Tod im Altwasser - Burgitta Egg - E-Book

Tod im Altwasser E-Book

Burgitta Egg

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Beschreibung

Eine Liebesgeschichte mit Mord. Marie und Hannes treffen in einem Riedenburger Café aufeinander und sind sich alles andere als grün. Eine Woche später begegnen sich die beiden wieder und das Schicksal nimmt einen Lauf. Monate später wird eine Leiche aus dem Gundlfinger Altwasser geborgen. Dieses Tötungsdelikt wird dem frischgebackenen KHK Ludwig Hüschow übertragen. Die Identität der Toten scheint mysteriös. Hüschow und Aysenstein tappen im Dunkeln. Dann taucht zwar ein neuer Hinweis auf, aber führt er auf die richtige Spur? Kein üblicher Regionalkrimi.

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Schön, dass Du reinschaust.

Ich wünsche Dir gute Unterhaltung.

Dies ist ein Roman. Ähnlichkeiten mit lebenden oder

toten Personen sind nicht beabsichtigt und wären rein

zufällig. Alles ist frei erfunden und Katzen können nicht

reden. Obwohl – Katzenfreunde behaupten das Gegenteil.

Von Burgitta Egg sind folgende Bücher erschienen:

– Die seltsame Stadt und andere merkwürdige Geschichten

– Der Zweig – Wehe, wenn diese Geschichte wahr wird

– Tod am Katzensteig

– Der kleine Drache Johann

Die Bücher und E-Books sind überall bestellbar, wo es Bücher gibt.

Besuche die Autorin auf Instagram: @burgitta.egg

Impressum

Text © by Burgitta Egg

Foto: © by Burgitta Egg, Rosenburg

Umschlaggestaltung © by Burgitta Egg, medienwerkstatt allgäu

Verlag

Margit Egerer

Luitpoldstr. 18

85072 Eichstätt

Burgitta Egg

Tod im Altwasser

Hüschow ermittelt

Gegenwart

Ende Juli

Gundlfinger Altwasser

Er kann es nicht glauben, er hat es geschafft. Lange hatte er sie umworben, bis sie die Einladung annahm.

Im Gasthaus Schwan versprach er ihr Sternschnuppen, die sie so noch nie gesehen hat. Sie lachte, folgte ihm aber unbekümmert.

Ahnungslos sitzt sie nun auf dem Beifahrersitz, streift ihre hochhackigen Schuhe ab und legt ihre schönen Beine auf das Armaturenbrett. Er lenkt sein Fahrzeug nach links in den Feldweg, der zum Gundlfinger Altwasser führt. Heute sind keine Angler da. Es ist die perfekte Nacht. Lauer Wind weht und am Firmament funkeln tausende glitzernde Sterne. Er hat an alles gedacht. Champagner, gute Gläser, Fackeln. Er weiß, dass sie auf solche Dinge großen Wert legt. Ihr braucht man nicht mit Plastikbechern oder ähnlichem zu kommen.

Nahe am Wasser stoppt er.

»Da sind wir. Und? Habe ich zu viel versprochen?«, fragt er und räuspert sich.

»Hast du nicht. Aber es ist ziemlich einsam hier. Du wirst mir doch nichts tun?«, sagt sie mit der Stimme eines kleinen Mädchens und steckt den Zeigefinger in den Mund.

Gut! Sehr gut! Sie ahnt tatsächlich nichts. Das beruhigt ihn ein bisschen. Er steigt aus, geht um den Wagen und öffnet die Beifahrertür, reicht ihr die Hand. Sie nimmt sie wie selbstverständlich und setzt ihre nackten Füße in das feuchte Gras.

»Uh, ist das kalt. Hast du an die Liegestühle gedacht?«, fragt sie von oben herab und zieht ihre Beine wieder ins Auto.

»Selbstverständlich, gnädige Frau«, sagt er höflich und holt aus dem Kofferraum eine Decke und zwei Liegestühle, die er mit ein paar Handgriffen aufbaut. Die Decke breitet er über ihren Liegestuhl aus. Dann hebt er sie aus dem Fahrzeug, küsst sie auf die Wange und trägt sie zum Liegestuhl. Sie riecht gut.

Plötzlich zweifelt er. Soll er sein Vorhaben wirklich durchziehen? Vielleicht meint sie es doch ernst?

