Tod im Mooswinkel - Sophia Lindemann - E-Book

Tod im Mooswinkel E-Book

Sophia Lindemann

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Beschreibung

Im idyllischen Mooswinkel, einer verschachtelten Kleingartensiedlung am Rande von Rosenfeld, beginnt ein ganz normaler Morgen mit Kaffee, Radieschenbrot und Dackel Newton. Doch als Vereinsvorstand Ludwig Prugger plötzlich tot hinter dem Schuppen liegt, ist es mit der Ruhe vorbei.
Isabell „Isi“ König, 61, pensionierte Biologielehrerin mit messerscharfem Blick für Details, spürt sofort: Das war kein natürlicher Tod. Saubere Gartenschuhe, ein Kanister mit Chlorgeruch und anonyme Drohbriefe sind nur der Anfang eines Falls, der die Gartensiedlung in Aufruhr versetzt.
Zwischen Heckenstreit, Vereinsintrigen und skurrilen Nachbarn stößt Isi auf ein Netz aus alten Rechnungen, Machtspielen und persönlichen Feindschaften. Während Kommissar Holzner eher auf Routine setzt, folgt Isi ihren eigenen Spuren – und gerät selbst ins Visier des Täters.
Charmant, scharfzüngig und mit trockenem Humor erzählt „Tod im Mooswinkel“ von einem Mord in der Kleingartensiedlung, wie er bayerischer nicht sein könnte.
Ein Cozy Crime mit eigenwilligen Figuren, einem cleveren Fall und einer Ermittlerin, die keiner unterschätzen sollte.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Tod im Mooswinkel

Sophia Lindemann

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Bonus-Kapitel – Newton ermittelt

 

Kapitel 1

Isabell König stand barfuß im noch taunassen Gras und hielt in der einen Hand ihre dampfende Kaffeetasse, in der anderen ein halbiertes Butterbrot mit Radieschen. Newton, ihr Dackel, hatte sich derweil entschlossen, das frisch umgegrabene Beet unter dem Gartentisch als seinen neuen Lieblingsschlafplatz zu beanspruchen. Nur der Schwanz zuckte noch, so als verarbeite er im Traum eine hitzige Debatte mit einem Igel.

Die Morgensonne legte sich wie ein goldener Schleier über den Mooswinkel, diese etwas verwilderte Kleingartensiedlung am südlichen Rand von Rosenfeld, einer Stadt, die sich selbst gerne als „die grüne Lunge Oberbayerns“ bezeichnete, obwohl sie aus mehr Parkplätzen als Parks bestand. Doch der Mooswinkel war anders. Er war nicht modern, nicht hip, nicht effizient. Er war eigenwillig, verschachtelt, leicht verwildert – und genau deshalb mochte Isi ihn.

Seit acht Monaten lebte sie nun dauerhaft in der Gartenlaube ihres verstorbenen Bruders – einer Laube, die im Innern mehr an ein Almhüttchen erinnerte als an einen Geräteschuppen. Ein kleines Badezimmer, ein Wohnraum mit Küchenzeile, zwei Stufen hoch eine winzige Schlafnische – es reichte. Mehr brauchte sie nicht.

Früher hatte sie Biologie unterrichtet. Gymnasium, 11. bis 13. Klasse, mit Leidenschaft, bis sie irgendwann keine Lust mehr hatte, den 35. Vortrag über Photosynthese in einen Raum voller TikTok-Mimiken zu halten. Jetzt war sie 61, offiziell pensioniert, mit gelegentlichen Rückfällen in besserwisserisches Dozieren – aber in Mooswinkel war das kein Nachteil. Im Gegenteil. Wer hier zu viel fragte, bekam von Isi oft ungefragt eine Antwort.

Heute jedoch war es still. Nur eine Ringeltaube gurrte irgendwo auf einem morschen Gartenhausdach, und aus Parzelle 14 wehte der süßliche Geruch von zu früh angeheiztem Grillkohleanzünder herüber. Isi war sich sicher, dass das wieder Frau Kellermann war. Die Frau grillte grundsätzlich um acht, auch wenn es regnete.

Sie nippte am Kaffee, schaute in den Himmel und dachte an nichts – eine Übung, die sie mittlerweile gut beherrschte, bis Newton plötzlich aufsprang, bellte und sich kläffend in Richtung Hauptweg stürzte. Isi stellte die Tasse auf die Balustrade, stopfte sich das halbe Brot in den Mund und rief ihm nach: „Newton! Sitz!“

Der Dackel ignorierte sie komplett.

