Tod und Vermächtnis - Konrad Steger - E-Book

Tod und Vermächtnis E-Book

Konrad Steger

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Warum bringt jemand einen 93jährigen Eigenbrötler um, der von Gott und der Welt verlassen schien? Wieder stehen Kommissar Fritz Permann und sein Team vor einem Rätsel, das gelöst werden muss. Der Fall führt die Ermittler weit zurück in die finsterste Vergangenheit Südtirols und schließlich nach Israel, wo der Kommissar vielversprechenden Spuren nachgehen muss. Dort warten gar einige Fallstricke, in denen sich der Kommissar zu verheddern droht.

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Seitenzahl: 210

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Konrad Steger

Tod und Vermächtnis

Ein Südtirol-Krimi

© 2023 Konrad Steger

Coverfoto © 2023 Markus Leitner

Verlagslabel: tredition

ISBN Softcover:

978-3-347-99922-0

ISBN E- Book:

978-3-347-99923-7

Druck und Distribution im Auftrag:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für den Inhalt ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen durch den Verlag, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

12. März, Bozen, Vintlerstraße, gegen 9.30 Uhr

Fallbesprechung in der Quästur, 10.00 Uhr

Bozen. Zwei Tage später. Schlachthofstraße, gegen 23 Uhr

An meine Kinder

Meine Kindheit

Das Erwachen

Gebrandmarkt!

Entlassen!

Die Deutschen

Die Flucht

Die Gefangennahme

Der Vorhof zur Hölle

Die „Reise“

Auschwitz

Nummern

Die Tage

Die Nächte

Hunger und Tod

Hoffnung

Der Todesmarsch

Die Befreiung

Givat Avoda

Flucht über die Berge

Aufbruch in eine neue Heimat

Schlussbemerkung

Dank

Tod und Vermächtnis

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Titelblatt

Urheberrechte

12. März, Bozen, Vintlerstraße, gegen 9.30 Uhr

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Im Januar

Die Dinge haben sich grundlegend geändert. Seit gestern, diesem schicksalhaften Tag.

Ich muss herausfinden, ob er noch lebt. Und wenn, muss ich ihn sehen, und ihm schon bald Auge in Auge gegenüberstehen. Ich will wissen, wie er sein Verhalten rechtfertigt. Ist er ein alter Mann, der geläutert ist, der Reue zeigt, oder ist er das verblendete Monster geblieben, welches er in seiner Jugend war? Ich werde es herausfinden.

Homo homini lupus? Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf? Nein! Bisher war dies meine fundamentale Annahme. Ja, ich lebte in der Gewissheit, dass der Mensch, im Kern zumindest, gut ist, und ich glaube eigentlich noch immer grundsätzlich an das Gute im Menschen. Ja, er kann fehlgeleitet, verblendet werden, durch irgendwelche fatalen Umstände oder Ideologien, denen er nacheifert. Im Grunde aber ist der Mensch solidarisch und kooperativ.

Ob der alte Mann nur verblendet war? Diese Gedanken lassen mich nicht mehr los; sie bohren und wühlen Tag und Nacht in mir. Ich muss und will es herausfinden. Schon bald werde ich das. Ich bin es den Menschen schuldig.

Ich habe schon seit langem vorgehabt Anfang März die Stadt Venedig zu besuchen, und aus diesem Anlass werde ich auch in den Norden, nach Bozen reisen, um ihn dort ausfindig zu machen.

