Tod auf dem Westweg - Mordkomplott aus Habgier - Walter W. Braun - E-Book

Tod auf dem Westweg - Mordkomplott aus Habgier E-Book

Walter W. Braun

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Beschreibung

Wenn es ums Geld und Vermögen geht, hört die Freundschaft auf, sagt man landläufig. Wie viele Familien und Freundschaften sind daran schon zerbrochen? Manchmal tun sich Abgründe auf. Warum, weshalb? Gier und Neid sind ein Grundübel des an sich schon zur Sünde geneigten Menschen, und wenn Egoismus und Narzissmus sich dazu gesellen, brechen Kriege aus. Der Westweg spielt in dieser fiktiven Geschichte eine entscheidende Rolle. Wer verbindet diesen sehr bekannten Fernwanderweg in der fantastischen Landschaft des Schwarzwaldes und der Entspannung versprechenden Natur mit einem bösen Verbrechen? Kann Hans Berger, Kriminalhauptkommissar aus Offenburg, den Fall lösen und den Täter finden, dem ein vermögender Unternehmer aus Baden-Baden zum Opfer fiel?

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Seitenzahl: 263

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

1 Guter Rat ist teuer

2 Konditionswanderungen

3 Konspiratives Treffen in Bühl

4 Einkehrschwung

5 Familiäre Gespräche

6 Urlaub in Dubai

7 Dann waren es nur noch fünf

8 Wissen ist Macht

9 Es geht los

10 Ein finsterer Plan

11 Die Weichen werden gestellt

12 Es geht los

13 Ein finsterer Geselle treibt sich herum

14 Der schwierigste Teil

15 Eine böse Überraschung

16 Vollzugsmeldung

17 Die Maschinerie läuft an

18 Allgemeines Entsetzen

19 Zoff unter den Geschwistern

20 Dunkle Wolken ziehen auf

21 Der Erbschein fehlt

22 Urlaub an der Ostsee

23 Die dunkle Seite

24 Die Zeit geht dahin

25 Die Schlinge zieht sich zu

Epilog

Prolog

Wenn es ums Geld und Vermögen geht, hört die Freundschaft auf, sagt man landläufig. Wie viele Familien und Freundschaften sind daran schon zerbrochen? Manchmal tun sich Abgründe auf. Warum, weshalb? Gier und Neid sind ein Grundübel des an sich schon zur Sünde geneigten Menschen, und wenn Egoismus und Narzissmus sich dazu gesellen, brechen Kriege aus.

„Mord aus niedrigen Beweggründen" ist ein Begriff aus dem deutschen Strafrecht und bezieht sich auf Tötungen, die aus besonders verachtenswerten Motiven begangen wurden und innerhalb der Familien begangen, gehört das sicher dazu. Die Motive dazu stehen nach allgemeiner sittlicher Wertung auf der tiefsten Stufe und machen die Tat zu einem Mord statt zu einem Totschlag. Niedrige Beweggründe sind eines von mehreren Mordmerkmalen, die in § 211 StGB (Mord) aufgeführt sind. Wenn eines dieser Merkmale vorliegt, wird die Tat als Mord und nicht als Totschlag (die einfachere Form der Tötung) gewertet.

Entscheidend ist, dass das Motiv des Täters nach allgemeiner sittlicher Wertung auf einer sehr niedrigen Stufe steht. Es muss also ein besonders verachtenswertes Motiv vorliegen, das die Tat als besonders verwerflich erscheinen lässt.

Typische Beispiele für niedrige Beweggründe sind Mordlust, Habgier, Rache, Hass, oder Eifersucht, wenn sie besonders ausgeprägt sind und die Tat als besonders verabscheuungswürdig erscheinen lassen. Das Vorliegen niedriger Beweggründe führt in der Regel zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

1Guter Rat ist teuer

Guten Tag Herr Dr. Rosenfelder, sie werden von Dr. Ringwald schon erwartet. Darf ich vorgehen? Die adrette Vorzimmerdame Frau Bader im Bühler Rechtsanwaltsbüro war wie immer zuvorkommend und freundlich, das Ambiente des Vorzimmers edel und hell, mit einem wertvollen Gemälde an der Wand, das den Butt von Günter Grass grafisch darstellte, aus seinem gleichnamigen Roman. Ein frischer Blumenstrauß schmückte den Tresen. Scharmant bat sie den Mandanten ins Büro des weithin bekannten und sehr erfolgreichen Rechtsanwalts.

Dr.-Ing. Karl-Heinz Rosenfelder, von seinen Freunden Charly gerufen, folgte ohne Zögern der Dame und trat an einem tristen Herbsttag in das helle, großzügige und nobel mit USM-Haller- Möbeln ausgestattete Büro in der alteingesessenen Bühler Anwaltskanzlei im Froschbächle. Die 30.000 Einwohner zählende Kreisstadt Bühl in der Nachbarschaft zu Baden-Baden, ist weithin als die Stadt der blauen Frucht, der Bühler Zwetschge, bekannt.

Die Kanzlei Dr. Ringwald und Partner ist unter anderem auf das Familien- und Erbrecht spezialisiert und genießt einen überregional exzellenten Ruf, zudem ist Dr. Ringwald auch Dozent an der KIT in Karlsruhe.

