Tod auf der Unterbühne - Breitebner Konstanze - E-Book

Tod auf der Unterbühne E-Book

Breitebner Konstanze

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Beschreibung

Aus für den Sommernachtstraum: Ein Mord erschüttert die Theaterwelt Die Generalprobe für das Sommertheater in einem kleinen Ort in Niederösterreich hatte gut begonnen. Doch kurz vor Ende des ersten Aktes die grausige Überraschung: Der Regisseur liegt tot auf der Unterbühne! Vorhang auf für Bezirksinspektorin Antonia Ranik. Die junge Kriminalpolizistin ermittelt im Ensemble nach möglichen Verdächtigen. Der Tote war alles andere als beliebt – aber wer hatte genug Wut im Bauch, um bis zum Äußersten zu gehen? Ein packender Regionalkrimi aus der Feder der bekannten Drehbuchautorin und Schauspielerin Konstanze Breitebner. - Verbrecherjagd vor Theaterkulisse: Wer hatte es auf das Mordopfer abgesehen? - Österreichischer Krimi mit viel Lokalkolorit und Einblicken in die Theaterwelt - Spannendes Krimi-Debüt von Konstanze Breitebner - Ein bunter Mix an Verdächtigen: Das Sommertheater-Ensemble unter der Lupe - Vom egomanischen Spielleiter zum Opfer in einem Mordfall: Wer hatte es auf Mateo Ander abgesehen? Auf Verbrecherjagd im Theaterzelt: Wer hat den Regisseur auf dem Gewissen? Von der Wirtshausschlägerei zum Mordfall im Sommertheater – ein aufregender Auftakt für Antonia Ranik in ihrem neuen Job als Kriminalpolizistin. Die Bezirksinspektorin stürzt sich in die Ermittlungen und stellt bald fest, dass der Mord viele Motive haben könnte. Wird es ihr gelingen, Licht hinter die Kulissen der Theaterwelt zu bringen? Konstanze Breitebner hat bereits für Theater, Film und Fernsehen geschrieben. Mit »Tod auf der Unterbühne« hat sie ein spannendes Krimi-Debüt abgeliefert. Perfekt als packende Urlaubslektüre, nicht nur für Theater-Fans!

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Seitenzahl: 357

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Tod auf der Unterbühne

KONSTANZE BREITEBNER

Tod auf der Unterbühne

Ein Sommertheater-Krimi

Diese Geschichte ist frei erfunden. Tatsächlich existierende Personen und Firmen wurden verändert und/oder von der Autorin ausgedacht, Geschehnisse anderen und/oder fiktiven Personen zugeordnet. Verbleibende Übereinstimmungen mit etwaigen realen Personen wären somit rein zufällig und sind nicht gewollt.

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autorin beziehungsweise des Herausgebers und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2024

Copyright © by Konstanze Breitebner

Copyright deutsche Erstausgabe © 2024 Servus Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – Wien, einer Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, FenwayParkJF, Brother1816, Creato Display

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagmotive: © FinePic®, München

Autorinnenillustration: Claudia Meitert/carolineseidler.com

Printed by CPI Books GmbH, Deutschland

ISBN: 978-3-7104-0374-3

eISBN: 978-3-7104-5087-7

Nach sintflutartigen Regengüssen und Hagelstürmen ist es innerhalb weniger Stunden heiß geworden. Der Wald rund um das Theater dampft. Die flirrende Luft tanzt über die Zuschauertribünen, die warmen Strahlen der untergehenden Sonne treffen auf die aufgestaute Hitze, die den Bühnenraum nicht verlassen kann. Sie ist bis zur Decke unter dem Glasspitz hochgestiegen und brütet jetzt von dort oben auf die Zuschauer herunter, die schwitzend ihre Plätze suchen. So viele wie heute waren noch nie bei einer Generalprobe.

Ein Blick hinter die Bühne: Kurz vor Vorstellungsbeginn sind Theaterleute in Hochspannung. Sie trällern die Stimmbänder wach, springen auf und ab, klopfen auf Beine und Arme zum Aufwärmen, ziehen Grimassen und sind bereits jetzt schweißgebadet.

Äni, die Regieassi, bleibt auf dem Weg in den Zuschauerraum kurz stehen und ruft:

»Drei Minuten! Ich wünsche euch eine super verpatzte Generale!«

Ja genau, lass uns die Generalprobe schlecht spielen, denkt Liane Blau, damit die Premiere gut wird. Was heißt gut? Fulminant soll sie werden!

Liane steht noch fast nackt in ihrer Garderobe. Sie hat bis zum letzten Moment gewartet und schlüpft erst jetzt in das leichte, seidig fließende Kleid. Zumindest beim ersten Auftritt soll es frisch und leicht flatternd ihren Körper umschmeicheln, sie königlich schweben lassen. Aber Liane spürt einen Schweißtropfen vom Haaransatz über den Nacken den Rücken hinunterlaufen und in ihrer Seidenspitzenunterwäsche verschwinden.

Das Kleid wird an mir kleben. Ich werde aussehen wie ein wanderndes Stanitzel und nicht wie eine Königin!

Liane geht hinaus zu den Kollegen. Da wartet bereits die junge Julie, die Anele spielt, und der fliegende Ignaz, wie Liane den jungen Hauptdarsteller in der Rolle des Leander nennt. Er tänzelt, springt und macht ein paar Klimmzüge an der Treppe zur Bühne, ehe er sie umarmt und ihr »toi, toi, toi« ins Ohr flüstert.

»Vor der Generale? Bist du verrückt? Junger Mann, das bringt Unglück!«

Vom Zuschauerraum klingt Tanzmusik herüber, man hört die Leute lachen und tratschen.

Es brodelt dort drin.

Liane atmet tief durch. Ich bin nervös, das gibt’s doch nicht. Nach den vielen Premieren, die ich gespielt hab. Ich bin hier die Doyenne, die Erfahrendste, nun ja, zum ersten Mal im Leben die älteste Schauspielerin der Truppe, und trotzdem zittern mir die Knie. Mimimimamamatruuuutraaatriiii, hilft überhaupt nicht.

»So, Herrschaften, jetzt gilt: Vergesst Mateo Ander, der Regisseur ist ab heute unwichtig. Die Show gehört euch, macht es schön …«

»… scheußlich!«, antworten alle im Chor.

Mateo ballt die Fäuste und schaut seinen »Gladiatoren« ein letztes Mal in die Augen: »Zum Angriff, überrollt sie, ich will sie lachen sehen.«

Knapp bevor er Liane ansehen würde, wendet sich Mateo ab und eilt in den Zuschauerraum zu seinem Regiepult. Nur noch heute Abend wird er dort sitzen oder fast immer stehen und ein letztes Mal »Kritik machen«, dann ist sein Job vorbei, Ende und aus.

Liane schaut ihm nach und seufzt.

Produktionsleiter Alfred schleppt alle Klappstühle weg. »Fünfzig Prozent sind das neue Ausverkauft? Ha! Bei uns sind hundertfünfzig Prozent das neue Ausverkauft. Spielt schön …«

»… scheusssslich!!!«, antworten alle im Chor.

Die Musiker spielen eine Fanfare, über die Tonanlage werden Grußworte vom Produktionsleiter Alfred Militsch eingespielt.

