Tödliche Konsequenzen - Udo Ulsperger - E-Book

Tödliche Konsequenzen E-Book

Udo Ulsperger

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Beschreibung

Frank Baumann, Kölner Privatdetektiv mit Hang zu harter Rockmusik und italienischen Autos, ist eigentlich ganz zufrieden mit sich und der Welt. Zwar läuft sein Laden nicht ganz rund, andererseits funktioniert der CD-Player in seinem feuerroten Alfa einwandfrei. Was will man also mehr? Aber Baumann ist wohl der Typ, der Ärger magisch anzieht. Bei einer nächtlichen Routineermittlung beobachtet er, wie ein bekannter Lokalpolitiker mit voller Absicht überfahren wird. Nachdem die Polizei seiner Mordtheorie nur wenig Begeisterung entgegenbringt, beschließt Baumann auf eigene Faust zu ermitteln.  In der Folge entwickelt sich der Fall zu einer brandgefährlichen Mordermittlung. Nach und nach sterben weitere Kölner Honoratioren, jede Menge finstere Gestalten tauchen in Baumanns Kielwasser auf und er gerät immer tiefer in ein Dickicht aus kommunalpolitischen Mauscheleien, Wirtschaftskriminalität und Prostitution. Als auf ihn ein Überfall verübt wird, bei dem Charlie, sein bester Freund, schwer verletzt wird, hat Baumann die Schnauze voll. Wird Zeit, ein paar Leuten klarzumachen, dass man Frank Baumann besser nicht ans Bein pinkelt.

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Udo Ulsperger

Tödliche Konsequenzen

Frank Baumanns erster Fall

© 2018 Udo Ulsperger

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7469-7734-8

Hardcover:

978-3-7469-7735-5

e-Book:

978-3-7469-7736-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Martina

Nemesis

griechisch Νέµεσις

Göttin des „gerechten Zorns“

Prolog

Das Bett ächzte und knarrte rhythmisch.

Dieses Geräusch kannte er gut. Es machte ihm keine Angst mehr. Schlimmer waren das Stöhnen und die widerwärtigen Geräusche der fremden Männer, die Mutter jeden Abend mitbrachte.

Jetzt hörte er auch sie stöhnen. Er hielt sich die Ohren zu und vergrub seinen Kopf im Kissen, verzweifelt bemüht, nicht hören zu müssen. Es nützte nichts. Unbarmherzig bahnten sich die animalischen Laute ihren Weg und brannten Bilder auf die Netzhaut seiner fest geschlossenen Augen; Bilder, abstoßend und widerwärtig; Bilder, die er gesehen hatte, als er ein Mal, ein einziges Mal nur, die Schlafzimmertür einen Spalt geöffnet hatte.

Er konnte nicht schlafen. Er konnte so nicht schlafen. Morgen würde er wieder hundemüde sein. Die Mathearbeit konnte er so nicht schaffen, das war jetzt schon klar. Und das, wo die Arbeit doch so wichtig war für seinen Abschluss.

Das hatte er nur ihr zu verdanken. Sie machte alles kaputt, was er sich mühsam erarbeitet hatte. Längst konnte er die Tränen nicht mehr zurückhalten und weinte vor Scham und Wut und grenzenloser Verzweiflung lautlos in sein Kissen. So wollte er nicht länger leben, auf gar keinen Fall. Das musste aufhören. Er setzte sich auf, ballte die Hände unter der Bettdecke zu Fäusten und flüsterte „Es wird aufhören“ und noch einmal „Es wird aufhören“ und immer wieder, bis er endlich wusste, was er zu tun hatte.

Wie er es beenden würde.

1

So eine Scheiße.

So eine verfickte Scheiße, dachte Baumann und schnappte gierig nach Luft. Ein dünner Faden Erbrochenes hing an seinem unrasierten Kinn. Baumann wischte sich mit seinem nassen Jackenärmel über den Mund und sah hinüber zu dem Mann, der reglos und seltsam verrenkt, wie eine zerbrochene Gliederpuppe, auf dem Bürgersteig lag. Niemand schien etwas bemerkt zu haben, nirgendwo wurde Licht eingeschaltet, nirgendwo öffnete sich eine Tür oder wurden fragende Stimmen laut.

Baumann ging langsam hinüber zu dem Unbekannten, der blicklos in den nächtlichen Himmel starrte. Blut trat am Hinterkopf aus und vermischte sich mit dem Regenwasser zu einer hellroten Pfütze. Baumann hockte sich neben ihn und legte ihm zwei Finger an die Halsschlagader, konnte aber keinen Puls fühlen.

Baumann nahm sein Handy und wählte den Polizeinotruf.

Was für eine verfickte Riesenscheiße.

Dabei hatte vor einer Stunde noch alles so easy ausgesehen:

2

Es schüttete wie aus Eimern.

Baumann fluchte herzhaft und trat genervt gegen den Stamm der mächtigen Kastanie, unter der er Schutz gesucht hatte. Als wenn der arme Baum was dafür gekonnt hätte.

Baumann schlug fröstelnd den Kragen seiner Lederjacke hoch, kniff die Augen zusammen und versuchte sich wieder auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Was einfacher gesagt, als getan war. Denn die meisten der altersschwachen Straßenlaternen hatten schon vor Jahren den Dienst eingestellt. Fuck. Wie sollte man da was sehen bei diesem Dreckswetter?

Warum Baumann dann überhaupt unterwegs war?

Ganz einfach – er war Privatdetektiv.

Frank Baumann

Privatdetektiv

So stand es jedenfalls auf seiner Visitenkarte. Und deswegen stand er hier sozusagen professionell rum. Unter der Kastanie, die ihn zwar gut vor neugierigen Blicken schützte, aber den Regen schon lange nicht mehr abhielt.

Baumann hätte sich in den Arsch beißen können. Die letzten drei Tage hatte er den Eingang der Wenz`schen Behausung von seinem Auto aus observiert. Aber ausgerechnet heute hatte er sich in einem Anfall geistiger Umnachtung überlegt, dass sein knallroter Alfa vielleicht doch ein wenig auffällig wäre und hatte beschlossen, die Überwachung aus dem Grünzeug gegenüber fortzusetzen.

Scheiß Idee.

Baumann starrte die Straße runter, auf die es unentwegt pladderte. Mittlerweile hätte man in jeder Pfütze mühelos seinen Freischwimmer machen können. Baumann hasste diese Nässe, die Kälte sowieso und gerade auch mal wieder seinen verdammten Job. Er hätte Versicherungsvertreter bleiben sollen. Da würde er jetzt irgendwo in einer warmen Bude hocken, Kaffee trinken und alten Omis Rollatordiebstahlversicherungen andrehen. Aber nein, er musste ja unbedingt Privatdetektiv werden.

Baumann kramte in seinen Taschen nach Aspirin. Jetzt bekam er auch noch Kopfschmerzen von dem Scheißwetter. Konnte aber auch an der Sauferei gestern Abend liegen. Oder die notgeile Tippse hatte ihm bei Pitter k.o.-Tropfen ins Glas gekippt. Ja, so musste es gewesen sein, dachte er und grinste dünn.

Schon klar, klingt bescheuert. Ist auch bescheuert. Aber andere saufen sich ihre Frau schön, Baumann redet sich den Suff schön.

Kein Aspirin.

Baumann zuckte die Schultern.

War sowieso was für Weicheier.

