Tod im Drachenzuber - Helmut Gotschy - E-Book

Tod im Drachenzuber E-Book

Helmut Gotschy

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Beschreibung

Der Freudentaumel des Mittelalterspektakels im Wiblinger Klosterhof endet jäh. Nils Jadewald, Kopf der Mittelalter-Heavy-Metal-Band "Cantus Ferrum", wird erstochen im Becken des Drachenzubers entdeckt. Und auch ein weiteres Bandmitglied wird bewusstlos aufgefunden und kämpft in der Uniklinik um sein Leben. Kommissar Bitterle und sein Team versuchen alles, um die Tat so schnell wie möglich aufzuklären. Doch dann nimmt der Fall eine unerwartete Wendung.

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Helmut Gotschy wechselte 2007 nach über drei Jahrzehnten erfolgreichen Musikinstrumentenbaus zur Schriftstellerei. Ein Stipendium ermöglichte ihm das Studium des kreativen Schreibens. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in einer ehemaligen Mühle in Süddeutschland.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

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© 2019 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: mauritius images/Tim Gainey/Alamy

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Saskia Römer

eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-476-6

Originalausgabe

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Der ist ein Narr mit töricht Blut,Der einem Menschen Unrecht tut,Weil er dadurch gar manchem dräut,Der sich dann seines Unglücks freut.Wer seinem Freunde Böses tut,Der all sein Hoffen, Vertrauen und MutAllein gesetzet hat auf ihn,Der ist ein Narr und ohne Sinn.

Aus »Das Narrenschiff«, Sebastian Brant, 1457–1521

Prolog

Mirko drehte seine letzte Runde. Putin trottete hinter ihm her und beschnüffelte neugierig jeden Stein, dann und wann hob er ein Bein. Bis auf die Vogelstimmen aus dem nahen Illerwald war es ruhig. Die Pferde dösten in ihren Wagen oder standen auf der Wiese. Ihre Nüstern dampften. Nichts rührte sich. Mirko genoss diese Stunden, diese Ruhe, diese friedfertige Stille. Im Inneren des Wiblinger Klosterhofes huschte eine Katze zwischen den Buden vor der Basilika entlang und jagte eine Taube. Ansonsten war es auch dort still. Nach und nach wurde es hell. Mirko sah auf sein Smartphone, gleich sechs. Er überquerte den Platz, ging durch den Torbogen und betrat den Brauhof. Dort standen die Buden der Schnapsbrenner, Bierbrauer und Metmacher. Dicht gedrängt dazwischen lockten am Tag die Händler mit handgemalten Aufschriften wie »Original Katharer Fladenbrot«, »Berlichinger Grützwurst« oder »Bingener Kräutersud« die Gäste an. Eine Wildschweinräucherei hatte sich frech vor einen Stand gepflanzt, der vegane Gemüsepasteten und milchfreie Schokolade anbot. Mirko fragte sich jedes Mal, wenn er hier vorbeikam, wer sich so etwas freiwillig antat, und ließ seinen Blick über die vom Tau glänzenden Biergarnituren schweifen, die locker ein mittelgroßes Bierzelt hätten füllen können und unter denen sich die Spatzen um Brotkrumen zankten.

Putin riss ihn aus seinen Überlegungen. Er schlug an und zerrte an der Leine. Mirko tätschelte den Dobermann am Hals. »Ruhig, Putin, alles gut, du riechst ein Gespenst.«

Doch Putin gab keine Ruhe. Er zog in Richtung Drachenzuber und fing an zu bellen. Nun wurde Mirko doch neugierig. Er blieb stehen und suchte die Umgebung mit seinen Augen ab. »Ganz ruhig, Putin, alles gut«, wiederholte er. Aber der Hund zeterte weiter.

Dann sah Mirko, dass bei dem mittelalterlichen Bad etwas nicht stimmte. Die Leinenbahnen an der Vorderfront klafften ein Stück weit auseinander. Mirko blickte sich um. Niemand war zu sehen oder zu hören, sie waren allein. Er band Putin an die Metallbank bei dem jungen Ahorn mit den roten Blättern, denn er wusste, dass der Hund kaum zu bändigen sein würde, sobald es etwas zu erkunden gab. Anfangs protestierte Putin noch, doch als Mirko ihm den Kopf tätschelte, beruhigte er sich, spitzte die Ohren und sah seinem Herrchen nach. Der strich über seinen Kinnbart, zog eine schlagstocktaugliche Maglite aus der Gürtelschlaufe und ging, ohne sich noch einmal umzuschauen, zum Bad. Komisch, dachte er, warum gibt es heutzutage immer noch Menschen, die dafür bezahlen, barfuß über rohe Holzplanken zu tappen, um fast nackt in ein Holzfass zu steigen, das kaum größer als ein Whirlpool ist, und das auch noch vor fremden Leuten?

Als er nur noch einen Schritt davon entfernt war, winselte Putin. Mirko sah zu seinem Hund und hielt den Finger vor die Lippen. Putin verstummte, er ließ sich wieder nieder, hielt aber die Vorderläufe in den Kies gestemmt. Als Mirko direkt am Spalt der Leinenbahnen stand, schob er sie mit seiner Lampe noch etwas weiter auseinander und knipste das Licht an. Er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken, nichts an den Wänden, außer Regalen mit Tüchern und Steingutkrügen, und nichts in den Ecken, außer einem schweren hölzernen Rührstab, einer Art Kelle. Alles schien in Ordnung. Erst als er den Lichtstrahl nach unten lenkte und den Bretterboden ableuchtete, fielen ihm ein paar Wasserflecken auf; der Größe und den Abständen nach waren es Fußabdrücke. Sie führten vom Becken weg und endeten genau dort, wo Mirko stand. Er pfiff leise durch die Zähne und drehte sich zu seinem Hund um. Der stand jetzt aufrecht da und sah mit vorwurfsvollem Blick herüber, als wollte er sagen: »Na, hast du’s endlich kapiert?«

Mirko hob den rechten Daumen. Putin ließ sich sichtlich zufrieden nieder und wischte dabei mit der Zunge über seine Schnauze.

Mirko schritt die Vorderfront des Holzverschlages ab, der ihm bis zur Hüfte reichte. Der gesamte Aufbau war aus Balken und mit grob gesägten Fichtenbrettern zusammengezimmert und erinnerte ihn an die Datscha seiner Großeltern im Wald nördlich von Rijeka. Er spähte um die Ecke, wo ein paar Stufen zu einer Seitentür führten. Die Tür stand eine Handbreit offen. Erneut sah er sich im gesamten Brauhof um, stieg dann hoch und betrat das Innere des Drachenzubers. Dort roch es nach Badewasser, Kräuteressenzen und noch etwas anderem – etwas Undefinierbarem.

Er ging langsam weiter. Ein paar frühe Sonnenstrahlen, die durch den Spalt der Leinenbahnen drangen, blendeten ihn. Er wandte den Kopf zur Seite und tastete sich so weit vor, bis er den Beckenrand zu fassen bekam. Und dann sah Mirko, was Putin schon von Weitem gewittert hatte. Im Wasser schwamm ein lebloser Körper in einer dunklen rötlichen Brühe. Mirko spürte, wie sein Magen rebellierte und sein Puls gegen die Schläfen hämmerte. Er hielt die Luft an, bis seine Lungen zu platzen drohten. Schnell wandte er sich um, atmete mehrmals tief ein und aus, schloss die Augen und suchte seine Mitte, so wie sie es ihm während der Ausbildung beigebracht hatten.

