Tigerherz - Robin Dix - E-Book

Tigerherz E-Book

Robin Dix

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Beschreibung

Tigerherz wähnt sich am Ziel seiner Träume: Eisenkralle ist vertrieben, und endlich hat er es geschafft, auf der Insel der Bayangai aufgenommen zu werden. Hier soll er seine Ausbildung zum Schattenjäger beenden, um so eines Tages den Dschungel-Thron besteigen zu können. Doch das Training ist kräftezehrend, und die Prüfungen verlangen ihm alles ab.
Als dann auch noch Eisenkralle zurückkehrt und seine Freunde entführt, muss Tigerherz sich entscheiden. Bleibt er auf der Insel, wie es das Gesetz befiehlt, oder stellt er sich dem aussichtslosen Kampf, um seine Freunde zu retten? Tigerherz muss beweisen, dass er seinen Namen zurecht trägt ...

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Seitenzahl: 258

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über den Autor/Illustrator

Titel

Impressum

Zitat

Prolog

1 Der Eid

2 Ein langer Tag

3 Stimmen in der Nacht

4 Die erste Prüfung

5 Zeit der Veränderung

6 Eine wichtige Lektion

7 Unverhofft

8 Im Gleichgewicht

9 Dschungelpost

10 Die Höhle der Nacht

11 Licht und Dunkel

12 Unentschieden

13 Auf der Jagd

14 Hin- und hergerissen

15 Alte Feinde …

16 … neue Freunde

17 Das Flüstern des Drachen

18 Böse Nachricht

19 Freunde

20 Stimmen im Dunkeln

21 Lügen

22 Im Kerker

23 Der steinerne Himmel

24 Fährten

25 Die ganze Wahrheit

26 Der Tag der Abrechnung

27 Auf Leben und Tod

28 Die Pforte

29 Die Entscheidung

30 Das Urteil

31 Senjatas Rat

Epilog

Karten

Über dieses Buch

Tigerherz wähnt sich am Ziel seiner Träume: Eisenkralle ist vertrieben, und endlich hat er es geschafft, auf der Insel der Bayangai aufgenommen zu werden. Hier soll er seine Ausbildung zum Schattenjäger beenden, um so eines Tages den Dschungel-Thron besteigen zu können. Doch das Training ist kräftezehrend, und die Prüfungen verlangen ihm alles ab. Als dann auch noch Eisenkralle zurückkehrt und seine Freunde entführt, muss Tigerherz sich entscheiden. Bleibt er auf der Insel, wie es das Gesetz befiehlt, oder stellt er sich dem aussichtslosen Kampf, um seine Freunde zu retten? Tigerherz muss beweisen, dass er seinen Namen zurecht trägt …

Über den Autor/Illustrator

Robin Dix ist das Pseudonym eines bekannen deutschen Autors. Fabian Erlinghäuser arbeitet als Animation Supervisor für das Trickfilmstudio Cartoon Saloon in Irland. Er hat über 14 Jahre Erfahrung als Animator und Illustrator und u.a. für so renommierte Kunden wie Disney und Warner Special Marketing animiert. Der Kinofilm Song of the sea, bei dem er die Regie-Assistenz führte, wurde für den Oscar nominiert. Fabian Erlinghäuser hat schon für zahlrieche Verlage illustriert, ist freischaffender Zeichner für das bei Egmont erscheinende Mickey Maus-Magazin und unterrichtet seit 2010 jährlich an der Animation School Hamburg.

Robin Dix

DIE INSEL DER SCHATTEN

Band 2

Mit Illustrationen von Fabian Erlinghäuser

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2017 by Robin Dix und Baumhaus Verlag in der Bastei Lübbe AG, Köln

Text- und Bildredaktion: Lisa Engels, Mathias Siebel

Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel, punchdesign, München

unter Verwendung von shutterstock/murphy81, shutterstock/Potapov Alexander, shutterstock/Airin.dizain, shutterstock/Elena Schweitzer, shutterstock/estevez und shutterstock/Fona

eBook-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-7325-4056-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

In what distant deeps or skies

Burnt the fire of thine eyes?

On what wings dare he aspire?

What the hand, dare sieze the fire?

In welch‘ Himmeln ungeheuer

brannte Deiner Augen Feuer?

Wessen Flügel, wessen Hand

wagte sich an diesen Brand?

William Blake

Tyger, Tyger

Prolog

Es war heiß in der Höhle.

Risse durchzogen den Fels, aus denen beißender Dampf aufstieg. Und in der Tiefe brodelte das Blut des Drachen, rot glühende Ströme aus flüssigem Gestein.

Die meisten Tiere des Regenwaldes mieden diesen Ort – und das nicht nur wegen der grausigen Geschichten, die man sich darüber erzählte. Sondern auch wegen der giftigen Dämpfe, die die heiße Luft durchsetzten.

Eisenkralle jedoch war gerne hier.

