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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Die Kinder von Sophienlust saßen auf dem Rasen vor dem Springbrunnen und warteten auf ihren Märchenonkel Eugen Luchs, der zu Denise von. Schoenecker ins Kinderheim gegangen war. Aber nun würde er wohl bald kommen. Als sein Vorbote kam nun auch schon die kleine Peggy durch den Park gerannt. Hinter ihr der junge Collie Balthasar. Er kläffte wütend, weil seine kleine Herrin flinker war als er. Peggy blies die Luft aus den Wangen, als sie vor den Kindern stehen blieb. Ihre großen schwarzen Augen kullerten. »Seht ihr nichts?«, fragte sie und sah an sich hinab. Als nicht gleich eine Antwort auf ihre Frage kam, machte sie eine Schnute. »Ihr merkt aber auch gar nichts. Ich habe doch ganz neue Jeans. Richtige, mit Nieten.« »Ja, und mit einem Latz und Trägern.« Henrik von Schoenecker hatte allem Anschein nach nur darauf gewartet, dass er Peggy wieder einmal kontra geben konnte. Er zog die Nase hoch. »Eben Jeans für kleine Mädchen. Auf die Nieten brauchst du dir gar nichts einzubilden. Echte Jeans sind das trotzdem nicht.«
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Die Kinder von Sophienlust saßen auf dem Rasen vor dem Springbrunnen und warteten auf ihren Märchenonkel Eugen Luchs, der zu Denise von. Schoenecker ins Kinderheim gegangen war. Aber nun würde er wohl bald kommen. Als sein Vorbote kam nun auch schon die kleine Peggy durch den Park gerannt. Hinter ihr der junge Collie Balthasar. Er kläffte wütend, weil seine kleine Herrin flinker war als er.
Peggy blies die Luft aus den Wangen, als sie vor den Kindern stehen blieb. Ihre großen schwarzen Augen kullerten. »Seht ihr nichts?«, fragte sie und sah an sich hinab.
Als nicht gleich eine Antwort auf ihre Frage kam, machte sie eine Schnute. »Ihr merkt aber auch gar nichts. Ich habe doch ganz neue Jeans. Richtige, mit Nieten.«
»Ja, und mit einem Latz und Trägern.« Henrik von Schoenecker hatte allem Anschein nach nur darauf gewartet, dass er Peggy wieder einmal kontra geben konnte. Er zog die Nase hoch. »Eben Jeans für kleine Mädchen. Auf die Nieten brauchst du dir gar nichts einzubilden. Echte Jeans sind das trotzdem nicht.«
»Das sind echte. Onkel Luchs versteht das doch. Er hat sie mir aus Stuttgart mitgebracht.« Peggys Augen funkelten Henrik entrüstet an. »Du bist nur neidisch.«
»Auf Jeans mit Latz?« Henrik tippte sich an die Stirn. »Nie würde ich die anziehen.« Er zeigte auf den breiten Gürtel seiner Jeans. »Das sind echte Jeans.«
Pünktchen versuchte diesem Streit ein Ende zu machen. Sie streckte die Hand aus und zog Peggy neben sich auf den Rasen.
Das aber passte wieder der kleinen Heidi nicht. »Peggy soll neben mir sitzen. Das machen wir immer so.«
Fabian Schöller räumte bereitwillig seinen Platz neben Heidi. »Komm, Peggy, ihr Kleinen gehört wirklich zusammen.«
Peggy gefiel es zwar nicht, dass Fabian sie zu den Kleinen zählte, weil sie wusste, dass das bei dem siebenjährigen Henrik wieder nur Wasser auf die Mühle sein würde, aber Heidi zuliebe verzichtete sie diesmal auf einen Widerspruch.
Heidi tuschelte gleich: »Verrätst du mir, was Onkel Luchs heute erzählt?«
Peggy sagte laut: »Onkel Luchs hat mir heute gar nicht verboten, euch seine neue Geschichte zu verraten. Sie hat einen ganz schönen Namen.« Jetzt machte die kleine Schwarze eine Kunstpause und tat, als müsste sie erst nachdenken.
