Inhalte
Titelangaben
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Epilog
Rezepte
Info
Evelyne Weissenbach
Tod eines Weinbauern
Luise Pimpernells zweiter Fall
Neusiedlersee-Krimi
Prolibris Verlag
Schilfern am See und Guid sind fiktive Orte. Auch die Handlung dieses Romans ist
frei erfunden. Ebenso entstammen die Figuren der Phantasie der Autorin. Darum
sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten,
auch die des auszugsweisen Nachdrucks
und der fotomechanischen Wiedergabe
sowie der Einspeicherung und Verarbeitung
in elektronischen Systemen.
© Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2018
Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29
Titelfoto: © Linleo, Fotolia.com
Pimpernell-Logo: © Evelyne Weissenbach
Ilustrationen im Inhalt: © Angie Marie Schilling, Kassel
Schriften: Linux Libertine;
B de bonita by deFharo 1001fonts.com
E-Book: Prolibris Verlag
ISBN E-Book: 978-3-95475-191-4
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.
ISBN: 978-3-95475-173-0
www.prolibris-verlag.de
Die Autorin
Evelyne Weissenbach, geboren in Wien, lebt mit ihrem Ehemann, dem Maler Heinz
Spicka, seit 2006 im österreichischen Burgenland. Seit Jahrzehnten schreibt und veröffentlicht sie Texte und Bücher zu Themen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Vom Sachbuch bis zur Lyrik. Je nachdem, was sie gerade beschäftigt und wie es sie emotional berührt. Und deshalb eben manchmal sachlich, manchmal poetisch, auch satirisch,
experimentell und erotisch.
Ihre neueste Schreiblust gilt dem Regionalkrimi. Land und Leute ihrer neuen
Heimat geben ihrem Leben besondere Qualität, und sie möchte etwas davon zurückgeben, indem sie ihren liebevollen Blick darauf in authentische, aber vor
allem auch humorvolle Krimis packt.
Mit Luise Pimpernell hat sie eine kauzige Ermittlerin geschaffen. "Tod eines
Surfers" ist der erste Kriminalroman einer Reihe im Prolibris Verlag. Nun folgt
mit "Tod eines Weinbauern" der zweite Band.
Mehr Informationen gibt es hier:
www.evelyne-weissenbach.at
www.luise-pimpernell.at
Glossar
Dieses Buch ist nicht im Dialekt geschrieben, aber es gibt doch einige Ausdrücke darin, die erkennen lassen (sollen), dass die Autorin Österreicherin ist und am Neusiedlersee lebt. Für diejenigen, die nicht dort zu Hause sind, haben wir einige Wörter in diesem Glossar zusammengestellt.
derrisch - - - taub
eingebeiztes Kraut - - - mariniertes Kraut
enterisch - - - unheimlich, gruselig
Glumpert - - - Ramsch, Trödel, Gerümpel
Grammelpogatscherl - - - Gebäck mit Grieben
Grammelschmalz - - - ausgelassenes Griebenfett
Gschrapperl - - - kleines Kind
Gstettn - - - Müllhalde, unordentliches Grundstück
ein Häferl sein - - - jähzornig, unberechenbar sein
Hansl - - - abwertend für Mann
hantig - - - unfreundlich
hatschen - - - mühsames Gehen, schlendern
Hintaus - - - Rückseite von Grundstücken
(einen) hucken haben - - - einen an der Waffel haben
Krapferl - - - Gebäck, Kekse
Krumpern - - - Kartoffel
Krumpernsterz - - - Erdäpfelsterz
kudern - - - kichern
Kuruzzen - - - ungarische Aufständische
linden - - - Mehl ohne Fett erhitzen
matchen - - - kämpfen, streiten
Packerl - - - kleines Paket
Paradeissuppe - - - Tomatensuppe
Rein - - - Kochgeschirr
Riede - - - Nutzfläche in den Weinbergen
schiarch, der Schiarch - - - hässlich, Grusel
stanzen - - - wegschicken
Stefanitag - - - 2. Weihnachtsfeiertag
Stehachterl - - - kleines Glas Wein im Stehen getrunken
Sterz - - - bröckelige Speise aus Mehl, Erdäpfeln, Wasser und Fett
Sympathler - - - sympathischer Mensch
Tappschädel - - - dummer Mensch
Tschecheranten - - - Trinker
verkutzen - - - verschlucken
wacheln - - - wedeln
Wadeln - - - Waden
Wickeln haben - - - Streit haben
zwieder - - - lästig
Prolog
So etwas waren die Bewohner von Schilfern am Neusiedlersee nicht gewöhnt. Einen derartigen Dezember hatten sie hier schon jahrzehntelang nicht
erlebt. Eigentlich war es ein sehr mildes Klima, das pannonische, eher
mediterran und deshalb waren die meisten nicht entsprechend ausgerüstet.
