The Pairing - Casey McQuiston - E-Book

The Pairing E-Book

Casey McQuiston

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Beschreibung

Jetzt das eBook zum Einführungspreis sichern! Heiße Urlaubsnächte, exquisite Rezepte und eine waghalsige Wette – diese Kulinarik-Reise steckt voller Überraschungen! Seit ihrer Kindheit sind Theo und Kit unzertrennlich. Eigentlich. Denn der Versuch, ihre Freundschaft auf das nächste Level zu heben, mündete in viel Herzschmerz und dem Ende ihrer Beziehung. Vier Jahre nach der Trennung beschließen beide, die damals geplante Kulinarik-Reise durch Europa doch noch anzutreten. Erst als Theo und Kit den Reisebus besteigen, entdecken sie, dass sie dieselbe Idee hatten und nun drei Wochen den romantischsten Sehenswürdigkeiten und sinnlichsten Geschmäckern Europas ausgeliefert sind. Als Theo vorschlägt, eine Wette abzuschließen, wer zuerst mit ihrem heißen italienischen Reiseführer schlafen kann, ist Kit dabei. Komplikationen? Vorprogrammiert. Die romantische Komödie mit jeder Menge Spice – perfekt für den Pride Month 2025! Diese Tropes erwarten Euch in der New Adult LGBT-Liebesgeschichte: - Only One Bed - Friends-to-Lovers-to-Enemies-to-Lovers - Second Chances - Forced Proximity - Road Trip »Der ›Hot Bisexual Summer‹ ist bereit für seinen großen Auftritt, und Casey McQuistons neuer Roman The Pairing ist bereit, um ihn einzuläuten.« USA Today

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 601

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Casey McQuiston

The Pairing

Liebe ist Geschmackssache

Aus dem amerikanischen Englisch von Hannah Brosch und Kristina Koblischke

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Theo ist Barkeeper und angehender Sommelier mit einer langen Liste von Liebhabern. Kit hat als der unangefochtene Sexgott seiner Konditoren-Schule den Abschluss gemacht und backt nun in einem der besten Restaurants in Paris. Vier Jahre nach ihrer Trennung scheint es für beide eine großartige Idee zu sein, die damals geplante Kulinarik-Reise durch Europa doch noch anzutreten. Erst als Theo und Kit den Reisebus besteigen, entdecken sie, dass sie dieselbe Idee hatten und nun drei Wochen den romantischsten Sehenswürdigkeiten und sinnlichsten Geschmäckern Europas ausgeliefert sind. Als Theo vorschlägt, eine Wette abzuschließen, wer zuerst mit ihrem heißen italienischen Reiseführer schlafen kann, ist Kit dabei. Komplikationen? Vorprogrammiert.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Conten Notes - Hinweis

Widmung

Zitat

Karte mit Reiseroute

ANFANG

ENDE

VIER JAHRE SPÄTER

LONDON

LONDON

PARIS

PARIS

BORDEAUX

BORDEAUX

SAINT-JEAN-DE-LUZ

SAINT-JEAN-DE-LUZ

SAN SEBASTIÁN

SAN SEBASTIÁN

BARCELONA

BARCELONA

NIZZA

NIZZA

MONACO

MONACO

DER ANFANG

ENDE

CINQUE TERRE

CINQUE TERRE

PISA

PISA

FLORENZ

FLORENZ

CHIANTI

CHIANTI

ROM

ROM

NEAPEL

NEAPEL

PALERMO (TAG 1)

PALERMO

PALERMO (TAG 2)

PALERMO

PARIS (ERNEUT)

PARIS

EPILOG

DANKSAGUNG

Hinweis auf sensible Inhalte / Content Notes

Bei manchen Menschen lösen bestimmte Themen ungewollte Reaktionen aus. Deshalb findet ihr am Ende des Buches einen Hinweis auf sensible Inhalte.

Zum Genuss

 

Es ist nicht möglich, zu lieben und auseinanderzugehen. Sie werden wünschen, daß dem so wäre.

Sie können die Liebe zu etwas anderem machen, können sie ignorieren, sie verpatzen, aber niemals können Sie sie sich aus dem Herzen reißen.

– E.M. Forster, Zimmer mit Aussicht

ANFANG

(Theos Version)

Als ich Kit zum ersten Mal küsse, schmeckt er nach Jalapeños und Aprikosen.

Wir sind betrunken genug, um mutig zu sein. Ein paar Leute aus dem Restaurant schmeißen eine Halloweenparty in ihrem Mietshaus in Cathedral City, und es gibt Mystery-Punsch, und wir sind zweiundzwanzig, ein Alter, in dem es uns noch genial statt widerwärtig vorkommt, gemeinsam eine unbekannte Zusammenstellung von Spirituosen aus einem zweckentfremdeten Mülleimer zu trinken. Auch wenn ich ein paar Schluck Aprikosenschnaps aus der Hausbar dazugekippt habe, um das Zeug wenigstens etwas abzumildern.

Die ganzen vier Monate, seit Kit nach Palm Springs und bei mir eingezogen ist, reden wir schon über unsere Halloween-Kostüme. Sexy M&Ms. Ralph Macchio und der Schlägertyp aus Karate Kid. Kit war für Sonny und Cher – er ist Cher, ich Sonny. Er hat das perfekte verführerische Seiden-Shiftkleid auf Kommission in L.A. gekauft, mich sogar dazu gebracht, ihn in ein Taillenkorsett zu schnüren, bevor er das Kleid angezogen hat, weil er noch nie halbe Sachen gemacht hat. Nicht mal Mystery-Punsch könnte das Gefühl seiner Haut unter meinen Fingerspitzen auslöschen.

Später, als wir an unserem Couchtisch Pizza aus dem Pappkarton essen, beschließt Kit, es sei Zeit, endlich darüber zu reden.

Wir haben es nie angesprochen, nicht seit er fürs College nach Kalifornien zurückgekommen ist, sind ins Leben des anderen geschlüpft, als wären wir nie getrennt gewesen, direkt hinein in den synchronen, gleichmäßigen Herzschlag unseres Wirs. Theo-and-Kit, Theo-and-Kit, Theo-and-Kit. Es war so leicht, den Rhythmus zu finden, dass wir nicht darüber sprachen, wohin er verschwunden gewesen war, oder warum.

Kit guckt mich über einen Käserand mit extra Jalapeños an und fragt: »Warum wolltest du nie nach Oklahoma City kommen?«

Weil es Oklahoma City ist, sage ich beinahe. Aber der Ort hat nie eine Rolle gespielt; es war das Versprechen. Als wir vierzehn waren, ein Jahr nachdem Kits Mom gestorben war, beschloss sein Dad, mit der ganzen Familie nach New York zu ziehen. Kit und ich holten eine Landkarte heraus und suchten die Mitte zwischen Rancho Mirage und Brooklyn. Oklahoma City. Wir versprachen, uns jeden Sommer dort zu treffen, aber ich habe immer irgendwelche Ausreden gefunden, und sie waren nie besonders gut.

Seine braunen Augen, eingerahmt von der albernen Cher-Perücke, glänzen so sehr im Lampenlicht, dass ich ihm die Wahrheit sage, zumindest einen Teil davon: Als er gegangen ist, wurde mir klar, dass ich mich in einem Moment der Unaufmerksamkeit in meinen besten Freund verliebt hatte. Und dann war er fünfhundert Meilen zu weit weg, als dass es noch eine Rolle gespielt hätte, erzählte mir am Telefon von seinen ersten Dates, und es tat einfach zu weh. Oklahoma City hätte mir das Herz gebrochen.

»Es tut mir leid«, sage ich. »Das war scheiße von mir. Scheiße dir gegenüber.«

»Oh«, ist alles, was er sagt.

»Ich bin absolut darüber weg«, sage ich, was gelogen ist. Ich war noch nie tiefer drin. Ich dachte, mit Kit zusammenzuwohnen wäre eine hervorragende Konfrontationstherapie, dass niemand in seinen besten Freund verliebt bleiben könnte, nachdem man gesehen hat, wie er sich durch die Jogginghose am Hintern kratzt. Aber wenn überhaupt, liebe ich Kit jetzt noch mehr. »Du musst dir also keine Sorgen machen. Ich bleibe normal.«

Kit legt sein Stück Pizza ab und sieht mich an, meinen angeklebten Oberlippenbart, das Haar, das ich mir nach hinten geflochten habe, damit es unter die Topffrisur-Perücke passt. Er lächelt befangen, streicht sich Chers Haare hinters Ohr und sagt: »Ich war auch in dich verliebt.«

»Du – was?«

»Damals, meine ich.«

Ich nicke und versuche, unbewegt zu klingen. »Alles klar. Damals.«

Und er lacht, also lache ich und lege Sonny & Cher auf, um zu überdecken, wie komisch mein Lachen klingt. Wir tanzen mit fettglänzenden Lippen zu »I Got You Babe« durchs Wohnzimmer, bis meine Hand über Kits zusammengeschnürte Taille streicht.

Ich fange die Spitzen seiner glänzenden künstlichen Haare zwischen Daumen und Zeigefinger, berühre ihn, ohne ihn zu berühren. Er hebt die Hand und zieht meinen Oberlippenbart ab.

»Was, wenn wir es versuchen?«, fragt er leise. »Nur einmal, um zu sehen, wie es wäre?«

Und dann liege ich im Bett meines besten Freundes, küsse ihn, bis mir schwindlig wird. Nur um zu sehen, wie es ist.

Mein Bauchgefühl sagt mir, dass mich das hier für immer verändern wird. Vielleicht ist es falsch, vielleicht bin ich masochistisch veranlagt, ihn weitermachen zu lassen, wenn ich doch weiß, was ich fühle und er nicht, aber es ist Kit. Kit liebt es, anderen ein gutes Gefühl zu schenken, und als er sein Gesicht zwischen meinen Beinen vergräbt, fühle ich mich gut. Ich fühle mich so gut, dass es wehtut.