Ein Hauch ihres Parfüms und er fällt um wie ein morscher Baum? Der Zweifel ärgert ihm. Entschlossen steckt er etwas abseits drei große Fackeln in den Boden und zündet sie an. Dann holt er die Champagnerflasche aus der Kühltasche und lässt den Korken knallen. Sie kichert. Er reicht ihr zwei edle Kristallkelche, schenkt ein und setzt sich. Sie stoßen an und trinken in kleinen Schlucken durstig das erste Glas leer. Er schenkt ihr nach und rückt ganz nahe an sie heran. Sie plaudern, halten sich an den Händen und lachen.

Nach einer viertel Stunde steht er auf. »Ich muss mal«, sagt er und geht zum Auto.

Leise öffnet er die hintere Tür und greift nach dem Hammer, der im Fußraum liegt. Er bleibt hinter ihrem Liegestuhl stehen. Die Angst verschwindet. Er wird ruhig.

Wohlig streckt sie ihren schlanken Körper und merkt nichts von dem wuchtigen Schlag. Sie sackt zusammen und rutscht langsam zur Seite.

Er hat es getan. Er hat es tatsächlich getan. Er sieht nach, ob sie noch lebt. Zwischen ihren Haaren klebt Blut und Hirnmasse. Nein, sie ist endlich aus der Welt.

Er fühlt nichts. Doch je länger er sie betrachtet, umso heftiger kommt die Wut, diese brennende Wut zurück. Er könnte ihr hundertmal ein Messer in ihren verdammten Leib rammen. Aber er muss rational denken. Darf sich jetzt nicht durch seine Gefühle alles kaputtmachen.

Schnell reißt er die Fackeln aus dem Boden, löscht sie im Altwasser und wirft sie in den Kofferraum. Als nächstes zieht er sie samt Decke auf den Boden und stülpt ihr eine Plastiktüte über den Kopf. Dann räumt er auf.

Was war das? Er fährt herum. - Verdammt! Sie ist nicht tot. Sie hat die Plastiktüte einen Spalt aufgerissen und kriecht zum Wasser. Mit drei Schritten ist er bei ihr, schleift sie zurück auf die Decke, springt ins Auto, sucht sein Fischermesser, findet es nicht gleich, gerät in Panik, stößt Flüche aus, reißt das Handschuhfach auf, da ist es. Er eilt zu ihr, klappt das Messer auf und rammt es ihr tief in den Unterleib. Ein Blutschwall durchtränkt das weiße Kleid. Er schneidet es von ihrem Körper, drückt damit auf die Wunde, wartet. Der Blutfluss versiegt. Er nimmt ihr die Plastiktüte ab. Schneidet BH und Slip auf und stopft beides in die Tüte, holt eine Zange und macht sich an ihren Zähnen zu schaffen. Ihm wird übel. Reiß dich zusammen, denkt er. Er hält inne, würgt und schluckt bis es ihm wieder besser geht. Ein Zahn nach dem anderen landet in der Tüte.

Das blutdurchtränkte Kleid legt er auf die Plastiktüte. Dann zieht er die Decke mit der Leiche ans Ufer. Achtet darauf, dass kein Blut im Gras landet. Er findet den Baum, den er für ihr Grab ausgesucht hat. Er legt seine Kleider ab. Mit einigem Kraftaufwand zieht er die Leiche in das lauwarme, schlammige Altwasser. Er springt hinein und drückt sie unter das Wurzelwerk des Baumes. Dazu muss er untertauchen. Nur nicht an die Aale denken.

Als er sie endlich nach mehreren Tauchgängen sicher unter den Wurzeln verkeilt hat, hievt er sich aus dem Wasser und zieht sich wieder an. Er stopft das Kleid in die Plastiktüte, wirft die Tüte hinter den Fahrersitz, legt die Decke so zusammen, dass Blut und Hirnmasse verborgen bleiben, legt sie vorsichtig in den Kofferraum, setzt sich ins Auto und fährt ohne Licht langsam davon.

Er wird die Tage ein kleines Lagerfeuer im Garten anzünden und gleich, wenn er nach Hause kommt, die Zähne im Hochleistungsmixer pulverisieren. Zufrieden schaltet er das Licht ein und holpert den Feldweg entlang.

Eine Frau tritt aus dem Wald und versucht das Kennzeichen zu entziffern.

Vierzehn Monate vorher

Mai

Mit voller Kraft tritt sie in die Pedale. Der Regen sticht ihr ins Gesicht und beim besten Willen, so kommt sie nicht mehr weit. Achtlos lehnt sie ihr Fahrrad an die Hauswand und rettet sich in das vollbesetzte Café auf der anderen Straßenseite.