Besonders schwierig war es für die Alten. Die großen Supermärkte lagen außerhalb des Ortes, blieben für sie nun unerreichbar. Ebenso der Arzt. Und der kam mit seinen Hausbesuchen gar
nicht nach. Die Nachbarschaftshilfe funktionierte schon lange nicht mehr wie früher. Selbst in diesem Zweitausend-Seelen-Dorf kannte man manchmal nicht einmal
die Menschen nebenan. Viele waren zugezogen, hatten moderne Häuser gebaut und kümmerten sich nur um ihre eigenen Belange.
In den letzten Tagen hatte es über einen halben Meter Schnee gegeben und dazu noch Sturm. Die Wechten waren
teilweise meterhoch. Die Freiwillige Feuerwehr musste manche Tore
freischaufeln, weil sie komplett zugeweht waren und die Menschen sonst nicht
aus ihren Häusern gekommen wären. Die Schneeräumung überforderte die Gemeindeverwaltung heillos, Straßen und Gehwege blieben ungeräumt.
Auch für Luise Pimpernell war diese Zeit beschwerlich. Die Leiterin der Abteilung für Verbrechen gegen Leib und Leben am LKA musste jeden Tag an die dreißig Kilometer nach Eisenstadt in ihr Büro fahren und die Straßen waren teilweise beinahe unpassierbar.
Überdies war das Schneeschaufeln nicht die große Leidenschaft der Chefermittlerin, und da sie alleine auf ihrem Hof lebte, nahm
ihr nur selten jemand diese Arbeit ab. Manchmal erbarmte sich einer ihrer
geliebten Neffen, aber die hatten natürlich selbst vollauf damit zu tun, ihre Familien heil durch diese Zeit zu
bringen. Muskelkater, Schulterschmerzen und Kreuzweh begleiteten deshalb ihren
Alltag.
Als es endlich zu schneien aufhörte und der Sturm sich beruhigte, atmete sie, wie auch alle anderen, erleichtert
auf. Der Wetterbericht versprach für die nächsten Tage einen Wärmeeinbruch, was zwar die Einkäufe für die Feiertage sicherte, aber jetzt wiederum viele Leute darum bangen ließ, dass es heuer erneut keine weiße Weihnachten geben würde.
Tja, wie heißt es so schön – allen Menschen Recht getan …
1
Es war um die Mittagszeit. Oberst Doktor Luise Pimpernell wollte eben mit ihrer
Büroassistentin Biggie Lantsch, wegen ihrer Quirligkeit von allen liebevoll
Springmaus genannt, in die Kantine gehen und sich über die ideenlosen Menüs ärgern, die dort angeboten wurden. Da kam der Anruf.
Toter im Weinberg in Schilfern, ihrem Geburts- und Wohnort.
»Na, der hätte auch im großen Schnee hereinkommen können«, kommentierte sie trocken. »Da wirst wieder ein paar Tage allein essen, Süße.«
Wenn ein Verbrechen im Bereich ihrer Bezirkshauptstadt begangen wurde, richtete
sich die Pimpernell für die Dauer der Ermittlungen gerne bei Abteilungsinspektor Roman Grümpl ein, mit dem sie in diesen Fällen zusammenarbeitete. Das Kriminaldienstbüro des Polizeipostenkommandos Neusiedl am See lag nur wenige Kilometer von ihrem
Zuhause entfernt.
»Ach, Chefin, Sie werden mich sicher mit genügend Arbeit versorgen, damit mir nicht fad wird. Toten haben wir eh schon länger keinen mehr gehabt. Vielleicht wirds spannend.«
»Biggie!«, tadelte die Frau Oberst halbherzig. Denn auch sie hatte einen Hang zum
morbiden Humor.
Als sie im Weinberg eintraf, wurde ihr der Weg von einem uniformierten
Polizisten verstellt, der sie offensichtlich nicht kannte und den
offensichtlich niemand vorgewarnt hatte. Er hatte ihr entgeistert
entgegengesehen, als sie mit dem für sie charakteristischen festen Dragonerschritt auf ihn zukam.
Luise Pimpernell war eine eigenwillige Erscheinung.
Mitte fünfzig und einigermaßen übergewichtig trug sie sommers wie winters knöchellange Röcke. Der heutige war aus tweedähnlichem Material und einem Muster aus Karos in Rost- und Beigetönen. Gute zwanzig Zentimeter lugte er unter einem weiten Hubertusmantel hervor.
Ein selbstgestrickter Schal in vielerlei Farben war zweifach um ihren Hals
gewickelt und die Enden hingen bis zum Mantelsaum. Zumindest eines, das andere
war etwas kürzer. Nicht sehen konnte der junge Mann, dass die Frau unter ihrem Überzieher eine ebenfalls von ihr angefertigte hüftlange Weste in vorherrschend Blau und Grün trug, die meistens schief zugeknöpft war, so auch heute. Quer über die Brust verlief der Riemen einer altmodischen Schweinsleder-Schultasche,
die sie auf den Rücken geschoben hatte.