Endlich. Ein feister Typ im Lodenmantel walzte mit kurzen, schnellen Schritten um die Straßenecke. Sein hochgeschlagener Mantelkragen, der regengetränkte Hut und ein grauer Schirm verdeckten das Gesicht. Zielsicher steuerte der Fremde den Eingang von Nr. 14 an und klappte seinen Schirm zu. Baumann stierte angestrengt durch den dichten Nieselregen. Obwohl er das Gesicht unter der schwachen Eingangsbeleuchtung nicht wirklich erkennen konnte, hatte er das unbestimmte Gefühl, dass er den Kerl schon mal irgendwo gesehen hatte. Aber er kam nicht drauf, denn noch bevor der Besucher die Türklingel betätigen konnte, öffnete Frau Wenz die Tür, warf einen besorgten Blick in die Nacht und ließ den Fremden ein.

In der Küche brannte Licht. Der Besucher, inzwischen ohne Hut und Mantel, setzte sich an den Küchentisch. Frau Wenz werkelte übertrieben hektisch in der Küche, plapperte dabei ununterbrochen, kramte im Kühlschrank und stellte Gläser und Getränke auf den Tisch.

Und zog resolut die Vorhänge zu.

Super timing.

Ein Königreich für ein Richtmikrofon, dachte Baumann und seufzte. Hatte er aber gerade genauso wenig parat wie die Lauscher von Superman. Baumann lehnte sich frustriert an die Kastanie. So ein beschissener Fuck!

Regenwasser lief die kratzigen Riefen des Stammes hinab und weiches Harz pappte hartnäckig an seiner Jacke. Am liebsten hätte er jetzt hingeschmissen. Da er aber sowieso schon bis auf die Haut nass war, beschloss er zähneknirschend abzuwarten und dem Fremden zu folgen, wenn der sich wieder auf den Weg machte.

Um sich abzulenken stellte er ein paar Überlegungen bezüglich wetterfester Kleidung für Privatdetektive an. Beheizbare Neoprenanzüge wären nicht übel, aber bei einer unauffälligen Beschattung eher hinderlich. Besonders mit Flossen. Oder wenn man pinkeln musste, ergänzte er, weil er jetzt tatsächlich musste. Baumann fummelte an seinem Reißverschluss. Prompt ging das Licht in der Küche aus. Baumann fluchte verhalten, vergaß seine Sextanerblase und duckte sich wieder in das Dunkel.

Keinen Moment zu früh. Denn schon öffnete sich die Haustür und der Fremde erschien, verabschiedete sich per Handschlag von Frau Wenz, schlug seinen Mantelkragen hoch und nahm entschlossen den aussichtslosen Kampf gegen die Elemente auf. Jetzt hatte er auch noch den Schirm vergessen.

Baumann grinste boshaft.

Was für ein Blödmann.

Am Ende der Straße wurde ein dunkler Volvo angelassen, gerade als sich Baumann aus dem nachtschwarzen Schatten seiner Lieblingskastanie schälen und die Verfolgung aufnehmen wollte. Unwillig sprang der Schwedenbrummer an und lief dann brabbelnd im Leerlauf.

Wieso sitzt der Idiot denn bei so einem Scheißwetter im Auto und friert sich den Arsch ab?

Vielleicht ist Schwiegermutter zu Besuch?

Wär `ne Möglichkeit, beendete Baumann die Auseinandersetzung mit seinem Alter Ego und verzog sich wieder hinter die Kastanie.

Verpiss dich endlich, Schwachkopf.

Und als hätte er nur auf das Kommando gewartet, rollte der Volvo langsam mit abgeblendeten Scheinwerfern los.

Wurde aber auch Zeit.

Der Fahrer schaltete in den zweiten und dritten Gang, beschleunigte was die alte Karre hergab, polterte auf den Gehweg und fuhr den Fremden über den Haufen.

Der Volvo hatte den Zusammenstoss wesentlich besser überstanden als Mister Unbekannt. Schwedische Wertarbeit eben. Baumann hatte auch mal überlegt, sich einen zuzulegen. Der Volvo verschwand mit durchdrehenden Reifen an der nächsten Kreuzung.

Baumann wäre jetzt auch gerne verschwunden.

Aber seine Beine wollten sich einfach nicht bewegen.

Nur sein Magen wollte.

Baumann kotzte seine Lieblingskastanie voll.

3

Drei Tage zuvor:

Baumann saß in seinem Büro und langweilte sich zu Tode.

Seit Tagen tote Hose. Keine eifersüchtigen Ehepartner, keine geklauten Luxusschlitten, keine misstrauischen Geschäftspartner oder mit der Vereinskasse durchgebrannten Kassenwarte.

Noch nicht einmal verschwundenen Kids. Baumann grinste dünn. Die waren sowieso immer bei Freunden zu finden. Was im Übrigen nicht so einfach ist, wie es sich anhört, überlegte Baumann. Denn man musste die richtigen Freunde finden, also die, von denen die besorgten Eltern in der Regel nichts wussten. Fand man die, hatte man auch Kevin oder Timo gefunden. Bei den Mädels war das etwas anders, hier musste man den richtigen Freund finden, von dem die Eltern meistens noch viel weniger wussten.

Baumann massierte sich frustriert die Schläfen. Noch nicht mal entführte Hunde oder entlaufene Katzen. Mit einem Wort: Der Laden lief beschissen.

Gerade hatte Baumann beschlossen, zum Zeitvertreib eine Runde Onlinepoker zu zocken, als die Tür aufging und ein mickriger Schrat im Türrahmen Wurzeln schlug.

„Was ist denn jetzt - rein oder raus?“, wollte Baumann wissen.

Null Reaktion.

Baumann verdrehte die Augen, schwang die Beine von der vernarbten Schreibtischplatte, packte den Besucher an den Schultern und bugsierte ihn mit sanfter Gewalt auf den wackligen Besucherstuhl.

„Kaffee?“, fragte Baumann und schüttelte aufmunternd eine Glaskanne, in der eine undefinierbare Brühe schwappte.

„Ich heiße Anton Wenz“, antwortete der Schrat.

Also keinen Kaffee. War wohl auch besser so. Der Postbote vor einer halben Stunde hatte nämlich plötzlich die quietschgelbe Farbe seiner Regenjacke angenommen, nachdem er einen Schluck von Baumanns Selbstgebrauten genossen hatte.

Baumann pflanzte sich wieder in seinen abgenutzten Kunstlederchefsessel und musterte seinen potentiellen Mandanten diskret: schmächtig, unsteter Blick, Halbglatze. Dazu korrekter Einreiher, unauffällige Krawatte und Regentrench von undefinierbarer Farbe. Typ Großstadtchamäleon, verschwand fast vor der grauen Wand. Baumann hoffte nur, dass er nicht verschwand, bevor er ein paar Scheine locker gemacht hatte.

Baumann nahm ungeachtet der Reaktion des Briefzustellers einen kräftigen Schluck aus seinem Kaffeebecher und schaffte es gerade noch, einigermaßen cool dabei rüberzukommen. Mann, was für `ne Plörre. Das nächste Mal war Katja wieder dran mit Kaffee kochen, soviel stand fest.

Baumann beugte sich nach vorn, signalisierte ungebremste Aufmerksamkeit und Wenz taute langsam auf.

„Schönes Büro“, meinte er und starrte auf die gigantischen Silikonmöpse von Miss Januar, die hinter Baumann an der Wand hing.