Die Generalprobe gehört den Leuten aus der Gegend, den Einheimischen. Jeder hier kennt den Mann zur Stimme, er ist ja einer von hier, auch ein Hiesiger, alle applaudieren, so wie jedes Jahr. Das gehört zur Generalprobentradition.

Diesmal spielt eine Fidel den Auftakt, jetzt wird’s ernst, die Schauspielerinnen gehen auf Position. Liane spürt eine stachelige Kugel durch den Magen rollen – Lampenfieber.

Was mache ich hier? Ich gehe einfach. Wer die Generalprobe erfunden hat, gehört gevierteilt.

Die große Trommel, der dunkle Herzschlag des Theaters, ertönt. Die Fideln und Flöten setzen ein wie zu Shakespeares Zeiten. Die Schauspielertruppe stürmt mit Gesang und bunte Fahnen schwingend von allen Seiten auf die Bühne. Die Generalprobe von Sommernachtstraum reloaded beginnt.

Die Leute begrüßen die Spieler mit Auftrittsapplaus, oft wird eine Kopfbewegung genügen, um sie zum Lachen zu bringen. Das Theater verwandelt sich in ein Raumschiff, in dem alle gemeinsam davonfliegen. Waren es zu Beginn einzelne Reaktionen, so werden die Zuschauer bald zu einem Ganzen, sie atmen gemeinsam und das Lachen bricht aus ihnen heraus, als ob sie eine einzige Stimme besäßen.

Mateo sitzt schmunzelnd auf Tribüne A hinter dem Regiepult und schaut triumphierend zu Äni, seiner »besten Regieassistentin der Welt«.

Na bitte! Jede Pointe zündet. Warum glauben sie mir das nie?

Äni kennt ihn so gut. Die angespannte Körperhaltung, zusammengekniffene Augen, leichtes Grinsen, hochgehobene Augenbrauen: Ihr Chef schwelgt gerade im Selbstgefallen.

Die Eröffnung übernehmen Hans Haberle und Gerry Falk, zwei altgediente, erfahrene Haudegen der Bühne. Sie reißen die Geschichte des guten William Shakespeare über die vierhundert Jahre ins Heute. Auf die beiden Kapazunder ist Verlass: Hans Haberle gibt den störrischen, seine Macht genießenden König Oberon und Gerry Falk den kugelrunden Troll, der alle mit Zaubertränken und Hexerei, heißt mit Ecstasy und K.-o.-Tropfen manipuliert. Er ist der bösartig kichernde, heißliebende und manchmal verzweifelte Puck. Die Zuschauer lieben ihn. Liane kommt als Königin Titania in eine aufgeheizte Stimmung: Schon die erste, elegant abgefeuerte Spitze der Titania gegen Oberon wird mit einem glucksenden, leisen Lachen der Zuschauer belohnt.

»Klick«, das Korsett aus Hohn und Spott, in das der Regisseur die erfahrene Schauspielerin eingeschnürt hat, zerbricht. Der Horrortrip aus Ängsten und Verunsicherung ist überwunden, Lianes Titania schwebt und mit ihr alle Kollegen. Sie fliegen dahin, vor allem bei den Handwerkerszenen lachen die Zuschauer aus vollem Halse.

Atemlos läuft Liane zu den Auftritten, sie schaut nie Richtung Regiepult. Bald ist er weg, der Tyrann.

Die blaue Stunde beginnt und hüllt das Verwirrspiel in schummriges Zwielicht.

Lianes letzter Abgang vor der Pause führt sie auf die Unterbühne, sie läuft sofort wieder hinaus für ihren nächsten Auftritt. Kann das sein? Ist der erste Teil wirklich schon fast zu Ende?

Sie spürt die Leidenschaft wieder: Ich liebe das Theater! Ich liebe die Bühne!

Hans tobt in dieser Szene als vor Sehnsucht rasender Oberon über die Bühne, da öffnet sich plötzlich ein tiefes, schwarzes Loch in der Bühnenmitte, ein beängstigender Schlund, der alle verschlingen könnte. Die Zuschauer halten den Atem an. Titania schickt ihr glockenhelles Lachen voraus, geht auf den Abgrund zu, die Zuschauer sehen die Gefahr, das Licht wird immer fahler, die Spieler sind nur mehr schemenhaft zu erkennen, alle scheinen sich ineinander aufzulösen. Plötzlich strahlt grelles Scheinwerferlicht senkrecht auf das Bühnenrund, die Spieler sind fast vollzählig im Kreis versammelt.

Oberon steht allein gegen alle, Titania ruft ihm zu: »Ich bin da! Liebster! Schau mich an!«

Die anderen im Kreis unterstützen sie. »Schau hin! Schau hin!«

Tausendmal hat Liane trainiert, einfach weiterzugehen, im gleißenden Licht schwebt Titania über den Abgrund. Alle staunen. In Wahrheit geht sie auf einem gläsernen Steg, der auf einer durchsichtigen Säule gerade rechtzeitig unter Lianes Füße aus der Unterbühne hochfährt. Sie wird nicht abstürzen, sondern zu Oberon gehen, ihn umarmen und alle werden lachen und applaudieren. Musik setzt ein, die Luft kocht, so endet der erste Teil.

Doch an diesem Abend verfallen neunhundert Menschen in eisige Stille. Titania zieht den Fuß zurück, starrt vor sich auf den Boden, dieser Moment dehnt sich aus, die Gesichter, die längst nicht mehr lachen, finden keinen passenden Ausdruck. Niemand kann den Blick abwenden: Mitten auf der Bühne liegt ein bleichgesichtiger Mann auf dem Rücken. Er liegt auf dem durchsichtigen Steg, unter ihm quillt Blut hervor, seine Augen starren in das gleißende Licht. Nur langsam begreifen alle, dass diese Augen tot sind. Da liegt ein Toter mitten auf der Bühne.

Plötzlich surrt die Hebebühne leise, Titania springt von dem absinkenden Steg zurück auf den festen Bühnenboden, das Geräusch ist viel zu normal für den verstörenden Anblick: Der leblose Mann schwebt nach unten. Fast scheint es, als würde dieses Surren aus dem Toten heraustönen, ein lächerliches Fiepsen.

Mit einem Knall gehen die Scheinwerfer aus und die grüne Notbeleuchtung springt an.

Die Zuschauer bewegen sich wieder, stolpern die Holztreppen hinunter, strömen dem Ausgang zu. Aber noch immer hört man kaum ein Wort. So als ob nicht wahr sein kann, was man nicht ausspricht. Die Schauspieler flüchten zu den Garderoben.

Eine zarte, mädchenhafte Frau bewegt sich gegen diese Ströme zur Bühne hin. Sie steigt die drei Stufen hoch, geht zu dem Loch, blickt auf die Unterbühne: Ein langer, schmerzerfüllter Klagelaut rinnt aus ihr heraus.

»Ein Toter auf der Bühne? War das echt?«, fragen sich einige Zuschauer leise, fast flüsternd.

Draußen vor dem Theater muss plötzlich jeder reden, aussprechen, was er gerade erlebt hat.

