To Me and You. Marissa & Davis (Secret-Reihe) - Mimi Heeger - E-Book

To Me and You. Marissa & Davis (Secret-Reihe) E-Book

Mimi Heeger

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Beschreibung

**Neues Jahr, neues Land, alte Liebe** Nach einer schmerzhaften Trennung wünscht sich die schottische Studentin Marissa nichts sehnlicher als eine Auszeit fernab von all ihren Problemen. Während eines London-Kurztrips über Silvester trifft sie ausgerechnet auf ihren ehemaligen Urlaubsflirt Davis und ihr Traum scheint endlich in Erfüllung zu gehen. Zwischen ihr und dem charismatischen Musiker fliegen nicht nur sofort wieder die Funken, sie teilen sich auch ihre Sehnsucht nach Freiheit. Doch das Timing spielt ein weiteres Mal gegen sie und Marissa wird schneller von der Realität eingeholt, als ihr lieb ist. Schließlich kann sie ihr Leben nicht einfach so hinter sich lassen – auch nicht für jemanden, der ihre Gefühle so durcheinanderbringt wie Davis ... Das neue Romance-Highlight von Bestsellerautorin Mimi Heeger  Es geht weiter! Die Kinder der beliebten Figuren aus der »Secret«-Serie bekommen ihre eigene Geschichte. Mitreißend, frech und absolut gefühlvoll von der ersten bis zur letzten Seite. //Dies ist der zweite Band der romantischen Buchserie »To Me and You«. Diese Serie kann komplett unabhängig von den »Secret«-Romanen gelesen werden. Alle Bände der Liebesgeschichte bei Impress:  -- To Me and You. Grace & Adam   -- To Me and You. Marissa & Davis   -- To Me and You. Amber & Jordan  -- My Way To You. Eine »Secret Love«-Sammelausgabe Weitere New Adult Liebesromane der Bestsellerautorin Mimi Heeger:  -- Secret Kiss. Die Tochter vom Coach  -- Secret Crush. Der Star der Mannschaft  -- Secret Match. Team wider Willen//  Jeder Roman dieser Serien steht für sich und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.

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Mimi Heeger

To Me and You. Marissa & Davis (Secret-Reihe)

**Neues Jahr, neues Land, alte Liebe**Nach einer schmerzhaften Trennung wünscht sich die schottische Studentin Marissa nichts sehnlicher als eine Auszeit fernab von all ihren Problemen. Während eines London-Kurztrips über Silvester trifft sie ausgerechnet auf ihren ehemaligen Urlaubsflirt Davis und ihr Traum scheint endlich in Erfüllung zu gehen. Zwischen ihr und dem charismatischen Musiker fliegen nicht nur sofort wieder die Funken, sie teilen sich auch ihre Sehnsucht nach Freiheit. Doch das Timing spielt ein weiteres Mal gegen sie und Marissa wird schneller von der Realität eingeholt, als ihr lieb ist. Schließlich kann sie ihr Leben nicht einfach so hinter sich lassen – auch nicht für jemanden, der ihre Gefühle so durcheinanderbringt wie Davis  …

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Vita

Danksagung

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© Jacqueline Radomski-Dicke Fotografie

Mimi Heeger wurde 1983 in Kreuztal geboren und wohnt mit ihrem Mann, ihren zwei Söhnen und einem kleinen Hund im Siegerland. Die zweite Welt, in der sie lebt, ist die der Bücher. Tag und Nacht taucht sie mit Figuren aus den verschiedensten Genres in deren Geschichten ein. Das eigene Schreiben von Romanen ist schon seit Kindheitstagen ein Wunsch, der schnell zur Leidenschaft und schließlich zum großen Traum wurde.

Für alle, die ihren Weg noch suchen, und diese, die ihn bereits gefunden haben. Für die, die ohne Ziel durchs Leben streifen, und jene, die genau vor Augen haben, in welche Richtung sie gehen … Für alle …

Prolog

Goodbye

Auf Wiedersehen. Ich sage nicht Lebewohl.

Auf Wiedersehen. Weil das bedeutet, ich kann eines Tages deine Augen wieder leuchten sehen.

Auf Wiedersehen. Weil die Welt sich sonst nicht weiterdreht.

Auf Wiedersehen. Denn das heißt, das hier ist noch nicht das Ende.

Der Morgen vertreibt die Dunkelheit. Doch die Finsternis in mir, sie bleibt. Nistet sich ein und fühlt sich zu Haus. Ich suche nach Licht und finde dich. Überall. Du bist in den Wolken, die den Himmel verzieren. Du bist im Regen, der den Waldboden küsst. Du bist in der Sonne, die das Wasser zum Glitzern bringt. Doch die Finsternis lässt sich nicht vertreiben. Nistet sich ein und wartet auf eine weitere Nacht, in der wir eins werden. Die Dunkelheit und ich.

Auf Wiedersehen. Ich sage nicht Lebewohl.

Auf Wiedersehen. Weil ich deine Stimme noch einmal hören muss.

Auf Wiedersehen. Denn ich möchte dir noch so viel zeigen.

Auf Wiedersehen. Es wird nie zu Ende sein.

Die Nacht zerstört mich. Reißt mich in Stücke. Ich schließe die Augen, verdränge den Schmerz. Drehe mich im Kreis und tanze den Tanz, den sie Leben nennen. Lachen und feiern. Bunt ist die Nacht. Sie verschließen die Augen, sehen mich nicht. Im Schatten der anderen, dunkel und leise. Warte und sehne mich nur nach dir. Ich brauche das Licht, muss die Wärme spüren. Was ich auch tue, ich kann dich nicht greifen und dann kommt der Morgen und du verschwindest mit der Nacht.

Auf Wiedersehen. Ich sage nicht Lebewohl.

Auf Wiedersehen. Denn ohne ein Wiedersehen kann ich nicht weiteratmen.

Auf Wiedersehen. Wie sollte es sonst weitergehen?

Auf Wiedersehen … Bitte … lass nicht zu, dass es Lebewohl wird.

Auf Wiedersehen …

London

Kapitel 1

Davis

Ich bin ein Idiot. Die letzten vierundzwanzig Jahre hat niemand ausgelassen mir das immer und immer wieder unter die Nase zu reiben, doch in dieser Sekunde wird mir klar, wie recht alle hatten. Denn Scheiße, ich bin wirklich ein verdammter Idiot.

Es ist der stetige Regen, nicht die Kälte, die mich mit jeder Umdrehung meiner Reifen unruhiger werden lässt. Ich war nie zimperlich, was Temperaturen angeht, damit kann ich umgehen. Wahrscheinlich stumpft man einfach ab, wenn man in einer ungeheizten Werkstatt in Moss Side groß wird. Dummerweise lernt man dort anscheinend nicht, wie dämlich es ist, bei prasselndem Regen auf ein Motorrad zu steigen.

Denn mal ganz abgesehen von der schlechten Sicht habe ich inzwischen auch noch das Gefühl, die Maschine schwimmt mehr und mehr auf dem Asphalt. Und das macht mir wirklich langsam Angst. Ich umklammere die Griffe so fest ich kann und presse die Oberschenkel gegen den schwarzen Lack. Eine falsche Bewegung und sie können mich aus dem Straßengraben fischen.