Das Prunkstück jedoch war eine in sattem Violett gestrickte sogenannte Russenhaube in
Topfform, mit vorne aufgedrehter Krempe und Ohrenschützern in Weinrot, die unter dem Gesicht zusammengebunden waren. Wenn sie einen
Raum betrat, klappte sie die Seitenteile einfach hoch und band sie über dem Kopf zusammen. Denn seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten, hatte niemand
mehr Luise Pimpernell ohne Hut gesehen. Im Winter ersetzte sie diesen bei Kälteeinbruch durch selbst angefertigte Mützen.
Bevor Luise noch antworten konnte, kam Inspektor Grümpl auf sie zugelaufen. Er winkte dem Uniformierten zu und nahm dann Luises Arm,
um sie ein Stück zur Seite zu führen. Sie blickte das von Kopf bis zu den Füßen graue Männchen erstaunt an.
»Luise«, begann er stockend. Die Bassstimme, die üblicherweise als überraschender Kontrast aus dem kleinen, zarten Wesen dröhnte, klang ungewöhnlich gepresst. In Luises Bauch klammerten sich sämtliche Eingeweide haltsuchend aneinander.
Er holte zweimal Luft, dann stieß er heraus: »Es ist der Emser!«
»Der alte Emser?« Luises Augen drängten aus ihren Höhlen. Als Grümpl stumm nickte, schüttelte sie anhaltend den Kopf, als könnte sie das Gehörte dadurch zur Unwahrheit machen. Sie schob ihn einfach zur Seite und hastete
an den Weinstöcken entlang hinauf zu der Stelle, wo die Leiche lag.
»Mehlerer!«, donnerte sie schon von Weitem, als sie sah, dass der Tote mit einer Plane
abgedeckt werden sollte.
Der Amtsarzt stand langsam auf und stellte sich zwischen Leiche und Luise. Die
Wolke von Moschus, die wie immer von dem Doktor zu ihr herüberschwappte, war diesmal nicht der Anlass dafür, dass sie die Luft anhielt, sondern das Entsetzen. Wortlos stieß sie ihn zur Seite und beugte sich fassungslos über die Gestalt, die in einem abschmelzenden Schneefleck lag.
Der alte Weinbauer hatte ebenfalls eine Russenhaube aufgehabt, seine war aber
dem Original näher, wattiert und mit Pelzbesatz. Jetzt lag sie schwer durchnässt ein Stück oberhalb seines Kopfes, als wäre sie beim Fallen dorthin gerutscht. Auf der blanken Stirn klaffte eine Wunde,
die seltsam ausgewaschen aussah, doch das Gesicht war auf eigenartige Weise
beschmutzt, fast wie leicht rußig und schimmerte bläulich.
»Wurde er erschlagen?«, fragte sie.
»Ich glaube nicht«, antwortete der Doktor und zog den Hals ein wenig ein, als er Luises Blick
begegnete.
»Mehlerer! Was soll das heißen?«
»Ich glaube nicht, dass der Schlag tödlich war. Allerdings liegt er schon an die zwei Wochen hier, da kann ich nicht …«
»Zwei Wochen?« Luise machte einen Schritt zurück und blickte wild um sich.
»Vielleicht zehn Tage«, versuchte der Arzt einzuschränken, was Luises Fassungslosigkeit jedoch nicht beschwichtigen konnte.
»Sie meinen also, dass er während des großen Schnees niedergeschlagen wurde und dann darunter erfroren ist«, folgerte sie ungläubig und der Mediziner nickte mit zusammengepresstem Mund.
»Ich habe schon in Eisenstadt angerufen, Spurensicherung und Transport in die
Rechtsmedizin sind organisiert. Die müssten gleich da sein, weil ich sie sofort angefordert habe, als ich ankam«, informierte Grümpl in geschäftigem Ton, weil er hoffte, die Lage dadurch ein wenig zu entspannen.
»Hier der Totenschein. Ich habe unbekannte Ursache hineingeschrieben.« Doktor Mehlerer packte seine Tasche zusammen und Luise bückte sich und zog die Abdeckung von Vinzenz Emser.
Sie konzentrierte sich auf ihre Arbeit, die immer damit begann, dass sie die
Leiche aus allen Perspektiven betrachtete. Der Emser lag ziemlich nahe an den
Weinstöcken und parallel dazu. Sein Kopf hügelseitig und jetzt ein wenig nach rechts gedreht. Sein linkes Bein schien ihr
seltsam verrenkt und zu weit ausgedreht. Die Hände waren nackt und die Knöchel zeigten die typischen roten Flecken, die auf Erfrierungen hinwiesen.
