Therme, Morde, Sahnetorte. Tod einer Krankenschwester - Valerie Salberg - E-Book

Therme, Morde, Sahnetorte. Tod einer Krankenschwester E-Book

Valerie Salberg

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Beschreibung

In der Bad Hasendorfer Rehaklinik herrscht Stillstand - ein Norovirus-Ausbruch! Viele Therapien fallen aus, gerade als Doro zur Wiederherstellung nach einer Schulter-OP dort ankommt. Glücklicherweise gibt es Besuch von ihrem frechen Dackel Cabanossi und auch Esme tritt dort zeitgleich einen Kurzurlaub an. Eine gute Gelegenheit also, das Umland von Bad Hasendorf zu erkunden. Doch als die Freundinnen bei einem Spaziergang ein Kind aus dem Moor retten, stoßen sie auf eine Leiche! Die Tote arbeitete als Krankenschwester in der Hasendorfer Klinik. Nur was bedeuten die Tabletten am Fundort, wo die Schwester doch angeblich erstochen wurde?

Spannend, lustig und skurril - genießen Sie den unterhaltsamsten Kuraufenthalt seit Langem, Schmunzeltherapie inklusive!

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über diese Folge

Die Reihe

Titel

Prolog

Kur 2.0

Motorbiene

Kur‍(z)‌tage

Gewissensfrage

Das Konzert der Laubfrösche

Yellow & Yellow & Yellow

Mordversuch und Massenaufstand

Kleine Kinder – kleine Sorgen, große Kinder – große Sorgen

Verstopfte Spürnase

Fluch der guten Tat

Himmelfahrt

Drei, zwei eins – nicht meins

Jagd nach dem Journal der Frösche

Mitgehangen, mitgefangen

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

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Über diese Folge

In der Bad Hasendorfer Rehaklinik herrscht Stillstand – ein Norovirus-Ausbruch! Viele Therapien fallen aus, gerade als Doro zur Wiederherstellung nach einer Schulter-OP dort ankommt. Glücklicherweise gibt es Besuch von ihrem frechen Dackel Cabanossi und auch Esme tritt dort zeitgleich einen Kurzurlaub an. Eine gute Gelegenheit also, das Umland von Bad Hasendorf zu erkunden. Doch als die Freundinnen bei einem Spaziergang ein Kind aus dem Moor retten, stoßen sie auf eine Leiche! Die Tote arbeitete als Krankenschwester in der Hasendorfer Klinik. Nur was bedeuten die Tabletten am Fundort, wo die Schwester doch angeblich erstochen wurde?

Mord im Kurort – Die Reihe

Doro, Esme und Manuela sind so unterschiedlich, wie frau nur sein kann. Trotzdem müssen sie gemeinsam in Bad Hasendorf den ganz normalen Wahnsinn im Gesundheitsbetrieb meistern. Zu allem Überfluss ist in dem idyllischen Kurort auch das Verbrechen zuhause! Doch mit ihren Schrullen, detektivischen Fähigkeiten und gesunden Körperteilen ergänzen sie sich die drei Damen hervorragend und sind schon bald den Bösewichten auf der Spur! Dabei vergessen sie aber nicht die schönste Nebensache der Welt: ein leckeres Stück Sahnetorte!

Valerie Salberg

Tod einer Krankenschwester

Prolog

Ein Schauer lief über ihren Rücken. Für Mitte Mai blies der Wind gerade ganz schön kühl. Vielleicht steckte ihr auch bloß die vergangene Nacht noch in den Knochen.

Er hatte sie wieder herzitiert, und alleine dafür hasste sie diese gottverlassene Einöde, die so trostlos wirkte, wie sich ihr Leben anfühlte.

»Warum treffen wir uns jedes Mal hier im Nirgendwo?«, hatte sie ihn einmal gefragt.

»Damit meine Jungs nicht spitzkriegen, wie ich an die Ware komme«, hatte die Antwort gelautet. »Wenn wir das im verdammten Kurpark machen, kann ich ja gleich mit 'nem Orchester rumlaufen wie der Schützenkönig und drum betteln, ausgeraubt zu werden.«

Ein Windstoß riss sie zurück in die Gegenwart. Ein gutes Stück entfernt spielte wieder dieses Kind am Wasser. Total versunken und blind für die Realität, aber dadurch leider nicht geschützt vor deren greifbaren Gefahren.

Zu ihrem eigenen Schutz trug sie ein Einmal-Skalpell. Man wusste ja nie.

Jemand kam über den Weg herangeschlendert. Seine Gestalt warf einen Schatten gegen die Sonne, der länger und länger zu werden schien, je näher er ihr kam. Wie ein Unhold in einem alten Stummfilm. Er war es.

Wahrscheinlich gefiel ihm der Gedanke, wie bedrohlich er aussah. Aber sie würde ihm gegenüber keine Furcht zeigen, das verstärkte nur seine Macht. Erleichtert bemerkte sie, dass das Kind drüben seine Sachen zusammenpackte.

Wie immer hatte er die unvermeidliche Dose Energydrink in der Linken, die er nach dem Leertrinken gewöhnlich einfach auf den Boden fallen ließ. Als er auf drei Meter herankam, streckte er bereits die freie Hand aus. Ohne Gruß. Stattdessen ein vorwurfvolles: »Hoffentlich ist das nicht so ein abgelutschtes Zeug wie letztens.«

Kur 2.0

Dienstag, 10. Mai, Bad Hasendorf, Soester Börde

Doro

Begrüßungsbroschüre der Gilbsch-und-Konrad-Klinik

Herzlich willkommen in unserer modern eingerichteten Klinik für Orthopädie mit angeschlossener Reha-Abteilung! Unser Haus ist bestens auf die Bedürfnisse und die Versorgung Frischoperierter eingestellt. Mit neuesten Therapien in einer Klinik der kurzen Wege bringen wir auch Sie wieder auf die Beine.