12. März, Bozen, Vintlerstraße, gegen 9.30 Uhr

Als der Satz, nein, diese fatalen, erbärmlichen Satzfetzen aus dem Mund des Alten gedrungen waren, wurde etwas in seinem Gehirn ausgeschaltet. Nur noch ein roter Nebel aus Zorn und Hass lag vor seinen Augen. Es war, als hätten diese furchtbaren Worte einen Schalter umgelegt, und daraufhin war alles anders. Er wurde von einem Rausch erfasst. Er war wie ein Schwarm bösartiger Moskitos, der sich auf das Opfer stürzte. Seine Augen wurden durch eine Wolke verhüllt, und sein sonst so scharfer Verstand war mit einem Schlag vernebelt, ja ausgeschaltet. In einem Reflex stießen seine Hände nach vorn, so wie die Schlange auf ihr Opfer zustößt, und sie krallten sich um den faltigen Hals des Alten. Er spürte die Bartstoppeln an seinen Fingern kratzen, und wunderte sich einen kleinen Moment darüber, dass der Alte so aussah wie alle Alten, welche er bisher gesehen hatte. Vor ihm stand nicht das blutrünstige Monster, das er sich vorgestellt hatte, sondern ein ganz normaler Neunzigjähriger, so wie er sie manchmal in seiner Straße, vor dem Altersheim, gesehen hatte. Oft im Rollstuhl sitzend, das Gesicht verschrumpelt und zerfurcht, der Kopf teilweise kahl, von weißlich gelben, vom Kopf abstehenden Resthaarbüscheln umrahmt. Aber dieser Alte war dennoch ein Monster.

Seine Hände krallten sich in das Fleisch des Greises, und er sah, wie seine bösen Augen erstarrten und nach einigen Sekunden grotesk aus den Höhlen traten. Diese kalten, blassblauen Augen. Fauliger Atem schlug ihm aus dem offenen Mund des Alten entgegen. Sein Rausch ließ nicht nach. Er spürte, wie sich der Körper unter ihm wand und wie er sich wehrte, und er merkte nicht, wie sich die Fingernägel des Greises in seine Hände krallten, verzweifelt bemüht den Griff zu lockern. Der Mund des alten Mannes war, im Bemühen nach Luft zu schnappen, weit aufgerissen. Nur einmal drang ein dumpfer, erstickter Laut aus seinem Rachen. Der Greis krümmte und drehte sich unter dem brutalen Griff, hatte aber letztlich keine Chance dem starken Mann zu entkommen.

Aber die Todesangst setzte ungeahnte Kräfte frei. Wieder und wieder gelang es dem alten Mann, sich unter dem brutalen Griff zu winden und zu drehen. Deshalb musste der Mann seinen Griff etwas lockern, als der Greis ihm mit seinen letzten Kräften entkommen wollte. Er drückte noch fester zu. Der blinde Hass tobte noch immer in ihm. Er wollte, dass dieses elende Monster endlich verreckte! Wollte, dass er nie wieder solch furchtbare Worte ausstieß. Er hörte sich selbst, hörte wie er unter der gewaltigen Anstrengung und in seiner beginnenden Verzweiflung keuchte, aber er wusste, dass er alles zu Ende bringen musste. Und zwar schnell. Der armselige Greis musste endlich verrecken!

Endlich, endlich spürte er, wie der Körper des Alten unter ihm nachgab und zusammensackte. Erleichtert ließ er von ihm ab und lockerte seinen Griff. Der Mann lag auf dem Boden. Als er sich abwenden wollte, sah er zu seinem Entsetzen, wie der aufgerissene Rachen des Alten wieder nach Luft zu schnappen begann. Wieder stürzte er sich auf ihn, er hörte sich schreien. Verzweifelt krallten sich seine Hände um den faltigen Hals. Er spürte, wie die aufsteigende Panik den glühenden Hass zu verdrängen begann. Es musste doch endlich vorbei sein! Er spürte, wie seine Hände, die sich wie ein Schraubstock um den Hals des Alten gekrallt hatten und zudrückten, vor Anstrengung zu zittern begannen. Hörte wie er vor Anstrengung keuchte und wie er vor Verzweiflung aufstöhnte. Endlich, endlich, es erschien ihm wie eine Ewigkeit, wurde der Greis still und sackte in sich zusammen. Nach einer ganzen Weile erst wagte er, seine Hände endgültig zu lockern. Er stand auf und merkte, wie er schwitzte und wie er am ganzen Körper zitterte.

Sein Atem ging flatternd.

Dann erschrak er über sein Tun und lauschte gehetzt. Alles war still im Haus. Nur eine Wanduhr tickte. Plötzlich wurde dem Mann bewusst, in welch armseliger Wohnung der Alte gehaust hatte. Die Zeit schien seit fünfzig Jahren still gestanden zu haben. Der schmuddelige, abgetragene Teppichboden strömte einen scharfen Modergeruch aus, und die Ausdünstung des alten Mannes hing darin wie eine Klette an einem Wollpullover.

