The School for Good and Evil, Band 6: Ende gut, alles gut? - Soman Chainani - E-Book

The School for Good and Evil, Band 6: Ende gut, alles gut? E-Book

Soman Chainani

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Beschreibung

Es kann nur einen wahren König geben! Doch das Böse hat immer noch die Oberhand – und Sophie befindet sich erneut in seiner Gewalt. Agatha und ihre Freunde an der Schule für Gut und Böse setzen alles daran, Tedros wieder auf den Thron zu verhelfen. So wollen sie nicht nur Sophie, sondern auch die beiden Lager Gut und Böse vor dem Untergang bewahren. Der Kampf um die Krone beginnt. Nur einer kann gewinnen … Band 6 der märchenhaften Fantasy-Reihe

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2021Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger VerlagDeutsche Erstausgabe© 2021 Ravensburger Verlag GmbHTitel der Originalausgabe »The School for Good and Evil #6: One True King«Textcopyright © 2020 Soman ChainaniCover and map illustration copyright © 2020 Iacopo BrunoDieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.Lektorat: Tamara ReisingerAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-47197-3www.ravensburger.de

Für alle Leser, Gut und Böse

In einem tiefen, dunklen TannLiegt eine Schule wundersam.Die Schule für Gut und Böse.Zwei Türme wie ZwillingsköpfeEiner für die Reinen,Einer für die Gemeinen.Es gibt kein Entrinnen,Der Wald ist ein Graus,Nur durch ein MärchenFind’st du hinaus.

In manchen Geschichten steckt von Anfang an der Wurm drin, dachte Hester, während sie durch den dunklen Wald lief. Wie in der, in der ihre Mutter getötet wurde. Ihre Mutter hatte still und friedlich in ihrem Pfefferkuchenhaus gelebt, als zwei rotznäsige Teenager auftauchten und sich einfach durch ihr Dach fraßen. Hester, die allein in ihrem Kinderbettchen lag, schreckte aus dem Mittagsschlaf hoch und starrte in die Gesichter von zwei hässlichen Gestalten, die den Mund voller Zuckerguss und Pfefferkuchenkrümeln hatten. Als sie Hester in ihrem Bettchen sahen, ergriffen sie feige die Flucht und überließen das hilflose Kind, das sie gerade zur Waise gemacht hatten, einfach seinem Schicksal. Und dafür waren sie auch noch belohnt worden, während Hesters Mutter qualvoll im Ofen verbrannte. Seit damals stieg Hester jedes Mal dieser süßliche, unheilvolle Geruch in die Nase, wenn etwas faul war oder eine Geschichte aus dem Ruder zu laufen drohte …

So wie jetzt.

In diesem Fall war es eine kurze Geschichte oder eigentlich nur eine Ankündigung, aber Hester sträubten sich die Nackenhaare wie bei einer Katze, die in ein Schlangennest getreten war. Sie wusste nicht, wie lange die Botschaft von Löwenmähne schon dort oben hing, hoch über dem Endloswald. Die Schrift war jedenfalls schon da gewesen, als Hester nach ihrer tagelangen Reise durch Gnomland an die Oberfläche gekommen war.

DIE HOCHZEIT VON KÖNIG RHIAN UND PRINZESSIN SOPHIE FINDET WIE GEPLANT AM KOMMENDEN SAMSTAG BEI SONNENUNTERGANG IM SCHLOSS VON CAMELOT STATT. ALLE BÜRGER DES WALDES SIND HERZLICH DAZU EINGELADEN.

Die Botschaft, wie immer mit goldenen Buchstaben geschrieben, hob sich schimmernd von den Wolken ab. Aber König Rhian hatte sich als Lügner herausgestellt, alle seine Verlautbarungen waren heimtückische Fallen. Die hier war jedoch anders, die Sprache nicht so pompös und schwülstig wie sonst. Nur einfache, ungeschminkte Fakten, die dennoch etwas Doppeldeutiges hatten, ohne dass sie sagen konnte, was genau sie daran störte.

Ein Schatten tauchte an Hesters Seite auf.

»Das ist idiotisch, Hester. Wir müssen sofort umkehren«, drängte die rotäugige Anadil mit den weißen Haaren, die unter ihrer schwarzen Kapuze hervorlugten. »Sophie hat uns verraten. Bei Sonnenuntergang heiratet sie Rhian, und die Sonne geht bald unter. Entweder wir sausen nach Camelot zurück und verhindern diese Hochzeit, oder wir sind alle verloren.«

Hester gab keine Antwort, starrte nur auf die Lichter von Borna Coric, die in der Ferne schimmerten. Wenn sie dieses neue Königreich betraten, mussten sie vorsichtig sein. Wie alle Bürger des Waldes würden die Borna-Coricaner jeden Schüler der Schule für Gut und Böse mit ihrem Hass verfolgen.

Ein zweiter Schatten tauchte an ihrer Seite auf.

»Ani hat recht«, sagte Dot, die ebenfalls nur Schwarz trug. »Und wie sollen wir überhaupt in diese Höhlen kommen? Das schaffen wir nie. Aber wenn wir jetzt umkehren, können wir in Rabenbogen einen der unterirdischen Flowerpower-Züge nehmen. Damit kommen wir noch rechtzeitig nach Camelot, um die Hochzeit zu verhindern …«

»Und lassen Merlin im Stich?«, empörte sich Hester. »Schlitzer verlässt sich darauf, dass wir unseren Job machen und den Magier aus den Höhlen von Contempo retten – er ist unsere wirksamste Waffe. Nicht Sophie ist unsere Mission, sondern Merlin! Und seit wann gibt unser Zirkel Versprechen, die er nicht einhalten kann?«

Ungeduldig marschierte sie los, aber Anadil versperrte ihr den Weg.

»Unser Versprechen ist sinnlos, wenn Rhian der Eine und Wahre König wird!«, beharrte sie. »Und davon trennen ihn nur noch zwei Dinge: Alle Waldreiche müssen ihre Ringe verbrennen. Und er muss Sophie heiraten und zu seiner Königin machen. Dann geht die Macht des Storikers auf ihn über. Wenn die Trauung schon heute Abend stattfindet, bedeutet das, dass alle Ringe verbrannt sind. Die Hochzeit mit Sophie ist der letzte Schritt, das hat sie uns selbst in Gnomland erzählt. Sobald sie Rhians Königin ist, wird Löwenmähne der neue Storiker. Und dann wird alles wahr, was Rhian schreibt. Er kann ganze Königreiche auslöschen, unsere Freunde töten, uns alle drei mit einem einzigen Federstrich vernichten. Unsere Geschichte wäre zu Ende!«

»Es können nicht alle Ringe zerstört sein, solange Nottingham seinen noch hat. Solange Dots Vater ihn hat«, stellte Hester kühl fest. »Und der Sheriff würde niemals seinen Ring für Rhian verbrennen. Er hasst ihn noch mehr als wir. Aber selbst wenn der Sheriff sterben würde, geht sein Ring an Dot weiter. Und wir würden alles tun, um Dot und diesen Ring zu beschützen. So wie wir Merlin beschützen werden.« Hester drängte sich an Anadil und Dot vorbei und zog ihre Kapuze tiefer in die Stirn.

»Kapierst du’s denn nicht? Sophie heiratet ihn!«, zischte Anadil. »Entweder, um sich selbst zu retten, oder weil sie Königin von Camelot werden will.«

Hester schnaubte. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass Sophie Rhian heiratet? Nachdem sie uns geholfen hat, aus seinem Verlies zu entkommen?«

»Aber genau das schreibt Rhian«, wandte Dot ein. »Es steht in seiner Geschichte!«

»Seiner Geschichte?« Hester funkelte die Schrift am Himmel an. »An dieser Botschaft ist etwas faul. Und solange ich nicht weiß, was es ist, halten wir an unserem Plan fest. Außerdem ist Sophie eine bessere Hexe als wir alle zusammen. Ich wette mit euch, dass sie den König ganz schön an der Nase herumführt.«

»Hester, die Sonne geht in einer Stunde unter …«, drängte Anadil.

»Umso wichtiger ist es, dass wir Merlin zuerst finden. Er ist unsere beste Chance, Rhian zu besiegen. Deshalb hat Rhian ihn ja auch in die Höhlen verbannt.«

»Und warum bringt er ihn dann nicht einfach um? Woher weißt du, dass Merlin nicht schon längst tot ist oder seinen Magierwunsch verbraucht hat? Vielleicht ist das nur eine falsche Fährte, um uns in den Tod zu locken?«

»Magierwunsch?«, wiederholte Dot. »Du meinst den Wunsch, den man in Aladdins Höhle freihat?«

»Das ist ein Dschinnwunsch, du Idiot. Kein Wunder, dass du in Lessos Prüfung durchgefallen bist«, knarzte Anadil. »Jeder Magier hat einen Wunsch frei. Und die meisten sparen diesen Wunsch auf, um damit ihren Todestag zu bestimmen …«

»Merlin hätte seinen Wunsch niemals verbraucht, solange er uns in Gefahr weiß«, zischte Hester, während sie auf die Tore von Borna Coric zuging. »Merlin ist da draußen. Und er braucht unsere Hilfe.«

»Denk doch mal nach, Hester. Angenommen, er ist tatsächlich dort«, sagte Anadil. »Die Höhlen von Contempo sind Zeitfallen. Selbst wenn du nur wenige Sekunden drin bist, kommst du um Jahre gealtert wieder raus. Und Merlin ist seit Wochen da!«

»Dann geh doch ohne mich zurück!« Hester wollte gerade durch das Tor stürmen …

Doch plötzlich hielt sie inne. Dot und Anadil ebenso.

