Time is honey - Karlheinz A. Geißler - E-Book

Time is honey E-Book

Karlheinz A. Geißler

4,8

Beschreibung

»Wir haben nicht zu wenig Zeit, wir haben zu viel zu tun.« Karlheinz A. und Jonas Geißler Lange schien es so, als gäbe es ein einfaches Rezept gegen Zeitnot: Zeitmanagement. Karlheinz A. und Jonas Geißler räumen mit diesem Mythos nun auf: »Zeit kann man nicht sparen, nicht managen, nicht verlieren. Man kann mit der Zeit nur eines machen: sie leben.« »Time is honey« setzt der herrschenden »Zeit-ist-Geld«-Logik eine andere Sicht auf das Phänomen Zeit entgegen. Das Buch macht Lust, den Reichtum der Zeit und die Vielfalt an Zeitqualitäten zu entdecken. Zeit ist nicht unsere Widersacherin, die es zu überlisten gilt, sie ist unsere Freundin – wenn wir nur bereit sind, uns auf sie einzulassen.

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Karlheinz A. GeißlerJonas Geißler
Time is honey
Vom klugen Umgang mit der Zeit
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2017 oekom verlag, MünchenGesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Uta RugeKorrektorat: Maike SpechtUmschlaggestaltung: www.buero-jorge-schmidt.deGrundgestaltung & Illustrationen: Carsten Abelbeck Konzept & Design, MünchenSatz: Reihs Satzstudio, Lohmar
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96006-236-3

Inhalt

Es ist an der Zeit
Zeit leben, nicht managen! Ein Interview
Kapitel 1Wasser für die Fische, Zeit für die Menschen
Die Zeit, eine Vorstellung
Die Zeit der Physik. Ein Zeitrat von Harald Lesch
Verschiedene Kulturen und ihre Zeiten
Kapitel 2Die Uhr ist nicht die Zeit
Naturzeit und Uhrzeit
Ohne Uhr geht’s nicht, mit ihr wird man auch nicht glücklich
Der Mensch als Uhrwerk
Kapitel 3Die Zeitmuster Rhythmus und Takt
Zeitmuster und ihre Resonanzen im Alltag
Vom Rhythmus der Vormoderne zum Takt der Moderne
Vom modernen Takt zur postmodernen Gleichzeitigkeit
Kapitel 4Vielfältige Zeiten
Zwischenzeiten – Zeiten zum Lieben
Warten – Zumutung und Glück
Pausen – Erholung und Inspiration
Muße und Müßiggang – vom süßen Nichtstun
Langeweile – lange Weile
Jetzt – der vergessene Augenblick?
Kapitel 5Liebe Zeit
Das Geflecht des Zeithandelns
Licht ins Dunkel: das Modell »Zeitgeflecht«
War’s das schon? Ressourcenzeiten nicht vergessen!
Spielräume balancieren, Konflikte erkennen und vermeiden
Sozialer Jetlag. Ein Zeitrat von Till Roenneberg
»Dauerbrenner« der Zeitverwirrung
Weniger ist mehr: Auswählen, Verzichten, Ignorieren und Verpassen
Ein letztes Mal – Was nun, was tun?
Anhang
Zum Nach- und Weiterlesen
Zeitberatung statt Zeitmanagement