Mit dem Rücken zum Zuber zog er sein Smartphone aus der Tasche. Trotz der Atemübung zitterten seine Hände immer noch, und er hatte Mühe, die Kurzwahl der Veranstalter zu finden. Nach einer endlos scheinenden Warteschleife wurde er zu einem Stellvertreter weiterverbunden. Nach fünfzehn Klingeltönen brach die Leitung ohne Mailbox zusammen. Mirko kratzte sich am Ohr und versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Er hatte keine Wahl! Immer noch war er kaum in der Lage, die Tasten für die 110 zu treffen.

Nachdem er den Leichenfund gemeldet hatte, ging er wieder ins Freie, setzte sich neben seinen Hund und tätschelte ihm den Hals. »Gut gemacht, Putin, das hast du gut gemacht.« Zum Dank leckte Putin ihm die Hand.

Mirko suchte nun jeden Winkel des Brauhofs ab, um eventuell irgendwelche Hinweise zu finden, die den grausigen Fund erklären würden. Aber da war nichts. Alles war genauso wie am Tag zuvor. Mirko überlegte, wie viel Zeit seit seinem Notruf wohl verstrichen war, zehn Minuten? Um auf Nummer sicher zu gehen, zog er nochmals sein Handy hervor und durchsuchte das Nummernverzeichnis. Schnell hatte er gefunden, was er suchte, und drückte auf »Kula«.

EINS

Konrad Bitterle lehnte in seinem Klappstuhl. Er hatte die Beine von sich gestreckt und tippte die Spitzen seiner Gummistiefel gegeneinander. Dieses geduldige und entspannte Warten mit der Aussicht auf einen Fang war das wahre Vergnügen beim Angeln und gab der ganzen Sache erst den rechten Sinn. Er sog die würzige Morgenluft mit den leicht moorigen Nuancen des Ufers tief in die Lungen und ließ den Blick auf dem Schwimmer ruhen.

Da! Nun hatte er sich schon zum zweiten Mal bewegt. Bitterle beugte sich nach vorne, kniff die Augen zusammen und starrte aufs Wasser. Der Schwimmer tauchte für einen Moment unter und kam wieder hoch. Er legte sich quer und ruckelte in die Tiefe. Kurz darauf fluppte er nach oben und blieb zur Seite geneigt und unbeweglich liegen. Dem Ulmer Kriminalhauptkommissar war das nicht geheuer, er spulte die Leine auf. Bis auf ein winzig kleines Fitzelchen war der Köder abgefressen, und die Spitze des Hakens ragte bedrohlich aus diesem Teigrest. »Mistiges Weißfischgelumpe«, brummte er und meinte damit die grätenreichen Rotaugen und Brachsen, von denen es in dem Altwasserarm der Donau nur so wimmelte. Für sie war sein Köder nicht gedacht!

»Trotzdem krieg ich dich, wart’s nur ab!« Er formte erneut einen Batzen Teig um den Haken, schob den Schwimmer ein paar Zentimeter höher und warf die Angel wieder aus, diesmal jedoch weiter links, ein paar Handbreit vor den Seerosen.

Inzwischen war die Sonne über die Sträucher am gegenüberliegenden Ufer gestiegen, und das Licht funkelte auf der Wasseroberfläche. Die grellen Reflexe blendeten Bitterle, und er wandte den Blick Richtung Schilf. Direkt vor ihm schwebte ein Libellenpärchen. Es flog einen Stängel an, klammerte sich dort fest und ordnete seine Flügel, die türkis- und smaragdfarben schillerten.

Während Bitterle die beiden beobachtete, dachte er an die noch vor ihm liegenden Jahre, die er bis zur Rente hatte – fünf waren es, vielleicht sogar weniger. Er träumte davon, dann nur noch an diesem Ufer zu sitzen, tagsüber zu fischen und am Abend bei dem einen oder anderen Hefeweizen und seiner Jazzplattensammlung gemächlich vor sich hin zu altern.

Wie langweilig, meldete sich jedoch gleich darauf eine andere Stimme, der er nach einem tiefen Seufzer recht geben musste. Was mache ich, wenn ich alle Platten wieder und wieder gehört und durch die Programmhefte von damals geblättert habe? Wenn ich die Autogrammkarten der einstigen Stars sortiert und mich der Erinnerung an den Händedruck von Albert Mangelsdorff hingegeben habe? Wie oft mache ich das? Einmal, zweimal? Und dann? Jeden Tag in die Friedrichsau ins Aquarium oder hierher zum Angeln? Das würde doch genauso zur lieblosen Routine werden wie jetzt die Bürotage in Söflingen.

Warum mussten die uns von der Kripo auch ausgerechnet dorthin versetzen, ins ehemalige Bildröhrenwerk von Telefunken? Logistische Maßnahme hin oder her. Er seufzte. Ich werde mich wohl damit abfinden müssen, so wie ich mich mit den anderen Dingen auch abgefunden habe. »Was auch kommt, es kommt nichts Besseres nach – und was gegangen ist, ist eh weg.« Bitterle überlegte, von wem dieser Sinnspruch stammte, aber er kam nicht drauf.

Was ihm aber wirklich fehlte, war die Nähe zum Münster und zum Wochenmarkt. Wie einfach war es doch noch bis vor Kurzem gewesen, sich dort ein paar Schnapper frische Luft zu holen, um wieder klar denken zu können. Immer dann, wenn ihm die Decke an seinem alten Arbeitsplatz, dem Neuen Bau mit dem steilen Dach, auf den Kopf zu fallen drohte, hatte es ihn nach draußen gezogen. Wenn er zu lange ohne Inspiration in seinem Büro vor sich hin gebrütet hatte, dann war er kurzerhand die paar Schritte über die Neue Straße gegangen, um in den Ulmer Trubel einzutauchen. Dabei waren ihm beim Blick auf den Turm oft die besten Ideen gekommen, egal ob der mit seinen über hundertsechzig Metern Höhe mal wieder an den Wolken kratzte, ob mehr als die Hälfte davon im Nebel verschwunden war oder ob bei Alpenblickwetter die Schwindelfreien von fast ganz oben den unten Gebliebenen zuwinkten.

Vor allem die Markttage vermisste er. Was gäbe er nicht dafür, wieder über die alten Herren schimpfen zu können, die in ihren rentnerbeigen Allwetterjacken mit den Dutzenden Klettverschlusstaschen, den Baumarkt- oder AOK-Basecaps und ihren Einkaufswägelchen den Durchgang versperrten, sich dabei über dies und jenes beschwerten und partout nicht zur Seite weichen wollten; die blind und taub waren für all das, was rings um sie herum passierte. Auch hätte er die Unentschlossenen in Kauf genommen, die sich nicht zwischen zwei Rettichbündeln entscheiden konnten und den Betrieb aufhielten, oder die ganz Dreisten, die alles zigmal befingern mussten, um dann schließlich doch zum nächsten Stand zu trotten, um dort mit ihrer Skepsis einen letzten Rest an Aufmerksamkeit zu erheischen.

