Tödliche Realität - D.P. Lyle - E-Book
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Tödliche Realität E-Book

D.P. Lyle

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Beschreibung

Ein brutaler Serienkiller. Sieben übel zugerichtete Opfer.
Der rasante Fall für Jake Longly – mitten im Spiel um Macht und Ruhm

Jake Longly und Nicole Jamison werden mit ihrem bisher bizarrsten Fall konfrontiert. Der Serienmörder Billy Wayne Baker leugnet plötzlich, dass zwei der sieben Morde, die er gestanden hat, tatsächlich sein Werk waren. Ein anonymer Wohltäter, der Billy Waynes Leugnungen glaubt, hat Longly Investigations beauftragt, Billy Waynes Unschuld zu beweisen. Die Privatermittler reisen in die kleine Golfküstenstadt Pine Key, Florida, wo drei der Morde geschehen sind. Schnell ist klar, dass vor Ort alle gute Arbeit geleistet und unwiderlegbare Beweise für Billy Waynes Schuld aufgedeckt haben. Sogar ein vollständiges Geständnis konnten die Ermittler ihm entlocken. Klarer Fall. Versucht Billy Wayne einfach nur, das System zu manipulieren, um weitere fünfzehn Minuten Ruhm zu erlangen? Oder stimmen seine Behauptungen? Falls Baker die Wahrheit sagt, könnte ein Mörder frei herumlaufen …

Weitere Titel dieser Reihe
Tödlicher Einsatz (ISBN: 9783968171364)
Tödliches Erwachen (ISBN: 9783968170121)

Erste Leser:innenstimmen
„Mein liebster Teil der Jake Longly-Reihe – Der Fall hat mich sofort gepackt!“
„Fans von Jack Reacher kommen hier voll auf ihre Kosten.“
„Action, Spannung und coole Dialoge ziehen sich durch den Thriller.“
„Hier sind unvergleichliche Privatermittler am Werk … muss man lesen!“

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Seitenzahl: 458

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Über dieses E-Book

Jake Longly und Nicole Jamison werden mit ihrem bisher bizarrsten Fall konfrontiert. Der Serienmörder Billy Wayne Baker leugnet plötzlich, dass zwei der sieben Morde, die er gestanden hat, tatsächlich sein Werk waren. Ein anonymer Wohltäter, der Billy Waynes Leugnungen glaubt, hat Longly Investigations beauftragt, Billy Waynes Unschuld zu beweisen. Die Privatermittler reisen in die kleine Golfküstenstadt Pine Key, Florida, wo drei der Morde geschehen sind. Schnell ist klar, dass vor Ort alle gute Arbeit geleistet und unwiderlegbare Beweise für Billy Waynes Schuld aufgedeckt haben. Sogar ein vollständiges Geständnis konnten die Ermittler ihm entlocken. Klarer Fall. Versucht Billy Wayne einfach nur, das System zu manipulieren, um weitere fünfzehn Minuten Ruhm zu erlangen? Oder stimmen seine Behauptungen? Falls Baker die Wahrheit sagt, könnte ein Mörder frei herumlaufen …

Impressum

Deutsche Erstausgabe Oktober 2021

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-002-2

Copyright © 2019, Oceanview Publishing Titel des englischen Originals: Sunshine State

Übersetzt von: Dorothee Scheuch Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © benjaminlion stock.adobe.com: © Integral shutterstock.com: © inLite studio, © fotomak Korrektorat: KoLibri Lektorat

E-Book-Version 01.03.2024, 09:43:02.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Tödliche Realität

Danksagung

Mein Dank geht an meine wundervolle Agentin und Freundin Kimberley Cameron von Kimberley Cameron & Associates. KC, du bist die Beste.

An Bob und Pat Gussin und all die wunderbar hingebungsvollen Menschen von Oceanview Publishing. Danke für eure Freundschaft und eure Einblicke, die immer auf den Punkt sind und aus meinem Schreiben das Beste machen.

Danke auch an meine Schreibgruppe, die mir geholfen hat, diese Geschichte schlüssig zu machen. Danke Barbara, Terri, Craig, Donna, Sandy und Laurie.

Danke an Mary Sue Baker für ihre großzügige Spende an die Anaheim Public Library Foundation und dafür, dass sie mir gestattet hat, ihren Namen in dieser Geschichte zu verwenden.

Danke auch an JoAn Pettite für ihre großzügige Spende an die Anaheim Public Library Foundation und dafür, dass sie für diese Geschichte den Namen Erma Clemens und den ihres Hundes Poochie erfunden hat.

Nan danke ich für alles.