Sie stapfte ihm hinterher – barfuß, mit Butterfingern und einer Ahnung, dass der Tag schon wieder seine eigene Dramaturgie schrieb.

Am Hauptweg, der eher einem geschotterten Trampelpfad glich, stand ein Mann in signalgrüner Warnweste, die ihn als Mitarbeiter der Stadtwerke auswies. Er beugte sich gerade über einen der Hydranten am Wegesrand, fluchte leise vor sich hin und tippte auf ein digitales Messgerät, das aussah wie ein überdimensionierter Taschenrechner.

„Guten Morgen“, sagte Isi. Newton stellte sich in Position, ganz der Wachhund, den niemand ernst nahm.

„Morgen“, murmelte der Mann. „Wasserleitung leckt irgendwo. Hier verliert einer ordentlich Liter.“

„Bei dem Boden hier wundert mich gar nichts“, sagte sie und verschränkte die Arme. „Torfboden, Lehmschicht, eine einzige Einladung für Rohrbrüche.“

Er hob den Blick und sah sie zum ersten Mal an. „Kennen Sie sich aus, oder klingt das nur klug?“

„Ich bin pensionierte Biologielehrerin. Das ist ein Mittelding.“

Ein Grinsen blitzte auf. Dann rief plötzlich eine Stimme von weiter hinten den Weg hinunter: „Isi! Komm schnell! Der Prugger liegt hinterm Schuppen! Ganz verdreht!“

Es war Leni Dobler aus Parzelle 6 – 72 Jahre, stur, windfest, die einzige im Verein mit Gartenzwergverbot. Isi hatte noch nie erlebt, dass Leni laut rief, geschweige denn panisch wirkte.

„Was für ein Schuppen?“ rief Isi zurück.

„Na der Schuppen beim Vereinsheim!“

Isi vergaß ihre Butterfinger, vergaß ihre nackten Füße, und auch Newton, der inzwischen wieder schnüffelnd über das Weggrün zottelte, begriff, dass es ernst wurde.

Sie rannte.

Der Mooswinkel hatte zwar keinen eigenen Bürgermeister, aber sehr wohl eine Vereinsordnung, und an deren Spitze stand: Ludwig Prugger, 68, offiziell erster Vorstand des Kleingartenvereins „Gartenfreunde Mooswinkel e. V.“, inoffiziell der Alleinherrscher über Wege, Heckenhöhen und Laubzeiten. Er hatte die Aura eines Mannes, der einst Wehrdienst mit Bravour geleistet hatte und sich seither im Dauereinsatz gegen ungeordnetes Wachstum wähnte.

Und nun lag er hinter dem Geräteschuppen des Vereinsheims.

Mit verdrehtem Oberkörper, starren Augen und einem Gesichtsausdruck, der eher zu einem Theaterstück über listige Notare gepasst hätte als zu einem realen Tod.

Leni Dobler kniete daneben und fächelte mit einer Ausgabe des „Gartenfreund aktuell“ Luft, als hätte sie noch Hoffnung.

„Wann haben Sie ihn gefunden?“ fragte Isi, während sie sich vorsichtig näherte.

„Vor fünf Minuten. Ich wollt nur schauen, ob die Schubkarre da hinten noch da is, weil der Blasius sich gestern eine borgen wollt. Da seh ich den Ludwig. Einfach so … da liegend.“

Isi kniete sich ebenfalls hin, achtete dabei auf ihren schmerzenden rechten Meniskus, der bei Feuchtigkeit immer gleich protestierte, und sah genauer hin.

Kein Blut. Kein offensichtlicher Sturz. Aber die Haltung war seltsam – als hätte er sich gegen etwas gewehrt oder umgedreht, als wäre er überrascht worden.

„Ich glaub, der ist tot“, flüsterte Leni.

„Ja“, sagte Isi sachlich. „Das glaube ich auch.“

Der erste Polizist traf um 9:12 Uhr ein. Hauptkommissar Stefan Holzner, Typ: kräftig, freundlich, mit Anflug von Pollenallergie. Er kannte Isi von früher – sie hatte einst seine Tochter in Biologie unterrichtet („Gute Note, kein Talent“). Nun stand er mit Notizblock und einem genervten Gesichtsausdruck neben der Leiche.