Er mochte die Abgeschiedenheit dieses Ortes, der inmitten des Toten Landes lag. Und er war dankbar für die Dämpfe, die seine Sinne benebelten – denn sie betäubten zugleich den Schmerz …

»Bist du bereit?«

Das Wesen, das ihm im Halbdunkel gegenübersaß, schaute ihn fragend an. Es war groß und von dichtem rötlichem Fell bedeckt, das im Schein der Glut wie Feuer leuchtete. Seine Arme waren lang und endeten nicht in Klauen, sondern in Händen mit Fingern. Und anders als ein Tiger ging es auch nicht auf allen vieren, sondern war in der Lage, sich aufrecht stehend auf seinen Hinterbeinen zu bewegen. Es war ein Affe der alten, großen Art, einer der letzten, die noch am Leben waren. Und der Ausdruck seiner gelbbraunen Augen verriet, dass er auf ein langes Leben zurückblickte. Ein Leben, in dem er Wissen gesammelt hatte, das anderen Tieren des Regenwaldes verborgen blieb.

Geheimes, verbotenes Wissen, das noch aus den Tagen der Takrambuti rührte …

»Ja doch«, knurrte Eisenkralle und schob seine linke Pranke vor, während er sich gleichzeitig niederließ und seinen Rücken streckte. Er war bemüht, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen, doch er konnte nicht verhindern, dass sich sein Schwanz aufplusterte und nervös hin und her peitschte.

Der Affe, der den Namen Tukang trug, griff mit den Füßen in das Felsloch, vor dem sie saßen und aus dem roter Glutschein flackerte. Was er herausholte, war ein Gegenstand aus Eisen, der die Form eines Fächers hatte. Die einzelnen Zinken bestanden aus gefährlich blitzendem Metall und waren leicht gebogen wie bei einer Kralle. Das untere Ende jedoch wies einen langen Stachel auf, dessen Spitze rot glühte.

Tukang sah Eisenkralle fragend an.

»Los doch«, knurrte der. »Worauf wartest du? Tu es endlich!«

Der große Affe schüttelte den Kopf. Den Fächer mit der glühenden Spitze in den Händen, umrundete er das Feuerloch und kam auf Eisenkralle zu.

Der Tiger merkte, wie sich sein Pulsschlag beschleunigte. Gleich, jeden Augenblick …

Der Schmerz würde überwältigend sein, vielleicht würde er sogar das Bewusstsein verlieren. Aber das war es wert.

Eisenkralle nickte.

Er sah noch, wie Tukang den glühenden Stachel auf seine Pranke richtete. Langsam kam er näher, und die Hitze versengte das Fell. Eisenkralles feine Nase roch den entsetzlichen Gestank. Er schloss die Augen – und fühlte im nächsten Moment grässlichen Schmerz. Ein Jaulen entfuhr seiner Kehle, sein Herzschlag raste, und die Sinne wollten ihm schwinden.

Doch Eisenkralle blieb bei Bewusstsein.

Ja, er genoss den Schmerz sogar.

Denn er machte ihm klar, warum er hier war und wozu er all das auf sich nahm. Er brauchte diese eiserne Klaue. Nicht nur, weil sie ihm seinen Namen gab und alle Tiere des Regenwaldes sie fürchteten. Sondern auch, weil sie ihm helfen würde, seinen Schwur zu erfüllen und furchtbare Rache zu nehmen. Und während der Schmerz ihn quälte und sich unauslöschlich in sein Gedächtnis brannte, brüllte Eisenkralle den Namen des jungen Tigers, dem er diesen Schmerz verdankte und dem er die Schuld an seinem Unglück gab, laut hinaus.

»RAJA …!«

1 Der Eid

Es war sein großer Tag.

Raja war endlich am Ziel angelangt: Er hatte den letzten Wunsch seiner Mutter erfüllt und war auf der Insel der Bayangai als Schüler aufgenommen worden. Hier, in der Gemeinschaft der Schattenkrieger, sollte er seine Ausbildung zum Jäger beenden und so eines Tages in der Lage sein, das Erbe seines Vaters Eisfell anzutreten und König des Dschungels zu werden. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg.

Vorerst war Raja nur froh darüber, dass Eisenkralle vertrieben worden war. Nach dem dramatischen Kampf gegen den Tyrannen1 war vorerst wieder Frieden im Dschungel eingekehrt, und Raja hatte das Rätsel gelöst, das Senjata, der Anführer der Bayangai, ihm aufgegeben hatte. Der Schwarze Panther hatte ihn gefragt, welches Tier unter allen Kreaturen des Dschungels dem Großen Drachen das liebste sei. Und nachdem er viele Gefahren überwunden und zahlreiche Kämpfe überstanden hatte, war Raja die Antwort klar geworden: Es war dasjenige Tier, das nicht zuerst an sich selbst dachte, sondern bereit war, sein Leben für andere, für die Gemeinschaft einzusetzen.