„Willkommen in unserer Kanzlei, Dr. Rosenfelder, so unbekannt sind wir uns ja nicht. Wir durften in der Vergangenheit schon einige Fälle für sie erfolgreich abwickeln, unter anderem die ja nicht so einfache Sache ihrer Scheidung, stimmts? Ich hoffe wir können das auch diesmal wieder für sie tun. Welches Anliegen haben sie, was können wir nun für sie übernehmen?“, begrüßte Dr. Ringwald den geschätzten Mandanten mit Handschlag.

„Bitte nehmen sie doch Platz, darf ich ihnen ein Getränk bringen lassen?“

„Danke, machen sie sich keine großen Umstände. Wie ich am Telefon schon sagte, will ich demnächst mein Erbe regeln und dazu brauche ich ihre gute fachliche Unterstützung, damit ich die Weichen richtigstellen kann. Ich bin nun in einem Alter, in dem ich mich um den Nachlass kümmern sollte. Wie sagt der Lateiner: ‚Memento mori‘, bedenke, dass du sterben musst, oder: ‚Mors certa, hora incerta‘ - der Tod ist gewiss, die Stunde ist ungewiss. Es muss zwar noch nicht so schnell sein und ich habe auch noch viel vor. Doch ich habe gerne die Dinge im Griff und will nichts dem Zufall überlassen.“

„Wie ich höre, sind sie des Lateins noch sehr sicher, sie haben es noch gut drauf, aller bonär, das wiederum ist gut badisch und dem Französischen entlehnt, also Hochachtung. Da bin ich aber auch ihrer Meinung, sie sollten es noch zwei Jahrzehnte plus x hier auf dieser buckeligen Erde aushalten. Aber okay, dann schießen sie mal los, wo liegt das Problem oder an was haben sie sich vorgestellt?“

„Wie sie ja wissen, bin ich seit vielen Jahren geschieden. Damals haben sie mich gut vertreten und meine ehemalige Frau wurde großzügig abgefunden; sie konnte nicht klagen – ich meine nicht juristisch, sondern im Sinne von jammern oder mir etwas Übles nachsagen. Danach habe ich von ihr auch keine negativen Äußerungen gehört. Sie wohnt längst in der Schweiz und ist dort, wie ich mit zugetragen wurde, wieder glücklich verheiratet. Ein direkter Kontakt zu ihr besteht nicht mehr. Mein Unternehmen habe ich vor drei Jahren zu einem hohen Wert an ein auf IT spezialisiertes Consulting-Unternehmen verkaufen können. Den Erlös habe ich, nach Begleichung der Steuern, sehr gut und überwiegend in Wertpapieren investiert, die sich inzwischen erfreulich entwickelt haben, sprich: verdreifacht. Einen Teil davon habe ich auch in Gold angelegt, das im Depot bei der Sparkasse sicher verwahrt wird.

Sicher ist sicher. Neben dem, was ich mir bis heute auch sonst schon angelegt habe und aus den bald fälligen Lebensversichrungen, kommt die von meinen Großeltern geerbte Villa, in der ich heute wohne, zudem zwei schöne Wohn- und Geschäftshäuser in bester Citylage in Baden-Baden, die man hochpreisig anzusiedeln kann. Sie bringen mir monatlich ansehnliche und sicherere Mieterträge, sowohl von den edlen Geschäften als auch mehreren exklusiven Wohnungen in diesen Gebäuden.“

„Ja, soweit bin ich auf dem Laufenden“, gab Dr. Ringwald zu verstehen und witterte insgeheim ein sattes Honorar.

„Und nun wollen sie das alles den Nachkommen sichern?“

„Eben nicht, das will ich ganz und gar nicht, darum geht es mir und dafür habe ich meine guten Gründe. Zu beiden Söhnen und der Tochter habe ich seit der Scheidung kaum noch Kontakt und unsere Beziehung steht nicht zum Besten. Sie meiden mich, sie standen von Anfang an immer auf der Seite meiner geschiedenen Frau, ihrer Mutter. Es kränkte mich und belastet mich auch, da ich ein umgänglicher Mensch bin, dass sie mir die alleinige Schuld am Scheitern der Ehe und der Trennung geben und mich seither ständig mit Vorwürfen überhäuft haben. Bis in die jüngste Zeit sind unsere Begegnungen, wenn es sie gab – und das war selten genug – im Konflikt verlaufen. Dabei habe ich immer nur das Beste für meine Familie gewollt. Zugegeben, beruflich bedingt und im immensen zeitlichen Einsatz in meinem Unternehmen, hatte ich eigentlich nie Zeit für meine Kinder, außer in den wenigen Wochen, wenn wir gemeinsam im Urlaub waren. Die Erziehung und Betreuung überließ ich voll und ganz allein meiner Frau. Sie war immer für sie da, ihr oblag die Kindererziehung und sie war für das Haus und den Haushalt zuständig. Heute werfen sie mir vor, keinen Vater gehabt zu haben. Doch den Luxus, den ich meiner Frau und den Kindern hatte bieten können, den haben sie alle gerne als selbstverständlich hingenommen. Ich habe ihnen so vieles ermöglicht, von denen andere Kinder nur hätten träumen können und auch im Studium habe ich sie weitgehend unterstützt.“

„Da stehen sie sicher nicht allein, so ist es schon vielen erfolgreichen Unternehmern und Geschäftsleuten schon gegangen. Aus meinen eigenen beruflichen Alltag weiß ich, wovon ich spreche“, erwähnte Dr. Ringwald und signalisierte volles Verständnis.

