Tinten-Wut - Sigrid Drübbisch - E-Book

Tinten-Wut E-Book

Sigrid Drübbisch

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  • Herausgeber: OCM
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Sonntagmorgen im Ruhrgebiet. Gleich drei Tote werden nacheinander an verschiedenen Orten in Witten und Bochum gefunden. Karla Lang befindet sich gemeinsam mit ihrem Ehemann auf der Insel Föhr im Urlaub. Mit der Idylle ist es bald vorbei, denn auch in der friesischen Karibik kommt es zu einem Mordfall und die Hauptkommissarin vermutet einen Zusammenhang mit den Fällen in der Heimat. Schon steckt sie in den Ermittlungen, zumal weitere schreckliche Dinge geschehen.

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Seitenzahl: 306

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Kriminalroman

© 2022 OCM GmbH, Dortmund

Alle Personen und Geschehnisse sind frei erfunden und haben keinen Bezug auf lebende oder verstorbene Menschen.

Coverbild: 637 DREAMLINES 67, Mischtechnik auf drei Acrylgläsern, 50 x 25 cm, 2019 © Sigrid Drübbisch

Gestaltung, Satz und Herstellung: OCM Verlag, Dortmund

Verlag:OCM Verlag, Dortmund, www.ocm-verlag.de

ISBN 978-3-942672-95-5

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt auch für die fotomechanische Vervielfältigung (Fotokopie/Mikrokopie) und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Für Detlev und Marvin

DIE UTOPIE

Die Utopie des Wahnsinns rast

wie ein Wirbelsturm um die Welt.

Die Bedeutung des Wortes wird zerfetzt,

bis der letzte Buchstabe

unter den Trümmern begraben wird.

Sigrid Drübbisch

Personenregister

Polizei Bochum

Rolf Sahner, Leiter des KK11 und aller sechs Mordkommissionen

Karla Lang, Leiterin der MK2

Klaus Pfeffer, vertretender Leiter

Franziska „Franzi“ Ziesel, Spurensicherung

Ulf Schmidt, Spurensicherung

Uwe Wentzel, Leiter der MK3

Frank Lotter, vertretender Leiter

Karin Bock

Elke de Haag, Spurensicherung

Wolfgang „Wolly“ Will, Aktenmann

Siegfried Westermann, Pressesprecher

Christa Sitzler, Staatsanwältin

Dr. Walter Breming, Gerichtsmedizin Essen

Dr. Katharina Windeisen, Gerichtsmedizin Essen

Polizei Witten

Tina Fritz, Aktenfrau

Polizei Wyk auf Föhr

Jan Andersen, Leiter der Poizeidienststelle Wyk

Piet Dirksen, vertretender Leiter

Adriane Holthusen

Arnold Harmsen, Dienststelle Kripo Niebüll

Wiebke Olsen, Dienststelle Kripo Niebüll

Hauke Jansen, Spurensicherung, Wyk

Louis Carmen, Mantrailing Föhr

BKI – Bezirkskriminalinspektion Flensburg

Ole Schippmann, Leiter der BKI Flensburg

Dr. Merle Oberg, Gerichtsmedizin Kiel

Frieder Beckmann, Oberstaatsanwalt, Flensburg

Mark Kuhn, Staatsanwalt, Flensburg

Bella Bickel, Spurensicherung

Frauke Lehm, Spurensicherung

Inhalt

Personenregister

Prolog

Auf dem Polizeipräsidium

Traute Zweisamkeit

Aufruhr am Zollhaus

Auf der Fähre

Vorfreude

Ein bedrückendes Geständnis

Dicke Luft

Schlechte Nachrichten

Das Wiedersehen

Zu spät

Im Wintergarten

Frühbesprechung im Polizeipräsidium

Gebrochenes Versprechen

Urlaub auf Föhr

Erste Ergebnisse

Die Drohung

Auszeit

Die Untersuchung

Hausdurchsuchung

Gutes Gespür

Ermittlungen

Flensburg mischt mit

Die Befragung

Morgenbesprechung

Das Dachstübchen

Gespräch unter vier Augen

Lesungen im Kurgartensaal

Die Villa

Die Botschaft

Abendbesprechung

Zweisamkeit

Hans-Jürgen Schlier taucht auf

Ein entsetzlicher Fund

Der Keller

Telefonkonferenz

Vernehmungen

Im Hochhaus

Die Diagnose

Rückenwind

Hektisches Treiben

Auf der Wache

Bei Nacht und Nebel

Verhör

Auf der Insel ist was los

In letzter Sekunde

Ein Anschlag kommt selten allein

Jetzt wird’s ernst

Geständnisse

Die Jagd beginnt

The show must go on

Die Lösung des Knotens

Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Und die Moral von der Geschichte?

Blitzlichtgewitter

Abschiede

Epilog

Danke

Anhang

Die Autorin

Über den Verlag

Prolog

Sonntagmorgen, kurz nach acht Uhr. Das war ihre Joggingzeit.

Ein schriller, spitzer Schrei! Dann ein dumpfer, harter Schlag. Die Geräusche kamen von der Anlegestelle der Schwalbe.

Der Schreck schoss ihr durch die Glieder.

Inga Perl hatte gerade die Lakebrücke in Witten-Herbede überquert. Als sie am Zollhaus vorbeirannte und den Schrei hörte, stoppte sie sofort. Der Schrei, der Schrei? Was war das? Wo kam der her?

Sie zitterte am ganzen Körper und duckte sich hinter der Bruchsteinmauer, die den Außenbereich der Gastronomie einschloss.

Normalerweise bog sie rechts ab, um dem Weg zur Hundewiese zu folgen. Sie kreuzte diesen Weg im Affentempo und hastete an der Firma Lohmann geradeaus vorbei in Richtung Meesmannstraße. Dort wohnte sie.

Hatte sie jemand gesehen?

Gewöhnlich pausierte sie am Steg und entspannte kurz am Ufer der Ruhr, um dann ihre morgendliche Joggingrunde fortzusetzen.

Von der Angst ergriffen, rannte sie weiter geradeaus ohne Umwege in Richtung Herbede-Zentrum bis zur Statue des Zwergenkönigs Goldemar. Dort setzte sie sich auf den Sockel und atmete tief durch.