„Klar doch. Worum geht`s denn nun?“

„Ja, also, ich bin Buchhalter und ich muss oft bis spät in die Nacht arbeiten. Besonders wenn Quartalsabschlüsse und Bilanzen rechtzeitig fertig werden müssen, verstehen Sie?“

Baumann verstand und malte Kringel in seine Kladde.

„In den letzten Tagen hatten mir Nachbarn berichtet, dass zwei- oder dreimal abends jemand bei meiner Frau gewesen wäre. Ein Mann, und er war immer so für eine Stunde geblieben! Natürlich wurde ich misstrauisch, denn Margot hatte diese Besuche mir gegenüber mit keiner Silbe erwähnt.“

„Haben Sie sie nicht danach gefragt?“

„Nein, ich wollte nicht, dass sie denkt, ich sei eifersüchtig. Also beließ ich es dabei. Aber vorgestern, da fühlte ich mich plötzlich nicht gut und bin ungewohnt früh nach Hause gegangen und habe die beiden prompt erwischt!“

„In flagranti?“

„In der Küche. Als ich die Tür aufschloss, hörte ich, dass die beiden dort saßen und schäkerten.“ Wenz schlug die Hände vors Gesicht. „Seitdem bin ich völlig fertig.“

Baumann nickte mitfühlend. Seine Spezialität.

Derweil kramte Wenz hektisch in seinen Manteltaschen und präsentierte nach kurzem Suchen ein zerknittertes Foto seiner Holden. Überrascht schnalzte Baumann mit der Zunge. Die Schreckschraube würde nicht mal dann `nen Schönheitswettbewerb gewinnen, wenn sie die einzige Teilnehmerin wäre, dachte er. Ganz Vollprofi, fing er sich aber sofort wieder.

„Und was geschah dann?“

„Ich habe nur noch gehört, wie sie sich für Donnerstagabend wieder verabredet haben und bin leise wieder gegangen. Stundenlang habe ich mich in den Straßen rumgetrieben und wusste nicht wohin.“

Wenz schniefte leise und unterdrückte mannhaft die aufsteigenden Tränen. Hoffentlich setzt der mir jetzt nicht die Bude unter Wasser, überlegte Baumann und schob vorsichtshalber ein Tempo über den Tisch.

„Hören Sie, ich muss unbedingt wissen, was das zu bedeuten hat. Egal, was es kostet.“

Das hörte Baumann gern.

Hätte er auch nur im Entferntesten geahnt, in was für einen Schlamassel er da gerade geraten war, er hätte Wenz achtkantig rausgeschmissen.

4

Heinrich Wolter konnte nicht schlafen.

Der Hunger hielt ihn wach, weil er mal wieder nichts zu Abend gegessen hatte. Als sein Magen einmal mehr vernehmlich knurrte, stand er auf und tappte barfuß in die Küche.

Unglücklich musterte er seinen fast leeren Kühlschrank. Seitdem Renate ihn verlassen hatte, arbeitete er abends zumeist derart lange im Büro, dass er noch nicht einmal zum Einkaufen kam. So blieb ihm oft nur das überteuerte Zeug vom Kiosk oder von der Tankstelle um die Ecke. Aber selbst davon hatte er fast nichts mehr da. Wolter seufzte frustriert, griff nach einem Joghurt und suchte das Verfallsdatum, als das Telefon klingelte.

Wolter zögerte.

Das war bestimmt wieder dieser Perverse, der schon ein paar Mal angerufen hatte. Sagte kein Wort, atmete nur ins Telefon und holte sich wahrscheinlich einen runter.

Wolter hob trotzdem ab.

„Hallo?“

„…“

„Wer ist denn da?“

„…“

„Jetzt hören Sie mal zu, Sie Spinner. Ich habe jetzt genug von Ihren Spielchen. Ich lasse eine Fangschaltung einrichten, ich zeige Sie an, hören Sie? Ich…“

„Heinrich Wolter?“, unterbrach ihn der Anrufer.

Die Stimme war leise, heiser.

„Ja, verdammt! Wer ist denn da?“

„Mein Zorn wächst, Wolter. Tag für Tag. Und schon bald werde ich dich holen und meinen Rachedurst stillen.“

„Was reden Sie denn da? Sind Sie verrückt?“

„Nicht mehr lange und ich werde kommen und dich holen. Lies die Zeitung, Wolter. Lies die Zeitung und du wirst verstehen.“

Wolter spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach.

Er sah auf das Display seines Telefons.

Unbekannt wurde ihm dort angezeigt.

„Hören Sie…“, rief Wolter.

Aber der Anrufer hatte schon aufgelegt.

5

Der Wecker veranstaltete einen infernalischen Lärm.

Baumann tastete schlaftrunken nach der Höllenmaschine, bekam sie aber nicht zu fassen und stopfte sich das Kissen auf das Gesicht. Neuer Tag, neues Glück, schoss es ihm durch den Kopf. Wer dachte sich nur so einen bescheuerten Mist aus? Vermutlich die verdammten Chinesen. Für ihre Glückskekse.

Nach einer Weile sah Baumann ein, dass eine geregelte Sauerstoffzufuhr unabdingbar für seinen physischen Fortbestand auf diesem schönen Planeten war und schmiss das Kissen ans Fußende. Er wälzte sich mühsam aus dem Bett, gab dem immer noch plärrenden Wecker einen herzhaften Tritt und schlurfte Richtung Küche.

Kaffee, Rühreier, Dusche.

In dieser Reihenfolge.

Schon besser.

Dann fiel ihm der gestrige Abend wieder ein und der Tag war im Eimer. Baumann schüttete sich Kaffee in seine Borussia Mönchengladbach Fantasse, pflanzte sich zwecks brainstorming an den Küchentisch und nippte an dem heißen Gebräu um seine grauen Zellen auf Betriebstemperatur zu bringen. Funktionierte nur nicht wie erhofft.

Denn bevor sich in Baumanns malträtiertem Hirn auch nur der kleinste Gedanke manifestieren oder er sich gar zu einer ausgewachsenen Erkenntnis durchringen konnte, klingelte und klopfte es gleichzeitig. Baumann stöhnte wie Mc Enroe beim zweiten Aufschlag. Das konnte nur einer sein.

Baumann schlich zur Wohnungstür, riss sie auf, grollte „Verpiss dich!“ und knallte die Tür wieder zu.

Soweit der Plan.

Aber nicht mit Charlie.

Nicht mit Charlie Wondrascheck.

Der blockierte schneller als der gewiefteste Zeitungsdrücker den Türspalt mit seiner Stiefelette aus blauem Schlangenlederimitat. Baumann überlegte einen Moment, ob er die Fußspitze, die da so penetrant in seine Wohnung lugte, mit seinem Absatz plätten sollte, entschied sich aber mangels Absatz - weil barfuß - dagegen. Für die Zukunft würde er sich jedenfalls einen Hammer neben die Tür legen, soviel war klar.

Baumann gab auf und die Tür frei.

„Pflanz dich irgendwo hin und halt die Klappe“, knurrte er den unwillkommenen Besucher an.

„Dir auch einen guten Morgen“, erwiderte Charlie fröhlich und drückte sich an Baumann vorbei.

Baumann schloss die Tür und zählte langsam bis zehn. Er war sich sicher, dass er Charlie eines Tages umbringen würde.