Die Badesachen lässt sie im Korb zurück, die sind sowieso hinüber. Das nasse Strandkleid klebt an ihren üppigen Rundungen wie ein billiger Polyesterfummel. Kein bisschen verlegen, bestellt sie an der Theke ein Handtuch, Filterkaffee, falls man hier so etwas kennt, und eine Herrentorte.

»Filterkaffee haben wir nicht und leider auch keine Herrentorte. Möchten Sie einen Cappuccino oder Latte Macchiato oder Espresso?«, fragt die Bedienung freundlich.

»Espresso und Leitungswasser, aber ein großes Glas«, befiehlt sie. Heute klappt gar nichts, denkt sie und sucht nach einem freien Platz.

»Bringen Sie mir meine Bestellung an den Tisch da drüben.« Sie deutet auf den letzten freien Platz.

Sie hasst es, wenn Tische so eng gestellt sind. Privatsphäre kennt man in italienischen Cafés nicht. Die Kaffeemaschine zischt so laut, wie früher Lokomotiven beim Dampfablassen. Der Kaffeetrester wird so heftig ausgeklopft, dass man fürchten muss, einen Gehörsturz zu erleiden und das Stühlerücken schmerzt in den Ohren. Trotzdem versteht man noch jedes Wort, ob man will oder nicht.

Wo sind die gemütlichen Kaffeehäuser geblieben, wo das Rascheln einer Zeitung oder leises Gemurmel das lauteste Geräusch war weit und breit, wo man sich gar nicht getraut hätte, laut zu reden, aus Rücksicht auf andere und wo bequeme Stühle, manchmal sogar Sessel mit weichen Polstern auf einen gewartet haben, um entspannt seinen Kaffee zu genießen, wo Stellwände Intimität vermittelten?

Das Burg-Café weist noch ein paar dieser Attribute auf. Es ist heute geschlossen, sonst hätte sie sich dorthin geflüchtet.

Der Anblick der ungemütlichen Einrichtung und wie die Menschen auf den harten Stühlen hin und her rutschen, erweckt bei ihr eher den Eindruck, dass dies gewollt ist. Bestellen, zahlen, gehen. Der Spiegel unserer Zeit.

Sie wartet nur noch den Wolkenbruch ab und dann nichts wie weg. Am besten gleich wieder nach Hause. Der Tag hatte nicht gut angefangen und ist bis jetzt nicht besser geworden. Der Himmel hatte wohl etwas gegen ihren Plan, im kühlen Wasser des Agatha-Sees schwerelos dahinzutreiben und sich am satten Grün der bewaldeten Hügelkette zu erfreuen und den Vögeln beim Tirilieren zuzuhören. Jetzt, Ende Mai, wäre es an der Zeit gewesen, die Badesaison einzuläuten.

Die Bedienung serviert die Getränke und legt ein Handtuch auf den Tisch.

»Danke«, sagt Marie mürrisch. Sie nimmt das Handtuch und rubbelt energisch ihr tropfnasses Haar.

»Passen Sie doch auf!«, kommt es empört von der Seite. »Sie machen ja alles nass.«

»Na hören Sie mal. Ich bin nicht freiwillig nass geworden und aus Zucker scheinen Sie mir auch nicht zu sein. Also stellen Sie sich nicht so an«, sagt sie scharf und hört mit dem Rubbeln auf. Ein kleiner muskulöser Typ glotzt sie herausfordernd an. Sie hält sich zurück, um ihm keine Beleidigung entgegenzuschleudern, die auf seine Größe abzielt. Ein abschätziger Blick genügt und der Mann steckt seine Nase wieder in sein Buch.

Sie nippt am Espresso und blickt in die Runde: Mütter mit ihren nervigen Kindern, Männer die Zeitung lesen. Wie sich hier jemand konzentrieren kann, versteht sie nicht. Wenn es zugeht wie beim Turmbau zu Babel, ist es ihr unmöglich, auch nur einen Satz zu lesen. Über ihre Überempfindlichkeit müsste sie mal mit Toni sprechen, wie sie ihre Freundin Antonia nennt. Immerhin ist sie Psychologin und wie sie selbst von sich behauptet, eine ziemlich gute. Vielleicht rufe ich sie heute Abend an, überlegt Marie.

»Bitte zahlen«, ruft sie der Bedienung zu, die sofort an den Tisch kommt und das Geld einsteckt.