„Nach dem Studium und der Promotion habe ich in den Anfangsjahren meiner beruflichen Kariere und anfangs unserer Ehe hart arbeiten und kämpfen müssen. Die IT-Branche war Anfang der 90er Jahre im letzten Jahrhundert noch nicht das, was wir heute darunter verstehen und sehen. Da ruderten noch viele im Nebel, während die Entwicklung in Quantensprüngen verlief. Erst im Vorfeld zum Milleniumwechsels ging es für mich so richtig los oder sozusagen durch die Decke. Die Unternehmen befürchteten damit mit dem Übergang des Jahrtausends einen Supergau, es drohten die elektronischen Systeme abzustürzen und so weiter. Die Medien überschlugen sich und schürten diffuse Ängste, was alles passieren könnte. Solche Szenarien wie totaler Stromausfall wurden als Menetekel an die Wand gemalt und so weiter. Sie kennen ja die sicher diese Geschichte. Um es in wenig Worten zu sagen, die Programmierer hatten ursprünglich in den Betriebssystemen die Jahreszahlen nur zweistellig vorgesehen, mit dem Jahrtausendwechsel erforderte die Programme aber vier Stellen. Da konnten wir uns vor Aufträgen nicht mehr retten, um die Industrie auf alle Eventualitäten und Möglichkeiten vorzubereiten. Dabei fiel das eh schon in eine Zeit der unglaublich rasanten Entwicklung in der Chip- und Computertechnik, die etwa ab 1995, wie ein Tsunami hereinbrach. In diesen Jahren war ich mehr als zweihundert Tage in der Welt unterwegs und wenn ich einmal zu Hause sein konnte, war ich überwiegend im Büro und da habe ich dann auch oft sogar geschlafen. Da kam, das gebe ich zu, das Familienleben absolut zu kurz. Nachdem der Scheidung wollten meine Söhne und die Tochter nichts mehr von mir wissen und schränkten die familiären Kontakte immer mehr ein. Deshalb habe ich das Unternehmen später auch verkauft. Von denen hatte keines Interesse es zu übernehmen und weiterzuführen.

Dabei haben sie alle einen guten Beruf wählen können. Schon bei der Hochzeit des mittleren Sohnes Leon war ich außen vor und die beiden Enkelkinder kenne ich nur von den Bildern oder aus der Ferne, dabei habe ich nach der Geburt jedem ein Sparkonto auf ihren Namen bei der Sparkasse angelegt und jeweils 20.000 Euro einbezahlt. Das wars dann. Der Sohn Leon versteht es bisher zu verhindern, dass ich die Enkel sehen und sie mich besuchen dürfen. Gerne hätte ich einmal mit ihnen direkt etwas unternommen, das geht aber nicht, jetzt wo ich genug Zeit hätte. Das will man auch nicht. Ich habe immer wieder einmal Anläufe genommen und alles versucht, bisher vergeblich. Das ärgert mich sehr und ich bin der Meinung, bei allem, was falsch gelaufen ist, dass ich das nicht verdient habe. Es ist nun aber einmal so und ich kann es nicht ändern und muss mich damit abfinden. Was ist aber tun kann, das ist mein Vermögen dorthin zu geben, wo ich meine, es ist sinnvoller angelegt und denen ich es zukommen lassen will, können es gebrauchen. Das sind Kinder, denen das Schicksal nicht so gnädig war.“

„Das verstehe ich vollkommen und kann es nachempfinden, das sind keine guten familiären Verhältnisse, wie man sie sich wünscht. Was ist nun konkret als ihre Absicht in der Nachlassregelung?“

„Mir schwebt vor, dass mein Vermögen nach meinem Ableben in eine zu gründende Stiftung einfließen soll und deren Erlöse gemeinnützigen Zwecken zukommt. Ich denke da speziell an die SOS-Kinderdörfer, ich sagte schon, dort kommt es denen zugute, die nicht so auf der Sonnenseite des Lebens stehen.“

„Sicher, das ist ein alternativer Weg zum Vermächtnis, die Einsetzung einer Stiftung als Erbe. Dabei wird die Stiftung zu ihrem Rechtsnachfolger und tritt damit ihre Rechte und Pflichten an. Denken sie aber bitte daran, dass ihren Kindern zumindest der gesetzliche Pflichtteil zusteht und eine Stiftung kann Erbschaftssteuerpflichtig sein. Bei den Immobilien muss zudem der Verkehrswert mit Gutachten festgestellt werden. Alles in allem ist das eine zeitlich aufwendige Geschichte und auch nicht billig.“

„Darüber bin ich mir im Klaren und das Pflichtteil wird auch nicht wenig sein. Deshalb ist es mir auch wichtig, dass ich jetzt schon, rechtzeitig, die Weichen stelle, damit wir Zeit genug haben, die geeignetste und in meinem Sinne auch beste Form zu finden. Zudem soll der unvermeidbare Pflichtteil möglichst gering ausfallen und ich will mir auch sonst alle vermeidbaren Kosten ersparen. Besonders der steuerliche Aspekt ist mir wichtig. Ich will nicht, dass am Ende auch noch der Fiskus mein geerbtes und weiter aufgebautes Vermögen auffrisst“, so Rosenfelder mit süßsaurer Miene.