Kapitel eins

So sieht’s aus. Ray hält mich für einen Waschlappen. Das tut er seit Jahren. Es fing an, als ich aufhörte, für die Major League Baseball zu spielen. Ein paar Jahre pitchte ich für die Texas Rangers. Ich hatte es echt drauf. Hundert Meilen pro Stunde. Zip, pop. Ich liebte dieses Geräusch. Ich liebte es, dass der Fänger oft seine Hand ausschüttelte, nachdem er einen meiner Fastballs gefangen hatte. So war ich. Jake Longly, Baseball-Held. Jeder sagte das. Sogar die Typen vom Sportsender ESPN.

Nicht jedoch Ray. Den Ausdruck „Waschlappen“ hat er nie wirklich verwendet. Pussy. So nannte er mich lieber. Seine letzte Einschätzung lag vier Wochen zurück.

Nicole Jamison - meine aktuelle Freundin, Gespielin, was auch immer sie war, ich war mir noch nicht sicher - hatte gelacht. Gemein, aber sie amüsiert sich gern auf meine Kosten. Wahrscheinlich stimmt sie ihm sogar zu. Meistens. Allerdings nicht im Bett. In der Kiste bin ich der verdammte Godzilla. Wirklich. Ich denke, sie würde das bestätigen. Tatsächlich rief sie letzte Nacht mehrmals nach Gott, wenn ich mich recht erinnere. Es war Tequila im Spiel gewesen. Vielleicht bin ich es auch gewesen. Gott weiß, dass ich ihn ein paarmal gerufen habe.

Okay, den zilla-Teil habe ich hinzugefügt. Ihr könnt mich also verklagen. Nein, wartet, tut es nicht. Der beste Anwalt der Stadt, Walter Horton, ist mit meiner Ex-Frau, der irren Tammy, verheiratet. Er hat meine Geldbörse bereits einer Darmspiegelung unterzogen. Wahrscheinlich würde er nicht zögern, diesen Prozess zu wiederholen.

Sagen wir also einfach, Nicole und ich haben unseren Spaß.

Trotzdem haben sie und Ray uns für Martial-Arts-Unterricht angemeldet. Irgendetwas Verrücktes, das auf Krav Maga und ein paar weiteren Disziplinen basiert und mit einer Suppe aus Schmerz, Chaos und beträchtlicher Körperverletzung vermischt ist. Der Lehrer ist ein Ex-Mossad-Typ, den Ray von früher kennt. Ben Levitsky. Eins neunzig, schlank und muskulös, mit dem Körper eines Langstreckenläufers. Kein Unsinn. Kein Wunder, dass Ray und er sich gut verstanden.

Ray Longly, mein Vater. Eigentümer von Longly Investigations. Eine Einrichtung, die, abhängig von eurer Definition, Nicole beschäftigt. Wo wir gerade von Beschäftigung sprechen. Ray hat jeden Trick in seinem beachtlichen Repertoire benutzt, um mich in sein Geschäft zu ziehen. Ich jedoch ziehe Captain Rocky’s vor, meine Bar/Restaurant am Strand von Gulf Shores. Dort hänge ich sehr gern mit Pancake ab, der tatsächlich für Ray arbeitet. Er ist ebenfalls der Meinung, ich solle bei Ray unterschreiben. Das wird nicht passieren. Zumindest nicht offiziell.

Trotz dieser Entschlossenheit werde ich allerdings immer wieder in Rays Welt hineingezogen. Und ende damit, wie ich Baseballs auf Auftragskiller werfe oder mit Baseballschlägern auf Alligatoren eindresche.

Captain Rocky’s ist viel sicherer.

Zurück zu Krav Maga. Das ist ein aggressives Kampfsystem, das, von den richtigen Händen - und Füßen, oder was auch immer gerade zur Verfügung steht - ausgeführt, tödlich sein kann. Ben Levitsky hatte seine Karriere beim Mossad vor beinahe zehn Jahren beendet. Ich nahm an, er hatte ein paar Dinge getan, die nicht nett oder legal oder koscher gewesen waren. Heute besaß er ein Studio in Orange Beach, in dem er sein Wissen an Menschen jeder Altersklasse und jedes Ausbildungsstandes weitergab. Nicole und ich hatten bereits eine Trillion Stunden absolviert. Tatsächlich waren es drei Stunden pro Woche seit einem Monat, aber meine Hände fühlten sich an, als wären es Trillionen gewesen. Sie schmerzten, und sie zur Faust zu ballen, war ein längerer Prozess und geschah nicht in einem Augenblick. Das war auf keinen Fall ein gesunder Zeitvertreib. Ich meine, ich konnte meine Finger kaum um ein Bier schließen.