Schnaufend zog sie ihre Wasserflasche aus dem Rucksack und trank hastig.

‚Was war da bloß los? Soll ich die Polizei anrufen oder bringe ich mich damit womöglich selbst in Gefahr?‘

Mit ihren eiskalten Fingern versuchte sie, den Verschluss der Trinkflasche zu schließen. Diese rutschte ihr vor Aufregung aus der Hand. Der Inhalt ergoss sich über ihre neongrüne Sporthose.

Mit fahrigen Bewegungen packte sie endlich alles ein, tupfte notdürftig ihre Kleidung mit einem Taschentuch trocken und begab sich zu ihrer Wohnung, die gegenüber des Ladens Storchmann lag.

Wie eine Betrunkene fingerte sie am Schloss der Haustür. Panisch drehte sie sich immer wieder um, da sie nicht sicher war, ob sie verfolgt wurde. Drei Stufen nahm sie auf einmal. In der zweiten Etage angekommen, betrat sie völlig außer Atem ihre Wohnung.

Ihre Sachen warf sie auf den Boden, stellte sich ans Fenster und starrte mit leerem Blick auf das gegenüberliegende Ladenlokal.

‚Was soll ich jetzt tun?‘.

Dann zückte sie ihr Handy und wählte anonym den Notruf 110.

1. Auf dem Polizeipräsidium

– Bochum; Sonntag –

Von einem kurzen Noteinsatz zurück, hatte Rolf Sahner endlich Muße, seinen Schreibtisch aufzuräumen. Es war zwar Sonntag, aber er hatte Bereitschaft und nutzte die Zeit.

Bis auf den ganz normalen Wahnsinn waren die letzten Tage etwas entspannter gewesen. Die vergangenen Monate hingegen, hatten es in sich gehabt.

Der Chef des KK11 kämpfte mit seiner Müdigkeit. Es war kurz vor zehn Uhr und er brauchte dringend einen zweiten Wachmacher. Schnell stellte er die Kaffeemaschine an. Nach seiner Magenoperation vor einigen Jahren gönnte er sich manchmal einen Espresso. Die Kamille-Fenchel-Mischung, die er eine lange Zeit getrunken hatte, war ihm mehr als über.

Alles hatte am neunten Februar mit diesem fürchterlichen Sturm Sabine angefangen, der zwei Tage lang in Deutschland tobte. Außerdem hatten noch einige schwierige Fälle gelöst werden müssen. Dazu war dann noch Karlas Erkrankung gekommen.

Infiziert mit einem gefährlichen Grippevirus hatten Karla und ihr Mann Dirk über vier Wochen das Bett gehütet. Beide hatte es so schwer erwischt, dass sich das Team Sorgen gemacht hatte. Und dann war COVID-19 gekommen.

Die Pandemie hatte ab diesem Zeitpunkt die Welt auf den Kopf gestellt und alles durcheinandergewirbelt. Jeder wünschte sich, gesund zu bleiben und eine Ansteckung zu vermeiden. Besonders Karla, deren Immunsystem nach der schweren Grippe im Keller war.

Der Lockdown, der von Mitte März bis Mitte April angeordnet wurde, brachte dann letztendlich alles zum Stillstand. Das soziale und kulturelle Leben war lahmgelegt und lief auf Sparflamme.

Aber gemordet wurde trotzdem. Die Mordkommission arbeitete unter strengen Hygienevorschriften wie gewohnt weiter.

Karla hatte Glück. Sie blieb gesund, das Team des KK11 und ihre Familien ebenfalls.

Ab dem siebenundzwanzigsten April gab es zwar einige Lockerungen, aber unter Auflagen, wie die Einführung der Maskenpflicht und weitere Sicherheitsmaßnahmen.

Reisen waren möglich, zwar mit Einschränkungen, aber immerhin. Die meisten von ihnen blieben jedoch zu Hause und erkundeten die nähere Umgebung in Kurztrips zu Fuß oder mit dem Rad.

Gerade gönnten sich Karla und Dirk endlich eine Auszeit auf Föhr, da die Insel wieder bereist werden konnte. Darüber war Rolf sehr froh, auch wenn es für ihn Mehrarbeit bedeutete. Er schaute auf die Uhr. ‚Oh, die beiden müssten schon auf dem Weg zu ihrer Lieblingsinsel sein.‘ Die Insulaner hatten es geschafft, die Insel fast coronafrei zu halten. Das Meeresklima und die Diszipliniertheit der Bewohner der Friesischen Karibik hatten dazu beigetragen.

‚Hoffentlich bleibt das so. Weniger Tempo ist mal schön. Aber davon kann man im KK11 normalerweise nur träumen‘, sinnierte Rolf Sahner weiter.

Er, Chef aller sechs Mordkommissionen im Polizeipräsidium Bochum, war mal wieder durch seine Gedankenspiele abgelenkt worden. Rolf suchte, wie immer, seine Brille. Das hatte sich in all den Jahren nicht geändert. Unter den angehäuften Aktenbergen hatte sie sich nicht versteckt. Er und sein zweites Augenlicht wurden niemals miteinander quitt. Rolf schmunzelte. ‚Auf Dauer wären Kontaktlinsen angebracht.‘

Dabei pflückte er seinen Mund-Nasen-Schutz vom Ohr, der immer noch dort baumelte.

Beim Suchen nach dem Nasenfahrrad verselbstständigten sich seine Gedanken in Träumereien und wanderten zu seiner neuen Flamme, die der Grund für seine Müdigkeit war. Rolf ließ Lisa vor seinem geistigen Auge erscheinen. Diese zarte, fast zerbrechliche Frau mit ihren prächtigen langen blonden Haaren, die sie oft zum Zopf geflochten trug, und ihren strahlenden blauen Augen ließ sein Herz höherschlagen. Kurz vor dem Lockdown hatte er sie kennengelernt. Nach der Scheidung von Greta hatte er noch wie ein Eremit gelebt und jetzt war er so verliebt, dass die Schmetterlinge in seinem Bauch tanzten. Vor Aufregung erwärmten sich seine Ohren, sein Herz schlug schneller und seine Brille fiel ihm vom Kopf, direkt auf seinen Schreibtisch.

