Thorald von Tallinn und die Ghule von Trier - Franklin Tummescheit - E-Book

Thorald von Tallinn und die Ghule von Trier E-Book

Franklin Tummescheit

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Beschreibung

Die Handlung des ersten Eifel Fantasy Romans "Thorald von Tallinn und die Ghule von Trier" spielt in einer fantastischen Eifel des Mittelalters, in der Magie, Magier und magische Geschöpfe zum Alltag gehören. Thorald von Tallinn ist ein magiebegabter ehemaliger Kampfheiler, der seinen Lebensunterhalt als reisender Schriftkundler in der Stadt Colonia bestreitet. Seine Reisen führen ihn regelmäßig in die Region zwischen den Städten Aachen, Colonia, Coblenz und Trier. Als Kleinkind wurde Thorald von Tallinn verflucht und verspürt seitdem jedes Mal Schmerzen, wenn in seiner Gegenwart gelogen wird. Dieser Fluch und sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit haben ihn zu einem bekannten Jäger menschlicher und nicht-menschlicher Ungeheuer gemacht. In diesem Roman klärt Thorald von Tallinn nicht nur eine Serie grausamer Morde in der Stadt Trier auf, sondern erzählt in Rückblenden auch die Geschichte, wie er zu diesem bekannten Jäger wurde.

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Seitenzahl: 411

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Franklin Tummescheit

Ein Eifel Fantasy Roman

Dritte Auflage (überarbeitet)

Texte:

© Copyright by Franklin Tummescheit

Umschlaggrafik:

© Copyright by Felicia Wolf

https://srcrss-art.carrd.co

Umschlaggestaltung:

© Copyright by Schattmaier Design

https://schattmaier-design.com

Verlag:Franklin TummescheitMühlenau 1

53534 Kirmutscheid

Telefon +49 1520 8734415

[email protected]

https://tummescheit.com

Druck und Vertrieb:

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1 - Heute

Kapitel 2 - Damals

Kapitel 3 – Heute

Kapitel 4 – Damals

Kapitel 5 – Heute

Kapitel 6 – Damals

Kapitel 7 – Heute

Kapitel 8 – Damals

Kapitel 9 – Heute

Kapitel 10 – Damals

Kapitel 11 – Heute

Kapitel 12 – Damals

Kapitel 13 – Heute

Kapitel 14 – Damals

Kapitel 15 – Heute

Kapitel 16 – Damals

Kapitel 17 – Heute

Kapitel 18 – Damals

Kapitel 19 – Heute

Kapitel 20 – Damals

Kapitel 21 – Heute

Kapitel 22 – Damals

Kapitel 23 – Heute

Kapitel 24 – Damals

Kapitel 25 – Heute

Kapitel 26 – Damals

Kapitel 27 – Heute

Kapitel 28 – Damals

Kapitel 29 – Heute

Kapitel 30 – Damals

Kapitel 31 – Heute

Kapitel 32 – Damals

Kapitel 33 – Heute

Kapitel 34 – Damals

Kapitel 35 – Heute

Kapitel 36 – Damals

Kapitel 37 – Heute

Kapitel 38 – Damals

Kapitel 39 – Heute

Kapitel 40 – Damals

Kapitel 41 – Heute

Kapitel 42 – Damals

Kapitel 43 – Heute

Kapitel 44 – Damals

Kapitel 45 - Heute

Kapitel 46 – Damals

Kapitel 47 – Heute

Kapitel 48 – Damals

Kapitel 49 – Heute

Kapitel 50 – Damals

Kapitel 51 – Heute

Kapitel 52 – Damals

Kapitel 53 – Heute

Kapitel 54 – Damals

Kapitel 55 – Heute

Kapitel 56 – Damals

Kapitel 57 – Heute

Kapitel 58 – Damals

Kapitel 59 – Heute

Kapitel 60 – Damals

Kapitel 61 – Heute

Kapitel 62 – Damals

Kapitel 63 – Heute

Kapitel 64 – Damals

Kapitel 65 – Heute

Kapitel 66 – Damals

Kapitel 67 – Heute

Kapitel 68 – Damals

Kapitel 69 – Heute

Kapitel 70 – Heute

Epilog

Anhang - Arabellas Rezeptbuch

Anhang – Arabellas Rezeptbuch - Tinten

Anhang – Arabellas Rezeptbuch - Elixiere

Anhang – Arabellas Rezeptbuch - Öle

Danksagung

Leseprobe „Von Menschen und Katzen – ein Weltraumabenteuer“

Prolog

Der Vollstrecker – der Friedenswächter – der Unbestechliche – der Gerechte – der Mordbube – der Unerbittliche – der Gnadenlose - das alles sind Namen, unter denen ich heute bekannt bin. Und aus der Sicht derjenigen, die mir diese Namen gegeben haben, sind sie alle zutreffend. Denn all das bin ich – und darüber hinaus bin ich auch noch Richter und Henker in einer Person.

Nicht, dass mich jemand offiziell mit diesen Ämtern betraut hätte. Es hat sich einfach so ergeben. Und wie es dazu kam, erzähle ich Euch in dieser Geschichte.

Ich – Thorald von Tallinn.

Kapitel 1 - Heute

Seit fünf Tagen bin ich auf der alten römischen Handelsstraße, einem Teil der Via Agrippa, unterwegs. Morgen werde ich mit meinem Pferdekarren die Stadt Trier erreichen. Der Rat der Stadt hat mir eine Botschaft nach Colonia geschickt. Die Ratsherren fragen an, ob ich bereit sei, eine Reihe von Morden in Trier zu untersuchen und die Mörder zur Strecke zu bringen. Dafür sind die Ratsherren bereit, tief ins Stadtsäckel zu greifen. So tief, dass es mir erst gar nicht in den Sinn kam, diesen Auftrag abzulehnen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich in Trier arbeiten werde. Auf einer meiner Reisen vor gut zehn Jahren war ich dort schon einmal eher zufällig über ein Nest von vier Vampiren gestolpert. Ich hatte diese dauerhaft von ihrem unheiligen Blutdurst kuriert. Die übrig gebliebenen Aschehäufchen hatte ich sorgfältig und diskret im Fluss Mosella entsorgt. Diese Diskretion und die Gründlichkeit, mit der ich dabei zu Werke ging, hatten mir sowohl das Wohlwollen und als auch das Vertrauen des Trierer Stadtrates eingebracht.

Dieses Wohlwollen ist nicht selbstverständlich. In mehr als einer Stadt habe ich angesehene Bürger und Adelige als Verbrecher und Ungeheuer entlarvt und zur Strecke gebracht. In einigen dieser Städte möchte man mich deshalb heute am liebsten nicht mehr sehen.

Morgen werde ich also in Trier ankommen und endlich wieder in einem weichen Bett schlafen. Heute Nacht allerdings werde ich noch allein im Wald verbringen. Das ist mir lieber, als in einem der Rasthausbetten an der Handelsstraße zu schlafen, die, wenn sie nicht völlig verlaust sind, von Bettwanzen nur so wimmeln. Und da es das Wetter an diesem späten Frühlingstag erlaubt, ziehe ich die Unbequemlichkeit und Einsamkeit eines Lagers im Wald den verseuchten Rasthausbetten vor.

Kohn und Max, meine Pferde, sind für die Nacht versorgt und genießen das frische Gras, das hier auf der Lichtung an einem kleinen Bach wächst. Kater – der Tressym, der mich vor Jahren in Bremen adoptiert hat und mich seitdem auf meinen Reisen begleitet – ist auf der Jagd nach seinem Abendessen. Wenn er erfolgreich war, wird er irgendwann zurückkehren und sich sanft schnurrend neben mich ans Feuer legen. Wenn er nicht erfolgreich war, wird er mich so lange anmaunzen, bis ich mein Essen mit ihm teile – was allerdings eher selten der Fall ist.