Nicole dachte anders darüber. Sie liebte es. Ihren Händen ging es prima. Tatsächlich war alles an ihr prima. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wir hatten unser morgendliches Training absolviert, gegen Sandsäcke geschlagen und getreten, waren umhergewirbelt und hatten danach ein paar Burritos zum Frühstück gegessen, die mein Koch für uns zubereitet hatte. Ich saß mit Carla Martinez, meiner Managerin, auf der Terrasse des Captain Rocky’s unter einem Sonnenschirm an einem Tisch. Sie war die eigentliche Geschäftsführerin des Ladens. Sie hatte einen Stapel Zeugs, das ich mir ansehen sollte: Schecks und Papiere zum Unterzeichnen, Rechnungen und Bestellungen zum Absegnen und Inventarlisten, die meine Sicht verschwimmen ließen. Papierkram ist nicht mein Ding.

Es war August und die Tagestemperatur, die laut Vorhersage die dreißig Grad weit überschreiten sollte, hatte zu steigen begonnen. Ich hatte bereits zwei Gläser Eistee getrunken und arbeitete an meinem dritten.

Nicole ging am Strand spazieren. In einem roten String-Bikini. Nicht genug Stoff, um damit eine Shotgun zu stopfen. Der Traum eines jeden Exhibitionisten. Das war eine weitere ihrer herausragenden Qualitäten. All das zur Schau gestellte Fleisch zog jede Menge Blicke auf sich. Als sie den Strand heraufkam, drehte sich jeder männliche Kopf in ihre Richtung. Die meisten Frauen sahen ihr ebenfalls nach. Sie sorgte sogar dafür, dass ein Strandfußballspiel unterbrochen wurde. Nun, da sie auf uns zukam, sah ich, dass sie ein paar Verfolger hatte. Zwei alte Knacker mit Metalldetektoren. Ich glaube nicht, dass ihr Fokus weiterhin darauf lag, Münzen zu finden. Perverse.

Wo wir gerade von Fokus sprechen.

„Hörst du mir zu?“, fragte Carla.

„Klar.“

„Was habe ich gerade gesagt?“

„Dass wir mehr Rippchen und Hühnchen bestellen müssen.“

Sie lächelte. „Und ich dachte schon, du wärst wieder in Tagträumen versunken. Schön, dass du multitaskingfähig bist.“

„Das bin ich. Ich bin ein Multitasking-Freak.“

„Ein Freak bist du, ja.“ Sie lächelte wieder.

Wie Nicole genoss es auch Carla, mir eine Lektion zu erteilen. Wenn ich so darüber nachdenke, genossen Ray und Pancake es ebenso.

Sie drehte sich in ihrem Stuhl und sah den Strand hinunter, wo auch ich hinsah. Wo Nicole eine Fußspur dicht am Wasser hinterließ. „Ich hätte es wissen müssen.“

Ich lächelte. „Ich werde dieses Anblicks niemals müde.“

„Du bist besessen.“

„Irgendwie schon.“

„Definitiv. Aber sie ist wunderschön. Wenn ich so gepolt wäre, würde ich sie mir schnappen.“

Ich schüttelte den Kopf. Sie lachte und wandte sich wieder mir zu.

„Keine Angst. Ich mag meine Männer.“

„Das tust du wohl.“

„Nun“, sagte Carla, „du kannst all dein großartiges Multitasking-Talent nun einpacken, denn das war schon alles, was ich für dich hatte.“ Sie stand auf, schob die Papiere zusammen und stopfte sie in einen Ordner. „Was hast du heute noch vor?“

„Nur das hier. Ich glaube, ich bin fertig.“

„Es ist zehn Uhr morgens.“

„Ein langer Tag.“ Ich lächelte. Sie bedachte mich mit einem Blick, den ich schon allzu oft gesehen hatte. Der, der ausdrückte, dass ich unbelehrbar war.

„Übernimm dich nicht“, sagte sie. „Ich muss arbeiten.“

Wie ich sagte, sie hat den Laden im Griff.

Sie hatte sich bereits ein Stück vom Tisch entfernt und drehte sich noch einmal um. „Oh, das hatte ich vergessen. Pancake hat vor einer Weile angerufen. Er wollte wissen, ob ihr hier seid. Sagte, er kommt vorbei.“

„Irgendeine Ahnung, was er wollte?“

„Niemand weiß, was er will.“

Das stimmte. Nicht, dass Pancake dumm gewesen wäre. Weit gefehlt. Er war einer der cleversten Typen, die ich kannte. Aber er war - in Ermangelung eines besseren Wortes - schrullig. Und das ist freundlich ausgedrückt.