Es ist an der Zeit

Das Leben ist eine Reise: Zwischen Anfang und Ende liegt das, was wir »Zeit« nennen. Gibt es einen wichtigeren Grund, sich mit dieser treuesten aller Freundinnen zu befassen? Der Umgang mit Zeit ist wie kein anderes Tun zum Gegenstand von Hinweisen und Ratschlägen sowie Lebens- und Spruchweisheiten geworden: »Morgenstund hat Gold im Mund«, »Eile mit Weile«, »Spare in der Zeit, dann hast du in der Not«, »Die Zeit heilt alle Wunden« und so weiter und so fort. Doch brauchen wir diese »Weisheiten«, diese Ratschläge wirklich? Hin und wieder hat man den Eindruck, dass es zuweilen sinnvoller und besser wäre, nicht den abgenutzten »Sprüchen« und »Weisheiten« zu folgen, sondern sich erst einmal ein wenig zu entspannen.
Zeit ist für uns in den allermeisten Fällen gleichbedeutend mit Zeitmangel. Da geht’s uns nicht anders als Kurt Tucholsky, der sich 1919 (!) in einem Brief an seine Freundin Mary beklagt: »… dieses Tempo, diese irrsinnige preußische Art, sich das Leben kaputtzumachen – und ohne Sinn! Und ohne Zweck und Ziel! Anderswo wird auch gearbeitet, und sicherlich so intensiv wie bei uns – aber man macht nicht solchen Salat daraus.«
Doch nicht nur das Tempo ist verrückt – oft ist es auch das, was wir gegen den Zeitdruck und den Zeitmangel tun. Wir sparen und verknappen das, von dem wir angeblich ohnehin zu wenig haben. Das ist verwirrend und widersprüchlich. Dass wir ohne Zeit nicht leben können, ist evident, fast aber sieht es so aus, als könnten wir es mit ihr auch nicht so richtig. Klagen die einen (die meisten) über zu wenig Zeit, so beschweren sich andere über zu viel. Mit der zur Verfügung stehenden Zeit zufrieden scheinen jedenfalls die wenigsten zu sein. Ach ja, die Zeit, sie ist ein sonderbares Ding! Wirklich?
Nein, denn es ist nicht die Zeit, die sonderbar ist, die Menschen sind es. Denn wir könnten alles auch ganz anders machen, wir müssten es nur tun, wir müssten den Mut haben, etwas auszuprobieren, und sei es auch noch so ungewöhnlich. Leisten könnten wir es uns, denn wir haben genug Zeit dafür. Wir leben länger als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit – statistisch gesehen jedenfalls. Die Lebenserwartung war noch nie so hoch wie heute. In Deutschland liegt sie derzeit bei rund 80 Jahren und hat sich damit in den letzten 130 Jahren verdoppelt. Zugleich vermindert sich die statistische Arbeitszeit, die mittlerweile auf weniger als 38 tarifvertraglich festgelegte Wochenstunden gesunken ist. Trotz alledem: Wir tun zu viel und arbeiten über unsere Verhältnisse. Nicht unsere Faulheit, Bequemlichkeit oder Neigung zum Ausruhen machen uns Probleme und gefährden den Wohlstand unserer Gesellschaft. Es sind das maß- und endlose Machen, das hektische Tun, das Immerzu-auf-dem-Sprung-Sein und das »Nie-genug-Haben«. Tempo, Stress und Zeitdruck ohne Ende. Die Gesellschaft huldigt dem Prinzip des immer schneller, immer weiter und immer mehr. Einflussreiche Positionen bekommen die Schnellen, die Langsamen landen auf der Straße, unter der Brücke – oder in Zeitmanagementseminaren.
Und doch steigt langsam, aber sicher das Empfinden, nicht mehr über unser Leben, unseren Alltag und unsere Zeit verfügen zu können. Das erzeugt ein Gefühl des Hin- und Hergeworfenseins, löst Ohnmacht und Orientierungslosigkeit aus. Entsprechend gewinnen Aufrufe zum Entschleunigen und Initiativen, die mit dem »Slow«-Versprechen werben, immer mehr an Attraktivität: Slow Food, Slow City, Slow Media, Slow Travel, Slow Motion … Man kann diese »Gegenbewegungen« als Zeichen für die Einsicht deuten, dass das Immer-so-weiter-Machen zunehmend problematisch und belastend wird. In Wirtschaft und Politik ist das inzwischen offensichtlich. Die Tempoexzesse der Finanzbranche haben uns vor nicht allzu langer Zeit in eine der tiefsten Wirtschaftskrisen bugsiert, der stete und permanent ansteigende Druck zur Beschleunigung führt zu immer mehr Kurzfristmanagement und damit einem wachsenden Abbau von demokratischen Verfahren und Rechten. So wird die Demokratie marktkonformer, nicht jedoch der Markt demokratischer.
In der Tat drängt sich immer mehr die Frage auf, ob unser Fortschritts- und Wohlstandsideal nicht doch in eine Sackgasse führt – politisch, sozial, ökonomisch und ökologisch – und unsere Lebensqualität ernsthaft bedroht. Jeder Stau ist ein Warnzeichen für die Grenzen der energie- und raumfressenden Beschleunigung des Verkehrs; das Wirtschaftswachstum überfordert die Regenerationszeiten der ökologischen Systeme; das Innovationstempo der Märkte verkürzt die Lebenserwartung der Unternehmen; die mit der Zeitverdichtung einhergehenden steigenden Leistungsanforderungen überstrapazieren die Zeitmaße und Zeitelastizitäten der Zeitnatur von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Wissenschaftler haben in Experimenten nachgewiesen, dass die durch Eile und Hetze verursachte Reduktion der Nachdenk- und Besinnungszeiten die Innovationsfähigkeit mindert und die ethisch-moralischen und die sozialen Kompetenzen bedroht. Es können also wohl nur mehr hartnäckige Ignoranten meinen, dass es immer so weitergehen kann.
Jede Neuausrichtung verlangt die Überprüfung unseres gewohnten Umgangs mit Zeit. Aber die mit der Schnecke als Emblem werbende Entschleunigung ist nicht die Lösung. Schnelligkeit durch Langsamkeit auszubremsen führt nicht weiter, der Wechsel vom Gas- aufs Bremspedal ist kein Allheilmittel. Ein solches Allheilmittel können und wollen wir unseren Leserinnen und Lesern auch nicht versprechen. Wir sind aus Erfahrung und guten Gründen bescheidener. Was wir anbieten können, deckt sich mit dem, was Mephisto Goethes Faust verspricht:
»Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht;
Wir müssen das gescheiter machen,
Eh’ uns des Lebens Freude flieht.«
»Time is money – Zeit ist Geld« – die Erfolgsformel aus Benjamin Franklins »Ratschläge an einen jungen Kaufmann« – steht inzwischen für die hektische und maßlose Suche nach mehr Tempo und immer mehr Geld- und Güterwohlstand. »Verschwende weder Zeit noch Geld, sondern mach das Beste aus beidem«, mahnte Franklin in seinem Traktat.
Was aber, wenn das Beste gar nicht in Geld verrechenbar ist? Was, wenn im Leben hauptsächlich diejenigen Zeiten zählen, die nicht gezählt werden und auch nicht gezählt werden können? Was, wenn Time nicht »Money«, sondern »Honey« wäre? Dann hätten die wichtigsten Dinge und Zeiten des Lebens keinen Preis. Und so ist es ja auch: Die Zeiten der Liebe, der Freundschaft, des Genusses und des Geschmacks, des Vertrauens, der Zuneigung und viele andere Zeiten mehr, sie alle sperren sich gegen ihre Verrechnung mit Geld. Folgt man ausschließlich »Zeit ist Geld«-Imperativen, bleiben die Zeitqualitäten auf der Strecke. Dann wird die »Liebe auf den ersten Blick« zu einer wohlkalkulierten Zeitsparstrategie, die Tiefkühlpizza zur Familienmahlzeit und der Klappentext zum Ersatz für die zeitaufwendige Romanlektüre. Wer in der Zeit ausschließlich ein monetäres Gut sieht, der wird blind für die Farben und taub für die Töne der Zeit, wird die Zeit weder schmecken noch genießen können. Es ist daher an der Zeit, die Zeit aus ihrer Umklammerung durch das Geld zu befreien und ihr ihre honigsüßen Qualitäten wiederzugeben. Das ist unser Anliegen, dafür engagieren wir uns, unter anderem mit diesem Buch.