Doro räumte einhändig Unterwäsche aus dem Koffer-Trolley und so in den Schrank, dass sie schnell mit einer Hand die Sachen hervorzaubern konnte, wenn es mal wieder eilig war. Also wie eigentlich immer bei einer Reha. Wohlgemerkt bei der zweiten Reha, und das in weniger als einem Kalenderjahr!

Seit der Schulteroperation kam sie sich vor wie ein kaputter Gabelstapler, der mit der halben Gabel Paletten heben sollte, und nun bellte auch noch ihr Telefon. Weil ihre rechte Hand voller Slips war, wollte Doro das Gespräch reflexhaft mit links annehmen, der Seite mit der operierten Schulter.

»Autsch!«, zischte sie, und prompt glitt ihr das Handy zwischen den Fingern hindurch. Im letzten Moment bugsierte Doro es mit wildem Hüftschwung aufs Bett.

Diese Sekunde der Ablenkung nutzte die auf der rechten Handfläche zusammengelegte Wäsche, um auseinanderzurutschen wie ein schlecht gestapelter Berg Teller. Doro schaffte es gerade ins Schrankfach, brachte aber die daneben aufgetürmten Shirts aus dem Gleichgewicht. Sie wollte instinktiv mit beiden Armen dagegendrücken, aber da ziepten die Wundnähte, sodass die Bewegung glücklicherweise viel weniger energisch ausfiel.

»Nimm das!« Einhändig stopfte sie den Kleiderstapel mehr schlecht als recht ins Schrankfach zurück. Um gesund durch die Reha zu kommen, war man am besten fit und vor allem beidhändig.

Der Stapel kippte schon wieder. »Mist!«

»Nette Begrüßung«, drang eine Stimme aus dem Telefon.

Doro schnappte das Handy vom Bett. »Ja, bitte?«

»Doro, bist du das?«, hörte sie Manuela, ihre Bielefelder Freundin, durch die Leitung. Manuela, Esme und sie hatten sich während ihrer ersten Kur in Bad Hasendorf kennengelernt und angefreundet.

Doro lehnte sich gegen den offenen Schrank, damit die störrische Wäsche drin blieb. Trotz Stress setzte sie ihr strahlendstes Lächeln auf, um die innere Frohnatur zu wecken. »Was gibt es?«

Manuela lachte. »Äh, du hast angerufen.«

»Du hast doch angeklingelt«, meinte Doro kopfschüttelnd.

»Nee. Ich stecke mitten in meinem Video-Beitrag.«

Doro hätte sich beinahe am Kopf gekratzt. »Gerade hat das Telefon geklingelt, und als ich mit links drangehen wollte, muss ich aus Versehen an die Kurzwahl gekommen sein.«

»Bist du denn gut angekommen? Wie war die Fahrt?«, fragte Manuela.

Schwang da etwa Sensationslust mit?

Ihr Reisepech war inzwischen schon legendär. »Pünktlich, an einem Stück und im Einzelzimmer«, vermeldete Doro. Das war bei ihrem Reiseglück nun alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Dackel und Bonsai waren bei dieser Reise gut ... nun ja, zumindest versorgt.

»Klingt ja, als wäre diese Reha besser organisiert.«

Doro ertappte sich bei heftigem Nicken. »Es sieht aus, als würde der Speisesaal tatsächlich benutzt. Und ohne Halbmarathon zugänglich. Schön, wenn ich mir zur Abwechslung nur Gedanken machen muss, wie ich die Schulter wieder fit bekomme. Sogar die Arbeit fehlt mir irgendwie.« Doch es ging beim besten Willen nicht, einhändig in der Hautarztpraxis, in der sie arbeitete, die einen Patienten einzuchecken und gleichzeitig den anderen Rezepte auszuhändigen. Geschweige denn Allergietests zu machen und Verbände anzulegen. Da brauchte man eher noch einen dritten Arm.

Manuela räusperte sich vielsagend. Sie wollte bestimmt nicht bloß Kurgeschichten hören.

»Was macht dein Bericht?«, knüpfte Doro an den Anfang des Gesprächs an. Manuela stellte für einen Mystery-Kanal ein Video über die alte Handelsstraße durch Westfalen zusammen, den Hellweg. Anhand von mysteriösen Orten und ungeklärten Verbrechen, ganz nach ihrem morbiden Geschmack.

»Fast fertig.«

Doro brummte nur. Das behauptete Manuela seit Monaten. Doch bei den nächsten Worten wurde sie hellwach.

»Ich lasse dir eine extra Erwähnung zukommen.«

»Damit möchtest du wohl sicherstellen, dass ich mir das Video tatsächlich angucke, oder?« Doro schätzte eher Historische Romane, aber sie würde eine Ausnahme machen – auch weil sie hautnah am Geschehen gewesen war.

Manuela protestierte verhalten, also war vielleicht was dran.

»Dann wünsche ich dir viel Spaß und Sitzfleisch!« Doro trippelte auf der Stelle. Sie wollte endlich wissen, wer angerufen hatte. Es konnte ja ›was Ernstes sein.

»Im Moment krieche ich nur durch die Gegend. Ich hatte einen Hexenschuss, der sich gewaschen hat!«

»Oh, du Arme! Da wünsche ich dir aber gute Besserung! Vielleicht besteht ein Zusammenhang zu dem dauernden Hocken vor dem Computer. Versuch einfach, dich so viel wie möglich zu bewegen«, riet ihr Doro.

Manuela seufzte hörbar. »Ich mache gerade die Pillendiät und dank Doktor Apotheke geht es einigermaßen!«

»Ich muss weitermachen, weil ich beim Duschen so viel Zeit verloren habe«, griff Doro zu einer Ausrede. Sie konnte die Tür vor dem Kleiderschrank des Grauens nicht ewig halten. Außerdem brannte sie darauf zu erfahren, wer zuvor angerufen hatte. »Mach's gut, Manuela, und bis bald.«

Julias Name stand oben in der Anruferliste, und rasch rief sie zurück.