„Neben einer Vermögensauflistung sollten sie mir auch den Erbschein aus dem Nachlass der Großeltern zur Einsicht geben. Auch da muss ich prüfen, wie weit das Einfluss auf ihre Kinder und Enkelkinder hat“, fügte Dr. Ringwald unter anderem an.

„Kein Problem, ich werde den ihnen alles, was sie an Unterlagen brauchen, zugehen lassen.“

„Wenn ich die Papiere vorliegen habe, werde ich meine Spezialisten mit dem Fall betrauen und möglichst günstige Vorschläge erarbeiten“, versicherte Dr. Ringwald.

Das Gespräch ging noch eine Weile hin und her und der Anwalt notierte sich eine Menge Notizen mit einem Stift auf dem Touchscreen, seines beschreibbaren Display seines Notebooks.

„Wir werden ihnen ein gutes Konzept ausarbeiten und verschiedene Varianten und Möglichkeiten darstellen. Geben sie mir bitte dazu sechs Wochen Zeit, dann setzten wir uns wieder zusammen oder wir könnten uns wieder zu einem neuen, festgelegten Termin bei ihnen treffen“, schloss Dr. Ringwald diesen offiziellen Teil ab.

„Sobald der Rahmen feststeht, werde ich einen Notar hinzuziehen, der das alles in trockene Tücher bringt und sie danach beruhigt in die Zukunft schauen dürfen.“

„Ach ja, inzwischen hat mir meine Büroperle Frau Bader den Vertrag in zweifacher Ausfertigung ausgearbeitet. Wenn sie mir das Papier für das Mandat bitte noch unterschreiben würden. Sie wissen ja, vorher darf ich nichts tun.“

2Konditionswanderungen

Der Schweiß tropfte den jüngeren und älteren Wanderern der sich langsam bergauf quälenden Gruppe in dicken Perlen von der Stirn, oder rann vom Kopf ins Genick, die T-Shirts zeigten durchnässte Flecken, der Atem keuchte und hin und wieder blieb einer von ihnen einen kurzen Moment stehen, atmete tief durch, der Puls musste wieder etwas runterkommen. Sehr hilfreich auf dem steilen Weg, der mehr einer rutschigen Fährte glich, waren jetzt die Teleskop-Wanderstöcke, die hart zum Einsatz kamen und an denen sie sich mühsam empor kämpften.

„Gell, mit vier Füßen läuft es sich halt leichter als mit zwei“, scherzte Maria und sie hörte keinen Wiederspruch.

„Ich habe gelesen, dass man mit den Stöcken sein Gewicht um 20 Prozent erleichtert und gleichzeitig werden die Arme gut trainiert“, fügte dem Peter noch hinzu. Nur Nicola verzichtete bewusst auf so einen Schnickschnack. Sie war die Einzige, die grundsätzlich nie mit Stöcken ging. Warum, das konnten die anderen nicht verstehen, aber sie zählte gemeinhin auch so zu den Power-Frauen und als solche darf man sich keine Blöße geben oder Schwäche zeigen.

„Die Frauen sind heute eh die besseren Männer“, scherzte Max gerne in diesem Zusammenhang zu sagen.

„Unterm Tisch ist auch daheim“, lästerte Herbert, der garantiert bei seiner Berta daheim nicht kuschen musste.

„Jo, do hocksch awa arg uff em Schnebberle.“

Der schmale Pfad im hinteren Simonswäldertal, im Nebental zur Elz, verlief auf kurze Distanz ungewöhnlich steil aufwärts in nördlicher Richtung. Stellenweise war der trockene Untergrund aus verwittertem Granit so rutschig, sodass die Füße mit den Trekking-Schuhen kaum Halt fanden. Sie waren eine 25-köpfige Gruppe des DAV-Sektion Baden-Baden und gingen in diesem schwierigen Gelände im Gänsemarsch, also schön einer hinter dem anderen zielstrebig der bewaldeten Höhe zu. Anders ging es in diesem Bereich gar nicht und zum lockeren Plaudern, was sonst dazugehörte, reicht hier die Atemluft nicht mehr. In diesem abseits gelegenen Hang- und Waldgebiet hielten sie der Prechtaler Schanze zu. Dies ist ein entlegener Höhenzug zwischen dem Elztal, Prechtal und dem Kinzigtal und zählte zum Mittleren Schwarzwald.