So war es ihm schließlich doch noch gelungen, bei den Bayangai aufgenommen zu werden, deren Reich sich inmitten der Schwimmenden Felsen befand, ein Stück vor der Küste. Wer die Insel der Schatten aus der Ferne betrachtete, dem kam sie vor wie das riesige steinerne Haupt eines Tigers: Der Fels war nach vorn gewölbt wie eine Schnauze, und die Büsche und Bäume darauf bildeten Augen und Ohren. Und dort, wo bei einem Tiger das Maul war, klaffte der dunkle Eingang einer Höhle, deren Tropfsteine noch dazu wie riesige Reißzähne wirkten. Es war ein einschüchternder Anblick, und Raja erinnerte sich noch gut daran, wie mulmig ihm zumute gewesen war, als er die Insel das erste Mal gesehen hatte. Doch das lag schon einige Zeit zurück – nun war er glücklich und stolz, selbst zu den Bayangai zu gehören. Auch wenn er nur ein einfacher Pelajar war, wie die Schüler hier genannt wurden, und wenn er seine Freunde Luku, den vorlauten Koboldmaki, und Makan, den immer hungrigen Malaienbären, dafür hatte zurücklassen müssen. Noch nicht einmal der kleine Gecko Biru, der schon seinem Vater als Berater gedient hatte und Raja stets zur Seite stand, hatte ihn begleiten dürfen. Nur Raubkatzen, den gefährlichsten Jägern des Dschungels, wurde der Zutritt auf die Insel der Bayangai gewährt – und das war vermutlich auch besser so …

»Pelajare!«, tönte Senjatas Stimme über die Senke, in der sich die neuen Schüler versammelt hatten. Außer Raja waren auch der Nebelparder Titik, die Goldkatze Tanga sowie ein weiterer junger Tiger namens Kipas zur Ausbildung angenommen worden, der offenbar schon länger auf der Insel weilte, jedoch erst heute seinen Eid leistete. Rings um die Senke hatten sich die fortgeschrittenen Schüler und ihre Meister, die Kendare, versammelt. Neugierig beäugten sie die Neuen und lauschten, was Senjata, der Oberste Kendar, zu sagen hatte.

Der Schwarze Panther thronte auf einem hohen Felsen, von dem aus er streng jeden einzelnen Anwärter musterte. Nur seine Umrisse waren gegen den in orangerot getauchten Abendhimmel zu sehen – und seine gelbgrünen Augen, die geheimnisvoll funkelten, als er sagte: »In jedem Jahr nehmen die Bayangai vier neue Schüler zu sich, um sie in die Geheimnisse der Schattenjagd einzuweihen. Die Wahl ist auf euch gefallen. Ich hoffe, dass ihr diese große Ehre zu schätzen wisst und euch als würdig erweist. Denn nur wer bereit ist, über sich hinauszuwachsen, wird dadurch das Gesicht des Jägers erlangen und ein Schattenkrieger werden.«

Raja und die anderen beugten die Häupter und verneigten sich, wie man es ihnen beigebracht hatte. Gehorsam und Respekt waren von großer Bedeutung auf der Insel. Wer nicht bereit war, sich in Demut zu üben, würde nicht lange bleiben …

»Die Ausbildung«, fuhr der Schwarze Panther fort, »folgt den Wegen der Schatten, die unsere Gemeinschaft seit vielen Zeitaltern beschreitet. Manches davon wird euch vielleicht seltsam vorkommen, und ihr werdet vieles tun, dessen Sinn ihr nicht sofort versteht. Bisweilen werdet ihr an eure Grenzen stoßen, werdet das Gefühl haben, dass eure Kräfte euch verlassen – und dann wird sich zeigen, wer von euch der Herausforderung gewachsen ist.«

»Ich natürlich«, hörte Raja Kipas neben sich knurren. Die Ohren des Tigers, der nur wenig älter war als Raja, zuckten aufgeregt. Sein Rücken war durchgestreckt, sein Schwanz war nach oben gebogen – er schien es kaum erwarten zu können, mit der Ausbildung zu beginnen. »Wer denn sonst?«

»Vielleicht«, sprach Senjata weiter, »habt ihr bereits von der Legende der ›Sieben Höhlen der Bayangai‹ gehört. Nun, es gibt sie wirklich. Durch diese sieben Höhlen wird euch eure Ausbildung führen. Jede dieser Höhlen birgt ein Geheimnis, das es zu ergründen, und eine Prüfung, die es zu meistern gilt. Nur wer alle sieben Prüfungen besteht, wird den Titel eines Kendar erhalten und ein vollwertiges Mitglied unserer Gemeinschaft werden.«

»Und wenn man eine Prüfung nicht besteht?«

Eigentlich hatte Raja die Frage nur gedacht – als sich jedoch aller Augen auf ihn richteten, wurde ihm klar, dass er sie laut ausgesprochen hatte. Titik und Tanga nickten ihm zu, sie hatten sich wohl dieselbe Frage gestellt. Kipas jedoch bleckte die Zähne und sah Raja aus seinen bernsteinfarbenen Augen abschätzig an. »Hast du etwa Angst, Tigerherz?«, raunte er ihm zu.