„Ich habe ihn umgebracht“, dachte der Mann.

„Ich habe ihn tatsächlich umgebracht.“

Er schüttelte den Kopf.

„Das Scheusal lebt nicht mehr, es ist vorbei.“

Noch einmal wandte er sich dem Alten zu, der blau und still und mit offenem Mund auf dem Boden lag, und er sah die hässlichen Würgemale um seinen Hals.

Seine Gedanken begannen zu rasen.

„Ich muss schnellstens verschwinden. Weg von hier! Schnell!“

Als er fluchtartig die Wohnung verließ, kam ihm zu seinem Erstaunen auf einmal ein Kriminalfilm in den Sinn, welchen er einmal gesehen, und in welchem der Täter seine Fingerabdrücke verwischt hatte. Wie in einem Reflex nahm er sein Taschentuch heraus und wischte damit im Vorüberhasten über die Türklinke.

Als er das Haus verließ und auf die vormittägliche Vintlerstraße hinaustrat, beachtete ihn niemand. Das Leben in der Stadt kochte und brodelte weiter, so als ob nichts gewesen wäre. Der Mann ließ sich in einer Menschengruppe bis in die Innenstadt mittreiben, und auf dem dicht bevölkerten Waltherplatz verschluckte ihn der Strom der Menschen endgültig.

Als er auf einer Parkbank nahe des Zugbahnhofes wieder etwas zu Atem und zur Ruhe gekommen war, dachte er mit Schaudern zurück, er dachte daran, wie quälend lange der Todeskampf des Alten gedauert hatte. Er schüttelte sich und beschloss für sich, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen.

Alles in ihm war leer und tot.

Als Hauptkommissar Fritz Permann von der Quästur Bozen gegen elf Uhr die kleine Wohnung in der Vintlerstraße betrat, empfing ihn dieser unverwechselbare, beißend süßliche Geruch. Der Geruch des Todes. Er würde sich nie daran gewöhnen können.

Der schwarzhaarige, 1,82 Meter große Kommissar trat durch die Tür der kleinen Wohnung, und sein Blick fiel sofort auf die Leiche. Permanns grüne Augen, die in seinem schmalen, dunklen Gesicht standen, verengten sich, als sein Blick über die Szenerie schweifte.

Ein alter Mann lag auf dem Boden ausgestreckt. Sein Mund stand weit offen wie nach einem letzten, verzweifelten Schrei. Er sah sein gelbliches Gebiss, die toten, blassblauen Augen, welche ins Leere stierten. Als er sich über die Leiche beugte, fielen Permann die blauschwarzen, unregelmäßigen Würgemale auf, die sich über den Hals des Greises verteilten. Das Gesicht des Toten war bläulich verfärbt, und im Bereich der Augen und Lider waren punktförmige Blutungen erkennbar. Aus dem Mund war Flüssigkeit ausgetreten. Die eingetrockneten Spuren waren deutlich erkennbar.

„Erwürgt. Er ist erwürgt worden.“

Der Kommissar wandte sich an seine Assistentin Beatrice del Piero.

„Ich würde sagen, das ist eindeutig, oder? Schau dir die Würgemale an!“

Auch die junge, schwarzhaarige, schlanke Frau neben ihm beugte sich über den Toten und nickte.

„Ja“, sagte sie leise, „das sehe ich genauso wie du.“

Permanns Blick wandte sich wieder vom Toten ab. Wie immer, wenn er den Ort eines Verbrechens betreten hatte, ließ er die Atmosphäre auf sich wirken. Der erste Eindruck von einem Tatort konnte entscheidend sein. Eine kleine, stickige Wohnung. Ein abgetragener grüngelber Teppich bedeckte den Boden. Die Wände des Zimmers waren mit fleckigen Tapeten beklebt. Unter dem Fenster, das sich gegen die Vintlerstraße hin öffnete, stand ein schmales Bett, auf welchem ein zerwühltes, rotkariertes Federbett und ein Polster lagen. In der anderen Ecke des Zimmers stand ein kleiner Esstisch, darauf stand benutztes Frühstücksgeschirr. Daneben öffnete sich der Durchgang zu einer winzigen Kochnische. Die Tür stand offen. Auf einem Regal standen ein paar Bücher. Der Blick des Kommissars glitt über die Buchrücken. Heinz Guderian: „Achtung- Panzer!“, Otto Paust: „Volk im Feuer“, eine Reihe von Hans Ernst- Romanen und eine Abhandlung über den Zweiten Weltkrieg. Sonst nichts. Es war die Wohnung eines alten Mannes, der nicht gerade wohlhabend gewesen war.