»Wie heißt die Geschichte denn?«, drängte die kleine Heidi. Sie war immer am zappeligsten von allen, wenn Eugen Luchs eine neue Geschichte erzählen wollte.
»Fürchtemanns Mutprobe.« Peggy sah sich um, als erwarte sie von allen Seiten Beifall.
»Wer soll denn Fürchtemann sein?«, erklang da eine Jungenstimme. Nick kam um den Springbrunnen herum.
»Sicher soll das Peggy sein.« Henrik lachte schadenfroh. Ihm war das Streitgespräch von vorhin viel zu kurz gewesen.
Aber der kleine Junge musste sich jetzt gefallen lassen, dass Peggy sich auf die Stirn tippte und sagte: »Du bist vielleicht dumm. Dabei gehst du schon in die Schule. Ich bin doch ein Mädchen und kein Mann. Fürchtemann heißt es.«
Nick gab seinem Bruder Henrik einen Stoß. »Eins zu null für Peggy, Henrik. Sie kann schon viel zu viel Deutsch.«
Peggys Augen strahlten. Sie freute sich, dass der große Nick für sie einsprang.
Henrik machte es nichts aus, wenn er auch einmal den kürzeren zog. Daran hatte er sich allmählich den Mädchen gegenüber gewöhnt. Entweder hielten diese gegen ihn zusammen, oder es stand ihnen jemand bei. Außerdem hatte er die kleine schwarze Peggy gern. Es reizte ihn nur, sie herauszufordern, weil sich keines der anderen Mädchen so entrüsten konnte wie sie.
Jetzt schrie sie: »Onkel Luchs kommt! Mit Tante Isi und Schwester Regine!« Sie lachte stolz. »Onkel Luchs’ Geschichten wollen alle hören.«
Nick hatte sich zwischen Pünktchen und Vicky gesetzt. Er fragte: »Und niemand hat meine Schwester Andrea angerufen? Sie sammelt doch die Geschichten von Eugen Luchs für ihr Peterle.« Er lachte. »Vielleicht erzählt sie die Geschichten am Abend auch Hans-Joachim.«
Peggy hatte schon wieder alles aufgeschnappt. »Tante Andrea kann heute nicht nach Sophienlust kommen. Peterle hat Schnupfen. Das hat Onkel Hans-Joachim gesagt. Er war heute Morgen bei uns im Wohnwagen.«
Eugen Luchs machte dem Gespräch ein Ende. Nachdem sich Denise von Schoenecker und Schwester Regine auf den Rand des Springbrunnens gesetzt hatten, setzte er sich auf den Rasen vor die Kinder. »Weil ihr heute auf mich warten musstet, erzähle ich euch eine lange Geschichte.« Er strich sich durch seinen rotblonden Vollbart und sah sich um, als wollte er die Spannung der Kinder noch erhöhen.
»Ich weiß schon«, rief die kleine Heidi aufgeregt, »du wirst uns von einem Angstmann erzählen, Onkel Luchs.«
Die Kinder lachten.
Heidi war gekränkt. »Ich habe ja den Namen vergessen …«
»Aber Angst haben und sich fürchten ist dasselbe«, stand Eugen Luchs ihr bei. »Die Geschichte heißt also ›Fürchtemanns Mutprobe‹. Und jetzt spanne ich euch nicht länger auf die Folter.«
Eugen Luchs streckte die Beine aus und stützte die Hände auf den Rasen. Dann begann er zu erzählen.