Dreihundert gottverdammte Meilen. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Oder doch. Eigentlich ist es mir glasklar. Ich habe mein Leben einfach nicht mehr ausgehalten. Die sogenannte Familie. Die Weihnachtsfeier unseres kleinen Familienunternehmens. Dass ich nicht lache. Leider bin ich offensichtlich nicht Idiot genug mein Leben einfach zu genießen, denn mir ist mit jeder Faser meines durchgefrorenen Körpers bewusst, wie widerlich diese Abende in jedem gottverdammten Jahr bei uns verlaufen. Wenn mein Dad sich mit seinen Arbeitskollegen besäuft, bis keiner mehr geradeaus laufen kann. Wie an jedem anderen Tag im Jahr. Nur dass sie am sechsundzwanzigsten Dezember dem Kind einen Namen geben können. Weihnachtsfeier.

Trotz meiner steifen Knochen durchfährt mich ein Schauder bei der Erinnerung an Susi, die Tussi vom Empfang, wie sie Luke und seinen Freunden, meinen tollen Arbeitskollegen, ihre künstliche Oberweite ins Gesicht drückt und sie ihre ölverschmierten Finger nicht von ihr lassen können.

Selbst einem unterbelichteten Schwachkopf wie mir ist bewusst, dass Weihnachten anders aussehen sollte. Mit einer echten Familie. Einem Tannenbaum und Rinderbraten. Zumindest hätte ich es mir so immer gewünscht. Doch ich musste vor langer Zeit lernen, man bekommt nicht immer, was man sich wünscht. Bis heute. Denn ich bin keine zehn mehr. Kein kleiner Junge, der von einem anderen Leben träumt. Ich bin erwachsen. Nehme mein Schicksal in die Hand und tue endlich, was mich glücklich macht.

Es war zwar keine geplante Sache, Manchester und meinem Dad ausgerechnet heute den Rücken zuzudrehen. Der Gedanke daran hat sich allerdings schon länger in meinem Kopf eingenistet. Gestern ist mir dann einfach die Sicherung durchgebrannt. Ich habe noch während der Party mein Hab und Gut in die alten Militärtaschen meines Dads gepackt und bin, ohne zu zögern, auf meine Maschine gestiegen.

Schon armselig. All meine Besitztümer passen in die Seitentaschen eines Motorrads. Armselig ist überhaupt das Stichwort meines Lebens. Ich habe heute Morgen tatsächlich versucht mich von meinem Dad zu verabschieden. Ausgestreckt auf dem abgewetzten Sofa hinter der Werkstatttheke lag er und murmelte irgendwas vor sich hin. Das Hemd siffig von Schnaps und höchstwahrscheinlich seinem Erbrochenem war er zu besoffen, um irgendwas mitzukriegen. Ein Vater, wie man sich ihn wünscht. Ohne eine wirkliche Verabschiedung habe ich ihn und mein Zuhause verlassen. Ein Bestellschein auf dem Werkstatttresen ist alles, was ihm von mir bleibt. Mit den kümmerlichen Worten »Machs gut, Dad«. Ich sag ja … armselig.

Ich werde aus England weggehen. Meinem grandiosen Plan zufolge sogar den gottverdammten Kontinent hinter mir lassen. Und das mit nichts außer ein paar Taschen voller ausgetragener Klamotten, meiner Gitarre auf dem Rücken, einem einzigen Bild meiner Mum und meiner Yamaha. Die MT-10 ist so was wie mein Kapital. Sie bedeutet mir alles. Doch sie bei Regentropfen, die sich selbst durch meine Lederkombi mittlerweile wie Nadelstiche anfühlen, über den Motorway zu jagen ist und bleibt eine ganz dumme Idee. Doch der Drang, endlich frei zu sein, nur noch das zu machen, was ich liebe, ist größer. Und so ignoriere ich den Vernunftteil in mir und fahre weiter. Mit jeder Minute meinem Traum ein Stückchen näher. Musik. Das ist es, wofür ich brenne. Das ist es, was ich machen will. Und daher halte ich weiter meinen Lenker fest umklammert und bin froh um jede Meile, die ich hinter mich und mein altes Leben bringe.

Nachdem ich die Chiltern Hills durchquert habe und langsam wieder die ersten Häuser am Straßenrand auftauchen, bin ich gleichermaßen erleichtert und enttäuscht. Den größten Teil der Strecke habe ich zwar überstanden, dennoch haben die schlechte Sicht, die rutschigen Straßen und nicht zuletzt der Gitarrenkoffer auf meinem Rücken mich nur schwer vorankommen lassen. Ich werde die Nachmittagsfähre, die ich noch gestern Nacht online gebucht habe, ganz sicher verpassen. Das Schiff, das mich von Dover aus in ein neues Leben bringen sollte, wird ohne mich fahren.

Ich hätte mir gewünscht noch heute das Meer zu überqueren. Allein schon aus Angst, der kleine Teil in mir, der an seiner Heimat hängt, könnte es sich anders überlegen. Denn bis auf einen Trip letztes Jahr nach Rotterdam habe ich England nie verlassen.

Mein Dad und ich sind, solange ich denken kann, einmal im Jahr nach Bournemouth zum Great Dorset Steam Fair gefahren. Das Festival für Dampfmaschinen und alles, was mit Motoren zu tun hat, ist die einzige Urlaubserfahrung, die ich je mit meiner Familie gemacht habe. Als Kind habe ich es geliebt. Das waren meine besten Tage im Jahr. Später habe ich die Gelegenheit genutzt, um mich zu betrinken und Mädels kennenzulernen. Doch in den letzten Jahren hat es mich einfach nur noch angekotzt. Jahr für Jahr die gleichen Idioten, die sich einfach nur betrinken und dabei alte Militärfahrzeuge bewundern, als wären das damals tatsächlich bessere Zeiten gewesen. Nur um meinen alten Herren nicht zu enttäuschen, bin ich mitgefahren. Und … wegen der mehrstündigen Motorradfahrt. Letztes Jahr zum ersten Mal mit der Yamaha. Ein reicher Spinner hat sie vor vier Jahren bei uns in der Gegend gegen einen Baum gefahren und wollte sie verschrotten. Doch ich habe all mein Geld und jede freie Minute investiert, um sie wieder auf die Straße zu bringen.

Wenn ich mit der Yamaha über die Landstraßen fahre, fühle ich mich lebendig. Frei. Nur dass sich heute das Gefühl der Freiheit einfach nicht einstellen will. Nicht zuletzt weil die Tropfen, die auf meinem Helm ein kleines Trommelspiel abhalten, immer lauter werden und sich nach und nach in Hagelkörnchen verwandeln. Großartig. Unter diesen Umständen werde ich es gar nicht erst bis nach Dover schaffen und einen Zwischenstopp einlegen müssen, ehe ich anstatt in der weiten Welt unter der Erde lande.

Adam. Wie aus dem Nichts taucht mein Kumpel in meinen Gedanken auf. Ich habe ihn und seine Freundin Grace letztes Frühjahr in Rotterdam kennengelernt. Vor zwei Tagen erst haben wir telefoniert und er hat wie bei jedem unserer Gespräche betont, wie dringend wir uns mal besuchen müssten. Tja, Adam, dein Glück, dass Davis Miller ein Idiot ist. Mein Glück, dass London auf dem Weg zur Fähre und nur noch eine knappe Stunde Fahrt vor mir liegt.