Er wird morgen darüber lachen, und bei mir wird in Zukunft jede Person, die ich mit ins Bett nehme, mit seinem Geist um meine Aufmerksamkeit kämpfen.

Am Morgen duftet die Küche nach Zimt und Butter und Hefe, und Kit steht am Waschbecken und spült ab. Er trägt die Schürze, die ich ihm bei unserem Roadtrip ins Santa Maria Valley gekauft habe, als wir ausprobieren wollten, ob das Barbecue den Hype wert ist. THIS GUY RUBS HIS OWN MEAT, steht darauf.

Der Tisch ist mit zwei Tellern gedeckt, Zuckerguss tropft von goldbraunem, dampfendem Teig. Kit backt jedes Wochenende, und er feilt schon seit Jahren an dem perfekten Zimtschneckenrezept.

Als ich neben ihm eingeschlafen bin, habe ich mir jede Menge Versprechen gegeben. Ich würde cool bleiben. Das Ganze war ein Witz. Zwei miteinander befreundete Menschen, die um der alten Zeiten willen etwas miteinander anfangen, ein Abschiedstrunk auf die verliebten Teenies, die wir mal waren.

Er lächelt mir vom Waschbecken zu, am Hals noch immer den Bluterguss, den meine Zähne hinterlassen haben, und ich sage: »Ich habe gelogen. Ich bin nie darüber hinweggekommen.«

Kit stößt einen langen Atemzug aus. Er stellt das Wasser ab. Und dann sagt er das Unglaublichste, das er überhaupt sagen könnte.

Er sagt: »Ich auch nicht.«

ENDE

(Theos Version)

Auf dem Gepäckband fährt ein Dildo spazieren.

Es ist nicht mein Dildo. Nicht dass ich keinen dabeihätte, aber Kit hätte unseren nie so nachlässig eingepackt, dass er einfach aus dem Koffer fallen und durch die Gepäckausgabe kreiseln würde. Für so etwas gibt es strenge Regeln.

Ich bin alleine in London Heathrow und sehe zu, wie der Dildo im Kreis fährt. Er ist lila, ziemlich kurz, aber mit durchaus ansehnlichem Umfang. Als er das vierte Mal an mir vorbeikommt, trete ich schließlich vor und ziehe meine Tasche vom Band.

Ich weiß nicht, wo Kit ist.

Sieben, acht, neun, zehn Mal fährt der Dildo im Kreis, bevor jemand vom Flughafenpersonal mit nüchterner Miene ein Paar Gummihandschuhe anzieht, ihn in einen kleinen Plastikbeutel befördert und davonträgt.

Ich sehe auf die Uhr: fünfunddreißig Minuten, seit Kit gegangen ist. Ich bin zu wütend, um zu weinen, aber mir bleibt noch etwa eine halbe Stunde, bis ich vollkommen und spektakulär durchdrehe. Ich werde dem Reiseunternehmen später eine E-Mail schicken, um zu erklären, warum wir nicht aufgetaucht sind, und nach einer Rückerstattung zu fragen. Jetzt will ich nur noch nach Hause.

Aus der Schlange vor dem Schalter der British Airways beobachte ich ein nervöses junges Paar auf dem Weg zum Fundbüro, um ihren auf Abwege geratenen Dildo einzusammeln. Sie sind so verliebt, dass es sich lohnt, sich an der Gepäckausgabe zu blamieren. Gemeinsam ziehen sie weiter, mit roten Gesichtern, lachend, Arm in Arm. Wie scheißniedlich.

Ich frage den Angestellten hinter dem Schalter: »Wann geht der nächste Nonstop-Flug nach Los Angeles?«

VIER JAHRE SPÄTER

LONDON

PASST GUT ZU:

 

Pimm’s Cup, einem in Tee getränkten Scone,

gegessen in aller Eile

LONDON

»Es ist mir egal, ob du mir zweihundert Pfund und einen Handjob anbietest, Trevor, du kriegst nichts mehr.« Mit einem freundlichen Lächeln schiebe ich die zerknitterten Scheine zurück über die Bar. »Geh nach Hause. Arbeite an dir selbst. Deine Persönlichkeit ist abartig, und das meine ich nicht als Kompliment.«

Schließlich gibt Trevor nach und gestattet es zwei West-Ham-Fans, ihn zur Tür zu schleifen, während die Menge ein weiteres Tor auf dem hoch aufgehängten Bildschirm bejubelt. Einer der Spurs-Anhänger, die er belästigt hat, hebt dankbar sein Bier. Ich schüttle den Kopf und werfe mir ein Geschirrtuch über die Schulter, während ich in die Hocke gehe, um das leere Bierfass fertig abzuschrauben.

»Es ist immer Trevor«, seufzt ein Barkeeper. »Was für ein Waschlappen.«

Ich schnaube. »So einen hat jede Bar.«

Der Barkeeper zwinkert mir bedauernd zu, dann sieht er noch mal hin.

»Moment mal. Wer bist du?«

»Ich bin –« Endlich schaffe ich es, das Fass loszubekommen, und zerre es mit einem Grunzen unter der Theke hervor. »– Theo.«

»Wann haben sie dich denn eingestellt?«

»Oh, er hat mich hinter die Bar gelassen, weil ich ein Fass wechseln kann.« Mit dem Kinn deute ich auf den verschwitzten Boss, der sein Möglichstes tut, um mit den Bestellungen Schritt zu halten. Es hat nicht viel gebraucht, um ihn zu überreden, ein bisschen kostenlose Hilfe anzunehmen. »Ich arbeite gar nicht hier. Ich bin nicht mal von hier. Ich bin vor zwei Stunden aus dem Flugzeug gestiegen. Hey!« Mit dem Geschirrtuch erwische ich einen Spurs-Fan, der gerade versucht, sich auf seinen Barhocker zu stellen. »Komm schon, Mann, denk noch mal drüber nach.«

Der Barkeeper zieht anerkennend die Brauen zusammen.

»Du warst wohl schon mal in London.«

Ich grinse. »Nein, aber ich habe eine Menge Filme gesehen.«

In Wahrheit habe ich Kalifornien nie wirklich verlassen. Einmal wäre es fast dazu gekommen, als Sloane vor ein paar Jahren in Berlin gedreht und mich eingeladen hat, umsonst in ihrer Hotelsuite zu übernachten, aber – nein. Ich war nicht bereit. Normalerweise habe ich an unbekannten Orten oder in unbekannten Situationen nicht viel Vertrauen in mich. Beinahe meine ganzen achtundzwanzig Jahre habe ich im Coachella Valley gelebt, denn dort gibt es Berge und Wüste und Raben so groß wie Hunde, und der Himmel ist weit, und alle Möglichkeiten, zu versagen, sind mir wohlbekannt.

Aber jetzt bin ich bereit. Ich glaube – ich weiß, dass ich bereit bin. Seit Wochen ist jeder Muskel meines Körpers angespannt, während die Kästchen auf dem Kalender weniger wurden. Ich bin bereit, ins kalte Wasser zu springen und herauszufinden, wozu ich fähig bin. Ich liebe es, zu wissen, wozu ich fähig bin.

Bis auf diesen verheerenden Morgen in Heathrow bin ich das erste Mal im Ausland, was wahrscheinlich der Grund ist, warum ich mich während eines hitzigen Fußballspiels hinter eine Bar in einem überfüllten Pub geflüchtet habe. Ganz London stand mir offen, als ich aus dem Flughafenshuttle gestiegen bin, aber statt irgendwelche Museen, Paläste oder Westminster Abbey zu besuchen, bin ich direkt zum nächsten Pub gelaufen und habe mir mit den Ellbogen den Weg in mein Element gebahnt. Das hier kann ich, Kneipenschlägereien schlichten und Zapfventile zudrehen und einem Kerl namens Trevor freundliche Beleidigungen zurufen, die lokalen Trinkgewohnheiten studieren, probieren, was man hier an Hochprozentigem trinkt. Eine Beobachtung der hiesigen Fauna am Trinkloch, wie für einen Artikel in der National Geographic. Ich bin der Steve Irwin der Kneipenrunden.

Als Kit und ich die Reise gebucht hatten, war genau das die Idee hinter diesem Trip: zu lernen. Wir haben immer davon geträumt, ein Restaurant zu eröffnen, und eines Abends nach unserer fünften Episode von Anthony Bourdain – Eine Frage des Geschmacks hatte Kit die Idee. Er fand eine geführte Food-and-Wine-Tour durch Europa, auf der wir die elegantesten und reichhaltigsten Geschmacksrichtungen kennenlernen könnten, die sagenumwobensten Traditionen des Brotbrechens, die perfekte, alle Sinne umfassende Immersionserfahrung, um uns inspirieren zu lassen. Der ganze Bourdain, sagte er, woraufhin ich mich augenblicklich noch mal in ihn verliebte.

Ein Jahr lang haben wir gespart, um die Reise buchen zu können, und dann haben wir uns auf dem Flug getrennt, und Kit ist nach Paris abgehauen, und ich habe ihn nie wiedergesehen. Die Buchung war nicht erstattungsfähig. Ich bin mit einem gebrochenen Herzen, einer Flasche vierzehn Jahre alten Whiskeys in Reisegröße, die wir an unserer letzten Station in Palermo trinken wollten, und einem achtundvierzig Monate gültigen Reisegutschein nach Hause gekommen. Ich habe mir geschworen, den Trip nach siebenundvierzig Monaten alleine nachzuholen, für mich. Ich würde am Strand stehen und unseren Whiskey trinken als Zeichen dafür, wie weit ich gekommen bin. Um zu feiern, dass ich endlich und vollkommen über Kit hinweg bin.