Tigerherz …

Der Jägername, der Raja nach dem siegreichen Kampf gegen Eisenkralle verliehen worden war, klang ohnehin noch ziemlich ungewohnt in seinen Ohren. Noch mehr allerdings, wenn man ihn so spöttisch aussprach, wie Kipas es tat.

Raja wollte etwas erwidern, als Senjata erneut die Stimme erhob: »Wer bei einer Prüfung versagt«, erklärte er, wobei er nicht nur Raja, sondern auch die anderen Schüler durchdringend ansah, »wird sie so lange wiederholen, bis er sie besteht – oder bis sein Meister entscheidet, dass für ihn kein Platz ist auf der Insel der Schatten. Ich rate euch also, euch anzustrengen, habt ihr verstanden?«

Raja und die anderen nickten, Kipas scharrte zudem mit den Vorderpfoten wie ein Nashorn kurz vor dem Angriff.

»Ihr werdet euch diesen Herausforderungen jedoch nicht allein stellen«, fuhr Senjata fort. »Jeder von euch bekommt einen Kendar, einen Lehrer, zur Seite gestellt, der euch in die Geheimnisse der Bayangai einweihen wird.«

Raja merkte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.

Auf diesen Augenblick hatten sie alle gewartet – denn nun würden sie erfahren, wer ihre Lehrer sein würden. Natürlich hatten im Vorfeld Gerüchte die Runde gemacht, und einige der anderen Schüler hatten Geschichten erzählt, bei denen sich Rajas Nackenfell nur so gesträubt hatte; Geschichten über unerbittlich strenge Meister, die ihre Schüler oftmals tagelang üben ließen, ohne ihnen Futter oder Wasser zu geben, und noch Schlimmeres. Entsprechend gespannt waren die Neuen, auf wen die Wahl fallen würde – Raja hegte eine geheime Hoffnung.

Von seiner Mutter wusste er, dass Senjata einst in den Diensten seines Vaters gestanden hatte und Leibwächter am königlichen Hof von Astana gewesen war. Und da der Oberste Kendar derzeit keinen eigenen Schüler hatte, war es gut möglich, dass er sich persönlich um Raja kümmern würde.

So jedenfalls hoffte Raja.

Bis zu dem Moment, da die Namen genannt wurden …

Titik bekam Meister Abu zugeteilt, einen Nebelparder wie er selbst, der allerdings schon etwas in die Jahre gekommen war; sein gelbes, von schwarzen Flecken übersätes Fell war an einigen Stellen bereits silbergrau geworden, und er hinkte leicht. Aber er war ein erfahrener Jäger, und Titik war sichtlich froh darüber, ihm zugeteilt worden zu sein.

Die kesse Tanga war als Goldkatze kleiner als ein Parder und noch viel kleiner als ein Tiger, was sie jedoch nicht davon abzuhalten schien, eine Schattenkriegerin werden zu wollen; ihre Meisterin wurde Arit, ein Binturong. Arits Schwanz, mit dem sie auch greifen konnte, war fast genauso lang wie ihr von dunkelgrauem Fell bedeckter Körper, und im Klettern war sie beinahe so gut wie ein Affe; auch sie jagte meist bei Nacht, so würde sie für Tanga die denkbar beste Lehrerin sein.

»Um dich, Kipas«, wandte sich Senjata schließlich an den ungeduldigen jungen Tiger mit dem orangeroten, fast feuerfarbenen Fell, »wird sich jemand kümmern, der lange keinen Schüler mehr hatte. Er wird dir seine ganze Aufmerksamkeit und einen guten Teil seiner Zeit widmen, also erweise dich seiner als würdig.«

»Das werde ich, Oberster Kendar«, versicherte Kipas und senkte beflissen das Haupt, die Ohren eng an den Kopf gelegt. »Doch bitte sagt mir, um wen handelt es sich?«

»Ich selbst werde dein Kendar sein«, verkündete der Schwarze Panther rundheraus – zu Kipas‘ Verblüffung und zu Rajas Enttäuschung.

»Aber …«, stieß Raja hilflos hervor – doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Was hätte er auch sagen sollen? Er hatte schließlich kein Anrecht darauf, dass Senjata sein Lehrer wurde. Gewiss, der Panther hatte seine Eltern gekannt, und Raja war der Prinz des Dschungels – aber das schien keine Rolle zu spielen. Ebenso wenig, wie es bei Rajas Aufnahme in den Kreis der Bayangai eine Rolle gespielt hatte. Hier galten andere Regeln, das wurde Raja in diesem Augenblick einmal mehr schmerzlich bewusst.

»Ja, Raja?«, wandte sich Senjata von seinem hohen Posten herab an ihn. »Du wolltest etwas sagen?«

»Ich … Nein«, behauptete Raja und senkte den Kopf.