Doch was ihm am meisten fehlte, war der Bratwurststand an der Ecke zur Platzgasse. Zweimal pro Woche hatte sich Bitterle dort sein Mittagessen geholt. Er hatte sich geschmeichelt gefühlt, wenn ihn der Besitzer mit »Ah, unser Münsterplatz-Columbo« begrüßt und ihm ohne lange Warterei eine Wurst im Semmel in die Hand gedrückt hatte, natürlich wie immer groß und kross und außerdem mit viel Senf. Auch das Gebimmel des Porzellan-Glockenspiels vermisste er. Immer zur Mittagszeit, Punkt zwölf, öffneten sich die Türchen an der Hausecke des Haushaltswarengeschäfts, und fröhliche Melodien klimperten über den Platz – man konnte es bis vor zur Hirschstraße hören; ein Moment, in dem Bitterle kurz innehalten und lauschen konnte, um anschließend wieder etwas besser gelaunt hinter seinem Schreibtisch zu verschwinden, um Mordfälle zu lösen. Aber das war vorbei. Endgültig.

Mit einem Mal war Bitterle wieder im Hier und Jetzt. Im Wasser tat sich etwas. Sein Schwimmer zog ganz langsam einen Kreis und verschwand dabei immer wieder für den Bruchteil einer Sekunde unter der Wasseroberfläche. Da bist du ja endlich, dachte er und langte in Zeitlupe nach seiner Angel. Bitterle schloss behutsam den Spulenbügel und rollte vorsichtig so viel von der Leine ein, dass sie nur noch in einem leichten Bogen auf dem Wasser ruhte. Er ließ die Korkpose nicht aus den Augen. Nur noch Sekunden, und sie würde mit einem Ruck abtauchen und unter der Wasseroberfläche verschwinden. Und genau auf diesen Moment hatte Bitterle gewartet. Er würde die Angel hochreißen und seinem Opfer den Haken ins Fischmaul treiben. Ein Moment höchster Konzentration. Tatsächlich. Der Schwimmer tauchte ab. Bitterle hielt den Atem an. Gleich hab ich dich, dachte er, senkte die Rute und spulte zwei Umdrehungen weiter, bis sich die Leine beinahe spannte. In diesem Moment vibrierte sein Handy in der Brusttasche. Es fühlte sich an wie eine gefangen gehaltene Hornisse. Er ignorierte das Signal und sah gespannt aufs Wasser, fixierte dabei den Schwimmer, der immer weiter in die Tiefe gezogen wurde. Es vibrierte wieder. Bitterle ließ es vibrieren, hielt für einen Augenblick die Luft an, stand auf und trat bis fast ans Ufer. Das Handy gab keine Ruhe. Er tat noch einen kleinen Schritt vor, zählte im Geist auf drei und riss mit einem Ruck die Angel hoch. Bitterle freute sich auf den Kampf, den Widerstand, den der Fisch leisten würde, um seine Freiheit zu behalten.

Doch da war kein Widerstand, nicht die geringste Gegenkraft, sodass Bitterle das Gleichgewicht verlor und ausrutschte. Er landete mit dem Hintern auf dem Boden, ein Bein blieb an einer Wurzel hängen, mit dem anderen geriet er ins Wasser und spürte, wie es im Stiefel feucht und kalt wurde. Gleichzeitig schoss der Schwimmer durch die Luft und verfing sich samt Haken im Weidengestrüpp hinter ihm. Er baumelte leer und abgefressen am Ende der Angelschnur. Im letzten Moment nahm Bitterle eine mächtige, gelblich grüne Schwanzflosse wahr, die durch die Seerosenblätter wühlte und mit einem Platschen zwischen den Stängeln verschwand. Der Karpfen war weg. Bitterle fluchte, für den Bruchteil einer Sekunde war er abgelenkt gewesen.

Und schon wieder summte diese Hornisse. Er riss das Handy aus der Jacke und blickte genervt aufs Display. Kula! »Kruzifix, was zum Teufel ist denn los? Ich habe frei. Frei! Verstehst du?«, blaffte er seine Kollegin an.

»Ich störe wohl?«

»Du kannst fragen. Natürlich störst du, was glaubst du denn?«

»Das habe ich befürchtet, aber wir brauchen dich, es gibt einen Toten.«

»Herrgottsakra, kann der nicht warten? Soll sich doch der Kriminaldauerdienst oder die Bereitschaftspolizei oder sonst wer darum kümmern. Ich sag es noch mal, ich habe jetzt frei und bin ab Montag wieder zu sprechen.«

»Sorry, Konrad, aber es gibt da ein Problem. Wir brauchen dich, und zwar so schnell wie möglich – nein, eigentlich sofort!«

»Wieso? Und was gibt’s da für ein Problem? Wo bist du überhaupt?«

»Noch daheim. Ich mach mich aber gleich auf den Weg nach Wiblingen ins Kloster. Mirko hat mich informiert, der schiebt dort Wache auf dem Festival. Vier Tage Spektakulum, du weißt schon, das ist dieser große Mittelaltermarkt. Und im Becken eines sogenannten Badezubers schwimmt wohl eine Leiche.«

»Welcher Mirko?«

»Mirko Stanković, der vom Wachdienst mit dem Hund. Erinnerst du dich, letztes Jahr am Ausee?«

»Vage. Und sonst? Wo ist das Problem?«

»Noch herrscht da Ruhe, aber am Nachmittag ist da wieder der Teufel los, ein heilloses Durcheinander, Besucher ohne Ende, wie er mir versichert hat. Außerdem haben sich laut Plakat der SWR und das ZDF angekündigt.«

»Zefix, auch das noch! Dass die nie ihren Kanal voll kriegen. Also gut, ich komme.«

***

Kula Skoulatopulos, die junge Kriminalhauptkommissarin vom Dezernat eins für Kapitaldelikte, bockte ihre Kawasaki auf und verstaute den Helm im Topcase. Das Eingangsportal zum Klosterhof war bereits mit weiß-rotem Absperrband gesichert und wurde von einem Uniformierten bewacht.

»Sie sind aber flott«, sagte er, als er Kula sah, und hielt das Band für sie hoch.

Sie sparte sich einen Kommentar und ging über den Platz. Schon am Torbogen zum Brauhof entdeckte sie Mirko, der weiteren Beamten dabei zusah, wie sie das Gebiet rund um eine hölzerne Bude mit aufgemalten mittelalterlichen Bademotiven weiträumig sicherten. Sie steuerte auf das Häuflein Elend zu, das da auf der Stahlrohrbank hockte und seinen Hund tätschelte. Als er Kula bemerkte, hellten sich seine Gesichtszüge etwas auf. Er stemmte sich hoch und ging ihr entgegen. Putin hob den Kopf und fiepte.

»Du machst Sachen«, sagte Kula. Die beiden stießen die Knöchel ihrer Fäuste gegeneinander und klatschten sich ab. »Was ist denn genau passiert?«

Mirko strich sich über den Bart. »Das gibt’s doch nicht, ey. Schwimmt da einfach ein Toter drin, einfach so. Und dann das ganze Becken, alles voller Blut.«

»Deine erste Leiche?« Kula legte ihre Hand auf Mirkos Schulter und drückte kurz zu.

Er sah sie traurig an.

»Scheiße, ich weiß. Aber glaub mir, auch wenn es jetzt noch so schlimm ist, das geht irgendwann wieder vorbei.« Kaum ausgesprochen, merkte sie, wie hohl und abgedroschen das klang. Trotzdem lächelte sie Mirko an. »Und wie geht’s Putin?« Dabei streckte sie dem Hund den Handrücken entgegen. Der fing augenblicklich an, daran zu schnuppern, und stupste mit seiner Schnauze dagegen.