Carla fuhr fort. „Ich habe ihn gefragt, aber er sagte, er wolle dein Gesicht sehen, wenn er es dir erzählt.“

Das hörte sich nicht gut an.

„Schätze, du wirst es bald herausfinden.“ Sie lachte und ging in Richtung Bar davon. Nicole erklomm gerade die Stufen zur Terrasse und kam auf mich zu. Und was für ein Gang. Wie auf einem Laufsteg. Das Murmeln der späten Frühstücksgäste erstarb, und Blicke folgten jedem Schritt und jedem Hüftschwung.

Sie streifte das hauchdünne Jäckchen über, das sie über einem der Stühle hängen gelassen hatte, und setzte sich. „Hast du deine Hausaufgaben erledigt?“

„Ja, das habe ich.“

„Guter Junge.“

Junge? Ich erwartete beinahe, dass sie ein paar Leckereien hervorholte und meinen Kopf tätschelte. Eine Belohnung für meine gute Arbeit. Sie tat es nicht. Dann kam Pancake. Seine ganzen zwei Meter und tapsigen 140 Kilogramm. Seine roten Haare waren zerzaust. Seine linke Wange sah aus, als hätte er damit gebremst.

„Was ist mit dir passiert?“, fragte ich.

„Drei Wild Turkeys und ein Fahrrad.“

Weitere Erklärungen gab er nicht ab. Ich versuchte, mir ihn auf einem Fahrrad vorzustellen. Sicher hatten er und ich als Kinder mit unseren Fahrrädern die Gegend unsicher gemacht, aber er war der Belastbarkeit eines Fahrrades entwachsen, bevor wir das Highschoolalter erreicht hatten. Das Einzige, was ihn nun sicher von A nach B bringen konnte, war sein riesiger Pick-up. Ein Fahrrad konnte es jedenfalls nicht.

„Hast du eine antibakterielle Salbe draufgeschmiert?“, fragte Nicole.

„Hab bisschen Dreck reingerieben.“ Er lächelte. „Das wird schon gehen.“ Als wir Kinder waren, hatte es auch funktioniert, also warum nicht?

„Ray ist hierher unterwegs“, sagte er.

„Tatsächlich?“, fragte ich. „Warum?“

Ray mied das Captain Rocky’s, als wäre es eine Giftmülldeponie. Irgendetwas musste im Busch sein.

„Er hat einen Job für euch zwei“, sagte Pancake.

„Ich arbeite nicht für Ray.“

„Ich aber“, sagte Nicole. „Worum geht’s?“

Pancake lachte. „Du wirst es lieben.“

„Was?“, fragte ich und wollte es nicht wirklich wissen, obwohl meine Neugier ein wenig geweckt worden war. Oder war es Furcht? Immer, wenn Pancake etwas wie „du wirst es lieben“ oder „warte, bis du das hier hörst“ oder „hier, halt mal mein Bier und sieh dir das an“, sagte, war es unmöglich vorherzusagen, was passieren würde. Oft endete es im Chaos.

„Ich denke, das überlasse ich Ray. Möchte es ihm nicht verderben.“

„So schlimm?“, fragte Nicole.

Pancake nickte. „Oh ja. Wir haben schon einen Haufen verrücktes Zeug gemacht, aber das schlägt alles.“

„Cool“, sagte Nicole.

Nein, wahrscheinlich nicht einmal nah an cool dran.

Kapitel zwei

Fünfzehn Minuten später erschien Ray. Er setzte sich zu uns an den Tisch und sagte kein Wort. Carla stellte eine gekühlte Dose Mountain Dew vor ihn. Ray und Mountain Dew verband eine starke Beziehung. Beinahe pathologisch. Ich glaube, er trank jeden Tag ein Dutzend davon.

„Noch etwas?“, fragte Carla.

„Das wird ausreichen“, sagte Ray schließlich. „Danke.“

„Wink einfach, wenn du deine Meinung änderst.“ Sie ging zurück nach drinnen.

„Was liegt an?“, fragte ich.

„Es gibt da etwas, von dem ich möchte, dass ihr beide es überprüft.“

„Ich arbeite nicht für dich“, sagte ich.

Er zuckte mit den Schultern. „Nicole aber. Und du wirst ihr folgen, wohin auch immer sie geht.“

Darauf hatte ich keine Antwort. Hauptsächlich, weil es stimmte.

„Also, was hast du für uns, Boss?“, fragte Nicole.

Boss?