»Wer ist dieser Mann?«

»War der wirklich tot?«

»Gehört das zum Stück?«

»Der Mann hatte kein Kostüm, keine Perücke, keine Schminke, wie die anderen. Das passt doch gar nicht ins Stück.«

»Das war bis jetzt lustig, wir haben so gelacht. Über einen Blutüberströmten kann man nicht lachen.«

»Ist das so was Modernes, wie in Wiener Theatern, wo alle nur schreien, sterben und sich pudelnackert ausziehen?«

»Also echt, mir ist schlecht.«

Hinter der Bühne sind die Schauspieler auch nur Menschen: Liane, die gerade noch als Titania zur Musik getanzt hat, steht alleine in der Garderobe. Der Holzcontainer riecht wie jede anständige Theatergarderobe nach verschwitzten Kleidern, oftmals getragenen Schuhen, Parfüm und Haarspray. Liane steht da, als ob sie vergessen hätte, wie man sich setzt. Sie sollte sich umziehen. Sie könnte aber auch einfach davonlaufen: im Kostüm, stark geschminkt, mit Goldglitzer auf Wangen und Augenlidern, mit goldenen Klimperwimpern.

Stimmen wehen von draußen herein, die Kollegen unterhalten sich unangenehm leise. Liane kann sich nun doch setzen.

Ich muss weg. Aber wohin? Die nächste Staatsgrenze ist nur wenige Kilometer entfernt. Ja, genau, ich muss das Land verlassen. Es ist so heiß, aber ich spüre eine Kälte, die mich einhüllt, ich bin eingefroren.

Sie hört die junge Julie, die schluchzend direkt vor der offenen Klappe von Lianes Garderobe steht:

»Was hat er da unten gemacht?«, fragt Julie immer wieder. »Was hat er da unten gemacht?«

Liane sieht ihr Gesicht im Spiegel: Vor acht Wochen hat es anders ausgesehen. Bilde ich mir das ein? Der Trugschluss des Moments?

»Lindschal! Was machst du wieder für ein Drama?«, hört sie die Stimme des Regisseurs höhnisch fragen. Noch gestern Abend wollte sie hinschmeißen. Warum hat sie den kleinen Monolog, den sie dafür vorbereitet hatte, nicht gehalten?

Weil ich mich so gefreut habe. Weil ich die Rolle super fand. Und das Stück. Eine leichte, bezaubernde Sommerkomödie, eine herrliche Geschichte über unerfüllte Liebe.

Das Stimmengewirr vor ihrer Garderobe wird lauter, sie sollte zu den anderen hinausgehen. Sie ist nicht davongelaufen, sie ist noch da, sie bleibt.

»Die Schlägerei hat grad begonnen, der Wirt wartet auf euch. Danke, Kollege.«

»Sind gleich dort. Ende.«

Bezirksinspektorin Antonia Ranik hängt das Funkgerät ein, rast die Straße am alten Stadtwall hinunter, vor der roten Ampel gehen Blaulicht und Folgetonhorn an, die Bremslichter leuchten nur kurz auf. Antonia biegt mit quietschenden Reifen in die Straße zum Hauptplatz. Chefinspektor Peter Hufnagl richtet sich am Nebensitz wieder auf. Das rasante Manöver hat ihn gegen das Seitenfenster gedonnert.

»Hallo, Kollegin, samma auf der Flucht?«

Antonia nimmt den Fuß vom Gas.

»Es hat geheißen rasch und vielleicht …«

»Vielleicht dawisch ma den Martin noch, bevor er ins Krankenhaus muss. Ja eh.«

Das Polizeiauto fährt wieder schneller.

»Martin?«

»Amtsbekannt, der trinkt a paar Bier, fangt mit irgendwem über Politik zum Diskutieren an, wird zornig, weil ›die alle so depat san‹, und dann kommt er dem anderen immer näher, dann wird er wegstoßen und die Schlägerei geht los. Da links!« Das zweite Abbiegemanöver mit quietschenden Reifen.

»Der Martin is so ein Schmalpickter, der immer verliert. Meistens hol ma ihn aus’m Spital und dann kriegt er was wegen Körperverletzung, schwer oder leicht, je nachdem.«

Antonia hält unmittelbar vor dem Gasthaus zum Hausknecht mitten auf dem Gehsteig an.

Die beiden steigen aus und gehen zum Gasthaus. Ein dünner, ziemlich großer junger Mann mit blutender Nase und einem Cut auf der Lippe brüllt: »Er hat ang’fangt, er, net i!«

Er verliert die Orientierung, lehnt sich gegen die Wand, seine Knie knicken ein, und er rutscht zu Boden. Die Leute um ihn herum zögern, ihn anzufassen, und schauen zu Hufnagl und Ranik.

»'N Abend, Herr Chefinspektor.«

Antonia Ranik versucht, ins Lokal zu spähen.

»Wo ist der andere?«

Der Chef zuckt nur mit den Schultern und beugt sich zu Martin hinunter.

»Was hast’n schon wieder g’macht? Heast mi? Hallo, Martin, dableim, schau mi an!«

Er wendet sich zu Ranik. »Der andere ist sicher schon weg. Rufens die … na gut, ruf ich halt die Rettung.«

Antonia verschwindet gerade in einer schmalen Gasse. Hufnagl brummt verärgert.

»Was spün wir da? Sie äs ai Hollabrunn? Den derwischt’S net. Z’vü Ehrgeiz, vü z’vü Ehrgeiz.«

Antonia läuft die schmale Gasse entlang, dreimal die Woche Sport lohnt sich für die Vierunddreißigjährige. Sie läuft weiter in die Parallelstraße zum Hinterausgang des Gasthauses. Ein junger, kräftiger Bursche mit blutender Nase tritt ins Freie. Ranik geht plötzlich langsam, wischt lässig den Schweiß von der Stirn, kommt näher und verwandelt sich in die junge Naive:

»Was ist Ihnen denn passiert? Jössas. Das schaut ja furchtbar aus«, entsetzt sich Ranik mit großen Rehaugen. Der Bursche sieht die attraktive Frau so nah vor sich und gleich ist der Schmerz verschwunden.

»Den anderen müssaten’S sehen. Den hab i g’haut, der schaut furchtbar aus!«

Antonia ist beeindruckt. »Echt jetzt?«

Der Bursch grinst: »Eh kloa.«

Und dann ist die schöne, junge Frau gar nicht mehr naiv: »Bezirksinspektorin Antonia Ranik, Kripo Sankt Pölten, beschreiben Sie den Vorgang der Schlägerei.«

Der Bursch lacht: »Geh, net wirklich, oder?«

Antonia zeigt den Dienstausweis.

»Polizei? Echt jetzt?«

»Kriminalpolizei.«

Der überraschte Bursch will sie wegstoßen und davonlaufen. Antonia ist zwei Köpfe kleiner als er, weicht ihm aus, greift sich von hinten seine rechte Hand und tackert sie im schmerzenden Sicherungsgriff auf seinen Rücken.

Die Zuschauer haben inzwischen das Theater verlassen. Sie stehen vor der Arena herum. Der Bäcker vom Hauptplatz meint aufgeregt:

»Das ist der Regisseur! Der ist jeden Tag frühstücken bei uns im Café.«

Eine junge Frau bestätigt, sie vermietet eine Wohnung an den Regisseur und seine Frau.

»War das nicht die mit dem grünen Gesicht, die so schrecklich geschrien hat?«

»Das ist die Notbeleuchtung, die ist grün!«

Die Diskussion um den Toten und seine Frau wird von einer Durchsage unterbrochen.