Kennengelernt hatten sie sich, als Baumann das abrupte Ende seiner langjährigen Beziehung mit Silvia im Alkohol ertränkte. Plötzlich stand Charlie neben ihm, ließ ihn besoffen schwafeln und trank enthusiastisch mit. Womit auch ohne empirische Studien hinreichend bewiesen wäre, dass übermäßiger Alkoholgenuss schlimme Folgen haben kann. Denn Charlie war wie ein streunender Köter, dem man einmal aus Mitleid etwas zu fressen gegeben hatte und den man dann nie wieder los geworden war.

Dass sich bei ihm magere fünfundfünfzig Kilo auf hibbeligen hundertsechzig Zentimetern Körpergröße verteilten, seine Haare meistens wie mit dem Staubsauger geföhnt aussahen und die abenteuerliche Zusammenstellung seiner Klamotten regelmäßig zu Menschenaufläufen führte, machte die Sache nicht besser. Dazu langzeitarbeitslos und trotzdem, oder gerade deshalb, ständig guter Dinge. Das war Charlie, live und in Farbe.

Mit anderen Worten, er ging Baumann richtig auf den Sack.

Besonders heute.

Ganz besonders heute.

„Was ist los, Alter?“, krähte Charlie, als Baumann hinter ihm ins Wohnzimmer trat. „Du solltest unbedingt weniger saufen, hab ich dir schon so oft gesagt. Dann haste morgens auch nicht so `nen Schädel.“

„Ich habe nicht gesoffen. Und den Schädel hast du gleich!“

Charlies körperliche Unversehrtheit stand momentan wahrlich auf tönernen Füßen.

Der schmiss sich ungeachtet dessen schwungvoll in den Sessel und wedelte aufgekratzt mit der Tageszeitung.

DR. KERN - TÖDLICHER UNFALL

schrie die Schlagzeile.

„Haste schon gelesen?“

„Nee, was denn?“

„Hier, über den Stadtrat, den sie heute Nacht umgenietet haben.“

Baumann griff nach der Zeitung und las:

Dr. Kern, Mitglied im Stadtrat und Spitzenkandidat der Freien Sozialen Union für das Amt des Ministerpräsidenten bei den anstehenden Landtagswahlen, wurde gestern Nacht bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt. Der Unfall ereignete sich im Rosenweg, einer wenig befahrenen Straße im Kölner Süden.

Ein anonymer Anrufer benachrichtigte gegen 23:30 Uhr die Polizei. Die nur wenige Minuten später eingetroffene Streifenwagenbesatzung fand Dr. Kern tot am Strassenrand liegend. Die Todesursache steht noch nicht fest, aber alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Dr. Kern von einem Fahrzeug angefahren und in das Unterholz geschleudert wurde. Von Fahrzeug und Fahrer fehlt bislang jede Spur. Die Polizei sucht dringend nach Zeugen, die eine Aussage zum Tathergang machen können. Sachdienliche Hinweise können an jeder Polizeidienststelle abgegeben werden.

„Ist doch gequirlte Kinderkacke“, kommentierte Baumann und warf die Zeitung auf den Tisch.

„Wie meinste denn das jetzt?“

„Ich war dabei und hab alles gesehen. Und ich sage dir, das war kein Unfall, das war eiskalter Mord.“

Charlie beugte sich gespannt nach vorn. „Echt? Komm schon, Mann, erzähl!“

Also erzählte Baumann und Charlies Kinnlade widerstand zunehmend weniger der Erdanziehungskraft.

„Du sabberst mir den Tisch voll", meinte Baumann, als er fertig erzählt hatte.

„Wahnsinn! Haste die Polizei gerufen?" sagte Charlie nach einer Weile.

„Du hast doch gelesen, dass es gestern einen anonymen Anrufer gegeben hat. Was meinst du wohl, wer das gewesen ist? Hab den Vorfall gemeldet und bin abgehauen."

Charlie zog eine Augenbraue hoch.

„Jetzt nerv mich nicht. Ich geh heut noch hin und erzähl denen alles“, schob Baumann hinterher.

Immer noch oben.

Die Augenbraue.

Baumann hätte ihn klatschen können.

„Was ist denn jetzt noch?“

„Sach mal, Frank. Wieso passiert eigentlich immer dir so eine Scheiße?“

„Charlie?“

„Hmmm?“

„Halts Maul!“

6

Hauptkommissar Gerd Schmickler von der Mordkommission Köln 1 war verdammt müde und entsprechend schlecht gelaunt.

Seit Wochen vierzehn-Stunden-Tage, literweise Plörre, die man beim besten Willen nicht als Kaffee bezeichnen konnte und nachts im günstigsten Fall sechs Stunden Schlaf. Mit achtundvierzig steckte man so was nicht mehr ohne weiteres weg. Schmickler blickte deprimiert in den Spiegel über dem altertümlichen Waschbecken und strich sich durch die Haare, die raspelkurz auf seinem kantigen Schädel sprossen. Fast komplett grau, dachte er, aber wenigstens hatte er noch welche. Dann schüttete er sich eine handvoll Wasser ins Gesicht um die Müdigkeit zu vertreiben. Half nicht wirklich.

Er kehrte zurück zu seinem Schreibtisch und stützte das Kinn auf die Fäuste. Waren das etwa die ersten Anzeichen für das Burn-out-Syndrom, von dem die übereifrige Polizeipsychologin permanent faselte? Wenn schon, damit würde er sich später befassen.

Es war aber auch zum Mäuse melken. Kaum hatte er nach Monaten extrem harter Arbeit diesen schwierigen Fall in der Türsteher-Szene gelöst, da fuhr irgend so ein Idiot Dr. Kern über den Haufen. Und er hatte gleich einen neuen Mord am Hals. Jedenfalls, wenn man diesem Frank Baumann glauben konnte, der sich heute Morgen gemeldet hatte und mit dem er sich gleich in der neuen Espresso-Bar „Venezia“ am Dom treffen würde. Möglicherweise war das derselbe Typ, der heute Nacht den Unfall zuerst gemeldet und dann einfach aufgelegt hatte. Leider hatten sie den Anruf nicht zurückverfolgen können. Prepaid-Handy. Also falls dieser Baumann das gewesen war, konnte der sich jedenfalls warm anziehen.

Schmickler kramte nach seinem Notizzettel. Was war der? Privatdetektiv? Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Nachher doch wieder nur so ein Spinner, der sich wichtig machen wollte. Reine Zeitverschwendung so was.

Schmickler ging noch einmal die Fotos vom Tatort und die Aufzeichnungen durch und suchte nach Hinweisen, die für eine Mordtheorie sprachen. Aber irgendwie konnte er sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden. Mitten in der Nacht, Dauerregen, schlechte Sichtverhältnisse und der Fahrer wahrscheinlich alkoholisiert. Für ihn ein klarer Unfall mit Fahrerflucht.

Wieso also Mord?

Warum sollte jemand Dr. Kern, einen hoch angesehenen Kommunalpolitiker mit nachweislich sozialer Ader, umbringen wollen? Soweit er wusste, war der Mann völlig integer. Glücklich in nach wie vor erster Ehe verheiratet, die Kinder studierten im Ausland, es gab keine Skandale, noch nicht einmal Skandälchen. Selbst die berüchtigte Kölner Klatschpresse hatte bisher noch nichts gegen ihn veröffentlicht.

Andererseits, welcher Politiker hatte nicht Dreck am Stecken?