Wahrscheinlich zeugt es nicht gerade von immenser Intelligenz, am ersten Tag nach den Feiertagen unangekündigt auf der Matte zu stehen, nur sind meine Möglichkeiten in diesem Augenblick äußerst eingeschränkt. Selbst wenn ich irgendwo ein Zimmer finden würde, zwischen den Feiertagen wäre dieses wahrscheinlich unbezahlbar. Immerhin ist London nur ein erster Zwischenstopp und mein Erspartes mehr als überschaubar. Wo genau mein Ziel ist? Ich habe keinen gottverdammten Schimmer. Ich schnaube schmunzelnd in meinen Helm, dessen Visier bei meinem warmen Atem direkt beschlägt. New York vielleicht. Oder zu mir selbst, denke ich und bin froh, dass keiner meine Gedanken hören kann. Denn das ist einfach lächerlich. Aber jetzt ist es zu spät umzukehren. Ich will einen Neuanfang. Nein, ich brauche einen Neuanfang. Nicht tagein, tagaus in der Werkstatt meines Dads an alten Autos schrauben und abends mit ihm auf unserer abgewetzten Couch sitzen und nur aus den Nachrichten etwas über den Rest der Welt erfahren. Ich will selbst sehen, was das Leben zu bieten hat. Und vor allem will ich Gitarre spielen. So lange spielte die Musik nur eine Statistenrolle in meinem Leben. Das soll sich ändern.

Als Luke, der Dads Buchhaltung erledigt, mich letztes Jahr gefragt hat, ob ich mit ihm auf einen Trip nach Rotterdam komme, hätte ich nie gedacht, zwei Wochen in einem stinkenden Hostel könnten mein Leben so verändern. Doch das haben sie. Denn dort habe ich Blut geleckt. Ich habe mit fremden Menschen gesprochen, verrückte Bars und Clubs besucht und vor allem habe ich Musik gemacht. Und es hat sich richtig angefühlt.

Meine Mum hat damals darauf bestanden, dass ich ein Instrument lerne. Also habe ich, damals nur widerwillig, angefangen Gitarre zu spielen. Sie starb, als ich acht war, und ich konnte einfach nicht mehr damit aufhören. In Moss Side, Manchester gab es für mich in der Regel nur eine Möglichkeit, Gitarre zu spielen. Allein in meinem Zimmer. Das Erlebnis, auf einer echten Bühne zu stehen, durfte ich in Rotterdam das erste Mal erleben, als ein paar Jungs unbedingt mit mir jammen wollten. Wir haben ein paar Songs gecovert und es ist das unglaublichste Gefühl gewesen, das ich je erlebt habe. Rotterdam war … Es war wie ein Anfang für mich. Denn seitdem will ich mehr. Viel mehr.

Okay, jeder normale Mensch hätte mit seinen tollen Selbstfindungsexperimenten bis zum Frühling gewartet. Ich habe mich allerdings noch nie zu den normalen Menschen gezählt. Wenn es so was überhaupt gibt. Fakt ist und bleibt jedoch, ich bin ein Idiot. Denn das Wasser, das von den Reifen zur Seite gespritzt wird, nimmt stetig zu und die Autos, die mich überholen, machen es mir immer schwerer, die Fahrbahnbegrenzung zu erkennen. Ich muss dringend von dem Motorway runter … und Adam anrufen. Unangekündigt hin oder her. Bevor ich nicht mit ihm gesprochen habe, besteht immerhin die reelle Chance, dass er sich freut und mich mit offenen Armen empfängt. Es ist ja schließlich nur für eine Nacht.

***

Es dauert eine Ewigkeit, von der Straße runterzukommen und in einem Industriegebiet die Möglichkeit zu finden, mich unterzustellen, um Adam anzurufen. Allerdings dauert die Zeitspanne, bis er schließlich abnimmt, noch länger.

»Davis«, keucht er zur Begrüßung ins Telefon. Gleich beim ersten Wort spüre ich es. Da stimmt was nicht. Adam klingt sonst immer fröhlich. Schon ätzend euphorisch. Wenn ich ehrlich bin, beneide ich ihn dafür.

»Fröhliche Weihnachten gehabt zu haben.« Gott, es gibt auch nichts Dämlicheres zu sagen in diesem Moment.

»Hm«, brummt er und sein Unmut ist nicht mehr zu überhören. »Eher weniger. Wir sind krank. Gracy hat uns alle vergiftet.«

Fuck. Ich bin vielleicht der egoistischste Kerl auf der Welt, denn gerade ist es mir vollkommen egal, ob sie krank sind oder nicht. Ich brauche einen verfluchten Schlafplatz.

Die Kälte spüre ich mittlerweile bis in den letzten Winkel meines Körpers und selbst die dichtesten Stiefel könnten in meinem Stadium nicht mehr trocken bleiben. Die Feuchtigkeit krabbelt zwischen meine Zehen und lässt selbst mich bibbern. Meine Nase ist mittlerweile tiefgefroren, da ich den Helm an meinen Lenker gehängt habe.

»Das musst du mir erklären.« Denn ich will wirklich dringend hören, dass ich trotzdem bei ihnen pennen kann.

»Sie wollte zu unserem ersten gemeinsamen Weihnachten als Paar etwas Besonderes kochen und na ja … jetzt ist die ganze Familie krank. Wir kotzen uns abwechselnd die Seele aus dem Leib.«

»Scheiße«, knurre ich.

»Das kannst du laut sagen. Wir haben uns über die Feiertage bei ihren Eltern einquartiert. Scott und meine Eltern liegen auch flach. Fakt ist, dieses Weihnachten werden wir so schnell nicht vergessen.«

Ich kann meine Finger kaum bewegen, als ich mir durchs Haar fahre, so kalt sind sie, nachdem ich die Handschuhe abgestreift und auf den Tank gelegt habe. So ein verdammter Mist.

»Na ja … dann will ich auch nicht länger stören.«

»Geht schon. Solange wir telefonieren, muss ich wenigstens nicht an Lachs denken.« Ich kann seinen Magen bis hierher hüpfen hören. Mann, in seiner Haut möchte ich gerade auch nicht stecken. »Was kann ich für dich tun?«

Ihm muss klar sein, dass ich etwas will. Immerhin haben wir vor zwei Tagen zuletzt miteinander gesprochen und abgemacht im neuen Jahr wieder zu telefonieren.

»Um ehrlich zu sein«, ich halte das Telefon ein Stück weg, damit er meinen tiefen Seufzer nicht in seiner ganzen Tragweite zu hören bekommt, »ich bin auf dem Weg nach Dover.«

»Was?« Es raschelt im Hintergrund und ich bin mir sicher, Adam schält sich gerade aus dem Bett, während ich mich an die Wand des alten Fabrikgebäudes lehne. Selbst eng an die Wand gepresst erwischt mich der Regen im Gesicht. »Was willst du in Dover?«

»Die Fähre nach Dünkirchen nehmen. Nur bin ich leider zu spät. Ich werds nicht schaffen. Tja …«, druckse ich rum, »… und da das Wetter nicht wirklich mitspielt …«

»Du bist mit dem Bike unterwegs?«, schnauzt er ins Telefon.

