte. Alina Moreau trat in ihren neuen Namen, in ihrer neuen Haut – Elena Marquez – wie in eine zweite Schicht, die sie schützen, aber auch gefangen halten sollte. Jede Bewegung war kalkuliert, jeder Blick durchdacht. Sie war nicht hier, um zu gefallen. Sie war hier, um zu überleben. Die Menge aus Anzugträgern, Touristen, Sicherheitskräften rauschte an ihr vorbei, ein Summen aus Stimmen, Flugdurchsagen, Autohupen. Und sie mittendrin, makellos kontrolliert.
Sie hatte nichts dem Zufall überlassen. Ihr dezentes Kostüm betonte ihre schlanke Figur, das Haar zu einem eleganten Knoten gebunden, der Blick verborgen hinter einer großen, getönten Sonnenbrille. Elena Marquez musste sofort wirken: kompetent, distanziert, unangreifbar. Ein einziges Zögern konnte sie alles kosten.
Das Apartment, das ihr zugewiesen worden war, lag im zwölften Stock eines anonymen Wohnkomplexes in Downtown. Die Wände waren in neutralen Tönen gehalten, das Mobiliar schlicht: ein modernes Sofa, ein kühler Glastisch, ein Schreibtisch aus dunklem Holz. Kein Ort zum Wohlfühlen, sondern zum Funktionieren. Es war funktional, nicht einladend – genau richtig. Eine versteckte Kamera im Flur, ein Notfall-Kit im Kleiderschrank, die Wände schalldicht. In der Küche lagen bereits Mappen, ein verschlüsseltes Handy, ein Päckchen mit SIM-Karten. Die Tarnung war lückenlos.
Ihr Kontaktmann wartete bereits: Agent Ramirez, Mitte fünfzig, wettergegerbtes Gesicht, ruhige Stimme, Kleidung so unscheinbar wie sein Auftreten. "Willkommen in L.A., Alina oder soll ich bereits Elena sagen? Ab jetzt gibt es kein Zurück mehr."
Er überreichte ihr eine neue Mappe mit aktualisierten Informationen: Namen, Orte, Rituale. Alles, was sie wissen musste, um zu überzeugen. "Du wirst morgen im 'Club Solaz' vorsprechen. Sie suchen jemanden, der ihre Bücher bereinigen kann. Diskret. Schnell. Ohne Fragen."
Alina blätterte die Unterlagen durch. Fotos, Zahlungsflüsse, interne Hierarchien. Sie prägte sich alles ein. "Ich stelle keine. Ich beantworte sie."
"Gut." Ein kurzes Zucken um seine Lippen. Fast Bewunderung. "Vergiss Alina. Es gibt nur noch Elena Marquez. Tochter eines mexikanischen Buchhalters, aufgewachsen in Miami. Exzellent in Zahlen, aber mit dunklen Verbindungen."
Die Lüge war so sauber gewoben, dass sie beinahe wie Wahrheit klang. Und vielleicht musste sie das. In dieser Stadt, in der alles Fassade war, wurde Wahrheit zur Verhandlungssache. Elena war kein Kostüm. Elena war jetzt Haut, Blut, Gedächtnis.
Nachdem Ramirez gegangen war, übte sie ihre neue Signatur. Wieder und wieder, bis sie flüssig von der Hand ging. Sie öffnete eine der Mappen, die ihre gefälschte Vergangenheit erzählte. Fotos eines Mannes, angeblich ihr Vater. Konten auf den Cayman-Inseln. Ein abgebrochener Job in einem zwielichtigen Finanzinstitut in Caracas. Je tiefer sie eintauchte, desto weniger blieb von Alina.
Später stand sie auf dem kleinen Balkon ihres Apartments. Unter ihr glitten die Scheinwerfer über heiße Asphaltadern, Stimmen und Musik mischten sich zu einem vibrierenden Klangteppich. Los Angeles schlief nicht. Es beobachtete. Es wartete.
Sie atmete tief durch. In dieser Stadt ging es nicht darum, wer du warst. Sondern wie gut du dich verstellen konntest. Wie lange du deine Rolle spieltest, bevor jemand hinter die Maske sah.
Und sie war bereit. Bereit, alles zu sein, was diese Stadt von ihr verlangte. Nur nicht sie selbst.
Der Konferenzraum lag im obersten Stockwerk eines eigenständigen Bürogebäudes, das sich diskret in das Geschäftsviertel von Los Angeles einfügte. Von außen wirkte es seriös, fast unscheinbar – ein Spiegelbild seiner Funktion. Großflächige Fenster dominierten die Fassade, ließen das Licht ungehindert ins Innere fallen und gaben den Blick frei auf die glitzernde Skyline der Stadt. Typisch L.A. – kühl, urban, perfekt getarnt. Innen war es nicht weniger eindrucksvoll: goldene Wandverkleidungen, gedämpftes Licht, ein langer Mahagonitisch, auf Hochglanz poliert. Die Luft roch nach Zigarrenrauch, teurem Parfum und etwas, das wie Gefahr schmeckte. Elena Marquez trat ein, als gehörte ihr der Raum, ihre Silhouette perfekt inszeniert im Gegenlicht der Panoramafenster.
Sie trug ein schwarzes Businesskleid, das kühler Professionalität eine neue Definition gab. Der Ausschnitt tief, der Schlitz am Bein hoch genug, um Männerblicke aus der Bahn zu werfen. Das Kleid schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren Körper, jeder Schritt durch hohe Absätze begleitet von einem leisen Klacken, das wie ein Taktgeber ihre Entschlossenheit untermalte. Ihre Bewegungen waren fließend, ihr Blick fokussiert. Keine Nervosität, keine Demut. Nur eine Botschaft: Ich weiß, was ich kann. Und du wirst es auch wissen wollen.
Cristóbal Reyes saß am Kopfende des Tisches, angelehnt, in einem schwarzen Hemd, das seine muskulöse Statur nur andeutete, nicht versteckte, ein Knopf zu viel geöffnet. Er sagte nichts, sein Blick sprach für ihn. Dunkel, forschend, wachsam. Ein Mann, der gewohnt war, zu kontrollieren, zu beurteilen, zu zerstören, wenn etwas ihn langweilte. Neben ihm zwei Männer, offensichtlich Handlanger. Einer von ihnen – groß, mit markantem Kiefer und stahlgrauem Blick – beugte sich leicht vor und fragte: "Was will sie hier?"
Elena lächelte. Nicht freundlich. Sondern wie eine Frau, die genau wusste, was sie wert war. Statt sich auf den freien Stuhl gegenüber von Cristóbal zu setzen, ging sie langsam zum Tisch, glitt mit der Hand über die polierte Oberfläche, so beiläufig wie eine Katze, die ein neues Revier markierte, und setzte sich dann mit einem eleganten Schwung auf die Tischkante. Die Beine überschlagen, das Kleid spannte leicht über ihren Oberschenkeln. Kalkuliert. Jeder Blick im Raum hing an ihr.
"Du brauchst jemanden, der mit Zahlen umgehen kann. Jemanden, der den Schein wahrt, wenn deine Geschäfte zu laut atmen. Ich bin diese Jemand."
Ihre Stimme war samtig, doch messerscharf. Selbstsicherheit tropfte aus jedem Wort, begleitet von einem süßen Unterton, der mehr versprach, als sie bereit war zu geben.
Cristóbal hob die Brauen, ein kaum merkliches Spiel in seinem Gesicht. "Du redest, als hättest du den Job schon."