Während man sonst zügig zu zweit oder dritt nebeneinander vorwärtsschritt, wurde eifrig über Gott und die Welt diskutiert, über die Politik gescholten oder kluge Ratschläge für ein gesundes Leben oder dem ehelichen Zusammensein erteilt. Jetzt aber hatte sich ein wohltuendes Schweigen breit gemacht. Der Atem ging schwer, da musste sich jeder auf den Weg konzentrieren und wollte keinen unnötigen Schritt im unebenen Gelände tun oder auf dem wurzelbewachsenen, steinig-sandigen Weg ausrutschen und sich auch noch eine schmerzhafte Blessur zuziehen. Sie kämpften mit jedem Schritt, um sicher vorwärtszukommen. Sie waren mehrere taffe Frauen, die Mehrheit aber konditionsstarke Männer, und die allermeisten von ihnen waren schon sehr viel und weit in der Welt herumgekommen, hatten viel gesehen und auch spannende Abenteuer erlebt.

Die einen waren schon in Nepal auf Trekkingtour, eine von ihnen ist monatelang durch Alaska getrampt. Bei ihnen war Thomas, der in Jahrzehnten in den Alpen zahlreiche 3000er und über vierzig 4000er bestiegen hat und die schwierigsten Klettersteige durchstiegen. Er verfügte über eine reiche Berg- und Felserfahrung aus 45 Jahren und konnte endlos über beeindruckende Naturerlebnissen, kritische Situationen, aber auch lustige Anekdoten und skurrile Ereignisse erzählen, die er gerne zwischendurch zum Besten gab. In früheren Jahren war er viel mit Konrad Greiner unterwegs, seines Zeichens Hochgebirgstourenführer in der DAV-Sektion Baden-Baden.

„Das war noch ein knorriger Bergführer der alten Schule, ein Urgestein, der sehr unkonventionell vorging, der sich noch bei fast immer mehr als 10 Teilnehmern mit einfacher Postkarte auf den Hütten angemeldet hat – und das ging nicht immer gut. Die Übernachtungsplätze waren dann nicht reserviert, die Anmeldung war angeblich nicht angekommen oder sie lag im Tal im Briefkasten, während der Hüttenwirt monatelang auf dem Berg wirtschaftete. In solchen Fällen mussten eben draußen vor der Hütte oder in der Hütte auf dem Boden oder im bescheidenen Winterquartier schlafen. Intuitiv hat er dafür immer die richtige Linie am Berg fand gefunden, führte sicher und mit Überblick, dazu zeigte er sich spartanisch bis aufs geht nicht mehr. Luxus war für ihn ein Fremdwort, ihm genügten ein Paar Socken und ein T-Shirt für 14 Tage. Auf der anderen Seite besaß er über eine unglaubliche Kondition und Ausdauer. Daraus resultierte, dass nicht selten Teilnehmern sich überfordert fühlten und nur einmal und danach nie mehr mit ihm gegangen sind.

Auf ihn und seine Initiative gingen aber auch die monatlichen Konditionstouren zurück. Sie dienten zur Vorbereitung auf seine immer anspruchsvollen Berge, und das Training hielt er für wichtig und notwendig, genauso wie diverse Übungen zum Saisonbeginn. Sämtliche Teilnehmer, die bei seinen Unternehmungen übers Jahr dabei sein wollten, trafen sich an einem Samstag in Baden-Baden oder Ottenhöfen. Dabei wurden die wichtigsten Knoten geübt, das Abseilen am Karlsruher Grat bei Ottenhöfen oder an den Battertfelsen in Baden-Baden praktiziert. Er frischte die Verhaltensmaßregeln auf und legte fest, was zwingend im Rucksack mitzunehmen ist, da gehörten der Hüttenschlafsack und Biwaksack zum Beispiel dazu, Brusischlinge, Steigeisen und Eisschraube, Helm und Klettergurt und mehr. Kaum eine Konditionstour, die man im Schwarzwald, in der Pfalz oder in den Vogesen gemacht hatte, waren kürzer als 40 Kilometer und 12 bis 14 Stunden Gehzeit normal. Von Modebergen hielt er nichts. Die hat Thomas aufs Matterhorn oder den Mont Blanc stattdessen mit Ralf Dujmovic bestiegen, der in der Anfangszeit seines Unternehmens Amical noch Bergführungen im Alpenraum angeboten hat und meistens auch noch selbst führte. Ralf Dujmovic ist der einzige Deutsche, der alle 8000er bestiegen hat.

Mit ihnen war auch noch die drahtige Maria unterwegs, sie war sogar schon auf dem den Kilimandscharo, dem höchsten Berg in Afrika gestanden ist.

„Ich bin auch schon auf einem höchsten Berg eines Landes gestanden, auf dem 3715 m hohen Teide, dem höchsten Berg Spaniens“, gab Charly schmunzelnd zum Besten.

„Hört, hört, der Charly als Extrembergsteiger“, spottete Maria. Sie sprach damit Dr. Karl-Heinz Rosenfelder an, ein ehemaliger Unternehmer und nun Privatier.