Genau in diesem Moment stürzte Frank Lotter wie ein Trampel ohne Vorwarnung zur Tür herein. Nach seiner Krebserkrankung war er wieder ganz der Alte, strotzte vor Gesundheit und war kaum zu bremsen. Auch Rolf blühte nach seiner Magenoperation auf. Dazu trug Lisa in erheblichem Maße bei.

„Wat is Frank? Es ist Sonntag.“ Rolf setzte schnell seine Maske auf. „Was willst du denn hier?“, raunzte er ihn genervt an. Lotter störte bei seinen erquicklichen Gedanken.

„Was glaubst du denn? Wenn es nicht wichtig wäre, würde ich zu Hause auf dem Sofa liegen. Wir haben eine Leiche am Zollhaus in Witten-Herbede, direkt am Fähranleger der Schwalbe. Die Polizeiinspektion Witten hat mich angerufen. Dich haben sie nicht erreicht. Der Notruf ging anonym ein.“

„Och nee. Ich wollte Ordnung schaffen und den Rest vom Sonntag genießen. Ich war im Einsatz. Aber erzähl!“

„Mitarbeiter des Zollhauses haben sich ebenfalls beim Notdienst in Bochum gemeldet.

Karin ist nach dem Anruf von der Kriminalwache informiert worden und sofort mit Ulf zum Fundort gefahren. Dr. Breming ist auch schon auf dem Weg. Sitzt aber wie immer im Stau fest. Diese A40! Es ist zum Kotzen! Die Sonntagsausflügler sind unterwegs. Kaum gibt es mehr Lockerungen, da drehen die alle am Rad und überfluten die Naherholungsgebiete.“

„Gut, Lotter. Reg dich ab. Dann ist ja erst mal alles eingeleitet.“

„Wir fahren gemeinsam zum Fundort und sehen uns das an.“

Rolf und Frank schreckten auf. Sie hörten das bekannte Geräusch von Stöckelschuhen auf dem Gang.

„Oha, Frau Staatsanwältin ist im Anmarsch.“

Christa Sitzler rauschte ins Zimmer und baute sich mit zwei Metern Abstand vor Rolfs Schreibtisch auf. Wie immer durchgestylt, wie aus dem Ei gepellt. Der frisch geschnittene dunkelrote Bob umrahmte ihr Gesicht, das oberhalb der Nase mit kleinen Sommersprossen übersät war. Dies konnte man durch die Maske nur teilweise erkennen. Ein Duft von Chanel erfüllte den Raum. Heute trug sie das klassische nachtblaue Kostüm und unter dem Blazer eine weinrote Bluse. Der Mund-Nasen-Schutz war stylisch darauf abgestimmt. Den grauen Mantel trug sie locker über dem Arm. Ein Abbild der Perfektion.

„Ja Sonntagsarbeit ist angesagt! Kommt in die Gänge!“

Frank Lotter bekam einen hochroten Kopf, spielte mit seinen Händen und trat von einem Bein auf das andere. Die Staatsanwältin brachte ihn immer wieder aufs Neue aus dem Takt. Aber er schwitzte dank seiner medikamentösen Einstellung nicht mehr so sehr. Das war ein Segen. Lotters Wunsch, mit ihr zusammenzukommen, hatte sich leider nicht erfüllt. Alle seine Bemühungen und Hoffnungen waren wie eine Seifenblase zerplatzt. Christa Sitzler biss nicht an. Sie behandelte ihn im Gegensatz zu früher zwar freundlich und respektvoll, aber mehr war nicht drin.

„Tina Fritz hat angerufen und mir von der Leiche berichtet“, dozierte Frau Sitzler.

„Fahren Sie und Herr Lotter raus? Dann schließe ich mich an. Dr. Drumler und Westermann sind auf Stand.“ Die Staatsanwältin stöckelte voran. Rolf und Frank verdrehten die Augen, spurteten aber sofort hinterher.

„Sag mal?“

Auf dem Weg zum Aufzug wandte sich Rolf an Frank:

„Den nervigen Benno habe ich lange nicht mehr gesehen. Sein ewiges Dummgequassel und die Fotoshow auf seinem Handy vermisse ich schon.“

„Das meinst du doch nicht ernst“, lachte Lotter, „der Flurfunk sagt, dass sie ihn ins Archiv strafversetzt haben. Warum weiß ich allerdings nicht.“

„Das wird für ihn nicht erfreulich sein“, sinnierte Rolf.

„Nicht quatschen. Beeilung!“

Christa Sitzler stand schon im Aufzug und hatte die Hand am Türkontakt. Frank und Rolf huschten hinterher.

2. Traute Zweisamkeit

– Föhr, Hedehusum; Sonntag –

Piet umarmte seine schöne Lebensgefährtin mit den langen, braunen Haaren, die er an ihr so gern mochte. Er küsste Inge hingebungsvoll. Sie führten eine Art Fernbeziehung. Inge arbeitete am Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhruniversität Bochum. Nach dem Masterstudiengang hatte sie ihren Doktor geschafft und ihren Job in Witten an den Nagel gehängt.

Piet hatte sie vor einigen Jahren kennengelernt, als er und ihre langjährige Freundin Karla auf Föhr in einem dicken Mord- und Entführungsfall ermittelt hatten. Seitdem war sie mit ihm liiert.

Immer wenn sie im Ruhrgebiet zu Forschungszwecken, Vorlesungen und Seminaren unterwegs war, musste er einige Wochen auf sie verzichten.

Der Polizeihauptkommissar stürzte sich dann immer in seine Arbeit oder widmete sich ausführlich seinem Garten, den er und Inge mit viel Hingabe gestalteten.

In Bochum bewohnte Inge eine kleine Zweizimmerwohnung, in der sie sich zwischenzeitlich aufhielt. Das war ihr Anker und Standort im Ruhrgebiet. Wenn sie dort war, arbeitete sie nicht nur, sondern hielt den Kontakt zu ihren alten Freunden, so auch immer wieder zu Hauptkommissarin Karla Lang.