"Hab ich auch. Niemand ist besser, effizienter und besser in dem was du willst als Ich." Sie lehnte sich etwas vor, das Dekolleté bewusst betont. "Ich mache keine Fehler, ich behebe sie.“
Ein kurzes Lachen von einem der Männer, dann Schweigen. Cristóbal betrachtete sie länger. Sein Blick wanderte über ihr Gesicht, ihren Körper. Keine Scham, keine Eile. Er prüfte sie wie eine Waffe, wie eine Möglichkeit. Und sie hielt stand, ohne mit der Wimper zu zucken.
"Und wie soll ich dich nennen, wenn ich dich rufe?" Seine Stimme war leise, aber sie vibrierte vor unterdrückter Spannung. Ein Raubtier, das seine Beute taxierte.
"Elena Marquez. Aber du darfst mich Elena nennen." Sie grinste frech. "Und ich werde dich einfach Cristóbal nennen. Mr. Reyes klingt zu wichtig."
Ein Muskel in seinem Kiefer zuckte. Er sagte nichts. Doch etwas in seinen Augen flackerte kurz auf: Wut? Verwunderung? Oder Interesse?
Sie wusste es nicht. Noch nicht. Aber sie hatte seine Aufmerksamkeit. Und sie hatte ihre Grenzen markiert. Sie sprach nicht wie eine Untergebene, sie agierte wie eine Verhandlungspartnerin, wie eine, die wusste, dass sie mit mehr kam als nur einem Lebenslauf. Mit Mut. Mit Intelligenz. Mit Gefährlichkeit.
Cristóbal beugte sich leicht vor. "Wenn du mich überzeugen willst, Elena, brauchst du mehr als einen frechen Spruch und ein paar scharfe Körperlinien."
Sie erwiderte sein Lächeln. "Zum Glück habe ich mehr als das."
Ein Moment Stille, dicht und elektrisch. Niemand wagte zu atmen. Dann stand sie langsam auf, glitt vom Tisch, ohne den Blickkontakt zu verlieren.
"Wir sehen uns dann morgen."
Sie drehte sich um, ihr Duft verwehte wie eine stille Drohung, ihre Silhouette verschwand im Schatten des Flurs. Zurück blieb nur der Nachhall ihres Auftritts.
Und das war alles, was sie heute erreichen musste.
Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss, und mit einem leisen Seufzen streifte Elena die hohen Absätze ab. Das Kleid spannte noch immer warm um ihre Haut, als wollte es sie daran erinnern, was für eine Vorstellung sie gerade abgeliefert hatte. Sie ging barfuß durch den kühlen Flur ihres Apartments, das Licht der Stadt warf tanzende Muster auf die Wände.
Los Angeles vibrierte hinter den Fenstern, doch in ihr herrschte plötzlich eine wohltuende Ruhe. Sie trat an das Fenster, stützte die Hüften gegen das Geländer und betrachtete ihr Spiegelbild im Glas. Ihre Lippen umspielte ein spöttisches Lächeln.
Er hatte sie nicht erwartet. Nicht so. Nicht mit dieser Frechheit, mit dieser kühnen Mischung aus Professionalität und Provokation. Cristóbal Reyes hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit ihr. Nicht mit Elena Marquez.
Und sie wusste es. Sie spürte es in der Art, wie seine Stimme vibriert hatte. In dem winzigen Muskelzucken an seinem Kiefer. Er hatte sie nicht unter Kontrolle. Nicht sofort. Und das machte sie für ihn gefährlich.
Sie lächelte breiter, nahm sich ein Glas Rotwein aus der Küche, trat zurück ins Wohnzimmer und ließ sich in den weichen Sessel fallen. Ihre Beine lagen ausgestreckt auf dem Couchtisch, ihr Blick verlor sich in den Lichtern der Stadt.
Zum ersten Mal seit Langem hatte etwas an ihr genagt. Nicht Angst. Nicht Unsicherheit. Sondern — Irritation.
Cristóbal Reyes.
Der Mann, den sie zerschlagen sollte. Den sie analysieren, sezieren, überführen musste.
Und doch — sein Bild hatte sich in ihr festgesetzt. Wie ein Fremdkörper in der perfekten Struktur ihres Denkens.
Beruflich betrachtet war er eine Herausforderung. Perfekt organisiert. Keine Spuren, keine Fehler. Ein Konstrukt aus Kontrolle und Kalkül. Sie hatte in seinem Blick den General erkannt. Den Kämpfer. Aber auch den Narzissten.
Sein Auftreten... Gott.
Schwarzes Hemd, Knopf zu viel offen. Tattoos wie Schattierungen auf gebrannter Haut. Und dieses absurde Selbstbewusstsein, das Männer wie ihn aus jeder Pore atmen ließ. Diese lässige Gewalt, die nicht geschrien, sondern getragen wurde wie ein Designeranzug.
Ein Teil von ihr — der kühle, der kontrollierte Teil — verachtete das. Diese Männer, die sich zu sehr mochten. Die zu sehr wussten, wie sie wirkten. Die glaubten, Macht sei Erotik.
Es war... billig.
Fast lächerlich.
Und doch...
Ihr Blick blieb an der eigenen Reflexion im Glas hängen. Sie erinnerte sich an seine Stimme. Tief. Dunkel. Irgendwo zwischen Befehl und Verführung. Eine Stimme, gemacht für Befehle im Schlafzimmer. Oder für Drohungen auf offener Straße.
Ihre Finger trommelten unbewusst gegen das Glas.
Beruflich war er ein Ziel.
Privat? Ein Problem.
Sein Körper... verflucht. Ja, er war attraktiv. Auf eine primitive, fast übertriebene Art. Zu groß. Zu breit. Zu perfekt trainiert. Wie ein verdammter Alpha-Wolf in einem Revier, das niemand betreten durfte.
Elena verzog die Lippen.
Kein Stil. Keine Eleganz. Nur rohe Präsenz. Ein Mann wie eine Wand. Und doch — irgendwo in ihrem Bauch dieses säuerliche Ziehen. Kein Begehren. Noch nicht. Aber das kalte, fiese Wissen: Wenn sie nicht aufpasste, würde er in ihren Gedanken bleiben. Länger, tiefer, giftiger als jeder andere Gegner zuvor.
Sie wandte sich ab.
Cristóbal Reyes war alles, was sie bekämpfen sollte.
Alles, was sie verachtete.
Und alles, was gefährlich war. Nicht nur für ihre Mission. Sondern für sie selbst.
Keine zehn Minuten vergingen, da durchbrach ein energisches Klingeln die Stille. Drei kurze, bestimmte Töne.
Sie stellte das Glas ab, glitt elegant zur Tür und öffnete. Vor ihr stand ein Mann, groß, breitschultrig, mit einem Blick, der zu viel wusste: Rafael "Rafa" Torres. Ohne die Miene zu verziehen sagte sie "Oh, sie wissen wo ich wohne, ich sehe Sie haben ihre Hausaufgaben gemacht."
"Der Boss will dich sprechen." sagte er ohne Einleitung.
Sein Ton war knapp, aber nicht unfreundlich. Doch in seinen Augen lag eine Warnung. Eine, die sie nicht unterschätzen durfte.
Elena hob die Braue. "Schon braucht er mich?"
Rafa antwortete nicht. Doch ein Hauch von Unruhe blitzte in seinem Blick auf. Und sie wusste: Das Spiel hatte begonnen. Ernsthaft.