Und jetzt stehe ich hier, in einem Pub fünf Minuten vom Trafalgar Square entfernt, und wuchte ein neues Bierfass an seinen Platz, wobei ich unglaublich mutig und unabhängig und sexy bin, allein weil ich das so will.

Ich schaffe das. Ich bin der Crocodile Hunter. Ich werde lernen, und ich werde Spaß haben, und ich nehme alles mit zu unserem Sommelier bei der Arbeit und meiner Küche zu Hause, wo ich mir meine eigenen Rezepte ausdenke. Ich werde die beste, selbstbewussteste, kompetenteste Version meiner selbst sein. Ich werde nicht jeden Morgen mein Zeug zu einem großen Ball zusammengeknüllt in den Rucksack stopfen oder mein Handy in den Arno fallen lassen oder meinen Ausweis auf einem Handtuchspender am Flughafen liegen lassen (nicht noch mal). Und ich werde mir nicht, zu keiner Sekunde, wünschen, dass ich das hier mit Kit erleben könnte.

Ich denke kaum noch an ihn.

Mit der Stiefelspitze trete ich das Fass den letzten Zentimeter an seinen Platz, drehe das Verbindungsstück ein und drücke den Hebel nach unten.

»Es gibt wieder Guinness!«

Als ich aufstehe, beobachtet mich der Boss, rotgesichtig und nachdenklich. Dann zapft er ein halbes Pint aus dem neuen Fass und reicht es mir.

»Arbeitest du zu Hause auch in einem Pub?«, fragt er.

Ich nippe am Glas. »So ungefähr.«

»Na ja«, sagt er, »du kannst die Schicht gerne zu Ende machen. Das Spiel ist gleich vorbei, aber um drei kommt Liverpool.«

»Um – um drei?« Mein Herz setzt einen Schlag lang aus. »Es ist schon –?«

Über einer schäbigen Ledernische neben der Tür zeigt eine Uhr in Form eines Scottish Terriers sechzehn Minuten vor drei an.

Sechzehn Minuten, bis mein Bus nach Paris abfährt. Sechzehn Minuten, bevor ich meine letzte Chance auf diese Reise verpasse, und ein Gewirr unbekannter Straßen zwischen diesem Pub und dem Treffpunkt.

Ich ziehe mir das Geschirrtuch von der Schulter und tue das Undenkbare: Ich exe mein Guinness.

»Ich muss – ugh.« Ich unterdrücke einen Rülpser, der nach purer irischer Rache schmeckt. »Ich muss in fünfzehn Minuten am Russell Square sein.«

Der Barkeeper und sein Boss wechseln einen betrübten Blick.

»Dann schwingst du wohl besser die Hufe«, sagt der Boss.

Ich reiche ihm mein leeres Glas und schnappe meinen Rucksack.

»Gentlemen.« Ich salutiere. »Es war mir eine Ehre.«

Dann renne ich los.

---

Mit einem Ruck zerrt mich jemand zurück auf den Gehweg, kurz bevor mich ein schwarzes Taxi rammt.

»Fuck!«, keuche ich, während mein Leben vor mir vorbeizieht. Größtenteils Pools, Cocktailshaker und Casual Sex. Nicht schlecht. Nicht beeindruckend, aber auch nicht schlecht. Ich blicke zu meinem Retter auf, ein Turm aus Flanell und blondem Haar. »Ich habe vergessen, in welche Richtung man gucken muss. Ich verspreche, dass ich gleich das Land verlasse und niemand von euch mich je wiedersehen wird.«

Der Mann legt den Kopf schief wie ein neugieriger Fels.

»Findest du, ich sehe aus wie ein Engländer?«, sagt er mit einem Akzent, der ganz sicher nicht britisch ist. Auch nicht schottisch oder irisch, also habe ich ihn wenigstens nicht beleidigt. Finnisch? Norwegisch?

»Nein, das tust du nicht.«

Die Ampel springt auf Grün, und wir laufen beide weiter in dieselbe Richtung. Das hier ist doch nicht etwa die erste gemeinsame Szene zweier Protagonisten einer Filmromanze? Der Meet-Cute-Moment. Oder doch? Ich stehe nicht auf Bärte. Ich hoffe, es ist kein Meet-Cute.

»Machst du etwa auch die Food-and-Wine-Tour?«, rät der Vielleicht-Norweger. Ich mustere den Rucksack auf seinen breiten Schultern. Ein großer Trekkingrucksack, genau wie meiner, aber bei ihm wirkt er winzig. Ich bin zwar groß, aber mein Gencode hat mich nicht darauf programmiert, Kriegsschiffe vom Strand in die nordische Brandung zu schieben.

»Ja, genau! Himmel, ich bin so froh, dass ich nicht als Letzter komme.«

»Ja«, sagt der Hüne. »Ich habe letzte Nacht draußen in den Hügeln gecampt. Hätte nicht gedacht, dass die Wanderung zurück so lange dauert.«

»Die Wanderung zurück nach London?«

»Ja.«

»Du – okay.« Ich habe gleich mehrere Fragen, aber keine Zeit. »Ich bin Theo.«

Er grinst. »Stig.«

Es ist 15:04 Uhr, als wir am Russell Square ankommen, wo eine ältere Frau mit grau meliertem Haar und strenger Frisur die letzten Koffer in den Gepäckraum eines Busses lädt, bei dem es sich um unseren handeln muss.

»Brauchst du Hilfe mit den Taschen, Orla?«, ruft eine volle Stimme mit schwerem italienischen Akzent. Ein attraktives gebräuntes Gesicht erscheint in der Bustür.

»Lass mal, mein Schöner«, erwidert Orla, die Fahrerin. Ihr eigener Akzent ist irisch.

»Versuch nicht, mich zu verführen, es sei denn, du meinst es ernst«, sagt der Mann belustigt, bevor sein Blick auf uns fällt. »Ah! Die letzten zwei! Meraviglioso!«

Als er die Stufen herunterspringt, explodiert das Londoner Grau in neapolitanischen Bernsteinfarben. Das muss Fabrizio sein, der Mann, der sich uns in der letzten Mail der Reiseorganisation mit den Informationen als Tourguide vorgestellt hat. Er ist unverschämt gut aussehend, das dunkle Haar lockt sich über seinem Genick, die rauen Bartstoppeln auf seinem markanten Kinn verschmelzen kunstvoll mit dem Haar in seinem offenen Kragen. Er sieht aus, als hätte ihn sich jemand ausgedacht, wie der Typ, der Kate Winslet in einem Film über eine geschiedene Ehe in Sizilien ihren ersten Orgasmus schenkt.

Er sieht mich an und blättert eine Seite auf seinem Klemmbrett um.

»Du musst Stig Henriksson sein.«

»Äh –«

Er wirft seinen umwerfenden Kopf zurück und lacht. »War nur ein Witz! Nur ein Witz! Ciao, Stig!« Er tritt an Stig heran und küsst seine aus Stein gehauene Wange. »Dann musst du Theodora sein!«

Und dann zieht er auch mich an sich und fährt mit seinen Lippen über meine Wange.

»Theo.« Ich lege meine Hand auf seinen Bizeps und küsse ihn ebenfalls auf die Wange, weil ich das für die angemessene Reaktion halte. Als er sich von mir löst, lächelt er.

»Ciao bella, Theodora.« Fast niemand nennt mich Theodora, aber mir gefällt, wie es aus seinem Mund klingt. Tay-o-doora, mit gerolltem r und dem zweiten o zart und weich gedehnt, als würde er es auf einen Drink einladen. Wenn das hier ein Meet-Cute wäre, hätte ich nichts dagegen. »Andiamo!«

Orla schlägt die Gepäckklappe zu.

»Sehr voll, diese Tour«, erzählt Fabrizio uns an Bord. »Vielleicht ein Sitzplatz ganz hinten? Und neben mir ist auch noch frei!«

Von meiner Position neben dem Fahrersitz kann ich alle Reihen meiner Mitreisenden überblicken, die Menschen, mit denen ich die nächsten drei Wochen verbringen werde. Ich werfe einen Blick hinüber zu Stig – allem Anschein nach sind wir die Einzigen, die diese Tour allein antreten.

Natürlich. Eine Reise wie diese ist dazu gedacht, geteilt zu werden. Gemeinsam die Seine hinunterschippern, mit Champagner anstoßen, auf windumtosten Klippen Bilder voneinander schießen, vom selben Teller essen und den Rest des Lebens von diesem einen unvergleichlichen Bissen sprechen. Das hier sind Erinnerungen der Art, die zwei Menschen ein Zuhause geben, nicht nur einem.

Ich recke das Kinn, marschiere den Gang entlang und überlasse Stig den Platz neben Fabrizio.

Ich laufe an zwei lauthals lachenden Typen aus Australien vorbei, einem Paar älteren, Japanisch sprechenden Frauen mit den gleichen Schirmmützen, ein paar Rentnerehepaaren, zwei Mädchen in bauchfreien Tops, mehreren Hochzeitsreisenden, einer amerikanischen Mutter mit ihrem gelangweilt aussehenden Sohn, bis ich es endlich entdecke. Der hinterste Platz am Gang ist noch frei.

Die Person, die am Fenster lehnt, kann ich nicht gut erkennen, aber zumindest lässt nichts gleich die Alarmglocken schrillen. Sie trägt ein weich aussehendes T-Shirt und verwaschene Jeans, das Gesicht hinter den Haaren verborgen. Vielleicht schläft sie. Oder tut zumindest so, damit sich niemand neben sie setzt. Wahrscheinlich wünscht sich die Gestalt genauso jemanden neben sich wie ich, also überhaupt nicht.