„Was glauben Sie, Frau König, Unfall, Herzinfarkt?“

„Ich glaub gar nichts“, erwiderte Isi. „Ich seh nur: Er liegt falsch.“

„Wie meinen Sie das?“

„Der Ludwig wäre nie freiwillig hinter dem Schuppen gestanden. Da ist Unkraut. Und Brennnesseln.“

Holzner seufzte. „Aha.“

Isi sah, dass er es innerlich schon als natürlichen Tod abgehakt hatte. Wahrscheinlich sah er in Gedanken schon die Kollegen vom Rettungsdienst, die bald kommen würden, und die Feuerwehr, die beim Tragen helfen musste. Doch etwas in ihr sträubte sich. Ludwig Prugger war ein Unsympath, sicher. Aber er war auch ein Pedant. Und Pedanten sterben nicht einfach so zwischen Mülltonne und Kompostgitter.

„Gibt’s Verwandte?“ fragte Isi.

„Einen Neffen irgendwo in Trostberg. Aber der hat seit Jahren nicht mehr angerufen, sagt man.“

Sie nickte. Dann trat sie einen Schritt zurück und betrachtete den Körper noch einmal – diesmal nicht als ehemalige Lehrerin, sondern als Bewohnerin des Mooswinkels.

Und ihr fiel auf: Prugger trug seine Gartenschuhe. Aber die waren blitzsauber.

Kapitel 2

„Da ist was faul“, sagte Isi leise, während sie neben dem Streifenwagen stand und zusah, wie der Leichnam von Ludwig Prugger behutsam in einen dunklen Plastiksack geschoben wurde. Newton saß neben ihr und winselte leise, als hätte auch er begriffen, dass dieser Morgen mehr war als ein gewöhnlicher Gartentag.

Holzner hatte die Hände in die Hüften gestemmt und wirkte, als müsste er sich zusammenreißen, nicht laut zu gähnen. „Frau König, bitte. Sie wissen doch: In so einem Alter kann das jeden treffen.“

„Aber nicht hinter einem Schuppen, auf blanker Erde, mit sauberen Schuhen“, entgegnete Isi. „Der Ludwig ist nie ohne Aufsehens gestorben, und er hätte es auch nicht einfach so getan.“

Holzner warf ihr einen Blick zu, der irgendwo zwischen Amüsement und Vorsicht pendelte. „Sie haben doch nicht vor, wieder... also... selbst zu ermitteln?“

„Ich hab gar nichts vor. Ich schau nur hin.“ Sie deutete mit dem Kopf auf die Stelle, an der die Leiche gelegen hatte. „Und wenn Sie das auch täten, würden Sie sehen, dass das nicht passt.“

Er antwortete nicht. Stattdessen winkte er einem der Sanitäter zu und zog sich für ein Telefonat zurück. Isi hörte nur Bruchstücke – „natürlicher Tod nicht gesichert“ und „Kripo verständigt“ –, doch das reichte. Ihr Bauchgefühl wurde an diesem Morgen nicht enttäuscht.

Wenig später saß sie wieder auf ihrer kleinen Terrasse, Newton zu Füßen, eine neue Tasse Kaffee in der Hand. Ihre nackten Füße steckten nun in ausgelatschten Gartenschuhen, das Butterbrot war ersetzt durch ein Stück Gugelhupf, das sie gestern von Leni bekommen hatte – „ein bisschen trocken, aber ehrlich“. Isi mochte das. Sie hatte kein Bedürfnis nach Show, nur nach Ruhe. Und seit heute früh war klar: Die war erst mal vorbei.

Sie nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach. Über Ludwig Prugger. Über den Mooswinkel. Und darüber, wie es weitergehen würde. Wahrscheinlich gar nicht so anders als sonst, nur mit mehr Flüstern, mehr Spekulationen und einer Vorstandswahl, die nun schneller kommen würde als geplant.

Noch während sie sich in den ersten Theorien verlor – Herzinfarkt beim Unkrautzupfen? Schlaganfall? – wurde sie jäh unterbrochen. Newton bellte wieder, diesmal mit Nachdruck, und wenig später hörte sie das Klirren eines Einkaufswagens auf Schotter.

Das konnte nur eines bedeuten: Roswitha Mayrhofer war auf dem Weg.

