Tod eines Surfers - Evelyne Weissenbach - E-Book

Tod eines Surfers E-Book

Evelyne Weissenbach

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Beschreibung

"Ein leckeres Kerlchen!", hätte Oberst Doktor Luise Pimpernell unter anderen Umständen wohl über den feschen Clemens Holzbauer gedacht. Doch angesichts seiner Leiche verbot sie sich einen solchen Gedanken. Vielleicht hätte die liebenswert-schrullige Ermittlerin mit der Vorliebe für skurrile Kopfbedeckungen bei dem passionierten Surfer sogar Chancen gehabt. Der war hinter jedem Rock her, warum also nicht hinter dem langen mit Gummibund, den Luise gern trägt? Zum Surf Opening traf Holzbauer stets am Neusiedlersee ein und lebte den ganzen Sommer lang seine beiden Leidenschaften hemmungs- und rücksichtslos aus. Von hier aus ging er dann auch seinen manchmal windigen Versicherungsgeschäften nach. Motive und Verdächtige für einen Mord gibt es daher mehr als Luise und ihrem Assistenten Roman Grümpl lieb sein können. Die Pimpernell, die eher ihrer Intuition als den modernen Ermittlungstechniken traut, glaubt an eine Frauengeschichte. Hoffentlich lockt die Eingebung sie diesmal nicht auf eine falsche Fährte ...

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Ähnliche


Inhalte

Titelangaben

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Rezepte

Danksagung

Evelyne Weissenbach
Tod eines Surfers
Luise Pimpernell ermittelt
Neusiedlersee-Krimi
Prolibris Verlag
Schilfern am See und Guid sind fiktive Orte. Auch die Handlung dieses Romans ist frei erfunden. Ebenso entstammen die Figuren der Phantasie der Autorin. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten,
auch die des auszugsweisen Nachdrucks
und der fotomechanischen Wiedergabe
sowie der Einspeicherung und Verarbeitung
in elektronischen Systemen.
© Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2017
Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29
Titelfoto: © Jenny Sturm, Fotolia
E-Book: Prolibris Verlag
ISBN E-Book: 978-3-95475-163-1
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.
ISBN: 978-3-95475-150-1
www.prolibris-verlag.de
Die Autorin
Evelyne Weissenbach, geboren in Wien, lebt mit ihrem Ehemann, dem Maler Heinz Spicka, seit 2006 im österreichischen Burgenland. Seit Jahrzehnten schreibt und veröffentlicht sie Texte und Bücher zu Themen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Vom Sachbuch bis zur Lyrik. Je nachdem, was sie gerade beschäftigt und wie es sie emotional berührt. Und deshalb eben manchmal sachlich, manchmal poetisch, auch satirisch, experimentell und erotisch.
Ihre neueste Schreiblust gilt dem Regionalkrimi. Land und Leute ihrer neuen Heimat geben ihrem Leben besondere Qualität, und sie möchte etwas davon zurückgeben, indem sie ihren liebevollen Blick darauf in authentische, aber vor allem auch humorvolle Krimis packt.
Mit Luise Pimpernell hat sie eine kauzige Ermittlerin geschaffen. Tod eines Surfers ist der erste Kriminalroman einer Reihe im Prolibris Verlag.
Mehr Informationen gibt es hier:
www.evelyne-weissenbach.at
1
Die Leiche war nackt. Und der Gedanke drängte sich auf, dass der Tote vor seinem Ableben Geschlechtsverkehr hatte. Alles wies darauf hin: der Ort, die Situation, der Duft. Es lag einfach in der Luft.
Oberst Doktor Luise Pimpernell schnüffelte, zog die Stirne kraus, und ihre Augen schlossen sich zur Hälfte, nachdem sie zu dem Leichnam getreten war und während sie ihren Blick auf ihn richtete. Dann schnalzte sie leise mit der Zunge.
Ein leckeres Kerlchen. Ja, das hätte sie unter anderen Umständen wohl sicher gesagt. Der Duft allerdings, musste die Ermittlerin kurz darauf feststellen, stieg vom Amtsarzt auf, der neben dem toten Körper auf dem Boden hockte. Wie immer hatte Doktor Mehlerer, selbst zu dieser Nachtstunde, intensiv Moschus aufgetragen. Wie seine Patienten das aushielten, fragte sich Luise jedes Mal, wenn sie mit ihm zusammentraf. Doch selbstverständlich war dies hier nun nicht Thema. Wie auch nicht das propere Aussehen des leblosen jungen Mannes.