Der Wagen, der sie abholte, war schwarz, getönt, anonym. Rafa saß neben ihr, sagte kein Wort während der Fahrt. Nur sein Blick überprüfte sie immer wieder, wie ein Hund, der nicht sicher war, ob der neue Gast eine Bedrohung oder eine nützliche Ergänzung war. Elena erwiderte den Blick nicht. Ihre Gedanken waren klar, fokussiert. Cristóbal hatte sie rufen lassen. Das war kein Smalltalk.
Als sie das Gebäude erreichten, löste sich Rafa endlich vom Sitz, öffnete ihr die Tür. Kein Wort. Nur eine knappe Handbewegung. Sie folgte ihm durch das Atrium, den Aufzug, die gläsernen Flure bis zum obersten Stockwerk.
Cristóbal wartete bereits. Er stand vor dem Panoramafenster das den Blick über Los Angeles freigab, als wollte er der Stadt zeigen, wem sie gehörte. Sein Hemd spannte sich über seine Brust, immer noch war ein Knopf zu viel geöffnet und ließ seine Muskeln nur erahnen. Die Ärmel hatte er lässig bis zu den Unterarmen hochgekrempelt, was seine tätowierten Hautpartien freilegte – schwarze Linien, spanische Zitate, Erinnerungen an ein Leben, das niemand hinterfragen durfte. Dazu trug er eine schwarze, schmale Stoffhose und elegante Lederschuhe – eine perfekte Mischung aus Eleganz und entspannter Bedrohung.
"Setz dich" sagte er, ohne sie anzusehen.
Elena blieb stehen. "Ich stehe lieber."
Er drehte sich langsam um. Dunkle Augen, die sie durchbohrten. Die Haltung eines Mannes, der nie infrage gestellt wurde. „Wenn du hier arbeitest, Elena, dann gibt es kein Zurück. Kein zweites Ich, keine Schattenrolle. Nur das Jetzt. Nur mich.“
Seine Stimme war ruhig, aber in ihr lag ein drohender Unterton, wie ein Raubtier, das sich Zeit ließ, bevor es zuschlug. Er trat näher, blieb direkt vor ihr stehen. "Ich dulde keine Fehler. Keine Lügen. Und keine Spielchen. Wer in meinem Schatten lebt, lebt entweder für mich – oder gar nicht."
Sie hob das Kinn leicht. Keine Furcht, kein Zucken. Nur dieses kühle, strategische Funkeln in ihren Augen. "Dann sind wir uns ja einig. Ich verschwende keine Zeit mit Lügen. Ich liefere Ergebnisse."
Ein Lächeln glitt über seine Lippen, kalt und scharf. "Gut. Denn du wirst sie liefern müssen. Du spielst ab jetzt in meiner Liga. Und dort gelten meine Regeln."
"Dann zeig mir die Regeln, Cristóbal."
Nur der Muskel in seinem Kiefer sprach von dem Sturm in ihm. Aber er sagte nichts. Nur ein Nicken.
Sie hatte den Platz betreten, den er ihr gegeben hatte – ohne zu knien.
Und das beeindruckte ihn mehr, als er zeigen wollte.
Cristóbal setzte sich langsam an seinen Platz, das Licht der Stadt spiegelte sich in den dunklen Scheiben hinter ihm. Er verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch, sein Blick ruhte auf Elena, als wäre sie ein Schachzug, den er noch nicht ganz einschätzen konnte. In seinen Bewegungen lag eine beiläufige Autorität, die keine Gegenrede duldete – eine stille Drohung, eingewickelt in Eleganz.
„Du willst Regeln? Dann hör gut zu.“
Seine Stimme war ruhig, fast beiläufig, doch jeder Satz traf wie ein Befehl. "Erstens: Du arbeitest mit mir. Du arbeitest für mich. Das heißt, dass wir nicht gleichgestellt sind. Ich bin derjenige, der entscheidet. Du bist die, die ausführt."
Elena nickte kaum merklich. Ihre Haltung blieb aufrecht, ihr Blick ungerührt. Aber innerlich registrierte sie jedes Wort. Jede Grenzsetzung. Jedes Machtspiel.
„Zweitens: Du wirst alles sehen. Und damit meine ich alles. Zahlen. Namen. Bewegungen. Das, was andere nicht mal zu denken wagen. Wer dieses Wissen hat, wird zur Gefahr. Und Gefahren halte ich nah bei mir. Sehr nah."
Er stand auf, langsam, umrundete den Tisch, seine Schritte lautlos auf dem Teppich. Dabei ließ er den Blick nicht von ihr. "Deshalb wirst du nicht mehr in deinem Apartment wohnen. Ab morgen ziehst du in meine Villa."
Sie zog leicht eine Braue hoch. „Das ist kaum notwendig.“
„Doch, das ist es." Seine Stimme war nun ein wenig tiefer. "Dort gibt es ein eigenes Apartment für dich. Abgetrennt, diskret, aber unter meinem Dach. Sicher. Überwacht. Kontrollierbar. Ich will wissen, wo du bist, mit wem du sprichst, wann du atmest. Verstehst du das?"
Er stand nun direkt vor ihr, die Distanz zwischen ihren Körpern war nur ein Atemzug. Der Duft seines Parfums – holzig, herb, männlich – mischte sich mit der elektrischen Spannung in der Luft.
„Wer mit dem Feuer spielt, darf es nicht aus den Augen lassen. Und du spielst mit dem heißesten Teil davon. Ich will Kontrolle. Jederzeit. Über dich. Über alles, was du tust."
Ihr Blick traf den seinen – unbewegt, kalkuliert. Und doch war da, für einen flüchtigen Moment, ein Widerhall. Ein Aufleuchten – ein Hauch jener Inszenierung, in die sie sich gefügt hatte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde wirkte sie unsicher. Dann ein kurzes, bewusst gesetztes Nicken.„Wie du willst.“
Ein leichtes Lächeln zuckte um seine Lippen. Kein Triumph – vielmehr Genugtuung. "Gut. Das war Regel Nummer drei: Du fügst dich. Und dabei tust du so, als wäre es deine Entscheidung."
Sie drehte sich leicht zur Seite, elegant, um seine Nähe zu durchbrechen, doch sie verlor nichts von ihrer Souveränität. "Dann erklär mir den Rest."
Er ließ sich wieder in seinen Sessel sinken, seine Finger tippten langsam auf die Tischkante. "Der Rest kommt später. Wenn ich glaube, dass du bereit bist, ihn zu tragen."
Sie lächelte leicht, fast spöttisch. "Und was, wenn ich entscheide, dass du zu viel verlangst?"
Cristóbal lehnte sich vor. "Dann wirst du feststellen, dass selbst Entscheidungen ein Preisetikett tragen. Und ich bestimme den Preis."
Stille. Die Luft zwischen ihnen war dicht, scharfkantig wie Glas.
Elena wusste: Sie hatte gerade einen Schritt getan, der sie tiefer in seine Welt führte, als jeder Einsatzbefehl es je vermocht hätte. Und obwohl jede Faser in ihr warnte, dass sie sich in den Sturm begab, gab es keinen Rückzug mehr.
Sie war bereit. Jedenfalls musste sie es sein.
Der Morgen begann früher als gewohnt. Elena war lange vor Sonnenaufgang wach. Der Himmel über Los Angeles war noch dunkel, als sie sich unter die Dusche stellte, das Wasser kühl, fast schneidend. Es half ihr, den letzten Rest von Schlaf und Unsicherheit abzuwaschen. In ihrem Apartment im zwölften Stock lag noch die nächtliche Stille, unterbrochen nur vom Rauschen der fernen Straßen. Es war nicht luxuriös, nicht komfortabel – aber es war ihr Raum. Noch.