Die Kriminaltechniker in ihren weißen Schutzanzügen waren schon bei der Arbeit. Spurensicherung. Ein Beamter machte Fotos.

„Wie lange denkst du, ist er schon tot?“

Permann wandte sich an den Chef der Kriminaltechnik, Gassmann. Dieser brummte und kratzte sich am Kinn.

„Ich würde sagen“, sagte der blasse, ältere Mann bedächtig, „der liegt schon einige Tage so da. Weißt du, nach 36 bis 48 Stunden beginnt sich die Totenstarre wieder zu lösen, und das ist hier eindeutig der Fall. Das geschieht aufgrund der Auflösungsprozesse und durch die beginnenden Fäulnisvorgänge im Körper. Genaueres muss dann eine Obduktion feststellen. Und der möchte ich nun wirklich nicht vorgreifen, Fritz.“

Der Kommissar nickte.

„Übrigens Fritz, seine Nachbarin hat ihn gefunden, als sie gemerkt hat, dass er die Wohnung nicht mehr verlassen hat. Und weil sie einen komischen Geruch wahrgenommen hat. Der Alte heißt Franz Großburger. Das hat sie mir schon mal erzählt.“

Permann nickte und wandte sich an seine Assistentin Beatrice. „Na, dann wollen wir mal diese Nachbarin besuchen.“

Die gut siebzigjährige Frau, welche ihnen die Türe geöffnet hatte, stand offensichtlich noch immer unter dem Eindruck des Erlebten. Der Schrecken, welcher sie beim Auffinden des Toten überfallen hatte, stand ihr noch ins Gesicht geschrieben. Permann nickte Beatrice unauffällig zu. Sollte doch sie die Regie bei der Befragung dieser wichtigen Zeugin übernehmen. Von Frau zu Frau, sozusagen. Er war sich sicher, dass Frauen oft einen besseren Zugang zueinander fanden, und mehr Sensibilität, Geduld und Verständnis an den Tag legten.

Nachdem Beatrice Kommissar Permann und sich selbst vorgestellt hatte, begann sie vorsichtig mit der Befragung.

„Sagen Sie uns doch bitte, wie Sie heißen.“

„Rosa Kaneider“, antwortete die Frau mit zittriger Stimme, in der ein unterdrücktes Weinen mitklang.

„Frau Kaneider, dürfen wir hereinkommen?“

Beatrice lächelte sie an. Ihre Stimme klang ruhig. Die Frau nickte und machte den Weg in ihre Wohnung frei. Als sie in der Sitzecke ihrer schlicht eingerichteten Küche saßen, fuhr Beatrice fort.

„Frau Kaneider, Sie sind die Nachbarin des Toten, und daher eine ganz wichtige Zeugin für uns. Schildern Sie uns doch bitte genau wie Sie Ihren Nachbarn, Herrn Großburger, tot aufgefunden haben. Herrn Franz Großburger, nicht wahr?“

Die Frau nickte.

„Lassen Sie sich ruhig Zeit dabei, und versuchen Sie sich ganz genau an alles zu erinnern. Erzählen Sie uns bitte jedes Detail, das Ihnen aufgefallen ist, auch wenn es Ihnen noch so unwichtig erscheint. Alles, was Sie uns sagen, ist für uns von großer Bedeutung.“

Beatrice lächelte vertrauenserweckend, und ihre weißen Zähne blitzten in ihrem dunklen Gesicht. Fritz Permann freute sich innerlich. Ja, das musste er neidlos anerkennen, seine Assistentin Beatrice del Piero machte ihre Sache gut. Im Vergleich zu ihr benahm er sich manchmal wie ein grober Klotz, wenn er an seine eigenen Befragungsmethoden und Verhöre dachte.