»Ist immer noch der Alte.« Mirko schien froh um den Themenwechsel und plapperte drauflos. »Weißt du noch, wie er damals am Ausee euren Verdächtigen, den Typen wegen der Toten in der Blau, gestellt hat? Der Kerl hat sich voll in die Hosen geschissen. Keinen Mucks hat der mehr gemacht. Wer war denn nun der Täter? Diese Type, oder?«

Kula zwinkerte ihm zu. »Liest du denn keine Zeitung? Stand doch alles haarklein drin, damals.«

»Ach, Kula, ich und Zeitung. Außerdem habe ich für so was keine Zeit mehr.«

»Wieso das denn?«

»Ha! Ich habe jetzt eine eigene Firma, hab mich selbstständig gemacht. ›Security Mirko Stanković‹, läuft echt gut.« Mirko strahlte und deutete auf das Logo auf seiner Jacke. Es hatte oben drei Zacken und lief unten spitz zu. Die Form erinnerte an ein US-Polizei-Abzeichen.

Kula strich mit dem Finger über die drei mit Leuchtgarn aufgestickten Buchstaben S-M-S.

»Gell, da staunst du!«

»Aber hallo. Und wie kommt’s?« Kula sah ihn aufmunternd an, und Mirko erzählte, wobei seine Stimme vor Stolz leicht bebte.

»Weißt du, ha, das war eigentlich total einfach! Die Ausbildung habe ich ja mit ›gut‹ abgeschlossen, und der Prüfer meinte schon damals, ich hätte mehr drauf als bloß Fertighäuser bewachen. Das war auch auf Dauer zu langweilig, Kohle war auch mau. Und dann habe ich mich mit ein paar anderen zusammengetan und ’ne Firma gegründet. Und jetzt bin ich mein eigener Boss.«

»Gratuliere! Echt geil.«

Mirko strahlte nun übers ganze Gesicht. Kula begann behutsam, noch einmal nach seinem Fund am Morgen zu fragen.

»Weiß denn der Veranstalter schon von der Sache?«

»Habe ich zuerst nicht erreicht, aber dann kam ein Rückruf. Meint, die kommen nicht von der Insel weg. Beim Parallelfestival in Dänemark hat’s gebrannt, und sie müssen noch oben bleiben. Frühestens morgen, haben sie gesagt, und sie würden einen Stellvertreter informieren, und haben mir die Nummer gegeben. Der Typ heißt Pfaffenschneid. Geht keiner ran, habe ihm schon zweimal auf die Mailbox gesprochen, hat sich aber bis jetzt nicht gemeldet.«

»Probier’s noch mal. Bleib dran!«, sagte Kula. Sie sah auf die Uhr und fragte sich, wo Bitterle steckte. Er müsste doch längst da sein. Immerhin war es schon kurz vor acht. Sie stand auf und hörte nur noch halb, wie Mirko mit Pfaffenschneid telefonierte, denn ihre Aufmerksamkeit war zu dem Trupp Kriminaltechniker gewandert, die gerade eintrafen und über den Platz marschierten. Sie schleppten ihre Gerätschaften vors Bad und stiegen in ihre weißen Madenanzüge. Kula musste dabei immer an die verwackelten Bilder der ersten Mondlandung und des Mannes im Raumanzug denken, die ihr Vater ihr als Kind gezeigt hatte.

Der Leiter der Kriminaltechnik kam auf sie zu. »Morgen, wie sieht’s denn aus, können Sie uns schon was sagen?«

Kula verwies auf Mirko, der bereitwillig alle Fragen beantwortete und jedes Detail genauestens beschrieb. Von den offen klaffenden Leinenbahnen an der Vorderfront, der unverschlossenen Seitentür, dem seltsamen Geruch im Inneren bis zu dem leblos im Wasser schwimmenden Körper. Ganz besonders betonte er die nassen Fußabdrücke, die vom Badezuber zum Rand des Podestes führten und dort endeten. »Ach ja, richtig, jetzt fällt’s mir wieder ein! Da waren noch Handtücher. Im Regal waren zwei Stapel nebeneinander. Der eine Stapel hat korrekt gelegen, der andere war verrutscht und durcheinander.«

»Sie meinen, da hätte jemand drin gewühlt oder etwas gesucht?«, fragte der Kriminaltechniker.

Mirko hob die Schultern. »Vielleicht. Schon möglich. Aber ich hab vorher nie darauf geachtet. Weiß nicht, wie genau es da drin normal aussieht.«

»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Sie wissen ja, jede noch so kleine Kleinigkeit trägt oft zur Lösung des Falles bei.«

Mirko dachte nach und rief sich die ganze Szenerie noch einmal vor Augen. »Nein, das war alles.« Seine Panikattacke nach dem Fund verschwieg er.

»Und der Hund?«, hakte der Techniker nach.

»Putin? Na ja, der hat tatsächlich am Boden vor dem Bad Witterung aufgenommen. Aber er kam nicht weiter als bis zur Grillbude beim Eingang. Dort haben Hühnerknöchelchen und ein paar Steakreste zwischen Steinchen gelegen. Waren wohl interessanter. Wir haben’s noch mal probiert, aber auch da hat er sich ablenken lassen.« Mirko hob bedauernd die Hände und strich dann seinem Hund übers Fell. »Tja, so ist der halt, der Putin. Aber sonst, er pariert aufs Wort.«

»Ja, was ist denn hier los? Was machen S’ denn da? Gehts weiter und schleichts euch!« Ein Klotz von einem Mann in grob gestrickter Leinenhose und einem Lederwams kam breitbeinig über den Platz auf den Drachenzuber zugestapft. Er trug die Haare streng nach hinten gekämmt und zum Zopf gebunden, die Koteletten standen weit ab und reichten bis runter zum Kinn. Sein bayerischer Dialekt war nicht zu überhören.

Kula stellte sich ihm in den Weg, wobei ihr seine Alkoholfahne entgegenwehte. »Stopp! Polizei. Sie stören eine kriminaltechnische Ermittlung.«

Der Bayer versuchte, sie beiseitezuschieben. »Mir doch egal. Des ist mei Bad, und ich muss jetzt das Wasser wechseln. Schau, dass d’ weiterkimmst, und zwar dalli.«

Mirko schob sich dazwischen und baute sich vor dem Bayern auf. »Du hörst doch, was die Kommissarin sagt? Oder soll Putin mit dir reden?« Der Dobermann ging wie auf Befehl einen Schritt auf den Mann zu und zerrte an der Leine, dabei zog er die Lefzen hoch und knurrte.

»Und was wird des jetzt? Meinst vielleicht, ich hätt Schiss vor deim Bazi? Was is’n da überhaupt los?«

Kula wurde laut. »Schluss jetzt mit den Mätzchen!« Sie zog ihren Ausweis aus der Tasche und hielt ihn dem Mann unter die Nase. »Kripo Ulm, Mordkommission! Und Sie sind?«

Dem Mann blieb der Mund offen stehen. »Was is los? Kripo? Mordkommission?«

»Name, Anschrift! Was machen Sie hier? Ich will Antworten, und zwar auf der Stelle. Oder sollen wir das Ganze auf dem Präsidium klären?« Während sie dies sagte, winkte sie einen der uniformierten Polizeibeamten her, der sich umgehend auf den Weg machte, um Kula beizustehen.