Sie wählte ihre Kleidung mit Bedacht: Ein kurzer, dennoch stilvoll geschnittener Rock in tiefem Dunkelblau, dazu eine glatt fallende weiße Seidenbluse, deren feiner Glanz im Licht schimmerte. An den Füßen: klassische schwarze Pumps – schlicht, aber unübersehbar selbstbewusst. Das Haar hoch gesteckt, das Make-up dezent, aber präzise gesetzt. Keine Angriffsfläche. Kein Zufall. Sie war bereit für eine Bühne, auf der jeder Schritt ein Risiko war.
Ein schwarzer SUV wartete bereits vor dem Gebäude, als sie hinaus trat. Der Fahrer, reglos, mit dunkler Sonnenbrille, öffnete ihr kommentarlos die Tür. Während der Fahrt sagte niemand ein Wort. Doch sie fühlte, wie ihre Ankunft nicht nur logistisch vorbereitet worden war – sondern wie ein Test.
Elena betrachtete die Struktur des Gebäudes mit professioneller Distanz, registrierte Überwachungskameras, Zugangskontrollen, Positionen der Sicherheitskräfte. Nichts war dem Zufall überlassen – ganz wie bei Cristóbal selbst.
Rafa erwartete sie bereits in der Eingangshalle. In seinem Blick lag nichts als Skepsis. „Komm mit."
Die Gänge waren leer, glänzend, auf irritierende Weise rein – als hätte man jede Spur von Leben entfernt. Mitarbeiter wandten die Augen ab, doch sie spürte ihre Blicke im Nacken. Alles an ihr wurde registriert, vermessen, beurteilt. Die Rollenverteilung war klar: sie war die Fremde, das Risiko. Und Risiken mochte man hier nicht besonders.
Sie betraten einen Konferenzraum mit Panoramablick auf die Docks. Drei Personen warteten bereits. Rafa stellte sie mit knappen Worten vor.
„Mateo Vargas.“ Der Mann war charmant, sein Blick zu wachsam, zu glatt. Seine Kleidung leger, aber teuer. Er wirkte wie einer, der mehr wusste, als er sagte – und genau darin seine Stärke sah.
„Carmen Reyes.“ Die junge Frau war das Gegenteil. Still, fast scheu, mit einer Sanftheit, die aus dem Rahmen fiel. Doch in ihren Augen blitzte etwas Unnachgiebiges. Eine innere Stärke, die sich nicht laut, sondern beharrlich zeigte.
Elena stellte sich selbst vor. Ihre Stimme war ruhig, geschult. Keine Emotion, nur Effizienz. „Elena Marquez, Beraterin für interne Finanzprozesse.“
Mateo lehnte sich zurück, seine Miene amüsiert. „Also bist du das neue Gehirn unserer Bücher. Ich hoffe, du kannst mehr als Excel-Tabellen sortieren.“
Sie begegnete ihm mit einem knappen Lächeln. „Ich sortiere nicht. Ich optimiere. Ich verstecke das was andere nicht find sollen und entdecke das, was verborgen bleiben sollte.“
Carmen erwiderte ihren Blick mit einem gemessenen Nicken. Ihre Freundlichkeit wirkte ehrlich, doch Elena wusste, dass auch sie beobachtete. Vielleicht sogar schärfer als die anderen.
Rafa sagte kaum ein Wort. Doch seine Präsenz war drückend, sein Blick suchte ständig nach Unstimmigkeiten in ihrer Haltung, ihrer Sprache, ihrer Fassade.
Nach der Einführung zeigte man ihr ihr neues Büro. Der Raum war kühl, neutral eingerichtet. Ein Schreibtisch, ein Laptop, zwei Ordner. Keine Dekoration. Kein Willkommen. Nur Aufgaben. Sie wusste, dass die Daten, die man ihr gab, gefiltert waren. Das echte Herz des Unternehmens blieb noch verborgen. Aber das war in Ordnung. Sie war nicht hier, um alles sofort zu sehen. Sie war hier, um sich einzunisten – leise, effizient, unsichtbar.
Doch eines spürte sie mit jeder Faser: Sie war nicht allein. Hinter den spiegelnden Wänden, in den Schatten der Kameraaugen, lauerte etwas. Oder jemand.
Cristóbal war nicht zu sehen. Kein Besuch, kein Anruf. Aber sie wusste, er war da. Er beobachtete sie. Vielleicht aus seinem Büro. Vielleicht von irgendwo, wo sie ihn nicht sehen konnte.
Wie ein Schatten, der nicht zu greifen war. Und genau das war seine Art, Macht auszuüben.
Sie setzte sich an den Schreibtisch, öffnete die erste Datei. Kein Zittern, kein Zögern. Es war ein neuer Tag. Ein neuer Kampf. Und sie hatte nicht vor, ihn zu verlieren.
Sie nahm sich die Freiheit, nicht zu warten. Stattdessen begann sie, sich durch die Strukturen zu arbeiten: Daten, Bilanzen, interne Zahlungsflüsse. Alles noch oberflächlich. Alles nur Fassade. Doch jeder Klick, jede Bewegung war bewusst.
Als sie zum ersten Mal aufstand, um eine Frage zu klären, spürte sie es sofort: die Blicke. Sie schwebten wie Rauch durch die Flure. Ihre Pumps klackten leise auf dem glatten Boden, und obwohl ihre Haltung wie immer kontrolliert war, trug ihr Gang einen Hauch von Arroganz. Sie wollte gesehen werden. Nicht, weil sie Bestätigung suchte – sondern weil sie wusste, dass es ihr Vorteil war.
Sie war neben Carmen die einzige Frau in der Zentrale. Und sie war neu. Fremd. Unberechenbar. Eine Kombination, die für Aufmerksamkeit sorgte. Männer in Anzügen sahen auf, verstummten, wenn sie vorbeiging. Rafa’s Schatten war spürbar, auch wenn er selbst nicht zu sehen war. Und Mateo... sein Blick klebte an ihr, zu lange, zu offen.
Zweimal begegnete sie denselben beiden Wächtern im Flur. Sie gaben vor, nicht interessiert zu sein, aber sie wechselten nie ihre Position, solange sie in Sichtweite war.
Sie prägte sich die Wege ein. Die Räume. Wer wann wo auftauchte. Die Reihenfolge jeder Begegnung. Alles. Nichts geschah hier ohne Struktur – und sie fügte sich in das Muster ein. Cristóbal aber blieb unsichtbar. Doch sie wusste, er beobachtete. Jeder Schritt, jede Neigung ihres Körpers, jeder Blick war für ihn lesbar wie ein Bericht. Und sie lieferte.
Es war kurz vor Feierabend. Der Himmel über dem Hafen war in Gold und Dunst getaucht, die Büros um sie herum leerten sich langsam. Elena stand am Fenster ihres Raums, das Licht der untergehenden Sonne streichelte ihre Haut, als sie plötzlich Schritte hinter sich hörte.
Sie drehte sich nicht um. "Noch etwas, das dringend ist?" fragte sie trocken, ohne den Blick vom Hafen abzuwenden.
Mateo.
"Nein" sagte er, seine Stimme zu lässig, zu weich. "Ich dachte, du könntest Gesellschaft gebrauchen."
Als sie sich umdrehte, war er schon zu nah. Er trat an sie heran, der Raum zwischen ihnen schrumpfte auf ein Minimum. Seine Hand strich an ihrer Taille entlang, wie beiläufig.
"Lass das," sagte sie leise, aber mit schneidender Schärfe.
Er grinste. "Stell dich nicht so an. Du willst das doch auch."