Und tatsächlich: keine zwei Minuten später bog Roswitha um die Ecke. Sie war das, was man im Mooswinkel eine Institution nannte – 74, klein, drahtig, mit dem Haar eines Opernchores und der Stimme eines Marktschreiers. Sie hatte einst beim Landratsamt gearbeitet und führte heute das Vereinsleben mit einem Engagement, das andere in ehrenamtlichen Fußballclubs erschöpfen würde.

„Isi! Hast du’s schon gehört?“ rief sie, während sie mit dem Einkaufswagen klappernd über den Weg rumpelte.

„Wenn du von Ludwig Prugger sprichst – ja.“

Roswitha ließ sich auf einen der Gartenstühle plumpsen, als sei sie selbst gerade dem Tod entronnen. „Die Leni war ganz aufgelöst. Hat mir erzählt, du warst schon dort.“

„Ich hab ihn gesehen, ja.“

„Und? War’s ein Mord?“

Isi hob die Augenbrauen. „Roswitha, wir sind hier nicht bei „Rosenheim Cops“.“

„Na, aber da liegt einer tot hinterm Schuppen, da darf man doch wohl fragen.“

„Man darf. Aber ich sag dir nichts, was ich nicht weiß.“

Roswitha schnaubte. „Ich sag dir, wenn’s einer war, dann die Kellermann. Die hatte Streit mit ihm. Wegen der Hecke. Die ist doch wie ein Lineal – aber das reicht dem Prugger nicht. Hat sie angeschwärzt beim Vorstand. Und das nimmt die persönlich.“

Isi konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Du meinst, sie hat ihn umgebracht, weil er einen Heckenverstoß gemeldet hat?“

„Manche Menschen sind so.“ Roswitha klang überzeugt.

Isi lehnte sich zurück. „Dann sind wir in einem Kleingarten-Thriller gelandet. Kapitel 1: Der Heckentod.“

Roswitha warf ihr einen Blick zu, der zeigte, dass sie Ironie nur in homöopathischen Dosen vertrug.

„Lacht nur. Ich sag dir: In so Gartensiedlungen passieren Dinge, da denkst du, du lebst in einem Krimi.“

„Vielleicht tu ich das ja.“

Am Nachmittag, nachdem sich das Gespräch um Prugger im Kreis gedreht hatte – vom möglichen Schlaganfall über einen Wespenschock bis hin zu Gift im Düngemittel –, zog sich Isi zurück. Sie streichelte Newton kurz über den Rücken, griff nach ihrer alten Wolljacke, die nach Lavendel roch, und machte sich auf den Weg zum Vereinsheim.

Der Schuppen war längst wieder verschlossen, aber das Gelände wirkte verändert. Die Blumen im Gemeinschaftsbeet standen da wie Zeugen, die sich nicht trauten, auszusagen. Isi ging langsam an der alten Linde vorbei, die Prugger selbst gepflanzt hatte – unter Protest der gesamten Mitgliedschaft, weil der Wurzelwuchs angeblich den Weg sprengen würde – und blieb dann vor dem Bretterschuppen stehen.

Sie schaute auf den Boden. Da, wo Prugger gelegen hatte, war nun Erde, die aussah wie frisch geharkt. Aber ein winziger Abdruck war noch zu sehen. Vielleicht von einem Gummistiefel.

„Und? Finden Sie was?“

Isi zuckte zusammen. Stefan Holzner war wieder da. In der Hand hielt er einen Ordner, auf dem in roten Buchstaben „Vorstandsunterlagen – Prugger“ stand.

„Ich wollte nur nochmal schauen“, sagte Isi.

„Na dann schauen Sie mit mir.“ Er trat näher. „Wissen Sie, was das Seltsamste ist? Der Mann hat gestern noch mit dem Kassenwart telefoniert. Laut dem Gespräch wollte er heute früh die Abrechnung für die Laubenbeleuchtung machen.“

„Also war er nicht krank. Kein Anzeichen?“

„Keins. Und was auch komisch ist: In seinem Kalender stand heute ein einziger Eintrag. '9 Uhr: Treffpunkt – Schuppen.'“

Isi runzelte die Stirn. „Dann hat er sich mit jemandem verabredet.“

„So sieht’s aus.“

„Und dieser Jemand hat ihn – wie auch immer – umgebracht?“

Holzner nickte langsam. „Oder er ist einfach umgefallen. Aber der Arzt ist sich nicht sicher.“

Isi atmete tief durch. Ihr Blick wanderte noch einmal über das Gelände. Die Bank am Vereinsheim, das Rankgitter, der verwilderte Buchs.