„Das Bescheuertste, was ich je gehört habe“, sagte Ray. Pancake lachte. „Das und noch viel mehr.“

„Die Spannung bringt mich um“, sagte ich.

„Mich auch“, ergänzte Nicole. Schätze, ich habe nicht genügend Sarkasmus in meine Frage gelegt. Für sie. Nicht für Ray. Er bedachte mich mit einem Blick, bevor er fortfuhr.

„Ich habe einen Anruf von einem Anwalt drüben in Jacksonville erhalten“, begann Ray. „Er möchte, dass wir uns mit seinem Klienten treffen und sehen, ob wir helfen können.“

„Wobei?“, fragte ich und bedauerte es sofort. Ich hatte keine Ahnung, warum ich mich da einmischte. Es war besser, im Bau zu bleiben und zu hoffen, dass Ray vorbeizog.

„Um zu beweisen, dass er nur fünf Menschen getötet hat und keine sieben.“

„Was?“, rief Nicole aus.

Ray nahm einen großen Schluck Mountain Dew. „Sagt euch der Name Billy Wayne Baker etwas?“

Nicole sah zuerst ihn an und dann mich.

„Kommt mir bekannt vor“, sagte ich.

„Ein verurteilter Serienmörder“, sagte Ray. Ich nickte. Seine Geschichte begann im meinem Kopf Wurzeln zu schlagen. „Ich erinnere mich an ihn. Vage. Hat drüben in Florida ein paar Leute umgebracht.“

„Genau der. Sieben Opfer. Mehrfach lebenslänglich.“

„Nicht die Todesstrafe?“, fragte ich.

„Das ist Teil der Abmachung. Er hat alle Morde zugegeben. Hat dem Staat einen Haufen Geld erspart. Hat siebenmal lebenslänglich bekommen. Ohne Bewährung natürlich.“

„Ist er der Klient?“, fragte Nicole.

„Sicher.“

„Woher hat jemand, der lebenslänglich sitzt, das Geld, dich zu beschäftigen?“, fragte ich.

„Hat er nicht. Aber laut seinem Anwalt - ein Typ namens Winston McCracken - existiert ein Wohltäter, der die Bezahlung übernimmt.“

Nichts daran klang richtig. „Serienmörder haben jetzt Wohltäter?“

Ein weiterer Schluck Dew. „Billy Wayne offenbar schon.“

„Wer ist es?“, fragte Nicole. „Der Geldgeber?“

„Keine Ahnung. Das ist Teil der Abmachung. Er bleibt vollständig anonym.“

Ich konnte es nicht fassen. Ein Serienmörder, der seine Taten gestanden hatte, wollte nun einen Rückzieher machen und hatte jemanden gefunden, der das Geld hatte, die Untersuchung wieder aufzurollen? Wer zur Hölle sollte das tun? Und warum?

„Das ergibt keinen Sinn“, sagte ich. „Er möchte, dass wir beweisen, dass er zwei der Menschen, für deren Mord er sich verantwortlich erklärt hat, gar nicht umgebracht hat? Wie jetzt? Ist fünfmal lebenslänglich besser als siebenmal?“

Ray ballte eine Hand zur Faust, öffnete sie wieder und streckte seine Finger. Er blickte prüfend auf sie hinab.

„Ich weiß nur, was McCracken gesagt hat. Deswegen möchte ich, dass ihr euch das mal anseht.“

Die Situationen, in die Ray mich in der Vergangenheit gebracht hatte, waren allesamt unglaublich merkwürdig gewesen. Oder merkwürdig unglaublich? Dasselbe, schätze ich. Er hatte mich zu Dingen angestiftet wie die ehebrecherische Barbara Clammer auszuspionieren, die natürlich prompt direkt vor meiner Nase ermordet wurde. Gut, das war vielleicht nicht mein bester Tag. Oder ich sollte versuchen herauszufinden, wie der Hollywoodstar Kirk Ford neben der toten jugendlichen Nichte eines Gangsterbosses aus New Orleans aufwachen konnte. Das waren tatsächlich unglaubliche und merkwürdige Fälle gewesen, aber ich musste zugeben, dass das hier etwas ganz anderes war.

„Ich bin fasziniert“, sagte ich.

„Ich kann darin Stoff für ein Drehbuch erkennen“, fügte Nicole hinzu.

Ich schüttelte den Kopf. „Natürlich tust du das.“ Sie schüttelte meinen Arm. Meinen von all dem Krav-Maga-Mist bereits schmerzenden Arm. Nicht erst zu erwähnen, dass meine Hände zu sehr wehtaten, um irgendwen zu schlagen. Auf Nicole traf das offenbar nicht zu.