Da zur Zeit von Corona an der Uni keine Präsenz gefordert war, konnte sie - sehr zur Freude von Piet - von Föhr aus arbeiten.

Der Inselkommissar war verliebt wie am ersten Tag. Eine Trennung von der Frau seines Lebens war für ihn immer schrecklich und kaum zu ertragen. Da Inge durch ihre Brustkrebserkrankung eine Risikopatientin war, was Corona betraf, würde er sie am liebsten in Watte packen. Er hatte panische Angst, dass sie sich infizierte.

Seit Wochen hatte er vor, Inge endlich zu fragen, ob sie ihn heiraten wolle. Den Ring hatte er schon vor längerer Zeit gekauft und in seinem Schreibtisch versteckt. Es war ein teures Schmuckstück, das er in Hamburg erstanden hatte. Wenn sie NEIN sagen würde, wäre das für ihn der SUPER-GAU. Deshalb schob er den Gedanken daran und den Heiratsantrag vor sich her.

„Piet du erdrückst mich. Ich bekomme keine Luft.“ Er erschrak und ließ sie sofort los. ‚Es gibt noch viel zu tun. Karla und Dirk kommen heute an und ich muss mich noch um das Essen kümmern‘.

Piet zog seine Liebste wieder zu sich heran und küsste sie. Inge schob ihn lächelnd zur Seite und widmete sich den Essensvorbereitungen.

Beide freuten sich auf die Ankunft ihrer Freunde, die sie seit Weihnachten nicht mehr gesehen hatten.

Doch bei diesem Treffen würde alles anders sein. Denn zur Einhaltung der Hygienevorschriften würde es ein Essen mit Abstand geben. Aber das war im Wintergarten an dem großen Tisch durchaus machbar.

Das mit Reet gedeckte Haus von Piet stand in der Traumstraße in Hedehusum, einem Ortsteil Utersums im Westen der Insel. Es war groß genug für zwei, aber zu klein, um weitere Übernachtungsgäste einzuquartieren.

Deshalb, und wegen Corona, wohnten Karla und Dirk wieder in der Ferienwohnung bei Stine Gedsen in Utersum, ein paar Fahrradminuten von Hedehusum entfernt.

„Gut, dass der Lockdown vorbei ist, die Zahl der Infizierten zurückgeht und wir endlich mal etwas aufatmen können“, sagte Piet.

„Und, dass es Karla und Dirk wieder besser geht“, freute sich Inge. „Ich habe mir Sorgen um die beiden gemacht. Leider ist die Angst vor Corona nicht vorbei. Wer weiß, was nach den Herbstferien wird. Aber wenn wir uns an die Hygienevorschriften halten, wird es schon. Ach, wenn sie doch endlich mal ein Medikament oder einen Impfstoff entwickeln würden.“

3. Aufruhr am Zollhaus

– Zollhaus , Witten-Herbede; Sonntag –

Die Fahrt mit Christa Sitzler war anstrengend. Sie redete ununterbrochen, schnitt alle möglichen Themen an und den anderen das Wort ab. Rolf hatte schon Punkte vor den Augen, war müde und hatte Mühe, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Er sah in den Rückspiegel und grinste. Die Staatsanwältin und Lotter sahen mit den Masken lustig aus.

Rolf parkte sein Auto direkt vor dem Zollhaus. Überall sah er rot-weiße Absperrbänder, die coronabedingt gespannt waren. Der Außenbereich der Gastronomie war nur auf eingegrenzten Wegen und unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln zugänglich. Der Innenbereich war für Gäste tabu.

Es war schon interessant, wie schnell sich in Herbede Sensationen herumsprachen, und das während der Coronakrise an einem Sonntagmorgen.

Jogger, Hundebesitzer, Schaulustige. Alles war vertreten. Rolf hatte die Lage schnell im Griff. Die Personalien der Späher wurden von den diensthabenden Kollegen für Nachfragen aufgenommen. Anschließend wurden alle Umstehenden verscheucht.

Total unter Schock saßen zwei Mitarbeiter aus dem Zollhaus mit Abstand und Maske auf der Bruchsteinmauer. Rolf sprach sie behutsam an. Sie stellten sich mit Michaela Gründer und Robin Feith vor. Michaela Gründer weinte.

Rolfs Ansprache beruhigte sie und nach einiger Zeit erzählten die beiden dem Chef des KK11 und aller sechs Mordkommissionen, was sie gesehen hatten. Selbst Frau Sitzler war berührt, vergaß für einen kleinen Augenblick die Hygieneregeln und streichelte Michaela Gründer mit ausgestrecktem Arm über die Schulter.

Die beiden Mitarbeiter waren schon eher zum Dienst gekommen, um noch eine Zigarette zu rauchen. Dabei liefen sie zur Anlegestelle. Dort fanden sie die Leiche.

Auf die Frage, ob sie die Frau kennen würden, antworteten sie mit „Ja“. Die beiden erzählten, dass sie die Tote oft beim Joggen gesehen hätten. Zwischendurch habe sie schon mal am Zollhaus pausiert, um sich eine Flasche Wasser zu holen. Laut den Berichten der Mitarbeiter war sie immer kurz angebunden und herablassend gewesen. Kein freundliches Wort. Einmal habe sie mit einer netten Joggerin, die auch oft am Zollhaus vorbeikomme, auf der Mauer gesessen und geredet. Die Namen dieser Frauen wüssten sie aber nicht.

Rolf gab den beiden Zeugen die Telefonnummer eines Psychologen. Auf die Frage von ihm, ob ihre Personalien aufgenommen worden seien, nickten sie.

„Halten Sie sich für weitere Rückfragen bitte zur Verfügung.“

Das Gespann des KK11 und die Staatsanwältin bahnten sich den Weg zur Leiche.

Der Rechtsmediziner Dr. Breming, der gerade eingetroffen war, gesellte sich dazu. Ulf Schmidt hatte kurzfristig den Sonntagsdienst für Elke de Haag übernommen. Er sicherte Spuren, Karin Bock fotografierte das Opfer und den Fundort.