»Doktor, was können Sie zur Todesursache sagen?«, fragte sie, anstatt weiter ihren Gedanken über die beiden Männer freien Lauf zu lassen.
Der Mediziner hob den Kopf und sah sie griesgrämig an. »Nix, Pimpernell, nix, derweil.«
»Reden Sie keinen Unsinn, irgendetwas müssen sogar Sie erkennen.«
Er beugte sich wieder über die Leiche, die schräg vor dem Bett auf dem Boden lag. »Wahrscheinlich Genickbruch«, murmelte er. Er zuckte mit den Schultern und deutete mit dem Kopf auf das zerwühlte Bett. »Sieht aus wie ein Unfall. Aber ...«
»Was aber?«, herrschte ihn die Pimpernell an, als er nicht weitersprach.
»Er scheint einen schweren Schlag in die Weichteile bekommen zu haben.«
Luise beugte sich zum Unterleib des jungen Mannes. Sein Gemächt war von einem dichten, dunklen Haarbüschel umrahmt, aber dennoch sah sie, dass die Haut darunter violett schimmerte. Auch die Hoden erschienen ihr von einer ungewöhnlichen bläulichen Tönung.
»Wie lange ist er tot?«, fragte sie.
Mit genervtem Gesichtsausdruck hob Doktor Mehlerer den Kopf. Luise schnitt ihm eine Grimasse, und er antwortete: »Noch nicht allzu lange. Nicht länger als drei Stunden würde ich sagen. Eher kürzer. Genauer gehts jetzt nicht.«
Die Chefermittlerin drehte sich um. »Wer hat die Leiche gefunden?« Als sie keine Antwort erhielt, erhob sie ihre Stimme und ließ einen markerschütternden Schrei los. »Grümpl!«
In der nächsten Sekunde wieselte ein graues Männchen um die Ecke. »Luise?«, dröhnte es mit tiefem Bass, den niemand in diesem winzigen Wesen vermutet hätte.
»Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte sie noch einmal.
»Der Lois.«
»Wo ist er?«
»Vorne in der Küche.«
Mit langen Schritten und wehenden Röcken verließ die Pimpernell das Zimmer. »Nichts verändern!«, bellte sie noch zurück.
Durch die Hofgasse der ehemaligen Halbwirtschaft eilte sie in den vorderen Teil des rechten Streckhofes, in dem der Eingang zum Wohnbereich des Weinbauern lag.
Lois und Margret Ludwieg saßen an dem großen Ecktisch in ihrer Wohnküche. Der Mann schüttelte permanent den Kopf wie die Wackeldackel, die so manch einer an der Heckscheibe seines Autos sitzen hatte. Margret knüllte ein Taschentuch in ihren Händen, das sie immer wieder an ihre rotverweinten Augen führte. Sie trug einen gelb-weiß-gestreiften Bademantel.
Als Luise eintrat, sprang sie sofort auf. »Willst du was? Einen Kaffee, oder …?«, stieß sie heraus.
»Oh ja, ein Kaffee wär nicht schlecht«, seufzte die Ermittlerin. Man hatte sie um halb drei Uhr in der Nacht aus dem Bett geholt und ihr die Leiche des jungen Mannes auf nüchternen Magen serviert.
»Das war wohl euer Feriengast? Wie hieß er?«, wandte sie sich an den Lois, während seine Frau mit zitternden Händen an der Kaffeemaschine hantierte.
»Ja, der Clemens. Clemens Holzbauer. Er kommt jedes Jahr.«
»Schon ein paar Jahre, gell. Ich kenn den vom Sehen.«
»Das dritte Jahr. Er kommt immer zum Surf Opening und mietet die Wohnung bis Ende September.«
»Musste er nicht arbeiten? Was sind das für Jobs, wo man fünf Monate Urlaub machen kann?«
»Er ist nicht dauernd da, sondern kommt meistens am Donnerstagabend und fährt Montag in der Früh wieder nach Wien zurück. Aber wir haben mit ihm einen Preis für die Saison ausgemacht. Und das wars ihm wert. Er hat seine Surfsachen alle hier gelagert und auch sonst ...«
Scheppernd stellte Margret das Kaffehäferl vor Luise hin. Dann setzte sie sich wieder auf die Eckbank. Ganz aufrecht saß sie da und nestelte weiter an ihrem Taschentuch herum. An dem Gespräch hatte sie sich bisher mit keinem einzigen Wort beteiligt.