»Meine Damen und Herren, wir können nicht weiterspielen und brechen die Generalprobe jetzt ab. Wir wünschen eine sichere Heimfahrt.«

Ein Mann hat die Durchsage mit angekratzter Stimme gemacht. Man hat sein inneres Zittern förmlich über die Lautsprecher gespürt.

Die dunkle Herde der Zuschauer trabt Richtung Parkplatz. Die ersten Autos werden gestartet und fahren los.

Der Zuschauerraum ist leer, nur die schlanke Frau steht immer noch auf der Bühne und starrt hinunter. Dort strahlt jetzt helles Licht, als wäre ein Raumschiff im Bühnenrund gelandet.

Niemand hat es lange hinter der Bühne ausgehalten: Schauspieler, Maskendame, Garderoberin, Regieassi, Bühnenarbeiter, Lichttechniker, Tonmann, Produktionsleiter – einfach alle gehen durch den schmalen Gang hinunter in das Labyrinth aus Requisiten und Bühnenbild auf der Unterbühne. Das grelle Arbeitslicht lässt die Gesichter fahl aussehen. Sie starren auf den Toten, aus dessen Brust jetzt eine blutverschmierte Eisenstange ragt. Was ist hier passiert? Bis jetzt hat niemand diesen Mechanismus bewusst wahrgenommen.

Nur Alfred, der Produktionsleiter, kennt die Vorrichtung: Er wird sie vor jeder Vorstellung überprüfen. Diese Eisenstange war ihm sofort suspekt gewesen. Zu gefährlich!, hat er schon bei der Bauprobe gedacht. Du lieber Gott, hätte ich nur nicht geschwiegen!, denkt Alfred jetzt.

Hier unten ist es so eng, jeder könnte den Toten berühren, die Luft steht. Mateo ist doch gerade noch die Treppe heruntergelaufen. Was wollte er da unten? Wie kann da nur so viel Blut sein? Obwohl alle schweigen, ist es, als ob diese Fragen laut gestellt würden.

Schritte nähern sich: »Bitte durchlassen!«

Die Arzttasche vor sich her schwenkend, wie zum Beweis, hier zutrittsberechtigt zu sein, bahnt sich Dr. Hedi Langer ihren Weg. Sie macht seit Beginn des Sommertheater-Festivals vor fünf Jahren hier Abenddienst. Noch nie wurde sie während der Generalprobe gebraucht. Sie kniet sich neben den Mann und fühlt dessen Halsschlagader. »Er ist tot.«

Die Ärztin bedeutet den anderen, zu gehen. »Die Polizei muss kommen und außer mir sollte keiner hier unten sein!«

Alfred wählt den Notruf, fast sofort fragt eine Frauenstimme laut und deutlich, was man melden will.

»Also, da liegt ein Mann, also, weil er ja tot ist, die Frau Doktor sagt, da muss die Polizei kommen.«

Er hört der Notrufstimme angestrengt zu, so als ob er sie schlecht verstehen könnte.

»Was? Ah so, er, das heißt Mateo Ander, der liegt da wie aufgespießt, ich meine, also auf der Eisenstange.«

Alfred presst sein Telefon fester ans Ohr, kann sich jedoch nicht auf die Fragen konzentrieren. Vor ihm liegt ein Toter.

»Können Sie ihm nicht die Augen zumachen? Bitte!«, meint er zur Ärztin. Aus seinem Telefon ertönt sofort der Befehl: »Die Leiche greifen Sie mir nur ja nicht an! Ja?«

»Hab ich nicht, ich meine, mach ich nicht, entschuldigen Sie.«

»Der Mann ist tot, ja?«

»Sagt unsere Ärztin, ja.«

»Wir brauchen also keinen Arzt? Und auch keine Rettung?«

Ein Polizeistreifenwagen und ein Rettungswagen mit Blaulicht halten vor dem Gasthaus zum Hausknecht. Zwei junge Sanitäterinnen springen heraus, greifen nach den Notfalltaschen und laufen zu Chefinspektor Hufnagl, der den verletzten Martin stützt: »Sag, was passiert ist. Was hast g’macht?«

»Nix!«, würgt Martin hervor. Er schaut hoch. »Der hat mich g’haut!«

Martin deutet zu Antonia Ranik, die den Burschen mit der blutenden Nase heranführt.

»Ich bin des Opfer, mich hat er g’haut, nicht ich ihn, bitte, Herr Chefinspektor, bitte!«

Martin ist sehr laut geworden, Blut fließt aus seiner zerschlagenen Oberlippe, er kippt in die Hände der Sanitäterinnen.

Chefinspektor Hufnagl mustert den zweiten Burschen, der wieder versucht, sich aus Raniks eisernem Griff zu befreien.

»Wannst ruhig bleibst, lasst sie dich los, ganz einfach.«

Antonia sieht ihren Chef erwartungsvoll an, doch dieser sagt nur nebenbei zu ihr: »Hams halt recht g’habt. Und wen hamma da? Name, junger Mann?«

Hufnagls Handy vibriert in seiner Jacke, er nimmt den Anruf an. »Noch a Notruf?« Und geht ein paar Schritte beiseite. »Is heut Vollmond, oder was?«

Der Bursche windet sich.

»Was ist an ruhig bleiben nicht zu verstehen?«, fragt Antonia und fixiert ihn weiterhin mühelos. Er antwortet nicht.

Hufnagl kehrt zurück und informiert seine Kollegin: »Da ist ein Toter im Arena-Theater im Wald. Das machen Sie. Fahren’S mit dem Kollegen von der Streife hin, nehmen’S alles auf und ich komm dann später nach. Wenn’s unbedingt nötig ist, ja?«

Antonia lässt den Burschen los. Er hält jammernd seinen schmerzenden Arm. Sie geht zum Polizeiauto.

»Ranik! Soll ich zu Fuß gehen?«

Antonia dreht um, übergibt Hufnagl den Autoschlüssel, läuft zum Polizeiauto und steigt ein.

Kollege Ferdinand Berger im Streifenwagen hat schon sehr lange Dienst, er ist müde.

»Ein Notruf vom Theater. Fahr ma.«

Berger sieht Antonia überrascht an.

»Sie sind no net lang beim Hufnagl, stimmt’s? Ferdl

Berger, Grüß Ihnen.«

»Antonia Ranik. Stimmt, erst seit drei Wochen. Sie sind jetzt in meinem Ermittlungsteam, ja? Fahr ma! Sie wissen, wie man zum Theater kommt. Rasch.«

Berger befolgt die Anweisung. Hufnagl sieht dem davonrasenden Polizeiauto nach und schüttelt den Kopf. Die eifrige Neue nimmt alles so ernst!

Nur Alfred und die Ärztin sind noch bei dem Toten. Keiner, wirklich niemand darf ihn berühren, seine Augen starren nach oben. Alfred hat das Gefühl, ein leiser Windhauch würde ihn streifen.

»Ich schau mal, ob mich wer braucht, hier hab ich nix mehr zu tun«, beschließt die Ärztin, schnappt den Arztkoffer und geht. Alfred kann den Blick nicht von dem Toten lösen. Einige Momente später hört er die Ärztin oben auf der Bühne beruhigend auf Elisabeth einreden.