Der Waldboden war einem Himmel gewichen. Statt dem schmalen Trampelpfad zu folgen, standen die Hexen auf dem Sonnenuntergang, einer glühenden Leinwand aus Pink und Violett. Löwenmähnes Botschaft war vom Himmel unter ihre Füße gerutscht und pflasterte den Weg vor ihnen. Die goldenen Lettern waren so groß wie Häuser, und die Ankündigung von König Rhians Hochzeit stellte den neuen Pfad dar. Während sie vorsichtig darauf entlangbalancierten, drang Hester schon wieder dieser verdächtige süßliche Geruch in die Nase, und sie tastete mit gesenktem Kopf Rhians Worte nach der Fäulnis ab, die hinter den Buchstaben lauerte.

»Hester?«, sagte Dot, die nach oben starrte.

Hester blinzelte.

Nicht nur der Himmel war von oben nach unten gerutscht.

Das ganze Königreich Borna Coric stand auf dem Kopf.

Hester hatte schon von diesem Land gehört, in dem die Welt verkehrt herum war, aber die Wirklichkeit war dennoch erschreckend. Der Boden hing hoch am Himmel, eine Decke aus Erde, während der Himmel unten verankert war, wo normalerweise der Boden hätte sein müssen. Violette Bohnenranken wuchsen aus dem Erddach hervor und wanden sich bis auf den flachen Wolkenboden hinunter.

Auf dem Kopf stehende Häuser schmiegten sich zwischen die Bohnenranken, und auch die Bewohner standen auf dem Kopf, zusammen mit ihren Möbeln und anderen Besitztümern; die Gesetze der Schwerkraft galten hier nicht. Zwischen den Bohnenranken spannte sich ein Straßennetz aus violetten Rankenleitern und Flaschenzügen, und eine umgekippte Blumenbrücke führte vom Dorf zum Hauptplatz. Die Hexen durchquerten diesen quirligen, mehrstöckigen City-Bereich mit seinen unzähligen verkehrt herum stehenden Läden, die zwischen riesige Skulpturen gebaut waren. Königliche Denkmäler, wie Hester bei näherem Hinsehen erkannte; die steinernen Köpfe des Königspaars von Borna Coric und ihrer Kinder waren allesamt am Himmelsboden verankert. Beim Näherkommen fiel ihr auf, dass die gemeißelten Gesichter des Königspaars seltsam jung wirkten. Fast noch jünger als die ihrer Kinder.

»Gruselig«, brummte Anadil. Die drei Hexen hielten sich im Schatten der Skulpturen und beobachteten die Leute, die – natürlich verkehrt herum – an ihnen vorbeieilten. »Wir fallen hier auf wie bunte Hunde, Hester. Wir stehen als Einzige nicht auf dem Kopf. Außerdem sind die Höhlen doch von einem giftigen Meer umgeben, aber ich sehe hier nirgends Wasser, geschweige denn ein Meer, du etwa?«

»Muss hinter all dem hier sein.« Hester stellte sich auf die Zehenspitzen, konnte aber nur weitere Läden und Skulpturen ausmachen. »Wir müssen uns durchschleichen, ohne dass uns jemand erkennt.«

»Und dann ein giftiges Meer überqueren, das wir noch nicht mal finden.« Anadil schnaubte. »Ganz zu schweigen davon, dass wir eine verhexte Höhle betreten sollen.«

»Wenn du deine Ratten als Kundschafter hättest, wärst du wenigstens zu was nütze, statt nur ein Klotz am Bein«, murrte Hester genervt.

»Eine ist tot, die zweite verschwunden. Die dritte hat Merlin gefunden und Täubchen gesagt, wo er ist. Ohne meine Ratten wären wir gar nicht erst hier. Also wer ist hier zu nichts nütze?«, fauchte Ani zurück.

Hester hörte nicht mehr hin. Sie schlich bereits voraus und spähte an den mehrstöckigen Ladenfassaden hoch. Die Kunden im Borna-Backhaus – verkehrt herum stehend – füllten ihre Einkaufswagen mit Baguettes und Brioches und Kuchen. Im Tapferen Schneiderlein direkt daneben brachten Schwärme von lila Motten ausgebesserte Kleider aus diversen Regalen zu den wartenden Kunden. Ein Haus weiter – in Sylvies Salon – saßen Männer und Frauen kopfüber auf Stühlen und blätterten in Zeitschriften, während schwebende Nymphen ihnen die Haare schnitten.

»Ist diese verkehrte Welt nicht schon verrückt genug, auch ohne dass tatsächlich alles auf dem Kopf steht?«, wunderte sich Anadil.

»Vielleicht sehen sie so die Dinge klarer«, sinnierte Hester.

»Hey, guck mal – also wenn du mich fragst, sind die so blind wie alle anderen auch«, sagte Anadil.

Hester folgte ihrem Blick zu einem Kuppelbau, der an der Spitze einer lila Bohnenranke hing wie eine Weihnachtskugel. »Borna Bowl« stand auf der Markise des Kinos. Im Inneren verfolgte das auf dem Kopf stehende Publikum gebannt eine magische, in graues Licht getauchte Übertragung von König Rhians Krönung. Bei der vertrauten Szene, in der Rhian seine künftige Königin an sich zieht, hingen die Zuschauer verzückt an seinen Lippen, saugten jedes Wort in sich auf, während kopfüber herumwuselnde Händler Löwenmähne-Souvenirs verscherbelten – Krüge, Hemden, Hüte, Anstecknadeln, …

»Und so was nennt sich Unterhaltung? Die Krönung dieses Monsters immer wieder anzusehen?«, zischte Hester, die Rhians Rede aus dieser Entfernung nicht hören konnte.

»Läuft wahrscheinlich jede Stunde.« Anadil hatte den Kopf zur Seite gelegt, um besser sehen zu können. »Aber komisch. Kann mich nicht erinnern, dass die Krönung aufgezeichnet wurde.«

In dem Moment kam eine braunhäutige Familie in farbenprächtigen Gewändern auf der Himmelsstraße an ihnen vorüber; neugierig und mit großen Augen betrachteten sie das Borna Bowl und das restliche auf dem Kopf stehende Königreich. Touristen aus Drupati vermutlich. Hester setzte ein Lächeln auf, genau wie Ani neben ihr. Die Familie lächelte zurück, aber ihr Lächeln erlosch, als sie Dot entdeckten, die sich im Hintergrund hielt und mürrisch ein paar Weinblätter mit ihrem Fingerglühen in Schokolade verwandelte.

»Dot, die Leute sehen dein Fingerglühen«, zischte Hester und zerrte sie weg. »Und hör auf zu schmollen!«

»Es ist nur …«, wimmerte Dot, »also, was du vorhin gesagt hast … Wenn Daddy stirbt, geht der Ring von Nottingham nicht an mich über. Daddy hat sein Testament geändert, als ich Robin Hood freigelassen habe.« Hektisch verwandelte sie das nächste Weinblatt in Schokolade, ihr glühender Finger zitterte leicht dabei. »Wenn Rhian Sophie heiratet, hat er vermutlich schon Daddys Ring. Und ich bin schuld. Weil Daddy mir nicht mehr vertraut hat. Und das bedeutet, dass Daddy vielleicht … dass er vielleicht …«

Zum ersten Mal bröckelte Hesters kalte Fassade. »Schuld ist etwas, worüber wir Hexen uns keine Gedanken machen«, wehrte sie ab, während sie Dots Fingerglühen mit der hohlen Hand verdeckte. »Denk mal dran, was wir alles in Kauf genommen haben, um hierherzukommen. Alle drei. Und wir sind noch am Leben, Dot. Bald haben wir Merlin erreicht. Und okay, vielleicht hat dein Dad sein Testament geändert, weil er enttäuscht von dir war, aber das ist jetzt nicht mehr so. Er liebt dich, Dot. Er hat sich deinetwegen sogar mit Robin Hood zusammengetan – seiner Nemesis –, nur um dich zu schützen. Wo immer er jetzt sein mag, er würde wollen, dass wir unsere Mission zu Ende bringen.«

Mit gesenktem Kopf dachte Dot über Hesters Worte nach, dann holte sie tief Luft und warf die Schokolade weg. »Nur damit das klar ist – ich glaube immer noch, dass Sophie zu Rhian zurückgegangen ist. Wie damals bei Rafal. Wahrscheinlich war sie zu lange mit Agatha und Tedros zusammen – und irgendwann wurde sie so eifersüchtig, dass sie jeden geküsst hätte. Sogar einen Lügner und Mörder wie Rhian.«

»Gibt Schlimmeres«, brummte Hester. »Sie könnte auch die Schlange küssen.«

Dot schnaubte nur.

In dem Moment fegte ein eisiger Wind über den Platz, sodass die Hexen sich tiefer in ihre Umhänge duckten und die magische Leinwand im Borna Bowl zu flimmern begann. Plötzlich fing Hester etwas in der Luft auf … einen Geruch, der ihr den Atem raubte und ihren Dämon zucken ließ.

»Das Meer«, flüsterte sie und wirbelte zu den anderen herum. »Es ist ganz nahe.«

Entschlossen marschierte sie los. Die drei Hexen huschten wie Fledermäuse über den dunkler werdenden Himmelsboden. Sorgfältig mieden sie den Lichtschein der auf dem Kopf stehenden Laternen, die entlang der Bohnenranken aufflammten. Sie passierten das Borna Bowl, aus dem Rhians Stimme jetzt lauter herausschallte. Der Salzgeruch des Meeres drang immer stärker in Hesters Nase.

»Warte!«, rief Dot aufgeregt. »Schau dir mal ihr Kleid an!«

»Psst«, zischte Ani sie an.

»Aber das hat Sophie gar nicht bei ihrer Krönung getragen. Seid ihr sicher, dass das eine Aufzeichnung ist?«

Hester hielt inne. Anadil ebenso.