Dieses Buch macht Sie also nicht schneller, und wir sagen Ihnen auch nicht, wie Sie mehr Aktivität in den Tag packen können. Enttäuscht werden jene Zeitgenossen und Zeitgenossinnen von diesem Buch sein, deren Ideal es ist, ihr Leben wie eine Checkliste abzuarbeiten. Sie finden in diesem Buch auch keine Hinweise und Ratschläge, die Ihnen doppelten Lohn und erhöhte Anerkennung versprechen, wenn Sie auch am Wochenende arbeiten, werktags länger im Büro bleiben und an jedem zweiten Tag die Mittagspause durcharbeiten. Auch ist es nicht unsere Absicht, Sie bei Ihren Anstrengungen zu unterstützen, Ihre Zeit noch effizienter für das Wachstum Ihres Geld- und Güterwohlstands einzusetzen. Schließlich und endlich geht es uns auch keineswegs darum, Sie beim detektivischen Aufspüren jener Hirngespinste, die von Zeitmanagern »Zeitdiebe« und »Zeiträuber« genannt werden, kompetenter zu machen.
Diejenigen jedoch, die sich vorgenommen haben, ihren Zeitwohlstand zu verbessern, ihr Zeitleben zufriedenstellender zu gestalten und ihre Zeitlust zu erhöhen, die werden bei uns jede Menge Anregung und Inspiration finden! Wenn es uns also gelänge, mit diesem Buch dem einen und der anderen den Weg zu »besseren Zeiten« zu zeigen, dann hätte sich gelohnt, es zu schreiben. »Bessere Zeiten«, das sind unseres Erachtens jene Zeiten, die es nicht notwendig machen, in den Urlaub zu flüchten, um die Zeit leben, lieben und genießen zu können. »Bessere Zeiten«, das sind jene Zeiten, in denen die Schnellen nicht die Besseren und Erfolgreicheren, die Langsamen nicht die Verlierer sind.
Was wir anstreben, ist die Mehrung Ihres zeitlichen Wohlergehens, Ihrer Zeitzufriedenheit und Ihrer Lust an der Zeit. Der Weg dorthin ist oftmals weniger schwierig, als man denkt.
Um den besseren Zeiten eine Chance zu geben, muss man hin und wieder Abstand zur Uhr und deren diktatorischen Zeitzeichen gewinnen. Für den Uhrzeitmenschen hört Zeit auf, wo sie verspricht, lebendig, bunt und abwechslungsreich zu werden. Die farblosen und zählbaren Zeiteinheiten der Uhr sind berechenbar und kalkulierbar, sind zurechtgestutzt wie der Buchs vom Gärtner. Von ihnen gehen keine Überraschungen aus. Solch eine begradigte, inhaltsleere und überraschungslose Zeit braucht das »Zeit ist Geld«-Denken, und das Zeitmanagement benötigt es, um aus der Zeit einen manipulierbaren Gegenstand zu machen. Uhrzeit, Zeitmanagement und Ordnung gehen immer zusammen auf Reisen und schaffen so die Illusion der grenzenlosen Machbarkeit. Für die Ökonomie und die Verwaltung ist das von Vorteil. Dort ist es sinnvoll, weil nützlich und produktiv, die Zeit zu sparen, zu managen und zu gewinnen – dort ist Zeit »Money«.
Im Leben, bei der Liebe, der Erziehung, der Bildung, dem Genuss und der Kultur ist das ganz anders – dort ist Zeit süß, dort ist sie »Honey«. So gesehen, ist der Titel des Buchs zugleich auch Programm: Es ist Zeit, das Geld durch ein nahrhaftes Lebensmittel zu ersetzen.
Bevor es nun aber wirklich losgeht, wollen wir noch kurz erläutern, wie dieses Buch aufgebaut ist. Den Anfang macht ein protokolliertes Gespräch über die Grenzen, die Widersprüche und die nicht einzuhaltenden und falschen Versprechen des Zeitmanagements. Es macht deutlich, dass und wie wir uns von den Vorstellungen des gängigen, allseits bekannten Zeitmanagements abgrenzen. Im ersten Kapitel wird’s dann erst einmal ein bisschen grundsätzlicher: »Zeit, was ist das?« heißt die dort erörterte Frage. Wir betrachten und diskutieren Bilder und Vorstellungen, die sich die Mitteleuropäer, aber auch andere Kulturen von der Zeit machen. Was die Zeitvorstellungen der Physik angeht, so haben wir uns beim Astrophysiker Harald Lesch Rat geholt. Thema des zweiten Kapitels ist die häufig anzutreffende Verwechslung der Zeit mit der Uhr. Wir legen dar, dass wir heute in und mit zwei Zeiten und Zeitordnungen leben, der Naturzeit und der Uhrzeit. Anschließend beschreiben wir im dritten Kapitel unterschiedliche Zeitmuster, das Zeitmuster »Rhythmus« (Naturzeit) und das Zeitmuster »Takt« (Uhrzeit). Was wir »Zeit« nennen und als Zeit erfahren, zeigt sich stets als ein Strauß bunter Zeitformen und vielfältiger Zeitqualitäten – denn alles und jedes hat bekanntlich seine Zeit. Im vierten Kapitel beschreiben wir einige davon. Unser Interesse gilt dabei in erster Linie jenen Zeitformen, die in unserer Gesellschaft der Gefahr ausgesetzt sind, unter die Räder der Beschleunigung zu geraten, und deren produktive Qualitäten zu wenig gesehen und gewürdigt werden. Dazu gehören Pausen, dazu zählen das Warten wie auch die anderen Zwischenzeiten des Augenblicks, der Muße und der Langeweile.
Das letzte Kapitel schließt an die eingangs geäußerte Kritik des Zeitmanagements an, indem es eine Alternative aufzeigt. Es handelt sich dabei um das praxisnahe Modell »Zeitgeflecht«, welches die Autoren im Rahmen ihrer Zeitberatung einsetzen. Es zielt auf die Aufklärung, die Erklärung, die Bewertung und die Bewältigung des Zeithandelns in alltagsnahen Zeitsituationen, die als schwierig bzw. problematisch erlebt werden. Mithilfe des Modells können ihre Ursachen analysiert werden und realitätsgerechte Veränderungen erarbeitet und in die Wege geleitet werden; um besser verstehen zu können, wie unsere Zeitnatur »tickt«, haben wir hier einen kurzen Text des Chronobiologen Till Roenneberg über den »Sozialen Jetlag« integriert. Konkret geht es um die realitätsgerechte Wahrnehmung und eine zufriedenstellende Balance zeitlicher Spielräume und Zeitzwänge, zeitlicher Möglichkeiten und zeitlicher Abhängigkeiten. Erläutert wird das produktive Verhältnis von zeitlicher Flexibilität und Zeitstabilität, die Unverzichtbarkeit zeitlicher Grenzen und die der Maße des »Genug«, und thematisiert werden die heutzutage unverzichtbaren Kompetenzen im Auswählen, im Verzichten und im Ignorieren.
Es geht uns ums Zeit-Leben, nicht geht es uns ums Zeit-Managen und auch nicht um die Lösung von Zeitproblemen. Es geht in allererster Linie darum, die schönen und angenehmen Aspekte der Zeit wahrzunehmen, herauszufinden und schätzen zu lernen.
Die Kapitel sind jeweils dreigeteilt. Sie beginnen mit dem, was es zum jeweiligen Zeitaspekt an Wissenswertem zu berichten gibt. Anschließend werden diese Erkenntnisse im Hinblick auf die Praxis des Zeithandelns unter der Überschrift »Was nun?« »durchforstet«. Der dritte Teil – »Was tun?« überschrieben – liefert schließlich konkrete Anregungen fürs Zeithandeln. Diese auf die Praxis ausgerichteten Impulse und Anregungen zielen nicht auf die Ausgestaltung eines möglichst funktionstüchtigen Lebens, sondern auf das Arrangement eines zufriedenstellenden und zufrieden machenden Zeitlebens – kurz gesagt: auf das »gute« Leben.
Das Buch ist ein gemeinschaftlich erstelltes Produkt von Vater und Sohn. Das Risiko, das eine solche Konstellation naturgemäß mit sich bringt, wurde durch eine arbeitsteilige Vorgehensweise in Grenzen gehalten. Die Teile, in denen vor allem Erkenntnisse referiert werden, wurden von Karlheinz Geißler (Vater) entworfen, die auf die Gestaltung der Zeitpraxis zielenden Ausführungen und Anregungen von Jonas Geißler (Sohn). Die den Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis herstellenden Scharniertexte unter der Überschrift »Was nun?« wurden in enger Kooperation und Abstimmung zwischen beiden verfasst. Diese verlief, wie bei solcher Konstellation nicht anders zu erwarten, nicht immer problemlos. Diese Probleme und die Arbeit an ihnen haben dazu geführt, dass es dieses Buch gibt, wie es ist.
Nicht zu vergessen: Dank an unsere Freunde, Unterstützer und Ratgeber: an Martin Hartmann, Christoph Hirsch, Harald Lesch, Frank Orthey, Till Roenneberg und Manuel Schneider. Dank ebenso, aber ganz anderen, an unsere Frauen, Kinder und Enkelkinder, die ihre berechtigten Zeitansprüche nicht selten zurückstecken mussten, damit dieses Buch geschrieben werden konnte.