Und sie spürte, wie ihr der alte Reflex wieder in die Knochen kroch. Der Reflex, Dinge verstehen zu wollen. Systeme zu erkennen. Und Fehler in diesen Systemen.

„Stefan“, sagte sie schließlich. „Wenn Sie mir den Gefallen tun: Geben Sie mir eine Woche. Wenn ich bis dahin nichts finde, halte ich mich raus.“

Holzner seufzte. „Und wenn ich nein sage?“

„Dann sag ich dir trotzdem, was mir auffällt.“

Er lächelte schief. „Eine Woche. Und dann kommst du zur Vernunft.“

Isi nickte. Dann trat sie einen Schritt zurück, blickte auf den Ort, an dem Ludwig Prugger sein letztes Gartengespräch nicht mehr beendet hatte, und sagte nur:

„Dann fangen wir mal an.“

Kapitel 3

Das Vereinsheim des Mooswinkels war eine Mischung aus Almhütte, Geräteschuppen und amtlich genehmigtem Wahnsinn. Innen roch es nach Bohnerwachs, alter Thermoskanne und einem Hauch von Männerschweiß, der sich seit Jahren in die Holzvertäfelung gefressen hatte. Isi stand mitten im Raum und blickte auf das große Schwarze Brett, das in der linken Ecke hing – darauf prangten sämtliche Vereinsregelungen, Gartentipps aus dem Jahr 2002, eine verblasste Einladung zum Johannisfeuer und eine Liste mit Telefonnummern, deren Papier sich bereits an den Rändern zu kräuseln begann.

Sie machte sich Notizen, nicht auf Papier, sondern im Kopf. Wer hatte wann zuletzt Kontakt mit Prugger? Wer profitierte von seinem Ableben? Und wer hatte gestern früh einen Grund gehabt, sich mit ihm im Schuppen zu treffen?

Der Kassenwart, Herr Kagerer, war angeblich telefonisch involviert gewesen. Aber der war derzeit in Reha. Blieben also andere verdächtige Gestalten: Frau Kellermann mit ihrer Hecke, Herr Blasius, der sich kürzlich über einen abgelehnten Anbau beschwert hatte, und natürlich Roswitha Mayrhofer – die aus Prinzip immer wusste, wer mit wem nicht konnte, und darin eine Form von Kontrolle fand.

Isi trat näher ans Schwarze Brett. Ganz unten hing ein Zettel mit dem Titel „Tauschbörse“. Handschriftlich, mit Kugelschreiber. Unter anderem angeboten: „Elektro-Rasenmäher, leicht zu führen“, „alte Gartenstühle, bisschen wackelig, dafür günstig“ und – das ließ sie kurz innehalten – „Frostsicherer Kanister – nie benutzt“.

Sie griff nach dem Zettel und betrachtete ihn genauer. Die Telefonnummer war dieselbe wie auf der Einladung zum Grillabend nächste Woche – Familie Leutner aus Parzelle 11.

Isi kannte die Leutners nur flüchtig. Ein stilles Ehepaar, Anfang fünfzig, etwas zurückgezogen, immer höflich. Aber warum boten sie einen frostsicheren Kanister an, wenn sie selbst regelmäßig über zu wenig Winterlager klagten? Und warum stand auf dem Deckel des Schuppens noch ein identischer Kanister?

Sie steckte den Zettel ein.

„Verdächtig ist das nicht“, murmelte sie vor sich hin. „Aber eigenartig.“

Sie drehte sich um, verließ das Vereinsheim und machte sich auf den Weg zu Parzelle 11.

● 

Das Gartentor der Leutners quietschte leise, als sie es öffnete. Newton schnüffelte sofort an der Rosenhecke, fand offenbar nichts Bemerkenswertes und trabte ihr gemächlich hinterher. Im Garten selbst war alles akkurat: Beete rechtwinklig angelegt, Kieswege gesäubert, das Häuschen frisch gestrichen in einem Vanilleton, der genauso mutlos war wie das Verhalten der Besitzer.

Isi klopfte an die Tür. Nichts. Sie klopfte erneut, diesmal lauter.