Ich hole tief Luft.

»Hi!«, sage ich in meinem freundlichsten Tonfall. »Ist dieser Platz noch frei?«

Die Gestalt rührt sich, streicht sich die offenen, braunen Locken aus dem Gesicht. Die einzige Warnung, die mir vergönnt ist, bevor sie mir das Gesicht zuwendet, ist ein Farbfleck auf der linken Hand, vom ersten bis zum dritten Knöchel.

Ich kenne diese Hände. Sie sind immer auf dieselbe Art verschmiert, mit Tinte, Lebensmittel- oder Aquarellfarben.

Kit sieht zu mir auf, zieht die eleganten Brauen zusammen und fragt: »Theo?«

---

Vielleicht hat mich das Taxi vorhin doch erwischt.

Vielleicht liege ich platt gewalzt im Parkverbot vor dem Zebrastreifen, umringt von Leuten, die heute im Büro früh Schluss gemacht haben und sich jetzt darüber unterhalten, was für eine Schande es ist, dass ein so junger, gut aussehender Mensch sein Leben als Verkehrsopfer vor einem Schuhgeschäft lassen musste. Irgendjemand bei der Sun verfasst gerade die Schlagzeile – GOOD NIGHT FLOWERDAY! »Theo Flowerday, älteste und enttäuschendste Tochter des Hollywood-Power-Regie-Paares Ted und Gloria Flowerday, wie zu erwarten nach einem unbedachten Schritt auf die Straße verstorben.« Vielleicht war alles seit diesem Moment eine Art fiebernder Sterbenstraum, und ich bin in der Hölle gelandet, wo ich gezwungen sein werde, drei Wochen der sinnlichsten und romantischsten Sehenswürdigkeiten und Geschmackserlebnisse Europas mit einer fremden Person zu teilen, deren Perineum ich im Schlaf beschreiben könnte.

Das scheint jedenfalls wahrscheinlicher als die Realität, dass die Person, die in der letzten Reihe sitzt, tatsächlich Kit ist.

»Du –« Ich starre ihn an. Er verschwindet einfach nicht. In meinen Ohren klingelt es plötzlich. Meine Beine fühlen sich taub an. »Du bist nicht hier.«

Er hält eine Hand hoch, wie um zu zeigen, dass er echt ist. »Doch, ich glaube schon.«

»Warum bist du hier?«

»Ich habe ein Ticket.«

»Ich auch. Sie – sie haben mir einen Gutschein ausgestellt, aber ich –«

»Mir auch. Ich –«

»– bin nie dazu gekommen –«

»– wollte ihn nicht verfallen lassen, also –«

In irgendeiner spinnwebenverhangenen Ecke meines Gehirns musste ich gewusst haben, dass wir die gleichen Gutscheine mit den gleichen Gültigkeitsdaten besaßen, aber ich hätte nie gedacht, dass wir irgendwie – irgendwie –

»Bitte sag mir«, flüstere ich und schließe die Augen, »dass wir nicht dieselbe Reise gebucht haben.«

Der Bus fährt ruckartig an, und meine Knie geben nach – halb lande ich auf dem leeren Sitz, halb auf Kits Schoß. Mein Rucksack verrutscht und landet mit voller Wucht auf Kits Gesicht.

In den Haaren hinter meinem Ohr erklingt deutlich gedämpft, aber leicht amüsiert Kits Stimme: »Offensichtlich bist du immer noch sauer auf mich.«

Ich fluche und ziehe mich umständlich auf meinen eigenen Sitz. Kit hat die Augen zusammengekniffen und hält sich mit einer Hand die Nase.

»Orla hat einen Bleifuß. Ist alles –«

»Alles in Ordnung«, sagt Kit, »aber raste jetzt nicht aus, wenn du es siehst.«

»Wenn ich was se–« Er nimmt die Hand weg und offenbart eine absolut spektakulär blutende Nase. »Gott im Himmel!«

»Alles okay!« Das Blut aus dem linken Nasenloch sammelt sich bereits in seinem Amorbogen. »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht.«

»Es sieht verdammt schlimm aus, Kit!«

»So was macht meine Nase heutzutage einfach manchmal.« Er niest ein paar winzige rote Bläschen. »Hört gleich wieder auf.«

Heutzutage. Heute, wie in: Es gab mal ein Damals, in dem wir uns geliebt haben und ich wusste, was seine Nase tat und was sie nicht tat.

Wenn jemand sechzehn Jahre lang dein bester Freund, dann zwei Jahre lang dein romantischer Partner und deine erste und einzige große Liebe ist, dann ist es nicht leicht, diese Person aus deinem Leben zu streichen, aber ich habe es geschafft. Alles, was man ausradieren oder löschen kann, wurde ausradiert oder gelöscht: jede Nummer blockiert, jedes Polaroid und Souvenir-T-Shirt in verschlossenen Kartons in einen von Sloanes nicht benutzten Kleiderschränken gepackt. Ich habe mein ganzes Leben darauf ausgerichtet, nichts über das seine zu erfahren, nicht über seinen Job oder seinen Haarschnitt oder ob er jemals seine Patisserie-Ausbildung in Paris abgeschlossen hat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er noch in Paris wohnt, aber bis zu diesem Moment hätte er auch der Navy beitreten und sich den Arm von einem Hai abbeißen lassen können, ohne dass ich davon erfahren hätte.

Wenn ich überhaupt an Kit denke, in der Vorstellung, die ich nicht habe, weil ich nicht genug an ihn denke, um mir ein spezielles Szenario auszumalen, rennen wir an der Tür eines Restaurants in Manhattan ineinander. Er hat ein Date, und ich bin eingeladen, um die Weinkarte zu testen, und welche tragische Gestalt aus der Kunstszene er auch immer gerade ausführt, er bekommt die Tür an den Kopf, als er mich in meinem maßgeschneiderten Anzug sieht und erkennt, dass ich es endlich geschafft habe, dass ich eine erfüllende Karriere und eine endlose Reihe romantischer Affären mein Eigen nenne, dass ich mein Leben so vollkommen in den Griff bekommen habe, dass ich weder ihn noch sonst irgendjemanden je wieder brauchen werde. Und ich bemerke ihn nicht mal.

Im echten Leben starren die Leute uns an.

»Alles in Ordnung, Birgitte!«, sagt Kit mit einem kleinen Winken in Richtung des Rentnerpaares auf der anderen Seite des Ganges. Natürlich hat er sich schon mit irgendwelchen schwedischen Seniorinnen angefreundet.

In meiner Vorstellung ist es nie so, nie bin ich immer noch dieselbe Katastrophe, mit der er es nicht mehr ausgehalten hat. Er soll sehen, dass ich jemand bin. Eine starke, neue Version von Theo, die jede Situation beherrscht, der verdammte Crocodile Hunter.

Ich löse den Knoten meines Halstuchs.

»Komm her«, sage ich, während ich das Tuch mit Wasser aus meiner Flasche befeuchte.

»Es ist wirklich in Ordnung«, beharrt Kit. »Es wird schon weniger.«

»Dann lass es mich wenigstens abwischen.«

Kits Gesichtsausdruck schwankt irgendwo zwischen vorsichtiger Hoffnung und dem gehetzten, angsterfüllten Blick eines Mannes, der von einem Grizzly angegriffen wird.

»Okay.«

Meine Hand kommt von rechts, aber er wendet sich nach links. Als ich mich von links nähere, korrigiert er seine Bewegung viel zu schnell und dreht sein Gesicht nach rechts. Wir verpassen uns noch zwei weitere Male, dann umfasse ich sein Kinn mit der Hand und richte sein Gesicht direkt auf mich aus.

Unsere Blicke treffen sich, beide überrascht.

Schlechte Idee. Steve Irwin hat nie irgendwelche Krokodile an ihren hübschen Kiefern gepackt. Zumindest keine, mit denen er schon Sex hatte.

»Halt still«, sage ich und weigere mich, den Blick zuerst abzuwenden. Kit blinzelt langsam, dann nickt er.

Ich tupfe das Blut ab, und mir wird von Sekunde zu Sekunde bewusster, dass ich eine schwere Fehlentscheidung getroffen habe. Aus dieser Position habe ich keine andere Wahl, als sein Gesicht zu mustern und all die Dinge zu sehen, die sich zwischen vierundzwanzig und achtundzwanzig nicht verändert haben. Eigentlich sieht er so aus wie früher, nur ein bisschen reifer und definierter. Er hat dieselben markanten Wangenknochen und neugierigen Augenbrauen, denselben weichen Mund, dieselben wimpernverhangenen braunen Augen mit demselben offenen Strahlen, das schon aus ihnen spricht, seit wir Kinder waren. Der einzige bemerkbare Unterschied ist der sanfte Knick in der statuengleichen Nase meiner Erinnerung, bei dem ich mir ziemlich sicher bin, dass nicht ich ihn verursacht habe.

Er sieht mich an, und ich frage mich, ob er dasselbe tut. Ich habe mich stärker verändert als er. Kein Make-up mehr, widerspenstigere Augenbrauen, mehr Sommersprossen. Vor ein paar Jahren habe ich aufgehört, all die ungleichen Teile meines Gesichts so vereinen zu wollen, wie ich dachte, es gehöre sich, und angefangen, jedes Teil für sich zu schätzen. Meinen breiten Mund mit den nach oben zeigenden Mundwinkeln, meine Wangen- und Kieferpartie, meine leicht zu große Nase. Mittlerweile liebe ich mein Gesicht, aber ich weiß nicht, ob Kit das ebenso sehen wird. Aber es ist mir auch egal.

Ich lasse ihn los und schiebe die Hand unter meinen Oberschenkel, bevor sie irgendetwas Dummes tun kann.