Der Bayer sank in sich zusammen wie ein ertappter Ochsenfrosch und sagte kleinlaut: »Is ja schon gut. Also, i bin der Breitinger Vitus und komm von Vilshofen, und der Drachenzuber da, der ghört mir. Was um Himmels willen ist denn bloß passiert mit meim Bad?«

»Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass der Sicherheitsdienst dort in der vergangenen Nacht einen Toten gefunden hat. Wir wissen noch nichts Genaues. Jedenfalls muss ich Sie bitten, sich Ihrem Bad nicht zu nähern, bis unsere Untersuchungen abgeschlossen sind.«

»Und wie lang? Wissen S’, i leb davon. I muss aufmachen können.« Vom zuvor polternden Gehabe Breitingers war nichts übrig geblieben als ein flehender Blick.

»Wie gesagt, Sie müssen warten, bis wir fertig sind. Aber wir tun unser Möglichstes.«

Breitinger blickte zu Boden und bohrte seine Fäuste in die Hosentaschen. Dann wanderte sein Blick hinüber zu den Kriminaltechnikern. »Wissen S’ denn scho, wer des is? Also, i mein die Leich?«

»Noch nicht«, antwortete Kula. Sie sah Mirko fragend an. »Was ist mit dir? Hast du die Person erkannt?«

»Ich? Nein, war ja dunkel da drin, und ich habe so schnell wie möglich geschaut, dass ich wieder rauskomm.«

»Verstehe.«

Breitinger meldete sich wieder zu Wort. »Vielleicht könnt i ja helfen. I kenn so gut wie jeden hier auf dem Festival.«

»Falls es einer vom Festival ist«, entgegnete Kula. Sie nagte an der Unterlippe. »Hm, vielleicht haben Sie recht. Aber ich muss Sie bitten, nichts zu berühren. Haben Sie das verstanden?«

»Geht klar. Hauptsach, i kann so schnell wie möglich wieder aufmachn.«

Kula ging vor Breitinger her zu einem der Kriminaltechniker und bat ihn um ein paar Überschuhe. Während Breitinger sie umständlich und leicht schwankend überstreifte, kam Dr. Ina Weichselbraun durch den Torbogen und schritt zum Tatort. Der ursprünglich aus Wien stammenden Pathologin war die Eile anzusehen, mit der sie sich auf den Weg gemacht hatte, denn sie schien im Gegensatz zu sonst völlig ungeschminkt. Dunkle Schatten zeigten sich unter ihren Augen, sie wirkte reichlich übernächtigt.

»Servus«, sagte sie heiser, »habt ihr schon wieder eine Leiche?«

Kula deutete zur Seite Richtung Bad. »Liegt noch im Wasser.«

»Auch das noch! Eine Wasserleiche, ausgerechnet zu Himmelfahrt … Geh, sag mal, wo steckt denn der Bitterle? Is der noch nicht da? Machst du das jetzt alles allein?«

»Keine Ahnung, wo er bleibt«, sagte Kula, zog ihr Smartphone aus der Tasche und drückte zum weiß Gott wievielten Mal Bitterles Nummer. »Der müsste eigentlich längst da sein. Er wollte sich sofort auf den Weg machen.« Während sie dem Tuten lauschte, sah sie eine junge rothaarige Frau, die vor dem Torbogen auf einen Streifenbeamten einredete und dabei wild mit den Händen gestikulierte. Kula wurde neugierig und wollte auf die beiden zugehen, da hielt sie Breitinger am Arm.

»Was is jetzt mit dem Toten, i denk, i soll nachschaun, ob i den kenn?«

Kula machte sich los. »Moment noch, bin gleich wieder da.« Sie ging auf die Rothaarige zu, deren Stimme immer aufgeregter klang. Kula fiel ein leichter Akzent auf.

»Ich habe solche Angst, dass er stirbt! Hören Sie, Sie müssen sofort etwas tun! Ich habe schon einen Notarzt verständigt, aber ich weiß nicht, ob das reicht.«

»Wer stirbt?«, fragte Kula und trat noch einen Schritt auf die Frau zu. »Skoulatopulos, Kripo Ulm. Worum geht es?«

»Wie bitte? Ich habe Sie nicht verstanden. Tut mir leid, wie heißen Sie?«

»Skoulatopulos. Ganz einfach: Skou-la-to-pu-los.«

»Aha. Ich bin Japke de Vries. Also mein Zeltnachbar, der Guido Wölfle, ist nicht ansprechbar. Ich habe Angst, dass er stirbt, so verdreht, wie der daliegt.«

»Wo liegt der Mann? Wo ist das Zelt?«

Japke drehte sich um und zeigte über den Platz in Richtung Pfarramt. Hinter einem weiteren Torbogen waren parkende Autos zu sehen. »Drüben im Paradiesgarten. Genau gegenüber meinem Zelt.«

»Und wie finde ich das?«

»Ich färbe Wolle. Die Fäden hängen draußen auf den Leinen, und am Feuer steht der Bottich – ist nicht zu übersehen.«

»Okay. Wann haben Sie die Rettung verständigt?«

»Vor zehn Minuten vielleicht. Wie lange wird das denn dauern, bis da jemand kommt?«

Im selben Moment eilten zwei Rettungssanitäter mit einer Notfallliege auf die beiden zu. Japke rannte ihnen entgegen. »Gott sei Dank. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo der Verletzte liegt.«

Kula rief ihr hinterher: »Ich melde mich bei Ihnen.« Damit drehte sie sich um und ging wieder zum Drachenzuber-Betreiber, der unschlüssig dastand und die Hände in die Hüften gestemmt hielt.

»Sorry, aber das war wichtig. Also, wie gesagt, nichts berühren oder verändern.«

Breitinger murmelte etwas, stieg die Stufen nach oben und sah ins Becken. Gleich darauf drehte er sich wieder um. Er war kreidebleich und sagte mit belegter Stimme: »Und ob i den kenn! Des is der Jadewald, Nils Jadewald.«

Kula sah zu ihm hoch und fragte: »Und das heißt? Kennen Sie ihn näher?«

Breitinger wiegte den Kopf, während er schwer atmend die Stufen wieder herunterkam. »Mei, was heißt scho näher? Der Jadewald is halt a Musiker. Gestern auf d’ Nacht hat er mit seiner neuen Band ›Cantus Ferrum‹ gspielt, da draußen auf der Bühne.«

»Und?«

»Nix, und, ich hob mir bloß des erste Stück anghört, dann bin i zum Berti seim Metstand. Wissen S’, des is net mei Musik, is mir viel z’ brutal. I hob’s da lieber ein bissel authentisch, gscheite Lieder mit am bayerischen Flair. Gern au politisch. Kennen S’ die Biermösl Blosn?«

»Habe ich schon gehört, ja. Sagen Sie, haben Sie den Toten gestern Abend noch einmal gesehen? Wissen Sie, wie er den Abend nach seinem Auftritt verbracht hat?«

»Naa. Gsehn hob i den nimmer, aber normalerweis feiern die hernach immer no.«

»Na gut, dann erst mal vielen Dank für Ihre Hilfe. Wo kann ich Sie denn erreichen, wenn wir noch weitere Fragen haben? Wohnen Sie hier auf dem Gelände?«

»Ja freili! Draußen neben dem Pfarramt, da hob i a Zimmer.