Hoppelmann, viel geplagter Vater von sechs Kindern, sitzt vor seinem jüngsten Sohn und schlägt aufgeregt die Löffel aneinander. Seine Stimme ist auch sehr erregt, als er sagt: »Fürchtemann, die Zeit ist gekommen, in der du deine Mutprobe bestehen musst. Du bist schon viel zu lange das Muttersöhnchen bei uns.«
Fürchtemann erschrickt und rutscht auf seinen Hinterläufen etwas näher zu seiner Mutter der Hoppelfrau. Mit weinerlicher Stimme fragt er: »Muss ich das wirklich tun?«
Das Gesicht des Hoppelvaters wird nun noch strenger. »Ich glaube, du hast zu kurze Löffel, sodass du nie hörst, was ich dir sage. Meinetwegen, dann erkläre ich dir noch einmal alles. Aber höre wenigstens jetzt gut zu. Die Menschen sagen uns Hasen nach, wir seien überängstlich. Wenn sich jemand feige drückt, dann nennen sie ihn einen Angsthasen. Wenn jemand vor Furcht zittert, sagen sie, er habe ein Hasenherz oder er sei ein Hasenfuß. Dann haben sie noch ein Wort dafür. Sie sagen, einer ergreift das Hasenpanier. Dieser schlechte Ruf, den wir bei den Menschen haben, muss von uns aus der Welt geschafft werden. Deshalb sind wir gezwungen, eine Mutprobe zu bestehen. Jeder von uns muss sie ablegen. Auch du, Fürchtemann. Oder willst du als einziger kneifen?«
Der junge Fürchtemann drückte sich noch enger an seine Mutter. »Nein, Vater, ich will bestimmt nicht kneifen. Mich ärgert es ja selbst, dass ich noch immer Fürchtemann heiße. Und ein Hasenherz will ich auch nicht haben.«
Vater Hoppelmann streckt eine Vorderpfote abwehrend aus. »Oh, sage dieses schreckliche Wort nicht. Es greift mich zu sehr an. Sorge dafür, dass ich es nicht mehr zu hören brauche. Deine Geschwister haben ihre Mutprobe schon abgelegt. Ab heute wirst du allein auf Streifzüge gehen und ein Abenteuer suchen, damit du deinen Mut beweisen kannst. Aber vergiss nicht, Fürchtemann, deine Mutprobe gilt nur, wenn du dafür Zeugen hast.«
Fürchtemann legt die Ohren zurück und sagt: »Ja, Vater, ich werde tun, was du mir befiehlst.« Er schleicht aus dem Lager. Aber dann sieht er doch noch einmal hilfeflehend zu seiner Mutter zurück. Doch sie kann ihm jetzt nicht beistehen. Sie hebt nur die Pfote zum Maul und schickt ihrem Fürchtemann eine Kusshand nach.
Fürchtemann zieht es vor, zunächst nur durch den Wald zu hoppeln. Dort fühlt er sich noch sicher, weil er schnell im Unterholz verschwinden kann, wenn Gefahr droht. Aber dann bekommt er Hunger und verlässt den schützenden Wald. Wie seine Mutter ihn gelehrt hat, schlägt er Haken, als er über ein freies Feld läuft. Saftiger Kohl lockt ihn. Fürchtemann war schon oft auf dem langen Kohlfeld gewesen, aber heute erreicht er es zum ersten Mal allein. Er duckt sich und reißt ein paar Kohlblätter ab. Doch dann packt ihn schon wieder die Angst. Er beschließt deshalb, mit einem fetten Kohlblatt zurück in den Wald zu laufen. Dort wird er es wenigstens mit Genuss vertilgen können. Und dabei muss ihm eine gute Idee kommen, wie er seinen Mut beweisen könnte. Er kann die Mutprobe nicht länger hinausschieben. In letzter Zeit hat er deshalb schon viele unruhige Träume gehabt, während seine Geschwister immer ruhig neben ihm schliefen, weil sie ihre Mutprobe längst hinter sich hatten.
Als Fürchtemann sein Kohlblatt verzehrt hat, überlegt er, ob er sich nicht noch ein weiteres holen soll. Aber da wird er abgelenkt. Es kommt ihm vor, als höre er eine Stimme. Merkwürdigerweise aus der Erde unter ihm. Er legt einen Löffel auf den Boden. Aber er hat ihn umgeknickt. So kann er natürlich nichts hören. Er schüttelt den Kopf, damit er den Löffel richtig auf den Boden drücken kann.
Jetzt hört er die Stimme ganz deutlich. Sie jagt ihm eine so große Furcht ein, dass seine Flanken zu zittern beginnen. Schon will er Reißaus nehmen. Da besinnt er sich, dass er ja nicht das Hasenpanier ergreifen darf. Heute nicht mehr! Er muss seine Mutprobe bestehen.