„Okay, vom Parkplatz in der Caldera de las Cañadas habe ich zur Bergstation kurz unter dem Gipfel die Seilbahn genommen. Oben im Gipfelbereich lag zu meinem Erstaunen noch Schnee und außerdem durfte man nur mit Tagesticket weiter zum Gipfelkreuz gehen. Das hatte ich zuvor im Internet beantragen müssen und so bekam ich vom höchsten Punkt, umgeben von dampfenden Schwefelfahnen, ein beeindruckendes Gipfelfoto. Nebenbei hatte ich eine gigantische Sicht über die einzelnen Inseln der Kanaren und die mit weißem Schaumband umsäumten Küstenlinien.“

Alle zusammen war ein bunter Haufen von Individualisten und Idealisten und die Einzelnen hielten mit ihren Erlebnissen und Geschichten in den vielen Stunden, in denen sie gemeinsam miteinander auf der Strecke waren, nicht zurück – wenn es nicht gerade an der Atemluft fehlte und die Füße im steinigen Gelände einen sicheren Halt finden mussten, so wie jetzt in diesem unglaublich steilen Abschnitt, der nicht enden wollte. Die Geselligkeit in netter Gesellschaft war trotzdem mit ein wesentliches Motiv, warum sie dabei sein wollten, und nebenbei wollte man etwas für die Gesundheit tun.

Einmal meldete sich auch Edgar in einer kurzen Verschnaufpause wieder einmal zu Wort:

„Wie kann man sich bloß freiwillig körperlich so schinden? Wenn ich mir überlege, dass ich jetzt gemütlich im Liegestuhl zu Hause auf der Terrasse im Schatten chillen könnte und ein kühles Tannenzäpfle (Biermarke der Rothaus-Brauerei) schlürfen dürfte, werde ich richtig sentimental.“

„Kumm geh furt“, kam es von hinten.

„Seit wann gehörst du denn zu den Weicheiern und Warmduschern?“ frotzelte Herbert.

„Das haben wir alles bestellt und bezahlt“, fügte Annette allen Ernstes hinzu, gleichwohl die Wandertouren des DAV kostenlos waren und die Wanderführer und Wanderführerinnen alles ehrenamtlich für nothing machten.

„Charly, wie war das, als du vor zwei Jahren den Jakobsweg von Bühl bis Santiago de Compostela gelaufen bist? Das war doch eine endlos weite Strecke und dazu auch eine unglaubliche Leistung. Waren da die Wege auch so steil wie hier?“, wollte Edgar wissen, als der schmale Pfad auf den nächsten hundertfünfzig Meter einmal etwas flacher verlief.

„O, hör’mr uff, da gab es auch manchmal endlose lange oder sogar öde langweilige Passagen. Wie ihr wisst, bin ich in Straßburg gestartet und von da durch die malerischen elsässischen Weinorte gelaufen, dann südlich von Tann überquerte ich die Vogesen, durchlief das Franche-Comté, Burgund und Rhône-Alpes bis ich nach Wochen schließlich in San Sebastian im Westen angekommen bin. Der Camino del Norte, auch bekannt als nördlicher Jakobsweg, verläuft von San Sebastián entlang der Küste des Baskenlandes und weiter durch Kalabrien, Asturien und Galicien bis nach Santiago de Compostela. Er beginnt in Irun, direkt an der französischen Grenze, und führt durch San Sebastián, bevor er weiter nach Bilbao und darüber hinaus verläuft. Die Wege waren oft sehr anspruchsvoll, mit steilen Anstiegen, über Pässe und durch Schluchten. Und dann das Wetter, zwischendurch war es saukalt und regnerisch, dann brannte wieder der Planet von oben. Schließlich kamen flache, endlos scheinende Wege durch im Wind wogende Getreidefelder, Obstplantagen oder Weinberge so weit das Auge reichte. Da gab es viele Tage mit Hitze, dann wieder Regen und Wind in einem fort“, schilderte er dieses Abenteuer, das er nach dem Verkauf seines Unternehmens angegangen ist.

Dies ihm dazu sich zu norden, wieder nach jahrelangem Stress Boden unter die Füße zu bekommen, und ebenfalls Abstand von der Familie, die ihm Kummer und Ärger bereitet.

„Von der Pilgerstadt Santiago de Compostela habe ich den Rest zum Kap Finistère auch noch gehen wollen, also bis zum Ende der alten Welt und das liegt noch etwa 60 km westlicher. Dabei bin ich gut heruntergekommen. Ich habe zu mir gefunden und kam mit mir ins Reine. Das hat gutgetan, es hat mich wieder ausgeglichen gemacht und ich kann es jedem, der das zeitlich und finanziell auf die Reihe bekommt, nur empfehlen.“

„Wie war das dann mit den Übernachtungen und der Verpflegung unterwegs? Hast du im Heu geschlafen und einen Esel dabeigehabt, der dein Rucksack tragen musste?“, wollte sie wissen.

„Viele Herbergen waren schon sehr gewöhnungsbedürftig. Geh du mal vier Monate von Station zu Station, dann jammerst du wegen so einem kleinen Buckel nicht mehr. Trotzdem muss ich sagen, es war fantastisch und hinterher zählen nur noch die schönen Erinnerungen. Ich bin froh, dass ich das in meinem Alter noch gemacht habe.“

„Jo guckemol do, jetzt redet dr Charly schu vum Alter, aber hallo, bei deiner Kondition, du bist doch noch fit wie ein Turnschuh“, wurde protestiert.