»Wow, du hattest recht«, sage ich. »Es hat schon aufgehört. Das ging schnell.«

»Ich habe mir vor ein paar Jahren die Nase gebrochen«, erklärt Kit. »Seitdem blutet sie schnell, aber immer nur kurz.«

Ein seltsamer Funke des Verlusts steigt in mir auf, wie damals, wenn Kit und ich gemeinsam eine Serie angefangen hatten und er dann ohne mich weiterschaute. Als hätte ich das wissen müssen, irgendwie.

Ich frage nicht. Wir sitzen dreißig Zentimeter voneinander entfernt, in meiner Hand ein mit seinem Blut verschmiertes Bandana, während der Bus an den weißen Fassaden der Häuser Notting Hills vorbeirollt. Ich versuche, mich an die Reiseziele zu erinnern, auf die ich mich heute Morgen noch so gefreut hatte, Bordeaux und Barcelona und Rom, aber Kit fällt ständig das Haar in die Stirn.

»Deine Haare sind kürzer«, sagt Kit mit einer seltsamen, neutralen Stimme.

»Und deine länger«, gebe ich zurück.

»Wir haben fast –«

»Die gleiche Frisur.«

Kit atmet aus und stößt dabei einen Laut aus, der wie eine Mischung aus Seufzen und Lachen klingt, und ich muss die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu schreien.

Das hier soll meine Saturn-Return-Reise der Selbsterkenntnis werden. Und jetzt wird Kit mit seinen furchtbaren Kit-Eigenschaften in jedem Bild auftauchen. Charmante schwedische Rentnerehepaare, poetische Notizen über Sfogliatella, mit den Händen durchs Grün streichen, in der goldenen Abenddämmerung die Hügel der Toskana besteigen, und überall duftet es nach – ist das Lavendel? Immer noch?

»Es ist unfassbar«, sagt Kit und schüttelt den Kopf, als sei ich eine alte Bekanntschaft, über die er im Supermarkt gestolpert ist, nicht die Liebe seines Lebens, die er in einem fremden Land am Flughafen stehen gelassen hat. »Wie geht es dir?«

»Gut«, sage ich. »Wirklich, wirklich gut, bis vor ungefähr, na ja« – ich gucke auf die Uhr – »fünfzehn Minuten.«

Kit bleibt völlig entspannt. »Ich verstehe. Das ist schön zu hören.«

»Und du? Du siehst … gesund aus.«

»Na ja, mehr oder weniger intakt«, sagt Kit mit einem hintergründigen Grinsen, das den Wunsch in mir weckt, mein Rucksack hätte ihn fester getroffen. »Ich bin –«

Über das Lautsprechersystem des Busses erklingt Fabrizios Liebesroman-Stimme.

»Ciao a tutti ragazzi! Wie geht es euch heute? Gut? Ja, gut! Falls ihr es nicht wisst, mein Name ist Fabrizio, ich bin während der nächsten drei Wochen euer Guide, und ich freue mich sehr darauf, die Geschmäcker Frankreichs, Spaniens und Italiens mit euch zu teilen – und ja, auch die Sehenswürdigkeiten!«

Genau in diesem Moment macht Kit etwas Unglaubliches. Er zieht ein Taschenbuch aus dem Rucksack und fängt an zu lesen. Als führten wir nicht gerade unsere erste Unterhaltung seit vier Jahren. Als sei das einzig Wichtige an unserer zweistündigen Fahrt von London nach Dover, sie mit der Lektüre eines Buches zu verbringen. Ich bin gerade mit einem Tritt ins Foyer meiner persönlichen Villa des Albtraums befördert worden, und Kit liest Ein Zimmer mit Aussicht.

Die Ränder der Seiten sind vergilbt, als hätte er sich in seinem Pariser Boheme-Lifestyle verloren und das Buch ein paar Monate auf dem Fensterbrett liegen lassen. Ich interessiere ihn weniger als ein Buch, von dem er vergessen hatte, dass er es überhaupt besitzt.

Fabrizio erzählt uns von seiner Kindheit im Restaurant seiner Eltern in Neapel, erklärt uns, dass wir uns in London getroffen hätten, weil es eine englischsprachige Tour ist, die eigentliche Tour aber erst morgen früh in Paris beginnt. Wir legen in Dover ab, wo wir noch vor Sonnenuntergang die Klippen bewundern können, und fahren dann für zwei Tage in der Stadt des Lichts weiter nach Paris.

Fabrizio geht über zur Geschichte seiner erinnerungswürdigsten Nacht in London, als ein mit einer Flasche bewaffneter Barkeeper ihn aus einem Pub gejagt hat, weil er mit seiner Freundin rumgemacht hatte (»Das beste Mädchen Englands, es war so wunderbar, sie zu küssen, aber aus uns konnte nichts werden. Allergisch gegen Knoblauch!«). Der Bus frisst ihm aus der Hand.

Ich höre kaum zu. Mit beiden Händen umklammere ich meine Knie und starre geradeaus auf die Lehne vor mir. Frage mich nicht, in welcher Küche Kit die letzten Jahre gebacken hat, spüre nicht das Gewicht seiner Anwesenheit auf dem Platz neben mir, warte nicht darauf, dass er umblättert, damit ich weiß, dass er nicht nur so tut, als lese er. Er hat auch früher nie zurückgeblickt. Es sollte mich nicht überraschen.

Kit blättert um.

Wenn er kein Problem hat, dann habe ich auch keins.

---

Im Film sieht man die Klippen nie in Farbe. Der Irene-Dunne-Film aus dem Jahr 1944 ist alles, was ich je von Dover gesehen habe. Der mit dem amerikanischen Mädchen, das während des Ersten Weltkriegs einen englischen Baronet heiratet. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich ihn gesehen habe – wahrscheinlich, als Este noch klein war, da unsere Eltern der Meinung waren, alles, was vor den 1960ern gedreht wurde, sei angemessene Unterhaltung für Kleinkinder. Ziemlich am Anfang steht Irene an Deck eines Schiffes und blickt unter Tränen über das Meer vor den weißen Kreidefelsen von Dover.

Im echten Leben gibt es viel mehr Schafe, und das Gras, das auf ihnen wächst, ist sogar für Technicolor zu grün. Das Land läuft in Wellen, auf und ab, schmiegt sich an den Wind und hört dann ganz plötzlich auf. Das wellige englische Hügelland trifft auf eine scharfe, jähe Kante, und wo die Hügel weiterlaufen sollten, führt nichts als eine gerade, zahnweiße, hundert Meter hohe Steilwand hinunter ins blaue Meer.

Es wäre ein so atemberaubender Anblick, wenn Kit nicht davorstünde. Ein Vorgeschmack auf den Rest der Reise, nehme ich an.

Ich habe mich den zwei Australiern angeschlossen. Alle haben sich in Zweiergruppen aufgeteilt, sogar Stig und Fabrizio, auch wenn Stig wirkt, als würde er es bereuen. Teil von Fabrizios Job ist es, sicherzustellen, dass niemand verloren geht, und um leichter auffindbar zu sein, trägt er einen Teleskopstab mit einer kleinen Pinocchio-Stoffpuppe an der Spitze. (Weil Pinocchio eine italienische Geschichte ist, sagt er, und er ist Italiener, und außerdem »macht es manchen Italienern von hinten nicht so viel aus – ein Witz! Nur ein Witz!«) Also führen Fabrizio und Stig die Gruppe den Pfad hinunter an, Stig mit dem Schritt eines ausgebremsten Alpenwanderers und einer Puppe über dem Kopf, die einen Meter über ihm fröhlich penetriert wird.

Knapp dahinter läuft Kit, mit derselben Schultertasche aus Leder und Segeltuch, die er schon hatte, als wir vierzehn waren, dann kommt der Rest der Gruppe und schließlich die Australier und ich.

»Für mich ist es Florenz«, sage ich, als sie mich fragen, auf welches Ziel ich mich am meisten freue. »Da gibt es den besten Wein. Und die beste Sammlung von Marmorhintern.«

»Ah, du warst noch nie in Spanien, oder?«, sagt der Blonde, Calum heißt er. »Es geht nichts über spanischen Wermut, das ist eine lebensverändernde Erfahrung.«

»Du warst doch noch nie in Spanien!«, entgegnet der Rothaarige, der auch Calum heißt.

»Ich war mit dir in Bilbao, vor zwei Jahren«, widerspricht der blonde Calum.

»Nein, warst du nicht!«

»Doch, war ich, du erinnerst dich nur nicht mehr, weil du drei Tage am Stück hackedicht warst. Ich war derjenige, der dich gefunden hat, als du dich im Kuhstall schlafen legen wolltest.«

Während die beiden sich fröhlich zanken, nutze ich die Gelegenheit, um Sloane zu schreiben, ohne dass Kit fünfzehn Zentimeter neben meinem Handydisplay sitzt.

sag mir, tippe ich, warum zum teufel kit fairfield hier ist.

Ich habe einen komischen Geschmack im Mund. Ich weiß nicht, wann ich diese Buchstaben das letzte Mal in genau dieser Reihenfolge geschrieben habe. Ich halte es nicht aus, sie anzusehen, also richte ich den Blick auf den Horizont, wo ich gerade so die Küste Frankreichs erkennen kann.

Kit hat immer davon geträumt, nach Frankreich zurückzukehren, seit seine Familie mit ihm in die Staaten gezogen ist, als er acht war. Er ist in einem Vorort von Lyon geboren, seine Mutter war Französin, sein Vater Amerikaner. Er ist zweisprachig aufgewachsen, und jedes Mal, wenn er Langeweile hatte, wartete seine doppelte Staatsbürgerschaft auf ihn wie ein hinter Glas gesicherter Feueralarmknopf. Ich hätte es kommen sehen sollen.