Beide legten den Kopf schief und starrten auf den Magicast, der natürlich verkehrt herum lief. Rhian und Sophie in Großaufnahme, mit strahlenden Gesichtern …

»Bürger des Waldes, ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen würde. Heute Morgen musste ich erfahren, dass Japeth von Fuchswald, mein Bruder und Vasall, sich mit Tedros und Agatha gegen mich verschworen hat«, donnerte Rhian. »Mein Bruder, so glaubte ich, sei mir treu ergeben. Der Adler des Löwen. Und nun entpuppt er sich als falsche Schlange, genau wie alle anderen. Aber der Löwe siegt immer. Wenn ihr diese Übertragung seht, sitzt Japeth bereits in meinem Verlies und wird nie wieder das Tageslicht erblicken. Unser Wald wird von Rebellen bedroht, und selbst meinem eigenen Fleisch und Blut kann ich nicht mehr vertrauen. Nur bei mir findet ihr Schutz. Nur ich kann eure Feinde bestrafen. Und ich werde dafür sorgen, dass dieser Wald sicher ist.«

»Dot hat recht. Das ist keine Aufzeichnung«, sagte Anadil. »Das ist … jetzt.«

»Dingdong, die Schlange ist fort«, trillerte Dot. »Da hat Rhian wenigstens mal was Gutes gemacht.«

Aber Hester behielt ihre Augen auf dem König, lauschte seiner kalten Stimme, nahm die Leere in seinem Blick wahr, das leichte Schillern seiner Jacke, wie von sich windenden Sicheln … Sophie neben ihm lächelte starr, wie ferngesteuert. Der König packte sie noch fester.

»Aber kein Verräter kann den Ruhm unseres Königreichs verhindern«, fuhr er fort. »Ich mag einen Vasallen verloren haben, aber dafür werde ich eine Königin gewinnen. Die Hochzeit mit meiner wahren Liebe findet wie angekündigt statt und wird magisch übertragen, damit der ganze Wald daran teilnehmen kann. Und ich verspreche euch bei allem, was mir heilig ist: Wenn Sophie und ich erst vereint sind, wird in unserer Welt alles möglich sein.«

Er schaute Sophie an, die ihr künstliches Lächeln aufrechterhielt und direkt in die Kamera schaute.

»Lang lebe Löwenmähne«, rief sie. »Lang lebe der Eine und Wahre König!«

Das Bild fror bei dieser Schlussszene ein, und eine Schrift schob sich magisch darüber:

DIE HOCHZEIT VONKÖNIG RHIAN UND PRINZESSIN SOPHIELiveübertragung in 30 Minuten

»Siehst du, wir hatten recht«, flüsterte Dot Anadil zu. »Sophie heiratet Rhian!«

Aber Hester schaute auf den eingefrorenen König – seine Pupillen, die wie schwarze Löcher waren, seine schlangenhaft gekräuselten Lippen … Langsam wanderte ihr Blick zu Sophie, die in seinen Armen gefangen war. Alles Licht in ihren Augen war erloschen, die Hexe in ihr vollständig ausgemerzt.

Und plötzlich roch Hester es wieder. Diesen süßlichen, fauligen Geruch, der sie förmlich überrollte.

Verrat im Verzug!

»Die Schlange ist der Löwe … der Löwe ist die Schlange …«, murmelte sie vor sich hin.

Anadil runzelte die Stirn. »Was ist, Hester?«

»Jetzt sag schon!«, drängte Dot.

Hester drehte sich zu ihnen um, kreidebleich im Gesicht. »Die Welt steht wirklich auf dem Kopf«, sagte sie.

Sophie wollte den Jungen, den sie in wenigen Minuten heiraten würde, nicht mehr töten. Sie hatte keine Ahnung, wie sie jemals auf diese verrückte Idee gekommen war. Aus dem Augenwinkel schaute sie Rhian an – schön, redegewandt, selbstsicher, so wie ein König zu sein hatte. Und Sophie würde bald seine Königin sein. Die Königin.

Obwohl sie nicht sagen konnte, wie das alles gekommen war. Die Vergangenheit verschwand in dichtem Nebel, nur hie und da blitzten flüchtige Erinnerungsfetzen auf. Doch sobald sie einen davon zu fassen bekam, überfielen sie heftige Kopfschmerzen. Wenn sie dann entsetzt in die Gegenwart zurückflüchtete, verschwand der Druck. Jeder Versuch, sich daran zu erinnern, wie sie – ein Mädchen ohne Vergangenheit – hierhergekommen war, wurde mit immer schlimmeren Qualen bestraft, bis Sophie schließlich ganz aufgab und alles hinnahm.

Im Grunde genommen wusste sie nur eins: Sie war in diesem braven weißen Kleid aufgewacht und würde heute Abend König Rhian heiraten, den Löwen von Camelot, Hüter der neuen Feder und Retter des Endloswaldes. Was seltsam war, denn ihren Verlobten hatte sie bisher noch kein einziges Mal unter vier Augen gesehen. Rhian hatte sie nur für die Aufzeichnung einer Rede hergeholt, der sie kaum folgen konnte. Einer Rede von einem Bruder, der ihn verraten hatte, von Rebellen im Wald, und am Ende musste sie ihrem künftigen Gemahl Treue schwören … Trotzdem wusste sie, dass sie Rhian von ganzem Herzen liebte. Sie hatte seinen frostigen Geruch eingeatmet, während sie neben ihm saß, und sich in seinem Glanz gesonnt, den sein sonnengebräuntes Gesicht ausstrahlte. Er war einfach perfekt … fast schon zu perfekt. Nach der Aufzeichnung hatte er ihr mit seinen kalten Fingern über die Wange gestrichen und ihr mit seinen Schlangenaugen zugelächelt. »Wir sehen uns vor dem Altar, Liebste«, hatte er gesagt, und Sophies Herz hatte geflattert, als wäre er ihr Märchenprinz.

Andere Mädchen hätten alles dafür geben, um an ihrer Stelle zu sein, dachte Sophie, während sie sich die Nase puderte und ihre goldenen Zöpfe und das hochgeschlossene, bauschige weiße Kleid im bodenlangen Spiegel ihres Zimmers betrachtete. Woher war dieses Kleid nur gekommen? In wenigen Augenblicken würde sie vor die waldweite Presse treten, um Fragen zu ihrer bevorstehenden Trauung zu beantworten. Und für diesen Anlass hätte sie sich ein etwas extravaganteres Kleid gewünscht … Spaghettiträger statt Ärmeln oder einen Farbtupfer um die Taille herum …

Wie aufs Stichwort veränderte sich das Kleid. Als hätte es ihre Gedanken erraten, schnurrten die Ärmel zu dünnen Trägern über ihren Schultern ein, und etwas Blaues schlang sich um ihre Taille – eine Schärpe aus seidigen Schmetterlingen. Sophie wunderte sich kaum noch; das alles war so merkwürdig, dass dieses magische Kleid sie nicht mehr aus der Fassung bringen konnte. Fast wie ein Déjà-vu, als hätte sie das alles schon einmal erlebt und könne sich nur nicht erinnern, wo und wann. Sie beugte sich zum Spiegel vor, und plötzlich schimmerte etwas in ihren Augen auf, ein vertrauter smaragdgrüner Funke … der jedoch genauso schnell wieder verschwand, wie er gekommen war.

»Die Presse erwartet dich, Prinzessin«, ertönte eine Stimme hinter ihr.

Sophie drehte sich zum Hauptmann der Wache um, der in ihrer Schlafzimmertür stand, seine goldene Jacke mit verkrustetem Blut befleckt. Er hatte sich als Kei vorgestellt, als er sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Bildhübsch, mit wachsamen Augen und kantigem Gesicht, obwohl er irgendwie bedrückt wirkte, als hätte er einen Geist gesehen.

Von Kei eskortiert, schritt sie zum Ballsaal. Aus dem Augenwinkel fing sie immer wieder seine verstohlenen Blicke auf. Er schien darauf zu warten, dass sie etwas sagte – als hätten sie ein Geheimnis miteinander. Sophie wurde bei dieser Vorstellung flau im Magen.

Plötzlich tauchte ein Wächter vor ihnen auf, ein grober Kerl mit schütterem Haar und pockennarbigem Gesicht. »Hauptmann, die Karte im Kartenraum is komplett verbrannt … die mit den Rebellen drauf.«

Keis Gesicht verfinsterte sich. »Könnte ein Küchenmädchen gewesen sein oder einer der Köche … Ich werde sie fragen …«

»Aber des war die Karte vom König! Soll ich ihm nich …?«

»Geh wieder an deinen Posten«, bellte der Hauptmann und führte Sophie an ihm vorbei.

Sophie hatte keine Ahnung, wovon sie redeten, aber Kei war jetzt noch mürrischer als zuvor.

Er merkte, dass sie ihn anstarrte, und zum ersten Mal regte sich etwas in seinem Gesicht. Aufmerksam beobachtete er sie, sein Blick bohrte sich förmlich in ihren.

»Bist du wieder da?«, flüsterte er.

Sophie schaute in seine großen dunklen Augen … und schreckte aus ihrer Trance hoch. »Natürlich bin ich da! Wo soll ich denn sonst sein?«, fauchte sie. »Und was starrst du mich so merkwürdig an? Du bist der Hauptmann dieser Wache. Der neue Vasall des Königs. Also verhalte dich gefälligst auch so, oder ich sage dem König, dass er sich einen besseren Hauptmann suchen soll!«

Keis Gesichtszüge erstarrten zu Stein. »Sehr wohl, Prinzessin.«

»Gut. Und lass deine Jacke säubern. Solange kein Staatsstreich im Schloss ausbricht, gibt es keinen Grund, mit einer blutigen Jacke herumzustolzieren.«

»Das ist Rhians Blut«, sagte Kei.