„Wie lautet der Plan, abgesehen davon, Jake in der Spur zu halten?“, fragte sie.

„Mich? In der Spur?“

„Keine leichte Aufgabe.“ Sie zerzauste meine Haare.

„Ich kann dir dabei nicht helfen“, sagte Ray. „Gott weiß, ich habe es versucht. Aber was den Fall betrifft, wäre der erste Schritt ein Gespräch mit McCracken. Die Lage sondieren. Er sagte, er könnte euch zu Billy Wayne mitnehmen.“

„Der sich wo befindet?“

„Union Correctional Institute. Drüben bei Raiford.“

„Wir sind dran“, sagte Nicole.

Natürlich sind wir das.

„Wann?“, fragte ich.

„Morgen Nachmittag. In seiner Kanzlei in Jacksonville.“

„Recht spontan“, sagte ich.

„Was denn? Hast du etwas anderes zu tun?“

Ich war mir sicher, dass ich das hatte, aber mir fiel absolut nichts ein.

Kapitel drei

Winston McCrackens Kanzlei lag im Geschäftsviertel des Stadtkerns von Jacksonville, nicht weit vom berühmten Jacksonville Landing entfernt, einem zentralen Ort am Fluss St. John, an dem Touristen Unterhaltung und Essen geboten wurde. Es dauerte fast fünf Stunden, um von Gulf Shores, Alabama, dorthin zu gelangen. Es hätte eigentlich länger dauern sollen, aber Nicole saß am Steuer. Ich nehme an, die 450 Pferde unter der Haube ihres weißen Mercedes SL550 keuchten und schäumten, als wir sie auf dem Parkdeck ausruhen ließen. Sie sandten klickende Geräusche und Hitzewellen in die bereits heiße Luft über der Motorhaube.

Das Gebäude sah ziemlich gewöhnlich aus. Einfache Betonfassade mit einer dieser gläsernen Drehtüren als Eingang. Ich hasse diese Dinger. Ich kann meinen Schritt nie an die Drehgeschwindigkeit anpassen. Nicole hatte kein Problem und schoss direkt hindurch, während ich einen Hopser, einen Hüpfer und einen Sprung machen musste, um einen Stoß in den Rücken zu vermeiden. Und selbst dann bekam ich einen kleinen Schubs.

McCrackens Kanzlei nahm den halben vierten Stock ein. Der Warteraum war leer und die Empfangsdame, eine humorlose junge Frau, die einen schlechten Tag zu haben schien, führte Nicole und mich zu McCrackens Büro. Ein Eckraum mit Aussicht auf zwei weitere Gebäude. Viele Gebäude. Kein Meerblick. Vielleicht befand er sich nicht hoch genug in der Nahrungskette der Anwälte, um einen solchen zu verdienen.

McCracken begrüßte uns und bot uns Kaffee oder Softdrinks an, was wir ablehnten. Er sah mich kurz an, ließ seinen Blick dann aber auf Nicole ruhen. Wir schüttelten uns die Hände und nahmen dann in mäßig bequemen Stühlen ihm gegenüber Platz. Riesige Rechtsbücher füllten die Regal hinter ihm. Nur auf einem lagen ein Dutzend Baseballs neben dem Foto einer Frau und drei Mädchen. Hübsche Familie. McCracken hatte eine massive Verteidigung aus Töchtern zu Hause. Er tat mir ein kleines bisschen leid, denn er war in seinem eigenen Haus in der Unterzahl.

Er schien es jedoch mit Fassung zu tragen. Offenbar war er Mitte fünfzig, hatte ein rundes Gesicht, intensiv blickende, braune Augen und eine halbmondförmige Brille, die weit unten auf seiner Nase saß. Gekleidet war er in ein weißes Hemd mit goldenen Manschettenknöpfen und eine gelbe Krawatte. Seine graue Anzugjacke hing an einer Garderobe an der Wand zu seiner Linken. Die Papiere auf seinem Schreibtisch waren ordentlich gestapelt.

„Danke, dass Sie vorbeigekommen sind“, sagte er.

Ich nickte, sagte aber nichts.

Nicole sagte: „Wir von Longly Investigations sind froh, dass Sie sich an uns gewendet haben.“ Sie lächelte. „Und mehr als nur ein bisschen neugierig.“

McCracken hob eine Augenbraue und eine Schulter. „Es ist definitiv eine ungewöhnliche Situation.“

„Erzählen Sie uns, worum es geht“, sagte ich.