Seine Finger glitten weiter – und da war der Bruch.
Mit einer schnellen, kontrollierten Bewegung packte Elena sein Handgelenk, drehte es mit schmerzlicher Präzision auf seinen Rücken und drückte ihn mit aller Kraft nach vorn auf ihren Schreibtisch. Der Aufprall war dumpf, seine Atmung ein unterdrückter Laut zwischen Überraschung und Schmerz.
"Noch einmal," flüsterte sie an seinem Ohr vorbei, kalt wie Stahl, "und du wirst lernen, wie es ist, von einer Frau gedemütigt zu werden, ohne dass du sie je berühren durftest."
Mateo keuchte. "Ist ja gut..."
Sie ließ ihn los, trat zwei Schritte zurück. "Verzieh dich. Und wag es nicht, mit jemandem darüber zu sprechen. Du weißt nicht, wozu ich fähig bin."
Er richtete sich auf, rieb sein Handgelenk, funkelte sie an. Doch er sagte nichts mehr. Und das bedeutete: Sie hatte gewonnen.
Mateo ging. Doch noch bevor Elena sich sammeln konnte, bemerkte sie eine Bewegung im Türrahmen.
Cristóbal stand da. Regungslos. Die Arme verschränkt, das Gesicht im Halbschatten. Wie lange er dort gestanden hatte, wusste sie nicht. Aber sein Blick sagte genug: Er hatte alles gesehen.
Für einen Moment schwieg er. Sein Blick ruhte auf ihr, durchdringend, dunkel. Sein Blick brannte – vor Zorn, vielleicht über Mateos Übergriff, vielleicht über die Art, wie sie damit umgegangen war. Doch unter der Oberfläche lauerte mehr: ein stummer Hauch von Anerkennung. Respekt. Und etwas, das sich wie Neugier anfühlte – dunkel, wach, gefährlich. Elena richtete sich auf, straffte die Schultern. Keine Entschuldigung, kein Erklären. Nur Stille, in der ihre Blicke aufeinander trafen wie zwei gegnerische Schwerter.
Cristóbal trat langsam in den Raum, ließ die Tür hinter sich zufallen. Die Luft wurde dichter. Und Elena wusste: Das war kein Zufall gewesen. Nicht sein Erscheinen. Nicht sein Schweigen.
Ein weiterer Test. Und diesmal hatte sie ihn direkt vor seinen Augen bestanden.
Er hatte alles gesehen. Nicht er war es gewesen, der sie in diese Lage gebracht hatte – aber er hatte beobachtet, wie sie reagierte.Und sie wusste: Er würde es für sich einordnen. Ob sie gewankt hatte. Oder eine Linie gezogen hatte, die ihn interessierte. Cristóbal sagte nichts. Kein Kommentar zu dem, was er gerade gesehen hatte. Kein Lob, keine Kritik. Nur dieser Blick, der sich in sie bohrte, als könnte er jede Bewegung in ihrem Innersten nachlesen. Dann trat er einen Schritt näher, seine Stimme ruhig, kontrolliert.
"Ich bin hier, um dich abzuholen. Es wird Zeit, dass du dein neues Domizil kennenlernst."
Elena zog leicht eine Braue hoch. "Jetzt?"
"Jetzt."
Kein Raum für Diskussion. Nur diese Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Sie nickte langsam, nahm ihre Tasche und folgte ihm durch die Flure. Die wenigen verbliebenen Mitarbeiter, denen sie begegneten, senkten instinktiv den Blick.
Draußen wartete ein schwarzer SUV. Der Fahrer stand bereit, öffnete schweigend die Tür. Cristóbal stieg zuerst ein, Elena folgte ihm. Sie nahm auf der Rückbank neben ihm Platz. Nicht zu nah. Aber auch nicht fern genug, um Gleichgültigkeit zu signalisieren.
Kein Wort fiel, als der Wagen sich in Bewegung setzte. Die Fahrt begann – wortlos, gespannt, als hielte jeder den Atem an. Der Wagen glitt durch die Straßen von L.A., das orange Licht der untergehenden Sonne spiegelte sich auf dem Lack. Elena spürte seine Nähe, obwohl er sie nicht berührte. Die Spannung war greifbar.
Er sagte nichts. Schaute aus dem Fenster. Doch sie wusste, dass er sie spürte. Jede ihrer Bewegungen. Jeden Atemzug.
Sie nutzte den Moment, um ihn genauer zu mustern. Sein Profil war wie gemeißelt, die Wangenknochen markant, der Kiefer angespannt. Unter dem offenen Kragen seines Hemdes blitzte tätowierte Haut hervor, schwarz gegen goldene Haut. Seine Hände lagen locker auf den Oberschenkeln, kraftvoll, kontrolliert – wie der Rest an ihm. Und obwohl er keinen Ton sagte, sprach alles an ihm von Macht, von Gefahr, von einem Leben, das nicht viele überstanden hatten.
Elena wusste: Mit diesem Mann saß man nicht einfach nur im selben Wagen.
Man trat ein in seine Welt. Ob man wollte oder nicht.
Das Schweigen im Wagen hatte Gewicht. Minuten vergingen, durchbrochen nur vom Rauschen der Stadt, die am Fenster vorbeizog. Elena saß aufrecht, das Kinn erhoben, die Beine übereinandergeschlagen, ihre Hände locker auf dem Schoß gefaltet. Cristóbal neben ihr, wie ein stiller Sturm, dessen Zentrum unergründlich blieb. Dann, ohne sie anzusehen, brach er die Stille.
"Wir müssen über deinen Kleidungsstil sprechen."
Elena blinzelte, wandte den Blick von der Skyline ab, die in der untergehenden Sonne glühte. "Wie bitte?"
"Dein Rock. Die Bluse. Der Gang durch die Flure. Du kannst nicht so auftreten. Nicht hier. Nicht zwischen meinen Männern."
Sie sah ihn an, direkt, unerschrocken. Der Ausdruck in ihren Augen war spitz wie eine scharfe Klinge. "Ich wusste nicht, dass ich mich für Effizienz in Stoff falten muss."
Cristóbals Blick wanderte nun zu ihr, langsam, durchdringend. "Das hier ist kein Modehaus. Es ist ein Ort voller Krimineller, Männer mit zu viel Ego und zu wenig Disziplin. Du provozierst etwas, das Konsequenzen haben kann."
Sie lehnte sich ein wenig vor. „Vielleicht sollten sich deine Männer lieber mit ihren Impulsen auseinandersetzen – meine Kleidung ist Teil von mir. Und ich passe mich nicht an, nur weil es ihr Ego herausfordert.“ Ein Muskel zuckte in seinem Kiefer. "Du denkst, das ist ein Spiel? Dass du dich so kleiden kannst, wie du willst, und es wird keinen Preis haben?"
Elena lachte leise, ein dunkler Ton ohne Wärme. "Interessant. Erst zwingst du mich, in deiner Villa zu wohnen, überwachst jeden Schritt, entscheidest über Nähe und Distanz – und jetzt willst du mir auch noch vorschreiben, was ich trage?"
"Ich will dich schützen."
"Nein." entgegnete sie scharf. "Du willst mich disziplinieren oder kontrollieren. Das ist ein Unterschied."
Cristóbal beugte sich näher, seine Stimme war leise, fast gefährlich. „Wenn du erwartest, ernst genommen zu werden, dann wähle Kleidung, die Respekt ausstrahlt – nicht eine, die ihn provoziert.“ Sie schwieg kurz, ließ seine Worte in sich verhallen. Dann hob sie das Kinn, langsam, provozierend. "Ich bin nicht hier, um deinen Männern zu gefallen. Und schon gar nicht, um mich in irgendetwas zu verwandeln, das du für sicher hältst. Ich bin ich. Und wenn du denkst, ich ändere mich für diesen Job oder für irgendeinen Mann, hast du mich nicht verstanden."