»Wie bitte?« Sophie hielt inne.

»Es ist Rhians Blut«, wiederholte Kei mit demselben bohrenden Blick wie vorhin.

»Dann gib es ihm gefälligst zurück«, sagte sie schnippisch und ging weiter. Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht, und ihr Kleid bauschte sich um sie wie ein Pfauenrad.

Rhian wäre stolz auf sie.

Allmählich fand sie sich in ihre Rolle als Königin hinein.

»Prinzessin Sophie, was sagst du zur Verhaftung von Japeth, dem Bruder des Königs?«, fragte eine blauhaarige Reporterin mit einem Namensschild, auf dem MURMELBERG-POST stand. »Bist du zufrieden, dass alle Verräter im Königreich ausgemerzt wurden?«

»Ich kannte Rhians Bruder kaum«, erwiderte Sophie auf ihrem erhöhten Thron mit dem Löwenkopf. »Und ich habe volles Vertrauen in König Rhian – er wird Camelot und den Wald beschützen. Aber jetzt würde ich gerne Fragen zu der Hochzeit heute Abend beantworten, wenn es euch nichts ausmacht – dazu bin ich schließlich hier. Den Rest überlasse ich dem König.«

Immer mehr Reporter drängten in den Blauen Ballsaal und forderten lauthals ihre Aufmerksamkeit. Sophies Blick fiel auf die beiden völlig gleich aussehenden Frauen, die sich im Hintergrund hielten, barfuß und in lavendelblauen Kleidern, und ihr kurz zunickten. Beide hatten die gleiche hohe Stirn und lange Nase, ihre Gesichter strotzten vor Genugtuung, als liefe alles nach Plan. Was vermutlich auch der Fall war, denn die Mistral-Schwestern hatten Sophie nur wenige Minuten zuvor auf die Pressekonferenz vorbereitet. »Du beantwortest einfach ihre Fragen«, hatte die eine namens Alpa gesagt. »Alles andere fügt sich schon«, die andere, die sich Omeida nannte.

Plötzlich brüllte ein Reporter über den Radau hinweg: »Stimmt es, dass König Rhian die Mitglieder des Waldrats dazu erpresst hat, dem Storiker die Treue aufzukündigen?« Auf seinem Namensschild stand NIEDERWALDERBÖSENDIGEST. »Laut unseren Recherchen haben neunundneunzig der hundert Gründerreiche vergangene Woche ihren Ring zerstört – womit sie die Herrschaft des Storikers verworfen und sich stattdessen mit König Rhian verbündet haben. Glaubt der König an die Legende vom Einen und Wahren König? Will er die Macht der Feder an sich reißen? Lässt er deshalb alle Ringe verbrennen?«

»Die Feder hat unseren Wald schamlos verraten«, erwiderte Sophie, und die Reporter schrieben eifrig mit. »Der Storiker sollte positive, aufmunternde Geschichten erzählen, die unsere Welt voranbringen. Aber in letzter Zeit hat er nur noch über die Schüler einer Schule geschrieben, die in meinen Augen elitär und veraltet ist. Deshalb habe ich auch meine Stelle als Schulleiterin gekündigt. Die Feder repräsentiert nicht mehr das Volk. Es wird Zeit, dass ein Mensch an ihre Stelle tritt. Ein Mann. Und König. Einer, der jedem Waldbewohner eine Chance auf ein Happy End ermöglicht.«

Die Worte strömten mühelos aus ihrem Mund, als führten sie ein Eigenleben.

»Der letzte verbliebene Ring gehört dem Sheriff von Nottingham, der in dem Chaos von Tedros’ Hinrichtung verschwunden ist«, rief ein Reporter des Nottingham-Anzeigers. »Gibt es Hinweise, wo er sich aufhält und was aus dem Ring geworden ist?«

»Hast du nicht zugehört? Der Sheriff heiratet Robin Hood«, fertigte Sophie ihn hochnäsig ab.

Die Reporter lachten.

»Glaubst du denn selbst an den Mythos vom Einen und Wahren König?«, wollte der Reporter wissen, auf dessen Namensschild PFEIFERVONHAMELN stand. »Demnach beruht die Macht des Storikers auf dem Gleichgewicht zwischen Mensch und Feder. Ein Gleichgewicht, das unsere Anführer mit ihren Ringen besiegelt haben. Solange sie diese Ringe tragen, teilen sich Mensch und Feder die Macht. Wenn aber der Mensch die Feder verwirft, wenn alle hundert Herrscher ihre Ringe verbrennen, ist das Gleichgewicht zerstört. Der Storiker würde seine Macht an den neuen König verlieren.«

»Was auch an der Zeit wäre«, trillerte Sophie. »Der Mensch sollte einen Menschen verehren. Einen König. Und keine Feder.«

»Aber was ist, wenn Rhian der Eine und Wahre König wird?«, hakte der Reporter des Ooty-Beobachters nach. »Dann wäre Löwenmähne der neue Storiker. Dann wäre König Rhians Feder mit den Kräften des Storikers ausgestattet. Er könnte sie wie ein Schwert des Schicksals einsetzen. Was immer er schriebe, würde in Erfüllung gehen. Er könnte jeden auslöschen, der sich ihm widersetzt. Jede Rebellion im Keim ersticken. Ja sogar den ganzen Wald auslöschen …«

»Das Einzige, was König Rhian möglicherweise auslöschen wird, sind naseweise Reporter«, säuselte Sophie augenzwinkernd. »Außerdem hat er nur neunundneunzig Ringe, wie du eben selbst gesagt hast. Und nicht hundert.«

Wieder hatte sie die Lacher auf ihrer Seite.

»Was ist von dieser Hochzeit zu erwarten?«, fragte eine Frau mit einem hässlichen Pferdegebiss vom Royal Schrott.

»Nun, Rapunzel hat angeblich zehntausend Laternen aufsteigen lassen, und Schneewittchen wurde von einer Prozession von Waldtieren zum Altar geführt«, erwiderte Sophie lächelnd. »Aber meine Hochzeit toppt alles«, fügte sie hinzu und erhob sich vom Thron. »Weshalb ihr mich jetzt bitte entschuldigen wollt, denn …«

»Prinzessin Sophie, noch ein Wort zu den Rebellen. Es wird gemunkelt, dass nicht die Schüler der Schule für Gut und Böse unsere Reiche überfallen haben, sondern die Söldner des Königs. König Rhian soll die Überfälle selbst inszeniert haben, um die Waldherrscher so lange zu zermürben, bis sie bereit waren, ihre Ringe zu zerstören. Was sagst du zu diesen Gerüchten?«

Im Blauen Ballsaal wurde es still. Langsam teilte sich die Menge der Reporter und machte einem Mädchen Platz, das an einem roten Lutscher nuckelte. Ihr handgeschriebenes Namensschild war mit einem Herz verziert: .

»Und richte Agatha bitte Grüße von Bettina aus«, sagte das Mädchen lächelnd.

»Verhaftet sie!«, bellte Sophie, ohne zu wissen, wie dieser Befehl über ihre Lippen gekommen war.

Kei und vier seiner Wachen stürzten mit gezogenen Schwertern auf Bettina zu, aber …

Das Mädchen löste sich einfach in Luft auf. Nur der rote Lutscher blieb zurück, fiel auf den Marmorboden und zersplitterte in Tausend Stücke.

Die Reporter wechselten betroffene Blicke, ein eisiger Hauch wehte durch den Ballsaal.

»Ich bin beeindruckt«, säuselte Sophie, ohne mit der Wimper zu zucken. »Unsere heimischen Reporter scheinen neuerdings sogar magische Kräfte zu besitzen. Nun, wir werden sehen, wie unsere kleine Zauberin sich aus der Affäre zieht, wenn sie mit der restlichen Redaktion des Camelot Courier wegen Hochverrats verhaftet wird. Aber jetzt entschuldigt mich bitte, ich habe eine Hochzeit vorzubereiten.«

Damit rauschte sie aus dem Saal. Sobald sie auf den Flur hinaustrat, erschienen die Mistral-Schwestern an ihrer Seite und eskortierten sie in die Gemächer der Königin zurück. Sophie spürte, wie ihr Gang schleppender wurde, ihr Kopf seltsam leicht, bis sie jegliche Orientierung verloren hatte. Alles, was sie den Reportern geantwortet hatte, wehte davon wie Rauch. Weder wusste sie, wo sie hergekommen war, noch wo sie hinwollte – so, als wäre die Zeit auf null zurückgedreht worden.

Wie durch Watte drang das Geplapper der Mistral-Schwestern an ihr Ohr. »Reporter in Putsi gesehen …«, »wo Bethna ist …«, »Mädchen muss einen Verschwindezauber benutzt haben …«, »jemand hat ihnen geholfen« und »sag Japeth …«

Etwas zuckte in Sophies benommenem Geist: Japeth … Diesen Namen kannte sie doch …

Aber schon war der Name wieder im Nebel verschwunden.

Was war nur los mit ihr? Verzweifelt suchte sie nach einer Antwort, tastete nach einem Anker in ihrem Geist, irgendetwas, woran sie sich festhalten konnte. Wer bin ich? Was mache ich hier? Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Sie roch Lavendel … und Gurken … Eine Sekunde lang war ihr Geist völlig klar, als hätte sie das smaragdgrüne Licht durchschritten, das sie im Spiegel erhascht hatte … und prompt überfiel sie wieder der Kopfschmerz, aber diesmal wehrte sie sich, krallte sich an ihren Erinnerungen fest, versuchte, sie festzuhalten …

Dieses Mädchen, Bettina. Was hatte sie noch mal gesagt? Dass Rhian die Überfälle selbst inszeniert habe? Und Agatha. Sie hatte Grüße an Agatha ausrichten lassen … Rhian hatte diesen Namen in seiner Rede erwähnt … Agatha … Sie ist keine Rebellin! Sie ist meine Freundin!