Frau Kaneider schluckte zweimal und begann dann leise zu berichten.

„Heute am Morgen, es war so gegen 9.30 Uhr, bin ich mit meinem Hund Lupo Gassi gegangen.“

Als das Wort „Lupo“ fiel, erwachte plötzlich ein Fellbündel auf dem Teppich unter dem Tisch zum Leben, und begann eindringlich zu kläffen. Permann lächelte und Frau Kaneider versuchte verzweifelt ihren Hund zu beruhigen, was ihr schließlich auch gelang. Das Fellbündel wuffte noch ein paarmal, und streckte sich wieder auf dem Teppich aus.

„Entschuldigen Sie bitte“, fuhr sie fort, „mein …“, Pause, Frau Kaneider konnte es im letzten Moment vermeiden, den Namen ihres Hundes auszusprechen. Auch sie lächelte jetzt.

„Mein, äh, … Hund ist sehr anhänglich und sehr auf mich fixiert, und er braucht jeden Tag seinen Auslauf. Also heute gegen 9.30 Uhr bin ich mit ihm aus dem Haus gegangen. Ich bin dann mit ihm die Vintlerstraße rauf und habe mich auf dem Marienplatz auf eine Parkbank gesetzt. Es ist gerade so schön draußen. Alles grünt und blüht wieder. Nach etwa einer Stunde bin ich wieder zurückgekommen. Als ich mit …“, wieder konnte sie es im letzten Moment vermeiden den Namen des Hundes auszusprechen und lächelte Beatrice an, „… äh, mit dem Hund zurückgekommen bin, hat er plötzlich vor der Wohnungstür von Herrn Großburger zu bellen angefangen. Er hat nicht mehr aufhören wollen damit. Das ist mir sofort komisch vorgekommen, weil er das sonst nie macht, wissen Sie? Ich habe ihn dann in meine Wohnung gebracht. Dabei ist mir in den Sinn gekommen, dass ich Herrn Großburger schon einige Tage nicht mehr gehört und gesehen hatte.“

Frau Kaneider sah Beatrice fest in die Augen.

„Ich sehe ihn sonst jeden Tag ein- oder zweimal, verstehen Sie? Oder ich höre ihn zumindest, wenn er sein Zimmer verlässt oder wieder nach Hause kommt. Unsere Wohnungen sind ja leider sehr hellhörig. Das Ganze ist mir dann nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Deshalb bin ich noch einmal zu der Eingangstür seiner Wohnung gegangen, um nachzuschauen. Als ich dort war, ist mir auf einmal dieser Geruch, dieser stechende Geruch in die Nase gestiegen. Ich wollte sichergehen, dass es Herrn Großburger wirklich gut geht. In seinem Alter weiß man nie. Er ist ja schon über neunzig.“

Erschrocken hielt sie inne.

„Er war ja schon über neunzig“, korrigierte sie sich leise.

Beatrice nickte ihr aufmunternd lächelnd zu und die Frau fuhr fort.

„Also habe ich die Türklinke niedergedrückt und habe die Tür geöffnet. Sie war nicht abgeschlossen. ‘Herr Großburger, Herr Großburger, geht es Ihnen gut?‘, habe ich dann durch den Türspalt gerufen. Der Geruch, ja ich möchte sagen der Gestank, ist immer stechender durch den Türspalt gedrungen, und deshalb sind meine Befürchtungen immer größer geworden. Darum bin ich dann in seine Wohnung gegangen.“

Sie hielt inne und blickte Beatrice und Permann mit großen, flackernden Augen an.

„Ich musste doch nach ihm sehen“, fügte sie entschuldigend hinzu.

„Sie haben alles richtig gemacht. Sie haben das gut gemacht, sehr gut sogar, Frau Kaneider“, versicherte ihr Beatrice.