„Ich habe gehört, dass die Berge der Alpen immer noch wachsen“, kam Alfred mit einer schlauen Bemerkung um die Ecke.

„Genau“, echote Otto, „mir kommt es schon länger so vor, als wenn die Berge mit jedem Jahr höher sind und die Wege steiler, jeder Kilometer kommt mir länger vor.“ Lautes Gelächter quittierten seinen philosophischen Erguss.

„Und Charly, nochmal, hast du überall eine gute Unterkunft gefunden und was hast du an Gepäck selbst getragen?“, wollte Nicola gerne genauer wissen.

„Die meisten offiziell empfohlenen und günstigen Übernachtungsmöglichkeiten kann man nicht nehmen oder empfehlen, das sind dreckige Massenquartiere, unsauber, stinkend. Stattdessen habe ich, wo es möglich war, ein günstiges Hotel gesucht und gefunden oder auch ein sauberes Pensionsquartier im Ort, um so der Masse zu entkommen. Solche Ausweichmöglichkeiten gibt es fast überall. Nur den Stempel habe ich mir zuvor immer an den vorgegebenen Stellen holen müssen. Dort zu übernachten, war keine Pflicht. Für mich war viel wichtiger, dass ich abends duschen konnte und in einem richtigen Bett schlafen durfte, und dazu habe ich fast überall etwas Passendes gefunden. Hilfreich war die Literatur, die es reichlich gibt, sodass man sich gut vorbereiten kann. Überall besteht ein gutes Handynetz, tagsüber musste ich manchmal nur einen Anruf tätigen, damit ich abends einen guten Schlafplatz vorfand. Das ging fast immer gut und auch sogar auf den letzten 100 Kilometer, bei denen es sich etwas ballt. Wer am Ende das Dokument, die Urkunde als Pilger haben will, muss nachweisbar mindestens die letzten 100 Kilometer gelaufen sein und dafür die Stempel nachweisen. Da machen es sich die Überschlauen leicht, sie fahren mit dem Auto und laufen nur die restlichen hundert Kilometer zu Fuß. Dann können sie zu Hause prahlen, den Jakobsweg gelaufen zu sein. Den Jakobsweg in mehreren Varianten oder Verkäufen gibt es übrigens schon viel zu lange, da haben sich die geschäftstüchtigen Franzosen und die Spanier längst darauf eingestellt, und sie leben sehr gut davon. Den Rucksack hatte ich selbstverständlich immer dabei und selbst auch getragen, sonst wäre es ja nur eine halbe Pilgerei gewesen. Von Beginn an hatte ich 15 Kilo im Rucksack. Dafür habe ich zuvor jedes Teil aufs Gramm abgewogen und gezielt ausgewählt, was ich unbedingt mitnehmen muss und was nicht. Das Gewicht war anfangs schon grenzwertig, mehr sollte es nicht sein. Da ich aber seit Jahrzehnten auf langen Touren geübt bin, ging das, und mit der Zeit habe ich den ‚faulen Sack‘ kaum noch gespürt. Er war mir so gut wie angewachsen. Für den Tag habe ich mir im Hotel morgens ein Vesperpaket mitgeben lassen und gutes Wasser kann man unterwegs an vielen Brunnen schöpfen. Da hatte ich keinen Mangel und auch keine Bedenken. Abends fand ich dann zur Belohnung für den anstrengenden Tag immer ein gutes Viertel burgunderroten spanischen oder einen samtigen französischen Rotwein. Zeitweise gesellte sich auf den Teiletappen auch eine nette Begleiterin dazu und da war es für mich selbstverständlich, ungestört in einem guten Hotel zu übernachten. Böse Zungen behaupten, mache einsame Pilgerin sei nur auf dem Jakobsweg, um männliche Gesellschaft zu finden und in den Massenquartieren soll es da manchmal recht locker zugegangen sein. Für eine unverbindliche Begleitung hatte ich nie etwas, das war mir nicht unangenehm. Und wie gesagt, über den Weg gibt es genug Lektüre mit genauer Wegbeschreibung und außerdem sind die Wege gut markiert. Im Zeitalter von GPS gibt digitale Karten mit detaillierter Wegbeschreibung, auf den Meter genau. Die App hatte ich mir gekauft und aufs Handy geladen. Wer eisern nach der Muschel schaut und nach diesem Zeichen läuft, kann nicht such nicht verlaufen und wenn, das passiert schon mal, ist man bald wieder auf der richtigen Fährte. Eine Auswahl an Unterkünften wird vorgeschlagen und wenn man in Spanien nicht gerade in der Hochsaison läuft, bekommt man immer ein mehr oder weniger gutes Quartier. In diesem bekommt man einheimische Kost und das sogar vorzüglich, wenn man regional wählt. Da ich Französisch und Spanisch spreche, hatte ich nirgendwo Verständigungsschwierigkeiten, nicht einmal bei den französischen und spanischen Basken. Überwiegend kann man mit Englisch auch weiterkommen, allerdings nicht überall. Besonders im französischen Gebiet und je mehr man nach Südwesten kommt, sind die Einheimischen sehr eigen, die wollen nicht gerne Englisch sprechen und Deutsch erst recht nicht, selbst wenn es vielleicht der eine oder andere könnte.“ Charly, ein promovierter Physiker, war bis vor nicht langer Zeit ein erfolgreicher IT-Manager in seinem Unternehmen. Das hatte er vor Jahren verkauft und damit ein Vermögen erzielt. Danach und seither konnte er ohne Zwänge und Zeitdruck den „Unruhestand“ genießen und seiner Leidenschaft Wandern und Fotografieren frönen. Er war geschieden und somit ungebunden, er musste auf niemand mehr Rücksicht nehmen. Als Single war er in allem völlig unabhängig.