Mein Essen – das ist heute ein Wildeintopf, der in einem Topf über dem Feuer hängt und vor sich hinköchelt. Ich konnte ihn einer Bauersfrau auf der Römerstraße abkaufen. Eine willkommene Abwechslung zum üblichen harten Brot und dem Käse, von dem ich mich ernähre, wenn ich auf Reisen bin.

Vor Räubern und Gesetzlosen fürchte ich mich nicht. Zum einen ist die Römerstraße eine Handelsstraße und wird von den Reitern der Fürsten, durch deren Gebiete sie führt, gut bewacht. Zum anderen gibt es leichtere Opfer als mich – ein Umstand, den jeder erfahrene Räuber mit einem Blick auf meine Kleidung und meine Bewaffnung sofort erkennt. Schwere, gepolsterte und mit Metallstreifen verstärkte Lederkleidung, Langschwert, Kurzschwert, Dolch und Armbrust trage ich deutlich sichtbar. Waffen und Kleidung von ausgezeichneter Qualität, aber eher unscheinbarem Aussehen.

Darüber hinaus befinden sich in meinem Gepäck noch einige exotische Waffen, die speziell für die Jagd auf Geschöpfe gedacht sind, die nicht zur Gattung Mensch gehören. Egal ob Vampire, Werwölfe, Banshees oder Wassermänner – mit meinen speziellen Waffen kann ich das Leben und Treiben einer jeden Kreatur beenden, und sei sie noch so unheilig und hartnäckig.

Zu meinen wirkungsvollsten Waffen gehören allerdings eher Kräuter, Glaskolben, Mörser, Schreibutensilien und Pergament, mit denen ich die Tinten für die Schriftrollen meiner Zaubersprüche und die Elixiere und Öle zubereite, die während meiner Arbeit zum Einsatz kommen. 

Während ich auf die Rückkehr des Katers von seinem Jagdausflug warte, hänge ich meinen Gedanken nach und bin gespannt, was mich in Trier erwartet. In ihrem Brief schrieben die Ratsherren nur davon, dass mehrere ihrer Bürger in „offensichtlich dämonischen Ritualen“ ermordet wurden. Warum es sich bei den Morden um dämonische Rituale handeln soll, ging aus dem Schreiben allerdings nicht hervor. Das werde ich dann wohl selbst herausfinden müssen.

Und genau das ist der Teil meiner Arbeit, die mir am meisten Spaß macht – den Feind identifizieren, um dann zu planen, wie ich ihn am besten zur Strecke bringen kann. Und wenn ich diesen Teil meine Berufes richtig mache, dann ist der reine Akt des Vernichtens eines Ungeheuers nur noch reine Routine.

Kapitel 2 - Damals

Die Welt ist voller Lügen und voller Lügner. Sie begegnen uns auf Schritt und Tritt. Und machen wir uns nichts vor – wir alle lügen. Immer und immer wieder, denn das Lügen ist ein unverzichtbarer Teil des menschlichen Miteinanders.

„Tante Frieda, Deine neue Frisur steht Dir ausgezeichnet!“

„Ach Martha, was für ein schickes Kleid Du da trägst!“

„Keine Sorge, Lisa, Dein Vater wird bestimmt wieder ganz gesund.“

„Aber natürlich werde ich Dich für immer lieben, Wulfger. Was für eine dumme Frage.“

„Danke – es geht mir gut.“

Ich erkenne diese Lügen. Jede einzelne. Denn sie bereiten mir Schmerzen -körperliche Schmerzen.

Kennt Ihr das stechende Gefühl, wenn Ihr ein Loch im Zahn habt und mit der Zunge darankommt? Genau diesen stechenden Schmerz verspüre ich bei jeder Lüge, die ich höre. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine bösartige Lüge oder um eine gutgemeinte Lüge handelt. Und es spielt keine Rolle, ob jemand versucht, mich anzulügen oder ob ich nur zufällig mit anhören muss, wie jemand anderes angelogen wird – alle diese Lügen bereiten mir Schmerzen.

Als kleines Kind war mein Leben ein Alptraum. Ständig wurde ich von Schmerzen geplagt. Und niemand wusste, was diese Schmerzen verursachte, da ich körperlich gesund war, was Dutzende von Medici und Heilern, zu denen mich meine Eltern schleppten, bestätigten.

Erst als ich fünf Jahre alt war, identifizierte eine weise, alte Frau meine Schmerzen als Folge eines Maledictio Veritatis – eines Fluches der Wahrheit. Ein Fluch, der mich dazu zwingt, jede Lüge zu erkennen und darauf mit Schmerzen zu reagieren.

Sobald meine Eltern die Wahrheit wussten, unternahmen sie alles, um mich zu schützen. Nicht nur vor den Schmerzen, die mir die Lügen bereiteten. Auch vor den Geistlichen der Neun Götter in Tallinn, für die Verfluchte als Teufelsbrut galten, die ausgemerzt werden musste.

Und so verließen wir unsere Heimat Tallinn, eine Hochburg der Neun Götter, und zogen ins weit entfernte Coblenz. Dort herrschten zwar auch die Neun, allerdings waren die Geistlichen dort toleranter gegenüber Andersgläubigen. Sie betrachteten Verfluchte auch nicht als Teufelsbrut.

Und trotz all ihrer Bemühungen fanden meine Eltern niemals heraus, wer mir den Fluch beschert hatte, der mir das Leben zur Hölle machte.

Kapitel 3 – Heute

Als ich mich der Stadt Trier nähere, bin ich überrascht. Ich habe deutlich mehr Menschen auf der Straße erwartet, die auf die Stadt zustreben. Natürlich sehe ich die typischen von Ochsen gezogene Frachtkarren, berittene Boten und bewaffnete Reitertrupps, die die Handelsstraße bewachen. Aber ich sehe keine Fußgänger – die Händler und Bauern aus den umliegenden Dörfern, die morgens in die Stadt ziehen, um dort ihren Geschäften nachzugehen, fehlen. Offensichtlich meiden die Bewohner des Umlandes die Stadt Trier.

Ich erreiche das berühmte Schwarze Tor – die Porta Nigra - im Nordosten der Stadt zur Mittagszeit. Die Sonne steht hoch am Himmel. Die Stadtwachen beobachten die wenigen Besucher aus dem Schatten des Torbogens, und kontrollieren jeden ihnen unbekannten Reisenden, der die Stadt betreten will.

Als ich das Tor passiere, spricht mich der wachhabende Feldwebel höflich an: „Willkommen in Trier, mein Herr. Sagen Sie mir bitte Ihren Namen und was Sie in unsere Stadt führt?“ Ich zügle die beiden Pferde und halte meinen Karren an. „Guten Tag, Feldwebel. Mein Name ist Thorald von Tallinn und ich bin auf Einladung des Stadtrats nach Trier gekommen.“

Ein erleichtertes Lächeln huscht über das Gesicht des Stadtwächters. Offensichtlich ist er über die Einladung des Stadtrats informiert und kennt meinen Ruf. Er nickt verstehend und sagt: „Herr von Tallinn, Sie werden bereits erwartet. Kennen Sie den Weg zum Rathaus oder soll ich Ihnen einen Führer mitgeben? Um Ihre Pferde wird man sich im Stall am Rathaus kümmern.“

Zwar bin ich regelmäßig in Trier – mindestens einmal im Jahr - und bin mir sicher das Rathaus zu finden. Trotzdem nehme ich sein Angebot an. „Danke, ein Führer wäre mir sehr recht.“ Der Feldwebel stößt einen gellenden Pfiff aus und aus dem Dunkel des Torbogens stürmt ein etwa zehnjähriges Mädchen auf uns zu.