Sagen S’, wann kann i denn ezat mei Bad wieder aufmachn? I bin auf den Umsatz angwiesen. Allein scho die Kostn für die Wasserbereitung, des Gas, die Reinigung nach jedem Gast und so weiter. Und wann i koane Gäst net hob, kann i net amol die Standgebühr zahlen.«

»Sie reinigen Ihr Bad nach jedem Benutzer?« Kula sah ihn erstaunt an. »Aber im Becken stand doch die ganze Nacht über das Wasser.«

»Logisch! Des lass i immer drin, zwengs der Risse.«

»Risse?«

»Des is a-so: Ohne Wasser trocknen die Dauben aus, und des Fass ist nachherd nimmer dicht. Oiso, was is etzat?«

»Das mit dem Betrieb wird leider schwierig werden, wie gesagt. Nachdem die Kriminaltechniker fertig sind und wir alle Spuren gesichert haben, muss das Becken von Spezialisten gereinigt und desinfiziert werden. Ich weiß nicht, ob sich während dieses Wochenendes solch eine Firma auftreiben lässt.«

»Dann kann i ja glei zsammpackn. Dann bin i quasi pleite.«

»Glauben Sie mir, ich kann Sie gut verstehen. Aber das lässt sich leider nicht ändern.«

Breitinger sah an Kula vorbei und schnaubte. »Als ob’s net scho gnug Probleme geb auf derra Welt.« Dann wandte er sich um, trat durch den Torbogen und verschwand.

ZWEI

Stinksauer wegen der Störung, vor allem aber wegen des entwischten Karpfens, montierte Bitterle seine Angelrute auseinander und stopfte sie ins Futteral. Er warf das Zubehör in den Angelkoffer und klappte ihn zu. Den Spezialköder, den er tags zuvor aus gekochten Kartoffeln, mittelaltem Gouda und einer Prise Vanillezucker zubereitet hatte, zerrupfte er in kleine Fetzen und schleuderte sie ins Wasser. Soll ihn doch fressen, wer will, dachte er, hängte sich den Klapphocker über die Schulter, schnappte sich Angel und Koffer und machte sich auf den Rückweg zu seinem Auto, das er neben der Kastbrücke abgestellt hatte. Schon nach wenigen Schritten bemerkte er allerdings ein glitschiges Quietschen in seinem rechten Stiefel – er hatte seinen Fehltritt von vorhin völlig verdrängt. Wackelig balancierte Bitterle auf einem Bein. Er zog den Stiefel aus und sah zu, wie ein dünnes Rinnsal aus dem Schaft tröpfelte. »Jetzt auch noch eine nasse Socke«, maulte er.

Endlich auf dem schmalen Pfad zwischen Donau und Gronne angekommen, marschierte er los. Dabei störte er ein Entenpärchen, das wild schnatternd aufflog, sowie einen einsamen Schwan, der ihn giftig anschaute. Er reckte den Hals nach vorne und fauchte. Selbst einzelne Mücken waren schon unterwegs, um ihn zu piesacken. Nach etwa fünfhundert Metern stand Bitterle endlich vor seinem froschgrünen 1983er Ascona, stellte den Hocker ab und suchte den Wagenschlüssel. Nacheinander klopfte er jede seiner acht Anglerwestentaschen ab, suchte in der Hose und stellte schließlich den Zubehörkoffer auf den Kopf. Er fand neben den Angelutensilien und seinem Salamibrot mit Gurkenscheiben alles mögliche Zeug: eine Kugelschreibermine, bröselige Gummiringe, einen Nagelknipser und jede Menge leere Traubenzuckertütchen, obwohl er die Dinger schon seit Jahren nicht mehr lutschte. Er fand alles, bloß keinen Autoschlüssel. Er wiederholte die Suchprozedur noch zwei weitere Male und kam doch immer zum gleichen Ergebnis: Der – Autoschlüssel – war – weg!

Bitterle zerrte mit geballter Faust an seinem Kragen. Er versuchte, sich an den Moment zu erinnern, in dem ihm der Karpfen entwischt war. Richtig, er war ausgerutscht, auf dem Hintern gelandet und mit einem Fuß ins Wasser getreten. Bestimmt war der Schlüssel aus der Weste gefallen, während er sich aufgerappelt und dabei die Weidenzweige gestreift hatte. Eine andere Möglichkeit sah er nicht. Wieder vibrierte sein Handy. Er ignorierte es, er wusste auch so, dass es nur Kula sein konnte. »Und wenn du noch so oft anrufst, schneller geht es nun mal nicht«, brummte er und suchte weiter den Weg ab, vielleicht hatte er den Schlüssel ja schon zuvor verloren und es nicht bemerkt. Doch kaum an seinem Platz angekommen, sah er etwas unter dem Weidengestrüpp zwischen Grasbüscheln aufblitzen. Gott sei Dank!

Zehn Minuten später war Bitterle am Tatort. Die Einfahrt zum Parkplatz war mit rot-weiß gestreiften Hütchen blockiert. Er rangierte durch die größte Lücke, stellte seinen Wagen ab und stieg aus. Noch während er seinen Rücken durchdrückte, kam einer der uniformierten Beamten auf ihn zu, musterte ihn kritisch und blaffte in badischer Mundart los: »Was wollen Sie denn hier? Dies ist ein Tatort! Sehen Sie die Absperrung nicht?«

»Kripo, Mordermittlung.« Du bist wohl neu dabei, dachte Bitterle, reckte sein Kinn und fixierte sein Gegenüber. Er klopfte erneut alle Taschen ab, diesmal auf der Suche nach seinem Ausweis, bis ihm einfiel, dass der wohl zu Hause im Sakko steckte. »Ich habe –«

»Sie können mir viel erzählen. Außerdem schauen Sie überhaupt nicht nach Polizei aus, so verdreckt, wie Sie daherkommen. Alla, ich denke, Sie sollten zusehen, dass Sie schleunigst von hier verschwinden.« Der Beamte fasste Bitterle am Arm und war im Begriff, ihn vor sich herzuschieben. Bevor Bitterle ausfällig werden und den Badener einen aufgeblasenen »Gelbfüßler« nennen konnte, kam zum Glück Kula um die Ecke und spurtete auf ihren Kollegen zu. »Da bist du ja endlich! Verdammt noch mal, warum kommst du denn erst jetzt? Wir warten alle!«

Der Streifenbeamte sah sich um. »Gehört der etwa zu Ihnen?«

»Wonach sieht’s denn aus? Das ist mein Kollege!«

Bitterle schob gereizt die Hand des Streifenbeamten beiseite, der sich wortlos trollte. »Wichtigtuer! Also gut, wo ist die Leiche?«, fragte Bitterle seine Kollegin.

»Wirst du gleich sehen.«

Sie gingen unter jungen Buchen die seitliche Klostermauer entlang und kamen zu den Behindertenparkplätzen. Bitterle staunte. Vier Polizeifahrzeuge parkten in Buchten, bei allen flimmerte Blaulicht. Zwei Vans der Kriminaltechniker standen hintereinander, und ein Rettungswagen hatte direkt vor dem Torbogen zum Klosterhof gehalten. Die Hecktüren waren offen, und ein junger Feuerwehrmann trat von einem Fuß auf den anderen und brüllte in ein Funkgerät. Bitterle bekam im Vorübergehen ein paar Fetzen mit.

»Und wo bitte soll der landen? – Auf der Wiese? Auf keinen Fall, da drunten sind die ganzen Pferde, und oben ist alles voller Zelte! – Ja, gerade da, und noch weiter weg macht keinen Sinn! – Auf dem Parkplatz? Keine Chance, alles voller Bäume! – Was jetzt? Die sollen in der Uniklinik den Schockraum klarmachen! Es eilt! – Logisch fahre ich selber. Wir sind so gut wie unterwegs.« Der Feuerwehrmann beendete das Gespräch, ging nach vorne und startete den Motor.