»Gut.« Senjata nickte ungerührt. Er schien Rajas Enttäuschung nicht einmal bemerkt zu haben – dabei hatte Raja das hässliche Gefühl, dass ihm etwas weggenommen worden war. Doch es sollte noch schlimmer kommen …

»Du, Tigerherz«, wandte sich Senjata ihm erneut zu, »wirst einen Meister bekommen, der den Titel eines Kendars selbst erst vor Kurzem erworben hat. Dennoch gehört sie zu unseren besten und mutigsten Jägern – Kahaya?«

Allein der Klang des Namens genügte, um Raja zusammenfahren zu lassen. Als sich im nächsten Moment die Reihen der Zuschauer teilten und eine junge Tigerin am Rand der Kuhle erschien, wankte er wie unter einem Prankenhieb.

Er kannte dieses Mädchen, das nur wenig älter war als er selbst und es doch schon so viel weitergebracht hatte. Damals, als er sich das erste Mal um Aufnahme in den Kreis der Bayangai beworben hatte und gescheitert war, war sie dabei gewesen. Ihre bernsteinfarbenen Augen hatten ihn gemustert, als wäre er irgendein schleimiges Kriechtier, das dem Meer entstiegen war – und daran hatte sich bis heute kaum etwas geändert. Kahaya konnte Raja nicht leiden, soviel stand fest – und ausgerechnet sie sollte seine Meisterin werden?

Der Blick, den Raja zum Rand der Senke schickte, war zweifelnd, fast flehend. Wenn Kahaya es bemerkte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Lautlos glitt sie durch die Reihen der Zuschauer und kam zielstrebig auf ihn zu. Ihr Fell, das die Farbe der untergehenden Sonne hatte, glänzte seidig. Ihre Bewegungen waren grazil, aber auch kraftvoll und unnahbar. Das Tigerherz, dem er seinen Jägernamen verdankte, sank ihm in die Hinterläufe.

»Kahaya«, sagte er leise, als sie vor ihm stehen blieb.

»Meisterin Kahaya«, verbesserte sie mit ihrer Stimme, die wie Bienensummen klang.

Er nickte und verbeugte sich, was Kipas ein schadenfrohes Grinsen entlockte.

»Na dann, viel Vergnügen«, raunte er Raja zu.

Kahaya fauchte.

»Nun denn«, erhob Senjata wieder seine Stimme. »Nachdem ihr eure Meister getroffen habt, leistet nun den Eid der Pelajare, so wie es seit vielen Drachenzeiten Brauch ist. Und wir, die Meister der neuen Schüler, bezeugen den Eid!«

Kahaya, Arit und Abu antworteten mit ihrem Kriegsschrei – im Falle Arits ein gefährlich klingendes Fauchen, bei Meister Abu etwas, das sich eher wie ein schriller Pfiff anhörte. Dann hoben alle, die Schüler wie ihre Meister, ihre rechte Pfote, und nicht nur über der Senke, sondern über der gesamten Insel kehrte völlige Stille ein.

»Schwört ihr, dass ihr alles daransetzen werdet, die Prüfungen zu meistern und Jäger der Bayangai zu werden?«, fragte Senjata so laut, dass es weithin zu hören war. Der Blick seiner smaragdgrünen Augen ging über sie hinweg und schweifte in die Ferne, so als könnte er dort die Zukunft sehen.

»Das schwören wir!«, antworteten Raja und seine Kameraden wie mit einer Stimme.

»Schwört ihr, dass ihr nichts unversucht lassen und alle Mühen ohne Murren ertragen werdet?«

»Das schwören wir!«, wiederholten sie.

»Dass ihr die Regeln dieser Gemeinschaft befolgen, dass ihr euren Meistern gehorchen und alles tun werdet, um sie mit Stolz zu erfüllen?«

»Das schwören wir!«, bestätigten die neuen Schüler wiederum – wobei sich Tigerherz mit einem Seitenblick auf Kahayas hocherhobenes Haupt fragte, wie sie noch stolzer werden konnte …

»Dass ihr euren Waffenbrüdern und -schwestern in Notzeiten beistehen, dass ihr die Geheimnisse unserer Gemeinschaft bewahren und diese Insel nie ohne Erlaubnis verlassen werdet?«

»Auch das schwören wir!«, erwiderten die Schüler.

»So habe ich die Ehre, euch zu Pelajaren der Bayangai zu erklären«, fuhr Senjata fort und sah die Neuen dabei direkt an. »Sediakan tentera!«, fügte er hinzu.

»Sediakan tentera!«, scholl es aus den Kehlen nicht nur Rajas und seiner Kameraden, sondern auch aller anderen Schüler und Meister zurück. Es war der Leitsatz der Schattenkämpfer und zugleich ihr Lebensmotto.

Seid bereit zum Kampf.

Damit war die Zeremonie beendet.