»Hast ein bissl Zucker für mich?«, bat Luise.
Wieder sprang die Frau hektisch auf und lief zum Küchenkastl. »Entschuldige bitte!«, nuschelte sie, und es stiegen ihr Tränen in die Augen.
»Das nimmt dich ganz schön her«, konstatierte die Pimpernell.
»Wir kennen ihn schon so lange«, schluchzte die Bäuerin. »So ein junger Mensch ...«
»Na, so viel jünger als du war er auch nicht, oder? Wie alt war er denn?«
Irritiert wackelte Frau Ludwieg mit dem Kopf. »Aber ...« Sie verstummte und kam mit der Zuckerdose in der zitternden Hand zurück zum Tisch.
»Na, ihr habt sicher einen Meldezettel ausgefüllt. Da werdet ihr doch wissen, wie alt er war.«
»Ich glaub, dreiunddreißig, aber ich müsste nachschauen«, nahm der Ehemann seiner Frau die Antwort ab.
»Also, was ist passiert?«, wandte sich Luise Pimpernell wieder an ihn.
»Ich war im Jagdverein. Und als ich nach Hause kam, sah ich, dass noch Licht beim Clemens brannte und die Tür offen stand. Ich dachte, ich schau noch einen Sprung bei ihm vorbei. Wir haben ja öfter mal ein Glasl miteinander getrunken.«
»Wie spät war es da?«
»Ungefähr halb zwei, tät ich sagen.«
»So lang warts ihr im Wirtshaus?«
»Ja, das dauert immer so lang. Ein paar sind sogar noch geblieben.«
»Und was war dann?«
»Nix. Der lag da vor seinem Bett und rührte sich nicht. Dann hab ich die Polizei angerufen.«
»Bist hineingegangen?«
»Ja natürlich. Ich hab gschaut, ob er noch lebt.«
»Hast ihn angegriffen auch?«
»Nein, ich hab gleich gesehen, dass er tot ist.«
»Sonst hast auch nichts angerührt?«
»Nein, ich bin nach vorn gelaufen und hab meine Frau aufgeweckt.«
»Du hast also geschlafen und nix bemerkt, Margret?«
»Ja … oh … nein.« Die Angesprochene begann, noch stärker zu zittern. Wieder traten der Frau die Tränen in die Augen.
»Wer war noch im Haus?«
»Die Kinder. Und meine Mutter«, nahm der Lois seiner Frau erneut die Antwort kurzerhand ab.
»Wo sind sie?«
»Die schlafen.«
»Alle? Die Mutter auch?«
»Ja, du kennst ja die Mama. Außerdem nimmt sie ein Schlafpulver. Und um unsere Kinder aufzuwecken, da muss es schon anders hergehen.«
»Wisst ihr, ob heute Abend jemand bei ihm war?«
»Gesehen habe ich niemanden. Aber irgendwie hats so ausgeschaut, oder?«
»Hat er eine Freundin, die manchmal mitkam?«
»Voriges Jahr hat er keine gehabt. Und diesmal ist er ja erst eine Woche da, und da war auch niemand.«
»Schleppte er Mädels ab?«
»Kind von Traurigkeit war er keines. Und beim Opening, da kanns schon ganz schön zugehen.«
»Also hat er hin und wieder wen mitgebracht. Auch One-night-stands?«
»Ich glaub schon.«
Luise Pimpernell trank ihren Kaffee aus und stand auf.
»Was ist jetzt?«, fragte der Bauer.
»Ja, was soll sein? Wir nehmen ihn mit, schicken ihn nach Wien in die Rechtsmedizin und versiegeln das Zimmer. In den nächsten Tagen werden wir uns noch ein bissl umschauen, ob es was Verdächtiges gibt. Aber es könnte auch ein Unfall sein.«
Lois riss die Augen auf. »Was heißt denn das? Ihr glaubt nicht, dass es ein Unfall war?«
Margret begann stoßweise zu schluchzen.
»Keine Ahnung«, antwortete Luise. »Deshalb machen wir das ja so.« An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Kennt ihr irgendjemanden, mit dem er befreundet war?«
»Die meisten waren auch Feriengäste, die wir nur vom Sehen kannten, aber mit dem Littler René ist er öfter mal herumgezogen«, gab der Bauer an.