Sie stellte sich hinter seinen Kopf und versuchte, aus dem, was sie sah, erste
Schlüsse zu ziehen. Die Wunde war auf seiner rechten Stirnseite und reichte in den
schütteren Haaransatz. Sie war nicht sehr groß und schien mit einem scharfen Gegenstand zugefügt worden zu sein, eher nicht mit einem Stock oder Prügel. Der Täter war sicher größer als der Emser, was allerdings wohl auf viele Leute zutraf, weil der Bauer in
den letzten Jahren immer verhutzelter geworden war. Aber dennoch, der Täter musste am Hang niedriger gestanden sein als sein Opfer und hatte es trotzdem
oben am Kopf getroffen. Unter der Leiche lag noch Schnee, auch rund um sie,
doch man konnte ihm jetzt in der Mittagszeit beinahe beim Wegschmelzen zusehen.
Was hatte der Alte hier gemacht? Ihres Wissens gehörte die Riede zu dem Teil, den er nicht mehr selbst bewirtschaftete. Sie blickte
sich um. Die Weinstöcke waren nicht zurückgeschnitten und es hingen noch Trauben daran. Es dürfte sich um einen Eisweinausbau handeln. Allerdings waren die Beeren nun nach
der vielen Feuchtigkeit des frühen Schnees bereits teilweise verfault. Darin lag das große Risiko und der Poker war diesmal nicht aufgegangen. Aber was hatte der Emser
damit zu tun? Er hatte nie Eisweine gemacht.
»Die Spusi wird nicht mehr viel finden nach den Schneemassen«, brummte Luise und trat ganz nah an die Leiche, um dem alten Mann noch einmal zärtlich ins Gesicht zu schauen. Sie strich sanft über seine Greisenäuglein, die ihr so oft zugezwinkert hatten.
»Ich finde das Schwein«, versprach sie ihm leise und deckte ihn dann fürsorglich zu.
2
Vinzenz Emser war einer der ältesten Winzer in Schilfern gewesen. Einer aus der Zeit, als noch der Weinbau
diese Region prägte und nicht der Tourismus. Seit Generationen gab es für die Familie nichts anderes als Weinbau und -herstellung. Emsers Kinder wollten
sich dem arbeitsreichen Leben eines Weinbauern nicht mehr aussetzen. Die beiden
Söhne gingen Jobs auf dem nahegelegenen Flughafen nach, die Tochter war Kindergärtnerin im Nachbarort Guid. Der alte Bauer hatte seine umfangreichen Weingärten verpachtet und nur einen kleinen Streifen rund um seinen Weinkeller
behalten, gerade so viel, wie er selbst noch betreuen konnte.
Dieser Keller war seit Jahren ein Zufluchtsort Luise Pimpernells gewesen. Er lag
auf dem Kamm des Wagrams, der sich gegenüber dem Hinterausgang ihres Hofes befand, und nach ihren Spaziergängen war sie dort regelmäßig eingekehrt und ein gern gesehener Gast gewesen. Die Welt wurde in dem
Augenblick eine andere für sie, wenn sie vorsichtig die ausgetretenen Stufen hinunterstieg, um auf einer
kleinen Plattform vor dem eigentlichen Abstieg in den Keller an einem großen groben Holztisch Platz zu nehmen.
Hier war der Treffpunkt für Weingenießer vom alten Schlag. Vinzenz Emser hatte nur so viele Weinstöcke für sich behalten, als er auch selbst betreuen konnte, und machte jedes Jahr für seine Besucher den wohl naturbelassensten Wein der Region. Er wusste noch, wie
man das anstellte, sein Wissen war von Generationen überliefert und von ihm selbst erweitert worden. Mit den modernen Gerätschaften, Vorschriften und Regeln hatte er nichts am Hut. Als es ihm damit zu
bunt wurde, hatte er den Verkauf eingestellt. Zuletzt produzierte er nur mehr für den eigenen Genuss und den seiner Freunde.
Die meisten seiner Gäste waren wesentlich älter als Luise und Frauen gab es nur vereinzelt. Wenn, dann handelte es sich um
Weinbäuerinnen, die ihre Betriebe selbst versorgten und deshalb hin und wieder das
Gespräch mit den erfahrenen Winzern suchten.
Sich zum Freundeskreis des Emserbauern zählen zu können, war für Luise eine große Ehre und für ihren Gaumen eine besondere Freude gewesen. Sie, die ebenfalls aus einer
traditionsreichen Weinbaufamilie stammte, viel von gutem Wein verstand und ihn
zu schätzen wusste, war vom Emser eher als Tochterersatz angesehen worden, über deren Besuche er sich immer ganz besonders freute. Oft zauberte er für sie Flaschen von speziellen Jahrgängen aus den Tiefen seiner weitverzweigten unterirdischen Gewölbe, in dem noch viele alte Schätzchen lagerten.