Jetzt, wo alle anwesend waren, beugte sich Dr. Breming über die Tote und untersuchte sie. Sie lag bäuchlings auf dem teilbetonierten Anlegesteg des Touristenschiffes Schwalbe.

Ihr Gesicht zur Seite gedreht, mit Blick auf das Wasser der Ruhr. Alle anderen schauten geschockt zu. Es offenbarte sich ihnen ein gruseliges Bild.

Gemeinsam mit Ulf drehte der Gerichtsmediziner die Leiche vorsichtig auf den Rücken und hob den Kopf der Frau an. Sie hatte rote kurze Haare, eine auffällig große Nase und schmale Lippen. Am Hinterkopf klaffte eine Wunde, die eine Blutlache hinterlassen hatte. Die Joggingkleidung war eher altbacken. Sie trug eine schlabbrige Hose, ein weites T-Shirt und eine ballonseidene blaue Jacke mit weißen Streifen auf den Ärmeln.

Die dunkle Stimme des Mediziners erklang. Die Anwesenden hörten gebannt zu, als er dozierte:

„Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde noch auf ihren Hinterkopf mit voller Wucht mittels eines stumpfen Gegenstandes eingeschlagen. Durch die unverhoffte Stärke des Aufpralls fiel sie nach vorn, direkt auf das Gesicht. Ob der erste Schlag auf den Hinterkopf sofort zum Tod geführt hat, kann ich nicht genau sagen, ist aber zu vermuten. Nach dem heftigen Sturz nach vorn, war sie mit Sicherheit tot. Auf der Stirn, der Nase und am Kinn sind mehrere Sturzverletzungen sichtbar. Sehen Sie.

Die Tatwaffe könnte ein harter Gegenstand gewesen sein, mit dem auf ihren Schädel eingeschlagen wurde. Der oder die Täter drehten ihren Kopf zur Seite. Das kann man an den Schleifspuren im Gesicht erkennen, die nichts mit dem Sturz zu tun haben. Sie wurden ihr durch die Drehung später zugefügt. Dabei waren der oder die Täter nicht zimperlich. Der Fundort ist Tatort.“

Ulf zeigte auf die Stirn der Toten. Darauf stand auf der Hutkrempenlinie der Name HANNA.

Die Buchstaben waren mit einem scharfen Schneidewerkzeug eingeritzt worden, das Gesicht von den Sturz- und Schnittverletzungen blutüberströmt.

Zu allem Überfluss war über die Stirn der Toten eine blaue Farbe gegossen worden, so dass der Name Hanna wie eine frische Tätowierung wirkte. Ulf füllte eine Probe ins Reagenzglas. Er roch daran:

„Es ist Tinte.“

Dr. Breming nickte Ulf zustimmend zu.

Ulf tippte kurz mit dem Finger in den großen roten Fleck, der sich auf dem Asphalt ausgebreitet hatte. Er bestätigte, dass es sich um Blut handelte und nahm Proben. Daraufhin suchte er weiter nach brauchbaren Spuren und fand Schuhabdrücke im Blut, die sich auf dem Asphalt fortsetzten.

Er fotografierte die Abdrücke und sicherte einen Abzug mit Hilfe einer Gelatine-Folie.

Schildchen mit Nummern waren schon aufgestellt worden. Dr. Breming untersuchte die große, schlanke Frau genau, die an einigen Stellen am Körper verschiedene Blessuren aufwies.

„Da ist mehr passiert. Auf sie wurde heftig eingetreten. Eine klassische Übertötung! Da war Wut im Spiel. Nach der Obduktion sage ich Ihnen mehr.“

Rolf schaute sich in der Gegend um. Am anderen Ufer sah er ein Restaurant und einige Wohnhäuser. Er wandte sich an Frank und Ulf: „Ihr müsst die Menschen, die dort drüben wohnen, alle befragen, ob sie etwas gehört oder gesehen haben.“

Christa Sitzler mischte sich ein: „Ich informiere Siegfried Westermann, dass er einen Aufruf für die Presse vorbereitet. Vielleicht melden sich Zeugen.“

Lotter durchsuchte das Gebüsch, in der Hoffnung, die Tatwaffe zu finden. Er fand zunächst nur eine Trinkflasche, die unter die Parkbank gerollt war. Diese versenkte er in eine Tüte.

Handy, Geld oder Papiere lagen nirgendwo rum. Karin hielt einen dicken Stein hoch, an dem Blut klebte, sicherte ihn im Plastikbeutel und verkündete:

„Die Tatwaffe!“

Die Bestatter trafen ein. „Können wir die Tote einpacken?“

„Warten Sie bitte einen Moment, ich bin noch nicht fertig.“ Dr. Breming kniete neben der Leiche und sagte:

„Die Tatzeit muss in den frühen Morgenstunden gewesen sein. Lange ist sie noch nicht tot, was ich anhand der Körpertemperatur, der Leichenstarre und der Leichenflecken schon sagen kann. Was hat der Name HANNA bloß zu bedeuten? Ist das ihr Name?“

Rolf Sahner und Christa Sitzler hatte es die Sprache verschlagen.

Beide ließen den Eindruck der Leiche auf sich wirken. Die Staatsanwältin, sonst hartgesotten, war wie paralysiert.

„HANNA, ich verstehe es nicht.“

Sie wandte sich an Dr. Breming und die Bestatter. „Einpacken!“

Rolfs Klingelton ‚Nothing Else Matters‘ ließ alle Anwesenden zusammenschrecken.

„Ja? Wat gibbet Tina?“

„Das ist jetzt nicht wahr?“

4. Auf der Fähre

– Fähranleger, Dagebüll ; Sonntag –

Karla und Dirk, bestückt mit einem Mund-Nasen-Schutz, standen am Deck der Uthlande und ließen sich den Wind um die Ohren wehen. Der Psychologe umfasste die Taille seiner Kommissarin von hinten. Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust. Dirk drückte ihr einen Kuss auf ihre dunkelbraunen Locken. Er liebte den Geruch ihrer Haare und den Duft ihres frischen Parfums, das sie schon viele Jahre trug. Sie kuschelte sich nah an ihn heran und genoss die seltene Zweisamkeit.