Früher hatte Raja geglaubt, dass sich mit dem Eid alles ändern, dass er sich danach schon wie ein echter Jäger vorkommen würde – aber weit gefehlt. Er konnte nicht behaupten, dass er sich auch nur einen Deut besser fühlte als zuvor. Eher das Gegenteil war der Fall, was nicht zuletzt an Kahayas kritischen Blicken lag. Seit er auf der Insel war, hatte sie kaum ein Wort mit ihm gesprochen – und nun war sie auch noch seine Meisterin geworden …

»Was guckst du denn so geknickt, Tigerherz?«, fragte Kipas und entblößte sein Raubtiergebiss zu einem breiten Grinsen. »Bist du mit der Wahl deiner Meisterin etwa nicht zufrieden?«

Raja zuckte innerlich zusammen – es war, als könnte Kipas seine Gedanken erraten.

»Hat das Königssöhnchen etwa das Gefühl, dass es ungerecht behandelt wurde?«

»Das reicht jetzt, Kipas«, fauchte Kahaya, noch ehe Raja etwas erwidern konnte.

Kipas schnitt eine Grimasse. »Du musst es ja wissen, Kahaya«, meinte er dann.

»Meisterin Kahaya«, verbesserte sie.

»Ach ja, ich vergaß – Meisterin Kahaya.« Er grinste. Dann wandte er sich um und stolzierte davon. Die Zuschauer wichen vor ihm zurück. Natürlich, dachte Raja – dem Schüler des Obersten Kendar brachte man Achtung und Respekt entgegen.

Er seufzte und wollte ebenfalls gehen.

»Wo willst du hin?«, fragte Kahaya.

»Zu den anderen Schülern. Wir wollten ein wenig feiern, dass wir …«

»Dazu besteht kein Anlass«, beschied ihm die Tigerin streng, »denn noch habt ihr nichts geleistet. Stattdessen wirst du in dein Quartier gehen und dich schlafen legen.«

»Jetzt?« Raja schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber ich …«

»Wir werden morgen früh aufstehen. Du musst ausgeruht sein, wenn deine Ausbildung beginnt.«

Er sah sie aus großen Augen an.

Schon holte er Luft, um zu erwidern, dass er selbst wüsste, wie viel Schlaf er braucht – aber er sagte nichts. Denn der Eid, den er erst vor wenigen Augenblicken geleistet hatte, klang ihm noch in den Ohren – und hatte er nicht geschworen, seiner Lehrerin stets zu gehorchen?

»Ja, Meisterin«, knurrte er deshalb, wenn auch widerwillig.

Und ging zu Bett.

2 Ein langer Tag

Kahaya hatte nicht übertrieben.

Als sie sagte, dass sie am nächsten Tag früh aufstehen würden, hatte sie wirklich früh gemeint.

Die Sonne war noch nicht über den Rand der Welt gestiegen, und noch nicht einmal die Vögel waren erwacht, als eine Pfote Tigerherz unsanft anstieß und ihn aus dem Schlaf rüttelte. Seine Augen passten sich sofort dem Halbdunkel an, das in der Höhle herrschte und vom Mond rührte, dessen Schein durch eine Felsöffnung fiel. Niemand anders als Kahaya hatte ihn geweckt. Aufrecht und hellwach stand sie vor ihm und schien zum Äußersten entschlossen.

Tigerherz sprang auf und streckte sich, um den Schlaf aus seinen Gliedern zu vertreiben. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er an der Quelle noch kurz seinen Durst gelöscht – doch Kahaya bedeutete ihm, ihr zu folgen, und schon kurz darauf hatten sie die Höhlen der Bayangai verlassen. Über einen schmalen Pfad, der an einem fast senkrecht abfallenden Felsen entlangführte, ging es hinunter zum Meer. Und ehe Tigerherz auch nur fragen konnte, was das alles zu bedeuten hatte, sprang Kahaya mit einem weiten Satz ins Wasser.

»Worauf wartest du?«, rief sie ihm aus den wogenden Wellen zu. »Brauchst du eine Extraeinladung?«

Tigerherz stand da wie vom Donner gerührt.

Er hatte nicht besonders gut geschlafen und war noch müde. Außerdem war ihm kalt, und er fror erbärmlich – und jetzt sollte er sich in die eisigen Fluten stürzen? Zögernd tat er ein paar Schritte. Der Sand war kalt und klamm, das Meer trug weißen Schaum auf den Wellen. Brrrr …

»Los jetzt!«, rief Kahaya gegen das Rauschen der Brandung. »Oder soll Kipas etwa recht behalten?«

»Womit?«, wollte Tigerherz wissen.

»Dass du ein verwöhntes Königssöhnchen bist!«

Das ging zu weit. Tigerherz schnaubte.

Wenn Kipas so etwas sagte, war es eine Sache – bei Kahaya war es etwas ganz anderes. Er würde ihr das Gegenteil beweisen. Und so biss er die Zähne zusammen und sprang in die Fluten.