War aber auch egal. Die Sache war ohnehin zu brisant, um nicht jedem noch so kleinen Hinweis nachzugehen. Dr. Kern war prominent und hatte beste Beziehungen. Hier durfte er sich keine Fehler erlauben. Denn wenn das stimmte, was dieser Baumann da am Telefon zum Besten gegeben hatte, würde mit Sicherheit bald die Presse die Messer wetzen und der Bürgermeister, der Polizeipräsident und der Alte würden hundert Meter gegen den Wind stinken, weil sie die Hosen gestrichen voll hatten.

Schmickler holte tief Luft, nahm seine Jacke und ließ die Bürotür krachend ins Schloss fallen. Mal sehen, ob dieser Baumann wirklich auftauchte.

7

Chantal war beileibe kein Barbiepüppchen.

Zwar waren ihre schulterlangen Haare von Natur aus strohblond, ein Erbe ihrer skandinavischen Mutter, aber sie war nicht schön im klassischen Sinn. Dazu standen ihre graublauen Augen etwas zu nah beieinander, war ihre Nase ein wenig zu groß und ihre Gesichtszüge zu hart. Und doch erntete sie anerkennende Blicke, wenn sie auf langen Beinen ihren knackigen Hintern durch die Gegend schwenkte.

Dass sie gerade Anfang zwanzig war, war in ihrem Gewerbe ebenfalls Gold wert. Die geilen alten Säcke standen nun mal auf junges Gemüse. Lange würde das nicht mehr so gehen, das war ihr klar. Vier Jahre Straßenstrich hinterließen Spuren, die auch noch so viel Make-up irgendwann nicht mehr verbergen konnten.

Autos rauschten vorbei, aufgewirbelten Dreck, welke Blätter und die Seiten einer weggeworfenen Tageszeitung wie einen Kometenschweif hinter sich her ziehend. Niemand hielt an oder fuhr auch nur langsamer. Chantal schauderte im kalten Luftzug, schlang sich die Arme um ihren Oberkörper und zog sich etwas zurück vom Straßenrand. Besser wurde es dadurch nicht. Hier war man völlig schutzlos dem schlecht gelaunten Aprilwetter ausgeliefert. Sie spuckte angewidert ihren Kaugummi aus. Scheiß Lage. Aber in der Innenstadt ging gar nichts mehr. Die Bullen waren total unter Druck, von wegen saubere Innenstadt, null Toleranz und so, und entsprechend rabiat.

Chantal zitterte jetzt am ganzen Körper. Ihre neue schokoladenbraune Lammfelljacke, ein Geschenk von Manni, lag nutzlos im Wohnwagen. Sie wünschte sich verzweifelt, sie könnte sie anziehen und sich diesem wohligen Gefühl von Wärme und Geborgenheit hingeben. Aber dann würden die Freier ganz bestimmt nicht mehr anbeißen. Die wollten nun mal Fleisch sehen. Und Manni wäre wieder stinksauer. So wie letzte Woche, als er sie zum ersten Mal geschlagen hatte. In den Bauch, damit ihr Gesicht nicht verunstaltet wurde.

Zunehmend nervös ging sie immer wieder die gleichen zehn Meter auf und ab. Dann blieb sie stehen, den Kopf schief gelegt, als lausche sie einem fernen Klang. Leise, unmerklich fast, breitete sich ein flaues Gefühl in ihrer Magengrube aus. Sie wusste nur zu gut, was das zu bedeuten hatte. Das A2, das sie heute Nachmittag eingeworfen hatte, verlor langsam seine euphorisierende Wirkung.

Chantal zog eine zerdrückte Schachtel Marlboro aus dem Rockbund, zündete sich eine an und inhalierte tief. Nicht schlimm, beruhigte sie sich. Noch nicht. Sie hatte einen Notvorrat im Wohnwagen, der für heute reichen würde. Sie durfte nur nicht vergessen, rechtzeitig für Nachschub zu sorgen. Denn Turkey war die Hölle auf Erden.

Chantal versuchte diese unheilvollen Gedanken abzuschütteln. Manni hatte sie gestern Abend besonders lieb umsorgt. Wie früher hatte er beim Chinesen was zu essen bestellt, mit ihr ferngesehen und sie, als sie auf der Couch eingeschlafen war, fürsorglich zugedeckt. Versonnen lächelnd zupfte sie an ihren vergoldeten Kreolen. Auch ein Geschenk von Manni.

Sie schauderte erneut.

So ein Scheißwetter. Wenn doch nur bald ein Freier käme.

Dann könnte sie wenigstens in den warmen Wohnwagen.

8

Manfred „Manni“ Rombach parkte seinen mitternachtsblauen AMG 55 SLK Roadster wie jede Nacht vorsichtig in der Tiefgarage.

Bloß keinen Kratzer riskieren war die Devise. Auf der einen Seite gab es nichts geileres, als mit diesem Teil durch die Stadt zu cruisen und die Blicke der Passanten zu spüren. Andererseits war er jedes Mal froh, wenn der Wagen wieder sicher in der Garage stand. Manni gab im Leerlauf noch einmal kräftig Gas und lauschte verzückt dem heiseren Röhren, das, mehrfach verstärkt durch die Reflektion der Betonwände, aus den vier armdicken Auspuffrohren bellte. Befriedigt zog er den Schlüssel aus dem Zündschloss und schwang seine fünfundsiebzig Kilo Lebendgewicht aus dem Schalensitz.

Manni klappte den Kragen seines Armani Jacketts hoch und griff prüfend an seine Achsel. Der Smith&Wesson 500S Short Revolver, den er letzte Woche bei einer heißen Pokerparty gewonnen hatte, zerrte schwer am Halfter. Er war cool. Nein, er war swag, soviel stand fest. Hammermäßig swag.

Manni grinste schmutzig, als er an Chantal dachte. Und daran, was er mit dem kleinen Luder heute Abend so alles anstellen würde. Und er grinste immer noch, als der mit Bleikugeln gefüllte Totschläger auf seinen Hinterkopf krachte und ihn gnädig ins Reich der Träume schickte.

So spürte er wenigstens nicht mehr, wie der massive, dunkel gekleidete Mann den Bolzenschneider ansetzte und schnell, wenn auch nicht gerade mit chirurgischer Präzision, den linken kleinen Finger amputierte.

9

Im Dezernat IV der Stadtverwaltung „Stadtentwicklung, Planen und Bauen“ brannte nur noch in einem Büro Licht.

Alle Mitarbeiter waren längst nach Hause gegangen, feierten auf einer dieser angesagten After Work Partys ab oder waren in die nächste Kneipe gezogen. Selbst die zwei tüchtigen Damen vom Reinigungsdienst waren schon seit geraumer Zeit durch, hatten vorher gegen den Staubsauger anbrüllend in tiefstem Kölsch die Chancen des FC im Aufstiegskampf diskutiert, dabei routiniert gesaugt, über die Schreibtische gewischt und die Papierkörbe geleert. Dann nahmen sie den Abfall, ihre Reinigungsutensilien und die Geräuschkulisse mit und es war wieder Ruhe eingekehrt.

Städtischer Oberrat Heinrich Wolter saß an seinem Schreibtisch. Auf dem Bildschirm vor ihm produzierte der Bildschirmschoner immer wieder neue verwirrende geometrische Muster.

Heinrich Wolter arbeitete nicht. Er wartete.