»Mama? Bist du gut angekommen?«, wollte Julia wissen.

Warum stellte ihr eigentlich heute jeder die gleiche Frage? Dabei hatten sie sich gestern Nachmittag erst getroffen – als sie bei Julia und ihrem angetrauten Romeo Jonas ihren Dackel Cabanossi in Pflege gegeben hatte.

»Ich habe mir schon Gedanken gemacht, als du nicht rangegangen bist«, redete Julia drauflos. Sie machte sich immer so viele Sorgen. In der Hinsicht kam sie überhaupt nicht nach ihrer Mutter.

Um ihre erwachsene Tochter zu beruhigen, zählte Doro alles auf, was bei der Anreise funktioniert hatte, gemäß dem Motto: Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heit'ren Stunden nur. »Ich bin ohne Zwischenfälle durchgekommen. Ja, Einzelzimmer. Etwas eng, aber mit Balkon.«

Sie verschwieg, dass sie von dort aus einen alten Bekannten aus der letzten Kur erspäht hatte: den Schlafbaum der hiesigen Krähen, ganz am äußersten Zipfel des Kurparks. Das Balkongeländer sah aus wie sandgestrahlt, obwohl ein oder zwei Vögel ihre Zielübungen trotzdem erfolgreich abgeschlossen hatten. Das erklärte den Hinweis in der Broschüre, dass Wäschetrocknen auf dem Balkon untersagt war.

Auch auf der Sitzbank prangte ein verdächtiger Fleck. Doch mit ihrer positiven Einstellung würde das Doro überhaupt nicht stören. Null. Gar nicht.

»Mama? Bist du noch dran?«

Doros Geist schnellte in die Gegenwart zurück. »Ja. Und wie geht es euch so?«

»Jonas ist gerade aus der Tür.«

»Er ist doch nicht etwa bei mir Blumen gießen gegangen?« Unwillkürlich setzte ihr Herz einen Schlag aus. Wenn Jonas und ihre geliebten Bonsais aufeinandertrafen, endete das selten gut.

Julia machte ein leises Geräusch. »Nein. Ich hüte den Schlüssel wie meinen Augapfel. Und deine Gießanleitung ist eindeutig genug. Jonas hat Cabanossi mitgenommen, da sind sie vielleicht nur Gassi gegangen.«

Am anderen Ende der Leitung rumpelte die Straßenbahn heran, und Julia beendete entnervt das Gespräch.

Also, das musste man Bad Hasendorf ja lassen: Es gab so gut wie nie Verkehrslärm. Weder Hupen noch Reifenquietschen oder brummende Lkw. Möglicherweise lag es daran, dass das Fenster auf die Einkaufspassage hinausging. Nichts deutete in ihrem temporären Zuhause auf Baustellen oder Renovierungen hin.

So schön es hier auch war, es war eine Klinik: Am besten, man blieb gesund – oder wurde es so rasch wie möglich. Dafür bot der am Kollaps vorbeischrammende Gesundheitsbetrieb den besten Anreiz.

Wieso hatte Doro ihre schwere Luxus-Latex-Matratze auch ganz allein wenden müssen? Gut, Julia hatte sie an dem Tag wegen eines Arzttermins versetzt, aber sie hätten das genauso verschieben können. Dann wäre Doro bei der Aktion bestimmt nicht auf dem rutschigen Läufer vor dem Bett ausgeglitten und mit der Schulter gegen den Bettrahmen geknallt!

Hätte, hätte, Fahrradkette.

Doro schloss die Augen und atmete tief durch, um die Gedanken zu vertreiben. Danach holte sie ihr in Samt eingeschlagenes Achtsamkeits-Tagebuch hervor, das mit einer eingeprägten Baumsilhouette verziert war: die Waldseiten.

Das Motiv spielte nicht zufällig auf einen ihrer Bonsais an. Das Buch war ein Entschuldigungsgeschenk von Tochter und Schwiegersohn, weil im vorletzten Jahr Doros Japanische-Mini-Mädchenkiefer deren »Pflege« nicht überlebt hatte.

Gedankenblasen und Begriffe wie Heute schon geliebt? oder Lecker darin sollten dazu verlocken, eigene Erlebnisse und Gedanken des Tages aufzuschreiben und mit den beiliegenden Stickern zu dekorieren.

Doro freute sich riesig darauf, in der Reha mit dem Buch anzufangen. Genau genommen war sie heiß darauf, wieder damit anzufangen. Sie hatte mit wachsendem Ehrgeiz, aber erlahmender Ausdauer bereits zwei Anläufe gestartet. Im Alltag war das kleine Ritual leider mit trauriger Regelmäßigkeit unter die Räder geraten. Daher hatte sie die ersten Monate mit Aktenklammern zusammengeklemmt, um nicht an die Fehlschläge erinnert zu werden. Sie brauchte einen frischen Start!

Weitere Sticker wären prima, denn sie hatte ja bereits einige verbraucht. Vielleicht Aufkleber zu zahlreichen Sport- und Wellness-Aktivitäten, die sie sich gönnen wollte.

Nun machte Doro rasch Fotos vom Zimmer und schickte sie ihrer Freundin Esme, die sie wie Manuela bei der letzten Reha kennengelernt hatte. In ihrem Zimmer sah es aus wie Kraut und Rüben. Natürlich wäre es schöner gewesen, ohne halb ausgepackten Trolley und verstreute Siebensachen. Aber schließlich war Esme kurerprobt und konnte ein bisschen Kürmel ab.

Doro entschied sich für eine braun-gelb geringelte Schlupfbluse aus Kunstseide. Dieser Tage war es wichtiger, dass sie gut in Kleidungsstücke hineinkam, als deren Farbe, Schnitt oder Material. Im Grunde waren Couchklamotten am besten. Doch in Sportkleidung mochte sie nun nicht zum Mittagessen im herrschaftlichen Speisesaal auflaufen.