Ein InterviewZeit leben, nicht managen!

Herr Karlheinz Geißler – Sie sind der Meinung, dass Zeitmanagement nicht funktionieren kann, halten Zeitmanagement sogar für problematisch. Was genau kritisieren Sie?
Zeitmanagement versucht aus fleißig Zeit sparenden Menschen noch fleißigere und effizientere Zeitsparer zu machen. Zeitmanagementseminare werden mit diesem Ziel besucht und Zeitratgeber mit dieser Absicht gekauft. Ohne Kalender und ohne ein ausgefeiltes Zeitplansystem kann sich heutzutage keiner mehr sehen lassen. Alles muss zeiteffizient organisiert, alles fixer und schneller gehen. Was aber bringt’s? Burn-out für die Sieger, Depressionen für die Loser. Nur eines bringt es nicht: mehr Zeit. Im Gegenteil, Zeitmanagement tut viel dafür, die unter Zeitdruck leidenden Zeitgenossen und die Zeitgenossinnen auch weiterhin auf Trab zu halten. Das Zeitmanagement lehrt, sich dem schnellen Leben anzupassen und es noch schneller zu machen. Insofern war es äußerst erfolgreich: Ein historisch beispielloser Geld- und Güterwohlstand geht zusammen mit einer historisch beispiellosen Zeithetze. Die Zeitnot beginnt dabei in dem Moment, in dem der Zeitmanager vorgibt, ihr ein Ende zu bereiten. Der Preis ist hoch, und ich meine, in den allermeisten Fällen zu hoch.
Wie begründen Sie Ihre Ansicht? Was genau macht das Zeitmanagement?
Zeitmanager versuchen, den Alltagswahnsinn von zeitlicher Unordnung, Zeitwidersprüchen und Zeitkollisionen, den wir gemeinhin »Leben« nennen, in ein Zahlenkorsett zu zwingen. In das Korsett der Uhrzeit. Es ist nicht, wie behauptet, die Zeit, die beim Zeitmanagement in den Griff genommen wird: Man ist es selbst. Die unzähligen Techniken, Ratschläge und Tipps führen die Zeitrat suchenden Menschen gewöhnlich noch tiefer in jenen Strudel der Zeitnöte und des Gehetztseins, aus dem sie hofften entkommen zu können. Folgt man den Tipps und Empfehlungen, findet man sich unversehens im Terminkäfig eines verplanten und durchkalkulierten Lebens und Arbeitens wieder. Der vom Zeitmanagement eingeschlagene Weg zum Zeitwohlstand führt nicht – wie versprochen – zu mehr Zeitgenuss, sondern zu umfassender zeitlicher Selbst- und Fremdkontrolle. Die meisten Zeitmanagementtipps lauten so: Betrachten Sie Ihren Alltag, und zerlegen Sie ihn in kleine Teilschritte! Setzen Sie Prioritäten! Planen Sie! usw. All das ist nicht falsch, aber es trifft nicht das Problem, das die Ratsuchenden angehen wollen. Dem modernen Zeitmanagement geht es in erster Linie um Selbstdisziplinierung, Selbstkontrolle und umfassende Berechenbarkeit des Zeitlebens. Warum? Lassen Sie es mich zuspitzen: Zeitmanager lieben die Zeit nicht. Sie sehen in ihr ein Problem. Das aber ist die Zeit ebenso wenig wie das Leben. An der Zeit gibt es so wenig zu lösen wie am Leben. Wer es versucht, muss mit bösen Folgen rechnen.
»Böse« Folgen – übertreiben Sie da nicht?
Ich halte die Folgen eines derartigen Umgangs mit sich und der Zeit für fatal! Die Angebote für die Eiligen und Gehetzten dieser Welt laufen nämlich nicht auf weniger Zeitdruck hinaus, obwohl sie dies permanent versprechen. Ergebnis und Folge eines konsequent durchgeführten Zeitmanagements sind weiter steigender Zeitdruck und letztlich mehr Stress. Zeitmanagement bringt die Menschen dazu, jede nicht verplante Stunde oder Minute zweckdienlich zu nutzen, um zusätzliche Inhalte in sie hineinzupacken, noch mehr Aktionen und Sensationen in die Zeiteinheiten zu quetschen. Zeitmanagement zielt auf rigide Selbstbeherrschung.
Versprechen uns die Vertreter des Zeitmanagements nicht das Gegenteil?
Sicherlich – und diesem Versprechen möchten wir auch gerne glauben. Nur: Das Zeitmanagement lebt zwar von seinen Versprechen, nicht jedoch von deren Einlösung. Allein die Tatsache, dass die Klagen über Zeitprobleme und Zeitkonflikte zunehmen, obgleich es doch nun schon seit längerer Zeit von Zeitratgebern der unterschiedlichsten Art nur so wimmelt, nährt den Verdacht ihres Versagens. Sowenig die Finanzcrashs zur Selbstbesinnung über das Tempo der Finanzmärkte geführt haben, so wenig führt die Zunahme der Zeitprobleme zum Nachdenken über die Fragen, wie schnell man eigentlich leben will und ob man Zeit nicht vielleicht weniger managen, dafür aber mehr leben sollte.
Aber geht es in unserem Alltag nicht gerade darum, die Zeit zu beherrschen, zu meistern?
Mit genau diesen Worten ziehen die Zeitmanager ja auch ins Feld. Und verraten dabei doch nur, was für ein Verständnis von Zeit sie haben. Die Art, wie das Zeitmanagement der Zeit begegnet, trägt in nicht wenigen Fällen gewalttätige Züge. Es ist ein gut ausgestattetes Arsenal von Waffen, das vom Zeitmanagement gegen das Lebenselixier Zeit in Stellung gebracht wird. Ziel der Kampfhandlungen ist es – Sie sagten es eben selbst –, die Zeit »zu beherrschen, anstatt sich von ihr beherrschen zu lassen«. Begleitet und angetrieben wird die Konfrontation mit der Zeit durch eine rhetorische Begleitmusik, die Trommelfell gefährdend aufspielt, um die an jeder Ecke lauernden »Zeitfresser« und die überall lauernden »Zeitdiebe« zu identifizieren, sie umgehend zu eliminieren und dabei den hinterhältigen und bedrohlichen »Zeitfallen« geschickt auszuweichen.