Und während er wartete, kroch immer stärker Nervosität in ihm hoch. Was, wenn dieser Murha doch unzuverlässig war und das Geld einstecken und einfach verschwinden würde? Nein, versuchte er sich zu beruhigen. Schließlich hatte Kerner ihn wärmstens empfohlen. Murha würde das Ding schon schaukeln.

Wieso rief er aber dann nicht an?

Wolter lehnte sich schwerfällig zurück und versuchte, ruhig und entspannt zu atmen. Er rezitierte in Gedanken die ersten Formeln seines Autogenen Trainingsprogramms, konnte sich aber nicht richtig konzentrieren. Wolter brach seufzend ab und strich sich fahrig über das Gesicht.

Das wurde langsam alles zu viel für ihn. Er musste endlich raus aus dieser unheilvollen Geschichte, bevor sie ihn nervlich völlig ruinierte.

Als endlich das ersehnte Klingeln die Stille zerriss, schrak Wolter heftig zusammen und griff mit schweißnasser Hand nach dem Telefon.

„Hallo?“, meldete er sich heiser.

Angespannt hörte er zu, was der Anrufer zu berichten hatte und legte schon nach wenigen Sekunden wortlos wieder auf. Wolter fuhr sich aufatmend durch die Haare.

Der richtete keinen Schaden mehr an.

10

Endlich war Charlie gegangen.

Die Nervensäge wollte doch glatt mit zu Schmickler. Dabei konnte Baumann froh sein, wenn er das Treffen mit dem Hauptkommissar einigermaßen heil überstehen würde. Denn Schmickler würde verdammt angepisst sein, wenn ihm aufging, dass er der Anrufer von gestern Nacht gewesen war, dessen war sich Baumann sicher. Deshalb wollte er auch nicht ins Polizeipräsidium kommen, sondern hatte auf einen neutralen Treffpunkt bestanden.

Baumann sah auf seine Uhr. Noch eine Stunde Zeit.

Er kramte in seinem Kleiderhaufen nach öffentlichkeitsgeeigneten Jeans und T-Shirt, schlüpfte in Boots und Lederjacke und schnappte sich aus dem Kühlschrank noch eine Dose Red Bull.

Wegen der Flügel.

Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel. Klamotten okay. Visage verknautscht und seit drei Tagen unrasiert, trotzdem okay. Haare ungebändigt in alle Himmelsrichtungen, auch okay. Alles in allem akzeptabel, fand Baumann. Was der Rest der Welt dachte, war ihm sowieso egal. Scheiss auf die anderen. Quasi sein Lebensmotto.

Im Freien sog Baumann tief die kühle Luft ein und freute sich auf den Anblick, der sich ihm gleich bieten würde. Und da war sie auch schon, seine große, seine immerwährende Liebe. Sanft schimmernd in der einsetzenden Dämmerung stand sie da und wartete geduldig.

Seine feuerrote 76er Alfa Romeo Alfetta GTV 2000.

Baumann entfernte routiniert den Strafzettel unter dem Scheibenwischer, ließ sich zufrieden in den engen Sitz gleiten und warf das Knöllchen ins Handschuhfach zu seinen Kollegen. AC/DC und den ersten Gang rein und schon bald glitt Baumanns bella machina den Hohenzollernring runter.

Kinos lockten mit großflächigen Plakaten, Geschäfte mit hell erleuchteten Schaufenstern. Bunte Neonbeleuchtung blinkte und glitzerte über Kneipen, Clubs und Bars.

Aber Baumann hatte keinen Blick für derartige Verheißungen. Stattdessen überlegt er, wie er Schmickler einseifen könnte. Und da ihm ums verrecken nichts einfallen wollte, beschloss er gegen alle Gewohnheit die Wahrheit zu sagen. Warum auch nicht, dachte er, es gab nichts, weswegen ihm Schmickler hätte am Zeug flicken können. Bis auf das bisschen Fahnenflucht nach dem Anruf, was aber seines Wissens nicht strafbar war.

Baumann kurvte in das Parkhaus unter dem Maritim, parkte und fuhr mit dem Aufzug hoch in die Lobby, wo er einen Augenblick lang neugierig die gut gekleidete Schar der Hotelgäste musterte, die Koffer hinter sich her zogen oder an den exklusiven Auslagen der Geschäfte vorbei flanierten.

Dann machte er, dass er raus kam. Dieser Laden war eindeutig nicht seine Welt. Der troddelbehängte Flottenadmiral am Eingang fand das wohl auch und strafte Baumann mit elitärer Ignoranz.

„Ich habe sowieso nicht vor, hier einzuziehen“, raunzte Baumann ihn an und ließ den Verblüfften stehen.

Baumann überquerte bei rot den Bahnübergang der Straßenbahnlinie 7, passierte den Alter Markt und schnürte lässig durch die Altstadt. Sicher, er hätte näher am Dom parken können, aber er hatte noch eine gute halbe Stunde Zeit und konnte so noch mal das Oberstübchen durchlüften.

Glück könnte er brauchen, überlegte er und machte einen kleinen Abstecher zu Tünnes und Schäl, den Kölner Originalen, denen man in der Altstadt ein Bronzedenkmal gesetzt hatte. Dass das Reiben an Schäls Nase Glück brachte, war vermutlich Quark, trotzdem schimmerte ihm der knollige Zinken im trüben Laternenlicht blitzblank poliert und verheißungsvoll entgegen. Einmal kurz umgeguckt und dann schnell, aber inbrünstig gerubbelt. Kostete ja nix.

Jetzt aber im Schnellschritt zum „Venezia“.

Machte schließlich keinen guten Eindruck, wenn man zum ersten Rendezvous zu spät kam.

11

Baumann betrat das „Venezia“ und checkte die Lage: Chromglänzendes Gestühl an schweren Eichentischen, künstliche Olivenbäumchen in überdimensionierten Terracottakübeln, an den Wänden Rialtobrücke, Dogenpalast und Canal Grande, zischende Espressomaschine am blitzblanken Tresen.

Alles gelackt, stylish und todlangweilig.

Und null Publikum.

Kein Wunder.

Ein ebenfalls gelackter Kellner lehnte im Durchgang zur Küche und glotzte blasiert, machte aber keine Anstalten, Baumann zur Kenntnis zu nehmen.

Baumann setzte sich an einen der hinteren Tische und schob das Glasschälchen beiseite, dessen Inhalt aussah, wie das, was sich ganz hinten in seinem Kühlschrank angesiedelt hatte. Dann winkte er dem Blasierten, der sich widerwillig in Bewegung setzte.

„Capuccino“, knurrte Baumann.

„Darf es sonst noch etwas sein?“

„Hätte ich dann gleich gesagt. Zisch ab, Mann.“

Der Blasierte verkrümelte sich. Vermutlich hatte er in wissenschaftlich nicht näher zu erklärender Präkognition vorhergesehen, dass er gerade einen Satz heiße Ohren riskierte.

Schließlich war Baumann einsneunundachtzig groß.

Und sechsundneunzig Kilo schwer.

Und unübersehbar schlecht gelaunt.

In diesem Moment öffnete sich die Türe. Ein Mann betrat das Lokal, sah sich kurz um und kam dann zielstrebig auf Baumanns Tisch zu. Baumann kniff die Augen zusammen und taxierte den Neuankömmling schnell und, wie er hoffte, unauffällig. Hager, drahtig, harte Kanten im Gesicht. Körperspannung, als wären seine Extremitäten an Stahlseilen befestigt. Zerknitterter Anzug, offener Hemdkragen, keine Krawatte. Sah aus wie ein Ausbilder der Fallschirmjäger auf Heimaturlaub.