Die Kurklinik mit dem H-förmigen Grundriss stammte aus dem Jahrhundert, als man Heilanstalten noch als wahre Gesundheitstempel gebaut hatte. Das verrieten die Fassade und der großzügige Wandelgang, der auf der gesamten Länge von romanischen Bögen durchbrochen wurde.

Zuletzt war der reine Bäderbetrieb unrentabel geworden, und man hatte das Gebäude umfunktioniert und modernisiert. Nun befand sich im westlichen Trakt eine Orthopädische Abteilung mit Krankenzimmern und Operationsräumen.

Der östliche Teil beherbergte die Reha-Klinik mit Patientenquartieren, Therapiebad sowie Gymnastik- und Geräteräumen. Es gab sogar eine Lehrküche.

Den durchgehenden Bereich, der beide Gebäudeteile verband, teilten sich medizinische Einrichtungen wie Labor, Schwestern- und Ärztezimmer. Er beherbergte auch den gemeinsamen Empfangsbereich, das Foyer und den Speisesaal.

Doro machte sich gleich dorthin auf den Weg und überflog ein Schild an der Aufzugtür: Knöpfe aus hygienischen Gründen bitte nicht mit den Geh-Hilfen drücken!

Also ehrlich, wer kam denn auf so was? Selbst wenn die großen Aufzugknöpfe und die Gummistopfen der Krücken aussahen, als passten sie genau aufeinander wie Topf und Deckel. Doro orientierte sich am Essensduft und passierte die Cafeteria-Ecke neben dem Speisesaal, wo interessant aussehende Prospekte bereitlagen. Auf der Sitzgruppe um den Tisch fläzten sich einige Patienten. Sie ließen den Eingang zur Kantine nicht aus den Augen und unterhielten sich angeregt.

»Ernährungsberatung!«, sagte einer der Männer abfällig. »Ich dachte, da bekommt man einen Imbiss und wird beraten. Aber die Öko-Trüffeltante hat nur über Gewicht und Brennwert geredet.« Er schnaufte bekümmert.

»Warte auf deinen Termin in der Lehrküche«, antwortete sein Begleiter. »Das ist der Praxisteil. Viel besser!«

Während die Männer über die Ernährungsberatung herzogen, ließen sie den Kantineneingang nicht aus den Augen.

Je nachdem, wer da im Saal verschwand, winkten sie oder steckten die Köpfe zusammen. Einer rief gerade: »Da ist Rudi! – Hey, Ruuudi! Na, auch schon wach?«

Sie wechselten durch den halben Raum ein paar Worte mit dem Mitpatienten. Dadurch bemerkten sie Doro immer noch nicht, die an ihnen vorbei zu den Broschüren wollte.

»Entschuldigung.« Sie schob sich verärgert an knochigen Knien und schlecht platzierten Krücken entlang. »Wenn ich denn mal durch dürfte ...«

Sie wählte eine Wanderkarte und eine Werbung des örtlichen Fahrrad- und Mopedverleihs, dazu eine Stadtzeitschrift mit Anzeigen der hiesigen Händler und Beiträgen zum kulturellen Leben. Bad Hasendorf hatte sich im vergangenen Jahr hübsch gemacht, und hoffentlich waren die letzten Spuren der bienenfleißigen Bautätigkeit verschwunden.

Als Doro sich mit vollen Armen wieder an der Sitzgruppe vorbeidrückte, geriet die Hochglanz-Stadtzeitschrift unter ihrem seidenumhüllten Ellbogen ins Rutschen. Die Zeitschrift flatterte zu Boden. Doro bückte sich und sammelte sie ein. Aber dafür musste sie erst die übrigen Broschüren sortieren, denn sie konnte wegen der Operation ja den Arm nicht ganz ausstrecken. Das Blut floss ihr ins Gesicht, was bestimmt nur an der Über-Kopf-Position lag.

Der Geräuschpegel in ihrem Rücken stieg. »Frischfleisch«, hörte sie hinter sich. Ein wieherndes Lachen und einige Mhs und Jas folgten.

Also, das war ja die Höhe!

Doro richtete sich wieder auf. Die komplette Aufmerksamkeit der Gruppe galt dem Eingang zum Speisesaal und vielleicht gar nicht ihrem Missgeschick.

Checkten die Typen da die neu angekommenen Patientinnen ab?

Sie räusperte sich. »Ich will doch mal schwer hoffen, dass sie uns zu Mittag Frischfleisch servieren«, sagte sie trocken und ließ die taxierenden Blicke an sich und ihrer Frohnatur abprallen wie an einer inneren Rüstung. »Gammelfleisch gibt es schließlich genug.« Sie schloss sich dem Menschenstrom in den Speisesaal an und hörte verlegenes Gelächter von hinten.

Jetzt hatten die Typen wenigstens einen Grund zu lästern.

Nach den Grilltomaten mit Käse an Herzoginkartoffeln und Möhrensalat war Doro sehr satt. An den übrigen Tischen drehten sich die Unterhaltungen um Anwendungen und Termine oder familiäre Angelegenheiten.

Da Doro nun schon mal unterwegs war, beschloss sie, den Weg zum Sprechzimmer auszukundschaften, um dafür beim Mittagschläfchen ein paar Minuten länger liegen bleiben zu können.

Trotz der Uhrzeit war auf dem Gang einiges los. Ärzte und Pflegepersonal eilten im strammen Laufschritt von einem Gebäudeteil zum anderen. Krankenschwestern nickten einander zu oder wechselten leise Worte miteinander.

Doro wollte ja nicht neugierig erscheinen – sie fühlte sich als Arzthelferin bloß gewissermaßen als Kollegin. Unwillkürlich spitzte sie die Ohren.