Bedeutet das auch, dass Sie sich gegen das Zeitsparen aussprechen, Herr Geißler?
Nein, das tue ich nicht, vorausgesetzt, es ist erfolglos. In Sachen Zeitsparen hat Erfolglosigkeit nämlich etwas Beglückendes. Im Ernst: Zeitsparen, das funktioniert nicht. Ließe sich Zeit sparen, läge es ja nahe, die gesparte Zeit, wie es die Schildbürger mit Sonnenstrahlen versucht haben, zu sammeln und zu lagern, um sie zu gegebener Zeit zu nutzen. Es gibt aber kein Leben und auch kein Nachleben aus gesparter Zeit. Zeit ist nicht speicherbar, es gibt für sie kein Speichermedium. Zeitsparen zaubert nicht ein Stück zusätzliche Zeit herbei, im Gegenteil, es führt zu verpassten Lebenschancen. Ich plädiere fürs Zeitlassen, schlage vor, Zeit mehr zu genießen, die unterschiedlichen Zeitformen bewusst und lustvoll zu leben. »ZeitenLeben statt Zeitmanagement«, so lautet mein Motto.
Was heißt dies für das Zeithandeln?
Ein Beispiel: Die Herren A und B möchten 14 Tage Urlaub in Rom machen. Die Person A bucht einen Flug und jettet in knapp zwei Stunden von Frankfurt in die italienische Hauptstadt. Herr B hingegen entscheidet sich, mit dem Zug nach Florenz zu fahren, um sich von dort mit dem Fahrrad durch die Toskana nach Rom durchzuschlagen. Wer von beiden hat Zeit gewonnen, wer Zeit verloren?
Klingt das nicht ein wenig naiv? Nach einem Leben ohne Uhr, nach Langsamkeit und einer Zeit, in der uns der Hahn geweckt und die Hühner an die Bettruhe erinnert haben?
Zeit hat man nicht, Zeit ist man. Es sind die Uhren, die man hat, nicht die Zeit. Wo also Zeit gespart, gewonnen, organisiert und gemanagt wird, geht’s immer nur um eine bestimmte Zeit, um die von der Uhr gemessene Zeitquantität. Die Qualitäten der Zeit dagegen, die dem Dasein dessen Buntheit, Wildheit und seine Vielfältigkeit verleiht, werden vom Gang der Zeiger ignoriert. Die quantitative, inhaltsleere, zählbare Zeit ist berechenbar und kalkulierbar. Das ist ihr Vorteil, das ist ihre Stärke und ihre Attraktivität, und das macht ihre Nützlichkeit, insbesondere im Terrain des Ökonomischen aus. Wir brauchen die Uhr für eine gute Verwaltung, brauchen sie für eine präzise Ordnung des Zeitlichen, benötigen sie zur Berechnung der Welt und ihrer Verläufe. Zu einem friedlichen, sozialverträglichen, glücklichen und zufriedenstellenden Dasein brauchen wir die Uhr und ihre in Zahlen konservierte Zeit nicht. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das Uhrzeitdenken und Uhrzeithandeln haben den Vorteil, die Zeitereignisse erwartbar und berechenbar zu machen. In dieser Planbarkeit und Kalkulierbarkeit der Uhrzeit ist ihre Attraktivität begründet – zugleich aber auch ihre Beschränktheit.
Sie sind also nicht gegen die Uhr?
Aber nein! Ich schlage nicht vor, wieder mit den Hühnern zu Bett zu gehen, um beim ersten Hahnenschrei aus den Federn zu springen. Wer aber den Hahn nicht mehr hört und Hühner nur mehr aus der Legebatterie kennt, wer seinen Tagesablauf nur nach dem Diktat der Uhr gestaltet und kontrolliert, wird zum Zeitautomaten und muss auf all die schönen Erfahrungen und Erlebnisse verzichten, die man nur kennenlernt, wenn man die Uhr seinen Kindern als Spielzeug überlassen hat. Nein, es geht mir nicht um simple »Entschleunigung«! Lebendige Zeitvielfalt heißt für mich die Alternative. Dazu gehört die Schnelligkeit genauso wie die Langsamkeit, die Hektik ebenso wie das Trödeln, das unermüdliche Ranklotzen genauso wie die Pausen und die Zeiten der Erholung oder der Langeweile.
Nun arbeiten Sie mit Menschen und unterstützen diese dabei, ihr persönliches ZeitenLeben zu verwirklichen. Zeitberatung nennen Sie dies. Wie sieht der erste Schritt aus?
Zeitberatung interessiert sich für Zeitqualitäten, beschäftigt sich mit lebendiger Zeit. Die Herstellung von Zeitzufriedenheit ist eine qualitative, keine quantitative Aufgabe, und sie ist keine Frage der Technik. Es geht darum, auf das Prinzip »Überleben« zu verzichten.
Was heißt das für die Praxis?
Wer sich angewöhnt hat, der Zeit immer nur als Feindin zu begegnen, wer dauerhaft mit ihr im Kriegszustand ist, dem gelingt die Umsetzung nicht von heute auf morgen. Man muss, um mit Zeit sinnvoll umzugehen, mehr tun, als ein Buch lesen, ein Seminar besuchen oder einem Tipp folgen. Alles braucht nun mal seine Zeit – auch der Perspektivwechsel vom Zeitmanagement zum ZeitenLeben. Voraussetzung dafür ist die Akzeptanz der Tatsache, dass menschliches Zeithandeln nicht beliebig gestaltet werden kann, sondern auf unterschiedliche Weise gebunden und vorgeprägt ist. Ich hole da jetzt ein bisschen aus: Menschliches Zeithandeln ist zum einen an biologische Maßverhältnisse, die rhythmische Organisation des Leibes gebunden. Kein Lebewesen kann sich von den Zeitmustern und Zeitimpulsen abkoppeln, die aus ihm selber kommen. Das gilt für den Wechsel von