Karla setze die Sonnenbrille auf und schloss die Augen bis auf einen kleinen Schlitz. Der Wind streichelte ihr Gesicht. Sie blinzelte der Sonne entgegen, so dass sie die Welt um sich herum nur verschwommen wahrnahm. In der Ferne lag der Hafen von Wyk und das Meer schimmerte im Sonnenlicht. Ihre geliebte Insel Föhr, die Friesische Karibik, rückte immer näher. Das war das Bild, das sich in ihrem Kopf festgesetzt hatte. Immer wenn sie gestresst war, holte sie sich genau diesen Moment ins Bewusstsein. Das beruhigte sie.

„Maskiert bin ich noch nie nach Föhr gefahren. Dieser Stofffetzen geht mir sowas von auf die Nerven. Ich kann die gute Seeluft gar nicht genießen“, unterbrach Dirk diesen wohligen Augenblick.

„Aber es muss sein, mein Schatz. Bald sind wir diesen lästigen Schnutenpulli wieder los“, beruhigte ihn Karla.

„Ich habe das Gefühl, dass das länger dauern wird. Aber Hauptsache, wir fangen uns dieses Virus nicht ein. Die Grippe im Frühjahr hat uns schon genug gebeutelt.“

„Mach dir keine Sorgen! Wir halten uns an die Vorschriften, dann klappt das. Außerdem gibt es auf Föhr im Augenblick keinen einzigen Coronafall. Es wäre schön, wenn das so bliebe.

Jetzt genießen wir erst einmal unseren gemeinsamen Urlaub und erholen uns. In der Ferienwohnung bei Stine Gedsen haben wir Ruhe. Ob die kleine Katze Margaret noch dort wohnt?“

„Sicher, Miss Marple.“ Dirk strich Karla sanft über die Locken. „Gut, dass ich bei dir bin. Das Ermitteln ist in diesem Urlaub strengstens verboten. Klar?“

Dirk sah sie streng an. Karla sagte vorsorglich nichts.

Die Sonne, die hinter den Wolken hervorlugte, erwärmte ihre Gesichter. Der Wind wurde kräftiger, frisch, aber nicht kalt, so dass eine Mütze überflüssig war. Karlas Locken hüpften, so wie die Schaumkronen auf dem Meer.

Die Kommissarin kniff ihre Augen ein wenig zusammen und schaute aufs Wasser. Aus diesem Blickwinkel eröffnete sich immer wieder eine neue Perspektive. Es flimmerte, funkelte, glitzerte, flirrte, schäumte, die Wellen tanzten und Karla summte leise. Dirk wog sie sanft im Takt ihres Liedes.

Karla hatte viele Bilder im Kopf, die sie gern auf die Leinwand gebannt hätte. Aber daraus wurde nichts. Ihre Malsachen standen zu Hause, weil Dirk sie um ihre volle Aufmerksamkeit gebeten hatte. Ihre Leidenschaft des Malens musste somit zwangsläufig in diesem Urlaub ruhen. Davon war sie nicht begeistert, würde aber Dirk zu liebe darauf verzichten.

5. Vorfreude

– Witten; Sonntag –

„Ich bin so froh!“ Pia hauchte ihrem Mann einen zärtlichen Kuss aufs Kinn. Höher kam sie nicht. Nur, wenn er sich zu ihr runter beugte. Er war 1,95 m und sie 1,65 m. Leif Löffler schloss sie in seine Arme.

„Endlich ist unser Krimi erschienen. Gut, dass wir den Vertrag mit dem JWG-Verlag gekündigt haben und jetzt mit Hilfe unseres Anwalts raus sind. Dieser Verlag war nicht ganz koscher, er arbeitete schlampig und irgendetwas stimmt mit den Verlegern nicht. Das hat mir mein Bauchgefühl geflüstert. Ich verstehe nicht, warum sie so wütend waren. Es passte nicht zusammen. Und wenn was nicht kompatibel ist, muss man die Verbindung kappen. So ist das im Leben.“

Pia zog mit Hilfe von Leif den geschlossenen Koffer vom Bett und stellte ihn in den Flur.

„Das stimmt! Es ist vorbei und jetzt schauen wir nach vorn. Nach all den vielen Einzelveröffentlichungen haben wir es endlich geschafft, ein gemeinsames Werk herauszubringen. Das macht mich sehr glücklich!“

„Genau“, freute sich Leif, „unsere beiden Namen stehen auf dem Cover. Eine neue Verbindung. Und unser Krimi spielt auf unserer Lieblingsinsel Föhr und im Ruhrpott.“

Pia schaute Leif etwas traurig an: „So wie es aussieht, finden vorläufig keine Lesungen in normalem Umfang statt. Das ist so schade! Mit der Abstandsregelung von 1,5 m wird das nur eine kleine Veranstaltung werden. Aber besser als nichts . Der Kurgartensaal in Wyk ist schön und zwei kleine Veranstaltungen sind unterm Strich wie eine große. Ich bin gespannt auf Mittwoch. Die Leute hungern nach Kultur und freuen sich, wenn sie überhaupt etwas zu hören und zu sehen bekommen.“

„Jetzt gönnen wir uns erst einmal eine Auszeit in Verbindung mit der Lesung auf Föhr und danach kümmern wir uns um die weitere Vermarktung. Gut, dass wir dann so schnell den Schöller-Verlag in Hamburg gefunden haben. Alles Weitere wird sich zeigen.

Ändern können wir an dieser Gesundheitskrise ja sowieso nichts.“

„Außerdem haben wir uns Ruhe verdient. Der Abstand zu allem und mal etwas anderes als Witten zu sehen, wird unserer Seele guttun.“

„Oh ja!“ Leif nickte heftig und strich sich durch seine kräftigen, dicht gewachsenen dunklen Haare. „Die Aufregungen der letzten Wochen, die unangenehmen Auseinandersetzungen mit dem JWG-Verlag und Corona haben uns ordentlich geschlaucht. Wir brauchen jetzt Sonne, Wind, Weite und das Meer.“

Pia streichelte Leif über den Arm und strahlte ihn mit ihren leuchtenden grünen Augen an.