»Kommst du Mittag essen, Esther?«, fragte eine der Weißgekleideten die andere. Auf ihrem Namenschild stand Soo Yun. Sie wies auf eine Glastür mit der Aufschrift Personal-Kantine. »Sonst bleiben nur die Reste aus der Lehrküche. Obwohl, die Gemüse-Lasagne war gestern okay.«

Esther schüttelte den Kopf. Sie trug ein nierenförmiges Muttermal auf Höhe des Wangenknochens, das so braun war wie ihre Haare. »Ich muss mich gleich um die B vierzehn und fünfzehn kümmern.«

Die Kollegin machte ein mitfühlendes Gesicht. »Du hast auch immer spezielle Patienten.«

Esther errötete. »Ich erwische halt die Sensiblen.« Sie seufzte. »Dabei verteile ich die Pillen bloß, verschreiben tun sie die anderen. Ich präsentiere mein Mittagessen!« Sie zückte eine Banane pistolengleich aus der Kitteltasche und warf sich in Action-Pose. »Agentin Meyer gibt alles für die Gesundheit bei Gips und Krücken!« Dabei rutschte ein Stück Papier heraus.

Doros Blick glitt unwillkürlich über das Zettelchen zu ihren Füßen. Zu sehen waren Kühe im Strichmännchen-Stil sowie das morgige Datum und eine Uhrzeit, quer über die Rechenkästchen geschrieben.

»Na, das hat im Gegensatz zu deiner üblichen Schokolade wenigstens Vitamine!«, neckte Soo Yun die Kollegin. Sie bückte sich und reichte Esther den verlorenen Zettel zurück.

Nun wurde Esther auf Doro aufmerksam. »Kann ich helfen?«

Wie peinlich. »Ich suche das Sprechzimmer für die Aufnahmeuntersuchung bei Dr. Belcher.«

»Sie sind zu weit auf der Autobahn gekommen«, erklärte Esther augenzwinkernd. »Nehmen Sie eine Abfahrt früher.«

Doro verstand bloß Bahnhof, und Soo Yun erbarmte sich: »›Autobahn‹ nennen wir intern die Verbindung zwischen Klinik und der REHA-Abteilung. Kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihrem Boxenstopp.«

Motorbiene

Mittwoch, 11. Mai, Gilbsch-und-Konrad-Klinik, Bad Hasendorf

Doro

Doro erwachte mit einem matschigen Gefühl im Kopf. Das Zimmer war stockdunkel. Sie hatte sich im Schlaf auf die operierte Schulter gedreht. Nun fühlte sich der Arm taub an, weil die verspannten Muskeln auf die Nerven drückten. Das in den Griff zu bekommen war eines ihrer Reha-Ziele.

Doro blinzelte auf die Uhr. Es war gerade mal eine Viertelstunde nach vier Uhr morgens.

Sie drehte sich auf die gesunde Seite und vertraute darauf, dass der Handy-Alarm sie rechtzeitig wecken würde. Aber wenig später hallten Vogelrufe durch den anbrechenden Tag und den für die Frischluftzufuhr gekippten Fensterflügel.

Doro legte sich auf den Rücken und nickte wieder ein. Wenigstens kurz. Dann schreckten sie lautes Krächzen und Knarren auf.

Nachdem die rauen Stimmen so zum dritten Mal ihren Schlaf unterbrochen hatten, quälte sie sich aus dem Bett. Mit einem Puuuuf blies sich die bequeme Matratze hinter ihr wieder auf. Doro wankte schlaftrunken durch den Raum und schloss das Fenster.

Dann schlüpfte sie zurück unter die Decke und machte es sich gemütlich. Auch die Matratze stieß einen behaglichen Seufzer aus, als unter Doros Gewicht erneut die Luft entwich. Noch fast drei Stunden, bis der Wecker klingelte. Von draußen ertönten vereinzelte Krähenlaute, deutlich gedämpft.

Zufrieden glitt sie in den Schlaf.

Krächz, Krächz. Swusch!

Auf dem Balkon klackerte es metallisch. Doro schoss vor Schreck hoch und blinzelte ins Dämmerlicht, das durch den Ziervorhang drang.

Ein hüpfender Schatten bewegte sich vor der Gardine auf dem Geländer und krakeelte. Der Laut hätte gut in jeden Horrorfilm gepasst. Zumindest dachte Doro das, denn sie verabscheute Gruselfilme.

Ignorieren –flüsterte ihre innere Frohnatur und versuchte, ihr die Geräusche als urige Naturlaute zu verkaufen.

So lange, bis sich fünf Minuten später eine zweite Krähe auf den Balkon gesellte und sich beide Vögel ein Gesangsduell lieferten. Von wegen »Krah«! Die Federtiere schnalzten und flöteten, was das Zeug hielt.

Doro legte ein Ohr auf die Matratze und das Kissen auf das andere, doch es half wenig. Also stand sie wieder auf und klopfte gegen die Scheibe.

Die Krähen stolzierten über den Balkontisch auf sie zu. Mensch im Glaskäfig, dachten sie wohl. Sie nickten einander zu und winkten mit den Flügeln wie Zoobesucher, die die Aufmerksamkeit der ausgestellten Tiere erregen wollten. »Nun komm«, krächzten sie ihr zu. »Du brauchst bloß herauszugehen, dann können wir gemeinsam frühstücken.«

Sehr höfliche Krähen, fand Doro. Sprechende Krähen. Das war so abstrus, dass ihr klar wurde, dass sie gerade träumte. Und schon war sie wieder wach. Die Anzahl der Vögel hatte sich inzwischen verdoppelt.

Doro stand auf, diesmal wirklich, zog sich die Strickjacke an und öffnete die Balkontür. »Haut ab«, zischte sie.

Doch die Krähen wichen nur mit einem Flügelausbreiten aus, als sie merkten, dass Doro bloß bellte, aber nicht biss.