„Arabella, führe Herrn von Tallinn zum Rathaus und zeige ihm den Stall, wo man sich um seine Pferde kümmern soll. Die ehrenwerten Stadträte erwarten ihn bereits.“

Ich rufe Arabella zu, sie soll sich zu mir auf den Bock des Pferdekarrens setzen. Flink klettert sie hoch und setzt sich neben mich. Ich habe keine Mühe, mit dem Karren durch die Straßen der Stadt zu fahren, da diese beinahe menschenleer sind. Auch das ist nicht normal. Die Straßen einer Stadt dieser Größe müssten um diese Zeit mit Fußgängern überfüllt sein. Aber heute sind nur einige wenige Menschen zu Fuß unterwegs, und die, die ich sehe, machen einen gehetzten Eindruck.

Ich kenne dieses Verhalten. Ich habe es schon in anderen Städten gesehen, in denen es unerklärliche Gewaltverbrechen gab – die Menschen in Trier haben Angst. Da kann die Sonne noch so hell scheinen - diese Angst legt sich wie ein schwerer, dunkler Schatten über die ganze Stadt und lähmt das öffentliche Leben.

„Arabella,“ frage ich meine junge Führerin, „erzähle mir, wovor die Menschen hier solche Angst haben, dass sie sich nicht trauen, ihre Häuser zu verlassen.“

Arabella, die bislang mehr oder weniger starr geradeaus auf die Straße geblickt hatte dreht sich zu mir um. „Bitte nennt mich Bella, das tun alle.“ Dann erzählt sie mir: „Seit einem halben Jahr passieren hier in der Stadt grauenhafte Morde. Irgendein Ungeheuer tötet und verstümmelt wahllos die Bewohner – die armen genauso wie die reichen – und inzwischen traut sich kaum noch jemand auf die Straßen.“ Sie sieht erwartungsvoll zu mir hoch. „Das ist der Grund, warum der Stadtrat Euch, den berühmten Thorald von Tallinn, gerufen hat. Ihr sollt das Ungeheuer jagen und unschädlich machen, damit es wieder sicher ist in der Stadt.“

Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. „Und, was meinst Du?“ frage ich Arabella. „Werde ich das schaffen?“ „Das hoffe ich, Herr. Das hoffe ich wirklich. Es wäre schön, wenn wir endlich wieder in Sicherheit leben könnten.“

*****

Der Stadtrat von Trier besteht aus vier der einflussreichsten Bürger der Stadt und einem Vertreter der Krone. Sie erwarten mich im Kleinen Ratssaal und zeigen sich als hervorragende Gastgeber, die mir nach der Begrüßung erst einmal eine Erfrischung anbieten, bevor wir zum geschäftlichen Teil kommen.

Interessanterweise ist es Markus von Hallstatt, der Vertreter der Krone, der den geschäftlichen Teil unserer Unterredung eröffnet. Das hatte ich nicht erwartet, nachdem die Stadt Trier mein Auftraggeber ist.

Von Hallstatt kann nicht verleugnen, dass er einen militärischen Hintergrund hat. Im Gegensatz zu den prächtigen Gewändern der vier städtischen Ratsherren trägt er eher schlichte Kleidung, die stark an eine leichte Rüstung erinnert. Dazu ist er auch entsprechend mit Schwert und Dolch bewaffnet.

„Herr von Tallinn,“ beginnt er, nachdem ich ein schmackhaftes Mittagessen genossen habe. „Sie wissen sicherlich, dass seine Majestät ein großes Bauprogramm in Auftrag gegeben hat, in dem es darum geht, die Westgrenze des Reiches gegen marodierende Barbarenstämme zu sichern. Dazu gehören auch der Wiederaufbau und die Modernisierung der größtenteils verfallenen römischen Festungsanlagen, von denen sich eine hier in Trier befindet.“

Er sieht mich erwartungsvoll an, als ob er auf eine Bestätigung seiner Vermutung wartet. Ich nicke, da ich tatsächlich bereits von diesem Vorhaben gehört habe und in den letzten Monaten mehrere Städte besucht hatte, in denen die Bauarbeiten an den alten Festungsanlagen bereits begonnen haben.

Nachdem ich meine Kenntnis bestätigt habe, lehnt sich von Hallstatt zurück und fährt fort. „In Trier haben die Arbeiten an der alten Römerfestung vor etwa einem Jahr begonnen. Vor gut sechs Monaten haben die Arbeiter in den Katakomben eine Kammer freigelegt, die wohl irgendwann einmal für schreckliche magische Rituale genutzt wurde.“  Er macht eine kurze Pause und sieht die Ratsherren an. „Wir haben natürlich unsere Kleriker zur Reinigung in diese Kammer geschickt – aber offensichtlich zu spät. Seitdem diese Kammer freigelegt wurde, geht ein grausamer Tod um in Trier.“

Nun ergreift der Sprecher der Ratsherren, Gunther von Trier, ein reicher Kaufmann, den ich schon von meinem ersten Aufenthalt in der Stadt kenne, das Wort. „Seitdem hatten wir hier in Trier acht grauenhafte Morde. Die Opfer wurden regelrecht zerrissen und wohl auch teilweise aufgefressen. Zumindest ist das die Meinung des Medicus Kaspar von Gahlen, der die Leichen untersucht hat.“

Als er davon erzählt, steht ihm das Grauen ins Gesicht geschrieben und er wird deutlich grün um die Nase. Offensichtlich hat er eines oder mehrere der Opfer gesehen und erinnert sich gerade wieder an den blutigen Anblick.

Mein erster Gedanke – den ich allerdings erst einmal für mich behalte: Ghule. Von Nekromanten beschworene Dämonen oder Untote, die ihre Opfer zerreißen und sich von ihrem Fleisch ernähren.  Allerdings gibt es da einen Haken. Ghule findet man eher im islamischen Kulturkreis und nicht in Europa. Beschworene Untote in Europa würden ihre Opfer zwar auch zerreißen, sie aber nicht fressen.

Eine weitere Möglichkeit ist das Wirken von Werwölfen, die ihre Opfer mit Bissen töten, um sie danach zu zerreißen und zu fressen. Eine Werwolfplage geht allerdings immer mit der Zunahme von Wolfssichtungen einher und ist eher in ländlichen Gebieten anzutreffen und weniger in einer Stadt wie Trier. Es sei denn, ein einzelner Werwolf hätte sich hier in der Stadt niedergelassen. Dagegen spricht allerdings die hohe Zahl der Opfer und die Zeiten, zu denen sie ermordet wurden. Ein einzelner Werwolf würde immer zur Zeit seiner Verwandlung, um den Vollmond herum, morden und sich dazwischen ruhig verhalten. 

„Habt Ihr im letzten halben Jahr eine Zunahme von Wolfsrudeln um Trier herum festgestellt?“ frage ich die Stadträte, was sie verneinen. In den Eifelwäldern um Trier gibt und gab es immer einige Wolfsrudel, allerdings weist nichts darauf hin, dass deren Zahl im letzten halben Jahr zugenommen hat. Außerdem greifen diese Wolfsrudel in der Regel keine Menschen an, da der Wald genug Nahrung bietet.

„Wann war der letzte Mord und kann ich mir die Leiche noch ansehen oder wurde sie schon beerdigt?“ will ich als nächstes von meinem Gesprächspartnern wissen. „Ich muss sie selbst untersuchen, um feststellen zu können, um welches Ungeheuer es sich handelt.“

Es ist Gunther von Trier, der mir antwortet. „Der letzte Mord ist gerade drei Tage her und die Leiche der bedauernswerten Martha Schmied liegt noch im Spital, wo der Medicus sie untersucht hat.“ „Das ist gut,“ lasse ich die Stadträte wissen. „Lasst den Medicus bitte wissen, dass ich noch heute Nachmittag vorbeikomme und sie selbst untersuchen werde. Und morgen werde ich mir die Kammer in den Katakomben der Festung anschauen.“

„Das wird leider nicht möglich sein,“ teilt mir Markus von Hallstatt mit. „Nach der Entdeckung und Untersuchung der Kammer haben wir den ganzen Bereich einreißen und zuschütten lassen. Wir konnten ja nicht ahnen, dass diese verdammte Mordserie folgen sollte.“

Gunther von Trier lädt mich ein, Quartier in seinem Haus zu beziehen. Allerdings will ich mir meine Unabhängigkeit wahren und werde mir ein Zimmer im Gasthaus „Zum ersten Licht“ nehmen. So kann ich zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen und gehen, wie ich will, ohne unter ständiger Beobachtung zu stehen.