Das konnte ja heiter werden, überlegte Baumann. Solche Typen kannte Baumann zur Genüge. Er hatte sich oft genug mit ihnen angelegt. Seinerzeit beim Bund, wo Baumann gelandet war, nachdem er mit Ach und Krach die mittlere Reife geschafft und dann das Gymnasium geschmissen hatte. Und er sich, obwohl er erst siebzehn war, für vier Jahre verpflichtet hatte, weil er unbedingt weg musste von zu Hause, weg von seinem Alten und diesem ewigen Gemecker, und weil er nicht wusste, wohin er sonst hätte gehen sollen.

Heute war ihm klar, dass das so ziemlich das Dämlichste gewesen war, was er jemals getan hatte. Denn jetzt bekam er es in der Grundausbildung bei den Panzerjägern mit knallharten Ausbildern zu tun, die seine Aufmüpfigkeit, seine Disziplinlosigkeit und sein gestörtes Verhältnis zu Autorität überhaupt nicht amüsant fanden. Und die sich nicht scheuten, ihm das unmissverständlich klar zu machen. Zur Not auch mit handfesten Argumenten.

Aber Baumann ließ sich nicht kleinkriegen, er verlängerte sogar aus purem Trotz um weitere vier Jahre und entwickelte auf einmal ungeahnten Ehrgeiz, nur um es allen, besonders aber seinem Alten, zu zeigen. Er absolvierte Unteroffiziers- und Einzelkämpferlehrgänge, schaffte das Leistungsabzeichen in Gold, bekam für besondere Schießleistungen die Schützenschnur in Silber und wurde jüngster Feldwebel seiner Einheit.

Bei einem dreißig Kilometer langen Gewaltmarsch unter vollem Gepäck kollabierte ein übergewichtiger junger Gefreiter, der unbemerkt zurückgefallen war und sich allein und weit hinter den anderen Kameraden durch die Julihitze geschleppt hatte. Baumann, der als erster darauf aufmerksam geworden war, fand den Bewusstlosen, flößte ihm seinen eigenen Wasservorrat ein und trug ihn im Laufschritt fast drei Kilometer bis zum Lager, wo Sanis den Dehydrierten versorgen konnten. Für diesen Einsatz bekam Baumann das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber und drei Tage lang Freibier in der Kantine.

Dann verließ ihn sein Glück.

Besser gesagt machte ihm sein Jähzorn, eine seiner weniger schönen Eigenschaften, einen Strich durch seine soldatische Zukunft. Denn eines Abends versuchte ein aufgeblasener Luftwaffenleutnant ihm beim Kasernenfest die Freundin auszuspannen, worauf sich Baumann genötigt sah, Widerspruch einzulegen. Die damit verbundene Kieferkorrektur stellte nach Baumanns Ansicht durchaus eine ästhetische Verbesserung dar; diese Einschätzung wurde aber weder von dem betroffenen Leutnant noch von der Bundeswehrführung geteilt, so dass Baumanns militärische Karriere ein abruptes Ende fand. Nur das kürzlich verliehene Ehrenkreuz verhinderte, dass er unehrenhaft entlassen wurde.

Schmickler war herangekommen und förderte seinen Polizeiausweis zu Tage.

„Herr Baumann?“

Baumann nickte.

„Also Privatdetektiv sind Sie“, sagte Schmickler während er sich setzte und verzog abschätzig das Gesicht. „Ich mag keine Privatdetektive.“

Baumann nickte erneut. „Niemand mag Privatdetektive.“

Diesmal brauchte der Blasierte keine Extraeinladung. Beflissen eilte er herbei, wobei alles in seiner Körpersprache zum Ausdruck brachte, dass die Arbeit in diesem entzückenden Lokal so schön sein könnte, wenn es nur nicht diese lästigen Gäste gäbe.

Schmickler bestellte und los ging’s:

„Damit eins von vorne herein klar ist. Ich bin verdammt müde und außerdem stinksauer. Ich vermute mal, dass Sie derjenige waren, der heute Nacht bei uns angerufen hat.“

„Das wirft dann automatisch bei mir einige Fragen auf“, fuhr er fort, nachdem Baumann keine Anstalten machte, sich zu erklären.

„Erstens: Wie war der genaue Tathergang? Zweitens: Wieso Mord? Und drittens:“ Hier bekam Schmicklers Stimme einen bedrohlichen Unterton. „Warum haben Sie nicht auf uns gewartet?“

Schmickler schlug derart heftig mit der Faust auf den Tisch, dass der Bubikopf im Miniaturübertöpfchen bedenklich Richtung Tischrand hüpfte. Prompt kam der Blasierte mit der bestellten Latte macchiato angetrabt und verschüttete vor lauter Eifer ein wenig Milchschaum.

„Stattdessen verschwinden Sie einfach und lassen uns wie die Deppen im Dunkeln tappen! Und jetzt, bevor Sie loslegen, noch ein kostenloser, gut gemeinter Rat. Keine Spielchen, keine Lügen, nichts dergleichen. Sonst sorge ich höchstpersönlich dafür, dass sich Ihre Lizenz in Luft auflöst und Sie wegen Behinderung der Justiz und Verschleierung einer Straftat eine Zeit lang gesiebte Luft atmen.“

Baumann machte ein undefinierbares Geräusch. Verschleierung einer Straftat? Komm mal wieder runter, Mann.

Ach, was soll`s, dachte er dann, nahm einen Schluck, erzählte seine Geschichte in allen Einzelheiten, war irgendwann fertig und wartete. Schmickler machte auf obercool und rührte nervtötend in seiner Tasse.

Am Nebentisch hatten sich drei hübsche Feger Anfang zwanzig niedergelassen, tratschten und kicherten über was auch immer. Baumann grinste sie versuchsweise an, wurde aber geflissentlich ignoriert.

Schnepfen.

„Okay, tun wir mal einen Moment so, als würde ich Ihre Geschichte glauben“, meldete sich Schmickler, nachdem er genug gerührt hatte. „Weshalb haben Sie nicht gewartet, wie es jeder brave Bürger getan hätte?“

„Ich sehe auch nicht jeden Tag so einen Scheiß. Und als dieser Kern da vor mir auf den Bürgersteig gekracht ist, da habe ich…“

„An den Baum gekotzt, ich weiß. Wir haben Ihr Abendessen gefunden.“

Baumann verzog wütend das Gesicht. So ein Arsch. Sollte froh sein, dass er sich überhaupt gemeldet hatte. Wo lebte der denn? Jeder der braven Bürger in dieser Gegend hätte sich direkt verpisst und alles Mögliche getan, nur nichts den Bullen gesteckt, weil er keinen Ärger riskieren wollte.