Rabenvögel waren kluge Geschöpfe, genau wie Dackel. Das brachte Doro darauf, wie ihr Hund am besten zu beeinflussen war. In der Tasche der Strickjacke fand sie Hundeleckerli und warf eins auf den Tisch. Nachdem eine Krähe vorsichtig heranhüpfte und probierte, ließ Doro die restlichen Leckerli übers Geländer zwei Stockwerke nach unten fallen.

Die Krähenbande folgte dem Futter.

Doro blieb misstrauisch noch ein paar Minuten draußen, bis es ihr zu kalt wurde. Keine Spur mehr von den schrägen Vögeln. Dann verschwand sie wieder im Bett und schlief wie eine Tote bis zum Weckerklingeln. Entweder hatte ihre Bestechung funktioniert, oder sie war einfach zu müde gewesen.

Vor das Frühstück am ersten Tag nach der Anreise hatten die Götter der Medizin das Labor gesetzt. Die kleinen Becher für die Doping-Probe (nüchtern) waren bereits am Vortag verteilt worden, und die Befüllung klappte problemlos.

Gähnend und zerschlagen machte sich Doro für den Tag fertig. Das Zahnputzglas wäre ihr dabei fast aus der Hand gerutscht. Und da die gelb-braune Bluse schon mal oben auf der Stuhllehne lag, musste sie eben herhalten. Doro hatte keine Energie für Modefragen.

Andere Patienten, ihre Becherchen offen oder schamhaft in Tüten verhüllt, schlossen sich ihr auf dem Flur an wie Schlafwandler.

Die Blutabnahme gelang schnell und beinahe schmerzlos, wie Doro aus professioneller Sicht beurteilen konnte.

»Sie haben schöne Venen«, sagte die Schwester, als sie das Pflaster aufklebte. Ein zwiespältiges Kompliment, denn es erleichterte zwar die Blutabnahme, aber rein optisch wäre Doro weniger deutlich blaues Blut lieber.

Zeit fürs Frühstücksbüfett.

Doro musste den doppelten Flüssigkeitsverlust unbedingt mit Kaffee auffüllen, um dem Zombie-Modus zu entkommen. Hilfe, dachte sie. Manuelas Geschichten färben ab.

Irgendwo quietschte ein Schlüssel, und Doro blickte auf. Wie es aussah, waren die Therapiepläne bereits auf die Patientenfächer verteilt worden. Sie steckte ihr Faltblatt ein, denn erst mal wollte sie sich einen Platz am Büfett sichern.

Im Speisesaal mit der Fensterfront auf den Kurpark stützte Doro das Tablett mit dem Bauch ab und füllte mit der gesunden Hand vorsichtig ein Kännchen Kaffee. Dann nahm sie ein Mohnbrötchen. Nun war die Blutprobe ja abgegeben, und eventuelle Mohnspuren würden nicht für ein verdächtiges Ergebnis sorgen.

Doro kicherte unterwegs zum leeren Zweiertisch in sich hinein. Drogentest in der Reha, das fehlte gerade noch.

»Ist hier frei?«, ertönte da eine Stimme neben ihr, doppelt so laut wie nötig. Der Mann mit dem überfüllten Tablett wartete keine Erwiderung ab, sondern nahm Platz.

Als Erstes butterte er konzentriert und wortlos drei aufgeschnittene Brötchen, belegte sie von Herzhaft (Wurst) über Neutral (Hüttenkäse) bis hin zu Süß (Marmelade). Dann zog er das Telefon aus der Jogginghose, aß und nippte am Orangensaft oder Kaffee. Bald bewegte sich sein Scroll-Daumen synchron zum Kiefer.

Innerlich seufzte Doro. Der war schon mal keiner der gesprächigen Sorte. Am benachbarten Tisch saß ausgerechnet die muntere Frischfleisch-Clique, offenbar bester Laune.

»Du wolltest doch Kalorien sparen, Gerd!«, ermahnte eine der Frauen ihr Gegenüber. »Bei der Ernährungsberatung hieß es, dass wir bewusster mit den Kalorien umgehen sollen.«

»Also, ich genieße ganz bewusst jede Kalorie!«, warf die andere Frau lachend ein.

»Mo-ment.« Gerd hielt seine Brötchenhälfte in der einen Hand und in der anderen eine rechteckige Käsescheibe. Dann legte er beides demonstrativ aufeinander. Wie zu erwarten, lappte der eckige Käse über die runde Brötchenhälfte hinaus.

Doro sah fasziniert dem Schauspiel zu.

»Die Käsescheiben sind zu groß. Und ich möchte ja keine Lebensmittel umkommen lassen ...« Er brach die Käseecken ab – Gouda, wenn man der Farbe trauen konnte – und steckte sie sich in den Mund. »Für die Brötchen sind die Scheiben zu lang, aber für die Brotschnitten zu klein. Da bräuchte ich dann eineinhalb, also zwei, denn es gibt ja bloß ganze Käsescheiben. Und das, was übrig bleibt, braucht noch eine Unterlage.«

»Die halbe Scheibe passt perfekt auf einen Toast. Oder schneide den Käse vorher ab«, riet ihm sein Nachbar.

»Wollte ich letztens – nachdem ich ein scharfes Messer organisiert hatte, musste ich mich neu anstellen. Hat fünf Minuten extra gedauert. Und bis dahin war der Gouda alle.«

Doro hatte ein Déjà-vu. Ja, man durfte niemals seinen Platz in der Schlange aufgeben. Um keinen Preis, sonst ging man am Ende leer aus.