Bevor ich mich auf den Weg zum Spital mache, um die Leiche des letzten Mordopfers zu untersuchen, habe ich noch eine Bitte an den Stadtrat. „Ich würde mir gerne die junge Arabella als Führer und Boten ausleihen. Sie scheint recht pfiffig zu sein und könnte mich bei der Arbeit unterstützen. Natürlich wird sie dafür von mir anständig entlohnt.“

Gunther von Trier verspricht mir, Arabella zu informieren und zum Gasthaus zu schicken, wo sie auf mich warten soll.

Ich verabschiede mich und begebe mich ins Gasthaus und dann später weiter zum Spital, um das letzte Opfer des Ungeheuers von Trier zu untersuchen.

Kapitel 4 – Damals

Um mich vor den Menschen und ihren Lügen abzuschirmen und um mir damit Schmerzen zu ersparen, habe ich in Coblenz Unterricht von einem Hauslehrer bekommen. Frater Timothy war ein ehemaliger Akolyth und Gelehrter der Neun Götter.  Er war allerdings aus der Gemeinschaft der Neun verstoßen worden, nachdem er sich zu sehr der Natur und ihren Wundern zugewandt hatte. Für viele der Geheimnisse, die man dem Wirken der Neun zusprach, hatte er natürliche Erklärungen gefunden. Er galt nicht offiziell als Häretiker, dem die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen drohte, wurde aber von den Offiziellen der Gemeinschaft als Abtrünniger und Verstoßener eingestuft.

Der gelehrte Frater wurde in den nächsten fünf Jahren neben meinen Eltern zu meinem engsten Vertrauten. Er war einer der ganz wenigen Menschen, die das Geheimnis meines Fluchs kannten. Von ihm lernte ich alles, was ein junger Mensch aus angesehenem Haus wissen musste – Geschichte, Geografie, Mathematik, Sprachen. Und darüber hinaus lehrte er mich die kritische Betrachtung der Religion, Naturkunde und die Grundlagen der Technik. Unter seiner Anleitung führte ich die ersten alchemistischen Experimente mit Pflanzen durch und gemeinsam entdeckten wir mein Talent als Magiewirker.

Ich bin kein Magier, der Magie aus seiner Lebenskraft erzeugen kann. Aber ich habe das Talent, die in der Natur vorkommende Magie in Elixieren, Ölen, Artefakten und Schriftrollen festzuhalten und diese Magie dann anzuwenden.

Unter Frater Timothys Anleitung mischte ich die ersten magiegeladenen Tinten und schrieb damit die ersten magischen Glyphen auf Schriftrollen. Das war eine aufregende Zeit, auch wenn sie mir mehr als einmal versengte Augenbrauen und leichte Verbrennungen einbrachte, weil einige der Zauber nicht ganz so wirkten, wie sie wirken sollten.

Und ich lernte unter Frater Timothys Anleitung mir den Schmerz, den die Lügen der Menschen mir verursachten, nicht mehr anmerken zu lassen. Es ist nicht so, dass ich den Schmerz nicht mehr spüre. Aber ich bin inzwischen in der Lage, diesen plötzlichen Schmerz ohne die unwillkürlichen Anzeichen wie das Zusammenzucken, zu ertragen.

Mein Vater, der unseren Lebensunterhalt als Waffenmeister am Fürstenhof in Coblenz verdiente, begann zur gleichen Zeit mit meiner Waffenausbildung. Die verschiedenen Schwerter, Säbel, Äxte, Streitkolben, Dolche, Armbrust, Kurz- und Langbogen – egal, welche Waffe es auch war – sie wurde von meinem Vater in unsere Übungen einbezogen. Auch diese Waffenausbildung und das vertraute Miteinander mit meinem Vater habe ich als sehr angenehm in Erinnerung, wenn mir dieses Miteinander auch regelmäßig blaue Flecken und kleine Schnittwunden einbrachte.

Ich entwickelte auch eine tiefe Liebe und mein Verständnis für Tiere. Ich erkannte, dass Tiere im Gegensatz zu Menschen nie logen und mir deshalb nie weh taten – weder bewusst noch unbewusst. Sie zeigten deutlich ihre Zuneigung und auch ihre Abneigung. Diese Hinwendung zu den Tieren führte dazu, dass mich auch heute noch kein bissiger Hund anknurrt und dass selbst das störrischste Pferd unter meiner Hand lammfromm ist.

Und so lebte ich trotz des Fluches bis zu meinem 10. Lebensjahr ein unbeschwertes und erfülltes Leben mit meinen Eltern und Frater Timothy in Coblenz.

Kapitel 5 – Heute

Ich hole den Karren und meine Pferde Kohn und Max aus dem städtischen Stall ab und mache mich mit ihnen auf den Weg zum Gasthaus „Zum ersten Licht“. Dort stelle ich die Pferde im Stall unter und gebe dem Stallburschen Anweisungen für Futter und Pflege, bevor ich mein Gepäck mit Hilfe eines Hausdieners auf mein Zimmer bringe.

Noch während ich damit beschäftigt bin, meine Sachen auszupacken, klopft es an die Tür. Als ich öffne, steht dort Arabella und sieht mich in freudiger Erwartung an. „Ah, Bella,“ begrüße ich sie, „das trifft sich gut, Du kannst mir gleich beim Auspacken zur Hand gehen.“ Damit gebe ich den Weg frei, so dass sie mein Zimmer betreten kann.

Neugierig sieht sie sich um und ihr Blick bleibt kurz auf meinen alchemistischen Gerätschaften hängen, bevor er zum Kater weiterwandert, der es sich auf einem gepolsterten Sessel bequem gemacht hat. Während meiner Besprechung im Rathaus war er bei den Pferden geblieben. Hier im Gasthaus leistet er mir allerdings lieber in meinem Zimmer Gesellschaft.

„Warum hat Eure Katze Flügel?“ fragt mich Arabella neugierig. Diese Frage überrascht mich, da Kater es nur ganz wenigen Menschen erlaubt, ihn in seiner echten, geflügelten Gestalt zu sehen. Die meisten Menschen sehen in dem magischen Tressym nur eine ganz gewöhnliche, wenn auch ziemlich große rotgetigerte Katze. Ich werfe dem Kater einen überraschten Blick zu, bevor ich ihre Frage beantworte.

„Kater ist ein Tressym. Das ist ein magisch beschworenes Wesen in der Gestalt einer Katze mit Flügeln. Und bevor Du fragst – nein, ich weiß nicht, wer Kater beschworen hat. Wir haben uns vor einigen Jahren in Bremen getroffen und Kater hat damals entschieden, dass er bei mir bleiben und mich begleiten will. Und dass er sich Dir in seiner wahren Gestalt zeigt, ist eine große Ehre. Die meisten Menschen sehen in ihm nur eine normale Katze.“

Ein leuchtendes Strahlen erhellt Arabellas Gesicht. Sie dreht sich zu dem Tressym, deutet eine leichte Verbeugung an und sagt: „Danke, dass Du mir Deine wahre Gestalt zeigst.“ Kater nimmt diesen Dank wohlwollend entgegen und beginnt, sich nach Art aller Katzen ausgiebig zu putzen. Für ihn ist das Thema damit erledigt.