Nach dem Tod seiner Frau »wohnte« der Emser nahezu das ganze Jahr in seinem Keller. Er arbeitete in den Rieden,
die er behalten hatte, machte noch kleine Mengen wunderbar naturbelassenen
Wein, bewirtete damit seine Gäste, plauderte oder schwieg mit ihnen und ging nur mehr zum Schlafen heim.
Lediglich an den ganz strengen Wintertagen war der Emserkeller geschlossen und
sein Besitzer verbrachte die Tage einsam auf seinem Streckhof an der Hauptstraße in Schilfern. Seine Kinder hatten moderne Einfamilienhäuser in Seenähe gebaut.
Zu Hause hatte Luise den Emser nie besucht. Jetzt machte sie sich deswegen Vorwürfe.
Zwei Wochen unter dem Schnee …
3
Luise Pimpernell fuhr als Erstes nach Guid in den Kindergarten zu Elisabeth Törkölt, der Tochter vom Emser. Die Kleinen kicherten, als die große bunt gewandete Frau in ihr Spielzimmer trat, und Luise bedauerte, dass sie
sich nicht dazusetzen und mit ihnen beschäftigen konnte. Sie liebte Kinder und die Kinder liebten sie. Leider gab es in
ihrer Familie derzeit keine Knirpse. Ihre drei Neffen waren in dem Alter, wo
sie keine Kinder mehr waren, aber auch noch keine hatten.
Emsers Tochter schaute Luise Pimpernell verwundert an, als diese sie bat, mit
ihr nach draußen zu kommen. Sie machte ihrer Kollegin ein Zeichen und folgte Luise mit
gerunzelter Stirn vor die Tür. »Was machst du hier?« Die Frage klang ein wenig ungehalten.
»Wann hast du deinen Vater das letzte Mal gesehen?«, fiel Luises Gegenfrage auch nicht gerade in gnädigem Ton aus.
»Vor ein paar Tagen. Ist was mit ihm?«
»Er ist tot. Und er ist es anscheinend schon seit zwei Wochen!« Kälte klirrte aus der Stimme, mit der die traurige Botschaft nun übermittelt wurde.
Liesl taumelte zurück. »Aber … aber …«, stotterte sie. »Was heißt anscheinend?«
»Weil das erst der Rechtsmediziner klären muss.«
»D-der Rechtsmediziner?«
»Ja, er ist durch Fremdverschulden gestorben.«
»F-fremdverschulden? Er ist ermordet worden?« Liesl sank auf eines der niedrigen Bänkchen in der Garderobe und presste die Hände an den Mund.
Luise ging mit sich ins Gericht. Der Zorn darüber, dass der Vater seinen Kindern offensichtlich mindestens zwei Wochen nicht
abgegangen war, hatte sie doch ein bisschen zu unsensibel agieren lassen. Sie
blickte zu Boden und wartete, wollte wenigstens jetzt der Frau Gelegenheit
geben, sich ein wenig zu fangen.
»Luise«, hörte sie Liesl flüstern, »sag mir bitte, was ist passiert?«
»Er ist im Weinberg niedergeschlagen worden und unter dem großen Schnee erfroren.«
»Jemand soll ihn niedergeschlagen haben? Kann er nicht einfach gestürzt sein und sich dabei verletzt haben?«
»Nein, tut mir leid, das ist auszuschließen.«
»In seinem Weinberg?«
»Ich weiß nicht, ob ihm der noch gehört hat. Es war circa hundertfünfzig Meter rechts vom Keller, auf halber Höhe des Hügels.«
»Gehört hat ihm der ganze Hang dort, aber den Teil hat er schon verpachtet gehabt. An
den Grüblstinger.«
»Aha, danke. Und jetzt denk noch mal nach, bitte, wann hast du ihn das letzte Mal
gesehen?« Die Pimpernell zwängte sich neben die Frau auf das Bänkchen.
Liesl lief rot an und presste die Lippen aufeinander. »Zu Melanies vierzehntem Geburtstag. Das war am achten November«, kam ihre leise Stimme.
Luise atmete tief ein, um nicht erneut ihrem Ärger Luft zu machen. Heute war der zwanzigste Dezember!
»Die Kleine war sein Liebling. Sonst wäre er eh nicht gekommen«, versuchte Elisabeth Törkölt zu erklären.
»Hat er irgendetwas erzählt? Dass er mit jemandem Streit hatte, oder so?« Luise wusste die Antwort im Vorhinein. Der Emser war kein Erzähler gewesen. Sie selbst hatte viel Zeit mit ihm verbracht und nichts von einem
Streit mitgekriegt. Und doch zögerte die Frau jetzt kurz, bevor sie den Kopf schüttelte, was Luise zu ihrer nächsten Frage bewog. »Wer war aller da?«
»Familie, kleiner Kreis.«
»Also dein Mann, deine Töchter Melanie und Viviane, deine Brüder Vinzenz und Arthur, ihre Frauen Maria und Renate? Die Nichten und Neffen
nicht?«
»Nein.« Liesl sah zur Seite. »Und Maria auch nicht. Aber Tante Aloisia.«
»Wieso Maria nicht?«
Elisabeth sah auf ihre Hände und zupfte an ihren Fingern. »Es steht nicht so gut zwischen Vinzenz und ihr, glaube ich.«
»Und was war dann? Da habt ihr eurem Vater wieder zugesetzt, dass er ins Heim
geht, oder?« Luise hörte selbst, dass ihre Stimme erneut gereizt klang.