Aktivität und Passivität, für die Leistungsfähigkeit, die Aufmerksamkeit, die Regeneration nach Anstrengung oder Krankheit und für vieles Weitere. Wir Menschen sind, zeitlich gesehen, kein unbeschriebenes Blatt, wir sind an die uns von Geburt an eingeschriebenen Zeitmuster und Zeitmaße unserer Zeitnatur gebunden. Das wiederum bedeutet, dass die zeitlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen begrenzt sind. Gesund und zeitzufrieden kann nur leben, wer den biologisch vorgegebenen Zeitmustern folgt und ihnen Respekt entgegenbringt. Gebunden sind wir Menschen in unserem ZeitenLeben und Zeithandeln zum Zweiten auch an die Zeitvorgaben und Zeitansprüche des sozialen und organisationalen Umfeldes. Der Mensch ist ein Lebewesen, das auf Vergemeinschaftung hin angelegt ist und sich als Sozialwesen konstituiert. Gemeinschaften, Familien, Unternehmen, Vereine überdauern und gedeihen nur unter bestimmten zeitlichen Bedingungen. Und diese muss man zur Kenntnis nehmen und sie mit den übrigen zeitlichen Anforderungen und Ansprüchen koordinieren, um zu einer Zeitbalance zu kommen. Die Zeitbalance beispielsweise einer Familie lässt sich nicht ohne Rücksichtnahme auf unterschiedliche Zeitmuster ihrer Mitglieder herstellen. Es ist problematisch, wenn Familienväter und -mütter ihren Nachwuchs schon im Kindergartenalter den Zwängen eines rigiden Zeitmanagements unterwerfen und die kreativen und produktiven Zeiten des Spielens, Trödelns, Sichlangweilens und Dahinträumens opfern – etwa zugunsten vermeintlich sinnvollerer Alternativen, wie dem Lernen einer Fremdsprache. Zum Dritten ist auf jene Zeiten Rücksicht zu nehmen, welche die jeweiligen Aufgaben, die zur Bearbeitung anstehen, verlangen. In der Landwirtschaft sind das die Zeiten des Wachsens, des Reifens und des Erntens. In der Musik sind es die Tempi, welche die jeweilige Komposition verlangt. Was auch immer man plant, einen Arbeitsablauf, eine Ferienreise oder einen Theaterbesuch: Jede Form des Erlebens braucht seine je eigene Zeit.
Das klingt nach einer sehr zeitraubenden Aufgabe?
Da ist sie wieder – die Sprache eines Zeitkriegers in Gestalt des zeitsparenden Managers! Aber sonst haben Sie recht: Das Verstehen und die Balance dieser drei hier angedeuteten Zeitsysteme wollen erneut erlernt werden. Ich rede hier nicht von etwas Neuem! Diese Art des ZeitenLebens gab es schon immer. Vielen scheint sie jedoch im Rausch des Immer-mehr-in-immer-weniger-Zeit und des Alles-jederzeit-und-sofort abhandengekommen zu sein. Wenn ich meinen Tag lückenlos und kleinteilig aufteile und verplane, bleibt keine Luft mehr für Gemeinschaften, für die Zeitbedürfnisse meines Körpers oder für die Dauer, die es objektiv braucht, ein komplexes Problem erfolgreich zu lösen.
Wenn ich Sie richtig verstehe, versucht das Zeitmanagement, uns beizubringen, die wachsende Zahl der auf uns einprasselnden Angebote, Anforderungen, Erlebnismöglichkeiten und Erwartungen auf die Reihen zu bekommen, um im Anschluss daran gleich noch eine Schippe oder gleich mehrere draufzulegen. Glauben Sie, dass Gegenbewegungen, wie ZeitenLeben oder Zeitberatung noch Chancen haben?
Nun, da mischen sich bei mir Skepsis und Zuversicht. Als Gegenbewegungen haben sie keine Chance, aber als Wegweiser in eine eventuell bessere Zukunft. Solange die Menschen Anspruch auf ein glücklicheres, zumindest zufriedenstellendes Leben erheben und der Überzeugung sind, selbst etwas dazu beitragen zu können, kommen sie nicht umhin, sich über die Gestaltung ihres ZeitenLebens Gedanken zu machen. Zeitberatung kann dabei unterstützen. Probleme mit der Zeit und dem Umgang mit ihr werden die Menschen immer haben. Da die Verursacherin der Probleme aber nicht die Zeit ist, sondern die Menschen dafür verantwortlich sind, kann Zeitberatung vielleicht dabei helfen, sich angenehmere Zeitprobleme zu machen.
Kann man mit einem solchen ZeitenLeben im modernen Berufsleben Erfolg haben?
Gestatten Sie mir, dass ich dazu auf eine Geschichte zurückgreife, die Sie vielleicht schon einmal gehört haben. Sie geht folgendermaßen: »Jeden Morgen wacht in Afrika eine Gazelle auf und weiß, dass sie, um den Tag zu überleben, dem schnellsten Löwen entkommen muss. Jeden Morgen wacht in Afrika auch ein Löwe auf, der weiß, dass er schneller sein muss als die langsamste Gazelle, damit er nicht verhungert. Ganz gleich, ob du Gazelle oder Löwe bist: Bevor die Sonne aufgeht, musst du losrennen.« Das ist die Unternehmensberaterversion dieser Geschichte. Das ist Zeitmanagement nach Kannibalenart: Die Schnellen fressen die Langsamen.
Als Zeitberater würde ich diese Geschichte anders erzählen: »Jeden Morgen … Ganz gleich, ob du Gazelle oder Löwe bist, um erfolgreich leben und überleben zu können, solltest du das Zeithandeln des jeweils anderen kennen und etwas von dessen Zeitverhalten verstehen. Dann kannst du in Ruhe und Gelassenheit den Tag verbringen, um dann loszurennen, wenn es notwendig ist.«
Gesprächspartner: Dr. Martin Hartmann, Berater und Trainer