Marie hört es scheppern. Ein Windstoß hat ihr Fahrrad umgeworfen. Die Badesachen liegen im Dreck. Ein Seufzer entfährt ihr und der Nebenmann fühlt sich angesprochen.

»Was ist jetzt wieder?«, fragt er ungehalten. Er wischt seinen blonden Schopf aus der Stirn, damit er seinen Stierblick besser einsetzen kann. Dies wiederum versetzt Marie in Kampfbereitschaft.

»Wie bitte? Mit Ihnen rede ich doch gar nicht. Halten Sie die Klappe und lassen Sie mich in Ruhe.«

»Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Sie unfreundliche Person, Sie. Ich hoffe Sie arbeiten in irgendeinem verstaubten Archiv, allein, wo Sie niemanden beleidigen können.«

»Verpiss dich«, ist alles, was ihr einfällt.

Erbost verlässt sie das Café und unter neugierigen Blicken hebt sie ihr Fahrrad auf und radelt davon.

Juni

Den peinlichen Zwischenfall im Café hat Marie längst vergessen und den Mann auch, als sie eine Woche später zu einer Vernissage nach Gundlfing mit ihrem neuen Elektrorad fährt. Gundlfing ist ein kleines Dorf im schönen Altmühltal, nahe Riedenburg und ähnlich verschlafen wie Hobbingen.

Das Dorf besitzt kein Wirtshaus, dafür ein großes Hotel. Es würde brutal aus der Landschaft herausstechen, wenn es sich nicht geschickt hinter großen Büschen und Bäumen verstecken würde. Dort muss sie hin. Antonia hat sie eingeladen. Marie mag keine größeren Menschenansammlungen, doch weil sie nichts Besseres vorhatte, hatte sie zugesagt.

Nach langem Wühlen im Kleiderschrank entschied sie sich für ein smaragdgrünes Kleid, das ihre volle Figur kaschiert. Das dunkle Haar und der blutrote Lippenstift unterstreichen ihr blasses Gesicht. Ihre Erscheinung erinnert an ein dickes Schneewittchen.

Lauer Wind umschmeichelt ihren Körper und die tiefstehende Sonne malt ein purpurfarbenes Abendrot an den Himmel. Marie freut sich auf wogende Ähren und den Duft von Heu. Noch ist es nicht zu spät. Sie muss nur noch kurz in die Schulstraße und bei einem Kunden eine Skizze abgeben. Sie radelt durch die Mühlstraße zum Marktplatz, die Bruckstraße hinunter, stoppt am Eiscafé Angelo und hält einen kurzen Plausch mit einer Bekannten.

Dann fährt sie über die Stadtbrücke und hinauf in den Jachenhauser Weg.

Wie sie in die Schulstraße einbiegt, trottet ein Hans-guck-in-die-Luft um die Ecke. Sie kann nicht mehr ausweichen und fährt in den Mann hinein. Er strauchelt, sie stürzt und bleibt benommen liegen. Der Mann fängt sich wieder und ist ihr behilflich. Sie erkennt ihn sofort wieder. Es ist der Typ aus dem Café.

»Kommen Sie, nehmen Sie meine Hand«, sagt er und hilft ihr auf. Er entschuldigt sich überschwänglich.

»Ist schon gut, mir ist nix passiert, beruhigen Sie sich. Ich bin diejenige, die auf der falschen Seite gefahren ist«, sagt sie rüde und schüttelt ihr Kleid aus.

Er stutzt.

»Ja, ich bin’s. Aus dem Café. Erinnern Sie sich?«

»Genau! Jetzt fällt es mir wieder ein. Die Beißzange. So sieht man sich wieder. Tut mir leid, ich war in Gedanken. Geht es Ihnen wirklich gut?«

»Ja doch! Geben Sie endlich Ruhe. Was ist mit Ihnen? Sind Sie verletzt?«

Er winkt ab und hebt das Fahrrad auf.

Maries Hochsteckfrisur hat ein wenig an Form verloren und sie versucht eine widerspenstige Strähne zurückzuschieben.

»Ich möchte den Schaden wieder gutmachen und Sie einladen. Wie war das noch gleich? Filterkaffee und Herrentorte?«, fragt der Mann selbstbewusst.