Im selben Moment hoben die Mistral-Schwestern ihre Hände, drehten sie scharf in der Luft, als wollten sie etwas einschrauben.

Der Schmerz zuckte so heftig durch Sophies Kopf, dass sie in die Knie brach und beinahe bewusstlos wurde.

Die Schwestern fingen sie auf und schleppten sie den Gang entlang.

»Du brauchst Ruhe«, sagte Alpa. »Du musst dich auf die Hochzeit konzentrieren. Wenn die Trauung vollzogen ist, dann ist deine Arbeit getan.«

»Danach kannst du für immer ruhen«, fügte Omeida mit einem vielsagenden Blick zu ihrer Schwester hinzu.

»Nur die Hochzeit zählt«, wiederholte Alpa.

Die Hochzeit. Dann konnte sie sich ausruhen.

Der stechende Schmerz ließ nach, und Erleichterung durchströmte Sophie. Ja, die Hochzeit würde alles richten.

Tedros und Agatha standen zwischen zwei Gräbern.

Das glühende Rot der untergehenden Sonne fing sich in Tedros’ Ring und ließ die eingeritzten Symbole aufblitzen, dieselben wie die des Storikers.

»Dieser Ring gehört Camelot«, sagte Agatha ehrfürchtig. »Dein Vater hätte ihn dir nicht hinterlassen, wenn er dir nicht von Rechts wegen zustünde. Also bist du der Thronerbe, Tedros. Und als solchen hat Artus dich ja auch erzogen.«

Tedros blinzelte den Ring an, nahm den Anblick in sich auf. Dann schaute er zu Agatha. »Und wer sitzt dann auf dem Thron?«

»Jedenfalls nicht der Erbe«, beharrte Agatha, seine Prinzessin im zerknitterten schwarzen Umhang. »Wir müssen so schnell wie möglich nach Camelot zurück, um den Leuten zu beweisen, dass sie von der Schlange getäuscht wurden. Und um unsere beste Freundin vor dieser schrecklichen Hochzeit zu bewahren.«

»Sophie verdient nichts Besseres«, murrte Tedros. »Wie konnte sie nur so dumm sein, zu Rhian zurückzukehren?«

»Weil sie uns helfen wollte …«

»Das wissen wir nicht.«

»Ich schon«, erwiderte Agatha überzeugt. »Wir gehen nach Camelot, erobern deinen Thron zurück und retten meine Freundin.«

Tedros blickte auf die beiden Gräber, die mit einem gläsernen Kreuz markiert waren. Das seines Vaters war aufgebrochen und leer. Das andere, Chaddicks, lag unberührt im Schatten. Er seufzte. Ihm klebte das Hemd am Rücken, seine Hose war mit Erde vom Grab seines Vaters verschmiert, und sein ganzer Körper schmerzte. Die anstrengende Reise, die Kämpfe und die Wunden forderten allmählich ihren Tribut. Nur das Wissen, dass Artus auf seiner Seite war, linderte den Schmerz. Tedros war seinem Herzen bis nach Avalon gefolgt, im Vertrauen auf die letzten Worte seines Vaters – Grab mich aus. Und so war er hierhergelangt, an König Artus’ Grab, das sich im geheimen Refugium der Herrin vom See verbarg. Artus’ Leichnam hatte er allerdings nicht gefunden. Stattdessen war er der Seele seines Vaters begegnet, die Merlin magisch konserviert hatte, damit Artus seinem Sohn ein letztes Mal erscheinen und den Ring an ihn weiterreichen konnte. Der Ring, der ihn retten würde. Ihn und Camelot. Solange er diesen Ring trug, konnte die Schlange nicht der Eine und Wahre König werden. Aber Japeth, der seinen Zwillingsbruder getötet hatte, um die Macht des Storikers an sich zu reißen, hatte sich verrechnet. Denn mit diesem Ring hatte Tedros’ Vater dafür gesorgt, dass die Schlange niemals den Platz des Storikers einnehmen konnte. Japeth würde nie die Feder werden. Mit dem Ring hatte Artus seinem rechtmäßigen Erben eine letzte Chance auf den Thron verschafft.

Das war der wahre Krönungstest eines Königs.

Tedros sah, dass Agatha nervös zum Himmel aufschaute und mit ihren schwarzen Klumpschuhen scharrte.

»Die Sonne geht gleich unter.« Sie seufzte leise. »Wie sollen wir nur rechtzeitig nach Camelot kommen? Wir müssen uns zu Vögeln mogrifizieren … oder Tinkerbell und die Schulfeen zu Hilfe rufen … Sie warten mit deiner Mutter am See …«

»Wir schaffen es trotzdem nicht bis Sonnenuntergang«, wandte Tedros ein. »Das ist eine halbe Tagesreise, sogar wenn wir fliegen.«

»Vielleicht weiß die Herrin vom See einen Weg …«

»Der Herrin vom See, die ihre Magie verloren und mich beinahe umgebracht hat? Wir können froh sein, wenn sie uns hier weglässt.« Tedros ließ bereits seine Fingerspitze aufglühen, um ein Signal für die Herrin abzufeuern. »Lass uns zu meiner Mutter zurückgehen und mit den Feen in die Schule fliegen. Dann können wir dort unseren Angriff planen.«

»Ich lasse Sophie nicht bei der Schlange zurück!«, rief Agatha empört, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Selbst wenn ich ganz allein gegen diese Schurken kämpfen muss. Ich hole meine beste Freundin zurück.«

Tedros fasste ihre Hand. »Agatha, ich weiß, was Sophie dir bedeutet. Aber ich sehe keine Möglichkeit, wie wir rechtzeitig nach Camelot kommen sollen. Hundert Meilen lassen sich nicht einfach so eindampfen.«

Agatha zog ihre Hand weg. »Kennt deine Mutter vielleicht einen Zauber? Oder Hort und Nicola? Sie sind bei ihr, vielleicht haben sie ein Talent, das uns helfen kann …«

»Hort platzt als Mannwolf aus seinen Kleidern, das ist sein Talent. Nicola hält schlaue Reden, und meine Mutter ist schwach und ahnungslos. Aber was ist mit deinem Talent? Du hast uns schließlich vor diesem Spitfire-Kamel gerettet.«

»Ja, indem ich mir seine Wünsche angehört habe, womit wir uns wohl kaum über die halbe …« Agathas Augen leuchteten auf. »Hexen!«

Ohne ein weiteres Wort stürzte sie an ihm vorbei. »Komm, beeil dich, bevor es zu spät ist!«

Verdutzt schaute er Agatha nach, die sich zwischen den Bäumen hindurchschlängelte und im Schatten des Wäldchens verschwand. Fragen erübrigten sich. Mit einem Seufzer dimmte er sein Fingerglühen herunter, holte tief Luft, sammelte alle Kraft, die er noch in den Beinen hatte, und rannte hinter ihr her.

Er folgte Agathas Schritten, die über den Waldboden trappelten und über abgefallene Äste knirschten. Aber je tiefer er in das Wäldchen eindrang, desto deutlicher erinnerte er sich an den Weg. Und schon bald sah er Agatha am Rand eines Teichs knien, der im Dickicht verborgen lag. So wie damals, als er zum ersten Mal hier gewesen war.

Damals, als sie sich vor Rafal in Guineveres und Lanzelots Schutzhaus versteckt hielten; nur hatte Hort Agatha zu dem Teich geführt. Tedros hatte hinter einem Baum versteckt zugehört, wie Hort Agatha vorgeworfen hatte, dass sie ihren Prinzen im Stich ließ, statt für ihn zu kämpfen. Und hier, an diesem Teich, nur wenige Schritte von den beiden Gräbern entfernt, hatten Tedros und Agatha ihre Liebe neu besiegelt. Eine Liebe, die nie wieder zerbrechen würde, das wusste Tedros, egal, welche Schrecken noch auf sie lauerten.

Als er sich neben Agatha kauerte, sanken seine Stiefel im weichen Schlamm ein. Unter dem dichten Blättervorhang funkelte der Teich im Sonnenuntergang. Agatha fing den Blick ihres Prinzen im Wasserspiegel auf.

»Wo sind sie?«, fragte Tedros, der gebannt das Wasser absuchte.

Doch der Teich blieb vollkommen still, seine Bewohner waren verschwunden.

Agathas Lippen zitterten, als die Sonnenstrahlen im spiegelnden Teich verblassten. »Aber …«

Tedros streichelte ihr Haar. »Lass uns zu den anderen zurückgehen.«

Plötzlich färbten sich die Sonnenkringel im Wasser von Gold zu Silber, schimmernde Lichtklümpchen, die alle im selben Rhythmus pulsierten. Sie stoben auseinander, schossen im Zickzack durch den Teich wie Feuerwerkskörper und stiegen zu Tedros und Agatha auf, heller und heller, bis sie an die Oberfläche platschten. Tausende winzige Fischchen, die glitzernde Wasserfontänen in die Luft jagten.