Sein Blick blieb an ihr hängen – prüfend, wachsam.„Du gehst ein Risiko ein.“
„Lieber gehe ich an meinen Grenzen zugrunde, als mich in ein fremdes Maß pressen zu lassen.“ Cristóbal atmete tief ein, dann lehnte er sich zurück. Einen langen Moment lag nur ihr Atem zwischen ihnen. Dicht, aufgeladen, voller unausgesprochener Gedanken. Dann – ein kurzes Nicken.
"Du bist mutig. Vielleicht zu mutig."
"Oder genau richtig," erwiderte sie ruhig. "Für das, was du brauchst."
Er drehte den Kopf wieder zum Fenster. "Wir werden sehen."
Der Rest der Fahrt verging ohne Worte. Doch zwischen ihnen spannte sich etwas auf – ein unsichtbares Seil, gespannt zwischen Macht und Trotz, zwischen Kontrolle und Reiz, zwischen Dominanz und Widerstand.
Und keiner von beiden wusste, wer es zuerst reißen lassen würde.
Er sah weiter hinaus, scheinbar ruhig, doch in seinem Innern brodelte es. Wie konnte sie so mit ihm reden? Mit dieser Arroganz. Dieser Frechheit. Kein Zittern in ihrer Stimme, kein Flackern in ihrem Blick. Wer zum Teufel war diese Frau?
Cristóbal Reyes war es gewohnt, dass man sich vor ihm beugte. Dass seine Worte Gesetz waren. Niemand widersprach ihm. Schon gar nicht auf diese Art. Und doch – sie hatte es getan. Mit einer Haltung, die ihn gleichzeitig in Rage und in eine unerklärliche Faszination trieb.
Sie war gefährlich – nicht wegen ihrer Methoden, ihrem grenzenlosen Selbstbewusstsein oder Informationen. Sondern wegen der Wirkung, die sie auf ihn hatte. Weil sie ihm näherkam, als er es je zugelassen hatte. Er wollte Kontrolle. Immer. Über alles. Über jeden. Und jetzt saß da jemand neben ihm, der ihm jede Sekunde zeigte, dass er sie nicht hatte.
Sie war ein Risiko. Und genau das machte sie unwiderstehlich.
Der Wagen bog von der Hauptstraße ab, der Asphalt wich einem perfekt gepflasterten Weg, flankiert von hohen, schlanken Palmen und akkuraten Steinreihen. Die Auffahrt war lang, leicht geschwungen, und mit jedem Meter wuchs die Distanz zur Welt da draußen.
Dann kam sie in Sicht.
Die Villa war groß. Elegant. Zeitlos. Mehr Glas als Mauern, als würde sie sich der Welt nicht verschließen, sondern sie beobachten. Gerade Linien, flache Dachkanten, eine Architektur, die sich nicht in den Vordergrund drängte, sondern durch ihre Zurückhaltung beeindruckte. Der Himmel spiegelte sich in den glatten Fassaden, als wäre das Gebäude selbst ein Teil der Natur, doch gleichzeitig unnahbar, makellos.
Der Garten war weitläufig, perfekt getrimmt, jeder Baum, jeder Strauch wie mit Bedacht gesetzt. Keine Farben, die schrien, sondern tiefe Grüntöne, dazwischen weiße Kieswege, die sich wie Adern durch das Grundstück zogen. Wasser glitzerte in einem stillen Becken nahe der Einfahrt, ein Spiegel inmitten kontrollierter Wildnis.
Elena richtete sich etwas auf. Keine sichtbare Reaktion in ihrem Gesicht, doch ihre Augen wanderten über das Gebäude, den Garten, die Struktur. Sie analysierte. Wie ein Gast. Wie ein Eindringling. Wie jemand, der wusste, dass jedes dieser Fenster vielleicht mehr sah, als es sollte.
Der SUV rollte langsam auf den Vorplatz. Und sie wusste: Dies war kein Zuhause.
Dies war das Zentrum seiner Welt. Und sie trat nun ein.
Die Tür des SUVs schloss sich leise hinter ihr. Elena folgte Cristóbal über den hellen Stein des Eingangsbereichs. Kein Prunk. Keine Opulenz. Und doch sprach jeder Schritt, jeder Hauch dieser Architektur von Reichtum, Kontrolle und einem Perfektionismus, der bis ins kleinste Detail reichte.
Im Inneren war es still. Heller Marmorboden, Glasfronten, die den Blick in den Garten freigaben. Skulpturen in gedeckten Tönen. Kunst, die nicht schreien musste. Es roch nach frischer Luft, Zitrus und Leder.
Cristóbals Schritte hallten kaum. Elena folgte ihm durch einen offenen Flur, vorbei an einem Salon, der wirkte wie eine Kunstinstallation aus Schatten und Licht. Wieder Glasflächen bis zur Decke, weiße Wände, ein einzelnes schwarzes Sofa. Reduktion als Inszenierung von Macht. "Die Villa hat zwei Flügel." erklärte er knapp, ohne sich umzudrehen. "Du wirst im westlichen wohnen. Eigenes Apartment. Eigener Zugang. Trotzdem unter meiner Aufsicht."
Sie sagte nichts. Ihre Absätze berührten den Boden nur flüchtig, als bewegte sie sich bereits wie selbstverständlich durch diese Welt – unauffällig, angepasst, beinahe schwerelos.
Sie durchquerten eine Galerie, die mehr architektonisches Statement war als bloßer Übergang: ein Glasboden, unterlegt mit dunklem Stein und indirektem Licht, das jede Bewegung reflektierte – als würde man über einen schimmernden Spiegel gehen. Cristóbal ging weiter, seine Haltung entspannt, sein Blick geradeaus. Doch sie wusste, er registrierte jeden ihrer Atemzüge.
Am Ende des Ganges blieb er stehen. Eine einzelne Tür, matt, grau, mit einem schmalen Fensterband.
"Hier wirst du leben."
Cristóbal drehte den Schlüssel langsam zwischen seinen Fingern, als wäge er ihn ab. Dann reichte er ihn Elena, ohne ein Wort. Ihre Finger streiften sich beim Übergang, ein kaum merkliches Berühren, das dennoch wie ein Stromstoß durch die Stille ging. Sie spürte die Spannung, die in der Luft lag – wie ein verborgenes Versprechen, das niemand aussprach.
Mit ruhiger Hand nahm sie den Schlüssel – fast geschmeidig, mit einer Selbstverständlichkeit, die jede Unsicherheit verbarg – und führte ihn in das schmale Schloss. Die Tür öffnete sich mit einem sanften Klicken. Ein Moment, der sich fast bedeutungsvoll anfühlte. Wie ein Einlass in eine neue Welt.
Das Apartment war lichtdurchflutet. Klare Linien, helles Holz, gedeckte Farben. Ein offener Wohnbereich mit großzügiger Fensterfront, dahinter der Blick ins Grün, das sich unter dem Abendlicht wie ein Teppich ausbreitete. Keine Dekoration. Nur Funktion. Aber edel, durchdacht. Alles war vorbereitet. Wie für jemanden, der schon lange erwartet wurde.