Aber was soll er nur tun? Unter ihm spricht Reineke Fuchs. Etwas Schlimmeres kann einem jungen Hasen nicht passieren, als dass er genau auf dem Bau dieses listigen und gefährlichen Reineke Fuchs sitzt.
Die Stimme in der Erde wird jetzt lauter. »Meine lieben Rotschwänzchen, alle hergehört, es ist Befehlsausgabe. Heute Abend um zehn habt ihr alle bereit zu sein. Wir gehen auf Großraubzug. Das Ziel hat euer tüchtiger Vater schon ausgekundschaftet. Ihr braucht nur meine Anweisungen zu befolgen, dann wird euch nichts passieren. Wir besuchen den Hof des Bauern Schwarz. Er hat die fettesten Hühner und füttert sie noch nicht mit Fischmehl. Also braucht ihr keine Angst vor tranigem Geschmack zu haben. Ich weiß, den könnt ihr nicht vertragen. Ich auch nicht. Eure Mutter wird zu Hause bleiben und alles für unseren Festschmaus vorbereiten. Es ist euch also streng verboten, unterwegs schon eine Kostprobe zu nehmen. Die Beute wird auf schnellstem Weg in den Bau gebracht.«
Mehr wollte Fürchtemann nicht hören. Er schleicht davon und ist fest überzeugt, dass er schon eine Gelegenheit gefunden hat, seinen Mut zu beweisen.
Er muss den Raubzug von Reineke Fuchs verhindern. Das wird gar nicht so schwer sein. Er braucht nur den Gockel Plusterer beim Bauern Schwarz zu warnen.
Fürchtemanns Herz klopft schneller vor Stolz über die gute Tat, die er vollbringen will.
Ungeschoren erreicht er den Hof des Bauern Schwarz und schleicht sich an den Hühnerstall heran. Auf dem eingezäunten Gehege davor, stolziert der Gockel Plusterer zwischen seinen Hühnern herum. Er tut zuerst sehr von oben herab, als Fürchtemann ihn an den Zaun ruft.
Kaum aber hat dieser von Reinekes Plan erzählt, kräht der Gockel Plusterer so schrill, dass die Hühner mit den Flügeln schlagen und laut zu gackern anfangen. Sie tun, als gehe es ihnen schon jetzt an den Kragen.
Der Gockel Plusterer reckt den Hals und verdreht die Augen. »Das ist gefährlich, lebensgefährlich«, schreit er. »Der Schlag unseres Hühnerhauses wird am Abend nur selten geschlossen. Diesen Dienst haben die Kinder des Bauern Schweiz übernommen, aber sie haben nur dummes Zeug im Kopf und vergessen meistens, was ihr Vater ihnen aufgetragen hat. Meine Frauen und ich können den Schlag nicht selbst schließen. Wir brauchen Hilfe.«
»Aber ich kann den Schlag doch auch nicht schließen, Gockel Plusterer.« Fürchtemann ist schon wieder ganz kleinmütig geworden.
»Aber ich weiß jemanden, der uns helfen kann.« Der Gockel Plusterer kräht zunächst wieder einmal laut. »Ich werde Thyras, unseren Hofhund holen. Und du, Fürchtemann, führst uns zum Bau von Reineke Fuchs.«
Fürchtemann schlägt einen Haken zurück. Seine Augen kullern vor Angst. »Bist du verrückt, Gockel Plusterer? So undankbar kannst du doch nicht sein, dass du Thyras holst. Hunde sind für uns Hasen genauso große Feinde wie für euch Hühnervolk Reineke Fuchs. Wenn ich gewusst hätte, dass du so rücksichtslos bist, wäre ich nicht hiehergekommen, um euch zu warnen.«
Der Gockel Plusterer beruhigt sich etwas und sieht Fürchtemann jetzt nachsichtig an. »Wie kannst du nur so ängstlich sein? Natürlich wird Thyras von mir erfahren, welchen großen Dienst du uns erwiesen hast. Er wird dir nichts tun. Das verspreche ich dir. Du kannst uns jetzt nicht im Stich lassen. Nur du weißt doch, wo der Bau von Reineke Fuchs ist.« Der Gockel Plusterer verdreht den Kopf. »Oder hast du etwa ein Hasenherz?«
»Nein, nein! Hasenherz, so etwas gibt es bei mir nicht mehr. Was fällt dir ein?« Fürchtemann verschluckt sich zwar ein paarmal vor Aufregung, aber er bleibt dabei, dass er kein Hasenherz mehr habe. »Hol den Hofhund Thyras. Ich hoppele inzwischen bis zur Anhöhe dort drüben. Ihr werdet mich ja sitzen sehen.« Fürchtemann hat es jetzt eilig, vom Hof des Bauern Schwarz wegzukommen. Auf der Anhöhe kann ich noch immer überlegen, ob ich vor Thyras nicht doch davonlaufen soll, überlegt er.