„Jetzt lassen wir erst einmal alles auf dem Festland. Tiefenentspannung auf unserer Insel, das ist unser Mantra. Ich freue mich so auf Föhr, auf die Leute und auf die Lesung. Wann wollen wir morgen früh eigentlich losfahren?“

„Ich denke, sieben Uhr wird reichen.“ Leif schnappte sich den gepackten Koffer und schleppte ihn zum Auto.

Er schmunzelte: ‚Pia hat mal wieder Steine eingepackt!‘

6. Ein bedrückendes Geständnis

– Föhr, Hedehusum; Sonntag –

Endlich war sie allein. Piet pflückte im Garten Blumen für den Tisch. In den Beeten war eine bunte Vielfalt zu finden. Frieda, die Briard Hündin, tollte um ihn herum. Sie hielt die Nase in den Wind , was ihr eine strenge Frisur verlieh. Piet spielte mit ihr, indem er ein Stöckchen warf, was sie mit wildem Getöse zu ihm zurückbrachte. Beide hatten großen Spaß.

Es sollte für Karla und Dirk alles herbstlich hübsch aussehen. Piet hatte eine bunte Blumenvielfalt zusammengestellt.

Die Sonne durchflutete den Garten. Auf dem Deich, den Inge vom Küchenfenster aus sah, standen die Schafe und genossen die Herbstsonne.

Im Garten wuchsen verschiedene Obstbäume, an denen immer noch einige Früchte hingen. Piet und sie hatten es nicht geschafft, die restlichen Äpfel, Kirschen, Birnen und Pflaumen zu ernten. In diesem Jahr trugen die Obstbäume ausgezeichnet. Davon profitierte auch immer das Reha-Zentrum Utersum, das mit dem Obst seine Patienten beglückte.

Inge zupfte die Salatblätter zurecht und ihre Gedanken schweiften ab. Ihre Augen brannten und Tränen rollten ihr über die Wangen:

‚Wie und wann sage ich es ihm?‘

In der anderen Brust hatte ihre Ärztin eine verdächtige Gewebeveränderung entdeckt. Sie musste in der nächsten Woche zur Biopsie und hatte Angst, dass der gefundene Knoten wieder ein Tumor sein könnte.

Wiederholte sich jetzt alles, was sie schon einmal vor fünf Jahren durchgemacht hatte?

Inge war so in ihren Gedanken versunken, dass sie gar nicht merkte, wie die Salatsauce durch ihre Tränen immer mehr verwässerte.

Piet, der sich von hinten an sie herangeschlichen hatte, hielt ihr einen bunten Herbststrauß unter die Nase.

„Riech mal, wie herrlich unsere Blumen duften.“

Dann sah er, dass sie weinte.

„Was ist los?“

Aus ihr brach es heraus: „Piet, ich habe einen unklaren Befund in der anderen Brust! Ich konnte es dir bisher nicht sagen.“

Inge lehnte sich an Piets Schulter und schluchzte. Der Kommissar versuchte Haltung zu bewahren, obwohl er das Gefühl hatte, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

„Mein Schatz! Es muss ja nichts bedeuten. Der Befund ist nicht eindeutig. Warte ab. Und wenn es Krebs ist, stehen wir das gemeinsam durch.“

Mit einem Taschentuch tupfte er ihre Tränen weg und küsste sie sanft auf die Wange.

Frieda streckte ihnen ihren Kopf entgegen und jaulte.

7. Dicke Luft

– Föhr, Utersum; Sonntag –

Karla saß gemütlich auf der Couch und schaute nach draußen. Die Terrassentür stand offen und die kleine Katze Margaret spähte um die Ecke. Mit einem Sprung saß sie schon auf Karlas Schoß und schnurrte behaglich. Karla streichelte sie ausgiebig.

„Sieh mal, sie erkennt mich wieder.“

Dirk schaute sich das Schauspiel an und grinste:

‚Dann ist sie schon mal beschäftigt und kommt nicht auf krumme Gedanken.‘

Beruhigt setzte er sich draußen auf die Terrasse und genoss den Ausblick auf Amrum und Sylt. Doch dann hörte er Karla telefonieren:

„Was ist los, Rolf? Leiche? Zollhaus? Heute Morgen gefunden? Wisst ihr schon, wer die Tote ist?“

Dirk wurde sauer, sprang auf und stand wild gestikulierend vor ihr. Schließlich beendete Karla das Gespräch vorzeitig, ohne darüber informiert worden zu sein, dass noch mehr in Witten passiert war.

„Karla, eines sage ich dir, wenn du in diesem Urlaub wieder keine Ruhe gibst und nicht endlich mal deine Arbeit von anderen erledigen lässt, die das genauso gut wie du können, nehme ich mir mal eine Auszeit von unserer Ehe, um Abstand zu gewinnen!“

Karla blieb der Mund offen stehen und sie wurde mit einem Mal leichenblass.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“, fragte sie geschockt. „Was machst du denn für ein Drama? Ich habe doch nur mit Rolf gesprochen.“

„Drama, Drama! Was dich betrifft, mache ich keine Scherze. Das ist mein voller Ernst! Und jetzt komm. Wir fahren zu Inge und Piet. Die warten schon auf uns.“

„Okay, ich habe es verstanden.“

Karla setzte Margaret sanft auf den Boden, die sofort über den Rasen sprintete und im Gebüsch verschwand.

Auf der Fahrt nach Hedehusum sprach Karla kein Wort mit ihrem Ehemann und starrte nach rechts auf die vorbeiziehenden Felder, auf denen Kühe grasten und Pferde weideten. Die Schafe lagen faul auf dem Deich und ließen es sich gut gehen.

Der Ausblick auf die Insellandschaft entspannte sie dieses Mal nicht. Sie öffnete das Fenster. Die Luft roch herbstlich. Verstohlen schaute sie Dirk an, der mit verfinsterter Miene die Fahrt fortsetzte:

„Okay. Versprochen, ich halte mich zurück. Jetzt mach dich mal locker, damit wir unseren Urlaub genießen können. Deine Reaktion ist überzogen.“

Er schaute sie etwas versöhnlicher an, streichelte ihren Arm und hauchte ihr einen Luftkuss zu. Karla atmete erleichtert auf und schon standen sie vor der Haustür von Inge und Piet.