*****

„Bella,“ frage ich meine junge Gehilfin, „kannst Du mir den Weg zum Spital zeigen? Ich möchte mich dort mit dem Medicus Kaspar von Gahlen treffen und die Überreste des letzten Mordopfers untersuchen.“ Sie antwortet mit einem Nicken. „Natürlich, das Spital ist nicht weit weg von hier.“

Auf dem Weg zum Spital frage ich sie nach ihrer Familie, da es mir seltsam vorkommt, dass ein junges Mädchen wie sie Aufträge der Stadtwache ausführt. Und dann stelle ich fest, dass mich meine Ahnung nicht getrogen hat.

„Meine Familie – Vater, Mutter und ein älterer Bruder – ist während der großen Seuche vor vier Jahren gestorben. Ich habe als einzige überlebt. Da Vater bei der Stadtwache gearbeitet hat, hat sich die komplette Wache meiner angenommen. Ich schlafe und esse bei den Wächtern an der Porta Nigra, kenne aber auch alle anderen Stadtwächter an den anderen drei Toren. Und mit den meisten komme ich sogar gut zu Recht.“ Dabei grinst sie verlegen und ich vermute, dass es den einen oder anderen Wächter gibt, dem Arabella lieber aus dem Weg geht.

So etwas habe ich bereits vermutet. Nun sehe ich diese Vermutung bestätigt. „Wenn wir aus dem Spital zurück sind, lauf zu den Wächtern an der Porta Nigra und sage dort Bescheid, dass Du in den nächsten Tagen bei mir im Gasthaus wohnen und essen wirst. Sie sollen sich schließlich keine Sorgen um Dich machen. Ich werde ein Bett bei den Dienstboten für Dich bezahlen, damit Du jederzeit zu meiner Verfügung bist.“

Arabellas Augen leuchten auf. Für sie ist es mit Sicherheit das erste Mal in ihrem Leben, dass sie in einem recht noblen Gasthaus wie dem „Ersten Licht“ übernachtet. Auch wenn es nur in einem der Dienstbotenzimmer ist.

*****

Arabella führt mich durch schattige Gassen, die teilweise so eng sind, dass ich sie zu Pferd nicht hätte nutzen können. Die Häuser stehen hier so dicht zusammen, dass sie keinen Platz für das Sonnenlicht lassen. Schnell wird mir klar, dass das Mädchen ein Glücksgriff für mich ist. Sie kennt in ihrer Stadt jeden Winkel und ich bin mir sicher, dass sie auch Orte kennt, die sie besser nicht kennen sollte.

Nach weniger als einer Viertelstunde stehen wir vor dem Spital, dem man schon von außen ansieht, dass es von der Gemeinschaft der Neun Götter gebaut wurde. Kaum jemand anders hat die nötigen finanziellen Mittel, so ein massives, zweistöckiges Gebäude aus den für die Gegend typischen grau-schwarzen Basaltsteinen bauen zu lassen. An den Außenwänden sehe ich religiöse Symbole der Gemeinschaft der Neun Götter.

Und mit seinen großen Buntglasfenstern, die ein Vermögen gekostet haben müssen, wirkt das Gebäude fast wie eine Kirche. Bis ich mir die Bilder der Fenster genauer anschaue und erkenne, dass es sich durchweg um erotische Szenen mit Nymphen und Satyren handelt. Da scheint sich einer der Geldgeber für das Spital einen derben Scherz auf Kosten der Gemeinschaft der Neun Götter erlaubt zu haben. Ich kann mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.

Das bemerkt auch Arabella und sie erklärt mir, wie es nach den Erzählungen der Menschen in der Stadt zu den frivolen Fenstern kam. „Als der Rat der Stadt Trier vor gut hundert Jahren das Spital bauen wollte, erklärte sich die Gemeinschaft der Neun Götter bereit, den benötigten Basaltstein aus einem ihrer Steinbrüche zur Verfügung zu stellen. Auch die nötigen Handwerker zur Bearbeitung des Steins wollte die Gemeinschaft bezahlen, wenn sie im Gegenzug die Pachtrechte an drei Dörfern im Umland Triers erhielt.“

Arabella macht eine kurze Pause, bevor sie mit ihrer Erklärung fortfährt. „Dabei hat die Gemeinschaft der Neun den Rat der Stadt über den Tisch gezogen. In der Vereinbarung bezog sich die Gemeinschaft ausschließlich auf die Steine und die Maurer, so dass der Rat alle anderen Arbeiten und Handwerker – die Zimmerleute, Dachdecker, Schmiede und auch die Glasmacher – selbst bezahlen musste. Und als kleine Rache an der Gemeinschaft der Neun Götter hat der Stadtrat damals geschlossen entschieden, das Spital mit den frivolen Fenstern zu verzieren.“

„Und was passierte mit den Stadträten, die der Gemeinschaft diesen Streich gespielt haben?“ will ich von meiner Begleiterin wissen. „Gar nichts,“ grinst die mich an. „Außer, dass ihnen die Bevölkerung der Stadt ein kleines Denkmal gebaut hat, das noch heute im hinteren Eingangsbereich des Rathauses steht.“

Ich kann mir ein breites Grinsen nicht verkneifen, werde dann aber schnell wieder ernst. Diese Geschichte dient mir nicht nur zur Erheiterung, sie liefert mir auch wertvolle Informationen über die Stellung der Gemeinschaft der Neun Götter in Trier.

In Tallinn, meiner Geburtsstadt und einer Hochburg der Neun Götter, wäre ein solcher „Racheakt“ des Stadtrats nicht möglich gewesen, ohne dass das Kirchengericht die Stadträte als Gotteslästerer verurteilt hätte. Ganz offensichtlich war und ist die Stellung der Gemeinschaft der Neun in Trier bei weitem nicht so stark wie in Tallinn. Eine für mich wichtige Information, da meine Handlungen nicht immer das Wohlwollen dieser Gemeinschaft haben.

Ich möchte nicht, dass Arabella an der Untersuchung des Leichnams des letzten Opfers Martha Schmied teilnimmt. Deshalb entlasse ich sie vor dem Spital. Ich gebe ihr den Auftrag herauszufinden, welche Kleriker an der Untersuchung der Leiche, aber auch an der Reinigung der Kammer in den Katakomben beteiligt waren. Die möchte ich auch sprechen, da ich mir von ihnen wichtige Informationen zur Identität des Mörders erwarte.

„Um sieben Uhr gibt es Abendessen im Gasthaus. Sei bis dahin zurück. Und vergiss nicht, die Stadtwache zu informieren, dass Du in nächster Zeit mit mir unterwegs sein wirst.“ Arabella nickt eifrig, bevor sie sich auf den Weg macht.

Und ich wappne mich innerlich für eine erneute Begegnung mit dem Bösen – oder zumindest mit einem Opfer des Bösen.

Kapitel 6 – Damals

Mein zwar fluchbeladenes, nichtsdestotrotz aber im wesentlichen unbeschwertes Leben endete in meinem 10. Lebensjahr. Den ersten Schlag verpasste mir das unerbittliche Schicksal, als mein Lehrer und Vertrauter, Frater Timothy, wegen einer wichtigen Erbschaftsangelegenheit in seine britannische Heimat Coventry zurückgerufen wurde. Da er inzwischen kein Akolyth der Neun Götter mehr war, der von der weltlichen Erbfolge ausgeschlossen war, musste er das Erbe seines Vaters im fernen Britannia antreten. Noch jahrelang führte ich eine rege Korrespondenz mit ihm, habe ihn aber bis zu seinem Tod vor sieben Jahren nie wieder gesehen.

Den zweiten Schlag versetzte mir das Schicksal, als plötzlich und unerwartet meine Eltern starben. Sie waren auf einem Ball bei einem Vasallen des Fürsten außerhalb von Coblenz, als ihre Kutsche auf dem Rückweg in die Mosella stürzte. Ein offensichtlicher Unfall, auch wenn die Gerüchte niemals verstummten, dass bei dem „Unfall“ jemand nachgeholfen habe. Allerdings habe ich für dieses Gerücht niemals echte Anhaltspunkte gefunden.