Müdigkeit überfällt Alfred. Er denkt: Menschen, also Tote, also tote Menschen haben doch auch eine Privatsphäre, die respektiert werden muss. Aber wenn sie tot sind, merken sie nicht mehr, dass sie angestarrt werden, oder?

Er spürt diesen eigenartigen Windhauch wieder. Was fühlt er da? Es ist doch so, dass die Seele den Körper nach dem Tod verlässt. Drei Gramm wiegt sie, diese Seele, das hat irgendjemand mal festgestellt. Alfred fröstelt. Erlebe ich das jetzt gerade? Kommt dieser kühle Windhauch von der Seele, die ihren Körper nun endgültig verlässt? Wann ist ein Mensch tot? Wie lange bleibt die Seele, bevor sie endgültig davonfliegt? Und wenn, wohin fliegt sie dann? Oder löst sie sich auf?

Alfred ist nicht gläubig und esoterisch schon gar nicht. Er hatte nur immer das Gefühl: Irgendwie geht es nach dem Tod weiter. Eine Art Reise könnte beginnen. Das, was den Menschen ausgemacht hat, besteht in der nächsten Welt weiter.

Alfred starrt wieder auf die toten Augen des Regisseurs. Was wird von diesem Mann auf die Reise gehen? Seine Ungeduld? Sein arroganter Ton Mitarbeitern gegenüber? Die Art, wie er die Augen zusammenkneift, wenn ihm etwas missfällt?

Angenehm oder nett oder positiv war nichts an diesem Mann, höchstens, dass er spätnachts einen Kasten Bier mitgebracht hat, um Alfred und seine Mannschaft beim Bühnenaufbau zum Weiterarbeiten bis in die frühen Morgenstunden zu motivieren. Der Regisseur selbst trank nie Bier. Das war für die Arbeiter, die schwere Bühnenbildteile schleppen. Eigentlich auch unsympathisch, stellt Alfred fest.

Als Abenddienst ist Alfred offizieller Vertreter des Theaters, er kann den toten Regisseur nicht allein lassen. Dieser Mann ist wichtig. Also, er war wichtig, er hat sich das alles ausgedacht und mit der Truppe einstudiert. Wie ein Dompteur.

Alfred mag den Regisseur nicht, aber er bewundert, wie der Befehle gab. Bis zur Pause ist die Generalprobe fast zu gut gelaufen. Kann die Premiere nun ohne diesen eitlen Anschaffer stattfinden? Die Antwort würde Alfred leichter fallen, wenn er ihn, also die Leiche, zudecken dürfte.

Plötzlich hat Alfred den Impuls, den Toten anzufassen. Ist der schon kalt? Wie fühlt sich eine Leiche an?

Da ist wieder dieser Windhauch in Alfreds Nacken. Will die Seele ihm etwas mitteilen? Gar in ihn hineinschlüpfen?

In diesem Moment legt sich eine Hand auf Alfreds Schulter. Ohne nachzudenken, schnellt er hoch und schlägt mit der Faust hinter sich. Wie dumm! Eine Seele kann man doch nicht niederschlagen! Eine Seele nicht, aber sehr wohl eine junge Frau, die nun vor Alfred auf dem Boden sitzt und sich das Kinn reibt.

»Sin’S wahnsinnig?«

Alfred braucht einige Sekunden, um zu verstehen: Das hat nichts mit der Seele oder dem Windhauch zu tun, er hat gerade diese Frau niedergestreckt.

»Das tut mir … tschuldigung … das wollt ich nicht … ich bin, das ist … was machen Sie da?«

Die beiden sehen einander erstaunt, ungläubig an. Einen langen, stillen Moment lang.

»Und Sie? Was machen Sie da?«

Antonia versucht angestrengt, souverän zu wirken, obwohl ihr Kopf brummt.

In der Ausbildung hat Antonia das gelernt und oft trainiert: Wenn du diesen Punkt am Ende des Unterkiefers triffst, zieht es dem größten, schwersten Kerl einfach die Füße weg und er verliert für Augenblicke das Bewusstsein. Lange genug, um ihn zu verhaften. Jetzt hat sie den praktischen Beweis zur Theorie am eigenen Körper erfahren.

Ferdl Berger, der uniformierte Streifenpolizist, kommt hinzu.

»Jössas, Frau Bezirksinspektor!«

Antonia deutet mit den Augen zu Alfred, Berger schreit ihn an: »Was soll das? Alfi?«

Alfred streckt Antonia die Hand hin und hilft ihr wieder hoch.

»Der Tote … i hab einen Hauch g’spürt … Es tut mir sehr leid.«

Antonias Kopf dröhnt immer noch.

»Bezirksinspektorin Antonia Ranik, Kripo St. Pölten. Wo ist er?«

Da Alfred nicht sofort reagiert, fügt sie überdeutlich hinzu: »Es gab einen Notruf – ist hier jemand gestorben? Wenn ja, wo ist der Tote?«

Alfred tritt beiseite, sodass Ranik die Leiche sieht.

Oh, oh, die schaut nicht gut aus.

Offener Mund, aufgerissene Augen und die hochgestreckte Hand erzählen ihr, dass der Mann versucht haben muss, hochzukommen.

Wen hat er kurz vor seinem Tod so angeschaut? Er muss starke Schmerzen gehabt haben, bevor er das Bewusstsein verlor. Einfach »g’storben« ist der nicht.

Antonia blickt kurz hoch.

Wenn der Tote die zwei Meter von der Bühne heruntergestürzt wäre, sähe er anders aus. Er muss hier unten gestorben sein. Wer ist das überhaupt?

»Das ist Mateo Ander«, sagt Alfred, als ob er ihre Gedanken hören könnte. »Unser Regisseur.«

Ein Spielführer also, derjenige, der im dunklen Zuschauerraum sitzt, die da unten im Licht auf der Bühne beobachtet, sie inszeniert. Will heißen, er bestimmt, wie und wohin sie sich bewegen, wie sie den Text bringen, welche Gefühle sie zeigen. Ein Regisseur bestimmt alles. Während der Probenzeit ist er der »Bestimmer«, dem sich die Schauspieltruppe fügen muss. Oder sie nehmen auf, was er anregt. Proben können auch Spaß machen.

Antonia Ranik betrachtet den Toten mit dem Gefühl, dass sie »etwas« verstehen soll und dass hier kein Unfall passiert ist. Sie hat keine Erklärung für dieses Gefühl, aber es ist da.

Ehe er gefragt wird, erklärt Alfred, er sei oben im Zuschauerraum gewesen, als es passiert ist. Er kann deshalb gar nichts sagen. Antonia ist irritiert, weil dieser junge Mann schon wieder eine Frage beantwortet, die sie noch gar nicht gestellt hat.

»Sichern’S Auffindungsort und Leiche. Und davor, also jetzt gleich, rufen Sie mir die Komantschen.«

Ferdl Berger schaut sie skeptisch an, die Spurensicherung am Freitag spätabends?

»Das ist ein Unfall.«

»Sagt wer? Machen Sie’s einfach. Zur Sicherheit.«

Antonia nimmt den Raum rund um die Leiche auf, die schmale Treppe, die direkt zur Bühne führt, die Holzbalken der Bühnenkonstruktion, durch die man von hier aus in den Zuschauerraum sehen kann, der schmale Gang hinauf zur Hinterbühne, wo das Schaltpult steht, eine kleine Bank aus dem Granitstein, in den diese Unterbühnenkonstruktion eingefügt worden ist.