„Erzählen Sie bitte weiter.“

„Ich ging also hinein, und sah ihn im Wohnzimmer auf dem Boden liegen. Ich wusste sofort, dass er tot war. Das sieht man doch. Das wusste ich einfach sofort. So wie er ausgesehen und dagelegen hat.“

In Frau Kaneiders weit aufgerissenen Augen standen offensichtlich die Bilder der gesehenen Schrecknisse, und sie verstummte.

Plötzlich begann sie zu weinen. Beatrice legte ihr eine Hand auf die Schulter und ließ ihr genug Zeit, um sich wieder einigermaßen zu beruhigen. Dann fragte sie vorsichtig weiter.

„Was haben Sie anschließend gemacht, Frau Kaneider?“

„Ich habe das Zimmer schnell verlassen und habe dann in meiner Wohnung die Nummer 112 angerufen. Diese Notnummer. Die wusste ich auswendig. Sie haben mir ein paar Fragen gestellt, und ich habe gesagt, dass er tot ist. Alles Weitere haben die dann gemacht. Sie haben sofort jemanden geschickt, und dann ist auch schon die Polizei gekommen.“

„Sehr gut, Frau Kaneider, Sie haben alles richtig gemacht“, versicherte ihr Beatrice beruhigend. Nach einer kleinen Pause fragte sie vorsichtig weiter.

„Hatten Sie öfters Kontakt zu Herrn Großburger?“

„Wenig. Wir haben uns gegrüßt und ab und zu haben wir ein paar Worte gewechselt.“

Beatrice nickte ihr zu: „Was für ein Mensch war Herr Großburger Ihrer Meinung nach?“

„Oh, das ist schwer zu sagen.“

Die Stimme der Frau klang vorsichtig.

„Herr Großburger lebte allein und sehr zurückgezogen. Wir haben uns gegrüßt, wenn wir uns gesehen haben. Wie schon gesagt. Ab und zu haben wir kurz über das Wetter geredet, oder ich habe ihn nach seiner Gesundheit gefragt. Aber das war ihm eher unangenehm, so hatte ich zumindest den Eindruck. Mehr Kontakt hatten wir nicht miteinander. Er wollte ihn nicht. Herr Großburger hat keine Bekanntschaft gesucht und ich habe das respektiert. Natürlich habe ich das respektiert.“

„Gab es Menschen, mit denen er mehr Kontakt hatte? Freunde, Angehörige?“

Frau Kaneider überlegte eine Weile, bevor sie leise weitersprach.

„Viel weiß ich da leider auch nicht zu sagen. Ich habe gehört, dass er verheiratet war oder vielleicht auch noch ist. Seine Frau hat ihn wohl verlassen, so hat man gehört. Er soll eine Tochter haben, aber die habe ich noch nie zu Besuch bei ihm gesehen. Sonst weiß ich nichts über ihn. Tut mir leid.“

Sie zuckte mit den Schultern.

„Das ist schon in Ordnung, Frau Kaneider.“

Permann schaltete sich vorsichtig ins Gespräch ein.

„Haben Sie vor einigen Tagen, etwas genauer gesagt vor zwei oder drei Tagen jemand gesehen, der ihn besucht hat? Jemanden Unbekannten vielleicht?“

„Nein“, antwortete die Frau bestimmt.

„Nein, niemanden. Aber immer bin ich auch nicht da. Ich muss ja einkaufen gehen, und ich treffe mich ab und zu mit meinen Freundinnen oder gehe mit meinem Lupo Gassi.“

Wieder erwachte das Fellbündel zu ihren Füßen zum Leben und kläffte aufgeregt. Nun lächelten alle drei.

„Guter Hund!“

Permann tätschelte seinen Kopf, zog aber seine Hand blitzschnell wieder zurück, als Lupo nach ihr schnappte.

Beatrice hatte die Szene beobachtet und konnte ihr Kichern kaum unterdrücken.

„Vielen Dank für Ihre Auskünfte“, brummte der Kommissar verärgert und stand auf.

Fehlte noch, dass ihn dieser Köter biss. Schließlich rang er sich doch noch ein kleines Lächeln ab.

„Frau Kaneider, wir werden wahrscheinlich noch einmal mit Ihnen reden müssen. Wie gesagt, Sie sind eine ganz wichtige Zeugin für uns.“

Beatrice überreichte ihr ihre Visitenkarte.