»Also doch nicht verschwunden.« Tedros schaute zu, wie die Wunschfische sich um seine Prinzessin scharten, als wäre sie eine alte Bekannte. »Deine heimliche Fischschule.«

»Wenn ich meinen Finger ins Wasser halte, malen sie den tiefsten Wunsch meiner Seele«, sagte Agatha. »Und mein Wunsch ist, Sophie zu retten, bevor sie die Schlange heiratet. Wennes einen Weg gibt, werden die Fische ihn uns zeigen.«

Sie tauchte ihren Finger ins Wasser, und die Fische stoben auseinander, leuchteten in allen Farben des Regenbogens auf, während ihre Flossen sich blitzschnell zusammenfügten wie die Teile eines Puzzles. Zuerst konnte Tedros überhaupt nichts erkennen. Stirnrunzelnd sah er zu, wie die Fische ihre Farbe wechselten, sich ständig neu anordneten. Nach einer Weile behielten sie ihre Farbe, und schließlich auch ihren Platz, sodass die glatten, seidigen Schuppen ein Bild ergaben …

Ein königlicher Garten im Sonnenuntergang, mit der Silhouette von Camelot, dessen Türme unter dem rosa-violetten Himmel aufragten. Eine große Menge drängte sich auf dem Schlossgelände, Zuschauer strömten in Scharen herbei und starrten gebannt auf etwas, das weder Agatha noch Tedros sehen konnten, da ihnen die Menge den Blick darauf versperrte. Aber da war noch etwas – im Vordergrund schwebten zwei scharf umrissene Wasserblasen, beide so groß wie Kristallkugeln, mit zwei winzigen Gestalten darin.

»Das sind wir«, stellte Agatha verwundert fest.

»Sind wir nicht«, widersprach Tedros. »Wir sind voll ausgewachsene Menschen und keine Spielzeugfiguren, wir leben an Land und brauchen Luft zum Atmen.«

Agatha drehte sich zu ihm um, und damit war der Bann gebrochen. Die Fische stoben auseinander, die Farbe wich aus ihren Schuppen.

»Aber das wundert mich nicht«, knurrte Tedros. »Beim ersten Mal, nach Dads Tod, haben sie mir ein Bild gezeigt, auf dem ich weinend in Lancelots Armen lag. Ausgerechnet Lance, der meinem Vater die Frau ausgespannt hat. Wunschfische sind dumm.«

»Oder deine Seele hat sich nach einem neuen Vater gesehnt, und Lancelot stand dir damals am nächsten«, wandte Agatha ein. »Wunschfische sind nicht dumm. Das Bild damals wollte dir etwas sagen. Genau wie das hier – es hat uns gezeigt, wie wir zu Sophie kommen.«

»Du meinst, wir sollen in körperschrumpfenden Wasserblasen hinschweben?«, spottete Tedros. »Und wenn du glaubst, ich würde mich Lancelot an den Hals werfen …«

Aber Agatha hatte sich bereits abgewandt und starrte erneut auf die Fische, die sich jetzt zu einem blendend weißen Pfeil anordneten, der unmissverständlich auf Tedros zeigte.

»Du bist dran«, sagte sie.

Tedros verzog sein Gesicht. »Was kommt jetzt? Vielleicht zeigen sie mich beim Kuchenbacken mit der Schlange?« Er ließ seinen Finger ins Wasser schnellen, aber nichts geschah.

Stattdessen drängten sich die Fische noch enger zusammen, bis der Pfeil auf Tedros’ Hand zeigte.

»Ich hab’s ja gewusst«, murrte Tedros. »Komplett hohl in der Birne, diese Fische.«

»Falscher Finger«, sagte Agatha nur. »Schau mal.«

Die Wunschfische zeigten auf einen anderen Finger an Tedros’ Hand. Der mit Artus’ Ring.

Tedros’ Herz schlug schneller. Er tauchte den Finger hinein, warmes Wasser füllte die im Ring eingeritzten Symbole, und Wuusch! fegte ein Lichtschwall über den Teich hinweg.

»Was war das?«, fragte Tedros.

Die Fische drängten sich zu einer silbrigen Masse zusammen, klammerten sich an Tedros’ Finger fest und küssten den Ring mit ihren kleinen Mäulern. Bei jedem Kuss blitzten die Fische auf, als würden sie sich mit einer geheimen Macht aufladen. Bald erstrahlten sie wie Sterne im Dunkeln, heller und immer heller. Statt jedoch auseinanderzustieben, um Tedros’ Wunsch zu zeigen, klebten sie immer dichter zusammen, ein schuppiges Gebilde, das sich schmatzend an seinem Ring festsaugte. Langsam glitten sie an seiner Handfläche hinauf, an seinem Handgelenk …

»Hey, Moment mal!«, stieß er hervor und versuchte, seine Hand wegzureißen. Aber Agatha hielt ihn fest, die Fische schnellten aus dem Teich, packten seinen Ellbogen, seinen Bizeps, seine Achsel …

»Lass mich los!«, schrie Tedros und wand sich in Agathas Griff.

»Vertrau mir«, beschwor sie ihn.

Der Schwarm war jetzt an seiner Schulter, seinem Hals, seinem Kinn … Die wimmelnden Fische wurden klar wie Glas. Dann schwollen sie plötzlich an – aufgebläht wie Luftballons sammelten sie sich zu einer gallertartigen Kugel, die sich in alle Richtungen ausdehnte und an Tedros’ Gesicht presste.

»Hilfe!«, schrie er, aber die warme Glibberkugel versiegelte ihm Mund, Nase und Augen, würgte ihn mit ihrem Salzgeruch. Er spürte Agathas Hände, ohne sie zu sehen. Er sah überhaupt nichts. Schließlich kniff er die Augen zu, seine Wimpern überzogen sich mit juckenden Schuppen, sein Atem ging flach, seine Lungen pumpten das letzte bisschen Luft in sein Blut …

Dann hörte es auf. Alles. Der Druck. Der Geruch. Als wäre sein Kopf vom Körper getrennt. Langsam öffnete er die Augen und fand sich innerhalb der Fischblase wieder, hoch über dem Teich schwebend.

Agatha schwappte neben ihm in der Blase herum.

»Siehst du?« Sie lächelte. »Ich hab’s dir ja gesagt.«

Im selben Moment begann sie zu schrumpfen, genau wie Tedros. Auch die Blase zog sich zusammen, ihre wässrigen Ränder ließen gerade noch genug Raum um sie herum.

Tedros schaute auf seine Hose. »Na hoffentlich bleibt das nicht so.«

Prompt teilte sich die Blase in zwei Hälften, die Prinz und Prinzessin getrennt einschlossen.

»Agatha?« Tedros’ Stimme hallte dumpf von den flüssigen Wänden wider.

Er konnte sehen, wie seine Prinzessin etwas zurückrief – ihre Lippen bewegten sich, aber kein Laut drang zu ihm.

Sonnenlicht fing sich in den Blasen, und vor Tedros’ ungläubigen Augen öffnete sich der Teich wie ein Portal und gab den Blick auf ein vertrautes Schloss und einen rosa-violetten Himmel frei …

Die Szene in dem Wunschfisch-Bild, über das er gerade noch gespottet hatte, erwachte zum Leben …

»Vertrau mir.«

Mit geweiteten Augen schaute er zu Agatha hinüber, und bevor er aufschreien konnte, zischten die beiden Kugeln wie aus der Pistole geschossen in das Portal und tauchten in den Glanz eines fernen Sonnenuntergangs ein.

Die Feder, die diese Geschichte erzählt, ist eben nur das: der Erzähler, dem kein Platz in der Geschichte zukommt. Weder ist sie eine handelnde Figur noch eine Waffe oder ein Preis. Die Feder darf nicht zum Löwen gemacht oder verfolgt werden, ja, sie sollte überhaupt nie in Erscheinung treten. Unsichtbar muss sie sein, muss demütig ihre Arbeit verrichten, ohne Partei zu ergreifen, ohne eigene Meinung, wie ein allsehendes Auge, das nur dazu da ist, die Geschichte bis zu ihrem natürlichen Ende festzuhalten.

Aber mittlerweile haben sich die Dinge im Wald geändert: Dinge, die einst heilig waren, sakrosankt, sind es nicht mehr.

Die Feder steht unter Belagerung.

Mein Geist ist geschwächt, meine Kräfte schwinden.

Ich bin gezwungen, hier meine eigene Geschichte zu erzählen, weil der Mensch sie sonst für immer auslöschen wird.

Der Mensch, der Jahrtausende lang auf meine Macht vertraute und jetzt gekommen ist, um sie mir zu nehmen.

Niemand wusste, wo genau die Hochzeit in den Gärten stattfinden sollte, da es weder eine Bühne noch einen Altar oder Priester gab, ganz zu schweigen von dem Brautpaar, das nirgends zu sehen war. Die Sonne sank bereits am Horizont herab, aber die Wachen ließen weiter Gäste herein. Männer, Frauen, Kinder, Zwerge, Trolle, Elfen, Oger, Feen, Goblins, Nymphen und andere Bürger des Waldes, alle in ihren schönsten Festtagskleidern, strömten durch die Schlosstore.

Nach Artus’ Tod waren die Gärten verfallen, aber der neue König hatte sie in ihrer alten Pracht wiederauferstehen lassen – ein weites Wunderland aus Farben und Düften. Scharenweise drängten die Gäste sich in den schattigen Hainen der Orangerie, auf den Pfaden des Versunkenen Gartens und auf den Rasenflächen im Rosenfeld. Das Herzstück des Ganzen bildete der Spiegelnde Teich in der Mitte, mit einer Marmorstatue von König Rhian, wie er die maskierte Schlange mit seinem Schwert enthauptet. Schlammige Stiefel verdreckten den Rasen, zertrampelten die Weidenschösslinge, und übermütige Trollkinder rissen Äste ab und fraßen den Flieder auf. Eine Ogerfamilie entwurzelte sogar einen ganzen Orangenbaum. Dennoch ließen die Wachen immer neue Gäste herein, auch als die Sonne nur noch zur Hälfte am Horizont hing, dann zu einem Viertel, und der Geruch der verschwitzten Leiber bereits die Luft verpestete.