Da sitzt doch während der Vorstellung jemand. Oder sind alle oben gewesen, wie der Schläger?

Sie sieht in Alfreds Augen. Sie würde ihm diesen perfekten Faustschlag gar nicht zutrauen, aber ihr Kinn schmerzt.

»Soll ich die Anzeige auch gleich aufnehmen?«, tönt Kollege Berger durch Antonias Gedanken.

Was meint er?

»Na, Körperverletzung einer Amtsperson! Macht schwere Körperverletzung.«

Antonia grinst. »Nein, ich hätt ihn ansprechen müssen. Der Herr … Alfi?«

»Alfred Militsch.«

»… ist erschrocken, er hat einfach reagiert und er hat sich entschuldigt, das genügt.«

Antonia hat jetzt keine Zeit für Anzeigen.

»Eine Ärztin hat den Tod festgestellt?«

Alfred erzählt erleichtert und übergenau von der Theaterärztin. Dass die Polizistin ihn hätte anzeigen können, ist ihm sehr unangenehm.

»Können Sie mir die Dr. Langer herholen?«

Alfred nickt.

»Zur Freigabe der Leiche«, beantwortet Antonia Bergers fragenden Blick.

»Was ist hier passiert? Irgendwer muss doch gesehen haben, was der Regisseur hier gemacht hat, wie und warum er gestorben ist. Die Zuschauer! Die haben doch was mitgekriegt!«

»Achthundert Zeugen befragen und zusätzlich die Theaterleute? Ist nicht Ihr Ernst.«

Schon bei der Vorstellung muss Berger gähnen. Alfred ist stehen geblieben und hat zugehört. »Neunhundert, wir waren überausverkauft, es waren neunhundert Zuschauer.«

Antonia muss wieder grinsen. Das ist doch schwer illegal, Süßer, man kann nicht einfach zusätzlich Stühle reinstellen ohne Ende. Was ist, wenn was passiert? Dann gehen die einfach raus, so wie heute Abend. Was soll Schlimmeres passieren als ein Toter auf der Bühne?

Berger beginnt schnaufend, weil gebückt, das Sicherungsband um die Leiche zu spannen. Antonia greift zum Handy.

Chefinspektor Hufnagl beugt sich zu Martin, der, noch am Hauptplatz, auf der Laderampe des Rettungsautos sitzt und die Versorgung seiner Platzwunde auf der Oberlippe mit lautem Stöhnen quittiert.

Er stößt die Sanitäterin weg und schreit Hufnagl entgegen: »Schauen’S mei Lippe! Desmal bin ich das Opfer und der Scheißer der Täter, so isses!«

»Und ich bin der Osterhase und das Christkind, ja eh«, meint Hufnagl.

Sein Handy vibriert, er geht zur Seite, bellt eine unfreundliche Begrüßung ins Telefon, hört kurz zu und antwortet dann lachend: »Na, wenn Sie’s machen müssen, Sie kennen ja die Abläufe, tun’S a bisserl vorarbeiten, wir kommen frühestens morgen Mittag, na, sagen wir Nachmittag dazu.«

Nachdem er Antonias Frage gehört hat, muss er wieder lachen. »Tatort sichern ist immer gut, aber wissen’S eh, meistens isses harmlos!«

Das Gespräch verärgert Antonia. Der alte Knacker behandelt sie immer noch so wie am ersten Tag, als er sie die »Frischg’fangte mit null Ahnung« genannt hat.

Alfred kehrt mit Dr. Langer zurück, Antonia nickt ihr zu. »Frau Dr. Langer?«

Die zieht ein verknittertes Formular aus ihrer glitzernden Abendhandtasche.

»Freigabe hab ich schon lang keine mehr g’macht.« Sie trägt die Daten ein.

»Ich muss so bald wie möglich mit der Frau Stein telefonieren.«

Antonia Ranik zieht die Augenbrauen hoch. Mit wem muss die Frau Doktor reden?

»Sophie Stein, die Frau Intendantin. Während der Vorstellung ist es hier viel zu dunkel. Man sieht nichts, rutscht aus und dann … So ein Unglück.«

Antonia kommt näher. »Das heißt, sie können Fremdeinwirken zu hundert Prozent ausschließen?«

Dr. Langer hält irritiert inne, schaut sich um, betrachtet den Toten.

»Nein, ja, na ja, nein. Hundertprozentig kann ich das nicht.«

Das heißt, Antonia wird ermitteln.

Immer wenn Liane Blau ihre junge Kollegin Julie ansieht, muss sie an Grimms Märchen denken: Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut, Haare so schwarz wie Ebenholz. Das klassische Schneewittchen, Julie, erzählt gerade, dass der Regisseur während der Generalprobe plötzlich hinter seinem Regiepult vor der Technikerkabine im Zuschauerraum hochgesprungen und dann die Treppe hinuntergeeilt ist, ja, er ist fast gesprungen.

Und dann? Dann sei ihr Stichwort gefallen und sie musste sich umdrehen. Eine Männerstimme stellt spöttisch fest: »Die Kollegin war ja wahnsinnig auf die Szene konzentriert!«

Der Kommentar kommt von Gerry Falk, unverkennbar, er bleibt immer höflich und lächelt, auch wenn er eine Kritik anbringt. Julie wendet sich mit hochgezogener Augenbraue zu ihm.

»Was willst du damit sagen?«

»Wenn du den Regisseur im Zuschauerraum beobachten konntest, war das, was auf der Bühne vor sich ging, wohl nicht so interessant für dich, oder?«

»Stichwortgeber« war nämlich an dieser Stelle Puck, also Gerry selbst. »Ich weiß ja, dass die Jungen heutzutage die Tradition des Zuhörens und Antwortens verlernt haben …«

Er verstummt, weil eine junge Frau, die »Ermittlerin«, wie der Polizist Berger erklärt hat, von der Unterbühne heraufkommt. Hinter ihr taucht auch Alfred aus dem schmalen Gang auf.

»Ich muss meine Chefin anrufen, die Intendantin.

Hab ich bis jetzt vergessen.«

Gut, wird sie sich eben selbst vorstellen. Antonia Ranik schaut in die Runde. Die Schauspieler tragen ihre Kostüme, sind noch geschminkt, sehr grell, sehr bunt mit viel Glitzer, die Perücken der Shakespeare-Zeit sind schon ein bisschen verrutscht. Die eigenen Haare kleben ihnen verschwitzt auf den Köpfen. Sie sehen dadurch wie Puppen aus. Milliarden Mücken umschwirren die nach Schweiß duftenden Menschen. Antonia zerdrückt gerade eine auf ihrer Stirn.

»Bezirksinspektorin Antonia Ranik, Kriminalpolizei, guten Abend. Sie sind verständlicherweise alle sehr betroffen, hier ist etwas Verstörendes passiert. Trotzdem muss ich herausfinden, wie es dazu gekommen ist.«

Antonia spürt die Blicke der Menschen, die um sie herumstehen wie lauernde Wildtiere. Sie fragt sich, wer dem Toten nahestand. Sie kann sich keine eindeutige Antwort geben. Um die erschreckend ruhige Anspannung aufzulösen, fragt sie in die Runde, ob der Tote der Regisseur der Produktion Sommernachtstraum reloaded war. Dieses letzte Wort, dieses kleine »war« treibt einigen Tränen in die Augen. Sie haben die letzten Wochen mit ihm verbracht, er hat ihr Leben in dieser Zeit bestimmt, er war das Zentrum.