Erstaunt hält sie in der Bewegung inne. »Was Sie sich alles merken. Aber nein, danke. Ich habe eine Verabredung.«

»Ich bestehe darauf.« Sein entschlossener Blick versetzt ihr einen Stich in die Magengegend. Sie lässt ihre Frisur wie sie ist und nach kurzem Zögern nimmt sie eine Visitenkarte aus ihrer Abendtasche und hält sie dem Mann hin.

Er wendet die Karte: »Nur Ihr Name und Handynummer? Ist das Absicht?«

»Absicht und Vorsicht. Man weiß ja nie.«

»Marie Sevalis, darf ich Sie anrufen?«, fragt er und lächelt.

»Was meinen Sie denn?« In Maries Tonfall liegt ein klein wenig Spott.

»Sonst hätten Sie mir wohl Ihre Karte nicht gegeben?«

»Genau! Und mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Entschuldigen Sie. Ich vergaß. Hannes Schleegert.« Er deutet eine Verbeugung an.

»Also Hannes Schleegert, dann rufen Sie mich an.« Marie steigt auf ihr Rad, schenkt Schleegert ein Lächeln und fährt davon. Hannes Schleegert, der Name kommt ihr irgendwie bekannt vor.

Der Wind bläst Marie die gelöste Haarsträhne immer wieder ins Gesicht. An der Flussschleuse Haidhof hält sie an und bringt ihre Frisur wieder in Ordnung.

Die Altmühlperle fährt in die Schleusenkammer. Zwei Tore, mächtig wie die von Mordor, schließen langsam. Flusswasser wird hineingepumpt und das Schiff steigt langsam nach oben. Selbstvergessen schaut sie dem Schleusenvorgang zu und denkt dabei an Schleegert. Was für Wahnsinnsaugen. Dieser Blick löste eine schon fast vergessene Erregung in ihr aus. Sie lächelt, weil sie nicht wie sonst ihre Augen verdreht und das Weite gesucht hat. Dann fällt ihr wieder ein, warum sie eigentlich unterwegs ist, und radelt weiter.

Mit grandiosem Farbenspiel geht die Sonne unter und wirft zum Abschied ein betörendes Rot an den Himmel. Frösche quaken und künden von der Nähe des Agatha-Sees. Sterne spiegeln sich auf seiner Wasseroberfläche. Feldgrillen zirpen lautstark nach Weibchen und die Luft ist voller Mücken. Mit zusammengepresstem Mund radelt sie am See vorbei. Gundlfing kommt in Sicht. Auf Höhe der barocken Minikirche mit ummauertem Friedhof ist die Luft wieder rein. Maries Fuß beginnt zu schmerzen und die Schürfwunden brennen.

Der Hotelparkplatz ist mit einem Plastikband versperrt. Etwas verstimmt radelt sie zum Hinteren und kettet das Fahrrad an. Sie humpelt zu Antonia, die am Hoteleingang steht und winkend auf sich aufmerksam macht. Wäre gar nicht nötig. Antonias Haar leuchtet wie eine rote Weihnachtskugel.

»Gott, wie du aussiehst! Hat dich etwa ein Lastwagen überfahren?«, fragt Toni echauffiert statt einer Begrüßung und zupft ihr ärmelloses Samtkleid zurecht.

»So was ähnliches, erzähl ich dir später«, sagt Marie euphorisch.

Gemeinsam betreten sie die weitläufige Hotellobby. Ihre Schritte werden von einem dunkelroten Teppich, der mit kleinen goldenen Krönchen bedruckt ist, geschluckt. Die Lobby ist mit einer dunkel gebeizten Holzvertäfelung verkleidet. Ovale Wandlampen geben ihr Licht kegelförmig nach unten hin ab. Von der Decke hängen zwei Kristallkronleuchter, die wie Diamanten funkeln. Angenehme Atmosphäre, leises Gemurmel, alles wirkt vornehm. Marie fühlt sich in dem Halbdunkel wohl. Kleine Grüppchen stehen an weiß eingedeckten Stehtischen. Männer tragen Anzüge, Frauen festliche Kleider und hochhackige Schuhe. Rechts, neben der Empfangstheke, stehen Servicekräfte mit nach hinten verschränkten Armen vor einem Buffet und warten auf ihren Einsatz.

Kellner gehen herum und bieten Champagner an. Marie nimmt zwei Gläser, reicht eines Toni und mustert die Gäste. Sie kennt viele vom Sehen, prostet einigen zu und lächelt. Toni dagegen bleibt ihrem Prinzip treu, niemanden in der Öffentlichkeit zu grüßen. In der ländlichen Gegend wäre es fatal von einer Psychologin gegrüßt zu werden. Am Ende ist man gar Patient! Was würden da die Leute sagen?