Es dauert nicht lange, bis der Gockel Plusterer ihm mit dem großen Schäferhund Thyras folgt. Schon von Weitem ruft Tyras: »Bleib sitzen, Fürchtemann. Ich tue dir nichts. Ich bin kein Jagdhund.«
Vorsichtshalber hoppelt Fürchtemann aber doch ein Stückchen weiter und ruft zurück: »Ich zeige euch den Bau von Reineke Fuchs.«
Thyras sieht den Gockel nun streng an. »Du gehst jetzt sofort wieder auf den Hühnerhof zurück. Wir können dich bei Reinekes Bau nicht brauchen. Du bist viel zu aufgeregt und verrätst uns mit deiner schrillen Kräherei nur.« Er blickt zum Bach hinüber. »Dort sind ja meine Freunde aus dem Dorf. Die werde ich zur Verstärkung herbeibellen. Keine Angst, Fürchtemann, du stehst unter meinem Schutz. Niemand wird dir ein Haar krümmen.«
Thyras wird von seinen Freunden sofort verstanden. Schon preschen sie die Anhöhe hinauf.
Fürchtemann kann diesen Anblick nicht ertragen. Er muss sofort die Augen schließen, so schwindelig wird ihm. In seinen Läufen zuckt es. Er möchte die Flucht ergreifen, und im Nacken kitzelt es ihn, als habe ihn schon eine Hundeschnauze gefasst.
Aber er überwindet die Angst und hoppelt brav voran zu Reinekes Bau.
Thyras schnuppert am Eingang, dann winkt er mit der Vorderpfote einen seiner Freunde herbei. »Du bist ein Jagdhund, du hast eine bessere Witterung als ich.« Seine Stimme wird ärgerlich. »Meine Nase ist von dem Geruch auf dem Hühnerhof schon ganz verdorben.«
Der Jagdhund stößt mehrere Male die Schnauze auf den Erdboden, dann sagt er sehr sicher: »Reineke ist noch im Bau. Wahrscheinlich mit seiner ganzen Familie. Ich kenne den alten Genießer. Vor einem Raubzug schläft er sich immer gründlich aus. Bleibt hier und haltet Wache. Ich hole meinen Freund, den Jäger. Der ist diesen Hühnerdieben schon lange auf der Spur. Heute wird er ihnen den Garaus machen.« Der Jagdhund hetzt in weiten Sprüngen davon, Fürchtemanns lange Oberzähne klappern vor Angst auf den Unterkiefer. Außerdem verdreht er ganz erbärmlich die Augen. Stotternd fragt er: »Thyras, kann ich jetzt nach Hause gehen? Meine Mutter wird sich schon um mich sorgen. Den Jäger mag ich nicht auch noch abwarten. Er hat doch Schrot in seiner Flinte.« Er hoppelt schon ein Stückchen weiter. »Lieber will ich weiter Fürchtemann heißen, als vom Jäger mausetot geschossen zu werden.«
Thyras ist alt und weise. Er versteht den jungen Hasen, folgt ihm und streicht ihm väterlich über das Fell. »Ja, hoppele nach Hause, Fürchtemann. Du hast deine Mutprobe längst bestanden. Sicher bekommst du noch einen Orden dafür. Stell dir vor, wie wichtig es für deine Familie ist, dass du gerade Hühner gerettet hast. Sie liefern euch doch zu Ostern die Eier zum Bemalen. Meine Freunde, der Gockel Plusterer mit seiner Hühnerschar und ich werden bezeugen, welche gute und mutige Tat du hinter dir hast. Grüße deinen Herrn Vater von mir. Er kann stolz auf seinen Jüngsten sein.«
Fürchtemann strahlt über das ganze Gesicht. »Danke, Thyras. Grüß das Hühnervolk und den Gockel Plusterer. Ich werde bald einmal zu Besuch kommen. Ihr müsst doch alle meinen neuen Namen wissen. Fürchtemann werde ich nicht mehr heißen. Ich wünsche mir den Namen Hoppelpoppel. Dieser Name ist schön und wird gut zu mir passen.«
Fürchtemann hoppelt weiter. Jetzt holt er sich doch noch ein fettes Kohlblatt. Aber auf dem freien Feld schlägt er viele Haken. Obwohl er sich schon nicht mehr als Fürchtemann fühlt, auch als Hoppelpoppel muss ein Hase immer vorsichtig sein.