„Na immerhin, ein kleines Friedensangebot“, lachte Karla.

8. Schlechte Nachrichten

– Witten; Sonntag –

Rolf stand da wie eine Salzsäule, bevor er die erhaltenen Informationen weitergab.

„Los zum Dorneywald, Witten-Stockum. Ein Ehepaar hat eine weitere Frauenleiche bei ihrer Hunderunde gefunden.“

Rolf brachte in Windeseile alle auf Stand und beschrieb den Fundort:

„Dorneystraße, bis zum Hochhaus. An dieser Stelle über den Feldweg an dem freistehenden Einfamilienhaus vorbei, in Richtung Sportplatz. Direkt am Anfang des Waldes, am linken Wegrand, wurde sie gefunden.“

Wie auf Knopfdruck besetzten alle ihre Autos und fuhren über die A43 und die A44 zum Ort des Geschehens.

Außer dem Ehepaar mit ihrem Langhaarcollie tummelten sich nur wenige Schaulustige am Tatort, deren Personalien sofort aufgenommen wurden. Nachdem alle Anwesenden befragt worden waren, kamen sie der Aufforderung nach, den Schauplatz zu verlassen.

Rolf wandte sich an die Zeugen, die sich mit Sina und Tom Stelzer vorstellten. Dr. Breming, Ulf und Karin begaben sich umgehend zur Leichenschau. Die Staatsanwältin stöckelte etwas wackelig über den weichen Waldboden, weil ihre Absätze bei jedem Schritt immer wieder tief einsanken. Dabei hatte sie große Mühe, nicht hinzufallen. Außerdem war sie ein wenig blass.

Während Frank die Zeugen befragte, stellte sich Rolf zu seinen Kolleginnen und Kollegen, die sich um die Leiche versammelt hatten.

„Ich fasse es nicht“, stieß Christa Sitzler hervor, „wurde sie etwa nach dem gleichen Muster wie die Frau am Zollhaus getötet? Haben wir es mal wieder mit einem grausamen Serien- oder Ritualmörder zu tun? Kommt da noch mehr?“

„Frau Sitzler, der Zeitpunkt ist zu früh, um darüber schon eine Aussage machen zu können. Warten wir ab, was die Untersuchungen ergeben“, entgegnete Dr. Breming, der dann allen erklärte, dass die Frau noch nicht lange tot sei. Der Gerichtsmediziner drehte sie vorsichtig um und betrachtete das Gesicht. Auf der Stirn war ebenfalls der Name HANNA eingeritzt. In gleicher Weise hatte man Tinte darüber gegossen.

Ulf kam mit Walkingstöcken in der Hand auf die Ermittlergruppe zu und sicherte diese sorgfältig in einer großen Plastiktüte. Dieses Opfer war modern gekleidet. Sie trug enge pinkfarbene Joggingkleidung und neongrüne Laufschuhe. Die Frau hatte kurze schwarze Haare und war etwa 1,55 m groß.

Unter einem Strauch fand Ulf einen dicken, blutverschmierten Stein.

„Ich sage es doch! Ein Serienmord!“, stieß Christa Sitzler atemlos hervor. Sie merkte leider erst zu spät, dass sie mitten im Schlamm stand, in den die Absätze ihrer Schuhe bereits tief eingesunken waren. Bei dem Versuch, sich zu befreien, wäre sie fast nach hinten gekippt, wenn Frank Lotter sie nicht gehalten hätte.

Rolf empörte sich: „Jetzt bin ich schon so lange im Geschäft und werde immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Da verstehe jemand die Sprache der Mörder. Welches Motiv steckt dieses Mal dahinter?“

Der Rechtsmediziner Dr. Breming schüttelte den Kopf. Er hatte keine Erklärung. „Ich werde die beiden Opfer im Institut in Essen genau in Augenschein nehmen und dann sehen wir weiter. Vielleicht finde ich Vergleichbares.“

Das Beerdigungsunternehmen, das die Leiche am Zollhaus abgeholt und von einer weiteren Toten gehört hatte, orderte vorsorglich in vorauseilendem Gehorsam gleich einen zweiten Wagen nach Witten-Stockum.

Christa Sitzler gab das Zeichen zum Abtransport, drehte sich um und übergab sich. Lotter stand entgeistert daneben, stützte sie und reichte ihr ein Stofftaschentuch, das er den dünnen Papiertaschentüchern seit dem Tod seines Vaters bevorzugte. Das hatte er bei der hartgesottenen Christa Sitzler noch nie erlebt.

9. Das Wiedersehen

– Föhr, Hedehusum; Sonntag –

Karla holte den opulenten Geschenkkorb, bestückt mit Ruhrpott-Spezialitäten aus dem Kofferraum. Inge liebte diese netten Kleinigkeiten. Pott-Kekse, Bonbons in Brikett-Form, Trockentücher im Grubentuch-Look, und die dazu passende Grillschürze, Wein, und vieles mehr hatte sie in den Überraschungskorb gestopft. Er war so schwer, dass Dirk ihn tragen musste.

Das Empfangskomitee, Inge und Piet, deren Gesichter unter Masken versteckt waren, begrüßten sie. Die stürmischen Umarmungsüberfälle fielen pandemiebedingt aus.

Frieda, die neben den beiden bei Fuß sitzen sollte, störte sich an nichts und lief freudig bellend um die Gäste herum, so dass Dirk Probleme hatte, den Geschenkkorb in Balance zu halten.

„Moin ihr zwei. Lass mal, Frieda“, lachte Piet und fing die wilde Hündin ein.

„Kommt rein. Wir sitzen heute im Wintergarten. Ich habe schon vorgeheizt.“

Karla schaute in Inges Augen, die auf sie traurig wirkten. Sie nahm dies sofort wahr, sagte aber nichts.

Mit eineinhalb Metern voneinander im Abstand platzierten sie sich und staunten über die liebevolle Dekoration.

„Ich bin angekommen“, sagte Karla glücklich, „bei meinen Freunden und auf der Insel.“