In der Hotellobby drängen sich die Gäste und die Bürgermeisterin klopft mit einer Kuchengabel an ihr Glas. Sie beginnt mit der Laudatio. Marie hört nur mit einem Ohr zu. Ihr verletztes Bein tut weh. Da sie kleiner ist als die Umstehenden, vertreibt sie sich die Zeit mit dem Studieren der Schuhe. Der Applaus schreckt sie aus ihren Betrachtungen. Automatisch fällt sie in den Beifall mit ein.

Die Bürgermeisterin ergreift noch einmal das Wort und bittet die Gäste nach draußen. Geraune geht durch das Foyer und herdenmäßig kommt die Gesellschaft in Gang.

Jetzt weiß Marie, warum der Parkplatz abgesperrt war. Er ist nicht wiederzuerkennen und erinnert an Tausendundeine Nacht. armer Sand knirscht unter ihren Füßen, bunte bestickte Stoffe hängen von Pergolen und wehen leicht im Wind. Hollywood-Schaukeln und Liegestühle laden zum Verweilen ein. Orientalische Musik erklingt und exotische Düfte kommen von Räucherstäbchen, die mettigelmäßig in runden, reich verzierten Gefäßen stecken. Fackeln brennen. Palmen in überdimensionalen Töpfen schmücken die Hotelwand. Die warme Nacht tut ihr Übriges.

Ein Knall.

Die Gäste zucken zusammen und mit kollektivem Ah begrüßen sie das Feuerwerk. Im Sekundentakt schießen Raketen in den Himmel und spucken rote, grüne, silberne und goldene Sterne aus. Mit großen Augen und offenen Mündern staunen alle in den Himmel.

Mit einem Goldregen und großem Applaus endet das Feuerwerk. Die anfängliche Zurückhaltung weicht einem fröhlichen Plauderton.

Das Publikum kehrt nach und nach, wie eine Gänseschar laut schnatternd, zurück ins Hotel. Der Grund ihrer Anwesenheit tritt ein wenig in den Hintergrund. Einige Gäste schlendern ans Buffet und lassen sich kleine Teller beladen.

Auf dem Weg zur Ausstellung lästert Marie bereits über die Kunstwerke. Sie geht wie üblich, von einer autodidaktischen laienhaften Arbeit aus. Bei dieser Lästerei macht Toni für gewöhnlich mit. Aber heute hält sie sich zurück. Sie weiß wer der Maler ist.

Maries voreilige Kritik ist unbegründet, wie sie neidlos anerkennen muss. Die Bilder sind gut. Immer wieder bleiben die beiden Frauen bewundernd vor einem Exemplar stehen. Plötzlich steigt jemand Marie auf den verletzten Fuß. Sie unterdrückt einen Schmerzensschrei. Ein gebeugter Rücken glotzt auf ihre Beine und bittet um Verzeihung.

»War ich das etwa?« Er richtet sich auf und deutet auf die Abschürfungen. »Sieht ja schlimm aus. Sie sollten zum Arzt gehen und sich eine Tetanusspritze geben lassen.« Jetzt erkennt Schleegert, wem er auf den Fuß getreten ist.

»Marie! Sie sind es! Sie haben sich ja doch verletzt! Und das nicht zu knapp«, ruft er und streichelt besorgt ihren linken Arm.

»Sieht schlimmer aus als es ist«, sagt Marie und nach einer kurzen Pause: »Wir sollten uns lieber nicht mehr begegnen, nur zu meinem Schutz.«

»Zu spät. Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen. Sorry, ein Spruch aus meiner Kindheit.« Er lacht sie augenzwinkernd an.

Marie lächelt verlegen zurück. »Schon gut.«

»Sie haben da was«, sagt er. Vorsichtig will er ihr eine Wimper von der Wange streichen.

Zuerst weicht sie zurück, steht aber dann still da und lässt es geschehen.

Toni räuspert sich, aber Schleegert hat nur Augen für Marie. Toni räuspert sich abermals. Keine Reaktion, weder von Marie noch von Schleegert. Pikiert stöckelt sie auf ihren roten Lack-High-Heels in Richtung Buffet davon.