»Und du? Bist du auch manchmal mitgezogen?«
»Nein, wir haben uns nur hier das eine oder andere Mal ein bissl zusammengesetzt. Draußen in der Laube oder manchmal im Keller.«
»Danke für den Kaffee. Jetzt schauts, dass ihr euch beruhigt. Ich komm morgen wieder«, verabschiedete sich die Pimpernell und verließ die Küche und das Ehepaar.
2
Nachdenklich ging Luise Pimpernell durch den Hof zurück zur Ferienwohnung. Irgendetwas nagte an ihr. Aber sie konnte den Finger nicht auf den Punkt legen, was es sein könnte.
Die mussten ganz schön viel Geld in die Hand genommen haben, um den Hof so auszubauen, dachte sie. Die langgestreckten Gebäude der ehemaligen Halbwirtschaft, die beidseitig den schmalen Hof säumten, waren sauber und ordentlich verputzt, die Mauern viel zu gerade, als dass sie dem ursprünglichen Bauwerk entsprechen konnten. Der Boden war mit Natursteinplatten ausgelegt, zwischen denen nicht ein Hälmchen Unkraut zu sehen war. Kübelpflanzen und Blumenkästen schufen ein nahezu mediterran anmutendes Erscheinungsbild.
Auf der rechten Seite lag der Wohnbereich der Familie. Hier war, wie fast überall bei diesen Höfen, im vorderen Teil aufgestockt worden. Auf der linken Seite war unmittelbar nach der Einfahrt Platz für einen kleinen Gartenbereich geschaffen worden, indem man einige Räumlichkeiten abgerissen hatte, die wie bei allen Gehöften dieser Art direkt durch den Hof begehbar gewesen waren. Unmittelbar daran grenzte eine überdachte Laube mit einem großen Holztisch und den dazugehörigen Bänken und Sesseln. Das Laubengerüst war dicht bewachsen. Noch blühten die Rosen nicht, aber es musste im Sommer wirklich sehr schön aussehen hier. Anschließend duckte sich ein niedriges Gebäude an die Feuermauer des Nachbarhauses, die von einem Kletterwerk mit wildem Wein überwuchert war und die gesamte linke Seite abschloss. Sämtliche Türen und Fenster gingen zum Hof.
Am Ende der Liegenschaft schloss ein Wirtschaftsgebäude, das über die gesamte Breite ging, das Anwesen ab. Dort waren früher die Ställe gewesen. Heute dienten sie meistens als Garagen für Autos und Arbeitsmaschinen. Die Tore an diesen Rückseiten führten in Gassen, die »Hintaus« genannt wurden. Gegenüber lagen die Wirtschaftsgebäude der Höfe, die vorderseitig wieder in eine Adresse gebende Straße mit Blumenrabatten und Bäumen mündeten. Hintaus gab es keine Namen für die Gassen, keine Gehsteige, oft nicht einmal Asphaltfahrbahnen und keine Straßenbeleuchtung.
Parallel zur Hauptstraße stiegen fünf solcher Gassenensembles aus adretten Vorderseiten mit Straßennamen und Hausnummern und namenlosen Hintaus-Zeilen einen flachen Hang hinauf, und bildeten den ältesten Teil von Schilfern am See, der originellerweise den Namen Neuhaus trug. Die letzte Hintaus-Zeile grenzte an den Weinberg, der auf die Parndorfer Platte führte, das weitläufige ebene Weinbaugebiet, mit den für diesen Bereich bereits typisch gewordenen Windenergierädern.
In Neuhaus hatten die Familien ihre Höfe, die seit Generationen im Ort ansässig waren. Durch neue Siedler war Schilfern in den letzten Jahren auf rund zweitausend Seelen angewachsen. Sie bauten in anderen Gebieten des Ortes moderne Einfamilienhäuser, am liebsten näher zum See hin. Auch die Dorfjugend zog Neubauten vor. Viele lebten übergangsweise in Wohnungen der Genossenschaften, bevor sie sich an den Bau eines Eigenheims machten. Die alten Gehöfte waren ihnen für die Bewohnung zu umständlich und die Restaurierung oft kostenintensiver als der Bau eines neuen Hauses.
Die Ludwiegs, die nicht nur diesen alten Hof von Lois’ Eltern übernommen hatten, sondern auch den Weinbaubetrieb weiterführten, hatten hier also viel Geld investiert. Wie die meisten, die diesen Weg eingeschlagen hatten, wollten sie nun mit der Vermietung einer Ferienwohnung einen Teil der Kosten für den Unterhalt und die Kreditraten hereinholen.