»Das war doch nicht mitanzuschauen. Er versumperte dort in seinem Keller,
arbeitete schwer, aß zu wenig und trank zu viel. Er ging fast nicht mehr nach Hause. Der Hof sah aus
wie eine Müllhalde. Abgesehen davon, dass er total verfiel. In der Seniorenpension, die wir
uns angeschaut haben, hätte er jeden Komfort und ein angenehmes Leben gehabt.«
»Was weißt du, was für deinen Vater ein angenehmes Leben war?« Die guten Vorsätze der Pimpernell konnten sich nicht durchsetzen, wieder herrschte sie die Frau
zornig an.
»Aber du weißt es! Das ist ja interessant. Du kannst leicht reden, du hast keine Eltern mehr,
um die du dich kümmern musst. Wenn ich mich allerdings recht erinnere, dann war deine Mutter auch
bei deinem Bruder untergebracht und nicht bei dir. Und euer Erbe war schon zu
Lebzeiten eures Vaters geregelt.«
Was die Leute alles wussten. Doch damit konnte Luise sich jetzt nicht aufhalten.
Zu sehr brachte sie das Gehörte in Rage.
»Es geht hier nicht um mich und es geht auch nicht darum, dass ihr euren Vater zu
euch nehmen, sondern dass ihr ihm seine Art zu leben hättet zugestehen sollen.«
»Hätten wir? Wer sagt das? Was geht das dich an?«
Die Frauen waren ziemlich laut geworden. Aus der Tür des Spielzimmers lugte Elisabeths Kollegin heraus und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
Luise musste Liesl Recht geben. Das ging sie wirklich nichts an.
»Entschuldige bitte. Bleiben wir beim Thema. Es gab also Streit?«
»Äh-hm, Streit … Diskussionen halt …«
Luise kannte Vinzenz junior gut genug, um zu wissen, dass dieser kein
Diskutierer war. Es gab Gerüchte, er habe arge Geldprobleme, und wenn er nun auch noch mit einer kaputten
Ehe kämpfte – was wahrscheinlich zusätzliche finanzielle Belastungen mit sich bringen würde –, dann hatte er seinem Vater mit ziemlicher Sicherheit zugesetzt. Wie sie
andererseits jedoch den alten Emser gekannt hatte, wäre er wohl gar nicht auf die Debatten eingegangen und hätte einfach alles an sich vorbeirauschen lassen. Das führte allerdings geradewegs zu dem Verdacht, dass der Streit zwischen den
Geschwistern stattgefunden hatte. Da es dabei gewiss nicht um das Wohlergehen
des Vaters gegangen war, hatten sie vermutlich eher über das zu erwartende Erbe gestritten.
Wieder atmete Luise tief durch.
»Wie geht es nun weiter«, fragte Elisabeth.
»Er ist jetzt in der Pathologie und es wird wohl einige Tage dauern, bis wir ihn
freigeben können. Vor den Feiertagen eher nicht mehr.«
»Das ist gut«, antwortete die Frau erleichtert. »So knapp vor Weihnachten hat eh keiner von uns für irgendetwas Zeit.«
Luise sprang auf, presste die Lippen fest zusammen und rannte ohne
Verabschiedung aus dem Kindergarten.
4
Draußen holte sie tief Luft und rief dann Grümpl an. »Wo bist du?«, fragte sie ihn.
»Ich bin im Haus vom Emser. Ich wollte dich gerade anrufen. Du musst unbedingt
herkommen.«
»Warum?«
»Ich möchte, dass du das siehst. Abgesehen davon, dass ich allein gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.«
Sie wusste, dass er viel von ihrem Bauchgefühl hielt, und brachte seine Bitte deshalb sofort damit in Verbindung. »Ich kann jetzt eh nichts anderes machen. Die Söhne vom Emser werden in der Arbeit sein, die werde ich nicht antreffen. Da muss
ich am Abend hin. Und per Telefon verständigen soll sie halt ihre gemütvolle Schwester. Bei der war ich schon. Aber das erzähl ich dir, wenn ich da bin.«
Sie fuhr zurück nach Schilfern und betrat das Anwesen des Toten durch das Tor auf der
Hauptstraße.