Der Meister der gerechten Käseverteilung schnaufte frustriert. »Und gestern habe ich das Buttermesser vom Büfett umfunktioniert. Das war so stumpf, dass ich den Käse regelrecht zerstückeln musste.«

»Gib mal in der Küche Bescheid«, schlug die eine Frau vor. »Damit sie den Belag vorschneiden.«

Doro spielte mit dem Gedanken, sich mittags mal zu der Gruppe dazuzusetzen. Sie vermisste die Unterhaltungen mit Esme aus der letzten Kur. Dafür hatte sie wohl den falschen Tischnachbarn. Also, ungesellig konnte sie ebenfalls sein. Doro rührte energisch den Zucker in der Tasse um, legte den Therapieplan neben den Teller und faltete das Blatt auseinander. Sie las den ersten Termin:

8 Uhr – 8.15 Uhr Verbandswechsel/Medikamentenausgabe. Schwesternzimmer.

Ihr Gegenüber machte einen »Huch«-Laut, und das Orangensaftglas kippte Doro entgegen. Sie fing es auf, doch ein Schwapp spritzte auf den Behandlungsplan.

»›tschuldigen Sie!«, platzte der Mann heraus und reichte ihr in komisch anmutender Galanterie seine Papierserviette.

Die Serviette nahm zwar einen Großteil der klebrigen Flüssigkeit auf, trotzdem war die Schrift vom Reiben verwischt. Ausgerechnet der 8.30-Uhr-Termin war unleserlich.

Doro versuchte, das Wort zu entziffern. »Mot... Moto...«, las sie vor. Und irgendwas mit »...iene«.

»Häh?« Ihr Gegenüber fühlte sich wohl angesprochen.

Augenrollend zeigte ihm Doro das durchnässte Blatt. »Ich versuche, meine erste Anwendung rauszukriegen. Denn vorher muss ich noch zum Schwesternzimmer.« Das wurde schon wieder knapp mit dem Frühstück. Doros innere Frohnatur leitete mit hektischen Flugbegleiter-Gesten ihre Unruhe in andere Bahnen, und Doro tippte nervös mit einem Fuß.

Nun studierte auch der Drei-Brötchen-Mann die lesbaren Buchstaben. »Moto und -iene, dröhnte er. »Motor...iene.«

Wie peinlich!

Am Nebentisch wiederholte jemand die Wortfetzen. Die Frischfleisch-Clique amüsierte sich bestens. Köpfe wurden zusammengesteckt. Einer der Männer tastete wild auf dem Handy herum.

Aus-ge-rech-net! Doro nahm kurzerhand den Behandlungsplan wieder an sich. »Ich gucke einfach bei der Raumnummer, so schwierig wird das kaum sein«, versuchte sie, ihr Gegenüber von weiterer tapsiger Hilfe abzulenken. Glücklicherweise war die vordere Ziffer der Zeile noch lesbar. Wie es aussah, lag der Raum im Erdgeschoss. Doro atmete bewusst aus, um sich zu entspannen.

Vom benachbarten Tisch ertönten Motorengebrumm und die ersten Takte eines deutschen Oldies. Doro aß ihre zweite Brötchenhälfte und versuchte, den Liedtext über die Freuden des Motorrollers zu ignorieren. Aber der Refrain drängelte sich durchs Ohr in ihr Bewusstsein: »Mo-tor-biene.«

Als sie aufsah, schaute Doro in grinsende Gesichter, und zufällig stach ihr das Muster ihrer Bluse ins Auge. Gelb-braun geringelt. Fast wie eine ... Biene. Oje!

Sie presste die Zähne aufeinander. Und löste den Kiefer ganz bewusst wieder, auch wenn sie sich innerlich verkrampfte. Doro wünschte, sie hätte etwas Schlagfertigeres parat, aber alles, was ihr einfiel war: »Dann summe ich gleich mal ab.«

Es war gleichfalls Flucht und das Bedürfnis, die bösen Erinnerungen an das Mobbing von früher zurückzulassen.

Wegen des abgebrochenen Frühstücks war sie die Erste beim Verbandswechseln. Immerhin ein Vorteil. Ein Pfleger ließ sie um Punkt acht Uhr hinein und verschwand nach nebenan.

Doro verfolgte durch die angelehnte Tür einen Wortwechsel im Nebenzimmer, bei dem es um Medikamentenzuweisungen ging.

Sie schlüpfte aus dem geringelten Oberteil und ertappte sich bei der Vorstellung, die Bluse gleich zurück in den Koffer zu packen. Eigentlich war das Kleidungsstück ohnehin viel zu schade für die Reha. Sie schluckte.

Dann endete das Gespräch, und eine Angestellte kam herein. Doro erkannte Schwester Esther von der »Autobahn« vor allem an ihrem Muttermal wieder.

Sie berichtete von der OP, während die Pflegerin ohne große Worte ihre Schulter versorgte.

»Ich würde das selbst verbinden, wenn die Wunde nicht ausgerechnet so weit oben wäre«, erklärte Doro, als ihr das Schweigen zu lang wurde. »Ich bin medizinische Fachangestellte.« Wenigstens waren dank der minimalinvasiven OP-Technik nur kleine Löcher zurückgeblieben. Ein Drainageschlauch war bereits kurz nach der OP entfernt worden.

»Die Wunden sehen gut aus!«, verriet Esther, die das besser beurteilen konnte als Doro, die sich vor dem Spiegel verrenken musste, um einen Blick darauf zu werfen. »Kommen Sie mit den Schmerzen zurecht?«

»Es geht«, meinte Doro tapfer. Weil sie so schlecht geschlafen hatte, tat das alles natürlich doppelt weh.

Esther hatte einen leichten rheinischen Akzent, bei dem sich die Kölnerin Doro gleich wohlfühlte.

Die Schwester händigte ihr den Schuber mit den Schmerztabletten für den Tag aus. Doro ließ sich ein Glas Wasser geben und schluckte gleich die erste Pille.

»Wenn Sie etwas Stärkeres brauchen, müssten Sie das mit dem Arzt abklären«, riet ihr die Schwester. »Dann passen wir die Dosis an.«

»Vielen Dank und schönen Tag noch!«, wünschte Doro.