Vor der offenen Tür der Gästewohnung wartete Kriminalabteilungsinspektor Roman Grümpl mit zwei uniformierten Kollegen. Als ihre Vorgesetzte näherkam, schnitt er den beiden das Wort ab. Der junge Uniformierte, der Luise zum ersten Mal begegnet war, hatte sich über das Erscheinungsbild der hochrangigen Ermittlerin in den Fünfzigern sehr gewundert und sich darüber mit seinen Kollegen ausgetauscht.
Ziemlich groß, und auch einigermaßen übergewichtig, war Luise wie immer höchst eigenwillig gekleidet. Sie trug einen weiten Rock mit Gummibund, der fast bis zu den Knöcheln reichte, und darunter blitzten ihre geliebten Haferlschuhe hervor, die ihrer Gangart die Bezeichnung »Dragoner« eingebracht hatten. Ihre Weste schien selbstgestrickt (was auch stimmte, weil sie sich beim Stricken am besten entspannen konnte) und war schief zugeknöpft.
Das runde Gesicht leuchtete rosig. Seine Falten zeugten davon, dass sie gerne lachte. Jetzt allerdings gab ihr der nachdenklich gespitzte Mund unter der markanten Nase und das Stirnrunzeln über den sehr scharfsichtig blickenden Augen in warmem Mittelgrau ein Aussehen, als wäre es besser, ihr nicht gar zu dumm daherzukommen. Der Ausdruck wurde noch verstärkt, weil sie ihr energisches Kinn mit dem kleinen Grübchen in der Mitte resolut aus dem Ansatz ihres Doppelkinns herausreckte.
Schräg über die Brust lief der Riemen einer alten bockigen Schweinsleder-Schultasche mit Schnappschloss, die sie auf den Rücken geschoben trug. Das alles wurde von einem abgewetzten Jägerhut gekrönt.
»Rennt die immer so um«, hatte der unwissende Beamte verstört gefragt.
»Ja, so ähnlich«, musste Grümpl bestätigen, wobei ihm klar wurde, dass ihm das gar nicht mehr auffiel. »Und niemand hat Luise je ohne Hut gesehen.«
»Vielleicht hat sie ja keine Haare mehr, außer denen auf ihren Zähnen«, mutmaßte der zweite Uniformierte sarkastisch.
Der junge Kollege schaute der Frau Oberst fasziniert entgegen.
»Ist der Doktor noch da?«, rief sie, als sie nur mehr ein paar Schritte entfernt war.
»Nein, er ist schon weg. Er meinte, er muss morgens früh raus und die Todesursache ist mit Sicherheit Genickbruch. Für alles andere wäre er eh nicht zuständig. Hier ist der Totenschein.«
»Nicht umsonst mein Lieblingsamtsarzt in dieser Gegend«, grummelte sie und zog ihr Handy aus der Jackentasche.
»Ich brauch die Spusi in Schilfern, Weinhofgasse 8«, bellte sie hinein. »Kleine Gruppe. Und einen Leichentransport in die Rechtsmedizin. Außerdem komme ich heute früh nicht ins Büro. Ich hab hier einiges vor Ort zu tun.«
»Du glaubst nicht an einen Unfall?«, fragte Roman Grümpl.
»Zumindest nicht an einen, an dem nur er beteiligt war. Allein die blauen Gogerln … Und wie bitte hätte der Tote denn die Tür nach seinem Sturz aufmachen sollen? Oder glaubst du, dass der mitten in der Nacht allein pudelnackert bei offener Tür herumrennt? Noch dazu, wo es heute ja nicht wirklich warm ist.«
Grümpl seufzte. Sie hatten also einen neuen Fall. Sein Wochenende würde wohl ins Wasser fallen und in den nächsten Tagen einiges von seinen Tagesgeschäften im Wachzimmer Neusiedl liegen bleiben. Trotzdem arbeitete er nicht ungern mit der Kollegin aus dem LKA Eisenstadt zusammen. Es würde sicher spannend sein, wieder einmal jenseits von Garageneinbrüchen und Handyklauereien zu ermitteln.
Er kannte sie schon seit seiner Kindheit, und wenn sie auch oft kurz angebunden war und einen schrulligen Eindruck machte, so war sie kompetent, instinktsicher und vor allem höchst loyal, was er als hohe Tugend ansah. Er stieß sich deshalb nicht an ihrer schroffen Art, und hin und wieder tranken sie privat das ein oder andere Glas miteinander. Aber auch dabei hatte die Pimpernell noch nie den Hut abgenommen.