Nach einer Weile öffnete Frau Leutner. Sie war blass, trug eine Schürze mit Erdbeeren drauf und schaute überrascht.

„Frau König? Grüß Gott. Was führt Sie zu uns?“

„Nur eine kleine Frage. Haben Sie zufällig Ihren Kanister verkauft? Der aus der Tauschbörse?“

Frau Leutner wirkte verwundert. „Nein, der steht noch im Geräteraum. Wieso?“

„Nur so. Ich habe gesehen, dass auf dem Vereinsheim ein identischer Kanister steht. Dachte, er gehört vielleicht Ihnen.“

„Oh, nein. Unserer ist alt. Den haben wir vom Schwager meines Mannes.“

Isi lächelte höflich. „Danke Ihnen. War nur Neugier.“

Sie verabschiedete sich, ging aber langsam zurück. Frau Leutners Reaktion war echt gewesen – zu echt, um gespielt zu sein. Also war der Kanister auf dem Vereinsheim tatsächlich ein zweiter. Und der war – wie Isi heute früh bemerkt hatte – halb leer. Die Stadtwerke hatten ja von einem Wasserverlust gesprochen. Vielleicht war das ein Zusammenhang, vielleicht auch nicht.

Zurück in ihrer Parzelle setzte sie sich mit einem neuen Kaffee auf die Terrasse und überflog gedanklich die Szene vom Morgen. Ludwig Prugger – auf dem Boden liegend, in sauberen Gartenschuhen, ohne sichtbare Wunde. Kein Blut, kein Kampf. Und dennoch: verdrehte Haltung, starre Augen, und das Gefühl, dass er etwas erwartet hatte. Etwas – oder jemanden.

Isi nahm einen Notizblock zur Hand. Keine Metaphern, keine Dramatik. Nur Fakten. Sie schrieb:

– Prugger verabredet für 9 Uhr am Schuppen

– Kein Werkzeug dabei

– Reine Verwaltungstätigkeit angekündigt

– Gelände sauber

– Schuhe sauber

– Leiche lag unnatürlich

Dann darunter:

– Leutners unverdächtig

– Kellermann verdächtig? Heckenstreit

– Blasius – Ärger wegen Geräteverleih

– Roswitha – weiß zu viel, redet zu schnell

Und schließlich:

– Was wollte Prugger am Schuppen?

Newton legte den Kopf auf ihre Füße. Isi streichelte ihm das Ohr.

„Vielleicht, mein Guter“, sagte sie leise, „wollte er gar nicht dort sein. Vielleicht hat ihn jemand dort hingelockt.“

● 

Am Abend saßen sechs Menschen auf sechs Holzstühlen im Gemeinschaftsgarten, der offiziell nur für Vereinsfeiern genutzt werden durfte, inoffiziell aber bei jedem zweiten Sonnenstrahl zum Quatschtreff wurde.

Isi trat dazu, wurde mit einem Nicken begrüßt und setzte sich. Roswitha war schon da, mit Häkelarbeit. Kellermann mit Kissen auf dem Stuhl. Blasius rauchte filterlos. Und ausnahmsweise wurde nicht über Dünger geredet.

„Also ich sag euch“, hob Roswitha an, „wenn der Prugger einen Schwächeanfall gehabt hat, dann bestimmt, weil ihn jemand vorher so richtig gestresst hat.“

„Vielleicht hat ihn jemand angeschrien“, warf Blasius ein. „Das kann bei Bluthochdruck tödlich sein.“

„Oder er hat was entdeckt“, sagte Frau Kellermann.

Alle sahen sie an.

„Was entdeckt?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Na vielleicht einen Einbruch. Oder Schmiererei. Oder so was. Und der Schock ...“

Roswitha kicherte. „Also ehrlich, so spannend war’s bei uns noch nie.“

„Jetzt schon“, sagte Isi und sah sie nacheinander an. „Jetzt ist es spannend.“

Sie trank einen Schluck aus ihrem Wasserglas, das seltsam nach Chlor schmeckte, und fragte beiläufig: „War eigentlich jemand von euch heute früh zufällig auf dem Gelände? So gegen acht?“

Kellermann schüttelte den Kopf. „Da war ich noch im Schlafanzug.“

Blasius: „Ich war beim Bäcker. Der mit den Nussschnecken.“

Roswitha hob eine Augenbraue. „Ich hab die Fenster geputzt.“