Ich erinnere mich noch an den Tag, als im Timo das Telefon klingelte. Drei Tage war es her, dass Kit mich in Heathrow hatte stehen lassen, und ich hatte am laufenden Band Doppelschichten geschoben, um nicht allein in unserer Wohnung sein zu müssen. Ich habe mitgehört, wie der Schichtleiter Kits Namen sagte – ich hatte ihm einen Teilzeitjob verschafft, bei dem er an den Wochenenden bei den Desserts und der Teigzubereitung half –, und dann, wie er an die Patisserie-Station weitergab, Kit hätte angerufen und gekündigt, weil er nach Paris gezogen war.

So habe ich es herausgefunden. Unser ganzes Leben haben wir gemeinsam verbracht, und er hat es mir nicht einmal selbst gesagt.

Ich bin in den Kühlraum marschiert und habe eine Kiste Kartoffeln angeschrien, dann bin ich früher nach Hause gegangen, um Kits Zeug in Kartons zu packen. Ich habe seine Backformen aus den Küchenschubladen gezogen und seine Klamotten aus unserem Schrank und seine Pflanzen von den Fensterbänken geräumt. Dann habe ich seine Nummer blockiert und seiner Schwester eine Nachricht geschrieben, dass sein Zeug abholbereit sei, weil ich die Frachtkosten nach Frankreich nicht zahlen würde, schon gar nicht, weil ich seinen Teil der Miete jetzt auch übernehmen musste.

Mit der Zeit ist die Wut zu jenem unterschwelligen, seltsamen Groll abgeklungen, den man mit einem Lachen überspielt. Wenn mich heute irgendjemand fragt, was Kit so treibt, sage ich Scheiße, keine Ahnung, und wir lachen darüber. Aber er hatte recht vorhin. Ich bin immer noch sauer.

»Hey, Theo«, sagt Calum Rot.

Ich blinzle zurück in Richtung Dover.

»Ja?«

»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du aussiehst wie dieses Mädchen aus dem Beatles-Film, der letztes Jahr rauskam? Die Georges Freundin in den Sechzigern gespielt hat? Joan irgendwas?«

Shit. Nicht das schon wieder, nicht jetzt.

»Sloane.« Ich hatte gehofft, dass die Leute auf dieser Seite des Atlantiks etwas langsamer wären, was diese Erkenntnis angeht. »Sloane Flowerday.«

»Genau die!«, sagt Calum Blond. »Du könntest sie sein! Oder diese andere, hat sie nicht noch eine Schwester, die Schauspielerin ist? Wie heißt die?«

»Este.«

»Ja! Wow, wenn die beiden eine normale Schwester hätten, könntest du die sein. Wie der dritte Hemsworth-Bruder.«

Aus mehr als nur einem Grund beiße ich die Zähne zusammen. »Das höre ich oft.«

Ich wende mich ab und blinzle in die Sonne, während die Calums diskutieren, welche meiner jüngeren Schwestern heißer ist.

»Hey, Theo?«

Kit ist vor uns aufgetaucht, die Hände zurückhaltend in die Taschen gesteckt, die salzige Brise weht ihm die Haare aus dem Gesicht. Er sieht aus wie einer der Helden seiner romantischen Taschenbücher, unterwegs, um irgendjemanden in einem Feld voller Veilchen zu beglücken. Ich bin schon jetzt erschöpft.

»Kann ich kurz mit dir reden?«

Ach, reden will er jetzt mit mir.

Er führt uns außer Hörweite, zu einer kleinen Felszunge hinter einer Lücke im hölzernen Zaun des Pfades. Von hier aus kann ich die Schafe an der Burg weiden sehen, und ich wünsche mir mehr als sonst irgendetwas, ich wäre eines von ihnen. Keine Sorgen, schlecht bezahlte Freelance-Gigs oder berühmte Verwandtschaft, keine falschen Wiedervereinigungen mit Ex-Freunden, die einem das Leben so versaut haben, dass man sich ein neues aufbauen musste. Einfach nur Gras.

Kit setzt sich auf einen kleinen Felsen, legt einen Knöchel auf das Knie des anderen Beines. Ich warte, dass er irgendetwas sagt, anfängt, sich dafür zu entschuldigen, was zwischen uns passiert ist, sich verhält, als sei es überhaupt passiert. Nichts geschieht.

»Worüber wolltest du reden?«, frage ich schließlich.

»Oh«, sagt Kit. »Über gar nichts. Ich habe nur – eure Unterhaltung mit angehört.«

Mit angehört.

Hierbei geht es gar nicht um uns. Es geht um Kit, der mich davor rettet, dass mir Fremde Fragen über meine Familie stellen, weil er besser weiß als alle anderen, welche Gefühle das in mir auslöst. Und jetzt muss ich hier stehen und seine scheißnervige Empathie über mich ergehen lassen.

»Soll ich mich jetzt bei dir bedanken?«

»Was?«, entgegnet Kit. »Nein, ich wollte nur nicht, dass diese Typen vor dir komische Sachen über Este oder Sloane sagen.«

Ich zucke mit den Schultern. »Die Leute sagen mir gegenüber ständig jede Menge Dinge.«

»Ja, das tun sie sicherlich«, sagt Kit. »Ich hatte nur das Gefühl –«

»Mich retten zu müssen, ja, das habe ich verstanden«, unterbreche ich ihn, »aber die Sache ist die, du bist nicht mehr Teil meines Lebens. Also kannst du dich jetzt auch nicht einfach so einmischen, egal, was für ein Gefühl du hast.«

Kit berührt mit einem Finger seine Lippen. »Okay.«

»Ich meine«, rede ich mich langsam in Rage, »wenn es dir um mein Wohlergehen geht, fallen mir ein paar Gelegenheiten ein, zu denen du dich während der letzten paar Jahre dazu hättest herablassen können, mit mir zu sprechen.«

»Theo.«

»Wenn du mir also jetzt etwas sagen möchtest, wie wäre es mit –« Ich verfalle in eine Imitation von Kits musikalischer Sprechweise, komplett mit dem schwachen französischen Akzent, den er einst abgelegt, Paris aber wiedererweckt hat. »›Theo, mir tut das alles so leid. Ich habe dich wirklich behandelt wie das Allerletzte, das war nicht in Ordnung.‹«

»Theo.«

»›Ich hätte dich nie einfach stehen l…‹ Lachst du? Jetzt? Im Ernst?«

»Nur wegen –«

Etwas Wolliges stupst an meinen Oberschenkel.

»Dem da.«

Das da ist ein dickes weißes Schaf, das offenbar der Burgherde entflohen ist. Die Glocke um seinen Hals verrät, dass es nicht sein erster Ausbruch ist.

»Oh«, sage ich. Das Schaf starrt mit feuchtschwarzen Augen zu mir auf und stupst mich noch mal mit der Schnauze an. Die Glocke läutet. »Hi.«

»Ich habe versucht, es dir zu erzählen«, sagt Kit.

Ich tätschle den fluffigen Kopf wie bei einem Hund. Das Schaf blökt anerkennend.

»Was ich gerade sagen wollte –«

Wieder schubst mich das Schaf, diesmal fester.

»Hey! Okay, okay.« Ich versuche, es zu streicheln, aber es zieht den Kopf ein und rammt mich erneut. »Ernsthaft?«

»Baa«, erwidert es.

»Der Punkt ist – aua –, du kannst nicht einfach so tun, als hätten weder ich noch du uns verändert und alles sei in Ordnung, weil –«

»Baa!«

»– weil so ist es einfach nicht.«

Kits Miene ist ernst, sogar als das Schaf seine Zähne in der Naht meines Overalls versenkt.

»Ich habe mich verändert«, bestätigt er. »Und ich bin mir sicher, du auch. Und ich hätte gerne mit dir gesprochen, Theo, aber du hast meine Nummer blockiert. Was genau hätte mir daran verraten sollen, dass du dich über einen Anruf gefreut hättest?«

Ich blicke genau im richtigen Moment hinunter auf das Schaf, um zuzusehen, wie es mir einen Klumpen zerkautes Gras auf die Stiefel hustet. Beinahe den Bus verpasst, fast überfahren worden, jemanden tätlich angegriffen, zugehört, wie jemand meine kleine Schwester »eine heiße Nummer« nennt, von einem Schaf angekotzt und jetzt mit meinem Ex gefangen, der unangenehm gute Argumente vorbringt.

»Es tut mir leid«, sagt Kit. »Alles.«

Kit ist schon mit einem aufrichtigen Gesicht zur Welt gekommen. Er meint, was er sagt, und er sieht auch so aus.

Als ich ihn ansehe, glaube ich ihm, dass es ihm wirklich leidtut. Nicht dass das genug wäre, aber immerhin ist es wahr.

»Und es tut mir leid, dass ich mich einfach eingemischt habe«, fährt er fort. »Alte Gewohnheit.«

Ich denke an Kit, wie er mir mit elf Jahren einen Bienenstachel aus dem Fuß zieht, an Kit mit dreiundzwanzig, wie er mich aufweckt, weil ich zur Arbeit muss und verschlafen habe.

Er öffnet seine kleine Tasche, woraufhin das Schaf endlich seine Aufmerksamkeit von mir abwendet und Kit neugierig beäugt, als er ein paar orangefarbene Stückchen aus einem Plastikbeutel auf seine Handfläche schüttelt.

»Hi, du Schöne«, sagt er mit seiner sanftesten Stimme. »Wie wäre es, wenn du die arme Theo mal in Ruhe lässt und ein bisschen was naschst?«

Das Schaf trippelt zu ihm hinüber und beginnt, ihm aus der Hand zu fressen, sanft und zufrieden wie ein Lämmchen.