In der Küche standen Gläser bereit, auf dem Tisch lag eine Mappe mit Dokumenten – vermutlich Unterlagen zur Villa, Zugänge, interne Regeln. Ein Tablett mit stiller Eleganz, auf dem frisches Wasser, Obst und eine einzelne weiße Rose platziert waren. Eine Geste, die mehr Wirkung hatte als jede Begrüßung.
Cristóbal trat hinter ihr ein, ließ den Blick über die Räume gleiten, dann auf sie zurückfallen. Sein Blick blieb neutral, doch dahinter lauerte etwas – zu genau dosiert, um zufällig zu sein. "Wenn du etwas brauchst." sagte er ruhig, "irgendetwas – Kleidung, Technik, Komfort – sag es. Ich lasse es dir bringen."
Sie drehte sich langsam zu ihm um. "Und wenn ich Ruhe will?"
Ein Hauch von Belustigung zuckte in seinen Zügen. „Dann bekommst du auch die. Solange du dabei nicht aus den Augen verlierst, warum und wofür du hier bist.“ Sie trat einen Schritt zur Seite, betrachtete die großen Fenster, die Deckenhöhe, die klare Kälte des Raumes. "Das hier fühlt sich nicht wie ein Zuhause an."
"Soll es auch nicht" entgegnete er. "Es soll funktionieren."
Sie blickte ihn an. "Wie ich."
Cristóbal sagte nichts. Aber etwas in seinen Augen verriet, dass er ihren Satz nicht nur verstand, sondern darin etwas erkannte, das ihn berührte. Oder beunruhigte.
"Mach dich mit allem vertraut. Ab morgen beginnt der nächste Schritt."
Dann wandte er sich um. Doch bevor er die Tür erreichte, blieb er noch einmal stehen. "Und Elena?"
Sie sah ihn ausdruckslos an.
"Du bist nicht eingesperrt. Aber du bist auch nicht unbeobachtet."
Die Tür fiel leise ins Schloss.
Zurück blieb Elena. Und eine Stille, die mehr sagte als jedes Wort. Ein Raum, der funktionierte. Und sie mittendrin. Noch immer eine Rolle spielend. Mit jeder Sekunde verschwamm die Linie zwischen dem, was sie zeigte – und dem, was wirklich war. Die Tür war kaum vernehmlich ins Schloss gefallen, doch das Echo schien in ihr nachzuhallen. Elena stand noch immer reglos im Raum, der nun ihr Zuhause sein sollte. Ihre Finger berührten leicht den Schlüssel in ihrer Hand, als könnten sie so die gerade vergangene Szene noch festhalten, einfrieren, analysieren.
Cristóbal.
Er war kein einfacher Gegner. Und schon gar kein einfacher Mann. In jeder seiner Bewegungen lag eine Gefährlichkeit, die nicht laut war, sondern durch Kontrolle wirkte. Eiskalt. Und zugleich berechnend. Einer, der wusste, wie man Menschen formte, ohne die Stimme zu heben. Einer, der nie etwas dem Zufall überließ.
Elena trat langsam an die Fenster, sah hinaus in die dämmernde Weite des Gartens. Die Stille war perfekt. Und vollkommen falsch. Sie wusste, irgendwo in diesem Gebäude, hinter Glas und Beton, waren Augen auf sie gerichtet. Vielleicht seine. Vielleicht seine Männer. Vielleicht die eigenen Gedanken, die ihr kaum noch gehörten.
Dieser Einsatz war anders. Bisher hatte sie Rollen gespielt, Masken getragen, sich in fremde Leben geschlichen wie in ein Kleidungsstück, das man am Ende des Tages ablegt. Doch hier war etwas anders. Tiefer. Komplexer.
Cristóbal durchbrach Muster. Er war nicht berechenbar. Und genau das machte ihn gefährlich. Nicht, weil sie ihm nicht gewachsen war, sondern weil er ihre Kontrolle auf eine Weise herausforderte, die sie nicht kannte.
Sie presste die Lippen aufeinander, zwang sich zur Konzentration. „Denk strategisch, Elena.“ Sophias Stimme war nur ein Echo in ihrem Kopf, aber sie reichte aus. Und sie nickte. Sie war hier, um Strukturen aufzubrechen. Nicht, um seine Abgründe zu erkunden.Und doch war ihr klar: Dieser Einsatz würde zäher werden als jeder zuvor. Nicht wegen einer Enttarnung. Nicht wegen der Gefahr. Sondern wegen ihm – dem Mann, der Mauern errichtet hatte, wo andere Türen ließen. Der sich nicht kaufen, nicht lesen, nicht greifen ließ. „Verdammt“, flüsterte sie. „Das hier wird härter als alles davor.“ Und sie wusste, dass es stimmte. Noch immer stand Elena vor der gläsernen Wand. Ihre Silhouette zeichnete sich gegen das matte Licht der beginnenden Nacht ab. Ein letzter tiefer Atemzug, dann hob sie die Arme, griff nach dem Reißverschluss ihres Kleids und zog ihn langsam nach unten.
Der Stoff glitt über ihre Haut, schwerelos fast, und rutschte zu Boden wie ein lautloser Vorhang. Darunter nichts als sie selbst – stark, scharf konturiert im Spiel aus Licht und Schatten, ein Körper, der gelernt hatte zu überleben. Und zu verführen, wenn es notwendig war.
Sie wandte sich ab, verschwand in einem der angrenzenden Räume. Ohne Hast. Ohne sich umzusehen. Sie wusste nicht, dass sie beobachtet wurde.
Cristóbal stand unten auf der Terrasse. Ein Glas Wein in der Hand, den Blick eigentlich in die Dämmerung gerichtet. Doch etwas änderte sich. Bewegung, ein Lichtspiel – und sein Blick wanderte nach oben.
Er sah sie.
Nur einen Moment. Nur einen Hauch von Haut, Licht, Linie. Doch es brannte sich in sein Bewusstsein wie eine Flamme.
Er hob das Glas, trank langsam. Die Kälte des Weins war ein scharfer Kontrast zu dem, was sich in ihm regte.
Diese Frau war wie Gift. Langsam, durchdringend. Ihre Silhouette war verschwunden, und mit ihr der Moment, in dem er geglaubt hatte, unberührt zu bleiben.
Cristóbal Reyes stand noch immer auf der Terrasse seiner Villa, das Glas zwischen den Fingern, der Wein beinahe vergessen. Der Geschmack von Rot und Macht auf seiner Zunge war ein Schatten gegen das, was gerade durch seine Gedanken kroch. Elena Marquez.
Doch sie war gegangen. In ihr Zimmer. In ihre Welt. Weit genug entfernt, um ihm Raum zu lassen. Nicht weit genug, um aus seinem Kopf zu verschwinden.
Elena hatte keine Ahnung, wie sehr sie ihn bereits herausforderte.
Elena stand unter dem Wasser der Dusche, das heiße Prasseln war fast brutal gegen ihre Haut. Vielleicht brauchte sie das. Diese Schärfe. Dieses Brennen. Etwas, das mehr war als seine Blicke. Etwas, das echter war als dieses Haus.
Als sie wenig später im Bademantel aus dem Bad trat, war der Abend still. Die Villa war still. Fast unwirklich. Kein Laut, kein Schatten einer anderen Existenz. Nur der sanfte Nachthauch, der durch das geöffnete Fenster strich.
Sie wollte eigentlich hinaus auf die Terrasse. Frische Luft. Abstand. Klarheit.
Dann hörte sie es.
Leise. Verhältnismäßig unscheinbar. Aber da.
Klavier. Ein Stück, das sich durch die Architektur schlich, als hätte es sich verlaufen. Kein falscher Ton. Keine Übertreibung. Nur diese schlichte, bittere Schönheit.