Sie zog ihre Tasche auf den Bauch und kramte ein paar Handschuhe daraus hervor. Grümpl hatte seine bereits übergestreift und wartete, bis Luise die Tasche wieder auf dem Rücken positioniert hatte, um ihr den Vortritt zu lassen.
In diesem Augenblick öffnete sich das Hoftor und mit hastigen, aber etwas unsicheren Schritten kam Bürgermeister Rudi Weisz über den Gartenweg. »Was ist passiert?«, kam es ein wenig undeutlich aus seinem Mund.
»Was machst denn du hier mitten in der Nacht?«, wurde er von Luise begrüßt.
»Na, wenn was passiert, dann-n hat mich das wo-wohl zu interessieren. Was ist mit dem-m Clemens?«
»Aber wieso weißt du …?«
Dann hellte sich ihr Gesicht auf. Natürlich war der Bürgermeister auch Jäger, höchstwahrscheinlich hatte ihn der Lois angerufen, nachdem er sich ja erst vor Kurzem von seinem Kumpan getrennt hatte.
»Ich kann dir noch nichts sagen. Wie es aussieht, ist der Feriengast gegen die Bettkante gestürzt.«
»Aber wieso komm-mmt er dann in die Rechts-m-medizin?«
Nachtigall, ick hör dir trapsen, dachte Luise. Das konnte er nur von Lois Ludwieg erfahren haben.
»Weil ich klären will, ob es wirklich ein Unfall war, und wenn ja, ob einer ohne Fremdverschulden.«
»Gibts da-da Zweifel? Mein Gott, das würde unserem-m Ort doch e-enormen Schaden zufügen, jetzt vor der S-saion. Also da s-sollte man nix Unnötiges veranlassen-n!«
»Rudi bitte, du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mit dir darüber diskutieren werde.«
»A-aber ich bin …«
»Ja, ja, ja, ist schon gut, du wirst schon rechtzeitig alles erfahren. Geh nach vorn, die Margret soll dir einen Kaffee machen. Du hast eine ordentliche Fahne, mein Lieber.«
»Also gemmas an«, forderte sie Roman Grümpl auf, ließ den Bürgermeister stehen und betrat erneut das Gästezimmer.
Der Raum war groß, aber niedrig. Es gab keinen Vorraum, jedoch war ungefähr in der Hälfte ein halbhoher Schrank als Raumteiler mit ein paar Grünpflanzen aufgestellt. Dahinter befand sich der Schlafbereich mit dem breiten Doppelbett.
In der Mitte der linken Wand führte eine Tür zu Bad und Klo, auf der gegenüber liegenden Seite ging es durch einen weiteren Durchlass in einen zweiten Schlafraum – wie das bei diesen Streckhofgebäuden üblich war, wo ein Raum in den anderen überging. Da solche Ferienwohnungen für Familien angelegt wurden, war dieser üblicherweise als Kinderzimmer geplant. Clemens Holzbauer hatte ihn als Abstellkammer für seine Sportausrüstungen benutzt.
Im vorderen Teil des Raumes war der Wohnbereich untergebracht, mit Sitzgruppe, Fernseher und einem kleinen Schreibtisch in der Ecke. Darauf registrierte Luise einen Laptop und ein iPhone. Einige Papiere lagen auch herum. Auf dem Couchtisch standen eine geöffnete Flasche Grüner Veltliner aus dem Hause Ludwieg und drei benutzte Gläser.
Luise Pimpernell ging zu dem Toten, schaute konzentriert auf ihn hinunter und versuchte, ihrer inneren Wahrnehmung nachzuspüren. Er lag schräg vor dem Bett auf dem Rücken, der Kopf etwas erhöht am Bettpfosten, beinahe wie angelehnt. Die Beine hatte er von sich gestreckt, unter den Füßen schob sich ein Fleckerlteppich zusammen. Es sah aus, als wäre er ausgerutscht, als er aus dem Bett gestiegen war.
Aber ganz stimmig schien ihr das nicht. Warum hätte er seitlich wegrutschen sollen? Und wenn, dann würde er wohl nicht derart auf dem Rücken liegen. Sie wechselte ein paarmal die Perspektive und versuchte nachzuvollziehen, wie er gefallen sein könnte. Folgte der Richtung, in die seine Beine zeigten. Dort befand sich eine hohe Kommode, auf der alles Mögliche abgelegt war. Auch zwei Kerzenhalter standen da, die Stabkerzen allerdings lagen irgendwo auf dem Kastel, und die Oberfläche war mit Wachsflecken bekleckert.