„Bitte melden Sie sich sofort bei uns, wenn Ihnen doch noch etwas einfallen sollte, was mit dieser Sache irgendwie zusammenhängen könnte. Melden Sie sich ruhig, auch wenn es Ihnen nicht so wichtig erscheint.“

Die alte Frau nickte. Permann und Beatrice schauten sich kurz an. Vorerst hatten sie alle Fragen gestellt, die ihnen wichtig erschienen waren.

Quästur Bozen.

Kommissar Fritz Permann schaute auf seine versammelte Ermittlergruppe. Da saß Beatrice, Inspektorin Beatrice del Piero, jung, groß, schlank, schwarze glatte Haare. Der Chef der Kriminaltechniker, Gassmann war da und der Chef der „squadra mobile“, der mobilen Eingreiftruppe, und zugleich der Waffenexperte der Gruppe, Gianni Trincanato. Der Mann saß lässig da, baumlang und durchtrainiert, mindestens 1,95 Meter groß. Eine imposante Erscheinung. Und da saß auch noch der schwarzgelockte Mittvierziger Rocco Sanvita von der DIGOS, der Staatspolizei. Auch im Bozner Polizeipräsidium gab es wie in jedem größeren italienischen Präsidium eine Digos- Einheit. Die DIGOS, die „Divisione Investigazioni Generali e Operazioni Speciali“, die „Abteilung für allgemeine Ermittlungen und Sonderoperationen“ ist vor allem auf den Schutz des Staates spezialisiert, etwa auf die Terrorismusbekämpfung. Und schließlich saß da noch die brünette, etwa dreißigjährige Vanessa Giorgi, die für den vor etwa drei Jahren so tragisch beim so genannten Scharfschützen- Fall ums Leben gekommenen Bruno Ferrara in Permanns Ermittlergruppe berufen worden war.

„Das Opfer heißt Franz Großburger“, begann Permann.

„Er war 93 Jahre alt, anscheinend alleinstehend, und wohnte in Bozen, in der Vintlerstraße, Nummer 32. Er wurde vor circa 60 Stunden, also vor etwa zweieinhalb Tagen erwürgt. Das hat Kollege Gassmann fürs Erste festgestellt. Er wurde von seiner Nachbarin heute Morgen um etwa zehn Uhr dreißig tot in seiner Wohnung aufgefunden, als sie nach ihm sehen wollte. Rosa Kaneider heißt die Frau, und sie wohnt gegenüber von ihm.“

Während Fritz Permann mit seiner dunklen, sonoren Stimme ruhig sprach, hielt er die wichtigsten Informationen mit Filzstift auf einer weißen Tafel fest.

Er drehte sich um.

„Gassmann, kannst du uns schon Genaueres über die Todesursache und über eventuelle Spuren sagen?“

Der Chef der Kriminaltechnik, Gassmann, erhob sich.

„Ähm, also zur Todesursache. Noch ist der Obduktionsbericht nicht da. Aber ich kann mit großer Sicherheit sagen, dass das Opfer erwürgt wurde. Die Spuren an seinem Hals, die Blutungen, die Hautabschürfungen deuten ganz klar darauf hin.“

Beatrice hob die Hand und Gassmann nickte ihr zu.

„Habt ihr Fingerabdrücke oder sonstige Spuren gefunden? War es möglicherweise ein Raubmord?“

„Noch ist die Spurenauswertung nicht ganz abgeschlossen, wie ihr verstehen werdet. Es gibt eine Menge von Fingerabdrücken in der Wohnung. Aber die stammen vor allem vom Opfer selbst. Auffällig ist, dass wir auf der inneren Türklinke keine Fingerabdrücke gefunden haben. Außen haben wir die von Frau Kaneider gesichert, aber die innen scheinen abgewischt worden zu sein. Wahrscheinlich vom Täter.“

Beatrice nickte und Gassmann fuhr fort.

„Sonst haben wir noch keine auffälligen Spuren gefunden. Die Abdrücke auf dem Kaffeegeschirr müssen wir allerdings noch auswerten. Ob es ein Raubmord gewesen ist, fragst du, Beatrice?