»Nimmt das denn kein Ende?«, murrte die Kaiserin von Putsi, die sich die Nase zuhielt, während sie von der Menge hin- und hergeschubst wurde, bis sie beinahe mit ihrem voluminösen Gänsefedermantel in den Spiegelnden Teich fiel. »Unglaublich, dass Metzger, Müller und Küchenmägde aus Putsi dieselbe Behandlung erfahren wie ihre Kaiserin! Einfach unerhört, den gesamten Hochadel unter den Pöbel zu mischen und sich selbst zu überlassen. Und das, nach allem, was wir für den König getan haben! Seit wann wird das gemeine Volk zu einer königlichen Hochzeit eingeladen?«

»Nun, das gemeine Volk hat ihn ja erst zum König gemacht«, wandte die Maharani von Mahadeva ein, die Augen auf einen Bergtroll gerichtet, der in die Tulpenbeete pinkelte. »Und jetzt, da wir unsere Ringe verbrannt haben, hat unsere Stimme nicht mehr Gewicht als ihre.«

»Wir haben die Ringe verbrannt, um unsere Reiche zu retten. Um uns den Schutz des Königs zu sichern«, empörte sich die Kaiserin von Putsi. »Dein Schloss wurde ebenso überfallen wie meins. Deine Söhne wären wahrscheinlich tot, wenn du deinen Ring nicht geopfert hättest. Dein Reich ist jetzt zumindest sicher.«

»Ach wirklich? Nennst du das Sicherheit, wenn der Waldrat nicht mehr gegen den König stimmen kann?«, schoss die Maharani zurück. »Ein König, der die Macht des Storikers an sich reißen will, wie meine Ratgeber glauben.«

»Ja ja, ich weiß – der Eine und Wahre König. Dieses alte Schauermärchen, das die Sader-Dynastie verbreiten ließ. Aber selbst wenn an dem Humbug etwas Wahres sein sollte, gerade du müsstest dich doch darüber freuen. Der Storiker tut nichts für Nimmerreiche wie deines oder für die Nimmer im Wald. Wenn Rhian die Kräfte des Storikers hätte, könnte er Böse viel Gutes tun.« Die Kaiserin richtete sich kerzengerade auf. »Rhian ist ein würdiger König für beide Seiten. Er hört auf uns, ob mit oder ohne Ringe. König Rhian wird uns immer über das Volk stellen …«

Platsch! Der Kaiserin klatschte etwas ins Gesicht, und als sie hochschaute, entdeckte sie einen stämmigen Jungen, der auf der obersten Stufe einer Treppe stand und die Leute mit Stachelbeeren bewarf.

»So wie heute?«, fragte die Maharani mit steinernem Gesicht.

Die Kaiserin sagte nichts mehr.

Der Junge, der die Stachelbeere geworfen hatte, wurde prompt geohrfeigt, und seine Lehrerin scheuchte ihn zu den anderen Schülern der Fuchswaldschule zurück, die mit ihr angereist waren.

»Benimm dich gefälligst, Arjun, oder ich sage König Rhian, dass er dich zu seinem Bruder ins Verlies sperren soll«, schimpfte Heimleiterin Brunhilde. »Und glaub mir, du würdest keine zwei Sekunden überleben, wenn du mit RJ in einer Zelle wärst. Dieser Junge hat nicht das winzigste Fünkchen von Gut in sich.«

»Aber Rhians Bruder heißt doch Japeth«, piepste Arjun.

»Ja, und selbst sein Name klingt böse«, brummte die Heimleiterin. »Deshalb habe ich ihn abgekürzt – RJ. Er kam zu uns ins Arbed-Haus, weil seine Mutter nicht mehr mit ihm fertigwurde, so wie du. Ich habe alles getan, um ihn zu Gut zu führen. Sogar sein Bruder dachte anfangs, er könne gerettet werden. Am Ende musste Rhian jedoch aufgeben, genau wie ich. Manche Bösen sind einfach hoffnungslos.«

»Einfach der Wahnsinn, dass wir hier sind! Eine königliche Hochzeit!«, rief ein größerer Junge mit tief liegenden Augen voller Staunen. »Und dass ein Junge wie wir jetzt König ist!«

»Und so ein schönes Mädchen wie Sophie heiraten darf«, fügte ein kahlköpfiger Junge, dessen Uniformkragen ganz weiß von Schuppen war, mit einem Seufzen hinzu. »Das ist das Beste daran, Emilio. Deshalb will ich König werden.«

»Meinst du, ich kann auch mal König werden, Schulleiterin Brunhilde?«, fragte Arjun. »Oder wenigstens ein Prinz?«

»Warum nicht«, erwiderte Brunhilde. »Jetzt ist alles anders. Früher wurden gewöhnliche Leute nicht mal zu einer Königshochzeit eingeladen. Aber König Rhian achtet alle Waldbewohner, ob Gut oder Böse, Junge oder Mädchen, Jung oder Alt. Jeder hat die gleiche Chance, zu Ruhm und Ehre zu gelangen, solange König Rhian herrscht. Ich habe ihn einst selber unterrichtet, so wie euch.«

»Können wir König Rhian treffen? Und gibt er mir dann ein Autogramm?«, fragte Emilio.

»Ich will ihn auch treffen!«, rief ein anderer Junge.

Brunhilde wurde rot. »König Rhian wird sich sicher gern an mich erinnern … Jorgen! Hörst du wohl auf, die Feen zu zwicken!«

Arjun nutzte die Ablenkung, um schnell die letzten Stachelbeeren aus seiner Tasche zu ziehen und über das Geländer zu werfen.

»Hör auf!«, zischte Emilio.

»Aber wenn ich diese Magicast-Blase treffe, sehen mich alle, die in den anderen Königreichen zuschauen«, flüsterte Arjun zurück. »Dann werde ich berühmt! Genau wie der König.«

»Was für eine Blase?«, fragte Emilio verwirrt. »Die Magicast-Übertragung kommt von dem Schild über dem Garten. Der rosa Nebel da oben. Damit wird die Hochzeit in alle Waldreiche ausgestrahlt.«

»Und was ist dann das?« Arjun zeigte auf etwas unterhalb des Geländers.

Mit zusammengekniffenen Augen starrte Emilio auf die wässrige Kugel, die im Gewühle herumflitzte und sich dem Rand des Spiegelnden Teichs näherte …

Doch dann erlosch das letzte Sonnenlicht, und die Kugel war nicht länger zu sehen, verschwunden im weißen Nebel, der über dem See aufstieg.

Als die Nacht sich herabsenkte, wurde der Nebel dichter und wälzte sich in schneeweißen Wellen über das Wasser. Hinter dem Teich ließ Kei die Camelot-Wache aufmarschieren, ihre geharnischten Gestalten zeichneten sich undeutlich im Dunst ab. Auf einer Treppe dahinter standen die beiden Mistral-Schwestern Alpa und Omeida mitten in der Menge, die Augen unter ihren Kapuzen auf die Statue von König Rhian gerichtet. Beide murmelten Beschwörungsformeln vor sich hin, und im nächsten Moment erstrahlte die Statue in reinem Gold und ließ das gemeißelte Gesicht des Königs hervortreten. Der Nebel über dem Spiegelnden Teich verschwand, sodass die magisch gefrorene Wasserfläche, die mit blauen und goldenen Rosenblüten bestreut und zur Bühne umgewandelt worden war, zum Vorschein kam.

Leise Musik erklang in einer seltsamen Tonart, eine Hochzeitsmelodie, die eher an einen Trauermarsch erinnerte.

Dann spiegelte sich eine Bewegung im Eis.

Die Hochzeitsgäste hoben den Kopf.

Der Himmel war übersät mit Sternbildern, Löwen, die sich vervielfachten, so weit das Auge reichte, und mit jedem Blinken ihre Position wechselten. Vor diesen Himmelsmustern erschienen zwei weitere Sterne: der König und seine Prinzessin. Sie schwebten auf den Flügeln unzähliger weißer Schmetterlinge herunter, die am Kleid der Braut flatterten. Ihre Schuhe waren aus Glas, ihr Hals mit Rubinen behängt, ihr Gesicht in einen zarten Schleier gehüllt. Der Bräutigam trug einen weißen Pelz, der hinter ihm hochwehte wie ein Umhang, und einen Gürtel aus goldenen Löwenköpfen. Die Krone von Camelot saß fest auf seinem Kopf. Er gab einen prächtigen König ab – Rhian, der Junge mit dem dichten Kupferhaar, dem sonnengebräunten Gesicht und den meergrünen Augen …

Aber wir wissen es besser.

Japeth spielte nur die Rolle seines Bruders, hatte sich die Haare kurz geschnitten, das Gesicht dunkel geschminkt, die Augen magisch grün getönt. Auch seine Braut war nichts als eine Marionette, mit ihrem leeren Lächeln, ihren verkrampften Händen, die sich an ihm festhielten, wie einst an einem anderen Jungen, den sie heiraten wollte. Rafal, den frosthaarigen jungen Schulmeister, den sie von ganzem Herzen zu lieben glaubte. Jetzt hingegen lag keine Liebe in ihren smaragdgrünen Augen. Nichts regte sich darin, nur das Spiegelbild ihres Bräutigams, der sich an ihrem leeren Blick ergötzte.

Langsam schwebte das junge Paar zu der Statue herunter. Rhian packte seine Braut so fest wie der steinerne Rhian die Schlange. Sie hatten jetzt fast den Boden erreicht, badeten im Glanz der Statue, von allen Bewohnern der Waldreiche bestaunt. Stolz ragte der König über seiner Braut auf, legte eine Hand an ihren Hals und zog ihren Mund an seinen. Die Menge beobachtete schweigend, wie er sie küsste, und die Zeit stand still. Wer genauer hinschaute, so wie ich es vermag, sah die Eiseskälte in Sophies Wangen … das Zittern ihrer Beine … den harten Mund des Bräutigams, dem es vor ihren Lippen graute.

Wenig später berührten die Füße des Brautpaars den gefrorenen Teich.