Und so stand ich plötzlich allein da – ohne meine geliebten Eltern und ohne meinen Freund, Vertrauten und Lehrer.

Glücklicherweise hatte mein Vater für einen solchen Fall Vorsorge getroffen. Und so kam ich in den Haushalt eines seiner entfernten Cousins, der seinen Lebensunterhalt als Schriftkundler und Hersteller von Schriftrollen in Coblenz verdiente. Bei ihm konnte ich die mit Frater Timothy begonnenen Studien fortsetzen und begann ganz offiziell eine Lehre als Schriftkundler. Daneben verfolgte ich weiterhin das Studium der Alchemie.

Leider vertrug ich mich nicht mit der Frau meines Onkels und Meisters. Sie sah mich aus mir unerklärlichen Gründen als Gefahr für ihre Kinder – zwei Jungen von 8 und 12 Jahren und einem Mädchen im Alter von 9 Jahren. Und während die Jungen die Abneigung ihrer Mutter übernahmen und keine Gelegenheit ausließen mich zu piesacken, verstand ich mich sehr gut mit meiner Cousine. Sie half mir durch diese schwere Zeit hindurch.

Fünf Jahre lebte ich im Haushalt meines Onkels. In dieser Zeit machte ich mir trotz meiner jungen Jahre einen Namen als Alchemist und Schriftkundler, der machtvolle, magiegeladene Schriftrollen herstellen konnte. Was meine Position in seinem Haushalt nicht verbesserte. Er sah mich immer mehr als Konkurrenz für sein eigenes Geschäft und machte mir – inzwischen zusammen mit seiner Frau und seinen Söhnen – das Leben zur Hölle.

Und so entschloss ich mich an meinem fünfzehnten Geburtstag – dem Tag meiner Volljährigkeit – der königlichen Armee als Kampfheiler beizutreten, um so dem Haushalt meines Onkels zu entkommen.

Kapitel 7 – Heute

Im Spital frage ich nach Kaspar von Gehlen. Ein Akolyth im Gewand der Neun Götter führt mich in eine kleine Kammer, wo ich den Medicus treffe. Ein junger Mann, keinesfalls älter als ich mit meinen 29 Jahren. Offensichtlich hat er meine Ankunft bereits erwartet. Er unterbricht seine Schreibarbeiten und begrüßt mich höflich und mit einer gewissen Zurückhaltung. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Zurückhaltung auf Ehrfurcht oder Ablehnung basiert.

„Herr von Tallinn, ich freue mich, die Bekanntschaft einer berühmten Persönlichkeit wie Ihnen machen zu dürfen.“ Sofort durchzuckt mich der Schmerz der Lüge. Was immer diesen Mann auch antreibt – er ist nicht ehrlich zu mir und er freut sich keineswegs, mich in seinem Spital zu treffen. Allerdings hat das allein noch nichts zu sagen. Es kann einfach der Ärger darüber sein, dass er bei seiner Arbeit gestört wird. Oder die Tatsache, dass der Rat der Stadt einen Fremden hinzugerufen hat, der nun seine Arbeit begutachtet und eventuell bewertet. Es kann aber auch sein, dass der Mann Geheimnisse hat, von denen er nicht möchte, dass sie ans Tageslicht kommen.

Ich lasse mir nicht anmerken, dass ich seine Lüge erkannt habe. „Herr von Gahlen, es tut mir leid, dass ich Sie bei Ihrer wichtigen Arbeit störe. Aber ich erhoffe mir von Ihnen wichtige Informationen, die mir helfen, den Täter zu identifizieren.“

Bewusst schmiere ich ihm Honig ums Maul, um deutlich zu machen, dass ich mich nicht als sein Konkurrent sehe. Daher betone ich auch die Wichtigkeit seiner Aussage, obwohl er mir wahrscheinlich nichts wird sagen können, was ich bei einer Untersuchung des Opfers nicht selbst herausfinden werde.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Leiche der bedauernswerten Martha Schmied,“ sagt er, während er vorausgeht. Gemeinsam steigen wir ins Kellergeschoß des Spitals hinab.

In einem Raum, in dem die Toten des Spitals normalerweise für die Beisetzung vorbereitet werden, liegt auf einem der drei Steintische ein mit einem blutbefleckten Tuch bedeckter Körper. Mit einer leicht theatralischen Geste zieht der Medicus das Tuch weg und enthüllt die nackte Leiche des letzten Mordopfers. Ich sehe, dass der Kopf, beide Arme und ein Bein abgetrennt wurden. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als seien die Körperteile abgerissen worden, allerdings werde ich gleich noch genauer nach Schnittspuren suchen.

Brustkorb und Bauchraum sind aufgerissen und lassen einen Blick ins Innere des Leichnams zu. Herz und Leber scheinen zu fehlen.

„Haben Sie das Herz und Leber entfernt?“ frage ich den Medicus, obwohl mir natürlich bereits klar ist, wie die Antwort ausfallen wird. „Nein,“ antwortet dieser dann auch wie erwartet, „Herz und Leber haben schon gefehlt, als der Leichnam hier ins Spital gebracht wurde. Ich habe die Stadtwache sogar am Fundort der Leiche danach suchen lassen, allerdings ohne Ergebnis. Herzen und Lebern fehlten auch bei den anderen sieben Leichen.“

Ich werfe einen genaueren Blick auf die Stellen, an denen sich Herz und Leber befinden sollten. „Herr von Gahlen,“ frage ich den Medicus, „haben Sie bemerkt, dass Herz und Leber nicht aus dem Körper gerissen wurden, wie man eigentlich erwarten sollte, sondern dass sie sorgfältig herausgeschnitten wurden?“ Ich zeige ihm die Arterien der beiden Organe, die glatt durchgeschnitten sind. „Nein,“ antwortet dieser, „das hatte ich nicht bemerkt.“ Und wieder durchzuckt mich der Schmerz der Lüge. Der Medicus hatte sehr wohl bemerkt, dass Herz und Leber herausgeschnitten wurden und dieses Wissen absichtlich verheimlicht. Was geht hier vor? Warum belügt er mich?

Ich führe die Untersuchung des Leichnams fort und komme zu dem Schluss, dass der Kopf, die Arme und das Bein mit roher Gewalt aus dem Körper gerissen wurden. Die ausgefransten Wundränder sprechen eine eindeutige Sprache. Mit dem Kopf hatten die Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit angefangen, da ich hier in den Rändern des ausgerissenen Gewebes das meiste Blut finde. An den Extremitäten ist das nicht der Fall, was vermuten lässt, dass das Herz schon nicht mehr geschlagen hat und das Blut nicht mehr geflossen ist, als sie ausgerissen wurden.

An den ausgerissenen Extremitäten entdecke ich eindeutige Biss- und Fraßspuren. Es fehlt Muskelfleisch an beiden Oberarmen und am Oberschenkel des ausgerissenen Beins. Hier hat es sich jemand oder etwas schmecken lassen.

Ich hole ein kleines Fläschchen aus einer der Taschen meiner Jacke und gebe einige Tropfen einer klaren Flüssigkeit auf die Bissspuren und auf die abgeschnittenen Arterienenden. In den Bissspuren färbt sich die Flüssigkeit sofort hellblau, auf den Arterienenden bleibt sie farblos.

Ich spüre, dass mich von Gahlen fragend anschaut und erkläre ihm deshalb, was ich gerade tue. „Diese Flüssigkeit ist ein Magie-Katalysator. Da, wo der Körper mit Magie in Berührung gekommen ist, verfärbt sie sich hellblau. Und wie Sie sehen können, stammen die Bissspuren von magischen Wesen. Die Schnittspuren haben sich dagegen nicht verfärbt. Hier ist definitiv keine Magie im Spiel gewesen.“

Ich untersuche die Leiche noch einmal genau und finde einige blaue Flecken, die wahrscheinlich entstanden, als das Opfer zerrissen wurde. Allerdings finde ich keine Bissspuren von Reißzähnen, die typischerweise zu finden sein müssten, wenn ein Werwolf der Mörder wäre.