»Äh … ja«, gestehe ich und komme mir reiflich dumm vor, während ich von einem Bein auf das andere wippe, damit mein beinahe steif gefrorener Körper wieder munter wird. »Ich wollte fragen, ob ich ne Nacht bei euch pennen kann …« Im Hintergrund kann ich Gracy stöhnen hören. Kein angenehmes Stöhnen. Sie klingt, als wäre sie kurz vorm Abkratzten.

»Da wird nichts draus, Alter«, bringt Adam für mich den Satz zu Ende.

»Kein Problem. Ich nehm mir einfach ein Hotelzimmer oder …«

»Unsinn«, werde ich unterbrochen. »Meine Mum hat aus Studienzeiten noch ein Zimmer in der Stadt. Sie hängt so sehr daran, dass sie es nie abgegeben hat. Ist ne ziemlich abgefahrene WG, aber du kannst dort so lange bleiben, wie du magst. Ich schick dir die Adresse.«

»Sicher?« Noch halte ich den kleinen Hoffnungsschimmer auf eine heiße Dusche und trockene Klamotten in Schach.

»Hundertpro. Und morgen sieht es bei uns gewiss schon …« Er hält einen Moment inne. »Scheiße. Ich schick dir die …« Mit dem letzten Wort verwandelt sich seine Stimme in ein Würgen und das Grummeln in seiner Kehle sorgt selbst bei mir für Übelkeit.

»Danke«, hauche ich und bin nicht sicher, ob ich das Zimmer meine oder die Tatsache, dass er aufgelegt hat, ehe ich live beim Höhepunkt seiner Magenverstimmung dabei sein durfte.

Wenigstens habe ich ein Zimmer. Ich öffne meine Lederjacke, stecke meine Hand in die Innentasche, doch bevor ich zu der Zigarettenschachtel greifen kann, überlege ich es mir anders. Neues Leben, neue Gewohnheiten. Ich sollte dringend damit aufhören.

Während ich unruhig von einem Fuß auf den anderen trete und hoffe, Adam schickt mir bald besagte Adresse, stellt sich langsam aber sicher ein bisschen Euphorie ein. Ich habe ein Ziel. Vorerst. Schritt für Schritt. Heute Nacht bleibe ich in London und dann sehen wir weiter. Und so seltsam kann eine WG mitten in der Stadt doch gar nicht sein, oder?

Kapitel 2

Ich kann nicht genau sagen, was ich erwartet habe. Doch da Adam und Grace beide aus super Verhältnissen kommen, habe ich eher mit einer schicken Gegend gerechnet, nicht mit zugenagelten Geschäften und dunklen Gassen. Als ich die Yamaha vor dem roten Ziegelgebäude abstelle und meinen Blick durch die Gegend schweifen lasse, muss ich gegen mein ungutes Gefühl ankämpfen. Immerhin komme ich aus Moss Side. Das will schon was heißen. Zu Hause kenne ich so ziemlich jeden Straßengangster beim Vornamen und musste mich nie vor irgendjemandem fürchten. Dafür hat mein Dad immer ein zu hohes Ansehen unter den Straßengangs genossen, die sich im Laufe der Jahre angesiedelt haben. Aber, hey, das hier ist London. Noch mal eine ganz andere Hausnummer als ein schäbiges Viertel in Manchester.

Das Vibrieren in meinen Knochen erlischt langsam und ich zücke noch einmal mein Handy, um die Adresse zu überprüfen. Adam hat geschrieben, ich solle einfach klingeln, es sei die Wohnung in der ersten Etage und die Jungs wüssten Bescheid. Was auch immer das heißen mag.

Wenigstens hat der Regen nachgelassen und ich kann die Militärbags von meinem Dad beinahe trocken aus den Seitentaschen bergen. Die Gitarre auf meinem Rücken wird mit jeder Minute schwerer, dennoch bereue ich keine Sekunde sie mitgenommen zu haben. Schließlich ist die Musik einer der Gründe, warum ich Manchester verlassen habe. Ich kann es kaum erwarten, endlich mit anderen Menschen Musik zu machen und mich voll und ganz darauf zu konzentrieren. Doch zuvor muss ich mich dringend aufwärmen und eine neue Fähre buchen. Als ich das Treppenhaus, das frei zugänglich ist, betrete, sind meine Arme und Beine steif und die Wärme brennt auf meinen kalten Fingern. Da ich die Hände mit meinen Taschen und Handschuhen voll habe, muss der Helm vorerst auf meinem Kopf bleiben.

Nachdem ich die paar Stufen zur Wohnung überwunden habe, entdecke ich ein Klingelschild mit dem Namen Bikini Bottom. Irgendwie hoffe ich falsch zu sein.

Gerade als ich die Klingel drücken will, fällt mir die nur leicht angelehnte Tür ins Auge. Ich hätte mir einfach ein gottverdammtes Hotelzimmer nehmen sollen. Irgendwo in London hätte sich schon ein freies Fleckchen gefunden, an dem ich bis morgen hätte bleiben können.

»Hallo?«, rufe ich in die Wohnung und schiebe die Tür mit dem Fuß ein Stück weiter auf. Ein seltsames Gefühl beschleicht mich. Adam hat mir mehrere Nachrichten zu meiner heutigen Unterkunft geschrieben. Eine Zeit lang hat er hier gepennt, wenn er in der Uni gewesen ist. Doch seit Längerem nutzt seine Familie die WG nicht mehr. In den anderen beiden Räumen wohnt ein Pärchen und ein Kerl Namens Oscar. Das Zimmer liegt am Ende des Wohnzimmers. Das ist alles, was ich an Informationen habe. Ich weiß weder, was das für Leute sind, auf die ich hier treffen werde, geschweige denn ob ich überhaupt in der richtigen Wohnung bin.

Nach einem Moment des Zögerns trete ich einen weiteren Schritt über die Schwelle und sehe mich um. Die Wohnung ist unglaublich. Meterhohe Decken. Stahlträger, Ziegelwände und jede Menge crazy Zeug, das sich um die offene Küche schlängelt, die mehr aussieht wie eine Bar als eine Küche. Ich habe nie zuvor etwas Vergleichbares gesehen. Nur Menschen scheint es nicht zu geben. Ganz gleich wer hier wohnt. Eine Wohnung wie diese sollte ganz sicher nicht offen stehen.

»Hallo?«, wage ich einen weiteren Versuch, doch niemand reagiert. Außer meinen Stiefeln, die neben nassen Abdrücken auf dem Boden auch noch quietschende Geräusche verursachen, ist nichts zu hören. Eine schwarze Wendeltreppe führt auf eine offene Galerie und am Ende des Wohnzimmers, in dem man quasi steht, sobald man die Türschwelle übertreten hat, befindet sich eine weitere Türe. Ich habe jetzt genau zwei Möglichkeiten. Einfach wieder gehen und mir ein Zimmer suchen. Oder ich sehe nach, ob das schwarze Türblatt mich zu meiner ersehnten Ruhe bringt.

Da ich immer ein Kerl der Taten war, überlege ich nicht lange und überwinde die letzten Meter. Ich drücke die Klinke, öffne die Tür und pralle am offenen Rahmen ab, als wäre ich gegen eine Scheibe gelaufen. Fuck. Ich kann mich nicht bewegen. Was zur …?

»Marissa«, stoße ich aus und muss mich gegen den Rahmen lehnen, um nicht den Halt zu verlieren. Egal was ich dachte hier zu finden, mit ihr hätte ich nie im Leben gerechnet. Überhaupt hätte ich gedacht, wir sehen uns nie wieder.