»Getrocknete Aprikosen«, verrät er mir.

Gegen meinen Willen entspannt sich mein Kiefer. Wenn ich ehrlich bin, war es vielleicht notwendig, dass er sich von mir fernhält, weil es so schwer ist, in seiner Gegenwart sauer zu sein. Wut ist kein Gefühl, das sich in seiner Nähe hält.

»Weißt du«, sage ich. »Dass du jetzt hier bist – das ist nicht die Reise, die ich mir vorgestellt hatte.«

»Das geht mir genauso«, erwidert er, während er weiter das Schaf füttert.

»Aber dieser Trip ist mir wichtig, okay?«, fahre ich fort. »Also bleibe ich hier.«

»Ja, natürlich. Das solltest du auch.« Er nickt, immer noch entsetzlich aufrichtig. »Ich habe mir überlegt, wenn du dich unwohl fühlst, könnte ich … in Paris aussteigen? Einfach zu Hause bleiben?«

Dann lebt er also wirklich noch in Paris.

Und was noch schlimmer ist, er meint auch das ernst. Ich kann es nicht nur in seinem Gesicht lesen, sondern auch in der Art, wie er seine Schultern hält, dem nachdenklich schief gelegten Kinn.

Er hat sich wirklich verändert. Etwas in ihm ist fest geworden, wie die Mitte einer Crème brûlée, die beim letzten Hingucken noch aus wabbeligem Pudding bestand. Er wirkt irgendwie … vervollständigt. Der Kit, den ich kannte, war ruhelos und hungrig. Die Person hier vor mir ist standfest, in sich ruhend.

Dieser neue Kit glaubt, er tut mir einen Gefallen. Er denkt, er wird damit fertig, ich aber nicht.

Dieser bescheuerte Schafs-Cowboy spielt den Überlegenen.

»Nein, das ist albern«, sage ich. »Mach das nicht.«

Er blinzelt. »Warum nicht?«

»Weil wir beide für unsere Tickets bezahlt haben. Und außerdem kenne ich hier sonst niemanden. Du vielleicht?«

Kit schüttelt den Kopf.

»Falls also irgendwas passiert, dann haben wir wenigstens …« Wie beschreibe ich unverbindlich, was wir füreinander sind? »Jemanden, der unsere Blutgruppe kennt oder was auch immer.«

Kit denkt darüber nach. Das Schaf leckt seine Handfläche ab.

»Du meinst eine Art Freundschaft?«

»Ich meine, dass ich nicht um die halbe Welt geflogen bin, um mich drei Wochen lang komisch und blöd zu fühlen. Ich bin hierhergekommen, um Champagner zu trinken und Cannelloni zu essen, bis mir schlecht wird. Also könnten wir es ja mit … friedlicher Koexistenz probieren.«

Kit zieht die Innenseite seiner Wange zwischen die Zähne, sodass ein hübsches Grübchen entsteht.

»Das fände ich gut.«

»Und vielleicht müssen wir ja nicht über all das sprechen, was passiert ist«, rede ich weiter. »Vielleicht stehen wir es einfach durch. Und dann ist es vorbei.«

Nach einem langen Moment streckt Kit die Hand aus, die nicht voller Schafsabber ist.

»Okay«, sagt er. »Solange es das ist, was du willst.«

Wir besiegeln die Abmachung mit einem Handschlag.

»AB positiv«, sagt Kit. Meine Blutgruppe.

»Null negativ«, erwidere ich. Die seine.

»Baa«, sagt das Schaf.

PARIS

PASST GUT ZU:

 

Ulysse Collin Blanc de Noirs Extra Brut »Les Maillons«, ausgeschenkt von einem nervösen Kellner,

Brioche mousseline

PARIS

Dreimal die Court of Master Sommeliers-Abschlussprüfung zu machen hat mir viel beigebracht. Aber am wichtigsten: Meine Nase ist ein Naturtalent.

Wenn ich über einem Blind Tasting vor den ausdruckslosen Mienen der Prüfenden sitze, beruhigt mich der feine Unterschied zwischen einer Fenchel- und einer Anisnote. Wenn das Timo abends schließt und die Spülcrew handgefüllte Zweiundvierzig-Dollar-Tortellini in den Mülleimer kratzt und der Chefsommelier ein Glas Weißwein vor mir abstellt und mich auffordert herauszufinden, welcher es ist, erkenne ich die Würzigkeit einer Traube, die auf rotem Schiefer gewachsen ist, genauso wie die Leichtigkeit, die sandige Küstenregionen mit sich bringen.

Ein Teil davon ist Übung – an Obst und Gemüse schnuppern, beim Bergwandern an Steinen lecken, ein Rocky-Balboa-Trainingszusammenschnitt aller Besuche jedes botanischen Gartens in Südkalifornien –, aber Instinkt kann man nicht trainieren. Man musste mir nicht beibringen, die weiße Pfeffernote im neuen Spezialgericht mit einer Flasche Aglianico zu paaren oder einen Gimlet zu mixen, der schmeckt wie die Erinnerung der Braut an das Parfum ihrer Mutter. Meine Nase sagt es mir einfach. Wenn ich unsicher oder eingeschüchtert bin, oder besorgt, ich könnte etwas falsch machen, dann ist das etwas, worauf ich mich stets verlassen kann.

Also öffne ich das Fenster meines Einzelzimmers in Paris, schließe die Augen und atme tief ein. Duftnoten: dunkel gerösteter Kaffee, frisches Brot vom Café die Straße hinunter, die Aromen von Fingerhut und Holunder aus den Gärten, Sulfur vom vulkanischen Element der Pflastersteine, Autoabgase und Efeu und Zigarettenrauch.

Mein Herzschlag verlangsamt sich. Meine geballten Fäuste lockern sich. Ich öffne die Augen und betrachte die rötlichen Ziegel von Montmartre, die schiefergedeckten Mansardendächer, die Stadt, die sich am Fuß des Hügels erstreckt.

Ich schaffe das. Es wird Spaß machen. Es ist eine morgendliche Patisserie-Tour durch Paris, nicht der internationale Strafgerichtshof in Den Haag. Es spielt keine Rolle, dass Kit mich quasi für die Pariser Patisserie verlassen hat. Es spielt keine Rolle, dass ich den Sternen einst leise geschworen habe: Ich will nie wieder wissen, wie es Kit geht, ich stelle ihn mir lieber für den Rest aller Zeiten vor, wie er einsam in einem leeren Raum sitzt, woraufhin mir das Universum ein Live-Rollenspiel in Kits Alltag geschickt hat – mit Kit als NSC.

»Ich bin in Paris«, sage ich laut, während ich in ein Paar helle, verwaschene Jeans und ein kastenförmiges Leinenhemd schlüpfe. »Ich bin in Paris«, sage ich mit einem Blick in den Spiegel, dankbar für meinen kurzen, unaufwendigen Shag-Haircut. »Ich bin in Paris«, sage ich beim Verlassen des Zimmers, als würde es aufhören, sich so seltsam und groß anzufühlen, wenn ich es nur oft genug ausspreche.

Ich bin hier. Es macht mir nichts aus. Ich übe mich in friedlicher Koexistenz. Ich sehe großartig aus, rieche gut und werde gleich mein Körpergewicht in Choux à la crème verspeisen.

Kit taucht auf, als ich gerade auf den klapprigen alten Aufzug warte.

Es überrascht mich, ein so auf Annehmlichkeiten bedachtes Wesen wie Kit in unserem winzigen Montmartre-Hostel zu sehen, wenn doch seine eigene kleine Wohnung nur ein paar Meilen entfernt liegt, andererseits hat er es schon immer geliebt, sich ganz auf etwas einzulassen. Wahrscheinlich ist er begeistert von der Idee, Tourist zu spielen. Alles zu probieren, als sei es das erste Mal, sich ganz neu zu verlieben, sich dem ästhetischen Orgasmus hinzugeben.

»Morgen«, sagt er mit einem kleinen Lächeln.

»Morgen«, erwidere ich.

Mein Blick fällt auf sein lockeres Leinenhemd und die hellblaue Hose. Dann sehe ich an mir selbst herunter und versuche, einen Fluch zu unterdrücken.

»Wir tragen –«, fängt er an.

»– das gleiche Outfit«, schließe ich. »Weißt du was? Ich nehme die Treppe.«

---

»Hak deinen Namen ab, Liebes, damit ich weiß, dass ich niemanden hier stehen gelassen habe«, sagt Orla und hält mir ein Klemmbrett hin.

Ich male ein Häkchen hinter Flowerday, Theodora, setze mich auf meinen Platz in der letzten Reihe und ziehe mein Handy aus der Tasche. Sloane hat geschrieben: Wir haben gerade das neue skript gekriegt, und lincoln hat jetzt doppelt so viel text. Hundertpro schläft er mit dem regisseur. Was treibt kit?

Gestern Nacht hat sie zwischen zwei Szenen angerufen und sich alles bis ins kleinste Detail erzählen lassen. Kit ist ein schwieriges Thema bei meinen Schwestern: Sie kennen ihn schon, solange ich denken kann, und er ist, nun ja, Kit. Sogar nach allem, was passiert ist, weiß ich, dass sie nur aus Loyalität zu mir den Kontakt zu Kit und seinen Geschwistern aufgegeben haben, und wir waren die einzige Ausnahme für Sloane, die Liebe ansonsten für Zeitverschwendung hält. Es besteht die Möglichkeit, dass sie das hier tatsächlich gut findet.

Ach, weißt du, antworte ich, er ist eben kit. Dann: Hast du überlegt, auch mit dem regisseur zu schlafen?

Nicht jedes Problem lässt sich lösen, indem man damit schläft, erwidert Sloane.

Nicht mit dieser einstellung.