Elena erstarrte.
Cristóbal Reyes? Klavier?
Ihre nackten Füße glitten fast lautlos über den kühlen Boden. Der Klang lotste sie durch die dunklen Flure, entlang an Glasfronten und Schatten. Immer näher. Bis sie ihn sah.
Die Bibliothek.
Groß, dunkel, mit Regalen, die bis unter die Decke reichten. Leder, Holz, Glas. Und mittendrin: Er.
Cristóbal saß vor einem Flügel. Schwarzer Lack, matt im Licht. Seine Finger bewegten sich über die Tasten wie über eine Frau — kontrolliert, fordernd, mit einer Präzision, die fast unverschämt wirkte.
Sein Profil war im Halbschatten, das Hemd noch immer offen am Kragen, Ärmel hochgekrempelt. Und doch war da etwas anderes an ihm. Etwas... Verletzliches? Nein. Zu glatt. Zu gut gespielt vielleicht. Aber in diesem Moment echt genug, um ihr den Atem zu rauben.
Er bemerkte sie nicht.
Elena stand im Schatten der Tür, ihr Herz pochte zu laut in ihrer Brust. Sie wusste nicht, wie lange sie ihm zusah. Wie lange sie die Melodie auf sich wirken ließ. Aber irgendwann...
Irgendwann kam das Gift zurück.
Sie schloss die Augen, schüttelte langsam den Kopf. Als würde sie sich selbst zurückholen müssen. Zurück in die Rolle. Zurück in den Auftrag. Das hier war ein Gegner. Ein Ziel. Kein Mann, der in ihr solche Bilder wecken durfte.
Nicht sein Rücken, breit und entspannt im Licht.
Nicht seine Hände, stark und zugleich fühlend auf kalten Tasten.
Nicht sein Gesicht, das in diesem Moment mehr zeigte als in jedem Verhörraum der Welt.
Sie zwang sich zum Rückzug.
Leise. Sicher. Ohne Spuren.
Denn was auch immer Cristóbal Reyes war — sie durfte nie vergessen, was sie war.
Und warum sie hier war.
Ein Schatten im Schatten. Ein Echo gegen seine Melodie.
Der neue Tag begann wie ein Versprechen, das niemand ausgesprochen hatte. Elena betrat das Bürogebäude von Black Viper Logistics, als hätte sie nie gezögert. Ihre Schritte waren ruhig, präzise, ihre Haltung von kühler Eleganz. Doch unter der glatten Oberfläche ihrer Professionalität arbeitete ihr Instinkt unablässig. Jeder Muskel, jeder Blick war Teil einer sorgfältig konstruierten Fassade. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden – nicht hier, nicht in dieser Realität aus Täuschung, Kontrolle und Macht. Cristóbal hatte ihr gesagt, dass heute der nächste Schritt beginne. Er hatte kein Wort mehr darüber verloren. Kein Hinweis, keine Struktur, keine Ansage. Es war eine Leere, die wie eine Einladung wirkte. Oder wie eine Falle. Sie wusste, dass Männer wie er selten etwas direkt aussprachen. Alles hatte Bedeutung, alles war ein Test – selbst das Schweigen.
Kaum hatte sie ihren Arbeitsplatz betreten, fand sie ein Dossier auf dem Schreibtisch. Keine Einleitung. Keine Anweisung. Nur ein Name, ein Firmenkonstrukt, eine Reihe von Zahlen, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergaben. Elena öffnete das Dokument, studierte es – und erkannte die Unstimmigkeiten sofort. Es war eine Prüfung. Aber nicht, um sie zu überfordern. Sondern um zu sehen, was sie erkennen würde. Wie weit sie gehen würde. Ob sie nur rechnete – oder dachte.
Im Laufe des Vormittags folgten weitere Tests. Kleine Aufgaben, unscheinbare Hinweise, doppeldeutige Aussagen von Mitarbeitern, die ihr nie direkt in die Augen blickten. Mateo kam mit einer Akte, die doppelt geführt war – eine Version mit offiziellen Zahlen, die andere in einem verborgenen Anhang. Carmen stellte ihr eine Frage zur Buchung eines Transfers, die ins Leere lief, wenn man nur das Offensichtliche betrachtete.
Und dann war da diese Lieferung, die plötzlich storniert wurde, obwohl sie bereits verbucht war. Ein Fehler? Oder ein weiterer Test, ob sie aufmerksam genug war, das zu bemerken? Sie wusste es nicht. Aber sie reagierte. Ruhig. Präzise. Und doch mit einer Spur Ironie, die ihre Kollegen verunsicherte.
Elena antwortete mit der gleichen Waffe, mit der Cristóbal sie konfrontierte: mit Andeutungen. Sie zeigte, was sie wusste, aber nie alles. Immer nur so viel, dass man spürte, sie hatte mehr gesehen, als sie sagte. Ein Spiel aus Schatten und Spiegeln. Und sie spielte es besser, als sie es selbst erwartet hatte.
Gegen Mittag erschien ein Umschlag auf ihrem Tisch. Ohne Absender. Ohne Zeichen. Darin: Ein einziger Zettel mit einer Adresse und einer Uhrzeit. Heute Abend. 21 Uhr.
Sie zeigte keine Reaktion, aber in ihr spannte sich alles. Es war eine neue Ebene. Keine offizielle Einladung. Keine Erklärung. Nur eine Grenze, die sie entweder überschreiten würde – oder bei der sie aufhören musste zu spielen. Doch Aufgeben war nie eine Option gewesen. Und auch jetzt nicht.
Rafa beobachtete sie. Sie spürte es. Seine Blicke verfolgten sie, seine Schritte waren nicht weit. Er stellte keine Fragen. Noch nicht. Aber sein Schweigen war zu präzise, um neutral zu sein. Er kannte Muster. Und irgendetwas an ihr passte nicht in sein Raster.
Sie wusste, dass er irgendwann fragen würde. Dass er irgendwann etwas finden würde – wenn er lange genug suchte. Aber sie war vorbereitet. Jeder ihrer Decknamen, jedes Detail ihrer Geschichte war mehrfach geprüft, verankert in Systemen, die tiefer reichten als diese Welt.
Am Nachmittag wurde sie ins obere Stockwerk gerufen. Ein Raum, leer bis auf einen Tisch mit Stuhl und einen Monitor. Als sie Platz nahm, begann das Video. Keine Bilder von Gewalt, kein Blut. Nur Dokumente. Kontobewegungen. Namen. Einige kannte sie. Andere nicht. Doch der Kontext war eindeutig: Illegale Waffenlieferungen, verschleiert durch Firmen, deren Pfade sie nun rekonstruieren musste.
Zahlen liefen über den Bildschirm, gefolgt von Frachtpapieren, Empfangsbestätigungen, verschlüsselten E-Mails. Elena notierte sich nichts. Sie speicherte es im Kopf – alles. Als das Video endete, blieb sie sitzen. Die Stille im Raum war greifbar.
Plötzlich ging das Licht an. Cristóbal trat ein. "Und?" fragte er nur.
Sie sah ihn an. "Es sind drei Ebenen. Zwei davon sind Tarnung. Die dritte läuft über Genf. Der Knotenpunkt ist eine Firma, die offiziell mit Medizintechnik handelt. In Wahrheit nutzt sie humanitäre Korridore zur Verschleierung."
Er schwieg. Nickte. Trat näher. "Du bist schnell."
"Ich bin effektiv."
Er blickte sie länger an. "Heute Abend. Die Adresse im Umschlag. Sei pünktlich."