Als hätte sie einen Geist gesehen, springt sie von dem riesigen Kissen auf, das auf dem Boden liegt, und schreit so laut sie kann.

Sie. Das Mädchen, das seit Monaten in meinem Kopf herumspukt und sich dort festgebissen hat wie ein Parasit.

Ihre langen braunen Haare noch genauso seidig, wie ich sie in Erinnerung habe, und die engen Leggings schmiegen sich wie eine zweite Haut an ihre schlanken Beine. Scheiße. Was macht sie hier?

Sie fasst sich mit beiden Händen an die Brust und taumelt langsam rückwärts, bis sie mit dem Rücken gegen das bodentiefe Fenster prallt, das Richtung Straße zeigt. Ihre Hand tastet nach einem Kerzenständer, der auf einem kleinen Holztisch steht, und krallt sich um den schwarzen Gussfuß.

Ich zucke kurz selbst zusammen, bis es mir wie Schuppen von den Augen fällt. Ich lasse meine Taschen samt Handschuhen sinken, öffne die Schnalle unter meinem Kinn und ziehe meinen Helm vom Kopf.

»Davis?«, kreischt sie in der gleichen schrillen Oktave wie zuvor und ich muss lachen. Beinahe in Zeitlupe stellt sie den Kerzenständer zurück an seinen Ort. Sie hat anscheinend genauso wenig mit mir gerechnet wie ich mit ihr. Der Schock ist ihr ins Gesicht geschrieben. Doch das ändert nichts daran, wie hübsch sie ist.

Marissa ist einfach … Keine Ahnung, es gibt kein Wort, das ihr gerecht werden würde. Wir haben uns letztes Jahr in Rotterdam ein Zimmer geteilt. Soweit ich weiß, kommt sie aus Edinburgh. Ich weiß, Grace und sie sind in Kontakt geblieben. Nicht aber dass sie sich in London aufhält. Wäre ich sonst hier? Scheiße noch mal, so was von auf jeden Fall.

Ich schüttele meine Haare, die in den letzten Monaten viel zu lang geworden sind. In der Regel binde ich sie zusammen, nur unter dem Helm geht das schlecht.

»Ähm … der bin ich wohl«, schmunzele ich und sehe an mir herunter, als müsste ich mich selbst erst davon überzeugen.

»Scheiße«, stößt sie aus und ich muss lachen. »Du hast mich zu Tode erschreckt. Was machst du hier?«

»Wenn du keinen Bock auf Überraschungsgäste hast, solltest du die Eingangstür verschließen. Jeder hätte reinkommen können.«

»Die hat offen gestanden?« Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Marissas Stimme dermaßen piepsig gewesen ist. Ich vermute, das liegt nur an der Situation. Sie schiebt sich an mir vorbei und ich sehe ihr hinterher, wie sie zur Eingangstür hastet, die ich selbstverständlich hinter mir geschlossen habe.

»O mein Gott.« Sie fährt sich durch die langen braunen Haare. »Du hättest auch ein psychopathischer Serienkiller sein können.«

»Jap«, sage ich und lehne mich ein wenig belustigt gegen den Rahmen zu meinem Zimmer. Ihrem Zimmer? Keine Ahnung. Wow. Marissa ist hier. Das nenn ich mal eine gelungene Überraschung, Adam.

»Ich hätte ausgeraubt werden können. Oder vergewaltigt. Oder beides.« Sie tigert zurück ins Zimmer und läuft in dem stylishen Raum im Kreis. »Und das nur, weil Grace nicht kochen kann. Alles läuft einfach schief und dann kommst ausgerechnet du? Das kann doch nur ein schlechter Scherz sein!« Sie bleibt abrupt stehen und stemmt die Hände in die schmalen Hüften. Mann, ich hatte vergessen, wie hübsch sie in der Realität ist. Diese Frau hätte jeden Mann in Großbritannien an den Eiern. Zu dumm, dass sie auf Frauen steht. »Was zur Hölle tust du hier?«

»Das Gleiche könnte ich dich fragen.«

»Ich wollte Grace besuchen, aber irgendwie haben sie sich einen üblen Magen-Darm-Virus eingefangen. Als ich aus dem Flieger gestiegen bin, habe ich eine einzelne Nachricht auf dem Handy gehabt. Sie sei krank. Ich solle hierherkommen und warten. Irgendwer hat mir einen Schlüssel unter die Fußmatte gelegt und seitdem sitze ich hier und mache mir fast in die Hosen vor Angst, weil ich keine Ahnung habe, wessen verfluchte Wohnung das ist oder wie es jetzt weitergeht.«

»Das ist ungefähr auch meine Version. Nur dass ich Adam und nicht Grace besuchen wollte.« Adams Freundin ist nicht gerade gut auf mich zu sprechen. In Rotterdam stand ich als Lukes Begleitung definitiv auf der falschen Seite. Er hat sich benommen wie der letzte Arsch. »Äh … und mir nicht in die Hosen mache.« Auch wenn es mich zugegebenermaßen ganz schön aus der Bahn wirft, sie zu sehen.

»Also schläfst du auch hier?« Etwas in ihrem Gesichtsausdruck gefällt mir nicht. Oder … vielleicht gefällt es mir auch einfach ein bisschen zu gut. Schon in Rotterdam konnte sie die Nervosität, die ich in ihr auslöse, nicht gut verstecken. Zwischen mir und Marissa war es … Ach … das ist eine lange Geschichte. Fakt ist, sie war damals mit ihrer Freundin in den Niederlanden und ich war mir sicher allein des Geschlechtes wegen nicht in ihr Beuteschema zu fallen. Doch dann kam alles … irgendwie anders.

»So war der Plan. Adam meinte, seine Mum habe hier ein Zimmer, in dem ich eine Nacht bleiben kann.«

»Ähm …« Ihr Blick schweift einmal durch den Raum, der mit den gelben Wänden und den dunklen Möbeln richtig edel wirkt. »Das hat Grace auch gesagt.« Sie sieht zu einer Empore, auf der ein breites Bett steht. Darauf liegt ihre Reisetasche.

»Das hier ist es also?«, frage ich wie ein Depp und schaue über meine Schulter zurück ins Wohnzimmer.

»Warum zur Hölle hat Grace mir nicht erzählt, dass du kommst?«

»Na ja«, druckse ich rum und sehe wieder in ihr wunderschönes Gesicht, »… bis vor einer Stunde habe ich selbst nichts davon gewusst, aber das Wetter hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Morgen bin ich wieder weg.«

»Du bist mit dem Motorrad unterwegs?« Langsam gewöhne ich mich an ihr Gekreische.

»Du bist echt ein Schnellmerker.« Mit größter Mühe unterdrücke ich mein Lachen und hebe meinen Helm an, der kontinuierlich Regentropfen auf den Boden verteilt.

»Bist du wahnsinnig? Es friert draußen!«

»Es sind zwei Grad, Einstein. Ich bin kein Physiker, nach meinem Wissensstand friert es allerdings erst ab dem Nullpunkt.« Ich lege meinen Helm auf eine der Kommoden, die an den Wänden des Zimmers aufgereiht sind. Sie erinnern an Möbel einer Ritterburg. Es ist eine Wohltat, endlich den Gitarrenkoffer von meinem Rücken zu schnallen und meine enge Lederjacke zu öffnen.