Die kleine Heidi hatte sich fest an Peggy gelehnt und beinah atemlos gelauscht. Jetzt fragte sie: »Ist die Geschichte schon zu Ende, Onkel Luchs?«
Eugen Luchs lachte. »Merkst du nicht, dass ich schon heiser bin, Heidi?«
»Du bist wirklich unverschämt, Heidi«, sagte ein großes Mädchen. »Das war ohnehin die längste Geschichte, die uns Onkel Luchs jemals erzählt hat.«
Heidi machte ein betroffenes Gesicht und sagte kleinlaut: »Aber ich wollte doch nur wissen, ob der kleine Hase Fürchtemann jetzt wirklich Hoppelpoppel heißt.«
Eugen Luchs stand auf. »Ja, Heidi, so heißt er jetzt wirklich.«
»Gut, dass wir hier nie eine solche Mutprobe bestehen müssen.« Henrik lachte anzüglich. »Mir würde das ja nichts ausmachen, aber ihr …«
Ein Sturm der Entrüstung erhob sich. Henrik flüchtete schnell zu seiner Mutter und maulte: »Die verstehen aber auch gar keinen Spaß.«
Denise zog ihren Sohn am Ohr. »Deine Späße gehen aber oft gegen den Stolz der anderen.« Sie rutschte vom Rand des Springbrunnens und sah Eugen Luchs mit leuchtenden Augen an. »Danke. Das war wieder eine sehr schöne Geschichte.«
»Ja, danke, Onkel Luchs«, riefen die Kinder jetzt durcheinander, als hätten die Worte ihrer Tante Isi sie erst daran erinnert, dass sie sich bedanken mussten. Wie immer hatten sie jetzt noch viel über die Geschichte zu reden. Das wollten sie im Haus tun. Sie stürmten durch den Park.
Auf der Freitreppe stießen sie mit der Heimleiterin, Frau Rennert, zusammen. »Lasst mich schnell in den Park gehen«, bat sie. »Ich habe euerem Onkel Luchs etwas zu bestellen.«
Denise, Schwester Regine und Eugen Luchs standen noch unter einem der hohen Bäume und unterhielten sich.
»Es tut mir leid, dass ich stören muss«, sagte Frau Rennert, »aber Ihr Bruder hat eben angerufen, Herr Luchs.«
»Carsten?«, fragte Eugen Luchs erschrocken. »Von unserer Hallig hat er angerufen?«
»Ja, von der Hallig Hooge, Herr Luchs. Ihre Mutter ist seit mehreren Tagen bettlägerig. Ihr Bruder meinte, es bestehe zwar keine unmittelbare Lebensgefahr, aber Ihre Mutter würde Sie gern sehen.« Frau Rennert lächelte. »Ihre Mutter weiß, dass Sie gern reisen.«
»Ich hatte ohnehin vor, bald wieder einmal nach Hause zu fahren. Nun darf ich diese Reise also nicht mehr verschieben.« Eugen Luchs sah sehr besorgt aus. »Meine Mutter war zwar immer sehr rüstig, aber in ihrem hohen Alter könnte ihr auch eine leichte Erkrankung gefährlich werden.«
»Wollen Sie Peggy bei uns in Sophienlust lassen?«, fragte Denise.