„Bevor wir dazu kommen, möchte ich sagen, was für eine Ehre es für mich ist, Sie zu treffen.“

„Mich?“, fragte ich.

„Ich bin ein großer Baseballfan.“ Er drehte seinen Stuhl zu dem Regal hinter ihm und deutete auf die Reihe von Baseballs, die seiner Familie Gesellschaft leisteten. Er wandte sich wieder mir zu. „Ich habe Ihre Karriere verfolgt. Sie waren großartig.“

Ich liebte diesen Typen. Offenbar hatte er etwas für Sport übrig. Nicole schüttelte nur ihren Kopf.

„Danke, aber das liegt Jahre zurück.“

„Trotzdem könnten Sie sicher noch einen guten Fastball werfen.“ Er lächelte. „Und nach dem zu urteilen, was ich über diese ganze Victor-Borkov-Affäre gelesen habe, können Sie das tatsächlich.“ Er lachte.

Ich zuckte mit den Schultern. „Wir saßen in der Bredouille und Baseballs waren die einzigen Waffen, die mir zur Verfügung standen.“

Das stimmte. Borkov hatte uns gefangen genommen und war mit uns auf den Golf hinausgefahren. Mitten in der Nacht. Sein Plan war es gewesen, uns an einen eisernen Ring zu ketten und uns über Bord zu werfen. In sehr schwarzes und sehr tiefes Wasser. Keine angenehme Vorstellung. Wer denkt sich solche Dinge aus? Es gelang mir, seine zwei Schergen mit Baseballs auszuschalten. Sie hatten nicht mehr als 130 Kilometer pro Stunde drauf, aber es hatte gereicht, um sie außer Gefecht zu setzen, damit Nicole und ich vom Heck der Dreißig-Meter-Jacht springen und neun Meter ins kalte Wasser eintauchen konnten. Von dort retteten uns Ray und seine Kumpels von den Special Forces, bevor sie Borkov und seine Crew ausschalteten. Das war eine Nacht.

„Da wir gerade von Baseballs sprechen“, sagte McCracken. „Wenn Sie so freundlich wären.“ Er zog eine Schublade auf und nahm einen sauberen, weißen, offensichtlich neuen Baseball heraus. „Vielleicht ein Autogramm?“ Er hielt mir den Ball und einen Stift hin. Ich signierte den Ball und gab ihn ihm zurück. Breit lächelnd sah er darauf hinab. Er erhob sich, legte den Ball zu den anderen und kehrte zu seinem Platz zurück. „Danke. Eine wunderbare Ergänzung für meine Sammlung.“ Er rieb sich die Hände. „Zum Geschäft. Sicher kennen Sie Billy Wayne Baker.“

„Ein wenig“, sagte ich.

„Er ist ein geständiger Serienmörder. Sieben Opfer. Offiziell. Ich gehörte zum Team seiner Verteidiger. Wir haben es nicht vor Gericht geschafft - was in diesem Fall etwas Gutes ist, denke ich. Hätte es einen Prozess gegeben, würde er jetzt wahrscheinlich im Todestrakt sitzen.“

„Hätte denn kein Anwalttrick funktioniert?“, fragte ich.

McCracken lächelte. „Guter Punkt. Sicher, wir hatten ein paar Sachen, aber am Ende hätten sie nicht gereicht. Die Anklage hatte alle Karten in der Hand. Sie hatten für jeden Mord DNS.“

„Also hat er wirklich alle sieben Morde begangen?“, fragte Nicole.

„Sie meinen, weil die DNS nicht lügt?“ McCracken hob eine Braue und lächelte sie schief an.

Sie erwiderte sein Lächeln. „Etwas in der Art.“

„Er hat alle Morde gestanden, richtig?“, sagte ich.

„Das hat er.“

„Und nun will er widerrufen?“

„Zwei von ihnen, ja.“

„Warum nur zwei?“, fragte Nicole. „Er würde trotzdem sein Leben lang im Gefängnis bleiben.“

McCracken nickte. „Mehrmals lebenslänglich, um genau zu sein.“ Er kratzte sich am Kinn. „Billy Wayne ist ein ungewöhnlicher Mensch. Ein Serienmörder? Sicher. Als solcher brutal. Aber er hat ein tiefes Empfinden für Gerechtigkeit.“

„Tatsächlich?“, fragte ich nach. „Ist er nicht nachts bei seinen Opfern eingebrochen, um sie zu vergewaltigen und zu töten?“

„Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.“

Ich zuckte mit den Schultern.