»Haha. Sehr witzig.« Mit ihrem knackigen Hinterteil klettert sie die schmale Holzleiter hinauf, die auf die Empore führt, und wühlt in ihrer Reisetasche. Dabei murmelt sie unaufhörlich vor sich hin, aber ich verstehe kein Wort. Wahrscheinlich weil ich viel zu abgelenkt davon bin, mit Marissa im selben Raum zu sein. Okay und weil ich ihr kontinuierlich wie ein notgeiler Mistkerl auf den Hintern starre.

»Also …«, will ich gerade ansetzen, als ein rosafarbenes Handtuch in meinem Gesicht landet. Ich bin zu langsam und es fällt auf den Boden.

»Du machst alles nass«, schnaubt sie und klettert die Empore wieder hinunter.

Zunächst schäle ich mich aus meiner Lederjacke und den Stiefeln und wische den edlen Holzboden mit Marissas Handtuch notdürftig trocken. Meine Gitarre passt perfekt in die Ecke neben der Tür. Trotz des Koffers wird der Temperaturunterschied ihr nicht gutgetan haben. Ich spüre meine Zehen immer noch nicht vor lauter Kälte.

»Danke.« Ich halte ihr das nasse Handtuch entgegen, das jetzt nicht mehr ganz so hellrosa ist. Sie nimmt es und legt es über die schmale Heizung.

»Ich versteh das nicht.« Marissa trägt meine Stiefel und meine Jacke zurück zum Wohnungseingang und deponiert sie wie selbstverständlich an der Garderobe.

Sie ist erst seit einigen Stunden in dieser Wohnung und dennoch scheint es, als gehörte sie schon immer hierher. Auch damals in Rotterdam schien es, als wäre sie Teil des Hostels. Sie hat sich so frei bewegt, kannte jeden, der dort angestellt war, beim Vornamen und wirkte so … angekommen. Ich beneide sie dafür. Bei mir ist es das absolute Gegenteil. Ich scheine nirgends wirklich hinzugehören.

»Ich meine … denkst du, sie haben das extra gemacht?«, ruft sie aus dem Wohnraum und im nächsten Moment steht sie auch schon wieder vor mir, während ich in meiner Tasche nach einem Haarband suche, um meinen Wust an Haaren endlich zusammenzubinden. Als ich mich erhebe, halte ich inne. Marissa steht so dicht vor mir, ich kann ihr Parfüm riechen. Sie sollte nicht diese Wirkung auf mich haben. Wir hatten eine Abmachung. Doch nach wie vor ist da diese Chemie zwischen uns. Wie vergangenes Frühjahr in Rotterdam. Ich sehe, wie sie schluckt, und folge mit dem Blick ihrer Zunge, die über die Unterlippe fährt.

»Ich kann auf dem Sofa pennen.« Keine Ahnung, warum ich das sage. Wahrscheinlich weil meinem Körper vollkommen klar ist, dass ich nie und nimmer neben dieser Frau liegen könnte, ohne sie berühren zu wollen.

»Es gibt keins«, haucht sie genauso in die Stille wie ich. Noch einen Augenblick starren wir uns an, ehe ich nicht anders kann und erneut lachen muss.

»In welcher Wohnung gibt es bitte keine Couch?«

Marissas Mundwinkel ziehen sich nach oben und ihr wunderschönes Gesicht strahlt heller als die Sonne, während sie lacht. Die kleine Stubsnase, auf der der Sommer kleine Sommersprossen verteilt hat, und die braunen, warmen Augen machen sie zu etwas ganz Besonderem.

»Ich habe keine Ahnung, wer hier wohnt, aber es gibt kein Sofa. Auch keinen Tisch oder Stühle. Sieh doch.« Sie deutet hinter sich in den offenen Wohnbereich und erst jetzt merke ich, dass sie recht hat. Außer ein paar platt gesessenen Sitzkissen und Teppichen um einen niedrigen Couchtisch gibt es keine Sitzmöglichkeiten.

»Vielleicht Chinesen?«

»Sehen die abends kein Fern?«

»Weiß nicht«, lache ich. Der eigenartige Moment zwischen uns ist vorbei. »Bei Last Samurai sitzen sie jedenfalls auch nur auf dem Boden.«

»Last Samurai spielt in Japan, Davis.«

»Auch gut«, schmunzele ich. Mir war das klar, aber ich habe ihre rechthaberischen Erklärungen sieben Monate lang vermisst. Marissa ist ein wandelndes Geschichtslexikon. Das unter Beweis zu stellen liebt sie.

»Ich kapier das immer noch nicht.« Sie schiebt sich an mir vorbei und ich sehe ihr nach, wie sie auf das riesige senfgelbe Sitzkissen krabbelt, auf dem sie saß, als ich reinkam. Die Beine ganz nah an sich gezogen legt sie den Kopf auf den Knien ab. »Hat Adam dir nicht gesagt, dass ich hier bin? Ich dachte, die beiden sind seit sieben Monaten zusammen? Unterhalten die sich nicht? Mann. Wir haben so viel vorgehabt. Es sind nur sechs Tage, bis ich wieder zurückfliege. Dieser Urlaub nervt mich von der ersten Minute an.«

Jetzt, da sie sich vom ersten Schock erholt hat und das Lachen verklungen ist, fällt mir auf, wie müde sie aussieht. Es liegen Schatten unter ihren Augen und sie ist blasser als gewöhnlich.

»Du bist also hier, um Urlaub zu machen?« Da keine weitere Sitzgelegenheit vorhanden ist, lehne ich mich mit dem Rücken an die Kommode und genieße die Wärme des flauschigen grünen Teppichs, der davorliegt.

»Na ja … so was in der Art.« Durch ihre dichten Wimpern sieht sie zu mir hoch. Ich verschränke die Arme vor der Brust und lege den Kopf schief. Ich war immer gut im Zuhören. Einer der Vorteile, wenn man selbst nicht viel zu sagen hat. »Das letzte halbe Jahr ist nicht gerade meine Lieblingszeit gewesen und Grace hat gemeint, es könne schön sein, ein paar Tage in London zu verbringen, um abzuschalten.« Ihr Blick wandert zwischen mir und dem Boden hin und her. Nervös fummelt sie am Saum des Kissens herum. »Sie steckt bis zum Hals in ihrer Ausbildung und wollte auch ein paar Tage in der Stadt genießen.«

»Und …« Der selbstlose Teil in mir wagt es nicht weiterzubohren. Der Egoist, der leider viel zu oft gewinnt, muss es jedoch wissen. »Deine Freundin?«

Marissas Blick schnellt zurück zu mir und sie beißt sich auf die Lippen. Ich nenne Rachel absichtlich nicht beim Namen. Ich habe sie schon nicht gemocht, als ich die beiden in Rotterdam kennengelernt habe. Marissa wirkt bei allem, was sie tut oder wie sie ist, so weich und liebevoll. Rachel hingegen hatte etwas von einer Katze. Ich hasse Katzen. Sie kuscheln sich an dein Bein, nur um im nächsten Moment tiefe Rillen in die Haut zu kratzen.

»Wir haben uns getrennt«, flüstert sie und fixiert dabei genau meine Reaktion. Ich unterdrücke das Lächeln nicht, welches ihre Worte automatisch auf mein Gesicht legen.

»Das tut mir leid«, lüge ich.