Vinzenz Emser hatte einen der alten Zwerchhöfe bewohnt, ähnlich dem, den Luise von ihrer Großmutter geerbt hatte. Auf der linken Seite fädelten sich ebenerdige Gebäude auf. Im vorderen Bereich lag der Wohnbereich, hier ging man von einem Raum
in den anderen. Der hintere Teil war ursprünglich als Wirtschaftstrakt angelegt worden, und bestand aus diversen Kammern
und Kleinstallungen, deren Türen jeweils direkt ins Freie führten. Abgeschlossen wurde der Hof durch einen ausgedehnten, querstehenden
Stadel, durch den in der Mitte eine Ausfahrt verlief, die »Hintaus« in eine Gasse führte. Die hatte weder Gehsteige noch Straßenbeleuchtung, und auf ihrer gegenüberliegenden Seite waren die Bauernhöfe seitenverkehrt angelegt, sodass in diesem Teil von Schilfern nur jede zweite
Gasse adressgebend war.
Von der Hauptstraße zogen sich fünf solcher Häuserzeilen hügelaufwärts bis zum Beginn des Weinberges, dessen Bezeichnung allerdings so manchem Nichteinheimischen ein spöttisches Lächeln entlockte. Handelte es sich doch dabei lediglich um eine breitflächige Erhebung von eher geringer Höhe, die einige Ortschaften miteinander verband. Auf dem Kamm ging sie über in die Parndorfer Platte, das weitläufige ebene Weinbaugebiet, das inzwischen besonders bekannt war für den dort angelegten Windenergiepark.
Dieser Teil von Schilfern war der älteste, hieß aber originellerweise Neuhaus. Hier hatten die Familien seit vielen
Generationen ihre Höfe. Doch viele der Nachkommen wollten die alten Häuser nicht mehr sanieren und bewohnen. Sie kauften Grundstücke jenseits der Hauptstraße, die näher am See lagen, und bauten dort moderne Einfamilienhäuser. Diese waren nicht nur zweckmäßiger als die langgezogenen Gebäude. Die alten Räumlichkeiten zu renovieren und auf den neuesten baulichen Stand und Komfort zu
bringen, käme oft deutlich teurer.
Luise Pimpernell betrat einen unsäglich vollgestopften Vorraum und durch dessen gegenüberliegende Tür ein Zimmer, bei dem es sich wahrscheinlich vor Jahren um ein Büro gehandelt hatte. Ganz sicher konnte dies nicht auf den ersten Blick gesagt
werden, weil sich hier Unmengen von Altpapier, Fetzen und sonstigem Gerümpel häuften und nur einen schmalen Gang zur nächsten Tür freiließen.
Diese führte in die Küche. Emsers Frau hatte sie vor Jahren modernisieren lassen, das sah man. Es gab
Hängeschränke, was hier früher absolut nicht üblich war, Eiskasten, Elektroherd und sogar einen Geschirrspüler entdeckte Luise. In einem Winkel stand der übliche große Esstisch mit Eckbank und Sesseln und darüber hängendem Kruzifix. Alles war derart vollgeräumt mit undefinierbarem Trödel, dass es nicht ein freies Fleckchen gab.
In der Tür, die zu dem nächsten Raum führte, erschien Grümpl.
»Ich vermute mal, hier geht es so weiter«, konstatierte Luise und er nickte seufzend.
»Verstehst du nun? Ich habe keine Ahnung, wonach ich hier suchen könnte.«
»Ich auch nicht«, gestand sie und fuhr erschreckt zusammen, als eine Maus quer durch die Küche lief.
Einerseits verstand sie Elisabeth Törkölt nun ein wenig besser, andererseits war es ihr unvorstellbar, dass sie oder
ihre Brüder ihren Vater so hatten hausen lassen. Das zu ändern, hätte aber nicht zwangsläufig heißen müssen, ihn in ein Heim zu stecken. Dass sich der alte Mann lieber in seinem
Weinkeller aufgehalten hatte, war ebenfalls eine logische Schlussfolgerung
dessen, was sie hier antrafen.
»Wir werden derweil gar nichts suchen«, bestimmte die Chefermittlerin. »Uns einen ersten Überblick verschaffen und dann weitersehen. Wenn nötig, müssen die Kollegen ran.«
Grümpl nickte erleichtert.
Im Wohnzimmer herrschte ähnliches Chaos wie in den Räumen, die sie bereits betreten hatte. Im Schlafzimmer seltsamerweise nicht so
sehr. Hier lagen allerdings jede Menge Kleidungsstücke herum.
Als sie durch den Hof ging, um in den hinteren Teil des Anwesens zu gelangen, öffnete sich das Tor und Vinzenz Emser junior stürmte herein, dicht gefolgt von Bürgermeister Rudi Weisz. Beim Anblick Luises blieb er so plötzlich stehen, dass der Bürgermeister hinter ihm beinahe umgefallen wäre.
»Was machst du hier?«, schrie er.
»Ich ermittle. Doch was treibt dich her?«, gab Luise mit Sarkasmus in Gesicht und Stimme zurück.
»Ich … ich …« Er drehte sich nach seinem Begleiter um. Aber diesem fiel auch keine gescheite
Antwort ein.