„Savoir-vivre, man muss auch verstehen zu leben“, das war sein Gredo.

Zweifellos war Charly noch ein attraktiver Mann, eine gute Party und dem weiblichen Geschlecht sehr zugeneigt. Am Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht, er wusste, welche Wirkung er auf das andere Geschlecht auszustrahlen vermochte und das nutze er weidlich aus. Bei aller Bescheidenheit, er fühlte sich noch mitten im Leben immer noch wie der Hecht im Karpfenteich.

„Ich liebe die sportlich-drahtigen Frauen mit gutem Figürchen über alles, sie sind für mich nicht nur eine Augenweide, sondern ein Jungbrunnen, eine Inspiration, auch ein Balsam für mein oft geschundenes Herz“, schwärmte er im Kreis seiner Freunde für das schönere Geschlecht. Diese andere Seite war, seine Zuneigung zum anderen Geschlecht war schließlich der Grund für die Zerrüttung der Ehe, nachdem seine Frau Irmgard die Seitensprünge nicht mehr ertragen wollte. Früher war er nicht nur zu oft unterwegs, er lag zu häufig auch in fremden Betten.

„Man kann und darf doch nicht immer nein sagen“, entschuldigte er sich.

„Der Mann ist nicht geboren, immer nur mit einer Frau zusammen zu sein. Es muss eine Menge Dinge geben, gegen die ein heißes Bad nicht hilft. Aber ich kenne nicht viele. Ich habe immer die Abwechslung gebraucht, das hielt mich vital und fit und dement bin ich noch lange nicht, dass ich vergesse, was es außer Essen und Trinken noch an Sinnesfreuden gibt. So ein weibliches Wesen, so ein langbeiniger Engel ist ein Gottesgeschenk und sowas muss man hegen und pflegen. Wenn du mit ihr zusammen bist, streichle die Innenseiten der Oberschenkel und tastet dich langsam heran, umschmeichle ausgiebig mit den Fingern innen und außen ihr feuchtes Paradiesgärtchen, bis sie es nicht mehr aushalten kann. Erst dann gib‘s ihr, sie soll ja etwas davon haben, dann will sie es öfters. Ich sage dir, Frauen sind etwas Wunderbares, ob sie groß oder klein, mollig oder schlank sind“, schwärmte er bei Gelegenheit im Kreis seiner engsten Freunde.

Wenn er so redete, kam er direkt ins Schwärmen und wollte gerne etwas von seiner reichen Erfahrung und erotischen Weisheiten an seine Freunde loswerden, sie ihnen sozusagen väterlich mit auf den Weg geben. Sein pfiffig verschmitzter Blick bei der Sache verriet den Kenner und Genießer.

„Das Leben ist zu kurz, um Trübsal zu blasen oder schlechten Wein zu trinken“, sagte einmal ein Philosoph.

Mit seiner Meinung stieß er nicht unbedingt auf das Einverständnis der weiblichen Begleitung, wenn die Diskussionen zu sehr in diese Richtung gingen. Da der Macho aber sonst umgänglich war, arrangierte man sich.

„Jedem Dierle sei Plessierle“, sagen die Badener, „oder einen Spleen habe sie doch alle.“

Seine Schwäche wurde ihm verziehen, weil er hilfsbereit war, geradlinig, bescheiden und umgänglich, manchmal sogar sehr großzügig. In vielen Fällen hat er still und wirkungsvoll im Hintergrund geholfen oder Dinge in die Wege geleitet, ohne das an die große Glocke zu hängen. Im vertrauten Kreis war er der Charly und nicht der Doktor, er machte weder über sein Vermögen noch zu seinem Wissen, seine Erfahrung und auch nicht zu den weitreichenden gesellschaftlichen Verbindungen ein Aufhebens. Somit war er gerne gelitten, wurde sehr oft um seine Meinung oder um seinen Rat gefragt und darauf wurde gehörte. Wenn aus gegebenem Anlasse eine Laudatio zu halten war, sprang er gerne ein und fand aus dem Stegreif die richtigen, wohl pointierten Worte. „Charly ist ein angenehmer Mensch und vorbildlicher Kamerad“, wurde gesagt, „einer, mit dem man Pferde stehlen kann.“

„Den Jakobsweg wäre ich auch gerne auch einmal gelaufen, zumindest die rund 600 Kilometer von Südfrankreich aus, dafür aber bin ich heute zu alt“, seufzte Frank.

„Das hätte ich vor zwanzig Jahren machen sollen, da war ich gut drauf und noch voll fit.“