Antonia wartet ab. Sie ist eine begnadete Warterin. Die Kollegen meinen, dass die Ranik mit ihrem konzentrierten Zuhören früher oder später jeden dazu bringt, etwas zu erzählen. Auch wenn er oder sie das gar nicht will. Die Ranik hat immer die stärkeren Nerven und die längere Geduld als ihr Gegenüber. Sie stellt eine Frage und wartet. Und dann redest du. Das funktioniert immer. Doch hier, hinter der Bühne im Kreis der Kasperln, wie die Schauspieler einander nennen, hier bleiben alle still, hier kann die Ranik schauen und warten, so lange sie will. Okay, dann gehen wir’s anders an.

»Ich kenne natürlich nur das Stück von Shakespeare, aber dieses reloaded hat mich neugierig gemacht, ich hätte es mir gern angeschaut. Hat jemand beobachtet, wie das passiert ist?«

Keine Antwort. Wenn eine der Anwesenden etwas gesehen hat, ist er oder sie nicht bereit, es hier zu erzählen, so viel ist klar. Antonia schüttelt leicht den Kopf. Soll sie noch mal fragen? Vielleicht stehen die so unter Schock, dass sie die Frage gar nicht verstanden haben. Vielleicht brauchen die Schauspieler Regieanweisungen, ehe sie sprechen?

Hans Haberle stellt dann doch relativ trocken fest:

»Er ist früh gegangen, extrem früh, ich meine, Mateo ist mein Jahrgang. Er war zu jung.«

Julie weint, Tränen rollen über ihre Wangen, sie lässt sie einfach laufen. Sie ist offensichtlich sehr betroffen, mehr als die Kollegen. Man spürt, dass sich alle die Erschütterung von der Seele reden wollen. Antonia Ranik hingegen will verhindern, dass sie gleichzeitig damit beginnen.

»Hat irgendjemand eine Beobachtung im Zusammenhang mit dem Tod auf der Unterbühne gemacht?«

Keine einzige spontane Antwort, erst nach einer gefühlten Ewigkeit stellt Hans klar: »Wir waren alle oben, auf der Bühne oder im Zuschauerraum. Wie hätten wir sehen sollen, was sich auf der Unterbühne abspielt?«

Aha, das ist der Papa der Truppe, denkt Antonia. Hans ist groß, breitschultrig, hat immer ein Lächeln im zerfurchten Gesicht und verschmitzt blickende Augen, die sehr blau leuchten. Mitte Sechzig würde ich sagen, neben Liane Blau der Senior der Truppe. Die anderen schätzen ihn, das spürt man. Antonia kann nicht verhindern, dass jetzt alle durcheinanderreden. Sie geht etwas zur Seite, kann unmöglich jedem zuhören, also beobachtet sie die Theaterleute lieber. Hans scheint zu versuchen, die anderen zu beruhigen, einmal spricht er laut von einem Unfall!

War es ein Unfall?, fragt sich Antonia irritiert. Sie hat diese Möglichkeit gar nicht in Betracht gezogen, weil der Tote so dalag, als ob er nach jemandem gegriffen hätte, als ob er noch kurz vor seinem Tod, im Sterben, jemand angesehen hätte, also folglich nicht allein dort unten war und möglicherweise gestoßen wurde. Bin ich zu voreilig? Kann ich mich auf meinen Instinkt verlassen? Viele Morde werden einfach übersehen. Aber ich darf einen simplen Unfall auch nicht zu einem Kapitalverbrechen machen. Ist der Regisseur ein Mordopfer? Oder war er einfach nur ungeschickt?

Chefinspektor Hufnagl hat ihr die erste, eigenständige Ermittlung überraschend schnell zugeteilt. Antonia kann ihn noch nicht einschätzen. Er arbeitet lieber mit Männern, das hat er ihr zur Begrüßung gesagt. Ihr Karrieresprung zur Bezirksinspektorin ist etwas Besonderes, weil sie mit vierunddreißig sehr jung für diesen Job ist. Aber die Personalknappheit zwingt die Vorgesetzten, der Ranik eine Chance zu geben. Hufnagl hingegen hat schon viele Dienstjahre, er hat »alles gesehen« und er zeigt seine Verachtung für die, die irgendwann ins Land gekommen und einfach geblieben sind, ganz offen. Antonia muss ihm noch klarmachen, dass sie ja auch »so eine« mit Migrationshintergrund ist. Das wird unangenehm, aber sie hat den Job trotzdem angenommen, weil sie damit genau dorthin kommt, wo sie immer sein wollte. Sie stürzt sich mit voller Konzentration in diese Arbeit, es gibt nichts mehr, was sie ablenkt. Sie ist wieder Single, lebt allein und unabhängig. Ihr Ziel ist, möglichst bald ohne diesen Migrationshintergrundsmenschenhasser Chefinspektor Hufnagl zu arbeiten. Sie wird ihren ersten Fall schnell und professionell lösen. Das jedenfalls nimmt sie sich jetzt fest vor.

Sie beschließt, bei diesem Toten auf der Unterbühne ihrem ersten Instinkt zu vertrauen. Sie hat so einige Fragen: Wie stehen diese Theaterleute zueinander? Wie gut kennen sie den Regisseur? Schätzen sie ihn? Wie lange kennen sie ihn? Wollte jemand den Tod des Regisseurs? Wenn ja, warum?

Ranik hört viel Aufgeregtheit, Unruhe, Angst und Ratlosigkeit in den Stimmen der Theaterleute. Sie beobachtet, wie Julie immer wieder Tränen wegwischt und ununterbrochen redet, ihre Stimme zittert. Das nimmt Antonia wahr, obwohl sie Julies einzelne Worte nicht hören kann. Menschen reden nicht nur mit Worten.

»Können Sie mir sagen, was der Regisseur da unten wollte? Das war doch heute die Generalprobe, oder?«, fragt Antonia so laut, dass alle sie hören.

Die Ratlosigkeit in den meisten Gesichtern ist eine ehrliche, es bleibt still, bis eine junge Frau sagt: »Das war wegen dem Puckflug.« Sie hält ein dickes Buch umklammert. Das Regiebuch!, schießt es Antonia durch den Kopf.

»Ich bin die Regieassistentin.« Äni tritt einen Schritt vor, Antonia hat recht, das, woran Äni sich klammert, ist tatsächlich das Regiebuch. Die »heilige« Schrift jeder Theaterproduktion. Da sind alle Positionen und Gänge, die Schauspieler auf der Bühne zurücklegen müssen, eingetragen, alle Requisiten, alle Bühnenbildteile, alle Textänderungen und alle Auftritte sowie Abgänge, einfach alle Regieanweisungen.