Luise folgte einem Impuls. »Ich muss dich ersuchen, das Grundstück zu verlassen. Wir werden es jetzt polizeilich versiegeln, und ich gebe dir
Bescheid, wenn du wieder Zugang hast.«
»Was heißt versiegeln? Das ist schließlich kein Tatort«, versuchte sich der Bürgermeister nun doch wichtigzumachen.
»Rudi, bitte! Misch dich nicht dauernd in Sachen, von denen du keine Ahnung hast.
Was hat denn das damit zu tun?«
»Aber …«, begann der Bürgermeister, doch Luise wedelte mit der Hand und bedeutete den beiden, zu
verschwinden.
Als sie sich nicht anschickten, ihrer Aufforderung Folge zu leisten, ging sie
auf die Männer zu und fragte honigsüß: »Wenn du schon da bist, Vinz, wann hast du denn deinen Vater das letzte Mal
gesehen?«
»Na, vor ein paar Tagen. So genau weiß ich das nicht mehr«, fuhr sie der Angesprochene an.
»Vor ein paar Tagen, beim Geburtstag deiner Nichte, oder?«
»Was geht dich das an?« Er brüllte so laut, dass Grümpl auf den Hof gerannt kam.
»Mich geht noch viel mehr etwas an. Da wirst du dich wundern, mein Lieber.« Diesmal hatte sich Luise perfekt unter Kontrolle, Ton und Gesichtsausdruck
blieben voll salbungsvoller Gelassenheit. »Und als Erstes geht es mich etwas an, was du hier machst, wie du überhaupt hier hereinkommst. Hast du Schlüssel?«
»Das Tor war nicht versperrt!«
»Und wieso wusstest du das?«
»Das Tor war nie versperrt!«
»Und was suchst du hier, sofort nachdem du erfahren hast, dass dein Vater tot
aufgefunden wurde?«
»Ich wollte halt schauen, ob eh alles in Ordnung ist.«
»Wer kann hier von Ordnung sprechen? Und was soll in Ordnung sein, wenn dein
Vater ermordet wurde?«
»Ach, rutsch mir doch den Buckel runter!«
»Das werde ich nicht tun«, eröffnete ihm Luise trocken. »Aber mir überlegen, ob ich dich wegen Versuchs der Beweisvereitelung nach Eisenstadt
vorlade. Und jetzt ab mit euch beiden. Ich habe zu arbeiten!«
Vinzenz war so verärgert, dass er den Bürgermeister einfach stehen ließ und beim Tor wieder hinausstürmte. Rudi Weisz drehte sich zu Luise um und erklärte: »Ich habe damit ja absolut nichts zu tun. Hab ihn zufällig draußen getroffen.«
Zufällig. Luise kannte die Zufälligkeiten ihres Bürgermeisters zur Genüge. Sie erwiderte nichts und winkte ihn nach draußen.
Die Versiegelung des Hofes schien ihr aufgrund des Vorfalls nun besonders
angeraten. »Es muss also etwas da sein«, eröffnete sie Grümpl seufzend.
»Ein Testament vielleicht, das er verschwinden lassen will«, mutmaßte er.
»Das würde bedeuten, dass etwas für ihn Unangenehmes darin steht. Und er davon wüsste. Wobei ich glaube, den Pflichtteil müsste er sowieso bekommen. Aber so schätze ich den alten Emser nicht ein. Wem sollte er alles vererben, wenn nicht
seinen Kindern?«
»Der Pfarre?«
Die Pimpernell verzog das Gesicht, als hätte sie auf eine Zitrone gebissen. Der Pfarrer war ebenfalls ein ständiger Gast im Emserkeller gewesen, allerdings ein eher gelittener als
wohlgelittener. Zu den Freunden des Weinbauern hatte er nicht gehört.
»Vielleicht Bargeld? Von Vinzenz sagt man, dass er damit zu kämpfen hat«, informierte Luise ihren Kollegen, der in Neusiedl wohnte und die Leute hier
nicht so gut kannte wie sie. »Aber bitte, wo kann der Alte hier Geld aufbewahrt haben?«
Sie gingen noch einmal ins Büro zurück und machten sich nun doch daran, genauer zu suchen. Unter diesen Bergen von
Ramsch war dies allerdings ein nahezu aussichtsloses Unterfangen und für den Augenblick auch nicht von Erfolg gekrönt.
5
Auf dem Bezirkspolizeikommando in Neusiedl hatte Postenkommandant Luisinger die üblichen Vorkehrungen für den Fall getroffen, dass Luise Pimpernell in seinem Bezirk ermittelte. Es
wurde ein zusätzlicher Schreibtisch im Büro von Abteilungsinspektor Roman Grümpl aufgestellt und auch einen Laptop fand sie vor, auf dem sie den neu
angelegten Akt bereits einsehen konnte.