Bitterle kam an Kulas Kawasaki vorbei, die an der Mauer lehnte. Kula wartete vor dem Tor und winkte ihn zu sich her.

»Aus dem Weg!«, hörte Bitterle plötzlich jemanden schreien. Er fuhr herum und sah zwei Sanitäter, die mit einer Notfallliege übers Pflaster rumpelten. Der Notarzt rannte daneben her, hielt eine Infusionsflasche in die Höhe und drückte die Sauerstoffmaske auf das Gesicht eines offenbar bewusstlosen Mannes. Bevor Bitterle eine Frage stellen konnte, waren sie an ihm vorbeigeeilt und luden den Mann in den Rettungswagen. Kaum dass die Hecktüren geschlossen waren, rauschte der mit Martinshorn und Blaulicht davon. Bitterle sah ihm nach. Kula griff seinen Arm und zog ihn weiter.

»Mensch, Konrad, jetzt komm endlich, hier brennt die Luft.«

»Sag mal. Hast du schlecht geschlafen, oder warum bist du so mies drauf?«

»Ich bin überhaupt nicht mies drauf, sondern … ach, vergiss es. Wieso bist du eigentlich nicht mehr ans Telefon? Ich habe andauernd versucht, dich zu erreichen.«

»Da war ich wohl schon unterwegs. Außerdem hast du mich beim Angeln gestört. Wegen dir ist mir der Karpfen entwischt, den ich eine Woche lang angefüttert habe.«

Kula runzelte die Stirn.

Bitterle winkte ab. »Lass jetzt gut sein und sag mir lieber, worum es geht! Was ist passiert? Wozu der ganze Aufwand? Du hast was von einer Leiche gesagt, aber der Typ auf der Liege«, Bitterle wies mit dem Daumen über seine Schulter, »der lebt doch noch, wie’s aussieht.«

»Na, zum Glück! Das war verdammt knapp bei dem, hoffentlich schafft er es. Aber um den geht es jetzt gar nicht. Komm erst mal mit nach drinnen in den Klosterhof.«

»Du machst es ja richtig spannend.«

»Wart’s ab.«

»Ist denn sonst schon wer da?«

»Die Kriminaltechniker und die Weichselbraun.«

»Und Sprekel?«

Kula verdrehte die Augen. »Unser Herr Doktor? Momentan nicht erreichbar. Soweit ich weiß, weilt der Kriminalrat nebst Gattin in Baden-Baden.«

»Pferderennen?«

»Sie bestimmt, hat er irgendwann mal erwähnt. Aber ihn zieht’s, glaube ich, eher ins Kasino.«

»Wer’s hat!«

Kula zog den Mund schief. »Ich kann es ja später noch mal versuchen.«

Bitterle hob die Hand. »Lass dir bloß Zeit damit.«

»Alles klar.«

Der Uniformierte, der am Tor Wache hielt, trat automatisch zur Seite, als die beiden auf ihn zukamen, und grüßte sie beinahe militärisch. Bitterle grüßte zurück und lief weiter neben Kula her. Sobald sie im Hof standen, beschrieb sie mit dem Arm einen Halbkreis und deutete auf die zahlreichen Zelte und Buden.

»Am Nachmittag ist hier wieder der Teufel los. Die erwarten was weiß ich wie viele tausend Besucher.«

»Das wird sich noch zeigen. Zuerst müssen die Spuren gesichert werden. Davor tut sich hier gar nichts«, maulte Bitterle. »Das ist so sicher wie –«

»… das Amen in der Kirche«, vollendete Kula Bitterles Einwand, »ich weiß! Trotzdem sollten wir uns beeilen. Am besten, du sprichst zuerst mit Ina.«

Bitterle schob den Ärmel zurück und sah auf seine Uhr, kurz vor acht. »Seit wann ist die denn schon da?«

»Halb acht etwa, zusammen mit den Technikern.«

»Und du?«

»Seit sieben.«

»Donnerwetter.«

Kula lotste ihn über den Platz, vorbei an einer kleinen Auftrittsbühne aus Zimmermannsbalken, grob gewebtem Leinen und Sackrupfen. Erst auf den zweiten Blick entdeckte Bitterle Mikroständer, Lautsprecher und die neuesten LED-Scheinwerfer, die hinter Fahnen getarnt an einer Deckentraverse hingen. Am Boden führte ein abgedeckter Kabelstrang quer über die Freifläche zu einem Unterstand für den Techniker mit seinen Ton- und Lichtpulten. Trotz modernster Hardware wirkte auch dort alles sehr archaisch, zusammengeschustert und auf alt getrimmt. Da schau her, dachte Bitterle, die kochen mit dem gleichen Wasser wie die Jazzer, wenn sie auf Tour sind. Von wegen Mittelalter. Er folgte Kula, die mittlerweile unter einem weiteren Torbogen auf ihn wartete. Kaum neben ihr, sicherte ein Streifenpolizist hinter ihnen wieder den Durchgang mit dem üblichen Absperrband.

Das Erste, was Bitterle sah, als er im Innenhof neben dem rot belaubten Ahorn stand, waren eine Batterie Biergarnituren, unter denen sich Spatzen stritten, weiße Stapelstühle und entlang der Mauern jede Menge geschlossene Verkaufsbuden. Er wandte seinen Blick nach rechts und entdeckte Ina Weichselbraun. Sie kniete auf dem Boden einer Holzbude, war über einen Körper gebeugt, neben dem bereits ein Zinksarg stand, und sprach in ihr Handy. Direkt vor ihr ragte ein gewaltiges Holzfass empor, an dem sich mehrere Kriminaltechniker zu schaffen machten. Sie wedelten mit Kohlestaubpinseln über freie Flächen und entlang verwinkelter Kanten, packten das eine oder andere Teil in Plastiktütchen und sicherten sonstige Spuren. Mit ihren weißen Schutzanzügen und den Haarhauben passten sie so gar nicht zu dem sonst so rustikalen Ambiente ringsum.

Kula tippte Bitterle auf die Schulter und sagte: »Ich denke, ihr braucht mich im Moment nicht. Ich sehe mich solange um.«

Ina Weichselbraun musste Bitterles Schritte auf dem Kies gehört haben. Sie sah hoch und lächelte. »Konrad, da bist du ja. Ich hab’s gleich!« Nach ein, zwei weiteren Sätzen steckte sie ihr Handy in die Tasche und stand auf. Sie hüpfte vom Podest und kam auf Bitterle zu. »Haben sie dich wieder beim Fischen gestört, so wie du ausschaust, oder ist das der neue Undercover-Dresscode von euch Kriminalern?«

Bitterle bekam kaum mit, was sie sagte. Zu sehr verwirrte ihn die Art, wie sie es sagte. »Was ist denn mit dir los? Seit wann sprichst du Hochdeutsch, und wo ist dein Wienerisch abgeblieben?«

»Hör mir bloß damit auf. An der Uni haben sie mir eine Dozentenstelle angeboten. Bedingung ist allerdings – stell dir das mal vor –, dass ich in einem ›verständlichen Deutsch‹ rede. Als ob es darauf ankäme.«

Bitterle zwinkerte sie an. »Und?«

»Was heißt ›und‹, deppert san s’ ollesamt. Oba wos wuist mocha? I bin auch nimmer die Jüngste.« Sie zog ihn an den Schultern zu sich her und drückte ihre Wange kurz an seine. »Aber du weißt ja eh, der Tod kommt immer zum falschen Zeitpunkt. Immerhin sind wir noch am Leben.«