Die Bürgermeisterin entdeckt Schleegert, steuert auf ihn zu und stellt sich abwartend neben ihn. Sie blickt im Minutentakt auf ihre winzige Uhr. Kurzentschlossen greift die Bürgermeisterin ein. Entschuldigend zieht sie Schleegert von Maries Seite, der sich mit einem Handkuss von ihr verabschiedet und ihr im Weggehen zärtlich über die Wange streicht.

Um Marie ist es geschehen. Mit Schmetterlingen im Bauch verlässt sie den Ausstellungsraum und sucht Toni. Diese steht am Buffet und verabschiedet sich hastig von einem Mann. Toni greift nach einem Canapé.

Statt Toni ihre überschäumenden Glücksgefühle kundzutun, fragt sie: »Hab ich ihn vertrieben?«

»Überhaupt nicht. Ich bin froh, dass du endlich kommst«, sagt Toni leicht genervt.

»Wer war denn das?«, fragt Marie neugierig.

»Irgendwer, keine Ahnung.«

Marie fragt nicht weiter nach und hängt sich bei Toni ein. Die eine schlendert und die andere humpelt durch die Hotellobby.

»Und weißt du, mit wem du so lange geredet hast?«, fragt Toni und beißt ein kleines Stückchen von dem Appetithäppchen ab.

»Ja klar, mit Hannes Schleegert. Er war es, in den ich hineingefahren bin. Mein Sturz? Erinnerst du dich? Vor einer Minute hab ich’s dir erzählt.«

»Vor einer Minute! Immer musst du übertreiben! Eher vor einer halben Stunde. Einerlei! Weißt du, wer dein Unfallopfer war?«

»Nö, warum?«

»Mariechen! Er ist der Künstler«, ruft Toni spitzig und betupft ihren perfekt geschminkten Mund mit einer kleinen Serviette, die sie nach Gebrauch nachlässig auf das Tablett eines Kellners fallen lässt.

»Darum kam mir der Name so bekannt vor. Er hat mir nicht gesagt, dass er der Maler ist. Sehr bescheiden, oder? Wieso stellt er in der Provinz aus?«

»Er stammt aus der Gegend und hat der Bürgermeisterin einen Gefallen getan. Liebes, er ist so erfolgreich, er verkauft sogar nach Übersee. Mariechen! Schleegert ist inzwischen Millionär! Du hast noch nie von ihm gehört? Das ist wieder mal typisch.«

»Du weißt doch, Geld interessiert mich nicht. Auf die inneren Werte kommt es an,« entgegnet Marie halb verärgert. Tonis Begeisterung für den Mann scheint Marie übertrieben.

»Das glaubst du doch selbst nicht! Ein paar Äußerlichkeiten sollten schon stimmen und Geld hat auch noch niemandem geschadet«, kommt es von Toni harsch zurück.

Marie erträgt Tonis Wortschwall und hinkt tapfer weiter. Andernfalls hätte die Sache in einem Streit geendet. Sie kennt Toni. Sie muss immer das letzte Wort haben. Und ihre Gefühle für Schleegert behält sie lieber für sich.

Die beiden Frauen spazieren zurück in den Ausstellungsraum. Auf einigen Bildern klebt bereits ein roter Punkt.

»Wer hat so viel Geld?« Toni überfliegt die Preisliste und taxiert die Gäste. Marie folgt ihrem Blick und in der Menge entdeckt sie Hedy mit Hajo im Schlepptau. Der macht ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Marie und Toni flüchten hinter eine Gruppe Besucher. Zu spät.

»Hallo Mariechen, hallo Toni,«, schreit Hedy durch den Raum und winkt, als ob sie in Seenot wäre. Hajos Gesicht erstrahlt. Vor einem großen bunten Bild treffen sie aufeinander. Es zeigt einen vollbusigen Akt in groben Pinselstrichen. Die Farben leuchten. Es ist eine schöne Komposition.

»Schaut mal, was mir Hajo gekauft hat«, flötet Hedy und deutet auf das Bild. Einige Gäste recken die Köpfe. Hedy plappert ungeniert weiter.

Seit Kindertagen hegen Marie und Hedy eine innige Freundschaft, aber von Hedys Ehemann hält Marie nicht viel. Er ist ein Windhund durch und durch. Hedy verschließt die Augen vor dieser Tatsache und je mehr Geschichten kursieren, umso mehr verteidigt sie ihn.

Neuerdings spricht auch Toni wohlwollend von Hajo. Marie fallen die begehrlichen Blicke zwischen den beiden auf. Sie verwickelt Hajo in ein Gespräch und zieht ihn mit sich.