Eine Welle schlug über ihm zusammen. Es schien, als ob die ganze Welt sich gegen ihn verschworen hätte. Prustend und völlig durchnässt tauchte er auf. Er fror, und das Salz brannte in seinen Augen, aber dennoch schwamm er los.

Mit Vorder- und Hinterläufen schlagend, schloss er zu Kahaya auf. »Wohin jetzt?«, wollte er wissen.

»Da fragst du noch? Wir schwimmen um die Insel, los!«

Damit zog sie auch schon davon und glitt so schnell und geschmeidig durch die Wellen, dass er Schwierigkeiten hatte, ihr zu folgen. Dann allerdings packte ihn der Ehrgeiz. Er wollte ihr zeigen, was in ihm steckte, wollte unbedingt beweisen, dass er seinen Jägernamen zu Recht trug und tatsächlich das Herz eines Tigers in seiner Brust schlug. Und es gelang ihm, mit ihrem Tempo mitzuhalten.

Zumindest während der ersten Runde.

Als sie erneut den Strand passierten, Kahaya jedoch keine Anstalten machte, wieder an Land zu gehen, dachte Raja zuerst, sie hätte sich geirrt, und er rief sie zurück. Aber seine Meisterin beachtete ihn gar nicht und schwamm einfach weiter – und als Schüler blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr auf eine weitere Runde um die Insel hinterherzueilen. Es wurde hart – aber längst nicht so hart wie die dritte Runde, die anschließend folgte. Raja kam es fast so vor, als wollten seine Glieder jeden Augenblick aus den Gelenken brechen. Sein Herz hämmerte wie wild in seiner Brust, er hatte kaum noch Luft zum Atmen, und seine Vorder- und Hinterläufe schmerzten bei jeder Bewegung.

»Was denn?«, fragte Kahaya, die jetzt langsamer schwamm, damit er überhaupt noch mitkam. »Willst du etwa aufgeben?«

»Nei-nein«, stieß er prustend hervor, wobei er Mühe hatte, nicht unterzugehen.

»Gut«, beschied sie ihm. »Denn die Haie mögen zum Frühstück nichts lieber als müden Tiger.«

Haie! Vor Erschöpfung hatte Raja sie völlig vergessen. Dabei steckte ihm die unheimliche Begegnung, die er bei seinem allerersten Besuch auf der Insel gehabt hatte, noch immer in den Knochen2. Er hatte keine Lust, sich ein zweites Mal mit den Räubern der See anzulegen, die im Wasser so ziemlich genau das darstellten, was die Tiger an Land waren: das Ende der Nahrungskette. Also biss er die Zähne zusammen und gab alles – und fand Kräfte, von denen er nicht geglaubt hätte, dass er sie besaß.

Als sie nach drei Runden um die Insel das Wasser wieder verließen, hatte Raja das Gefühl, vor Stolz fast zu bersten. Erschöpft aber zufrieden ließ er sich in den Sand fallen und sah seine Meisterin herausfordernd an.

»Nun?«, fragte er keuchend. »Was … sagst du? Nicht …schlecht … für den Anfang … oder?«

Wortlos schüttelte sie sich, um sich zu trocknen. Anders als er blieb sie stehen – der Gedanke an all den Sand, der in ihrem nassen Fell kleben würde, schien ihr zu widerstreben. »Wir wollen sehen, wie du dich beim Klettern machst.«

»Klettern?«

Raja wälzte sich herum und starrte sie fassungslos an.

»Gewiss doch.« Mit einer Kopfbewegung deutete sie an der Felswand empor, die über dem Strand aufragte und bis hinauf zum Kopf des Tigerfelsens führte. Inzwischen hatte die Morgendämmerung eingesetzt, sodass das Gestein rosafarben leuchtete.

»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, fragte Tigerherz.

»Sehe ich aus, als würde ich scherzen?«

Das Gegenteil war der Fall. Kahaya wirkte eher, als hätte sie an diesem Morgen bereits einen Schüler gefressen und als hätte sie noch Appetit auf einen zweiten. »Los, steh auf.«

Tigerherz wollte gehorchen – allerdings gelang es ihm nicht. Seine Beine, die vom Schwimmen so weich waren wie Kautschuk, wollten ihm einfach nicht folgen. Zweimal versuchte er es und landete jedes Mal wieder im Sand. Kahaya verdrehte die Augen. Erst im dritten Anlauf schaffte es Raja sich aufzurichten und trottete seiner Meisterin hinterher auf die große Felswand zu.

Vorhin war er nur eingeschüchtert gewesen. Jetzt fürchtete er sich; vor der Felswand, vor Kahaya und vor der Ausbildung, die vor ihm lag …

Zu Beginn war es nur ein leichter Anstieg, und die Wurzeln, die den Fels überzogen, boten sicheren Halt. Je weiter es jedoch hinauf ging, desto steiler wurde es und desto glatter wurde der Fels. Man musste jede Nische, jeden Vorsprung und jeden Spalt nutzen, um sich festzuklammern. Und manchmal blieb auch nichts anderes übrig, als die Krallen in das Gestein zu graben.