Zum zweiten Mal lächelte Bitterle. »Noch so früh und schon so philosophisch, Ina. Weißt du denn schon was Genaueres zu unserem Opfer?«

»Gewiss ist bisher bloß, dass er tot ist, dass er eins über den Schädel gekriegt und dass ihm wer ein Messer in den Hals gestoßen hat. Und net bloß einmal. Wie oft, kann ich noch net sagen, aber da muss wer ganz schön sauer gewesen sein.«

Kula rief über den Platz: »Konrad, kommst du bitte mal? Hier gibt es, glaube ich, ein Problem.«

Bitterle tippte Ina auf die Schulter, »bis gleich«, und ging zu Kula, die am Torbogen stand und mit einem Fremden sprach. Er traute seinen Augen nicht. Mit dem nur halb geschlossenen Hawaiihemd, den engen schwarzen Lederhosen und den nach hinten gegelten blonden Haaren, die von einer riesigen Sonnenbrille in Schach gehalten wurden, sah dieser Mann aus, als sei er bei einer Dieter-Bohlen-Double-Casting-Show Letzter geworden. Als Bitterle vor ihm stand, fuhr er ihn sofort an.

»Sind Sie der Verantwortliche für diesen Zirkus? Ich verlange, dass der Platz umgehend freigegeben wird. Wir erwarten zigtausend Besucher, Presse, Radio und Fernsehen haben sich angemeldet, und dann glauben Sie, hier so ein Tamtam veranstalten zu müssen. Ich gebe Ihnen, sagen wir, zwei Stunden, dann ist hier klar Schiff. Kapiert?«

»Und Sie sind?« Bitterle gab sich zunächst betont gelassen. »Der Veranstalter? Sie haben doch bestimmt auch einen Namen.«

Der Angesprochene war für einen Moment perplex. Aber nur für einen. »Sammy Pfaffenschneid«, ging es sofort im gleichen Ton wie zuvor weiter. »Und richtig, ich bin der stellvertretende Manager. Und solange die Hauptverantwortlichen abwesend sind, habe ich hier das Sagen. Aber was tut das zur Sache?« Er trat einen Schritt auf Bitterle zu.

Der blieb stehen, obwohl ihn das sportive Deo Pfaffenschneids, das ihn wie ein Kampfanzug umhüllte, gewaltig in der Nase reizte. Der Groll wegen des entwischten Karpfens erwachte zu neuem Leben. »Jetzt hören Sie mal genau zu, Sie Klugscheißer: Dies ist ein Tatort! Ein Mensch wurde hier ermordet! Und solange wir nicht Genaueres wissen, bleibt das Gelände gesperrt. Ist das klar?«

»Und was ist mit dem Zeltplatz außerhalb? Warum wird da rumgeschnüffelt?«

»Wieso? Weil dort mit Sicherheit relevante Untersuchungen stattfinden«, spekulierte Bitterle, während er sich Kula zuwandte.

Die reagierte umgehend. »Da draußen haben wir einen Mann gefunden, der bewusstlos in seinem Zelt lag. Auch dort muss alles untersucht werden. Aber die Leiche hat natürlich Vorrang.«

»Exakt«, ergänzte Bitterle. »Und gerade deshalb bleibt hier vorerst alles dicht. Und außerdem –«

Pfaffenschneid fiel ihm prompt ins Wort: »So einfach ist das nicht! Dies hier ist der Gastro-Bereich. Da werden die Umsätze gemacht. Den Platz können Sie nicht so einfach schließen. Ich werde sofort die Veranstalter kontaktieren, was glauben Sie, was die Ihnen sagen werden.«

Kula runzelte die Stirn, schielte kurz zu Bitterle und zwinkerte ihm unauffällig zu. Nach einem tiefen Atemzug spießte sie Pfaffenschneid auf: »Also ich glaube, der vorübergehend gesicherte Gastro-Bereich ist das geringste Problem. Wenn wir nicht bald wissen, womit wir es hier zu tun haben, bleibt uns nichts anderes übrig, als alles abzuriegeln, mit einer Hundertschaft das ganze Gelände zu durchkämmen und die Personalien aller Anwesenden aufzunehmen. Und das – das kann dauern! Womöglich kommt noch eine Terrorwarnung dazu. Wissen Sie, was das bedeutet? Schlimmstenfalls müssen wir hier alles«, Kulas Arm beschrieb einen Dreiviertelkreis, »also das komplette Gelände, vom SEK mit Stuttgarter Unterstützung sichern lassen. Dann war’s das mit dem Mittelalterfest. Wollen Sie das wirklich? Was das längerfristig für Folgen haben wird, ist kaum abzusehen. Denken Sie mal an die ganzen Kinder, die hier ihren Spaß haben wollen, an die von weit her angereisten Gäste und vor allem an die kommenden Jahre.« Kula legte die Hand ans Kinn, tippte mit der Fingerspitze an ihre Nase und wiegte den Kopf leicht hin und her. »Da steht womöglich die Zukunft des gesamten Festivals auf dem Spiel!«

Pfaffenschneid stand mit offenem Mund da, räusperte sich ausgiebig und sagte dann mit erhobenen Händen und zudem deutlich leiser: »Okay, okay, aber machen Sie um Himmels willen schnell. Der Boss reißt mir sonst den Kopf ab.«

Bitterle sagte: »Na also, geht doch! Warum nicht gleich so?«

Pfaffenschneid drehte sich um und stapfte mit eingezogenen Schultern davon. Bitterles Laune hob sich, und er blickte ihm schmunzelnd nach. »Hoppla, da hast du ja wieder ganz schön hoch gepokert. Hundertschaft, Terrorwarnung, SEK und was weiß ich sonst noch alles.«

Kula legte den Kopf neckisch zur Seite. »Na und? Hat doch prima funktioniert, oder?«

»Dann hoffe ich mal bloß, dass der ab jetzt die Klappe hält.«

»Der? Der macht keinen Pieps mehr. Verlass dich drauf.«

»Wollen wir’s hoffen. Und was hat es mit dem Zeltplatz außerhalb auf sich, worum geht’s da? Der Mann, der bewusstlos in seinem Zelt lag, war das der, den sie vorhin in die Uniklinik geschafft haben? Was ist mit dem? Und welches Zelt war es? Hat das was mit dem Toten zu tun?«

»Moment, Moment, der Reihe nach! Der Mann heißt Guido Wölfle. Eine der Camperinnen, eine rothaarige Frau namens Japke de Vries, dem Akzent nach stammt sie aus Belgien oder Holland, hat ihn vorhin gefunden. Wölfle lag ihren Angaben zufolge wohl völlig verrenkt auf einer Unterlage in seinem Erbrochenen. Frau de Vries hat sofort den Notarzt gerufen. Wölfle ist vierunddreißig Jahre alt, Mittelalterschmied und spielt auch in der Band, die gestern hier ihren Auftritt hatte, zusammen mit unserem Mordopfer. Da könnte es also einen Zusammenhang geben.«

»Na, da kommt ja einiges an Arbeit auf uns zu.«

Kula nickte mehrmals. »Allerdings!«

»Aber zuerst muss ich nach Hause, mich umziehen. Bin gleich wieder da.«

Sie musterte Bitterle und konnte sich einen Gluckser nicht verkneifen. »Mach das.«

DREI