Das Doppelbett war sichtbar benutzt, aber nicht extrem aufgewühlt. Ein Wilder dürfte er nicht gewesen sein, der Herr Holzbauer.
Plötzlich stach Luise etwas in die Augen. Unter der Hüfte der Leiche schimmerte es hell. Sie machte schnell ein Foto mit ihrem Handy und zog dann vorsichtig an dem Fundstück. Ein kleines seltsam verschrumpeltes Gästehandtuch kam zum Vorschein, und darin eingeschlagen befand sich ein gebrauchtes Kondom.
»Ein Tschurifetzen!«, rief sie glücklich. »Da könnten wir die DNA der Dame drauf finden«.
»Die wird wohl auch im Bett sein und auf dem Weinglas da vorne ebenso«, warf Grümpl ein.
»Es sind drei Gläser! Er muss ja nicht mit zwei …«
»Aber er könnte«, konstatierte der kleine graue Mann.
»Was du für eine Fantasie hast«, neckte ihn die Kollegin. »Doch … mit nur einem Präserl?«
»Luise, bitte! Ich werde dir doch die verschiedensten Konstellationen hier jetzt nicht erklären müssen«, gab der Kollege grinsend noch einmal Kontra.
»Dafür sieht das Bett zu wenig unordentlich aus, oder?«
»Muss ja nicht im Bett gewesen sein«, grummelte der Inspektor noch, und Luise sah plötzlich sehr konzentriert aus.
Es entstand Unruhe an der Eingangstür, die Kollegen der Spurensicherung waren eingetroffen.
»Machts mir als Erstes den Computer und das Handy, ich will die mitnehmen«, lautete die Anweisung der Chefin.
Sie selbst suchte in den herumliegenden Kleidungsstücken, ob sie einen Ausweis finden konnte. Als ihr ein Autoschlüssel in die Finger fiel, trabte sie durch den Hof auf die Straße hinaus, um zu sehen, welches Fahrzeug damit zu öffnen war.
Der Schlüssel piepste bei einem knallroten 3er-BMW, der genau vor der Tür stand. Aber auch so wäre er leicht zu erkennen gewesen, hatte er doch eine riesige Box für die Surfbretter auf dem Dach.
Nach einem kurzen oberflächlichen Blick hinein, der auf keine Besonderheiten hinwies, notierte sie das Kennzeichen auf ihrem kleinen karierten Block, den sie immer in einer ihrer Westentaschen trug, und trabte wieder zurück.
Als sie bei der Tür zum Wohnbereich vorbeikam, öffnete sich diese und der Bürgermeister trat heraus.
»Was …«, dröhnte er los, aber Luise schnitt ihm sofort das Wort ab.
»Du kannst hier gar nichts machen, Rudi. Geh nach Hause. Die Kollegen vom LKA werden jetzt einmal alles sichern. Der Leichenwagen wird auch gleich da sein. Ich melde mich morgen bei dir.«
»Aber …«, versuchte er einzuwenden.
»Was!«, fuhr ihn jetzt die Pimpernell an. Es war keine Frage, sondern ein Statement.
Verärgert wandte sich der nach seinem Gefühl so wichtige Amtsträger zum Eingangstor hin.
»Ah, da fällt mir ein. Du warst ja auch im Jagdverein, nicht? Weißt du, wie spät es war, als der Lois weggegangen ist?«
Rudi Weisz traten beinahe die Augen aus den Höhlen. »Du verdächtigst doch nicht womöglich den Lois«, begann er sich aufzuregen.
»Ich verdächtige im Moment gar niemanden, aber ich werde wohl ein paar Alibis überprüfen müssen, wenn sich herausstellt, dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und jetzt müsstest dich noch einigermaßen genau erinnern können. Ist ja noch nicht so lang her«
Obwohl, wenn sie daran dachte, wie er angekommen war – ob auf seine Aussage wirklich so viel Verlass sein konnte, schien ihr etwas fragwürdig. Immerhin artikulierte er sich wieder klarer. Margrets Kaffee schien da geholfen zu haben. Aber morgen hätte er es vielleicht überhaupt vergessen.