Esthers Schultern versteiften sich. »Wir werden sehen!«, flüsterte sie.

Nachdem sie ihren fliederfarbenen Joggingdress angelegt hatte, machte sich Doro daran, das Therapiegeheimnis unter dem Orangensaftfleck zu lüften. Bewegungstherapie CPM, stand an der Tür von Raum E 16.

»Ist das ihr erstes Mal mit der Motorschiene?«, fragte der junge Mann, der sie einließ.

Motorschiene, aha. Doro nickte.

»Ich bin Matteo.« Der Therapeut, mit Band-T-Shirt unter dem lässig offen stehenden weißen Kittel, führte sie zu einem Sitz mit einem angebrachten Roboterarm. Das Ganze erinnerte Doro an einen Montageroboter bei Ford, wo ihr Ex-Mann arbeitete.

»Wir werden uns in den nächsten Tagen häufiger zum Armdrücken sehen«, versprach Matteo gut gelaunt, als gehörte ihm der mechanische Arm. »Dann wollen wir mal.«

Ein bisschen unwohl wurde Doro, als Unterarm und Ellbogen in der an dem Rahmen aufgehängten Manschette verschwanden. Sollte sie etwa gegen einen Widerstand arbeiten, wie bei der Trainingstherapie? Also dazu fühlte sie sich definitiv noch nicht fit genug. »Und was mache ich?«

»Sie müssen gar nichts tun!«, versprach der Therapeut. Ratsch! Er zog einen Klettverschluss auf. »Das erledigt die Motorschiene für Sie. Und durch die kontrollierte, passive Bewegung wird die operierte Schulter mobil gehalten.«

Motoren waren fehleranfällig. Es brauchte bloß einen Ausrutscher, und der Roboter würde ihren Arm aus dem Gelenk reißen. Innerlich erschauderte Doro. »Aber könnte man das nicht auch mit Krankengymnastik hinkriegen?«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht in einem so streng festgelegten Radius und ohne Belastung für Sehnen und Bänder.« Matteo klettete den letzten Verschluss zu. »Das fühlt sich kaum anders an als eine Orthese, ist aber schonender. Und für die Durchblutung und den Fluss der Lymphe wirkt es wahre Wunder. Denn das wiederum hilft gegen Schwellung und beschleunigt die Heilung.«

Doro nickte bei jedem Satz wie ein Wackeldackel. »Aha«, krächzte sie mit trockenem Mund, als leise summend der Motor startete.

»Nicht dagegenstemmen. Am besten entspannen Sie sich und genießen die Show.«

Es war eigenartig, dass sich ihr Unterarm neben ihr auf und ab bewegte, ohne dass sie darauf Einfluss hatte.

»Und der Verband übersteht das?«, fragte sie. »Schwester Esther hat sich heute solche Mühe gegeben.«

»Esther Meyer?«

Sie nickte, und sein Gesichtsausdruck wurde ein bisschen verträumt. »Das sollte keine Probleme bereiten. Und wie ich Esther kenne, benutzt sie eher zu viele Pflasterstreifen als zu wenig.« Es war die Art, wie er den Namen aussprach, die Doro verriet, dass die Schwester ihm sympathisch war.

»Wie ging es ihr denn?«, erkundigte er sich und erklärte rasch: »Wir kennen uns von der Pflegeschule.«

»Ach, wir haben bloß über meine Schulter gesprochen«, sagte Doro wahrheitsgemäß. »Aber gerade war sie noch im Verbandsraum. Da könnten Sie Esther gleich selbst fragen.«

Matteo schüttelte den Kopf und wurde rot.

Es folgte Trimmradfahren. Genau das Richtige, um den Kreislauf nach der zu kurzen Nacht anzukurbeln.

Ringsum in der medizinischen Trainingstherapie schwitzten, ruderten, strampelten, stemmten Mitpatienten. Doros Schweiß tropfte wie ein lecker Wasserhahn, und einige verwirrte Neuankömmlinge mit ihren Plänen bekamen die Stationen erklärt. Doro kannte die meisten Geräte bereits, und nach der Zeit auf dem Ergometer stieg sie bloß auf einen Apparat, in dem sie mit angewinkelten Beinen eine Platte zurückschob. Bauch, Beine, Po!

Esme

In ihrem exklusiven Schuhgeschäft mit einer besonderen Abteilung für Brautschuhe stellte Esme sich der Herausforderung, das passende Schuhwerk für ein asterrotes Brautkleid zu finden.

»Kein Schwarz, das bringt Unglück! Und ich möchte schon ein bisschen Absatz. Mein Bräutigam soll sich ja beim Hochzeitskuss keinen Hexenschuss holen.«

Die angebotenen Modelle waren ihr zu schmal oder zu hoch. Außerdem sollte es weder Wildleder noch Glattleder werden. Am besten gar kein Leder, gestand die Braut. Sie bevorzugte den veganen Lebensstil.

Esme nickte bei jedem neuen Einwand, während durch ihr Hinterstübchen Farb-‍, Material und Absatzkombinationen ratterten. »Probieren Sie die doch mal an«, riet sie, nachdem sie einen Karton mit rehbraunen Pumps geholt hatte. »Die sind mit Samt bezogen.« Leider waren die Schuhe so flach, dass der Kleidersaum auf dem Boden schleifte. Puh!

Die Mundwinkel der Kundin sanken herab. »Da müsste ich das Brautkleid kürzen lassen, sonst laufe ich ja rum wie eine Prinzessin, die die ganze Zeit ihren Saum hochhebt.«

Das Rostrot des Kleides erinnerte Esme an den Spieleabend mit ihrer Nichte, bei dem sie das Steampunk-Brettspiel »Flügel aus Dampf« ausprobiert hatten. Xenia war begeistert gewesen von dem rostigen Vintage-Look mit Zahnrädern, Fliegerbrillen und Metall plus Rüschen plus Leder.

Ach, Xenia!