Ich sehe Kit kommen und rutsche auf den Fensterplatz, bevor er die Chance hat, ihn mir großmütig anzubieten.

»Ich wollte dich gerade fragen, ob du am Fenster sitzen möchtest«, sagt Kit, als er sich setzt, »schließlich bist du das erste Mal in Paris.«

Ich zwinge mich zu einem Lächeln.

»Woher weißt du, dass ich nicht in Paris war, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?«

»Das weiß ich natürlich nicht«, gibt Kit zu. »Warst du?«

Ich verschränke die Arme. »Nein. Aber es hätte ja sein können.«

Orla bringt uns auf einer malerischen Route zu unserer heutigen Tour. Wir rasen um den großen, gesetzlosen Kreisel am Arc de Triomphe und die Champs-Élysées zu den Parks am Saum des Louvre hinunter, dann über die silbrig grüne Seine und um die Insel herum, auf der Notre-Dame thront. Es ist ein beinahe wolkenloser Augustmorgen, und die Sonne glitzert auf der goldenen Kuppel des Hôtel des Invalides. Fabrizio erzählt uns, wie Napoleon Paris in Arrondissements unterteilt hat, das hübsche Netz aus einheitlichem Kalkstein und Schiefer. Alles ist pfirsich- und cremefarben, bis auf die Gärten, die in üppigem Grün erstrahlen. Als wir am Park gegenüber dem Le Bon Marché ankommen, wartet eine Frau neben dem Karussell, die das schwarze Ensemble eines Menschen trägt, der überall sonst lieber wäre als in direkter Nachbarschaft einer Freizeitattraktion für kleine Kinder. Ihr lavendelfarbenes Haar ist zu einem strengen kinnlangen Bob geschnitten, und sie ist klein, auch wenn die Stiefel sie ein paar Zentimeter größer machen. Sie beäugt Fabrizios Stockpuppe mit stummer Abneigung und nimmt stoisch einen Luftkuss von ihm entgegen, sogar als einer von Pinocchios herabbaumelnden Füßen sie an die glatte, ernste Stirn trifft.

»Liebe Reisende, das ist Maxine!«, verkündet Fabrizio. »Sie ist Patissière hier in Paris und leitet seit letztem Jahr unsere Patisserie-Tour. Kennt die exklusivsten Geschäfte und bestellt nur das Beste für uns. Maxine, möchtest du dich kurz vorstellen?«

»Ich bin Maxine«, sagt Maxine mit einer solchen Endgültigkeit, dass Kit ein Lachen unterdrückt.

»Okay!« Fabrizio klatscht in die Hände. »Andiamo!«

Maxine führt uns aus dem Park und zu einem kleinen Eckladen mit schlichtem schwarzem Schild mit der Aufschrift HUGO & VICTOR.

»Hier fangen wir an«, sagt Maxine in kantigem Englisch. »Meine Lieblingspatisserie in ganz Paris.«

Der Laden ist so klein, dass sich immer nur ein paar von uns abwechselnd hineinquetschen können, aber der Duft ist himmlisch. Eine Auslage besteht komplett aus handgemachten Pralinen in Schachteln, die aussehen wie Hardcover-Ausgaben von Victor Hugo. Eine andere ist gefüllt mit kunstvoll hergestellten Marshmallows. Es gibt gläserne Kuchenglocken voller von aufgeschnittenen Feigen gekrönter Baiserwolken, rundem, sonnengelbem Yuzu-Käsekuchen und zu exakten Dreiecken geschnittenen Törtchen – Grapefruit, Limette, Apfel und Karamell, Tonkabohne, Passionsfrucht. Maxine bestellt einen ganzen Berg voller Köstlichkeiten und schwebt dann zwischen den auf dem Gehweg vor dem Laden aufgestellten Tischen umher und erklärt uns alles.

»Diese hier nennt man Financiers.« Sie deutet auf einen kleinen, wie ein Brotlaib geformten Mandelkuchen und erzählt, dass man sagt, der Name stamme von der Fähigkeit, in den Taschen der Pariser Börsenmakler stundenlang die Form zu behalten. »Und das hier – könntest du –« Sie gestikuliert.

Und Kit, der am nächsten steht, nimmt ihr den Financier ab und tauscht ihn gegen ein schlauchförmiges Gebäckstück mit goldener Kruste und zuckergussgekrönter Spitze ein. Erinnert ziemlich an einen Penis.

»Danke«, sagt sie. »Das hier ist meine liebste Brioche in ganz Paris. Wärst du so nett?«

Auf ihre höfliche Aufforderung hin schneidet Kit die Brioche vorsichtig auf und offenbart die eingeschlossenen Luftblasen und die cremige Himbeerfüllung.

»Perfekt, mon cher«, sagt sie. Er lächelt, zufrieden, sie zufriedengestellt zu haben. Klassenliebling. »Die typische Brioche, die man sonst im Laden kauft, ist ein einfacher Laib, ja? Das hier ist Brioche mousseline. Sie wird traditionell in einer Zylinderform oder sogar einer Blechdose gebacken und enthält zweimal so viel Butter wie gewöhnliche Brioche. Die Brioche der Reichen. Ihr werdet schmecken, wie –«

Jemand an einem anderen Tisch unterbricht sie mit einer Frage. Kit murmelt ihr etwas auf Französisch zu, und als sie nickt, wendet er sich ab.

»Das kann ich dir beantworten.«

Maxines hübsche Lippen verziehen sich zu einem kleinen Lächeln, während sie beschreibt, wie der Briocheteig hergestellt wird, und ich werfe einen misstrauischen Blick von ihr zu Kit.

Kit hat etwas an sich – wir haben es immer sein »Problem« genannt –, das dafür sorgt, dass sich ständig Leute aus Versehen in ihn verlieben. Der Zufall hat ihm zusätzlich zu seiner Art, jede menschliche Interaktion mit vollkommenem, aufrichtigem Interesse anzugehen, auch noch das Gesicht eines hübschen kleinen Gott-Prinzen geschenkt. Der Versuch eines belanglosen Flirts mit ihm ist wie die Idee, mit der Sonne über das Wetter zu diskutieren.

Wenn meine erste Erfahrung in Paris daraus bestehen sollte, Maxine dabei zuzusehen, wie sie sich direkt vor meiner Penis-Brioche in Kit verliebt, stürze ich mich in die Seine.

Weiter geht es durch das sechste und siebte Arrondissement, zu Patisserien, Bäckereien und Chocolaterien. Meine Daumen können fast nicht so schnell tippen, wie ich mir auf dem Handy Notizen mache. In einem schmalen Schokoladengeschäft, dessen Wände von antiken Zigarettenautomaten gesäumt sind, reicht Maxine Papiertütchen mit cremiger einhundertprozentiger Bitterschokolade herum. In einer eleganten Patisserie, die einem französischen Chefkoch gehört, probieren wir Kuchen mit einer Oberfläche glatt wie Glas und geformt wie Mangos und Haselnüsse und, mein Favorit, einen komplexen kleinen Olivenölkuchen in Form einer grünen Olive.

Ich versuche, mich auf den Geschmack zu konzentrieren, aber es ist schwer, nicht zu bemerken, wie Kit durch die Straßen von Paris geht, als wäre er hier geboren. Es ist eine Sache, sich erst das Leben mit einer Person zu teilen und ihr dann von außen zuzusehen, es ist jedoch eine ganz andere, wenn man dabei Zeuge des Lebenstraums wird, für den sie dich verlassen hat. Hier geht er einkaufen. Er holt Brot aus der Bäckerei und verabredet sich zum Mittagessen. Während wir anderen den Eiffelturm begaffen, geht er zurück in eine der Patisserien, um sich mit dem Chef zu unterhalten, als wären die beiden alte Freunde. Falls er jemals auf diesen Pflastersteinen steht und an sein Leben mit mir denkt, empfindet er es wahrscheinlich als seltsam. Klein, niedlich, ein bisschen peinlich.

Unsere vorletzte Station ist ein Macaron-Geschäft, und wir setzen uns auf den Platz um die Fontaine Saint-Sulpice, um sie herumzureichen, während wir Geschmacksnoten kosten, die so viel größer sind als ihre zarten Hüllen: Banane und Acai, Lychee mit Himbeere und Rose, Yuzu mit Wasabi und kandierter Grapefruit.

Ich betrachte den Brunnen und denke mir Namen für die Heiligen in den Nischen aus – St. Edna die Indignierte, Schutzpatronin all derer, die ihren Ex mit einem Schokoladenlöffel erstechen, weil sie zu einer kuriosen Nebenrolle seiner Vergangenheit degradiert wurden –, als jemand sagt: »Du kommst mir wirklich bekannt vor.«

Es ist eine der beiden Mittzwanziger-Mädchen, die ich schon bei meinem ersten Gang durch den Bus gesehen habe, die kleinere mit dem glänzend schwarzen Haar. Mittlerweile habe ich mitbekommen, dass sie und ihre Freundin irgendwelche Reise-Influencerinnen sind.

»Ich glaube nicht, dass wir uns schon mal begegnet sind«, antworte ich und bete, dass mich nicht schon wieder jemand der Familie Flowerday zuordnet.

»Doch, ich glaube schon«, antwortet sie. »Du hast bei der Coachella-After-Party die Drinks im Saguaro gemixt, oder? In der Bar in diesem großen Van?«

Ich blinzle ein paarmal erstaunt. Ich habe tatsächlich auf dieser Party gearbeitet. Eines der Dinge an einer mobilen Miet-Bar in einem Volkswagen Bulli ist, dass die Influencer-Szene sie liebt.

Ich hatte gehofft, jemand von ihnen würde mich für einen weiteren Job buchen, aber niemand schien sich an mich zu erinnern.

»Da warst du?«



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