Doch die Menge blieb stumm.

Im nächsten Moment erbebte die Statue, die Ränder des Teichs zerbarsten und Eissplitter flogen zum Himmel auf. Die ganze durchsichtige Bühne vibrierte unter den Füßen des Brautpaars, dann stieg Rhians Statue vom Boden auf und nahm den Spiegelnden Teich mit. Die dicke Eisdecke des Sees hing in der Luft, schwebte höher und höher hinauf, bis das Brautpaar hoch über den Gärten thronte, wie zwei Spielzeugfigürchen auf einer zwölfstöckigen Hochzeitstorte.

Laute Jubelrufe erschallten, die Menge klatschte begeistert, holte alles nach, was sie bisher versäumt hatte.

Die Hochzeit des Königs hatte begonnen.

Das Magicast-Schild flackerte auf, umkreiste das Gelände und zeichnete jeden einzelnen Moment auf, um ihn in den ganzen Endloswald zu übertragen. Wer genau hinhörte, konnte das Johlen aus fernen Königreichen hören, das der Wind bis hierher trug.

Rhian wandte sich von seiner Braut ab. Ein goldener Lichtblitz flammte unter seinem Cape auf, pulsierte an der Stelle, an der sein Herz hätte sein müssen. Er griff unter den Seidenstoff und zog einen Lichtkokon hervor. Nur ich weiß, was darin verborgen ist: eine schwarze Sichel, als Löwenmähne getarnt – die neue Feder des Königs, meine sogenannte Rivalin, die jetzt aus dem Licht hervorglitt. An beiden Enden zugespitzt und golden wie die Sonne, stieg sie aus der Hand des Königs in den Nachthimmel empor.

Schimmernder goldfarbener Rauch quoll aus ihrer Spitze hervor und verdichtete sich in der Luft zu kuschelnden kleinen Hundebabys, turtelnden Liebesvögeln, von Pfeilen durchschossenen Herzen. Die Kinder in der Menge hüpften in die Höhe, streckten ihre Hände nach oben, um die Liebessymbole anzufassen, bevor sie zerbarsten und goldene Funken auf sie herunterrieseln ließen. Sophie, die Braut, presste ihre Hände an die Brust, als wäre sie verzaubert vom Anblick dieser glücklichen jungen Menschen. Das war vielleicht der beste Beweis dafür, dass diese Sophie genauso falsch war wie ihr Bräutigam.

Unterdessen ergriff Rhian auf der schwebenden Bühne das Wort: »Der Storiker war das Gleichgewicht unseres Waldes. Die Feder, der es oblag, Geschichten zu erzählen, die unsere Welt voranbringen. Bis zu dem letzten Happy End, das der Storiker uns lieferte: Tedros, der ›König‹. Oder nein, Tedros, der Feigling, der Betrüger, die Schlange, wie wir inzwischen alle wissen. Tedros ist nicht der König, egal was die Feder sagt. Ihr habt es am eigenen Leib erfahren. Und genau das passiert, wenn wir dem Storiker die Zügel überlassen. Der Wille des Menschen ist die Zukunft. Der Wille des Menschen bedeutet Ruhm für alle. Und heute Abend wird der Mensch zur Feder. Meiner Feder. In Zukunft schreibe ich die Geschichten. Ich belohne die unter euch, die Lohn verdient haben, und bestrafe die, die Strafe verdient haben. Die Macht liegt fortan bei mir. Die Macht liegt beim Volk.«

Die Menge brüllte, während Löwenmähne höher in den Himmel hinaufschwebte und heller pulsierte als der Nordstern. Sophie klatschte unablässig Beifall, mit leerem Blick, ohne zu verstehen, was vor ihren Augen ablief.

Der König packte sie noch fester. »Aber solange der Storiker existiert, bleibt er eine Bedrohung. Überlasst ihm die Macht, und er wird euch in die Irre führen. Wir müssen ihn also nicht nur entmachten, wir müssen ihn auslöschen. Alle Königreiche des Waldes bis auf eines haben dem Glauben an die alte Feder abgeschworen. Heute Abend, als Auftakt zu unserer Hochzeit, kündigt das letzte Königreich dem Storiker die Treue auf. Das hundertste Reich verbrennt seinen Ring. Damit verliert die Feder ihre Macht über das Schicksal des Menschen, und ihre Kräfte gehen auf mich über. Heute Abend bekommt ihr nicht nur eine neue Königin. Heute Abend erhebt sich der Eine und Wahre König.«

Löwenmähne ließ Flammen aus seiner Spitze hervorlodern – eine blaue Lichtkugel, die hoch in den dunklen Himmel aufstieg … dann wieder herunterschoss, an jubelnden Gästen vorbei, bis sie vor der Leibwache des Königs verharrte. Ein gepanzerter Soldat neben Kei trat vor. Der Feuerschein ließ die Falten um seine gierigen Augen tiefer wirken, hob die fettigen Haare, die unter seinem Helm abstanden, noch deutlicher hervor. Ein aufmerksamer Leser hätte ihn sofort erkannt: Bertie, der ehemalige Handlanger des Sheriffs von Nottingham, jetzt Hüter seines Rings. Und dieser Ring lag nun in Berties Händen, glitzerte auf einem schwarzen Samtkissen, und in den eingravierten Symbolen verfing sich das Licht der Flammen.

Ich spüre noch immer die Hitze, selbst von hier aus.

Nach und nach verstummte die Menge, die endlich die Tragweite der Handlung erfasste. Selbst Sophie schreckte aus ihrer Trance hoch, als regte sich etwas tief in ihrem Inneren, ein winziger Splitter ihrer Vergangenheit, der nach oben drängte.

»Das letzte Bollwerk der Macht des Storikers«, verkündete der König, die Augen auf Berties Ring gerichtet. »Das letzte Band zwischen Mensch und Feder.«

Bertie trat vor, den Blick auf dem König.

Rhian nickte, gab den Befehl, den Ring zu vernichten.

Mein Geist schreit auf in seiner Hülle …

Der einstige Freund des Sheriffs öffnet seine Hand. Der Ring von Nottingham fällt ins Feuer.

Krach! Zisch! Knall! – und der Ring existiert nicht mehr.

Von mir bleibt nichts als ein Wispern.

Zum ersten Mal veränderte sich das Gesicht des Königs, seine Züge wurden weicher, die Kälte fiel von ihm ab, als wäre auch er in die Vergangenheit eingetaucht. »Und hiermit gelobe ich, mit meiner neuen Feder diesen Wald so fortzuschreiben, wie er sein sollte. Ich werde allen euren Geschichten das Ende geben, das sie verdienen.« Sein Blick fiel auf Heimleiterin Brunhilde in der Menge. »Einschließlich meiner.«

Die Schulleiterin erwiderte Rhians Blick, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie fasste ihn genauer ins Auge …

»Er sieht dich an!«, rief Arjun aufgeregt und packte sie am Arm. »Rhian erinnert sich an dich.« Als Brunhilde zur Bühne zurückschaute, hatte der König sich bereits wieder gefangen und richtete sein Augenmerk auf die Braut.

»Kein Ring mehr übrig. Keine Treueschwüre mehr zu leisten«, säuselte er und berührte Sophies Wange. »Außer einem.«

Langsam hob er den Blick.

Aus Löwenmähnes Spitze glitten zwei goldene Ringe.

Einer schwebte in die Hand des Königs, der andere in die seiner Braut.

Löwenmähne glühte heller am Himmel auf, Zeuge dieses bedeutsamen Moments, Altar und Gral zugleich.

»Mit diesem Ring nehme ich dich zu meiner Gemahlin«, verkündete der König und streifte Sophie den Ring über ihren Finger.

Das letzte bisschen Macht, das mir noch bleibt, schwindet langsam, meine Worte werden schwächer, als könnten sie einen weiteren Schlag nicht verkraften.

Sophie verlor sich in Rhians Blick.

»Mit diesem Ring nehme ich dich zu meinem Gemahl«, hauchte sie.

Und ohne zu zögern, streifte sie ihm ihren Ring über den Finger.

»Bei der Macht der Feder, des Menschen Feder«, verkündete der König und schaute zum Himmel auf, »befehle ich dir, Löwenmähne, das Band der Ehe zwischen Sophie und mir zu besiegeln. Ich befehle dir, Sophie als meine Königin zu krönen. Und mich, Rhian von Camelot, als den Einen und Wahren König dieses Waldes anzuerkennen!«

Löwenmähne glühte noch heller auf, saugte alle Kraft in sich ein, die mir verloren ging. Plötzlich wurde er lebendig, Löwenmähne war ich … und er spielte meine Kräfte dem König in die Hände. Eine schimmernde Königinnenkrone malte er in den Nachthimmel, fünf juwelenbesetzte Bänder, mit einem Ring aus Lilien als Abschluss.

Die Krone erwachte sofort zum Leben, ein gleißender Turm aus Diamanten, der durch den bloßen Wunsch des Königs entstanden war, dann senkte sich das Gebilde auf Sophies Haupt. Sophie berührte die Krone, der blendende Glanz der Juwelen warf Funken auf ihre Hand. Im selben Moment schoss eine seltsame Lichtkugel an ihr vorbei, und Sophie sah ihr nach, bis ihr wieder einfiel, warum sie hier war. Sie drehte sich wieder um und konzentrierte sich auf die Menge, die ihren Namen rief … und auf die Hochzeit mit ihrem König, die jetzt beinahe besiegelt war.

Der König hingegen war ganz auf Löwenmähne fixiert, die neue Feder, die vor Leben pulsierte und die Macht von hundert Flammen in sich vereinte. Seine Augen leuchteten triumphierend.

Die Ringe waren zerstört.

Die Königin hatte ihre Krone.

Die Prophezeiung war erfüllt.