„Gut, belassen wir es erst einmal dabei“, fuhr Schmickler ungerührt fort. „Weshalb war Dr. Kern überhaupt bei dieser Frau Wenz? Und woher wusste ihr Mörder, dass er ausgerechnet gestern Abend dort sein würde?“

„Woher soll ich denn das wissen?“

„Und der Volvo? Kennzeichen, Farbe, besondere Merkmale? Der Fahrer, wie sah er aus?“

„War grau oder so, die Karre. Und `n altes Modell. Sonst echt keine Ahnung. Es war dunkel und es ging alles ziemlich schnell.“

„Das ist doch totaler Bockmist! Sie kommen hierher, erzählen mir was von Mord, haben aber nichts anzubieten, was diese These untermauert. Was soll ich denn damit anfangen?“

Baumann zuckte die Schultern. „Ihr Job.“

„Meine Güte, was ist eigentlich los mit Ihnen? Sind Sie immer derart unkooperativ?“

„Blödsinn. Ich bin ein wahrer Teamplayer. Beinahe pathologisch hilfsbereit. Können Sie jeden fragen.“

Schmickler öffnete den Mund, um irgendwas zu erwidern, aber es fiel ihm nichts Gescheites ein und so starrte er nur.

„War es das jetzt?“, durchbrach Baumann die lastende Stille.

„Na schön, schwirren Sie ab, Baumann. Aber damit das klar ist. Sie sind raus. Ihr Auftrag hat sich hiermit erledigt. Haben Sie das verstanden?“

Baumann nickte, kreuzte aber unter dem Tisch Zeige- und Mittelfinger.

„Sicher doch“, sagte er, kramte ein paar lose Geldstücke aus seiner Jeans, warf sie auf den Tisch und ging.

12

Manni Rombach fühlte sich im Moment ganz und gar nicht swag.

In seinem Kopf wüteten die Bautrupps der Autobahnmeisterei III und der Colonia Tiefbau AG mit schwerem Gerät um die Wette und seine linke Hand schmerzte und brannte unerträglich als hätte er sie in kochendes Wasser getaucht.

Manni stöhnte und versuchte seine von getrockneter Tränenflüssigkeit und Staub verklebten Augen zu öffnen. Was war denn nur los? Wieso lag er auf dem Boden der Tiefgarage rum? Was war nur mit seiner Hand? Er konnte sich an nichts mehr erinnern. Totaler Blackout.

Manni rollte sich auf den Rücken und bereute diese unüberlegte Aktivität im gleichen Augenblick. Nachdem sich das explosionsartige Feuerwerk vor seinen Augen wieder gelegt hatte, setzte er sich behutsam auf, betastete vorsichtig die Beule am Hinterkopf und betrachtete mit schmerzverzerrtem Gesicht seine linke Hand, die mit einem blutigen Taschentuch umwickelt war.

Angst stieg brodelnd in ihm auf.

Vorsichtig wickelte er das Taschentuch ab und starrte ungläubig auf den kläglichen Überrest seines kleinen Fingers. Manni würgte krampfartig. Kalter Schweiß trieb aus sämtlichen Poren. Sein Finger war weg! Und überall war Blut! Er musste hoch, er musste schnellstens in ein Krankenhaus, sonst verblutete er noch in dieser scheiß Tiefgarage.

Irgendwie schaffte es Manni, auf die Beine zu kommen und torkelnd sein Auto zu erreichen. Er tastete nach dem Autoschlüssel, konnte ihn einfach nicht finden, fluchte gotterbärmlich und heulte gleichzeitig Rotz und Wasser.

Keuchend hielt er inne, als sein Handy klingelte.

„Was ist denn?“, quetschte er hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.

Eine fremde Stimme lachte leise. „Erpressung ist gefährlich, Manni. Das ist `ne Nummer zu groß für dich. Lass es sein, sonst sind das nächste Mal deine Eier ab.“

Manni starrte sein Handy ein paar Sekunden ungläubig an. Dann knallte er es auf die Motorhaube, zog umständlich seinen Revolver und fuchtelte mit ihm in alle Richtungen.

„Wo bist du?“, kreischte er. „Zeig dich, du Schwein! Wo bist du?! Ich mach dich kalt! Ich mach dich kalt!"

Keine Reaktion.

Manni hielt das Handy ans Ohr.

Die Leitung war tot.

13

Baumann erwachte fit wie der junge Frühling.

Was ein paar Stunden Schlaf doch ausmachten, dachte er und gähnte, dass die Wangenknochen knackten. Sollte er bei Gelegenheit unbedingt wiederholen.

Er latschte in die Küche und schmiss den Kaffeebräter an, während Waltraud, seine graue Maine Coon, in der Hoffnung auf Fressbares um seine Beine schnurrte. Baumann ließ sich aber nicht erweichen. War sowieso zu fett, das Viech. Kaffee und Toast eingeworfen, jetzt noch unter die Dusche, rasieren, Klopapierfetzen auf die Schnittwunden, frische Klamotten und ab ins Büro.

The show must go on.

Baumann stieß die Tür auf und strahlte wie eine 100-Watt-Birne kurz vor dem finalen durchglühen. Katja war schon da und sah wie immer zum Niederknien aus. Brünette Löwenmähne, seidenweiche Haut, smaragdgrüne Katzenaugen, Beine ohne Ende. Baumann hätte ohne mit der Wimper zu zucken seine heiß geliebte Omi verkauft, um Katja in die Kiste zu kriegen. Aber die machte stur auf eiserne Jungfrau. Und Omi war eh schon eingeäschert.

„Morgen!“, rief Baumann gutgelaunt.

„Von wegen Morgen, es ist Mittag.“ Katja sah auf und kicherte „Hast du wieder versucht, dich zu rasieren?“

„Hab neuerdings `nen Werbevertrag mit Tempo.“

„Spinner.“

Katja wurde plötzlich ernst. „Charlie hat vorhin angerufen und mir von dem Mord erzählt, den du gesehen hast. Was ist das jetzt wieder für eine Geschichte, Frank?“

Baumann zupfte einen letzten Papierfetzen vom Kinn und setzte sich auf die Schreibtischkante.

„Hast du das mit diesem Dr. Kern mitgekriegt?“

Katja nickte und sah ihn gespannt an.

„Kern hatte keinen Unfall. Er ist mit Absicht überfahren worden. Glasklarer Mord, sage ich dir, und ich habe alles gesehen. Irre was?“

„Irre? Wieso ist das irre?“

„Na, weil das der Fall ist, auf den ich gewartet habe.“

„Du bist irre. Du hast keinen Fall und du bist auch nicht die Polizei, Frank. Überlass das der Mordkommission.“

„Vergiss es.“

„Hör zu, Frank. Jemand, der so eiskalt Leute über den Haufen fährt, ist zu allem fähig. Was ist, wenn du als nächster im Straßengraben liegst?“

Baumann machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach was, das hab ich doch im Griff.“

„Ja, klar“, schnaubte Katja abfällig. „Das und wie man ohne größeren Blutverlust ins nächste Krankenhaus fährt.“

„Jetzt bleib mal ruhig. Sobald es gefährlich wird, steige ich aus, okay?“

„Gerade dann wirst du deine Nase noch tiefer in Dinge stecken, die dich nichts angehen, du verdammter Idiot.“

„Schluss jetzt“, beendete Baumann die Diskussion. „Ruf diese Wenz an und sag ihr, dass Hauptkommissar Schmickler von der Mordkommission gleich vorbei kommt und ihr ein paar Fragen stellt.“

„Mann, Frank. Übertreib es nicht. Du hast die Bullen am Hals und kriegst noch nicht mal Kohle dafür.“

„Geht aufs Haus“, meinte Baumann und zog die Tür hinter sich zu.

Den „Vollpfosten“ bekam er trotzdem noch mit.

14

Baumann saß wieder im Alfa und rollte über die Deutzer Brücke auf die andere Rheinseite.