»Es war auf jeden Fall nach eins, weil um eins habe ich auf die Uhr geschaut.«
»Warum?«
»Was heißt, warum? Ich hab halt auf die Uhr geschaut und kann mich daran erinnern. Ich tät sagen, es müsste so halb zwei gewesen sein, als er sich auf den Weg gemacht hat. Er war der Erste, der gegangen ist.«
»War er allein? Und war er immer einer der Ersten?«
»Nein, eigentlich nicht. Und ja, er ist allein gegangen.«
»Hat er einen Anruf gekriegt oder so was?«
»Jetzt hör endlich auf! Nix war, und der Lois hat sicher keinen umgebracht!«
»Ist ja gut. Beruhig dich wieder. Schlaf gut.« Luise notierte sich die Angabe des Bürgermeisters und kehrte zur Ferienwohnung zurück.
Die Spurensicherung hatte in der Zwischenzeit alles fotografiert und war bereits dabei, im Detail zu arbeiten. Die Ermittlerin blätterte die Papiere auf dem Schreibtisch oberflächlich durch, notierte sich die Wiener Adresse von Clemens Holzbauer, die sie darauf fand, nahm dann den Laptop und das iPhone und steckte die beiden in ein Sackerl, das sie sich von den Kollegen geben ließ.
»Die nehm ich jetzt mit«, erklärte sie, und keiner widersprach.
Erneut entstand Unruhe an der Tür, diesmal war der Leichenwagen gekommen. Der Tote wurde in einen Blechsarg gehievt, und Luise wandte sich an Grümpl.
»Für uns beide ist wohl hier nichts mehr zu tun jetzt. Der Gradinger soll die Wohnung sichern, wenn die Spusi abgezogen ist. Ich geh. Und du kannst auch gehen. Wir treffen uns in der Früh am Posten. Gute Nacht!«
»Guten Morgen«, antwortete der Abteilungsinspektor sarkastisch und machte sich auf die Suche nach seinem uniformierten Kollegen, um ihn von seiner ehrenvollen Aufgabe in Kenntnis zu setzen.
3
Langsam wanderte Luise durch die noch dunklen Gassen nach Hause. Sie bewohnte in der übernächsten Quergasse ebenfalls einen alten Streckhof, dessen Hintaus direkt an den Weinberg grenzte.
Nein, das war kein Unfall. Auf jeden Fall keiner ohne Fremdbeteiligung. Da war sie ganz sicher.
Sie spürte dem Eindruck nach, den der Tote und die ganze Szenerie in ihrem Inneren hinterlassen hatte. Der Typ, der vor ihrem geistigen Augen erstand, war ihr nicht sympathisch. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, aber irgendetwas an der Situation berührte einen Punkt in ihr, aus dem Antipathie gegenüber dem Mann aufstieg.
Nun gut, er musste ihr ja auch nicht sympathisch sein. Wie sagte ihre Freundin Lena immer? Auch Arschlöcher muss man lieben können. Sie musste ihn zwar nicht lieben, doch ihre Arbeit basierte auf dem Grundsatz: Auch Arschlöcher darf man nicht töten. Außerdem, würde man alle Unsympathler umbringen, wäre die Welt wohl sehr dünn besiedelt.
Vielleicht lag ihre Antipathie ja nur an dem, was er offensichtlich verkörperte. Wobei sie sagen musste, das Körperl war nicht von schlechten Eltern gewesen. Sie spitzte die Lippen und grinste breit.
Wieder einmal musste sie sich eingestehen, dass sie mit der modernen Lebensart einfach nicht gut zurechtkam. Dieses konsumlastige, Kommunikation vortäuschende, unaufrichtige Getue, davon distanzierte sich ihr Innenleben sofort. Clemens Holzbauer schien ihr ein Vorzeigeexemplar dieser Klientel gewesen zu sein.
Sie sperrte das Hoftor auf und betrat ihre eigene Welt. Sofort entspannte sie sich.
Ihr altes Gehöft war nicht so schick wie das der Ludwiegs, aber sie selbst war es ja ebenfalls nicht. Vor allem legte sie darauf keinen Wert.
Ihre Liegenschaft war ein einseitiger Streckhof. Die aufgefädelten Räume lagen links, und die buckligen Wände waren weitläufig mit Efeu bedeckt. Auch der Weg, der am Gebäude entlangführte, war uneben, gepflastert mit verschieden großen, unbearbeiteten Steinen. Dazwischen grünte es wild hervor.