Nach einer Stunde beende ich die Untersuchung der Leiche. Ich bin mir sicher, dass ich alles herausgefunden habe, was ich mit meinen Mitteln hier herausfinden kann, und gebe für den Medicus Kaspar von Gahlen eine kurze Zusammenfassung.

„Ich denke, dass das Opfer Martha Schmied von drei Ghulen und einem Menschen ermordet wurde. Die Ghule haben ihr den Kopf abgerissen und den Brust- und Bauchraum aufgerissen, um sie zu töten und sich dann an den ausgerissenen Armen und dem Bein satt gefressen. In dieser Zeit hat der Mensch Herz und Leber mit einem sehr scharfen Gegenstand – wahrscheinlich einem Skalpell – aus dem Körper herausgeschnitten und mitgenommen.“

„Kaspar von Gahlen sieht mich fragend an. „Wie kommen Sie zu diesem Ergebnis? Vor allem, wie kommen Sie darauf, dass es drei Ghule und ein Mensch waren?“

Berechtigte Fragen, auf die ich auch Antworten habe.

„Um einem Menschen den Kopf abzureißen, sind erhebliche Kräfte erforderlich. Das schafft kein Mensch, das schaffen nicht einmal zwei Menschen. Dass magische Wesen an dem Mord beteiligt waren, hat mir der Magie Katalysator gezeigt. Und da sind Ghule und Werwölfe die einzigen, die ihre Opfer fressen. Für Werwölfe gibt es allerdings keine Anzeichen, da der Leichnam keine typischen Bissspuren ihrer Reißzähne zeigt, deshalb bleiben nur die Ghule übrig. Drei Ghule deshalb, weil sich die Fraßspuren an drei verschiedenen ausgerissenen Extremitäten finden. Eine für jeden Ghul. Normalerweise nutzen magische Wesen keine menschlichen Werkzeuge, was nur den Schluss zulässt, dass Herz und Leber von einem Menschen mit einem menschlichen Werkzeug entfernt wurden.“

Ich bedecke die Überreste der Martha Schmied mit dem blutbefleckten Laken. Dann verbeuge ich mich vor ihrer Leiche, um mein Mitgefühl und meinen Respekt auszudrücken. Ich verabschiede mich von dem Medicus, mit dem festen Vorsatz herauszufinden, warum mich dieser Mann zweimal belogen hat.

Auf dem Weg zurück zum Gasthaus gehe ich in Gedanken alles durch, was ich über Ghule weiß. Ihre Herkunft aus dem arabischen Raum, ihre Beschwörung, die Möglichkeit, wie ihr Beschwörer sie lenken kann. Aber auch darüber, wie man Ghule am besten töten kann. Und leider ist es nicht sehr viel, was mir auf Anhieb dazu einfällt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es sich bei Ghulen um Dämonen oder Untote handelt. Ich kann nur hoffen, dass ich mehr Informationen über diese Wesen finde.

Kapitel 8 – Damals

Meine militärische Laufbahn als Kampfheiler begann in der Ausbildungsgarnison von Colonia, wohin ich nach meiner Verpflichtung abgeordnet wurde. Neben den Kampfmagiern sind die Kampfheiler die zweite magische Säule jeder modernen Armee. Und während die einen – die Kampfmagier – dafür verantwortlich sind, dem Feind mit ihrer Magie möglichst großen Schaden zuzufügen, sind die anderen – die Kampfheiler – dafür verantwortlich möglichst viele der eigenen Soldaten zu heilen und am Leben zu erhalten.

Mit meiner Begabung als Magiewirker hätte ich auch Kampfmagier werden können, auch wenn der Großteil der Kampfmagier tatsächlich reine Magier sind, die Magie direkt aus ihrer Lebensenergie beziehen. Mit meinem Wissen über Alchemie und Schriftkunde und meinem Wunsch, Menschen eher zu heilen als sie zu töten, schien mir allerdings eine Laufbahn als Kampfheiler sinnvoller.

In den ersten drei Monaten erhielten wir in der Garnison in Colonia die militärische Grundausbildung. In Formation antreten, marschieren, dabei teilweise lustige, teilweise blutrünstige Soldatenlieder singen, Training mit dem Lang- und Kurzschwert, mit Pike und Schild, mit der Armbrust. Gerade das Waffentraining war für mich nichts Neues. Allerdings war es neu für mich, in einer Formation zu kämpfen und mich auf meine Nachbarn in der Formation verlassen zu müssen.

Ich genoss den Umgang mit Gleichaltrigen, da ich bislang ja eher als Einzelgänger gelebt hatte. Dafür nahm ich dann auch gerne den Schmerz der Lügen in Kauf, die in diesem Umfeld häufig erzählt wurden. Insbesondere wenn es darum ging, mit ihren Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht zu prahlen, wurde der Schmerz nahezu unerträglich und ich lernte schnell, mich zu verabschieden, wenn dieses Thema aufkam. Das brachte mir zwar den Ruf eines einzelgängerischen Sonderlings ein, hatte darüber hinaus aber keine Nachteile für mich.

Nach drei Monaten der Grundausbildung mussten einige der angehenden Kampheiler wegen ihrer Ungeeignetheit zum Militärdienst die Garnison verlassen. Wir übrig gebliebenen begannen mit dem neun Monate dauernden Studium der Anatomie und Heilkunde. Besonders begierig war ich auf die Lektionen in Anatomie, da dies absolutes Neuland für mich war. Nirgendwo hatte man so gute Möglichkeit anatomische Studien durchzuführen wie beim Militär.

Die Gemeinschaft der Neun Götter stufte Anatomie in der Zivilgesellschaft als gotteslästerlich ein und hatte nur dem Militär zähneknirschend einen Dispens erteilt. Und diesen Dispens wollte ich so gut wie möglich nutzen, um möglichst viel über die menschliche Anatomie zu lernen.

In den letzten beiden Monaten des Anatomie- und Heilkundestudiums begannen wir dann mit einer begleitenden Ausbildung zur Nutzung von Kampfzaubern. Sehr schnell lernten wir, dass es relativ einfach ist und eine Riesensauerei verursacht, einen Menschen mit einer großen Menge brutaler Magie zu töten. Dagegen ist es sehr schwierig, einen Menschen mit einem Minimum an Magie nahezu spurlos zu töten.

Der Kampfmagier, der für unsere Ausbildung verantwortlich war, verglich das einerseits mit einem Keulenschwinger, der seinen Gegner mit großem Kraftaufwand den Schädel einschlagen kann. Und andererseits mit einem Degenfechter, der seinem Gegner mit Finesse und einem einzelnen gezielten Stich ins Herz tötet.

Mit brutalem Magieeinsatz konnte man einen menschlichen Körper mühelos zerreißen, während man mit deutlich weniger Magieeinsatz ein Herz gezielt zum Stillstand bringen oder eine Arterie im Gehirn platzen lassen konnte.

Wir verbrachten Wochen damit, uns zumindest die Grundzüge der Kampfmagie anzueignen und auch nach der offiziellen Ausbildung nutzte ich jede Gelegenheit, meine Kenntnisse zu erweitern.

In diesem Jahr der Ausbildung machte ich auch meine ersten – schlechten – Erfahrungen mit Alkohol. Danach nahm ich Alkohol mein Leben lang nur in Maßen zu mir. Ich verliebte mich in eine der deutlich älteren Schankmägde der Soldatenkneipe, die wir regelmäßig besuchten, und verlor an sie auch meine Unschuld. Allerdings war sie an einer festen Bindung nicht interessiert und so bekam meine Verliebtheit zum ersten Mal einen Dämpfer.

Die Prüfungen zum Abschluss meiner Ausbildung als Kampfheiler absolvierte ich mit Bravour. Und als voll ausgebildeter Kampfheiler wurde ich zur Garnison in Bremen versetzt, die sich regemäßig Scharmützel und kleinere Gefechte mit marodierenden Barbaren von den friesischen Inseln lieferte.