»Sag mal, tickst du noch richtig? Du ziehst Toni ja quasi mit den Augen aus. Was läuft da zwischen euch?«, zischt Marie Hajo an.

»Verflucht nochmal, Marie. Bist du verrückt geworden? Also wirklich. Da läuft gar nichts, ich bin glücklich verheiratet«, presst er hervor und schaut sich lächelnd um.

»Mach mir doch nichts vor. Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock. Wenn du Hedy noch einmal verletzt, dann setzt es was, darauf kannst du Gift nehmen«, schiebt sie nach.

»Vergiss es.« Das Gespräch ist für Hajo beendet.

Marie blitzt ihn wütend an. Er zieht sie lächelnd zum nächsten Bild und sie treffen auf gemeinsame Bekannte.

Nach kurzem Smalltalk kehren sie zu Hedy und Toni zurück. Hajo traut sich nicht mehr, Toni auch nur von der Seite anzusehen.

Maries Fuß schmerzt immer mehr. Tonis Angebot, sie nach Hause zu fahren, lehnt sie ab.

Bevor sie das Hotel verlässt, sucht sie in der Menge nach Schleegert, entdeckt ihn und winkt ihm zu.

Marie radelt nicht den Weg, den sie gekommen ist, zurück, sondern nimmt die Landstraße, die durch Haidhof und weiter nach Riedenburg führt. Übermütig fährt sie in Schlangenlinien an der kleinen Minikirche vorbei und durchquert die Senke eines dunklen Wäldchens, dem Schacher. Angst hat sie keine. Doch wo riesige Kiefern und Fichten fratzenhafte Konturen werfen, kommen ihr die alten Schauergeschichten der Großtante in den Sinn.

Im Schacher gingen früher Geister um. Es waren die Seelen der Toten, die zu Lebzeiten in den Augen der Kirche schlimme Taten begangen hatten. Vielleicht war die Geschichte auch nur frei erfunden, zur Warnung für Kinder, nicht allein oder bei Dunkelheit hindurchzugehen. Verbrechen gibt es nicht erst seit vorgestern.

Aus dem Schacher heraus, hält sie an und zieht ihre Strickjacke über. Fröstelnd tritt sie in die Pedale und bald taucht die beleuchtete Rosenburg auf.

Diese Samstagnacht wird sie nie wieder vergessen.

Marie schiebt ihr Elektrorad in den Schuppen und hinkt durch den Apfelgarten zur Hintertür. Sie bewohnt ein Häuschen am Ortseingang, nahe des ehemaligen Sägewerks. Vor dem Haus hat sie einen kleinen Bauerngarten angelegt und hinter dem Haus stehen alte Apfelbäume. Ihr Refugium zu jeder Jahreszeit. Eine dichte Thujenhecke hält neugierige Blicke ab. Manchmal stehen Nachbarn auf dem Gehweg und wiegen sich in Sicherheit. So wird sie zwangsläufig Hörzeuge von Klatsch und Tratsch. Gut, sie könnte ins Haus gehen, aber ...

Haus, Garten, Arbeit. Zu ihrem Glück fehlen jetzt nur noch ein Mann und Kinder. Mit dieser Einstellung stößt sie bei Toni immer wieder auf Kritik.

Warum willst du dich binden? Warum willst du dir Probleme aufhalsen? Mit Kindern? Fürchterlich! Das wäre nichts für mich. Das ist für gewöhnlich das was folgt, wenn Marie von Mann und Kindern redet. Marie antwortet immer dasselbe. Sie möchte nicht allein alt werden. Und Kinder seien doch was Schönes.

Aber Kinder sind wie eine Wundertüte. Du weißt doch gar nicht, was du bekommst. Der Schuss kann nach hinten losgehen. Ich weiß, wovon ich rede. Wie oft habe ich dir schon von den Problemen meiner Patienten erzählt? Willst du dir das wirklich zumuten Mariechen? So oder so ähnlich verteidigt Antonia ihre Ansichten.

Aber Mariechen will nichts mehr hören. Alles hat seine Grenzen.

Den sechsten Tag schon wickelt Marie ihr Bein mit essigsaurer Tonerde ein, doch die Schmerzen werden immer schlimmer. Mit Engelszungen redete Toni auf sie ein, was nichts nützte. Marie verweigerte vehement den Besuch beim Arzt. Diese kleine Schramme verheile doch von selbst, erklärte sie lapidar.