Raja kam sich vor wie ein Elefant, der einen Kopfstand versuchte. Schwimmen mochte noch in Ordnung gehen, Tiger waren gute Schwimmer – aber klettern? Hätte der Große Drache gewollt, dass Tiger an Felswänden hinaufklettern, sagte sich Raja, hätte er ihnen Finger gegeben, wie Affen sie hatten. Oder Saugnäpfe an den Pfoten, wie es bei Biru und anderen Geckos der Fall war.

Aber das schien Kahaya nicht zu interessieren.

Unbeirrt kletterte sie voraus und bewies damit nicht nur, dass es möglich war, sondern auch, dass sie Mut und Geschick besaß. Schon jetzt sah Raja sie mit ganz anderen Augen als noch am Tag zuvor. Bis dahin war sie einfach nur eine (wenn auch eine ziemlich hübsche) junge Tigerin gewesen – jetzt musste er sich eingestehen, dass sie einen eisernen Willen und eine schier endlose Ausdauer besaß. Sicher taten auch ihr sämtliche Muskeln weh, und ganz bestimmt schmerzten ihre Krallen. Aber sie beklagte sich nicht, sondern kletterte einfach immer nur weiter.

Stück für Stück zog sich auch Tigerherz empor. Als er irgendwann einen Vorsprung erreichte, gönnte er sich eine kurze Rast und riskierte einen flüchtigen Blick nach unten.

Ein schlimmer Fehler.

Der gähnende Abgrund, in den er starrte, schien wie ein aufgerissenes Maul nach ihm zu schnappen.

Zwar war er als Jungtier oft in den Weißen Zähnen herumgestiegen, wie die Berge im Süden genannt wurden – seine Mutter und er hatten sich dort vor Eisenkralle versteckt. Aber niemals war er dabei auch nur annähernd so hoch geklettert, und er musste feststellen, dass er nicht ganz schwindelfrei war.

Um ein Haar wäre er in die Tiefe gestürzt – doch er riss sich zusammen und riskierte einen zweiten Blick.

Die Aussicht war überwältigend.

Zu Rajas Füßen erstreckte sich die schmale von weißem Sand bedeckte Bucht, umrahmt von glasklarem Wasser. In kurzer Entfernung waren die anderen Schwimmenden Felsen zu sehen – der eine sah aus wie ein riesiges Ei, der andere ähnelte einem Termitenhügel. Auch die Küste konnte man erkennen und den Regenwald, der sich als dunkelgrünes Band am Horizont abzeichnete. Vor allem aber sah Raja Wasser. So weit das Auge reichte, erstreckte es sich, und seine Oberfläche glitzerte im Licht der Morgensonne.

Es war ein wunderschöner Anblick, voller Stille und Frieden, und er gab Raja Kraft, auch noch den Rest des Aufstiegs hinter sich zu bringen. Er nutzte dieselben Vorsprünge, die Kahaya vor ihm genommen hatte. Der Wind zerrte an ihm und bauschte sein Fell, aber er ließ sich nicht beirren und kletterte einfach immer weiter.

Von Kahaya war nichts mehr zu sehen, sie hatte das Plateau längst erreicht und war seinem Blickfeld entschwunden. Wenn er also einen Fehltritt tat und abstürzte, würde sie es nicht einmal bemerken. Das ärgerte ihn und gab ihm die Energie, die er noch brauchte, um die waghalsige Kletterpartie zu beenden. Mit buchstäblich letzter Kraft erreichte er den Gipfel und wälzte sich über die Kante, wo er schnaufend liegen blieb.

Die Büsche und Bäume, die den Tigerfelsen bewuchsen, spendeten kühlen Schatten. Tigerherz war wild entschlossen, für den Rest des Tages liegen zu bleiben und sich nicht mehr zu bewegen – als ein verlockender Geruch in seine Nase drang.

Fleisch …

Jetzt erst merkte Tigerherz, wie hungrig er war. Er hatte schließlich nicht gefrühstückt, und das Schwimmen und Klettern hatten das Loch in seinem Bauch noch vergrößert …

»Na? Hungrig?«, fragte in diesem Moment jemand.

Seinem Vorsatz zum Trotz schoss Tigerherz in die Höhe und blickte sich um. Ein Tiger fläzte unweit von ihm auf dem Boden und biss auf einem großen Brocken frischen rosafarbenen Fleisches herum.

Es war Kipas.

Der Geruch des Fleisches hatte den des anderen Tigers überlagert, sodass Raja ihn gar nicht wahrgenommen hatte. Oder vielleicht, sagte er sich, war er auch einfach zu erschöpft gewesen, um ihn zu bemerken …

»Hast dir ganz schön Zeit gelassen«, bemerkte der andere Schüler kauend, während er sein Gegenüber musterte.