Äni beginnt leise zu erklären: »Es geht um den Puckflug! Er hat leider bei der zweiten Hauptprobe nicht funktioniert. Mateo war plötzlich sicher, also, er hat sich eingebildet, dass der Puckflug wieder nicht funktionieren wird! Da ist er wütend aufgesprungen und auf die Unterbühne gerannt, um selbst das Zeichen für den Puckflug zu geben. Ich hab ihn nicht aufhalten können und bin hinter dem Regiepult stehen geblieben, weil irgendjemand den Überblick behalten muss.«

Jetzt bleibt es erst mal still. Antonia Ranik fragt höflich und möglichst neutral, was, ähm, ein »Puckflug« denn eigentlich sei. Irritiert sieht sie ein Lächeln auf den Gesichtern. Hat sie das Wort falsch ausgesprochen? Gerry Falk sitzt vor seiner Garderobe und liefert eine Erklärung für die Polizistin. Er muss nicht laut reden, alle hören ihm zu.

»Wissen Sie, jeder Regisseur hat so seine Spezialitäten. Auch Mateo Ander. Für Sommernachtstraum reloaded hatte er einen besonderen Wunsch: Er wollte den Raum über den Zuschauertribünen und der Bühne nützen. Da muss man fliegen!«

Nachdem Mateo Ander in den ersten Jahren mit einer Bretterbühne und klapprigen Bänken in diesem Sommertheater-Festival angefangen hat, sind mit der Zeit nach und nach feste Zuschauertribünen, ordentliche Garderoben, ein eigener Container für die Technik, Nebenräume für die Kulissen, ein Schminkobil und dann sogar eine Unterbühne hinzugekommen. Die hat er ausgraben und bauen lassen, damit die Schauspieler daraus lautlos, wie von Zauberhand gehoben, mittels einer Hebebühne hervorschweben können. Ganze Bühnenteile tauchen da scheinbar aus dem Nichts auf, dann wieder öffnen sich Abgründe, die einen Schauspieler verschlingen können. Dieses Jahr war nur noch der Luftraum als Dimension übrig.

»Ja, meine Lieben, diesmal isses so weit. Wir haben eine Flugmaschine für den ›Puckflug‹, für unseren magischen Puck, damit er seine Zauberkräfte entfalten kann, direkt aus der Luft, wie eine menschgewordene Drohne!«, zitiert Gerry Falk den Regisseur und erklärt: »Die Bühnenbildnerin hat es uns bei der ersten Probe an einem Modell demonstriert: Ahs und Ohs und Applaus! Nur einer hat nicht applaudiert. Ich!«

Gerry Falk ist kugelrund, mehr breit als hoch. Er hat eine dicke Nase und wirr vom Kopf abstehende Haare. Er ist komisch, bevor er auch nur ein Wort gesagt hat. Wer ihn ansieht, muss schmunzeln. Der Komiker, der dicke, schwere Gerry, starrte also vor acht Wochen auf das Bühnenbildmodell und machte sich wirklich Sorgen. Der Flugapparat ist also für den Puck. Aha! Wer spielt den Puck? Ha?, fragte er sich. Wie soll ich denn um Himmels willen über diese Bühne fliegen? Er wandte sich zum Regisseur:

»Du weißt aber schon, dass du mich als Puck engagiert hast?«

Mateo antwortete spontan und ohne nachzudenken, der Flugapparat sei für mindestens eine Tonne ausgelegt und Gerry müsse sich überhaupt keine Sorgen machen.

Jetzt berichtet Gerry ganz entspannt, was ihn damals schockiert hat: »Eine Tonne! Eine Tonne! Ich muss wohl in meiner Verzweiflung einen dermaßen komischen Gesichtsausdruck gemacht haben, dass alle zu lachen begannen. Alle lachten, bis ich schließlich mitlachte und mir Tränen über die Wange liefen.«

Gerry Falk lächelt die Bezirksinspektorin Ranik an. »In unserer Truppe ist der ›Puckflug‹ seither Stichwort für Heiterkeit oder jedenfalls für ein Lächeln, wie vorhin. Man hat gerade eben noch einen grässlich, erbärmlich zugrunde gegangenen Mann, aufgespießt auf einer Eisenstange, auf der Unterbühne gesehen und muss trotzdem lachen.«

Während Berger die Personaldaten der einzelnen Theaterleute aufnimmt, lässt sich Antonia Ranik von der Regieassi den Flugapparat zeigen, der an diesem Abend noch unbenützt in seiner Verankerung hängt. Gerry ist dort oben bereits fix angeseilt gewesen und hat auf das Zeichen zum Losfliegen gewartet. Äni erklärt: »Das Zeichen wird mit einer Taschenlampe von der Unterbühne hochgeblinkt.«

»Und heute? Bei der Generalprobe?«

Äni gibt sich einen Ruck: »… hat es nicht geblinkt, obwohl Mateo hinuntergestürmt ist, um das Lichtzeichen selbst zu geben.«

Als dieses Lichtzeichen nicht kam, hat Gerry abgewartet und beschlossen, der Bühnenarbeiterin, die neben ihm stand, nicht eigenmächtig das Zeichen zum Starten des Puckflugs zu geben. Es war nicht seine Verantwortung.

»Ohne Zeichen darf er nicht losfliegen, auch wenn er genau weiß, wann es losgehen soll«, klärt Äni auf. Sie weiß, dass Gerry sich immer ärgert, wenn er nicht selbstständig agieren darf, und hört förmlich seinen zynischen Unterton, wenn er dann jammert:

»Ach ja, ich bin ja nur ein dummer Schauspieler, der sich auf Befehl lächerlich machen wird, als fliegender Kugelkäfer, der Oberon Wasser über den Kopf gießen und ihn so zur Vernunft bringen wird, damit er endlich seine Titania erkennt. Ich zapple nur da oben herum. Ob und wann ich fliege, entscheidet die Taschenlampe.«

Am Tag vor der Generalprobe hat er der Regieassi in einigermaßen angetrunkenem Zustand anvertraut: »Weißu, die Suschaua lachen nich über mich oder, ich korrgiriere, meinetwegen, neinneinnein … die lachen mich aus! Jawohl! Das tut weh, Schmerzen, jawohl, große Schmerzen, mein Änikind! Aber davon verschtehssu nix. Sei ffroh.«

Äni hat Gerry gut beobachtet, sie weiß, was er da schwer alkoholisiert preisgegeben hat. Der Spezialist für die verschiedenen Arten des Lachens erkennt das verhasste Ausgelachtwerden sofort. Die Zuschauer werden zwar zu Lachstürmen hingerissen, aber auf seine Kosten. Seit er die Flugmaschine benützen muss, kippt Gerry davor immer ein Schnäpschen: »Um den Seelenkratzer nicht spüren zu müssen!« Viel lieber würde er mehrere Tortenstücke verschlingen. Aber das geht erst nach der Vorstellung, weil er im zweiten Teil noch zwei Mal fliegen muss. Er hat immer wieder gejammert: »Diese schreckliche Flugmaschine muss ja eingesetzt werden, wenn man sie schon für viel Geld gekauft hat.«

»Mit einem Tortenbauch kann Gerry nicht fliegen, da würde sich möglicherweise nicht nur Wasser auf die Mitspieler ergießen, und das will Gerry nicht. Er ist ein Ästhet.«

Äni erzählt das alles sehr schnell und aufgeregt. Währenddessen schaut Antonia zur Flugmaschine und klettert zur Absprungsrampe hoch, das geht so schnell, dass Äni nichts dagegen einwenden kann. Antonia sieht auf die Unterbühne ins Halbdunkel hinunter.