»Ehrlich?«, fragt sie und richtet sich etwas auf.

»Nein«, gebe ich zu und streiche mir über das Kinn. Ich hätte mich rasieren sollen, bevor ich Hals über Kopf mein Zuhause verlassen habe. Nicht mal Rasierzeug habe ich dabei.

»Du bist ein Arschloch«, faucht sie. Doch ich kann sehen, wie ihre Mundwinkel zucken.

»Das mag sein, zumindest bin ich ein ehrliches. Also … du hast dich getrennt.«

»Ich habe nicht gesagt, dass ich sie verlassen habe.« Mein dämliches Grinsen verrutscht für den Moment. Ein triumphierendes Lächeln legt sich auf ihre Lippen. Dieses Biest.

»Hast du nicht?«, frage ich, weil ich es einfach hören muss. Spielchen hin oder her. Wenn sie von dieser Rachel verlassen wurde und einer Tussi wie ihr hinterhertrauert, ändert das die Situation maßgeblich.

»Doch«, gibt sie endlich zu. »Habe ich.«

»Und deshalb hast du Urlaub gebraucht …«, rate ich, denn so ganz kapiere ich es immer noch nicht.

»Nicht unbedingt deswegen. Es ist einfach eine schwere Zeit gewesen. Ich musste mir eine Wohnung suchen. Meine Eltern sind megaangepisst gewesen, weil ich mal wieder aus dem Rahmen falle, und das Studium zerrt an meinen Nerven und dauert einfach viel zu lang. Es ist einfach alles … ein bisschen viel.«

»Okay.« Ich möchte ihre Probleme wirklich verstehen, kann jedoch nichts gegen den Neid tun, der in mir aufflackert. Eltern, die sich um einen sorgen. Ein Studium, das einem die Welt zu Füßen legt, und eine eigene Wohnung, um deren Finanzierung man sich keinerlei Gedanken machen muss. Ob sie wirklich wegen alldem eine Auszeit braucht?

Marissa strafft die Schultern und räuspert sich. »Was ich an der ganzen Geschichte immer noch nicht kapiere, ist, was du hier machst.«

Sie sieht zu meinen Sachen und wieder zurück zu mir. Unsere Augen haben schon in Rotterdam ihre eigene Sprache gesprochen. In der letzten Nacht, bevor wir uns für immer verabschiedet haben, lagen wir stundenlang da. Jeder in seinem beknackten Etagenbett, zwischen uns ein dreckiges Hostelzimmer, vollgestopft mit Rucksäcken, schmutziger Wäsche und Schuhen. Und wir haben uns angesehen. Einfach nur die Tore geöffnet für die Blicke des anderen. Uns stumm Lebwohl gesagt.

»Mit einer Gitarre auf dem Motorrad bei fast frierenden Temperaturen.« Bei den letzten Worten hebt sie die Hände, als wollte sie sich ergeben, und ich muss schmunzeln.

»Tja.« Ich reibe mir den Nacken. Bin ich ehrlich genug, um ihr die Wahrheit zu sagen? Oder vielmehr, bin ich dafür mutig genug? »Ich musste raus«, gehe ich mit einem kleinen Umweg Richtung Wahrheit. »Zugegeben, das Wetter hätte besser sein können, aber es ist, wie es ist.«

»Und du bleibst nur bis morgen?« Ihr Blick versucht mir etwas zu sagen. Ich kenne sie anscheinend doch nicht gut genug, um ihn richtig zu deuten.

»So lautete zumindest noch heute Morgen der Plan.« In der Sekunde, in der sie vor mir stand, haben sich all meine Pläne in Luft aufgelöst.

»Und wo willst du hin?«

Ich hole tief Luft. Bin ich wirklich bereit mich ein zweites Mal für immer von ihr zu verabschieden?

Das Knallen der Eingangstür lässt uns beide zusammenzucken und bringt mich um meine Antwort.

»Also, wer von euch beiden ist unser neuer Mitbewohner?«, ertönt eine tiefe Stimme hinter mir und Marissa und ich ziehen synchron die Köpfe ein. Ich fahre herum. Während unserer Diskussion hatte ich die Tatsache völlig ausgeblendet, in einer fremden Wohnung zu stehen.

»Sie«, sage ich, während Marissa »Er« ruft und wir beide mit dem Finger auf den jeweils anderen zeigen.

»Na, das kann ja lustig werden«, flötet der Kerl, der so schwer ist, dass er durch den Türrahmen nicht komplett sichtbar ist. »Adam hat mir geschrieben, dass wir einen Gast bekommen. Nicht zwei. Na ja«, seufzt er, »also … mitkommen, ich verpasse euch einfach beiden die Hausregeln.«

Wie die Schulkinder trotten wir hinter dem Mann mit Glatze und einem Vollbart, auf den selbst der Nikolaus eifersüchtig wäre, her. Und ich bin nicht sicher, ob das hier gerade alles wirklich passiert. Vielleicht habe ich einfach auf der Weihnachtsfeier zu viel getrunken und wache jeden Moment aus diesem eigenartigen Traum auf.

Kapitel 3

»So richtig verstehen will ich es immer noch nicht.« Mark, der offensichtlich Teil des Pärchens ist, von dem Adam gesprochen hat, steht an der schwarzen Hochglanztheke und nippt an seinem Espresso. Einen Punkt hat die WG von mir in Gedanken schon mal für ihren Kaffeevollautomaten bekommen. Langsam, aber sicher wärmt sich mein Körper wieder auf, an denen die zwei Kaffee, die ich hatte, sicher nicht ganz unschuldig sind.

»Es ist offensichtlich ein Missverständnis gewesen«, versuche ich ungefähr zum hundertsten Mal zu erklären. Anders macht es für mich einfach keinen Sinn. Adam klang nicht, als ob er sich einen Scherz erlauben würde. Ich nehme an, sie waren beide einfach zu beschäftigt mit sich selbst in diesem Augenblick. »Grace hat Marissa hierherbestellt und Adam mich. Und weil sie krank sind, werden sie nicht miteinander gesprochen haben.«

»Na ja, das Zimmer gehört Adams Mum, also hast du wohl das Vorrecht.«

Mir ist nicht entgangen, dass dieser Mark jedes Mal Herzchen in den Augen hat, wenn ich über Adam rede.

»Ähm«, höre ich Marissa neben mir leise Widerstand leisten. Dass wir auf Teppichen auf dem Fußboden sitzen, gibt übrigens drei Minuspunkte. Wer hat bitte keine Couch?

»Nein. Marissa ist vor mir hier gewesen.« Herrgott. Ich weiß, wie bescheuert das alles klingen muss. »Sie kann bleiben. Ich werd mir einfach was anderes suchen.«

»Mit dem Motorrad? Während es bereits dämmert? Du bleibst«, beharrt Marissa.

Seit die drei Männer uns ins Kreuzverhör genommen haben, sehe ich sie zum ersten Mal an und meine Kehle wird staubtrocken, weil sie einfach so verdammt schön ist.

»Du wirst es nicht glauben. Die Yamaha hat sogar Licht«, kann ich mir nicht verkneifen einzuwerfen. Denn wenn sie wie jetzt wütend wird, kräuseln sich ihre Lippen so süß.