Kapitel 1Wasser für die Fische, Zeit für die Menschen

Wasser für die Fische, Zeit für die Menschen
Zeit ist das Bild, das wir uns von ihr machen.
Nichts ist uns selbstverständlicher als die Zeit. Trotzdem bringt uns die Frage in Verlegenheit: »Was ist Zeit?« Es ist die Frage, die am Beginn des philosophischen Denkens steht. So etwa könnte es gewesen sein, als sie erstmalig gestellt wurde: Vor ungefähr 5000 Jahren machen sich zwei vornehme Bürger der sumerischen Stadt Uruk auf den Weg zu einer Tempelanlage jenseits der Stadtmauern. Sie schlendern die bevölkerte Straße in Richtung Stadttor entlang, durchqueren die prächtige Öffnung der Schutzanlage und schlagen, dem Lauf des Flusses folgend, den schmalen Weg in Richtung ihres Zieles ein. Der Ältere der beiden drückt beim Gehen etwas aufs Tempo, denn er hat eine Verabredung mit einer einflussreichen Person aus der Nachbarschaft. Sein Gefährte hingegen hat es überhaupt nicht eilig. Nachdem sie so einige Zeit gegangen sind, schaut dieser zu seinem hurtigen Begleiter und bittet ihn: »Nimm dir doch Zeit!« Der verlangsamt seine Schritte, dreht sich zu seinem Weggefährten und stellt sichtbar verunsichert die Frage: »Was ist denn Zeit?«
Damit war die Frage in der Welt, an der sich Philosophen bis heute die Zähne ausbeißen. Was Zeit ist, wissen wir nicht. Relativ gut jedoch wissen wir über das Bescheid, was wir »Zeit« nennen.