Kapitel 9 – Heute

Im Gasthaus „Zum ersten Licht“ angekommen, schreibe ich einen Brief an meinen Freund Matthes vom Berghain in Colonia. Ich schildere ihm in kurzen Zügen den Fall, an dem ich gerade hier in Trier arbeite und bitte ihn, in den Bibliotheken der Ausbildungsgarnison und der Universität von Colonia nach allem zu suchen, was mit dem Thema Ghule zu tun hat.

Ich selbst werde morgen die Universität von Trier aufsuchen, um dort eventuell etwas zum Thema zu finden. Allerdings bin ich nicht sehr zuversichtlich, da die Trierer Universität im Gegensatz zur Universität in Colonia nicht auf Magie und magische Wesen spezialisiert ist. Aber vielleicht habe ich ja Glück.

Ich habe Matthes in Bremen kennengelernt, als wir zusammen in der dortigen Garnison gedient haben. Matthes ist Kampfmagier und einer der wenigen Freunde, die ich auf der Welt habe. Was schlichtweg damit zusammenhängt, dass Matthes von brutaler Ehrlichkeit ist. Er lügt nicht. Ich weiß nicht, ob er nicht lügen kann oder ob es seine bewusste Entscheidung ist. Aber als Folge dieser Ehrlichkeit hat Matthes ebenfalls kaum Freunde – außer mich, dem seine Ehrlichkeit mehr als willkommen ist.

Matthes ist immer noch im Militärdienst, inzwischen allerdings als Ausbilder für Kampfmagier in der Ausbildungsgarnison in Colonia, und hat deshalb uneingeschränkten Zugang zur Militärbibliothek. Wenn jemand etwas über Ghule herausfinden kann, dann ist es Matthes.

Ich berechne die Zeit, die es voraussichtlich dauern wird, bis ich mit Informationen von Matthes rechnen kann. Wenn ich den königlichen Botendienst in Anspruch nehme, dann ist mein Brief in spätestens zwei Tagen in Colonia. Dann zwei bis drei Tage, die Matthes mit Sicherheit braucht, um Informationen über Ghule zu finden. Und dann braucht Matthes Antwort mit einem königlichen Boten noch einmal zwei Tage zurück nach Trier. Also werde ich etwa sieben Tage warten müssen, bevor ich mit einer Antwort von Matthes rechnen kann.

Danach mache ich mir Notizen und fasse zusammen, was ich bislang weiß.

Vor einem Jahr begannen die Arbeiten an der Festung Trier und anderen Festungsanlagen an der Westgrenze des Königreichs.

Vor einem halben Jahr fanden die Arbeiter in den Katakomben der Festung von Trier einen Raum, der offensichtlich für dämonische Rituale benutzt wurde. Dieser Raum wurde von Klerikern untersucht und später von den Arbeitern niedergerissen und zugeschüttet. Anmerkung: Ich muss unbedingt mit den Arbeitern sprechen, die den Raum gefunden haben und mit den beiden Klerikern, die ihn untersucht haben!

Seitdem der Raum gefunden und geöffnet wurde, hat es in Trier insgesamt acht brutale Morde gegeben. Anmerkung: Waren die anderen Mordopfer genauso zugerichtet wie die bedauernswerte Martha Schmied? Ich werde noch einmal mit dem Medicus Kaspar von Gahlen sprechen müssen. Vielleicht kann mir aber auch Gunther von Trier Auskunft geben.

Untersuchung des Leichnams des letzten Mordopfers Martha Schmied. Kopf, beide Arme und ein Bein wurden ausgerissen. Der Brust- und Bauchraum wurde aufgerissen. Herz und Leber wurden – von einem Menschen - mit einem scharfen Werkzeug herausgeschnitten und fehlen. An den ausgerissenen Extremitäten des Opfer befinden sich Biss- und Fraßspuren, die von magischen Wesen stammen, mit hoher Wahrscheinlichkeit von Ghulen. Anzahl der Ghule: wahrscheinlich drei.

Wo wurde Martha Schmied gefunden? Tatort besichtigen!

Gibt es Verbindungen zwischen den Mordopfern? Gunther von Trier fragen!

Der Medicus Kaspar von Gahlen lügt. Er hatte bemerkt, dass Herz und Leber von einem Menschen entfernt wurden. Warum lügt er?

Solche Notizen mache ich mir immer. Sie helfen mir, meine Gedanken zu ordnen und mein weiteres Vorgehen zu planen. Mein Plan für morgen sieht folgendermaßen aus.

Treffen mit Gunther von Trier. Davor den Brief an Matthes vom Berghain bei den königlichen Reitern abgeben.

Von Gunther von Trier brauche ich die Namen der Arbeiter, die den Raum in den Katakomben als erste gefunden haben. Und auch von den Arbeitern, die den Raum abgerissen und zugeschüttet haben. Und ich brauche die Namen der beiden Kleriker, die den Raum untersucht haben. Was kann mir Gunther von Trier über Kaspar von Gahlen erzählen? Vorsichtig fragen – kein Misstrauen wecken!

Darüber hinaus werde ich ihn fragen, ob die anderen Mordopfer genauso zugerichtet waren wie Martha Schmied, und ob es zwischen den Mordopfern Verbindungen irgendwelcher Art gibt.

Nach dem Treffen mit Gunther von Trier werde ich in der Universität nach Literatur zum Thema Ghule suchen. Anschließend werde ich den Fundort der Leiche von Martha Schmied und die Festung untersuchen. Vor allem den Bereich der Katakomben, in dem der Raum gefunden wurde, interessiert mich. Vielleicht kann ich an einem der Orte noch magische Rückstände finden.

Und danach werde ich mit den Arbeitern und den Klerikern sprechen. Das sind Aufgaben für mehrere Tage, an einem Tag lässt sich das nicht erledigen. Und so weiß ich, was Arabella und ich an den nächsten Tagen zu tun haben.

*****

Während ich den Brief schreibe und mir die Notizen zum Fall mache, liegt der Kater neben mir auf dem Schreibtisch. Immer wieder mal wirft er einen Blick auf das, was ich da schreibe. Ich bin mir sicher, dass der Tressym lesen kann. Das hat er mir schon früher gezeigt. Oder aber er kann meine Gedanken lesen – ich weiß nicht, welche Erklärung wahrscheinlicher ist, dass er immer über alles informiert ist, was ich so mache und vorhabe.

Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass er versteht, was ich sage. Denn das ist ein weiterer Prozess, mit dem ich meine Gedanken ordne. Ich erzähle dem Kater alles, was passiert ist. Vor allem die Tatsache, dass Kaspar von Gahlen mich belogen hat, geht mir nicht aus dem Sinn. Warum hat er das getan? Was hat er davon?

Natürlich antwortet mir der Kater nicht. Aber es hilft mir, meine Gedanken zu ordnen, wenn ich sie laut ausspreche.

Nachdem ich alles niedergeschrieben und mit dem Kater besprochen habe, greife ich mir eines meiner Bücher über magische Wesen und warte auf meine junge Gehilfin Arabella. Mal schauen, was sie mir beim Abendessen über den Medicus von Trier erzählen kann.

*****

Arabella erscheint pünktlich und gemeinsam lassen wir uns das Abendessen schmecken. Wir essen in meinem Zimmer, um uns ungestört unterhalten zu können. Ich frage sie nach den Arbeitern und Klerikern, die mit der Kammer in den Katakomben der Festung zu tun hatten. Sie überlegt einige Zeit und antwortet dann: „Komisch, bislang ist mir das gar nicht aufgefallen, aber ich habe weder die Arbeiter noch die Kleriker in letzter Zeit in der Stadt und auf der Baustelle gesehen. Ich habe keine Ahnung, wo die sind. Jedenfalls stammen die alle aus der Stadt.“