Ich seufze innerlich. Sie könnte mir auch einfach anbieten das Zimmer zu teilen. Das allerdings muss von ihr kommen. Ich werde sie nicht dazu drängen. Nicht nach der Sache in Rotterdam. Wenn ich eine Abmachung eingehe, halte ich mich auch daran. Immer.

»Ich fasse noch mal zusammen«, unterbricht Andrew meine Gedanken. Er ist der Nikolauskerl, der uns als Erster entdeckt hat, und anscheinend Marks Lebensgefährte. So wie ich das sehe, hat er hier das Sagen. »Adam schickt seinen singenden Rockerfreund mit einem Motorrad und seine Freundin lotst wiederum ihre Freundin vom Flughafen hierher, damit sie in Ruhe das Weihnachtsessen kopfüber ins Klo befördern können. Zu allem Überfluss kennt ihr beiden euch und jetzt wollt ihr nicht zusammen in einem Zimmer übernachten, weil ihr schon mal was miteinander hattet, nur dass du«, er zeigt auf Marissa, »gerade ganz sicher kein Techtelmechtel im Kopf hast und du«, diesmal taucht sein wurstiger Finger direkt vor meinem Gesicht auf, »vor irgendwas davonläufst.«

Nicht nur mir und Marissa steht der Mund offen. Auch sein Freund Mark und der Dritte im Bunde, Oscar, staunen nicht schlecht.

»So wie sie aussehen, hast du mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen«, lacht Mark und schwingt sich auf einen der Barhocker. Er ist gerade mal die Hälfte von seinem Freund.

»Scheiße«, das ist das erste Mal, dass Oscar wirklich spricht, »wie machst du das nur immer?«

»Es ist so simpel«, lacht Andrew und schlägt seine Beine übereinander. Er lehnt an einem der bodentiefen Fenster, der Hintern bedeckt das kleine Stück Teppich komplett, auf dem er sitzt.

Marissa und ich blicken immer noch mit offenem Mund zwischen den Männern hin und her.

»Sieh ihn dir doch an. Die Lederhose mit passender Jacke«, er deutet mit dem Kinn auf die Garderobe, »seine Hände sind noch immer rot vor der Kälte. Das tut sich kein Mensch freiwillig an, um einen Urlaub zu machen. Noch dazu mit der Gitarre, die heute Morgen noch nicht in der Ecke gestanden hat. Er läuft offensichtlich vor der Realität davon, ansonsten säße er irgendwo und würde sich von den Feiertagen erholen. Bei dem Look muss er sicher nicht einsam sein. Und sie«, lacht er und schaut zu Marissa, die ihre Arme um die Knie geschlungen hat, »ist so ein hübsches Ding. Doch anstatt an einem Abend zwischen den Feiertagen mit schicken High Heels und Lippenstift durch die Stadt zu ziehen, hockt sie hier und sieht aus, als hätte sie gerade die letzten Folgen ihrer Lieblingsserie gesehen. Ihr Herz ist gebrochen. Das steht überdeutlich auf ihrer Stirn.«

»Ich …«, geht Marissa dazwischen.

Alle Männer unterbrechen sie mit einem »Schhhh«, inklusive mir. Unglaublich, was Andrew für eine Menschenkenntnis besitzt. Außerdem will ich mehr über seine Theorie zu Marissas Herz hören.

»Und zwischen den beiden?«, fragt Mark und ich schaue zwischen ihm und seinem Freund hin und her, als ginge es hier gar nicht um mich.

»Ha«, lacht Andrew. »Jetzt im Ernst? Sieh dir das doch an.« Er deutet auf uns und mein Blick zuckt unwillkürlich zurück zu Marissa. Er bleibt an ihren Lippen hängen, während der verrückte Kerl weiterspricht. »Der Abstand, den sie zwischen sich lassen, ist schon peinlich groß.«

»Vielleicht mögen sie sich nicht.«

»Könnte sein, doch dann würden sie sich nicht ansehen, als wollten sie jeden Moment übereinander herfallen. Außerdem, ist dir noch nicht aufgefallen, dass keiner bislang in Erwägung gezogen hat, das Zimmer für sich zu beanspruchen? Sie wollen sich nicht verletzen. Dabei bin ich mir sicher – dafür ist es längst zu spät.«

»Und woran willst du das bitte erkennen?«, zischt Marissa, die mich ansieht und mit ihrem Blick um Hilfe schreit. Ihr Gesicht hat sich in den letzten Minuten dunkelrot verfärbt.

»Das war geraten«, lacht Andrew und schiebt sich einen kompletten Scone in den Mund, den er bislang auf einem kleinen Silbertellerchen balanciert hat. »So wie du reagierst, stimmt allerdings auch das«, bringt er kauend hervor.

»Ich …«, stottert Marissa. »Also er …«

»Schon gut, Mäuschen«, flötet Oscar und erhebt sich von seinem Sitzkissen. »Wir haben alle unsere Geheimnisse. Solange ihr damit den Haussegen nicht kippt, könnt ihr treiben, was ihr wollt.« Er nimmt die ersten Stufen der Wendeltreppe. »Und mit wem ihr wollt und so oft ihr es wollt«, lacht er und verschwindet hinter einer der Türen, die sich auf der Galerie befinden.

Mark stellt seine Espressotasse in die Porzellanspüle und schlendert zu uns an den japanischen Tisch.

»Wenn Grace und Adam euch eingeladen haben, seid ihr beide willkommen. Wie ihr das mit dem Zimmer regelt, müsst ihr selbst wissen.«

Mark ist mir bislang der Sympathischste von den dreien. Er trägt ein kariertes Hemd, hat eine ordentliche Kurzhaarfrisur und ist definitiv ein Kerl, dem ich eine Versicherung abkaufen würde. Bis jetzt haben die WG-Bewohner noch kein Sterbenswörtchen über sich verraten, aber ich bin sicher, er verkauft irgendwas.

»Es gibt ein paar einfache Regeln.« Andrew wischt sich den Puderzucker vom Mund. »Keine Drogen. Keine Nutten. Wer etwas benutzt, macht es anschließend sauber. Das gilt für Geschirr genauso wie für die Toilette. Klar?«

»Ähm …«, bin jetzt ich derjenige, der stottert. »Klar«, antworte ich für uns beide. Denn Marissas Kiefer scheinen aufeinanderzukleben.

»Es gibt zu dem Zimmer kein Kühlschrankfach oder so. Schließlich ist eh nie jemand da. Wenn ihr Platz braucht, müsst ihr es sagen.«

»Frühstücksbuffet um zehn, Nachtruhe um elf«, lacht Mark, der sich über seinen Freund lustig macht. »Nun komm, du alter Kontrollfreak.« Er kommt rüber und tätschelt Andrew die polierte Glatze. »Lass unsere Turteltäubchen in Ruhe. Oma Margret wartet.«

»Wer ist Oma Margret?«, frage ich wie der Idiot, für den ich mich halte.

»Die alte Dame in der Wohnung über uns. Wir feiern heute ein kleines Weihnachtsfest mit ihr.«

Mein Kopf nickt wie von allein.

Als ich heute Morgen die Yamaha auf den Motorway gelenkt habe, habe ich nicht gewusst, was mich erwarten würde. Doch ganz gleich, was ich mir ausgemalt hätte, so was kann sich kein Mensch ausdenken. Dieser Tag übertrifft jeden Kinofilm.

»Und jetzt?« Marissas Stimme klingt dünn.