Die Zeit, eine Vorstellung

Zeit ist ein Begriff, der uns tagtäglich tausendmal über die Lippen kommt, am häufigsten in der ebenso kurzen wie hastig hingeworfenen Formel »Ich hab keine Zeit«. »Zeit« zählt zu den meistgebrauchten Substantiven unserer Alltagssprache, und trotzdem machen wir uns nur selten Gedanken über sie, über ihr Wesen, über das, was sie ist.
Wer es dennoch tut, stellt rasch fest, dass »Zeit« zu jenen flimmernden, unfassbaren Phänomenen gehört wie beispielsweise auch die Liebe und das Vertrauen, deren Bedeutung einem, je näher man ihnen kommt, mehr und mehr entgleitet. Wir sprechen zwar oft über Zeit, ihr wahres Wesen ist uns jedoch unbekannt.
»Zeit ist das am meisten Unsrige und doch am wenigsten Verfügbare.«
Hans Blumenberg
Warum? Weil wir die Zeit nicht direkt sinnlich erfassen können. Dazu fehlt uns Menschen der Zeitsinn. Diesen Mangel an direkter Sinnlichkeit kompensieren wir durch Vorstellungen von der Zeit und durch Mutmaßungen über sie. Unterhalten wir uns über Zeit, sprechen wir über Bilder, die wir uns von ihr machen. Mit Bildern, Metaphern und mithilfe von selbst konstruierten Symbolen und Merkzeichen verleihen wir der unsichtbaren Zeit Gestalt. Die Produzenten unserer Vorstellungen von Zeit sind wir also selbst – auch dann, wenn wir Zeit managen oder sparen, gewinnen oder verlieren. Die Zeit ist eine von Menschen gemachte, eine unsere Wirklichkeit gestaltende Illusion. Sie zählt zu dem, was wir uns an »Weltanschauung« zurechtlegen und auch so nennen. Weltanschauung, das heißt Raum und Zeit anzuschauen, meint, sich Bilder und Vorstellungen zu machen.
Die Zeit ist uns zugleich nah und fern. Fern ist sie uns, weil sie sich der Anschauung entzieht. Nah ist sie uns, weil ohne Zeit keine menschliche Handlung zustande kommt und auch nicht vorstellbar ist. Keine Tätigkeit, sei es eine soziale, eine individuelle oder eine gesellschaftliche, kein Streit, kein Friede, keine politischen und auch keine wirtschaftlichen Händel sind ohne Zeit denkbar. Alles Tun setzt Zeit voraus und ist auch nur als zeitliches Tun verstehbar.
Noch nie hatte die Menschheit für so viel Zeit so wenig Zeit.
Reden wir also von »Zeit«, dann wissen wir nicht, um was es sich dabei wirklich handelt. Das geht uns nicht erst heute so. Ähnlich ging das auch dem vor 1500 Jahren in Italien lebenden und wirkenden, aus Nordafrika stammenden Kirchenvater Augustinus. Seiner Ratlosigkeit verschaffte er sich in dem häufig zitierten Seufzer Ausdruck: »Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich’s, will ich’s aber einem Fragenden erklären, weiß ich’s nicht.« Viel anders ist es den vielen ihm nachfolgenden Zeitdenkern auch nicht ergangen. Auch für sie blieb die Suche nach einer eindeutigen Antwort stets nur ein Versuch.
Mit dem Aufkommen der Uhr scheinen sich (mindestens) zwei »Antworten« herauskristallisiert zu haben: Während die einen sagen, »Zeit« sei das, was man hat, wenn man die Uhren wegwirft, behaupten die anderen genau das Gegenteil: »Zeit« ist das, was die Uhr anzeigt. Doch auch diese Auskunft macht stutzig. Zwar zeigt die Uhr die Zeit eindeutig und unmissverständlich bis auf die Sekunde genau an – aber macht uns das auch sicherer? Mehr denn je klagen wir über Zeitprobleme, Zeitkonflikte und Zeitwidersprüche, und so liegt die Vermutung nahe, dass mit der Präzision der Zeitmessung auch das Ausmaß ebenjener Zeitprobleme, Zeitwidersprüche und Zeitkonflikte zunimmt: Obgleich wir immer schneller werden, kommen wir immer häufiger zu spät; je mehr Zeit wir sparen, desto knapper wird sie; in dem Umfang, wie die Freizeit zunimmt, nimmt die freie Zeit ab.
Auf jeden Fall hat der Sachverhalt, dass man der Zeit nur auf Um- und Abwegen näherkommt, dazu geführt, dass wir ununterbrochen auf der Suche nach der Zeit sind. Wir suchen Zeichen der Zeit, denen wir eine besondere Erklärungs- und Symbolkraft zuschreiben können, um das Leben daran auszurichten. Mal sind es Veränderungen der natürlichen Umwelt (beispielsweise Helligkeit, Dämmerung und Dunkelheit), die als Orientierung dienen, mal sind es Zeitzeichen, die wir an uns selbst entdecken, etwa das erste graue Haar oder die erste größere Falte im Gesicht. Als Gesetzmäßigkeit formuliert: Sagt das Spiegelbild, dass etwas anders geworden ist, wird die »Zeit« zum Thema.
Auch Wissenschaftler leben von und mit Zeitvorstellungen
Zeit ist für
Physiker: eine hartnäckige Illusion,
Sozialwissenschaftler: die Ordnung des Vergänglichen,
Psychologen: ein Empfinden ohne Sinnesorgan,
Existenzphilosophen: das Sein bis zum Tode,
Theologen: der Anlauf zur Ewigkeit,
Ökonomen: Geld,
Politiker: eine Legislaturperiode,
Literaten: ein Rätsel
Germanisten: ein einsilbiges Wort.
Für Lou, 6 Jahre, ist Zeit schließlich etwas, das es nur im Kopf gibt, und zwar gleich neben den Träumen …
Sprechen wir also von »Zeit«, so tun wir das anhand von Einbildungen und Vorstellungen, die wir uns von ihr machen.
Das wahrscheinlich beliebteste und gebräuchlichste Bild, mit dem wir die Bewegung der Zeit verbinden, ist das vom »Fluss der Zeit«, einem »Fluss«, der sich mal schnell, mal langsam, mal träge und zuweilen auch turbulent fortbewegt. Häufig sind es auch Bilder von räumlichen Distanzen, in die wir zeitliche Dimensionen zum Zwecke der Veranschaulichung übersetzen. Stellen Sie sich dazu eine Familie vor, die zu Ferienbeginn mit dem Auto auf dem Weg in den Süden ist. Die Fahrt ist lang und ermüdend. Der 10-jährige Sohn ist auf dem Rücksitz eingeschlafen. Als er nach einiger Zeit wieder erwacht, fragt er schlaftrunken seine Eltern: »Wie lange hab ich denn geschlafen?« Die Antwort des am Steuer sitzenden Vaters: »Etwas mehr als 150 Kilometer.«
Für Autofahrer wird die Zeit zum Raum, die Dauer zur Distanz. Umgekehrtes geschieht auf dem Ziffernblatt der Uhr. Dort wird die von den Zeigern zurückgelegte Wegstrecke zu Zeit. Umrundet der große Zeiger das Ziffernblatt, dann sprechen wir von einer Stunde, bewältigt er die Hälfte, ist eine halbe Stunde um. Sämtliche räumlichen Veränderungen, alle Zeigerbewegungen, die auf einem Ziffernblatt geschehen, werden zu Zeitangaben. Aber das ist kein physikalisches Gesetz, sondern eine Vereinbarung, ein allgemein akzeptiertes Konstrukt. Und es funktioniert, solange sich alle daran halten.
Die Zeit der PhysikEin Zeitrat von Harald Lesch
Die Physik ist die Wissenschaft von den Naturvorgängen, die grundsätzlich experimenteller Erforschung, insbesondere aber der messenden Erfassung und mathematischen Darstellung zugänglich sind und die allgemeingültigen, in mathematischer Form formulierbaren Gesetzen unterliegen. Vor allem untersucht die Physik die Erscheinungs- und Zustandsformen, Strukturen, Eigenschaften, Veränderungen und Bewegungen von Materie sowie die diese Veränderungen hervorrufenden Kräfte und Wechselwirkungen.