Wir hatten in Billy Waynes Hintergrund gegraben. Pancake hatte es getan. Er hatte vierzig Seiten über Billy Waynes Mordserie ausgedruckt, die ich laut vorgelesen hatte, während Nicole quer durch Florida nach Jacksonville flog.

McCracken nahm seine Brille ab und legte sie vor sich auf den Tisch. „Tatsächlich hat er sich den Zugang zu den Häusern seiner Opfer meist erschlichen. Wie Sie sehen werden, wenn Sie ihn treffen, gibt es an ihm mehr als man denken mag. Er ist klug, charmant, sehr belesen. Aus ihm hätte alles werden können. Er war ein hervorragender Jurastudent an der Florida State, als er zu morden begann. Das ist jetzt wenig mehr als vier Jahre her. Er hat zwei Jahre weitergemacht, bis er vor ein paar Jahren gefasst und eingesperrt wurde.“

„Und die Gerechtigkeit kommt wo ins Spiel?“, fragte ich.

„Ich weiß, dass es seltsam klingt, aber Billy Wayne glaubt, dass er für seine eigenen Taten verantwortlich ist. Er ist bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Deshalb hat er gestanden und einen Prozess vermieden.“

„Und um die Todesstrafe vom Tisch zu bekommen“, sagte ich.

„Das war ich. Was Billy Wayne wollte, war die Wahrheit sagen.“

„Und was ist die Wahrheit?“, fragte Nicole.

„Er hatte immer gesagt, dass er zwei dieser Morde nicht begangen hat.“

„Welche zwei?“

„Das wollte er nicht sagen.“

„Was soll das heißen?“, fragte sie.

„Was ich gesagt habe. Und nicht nur das, er sagt, er weiß, wer sie begangen hat.“ Nicole zog die Brauen zusammen. „Aber er sagt es nicht?“ McCracken klopfte ein paarmal mit seinem Zeigefinger auf den Tisch und schüttelte seinen Kopf. „Nein. Er wollte seinen Tag vor Gericht haben. Bei der Urteilsverkündung. Er wollte dem Richter sagen, dass er nur fünf Menschen ermordet hat.“

„Und hat er das?“, fragte ich.

„Er bekam keine Gelegenheit dazu. Ich habe ihn aufgehalten.“

„Warum?“

„Wenn Billy Wayne in Bezug auf einen der Morde sein Wort nicht gehalten hätte, hätte die Anklage den Deal platzen lassen. Das war nicht verhandelbar.“ McCracken kniff sich in die Nasenwurzel und seufzte. Er sah mich an. „Am Ende interessierte es die Anklage nicht wirklich, wer wen umgebracht hatte, aber sie hätten den Vorschlag nicht angenommen, wenn er nicht alle sieben gestanden hätte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Gott bewahre, dass irgendwelche ungelösten Fälle zurückbleiben würden. Wie dem auch sei, wir - also die Anklage und ich - trafen uns mit dem Richter. Erzählten ihm, was Billy Wayne wollte. Natürlich machte die Anklage klar, dass der Deal platzen würde, wenn Billy Wayne sein Geständnis widerrufen würde. Ich sagte, dass er offiziell alle Morde gestehen würde, jedoch wollte, dass festgehalten wurde, dass er zwei davon nicht begangen hatte. Beinahe hätte der Richter die Abmachung da zunichte gemacht. Sagte, wenn Billy Wayne etwas gestand, was er nicht getan hatte, sollte es vielleicht einen Prozess geben, in dem er es beweisen könnte.“

„Aber das tat er nicht“, sagte Nicole.

McCracken schüttelte den Kopf. „Ich musste ein wenig reden, aber letzten Endes überzeugte ich den Richter, dass es für Billy Wayne in Ordnung war - ich habe tatsächlich diesen Ausdruck verwendet - ein volles Geständnis abzulegen. Dann musste ich noch Billy Wayne überreden, der aber schließlich zustimmte.“

„Klingt nach einem rechtschaffenen Bürger“, sagte ich.

McCracken lächelte. „Ich verstehe Ihre Skepsis. Wäre ich an Ihrer Stelle, würde ich vermutlich zum selben Schluss kommen. Aber ich kenne Billy Wayne. So gut wie jeder ihn kennt.“ Er nahm einen schwarzen Montblanc-Füller von seinem Tisch, betrachtete ihn und legte ihn beiseite. „Er ist ein kranker junger Mann, ein brutaler Killer, doch er hat ein gewisses Verantwortungsgefühl und, wie ich bereits sagte, ein Gerechtigkeitsempfinden.“

„Also, warum jetzt?“, fragte Nicole. „Sein Urteil, oder sein Geständnis, liegt Jahre zurück. Warum rührt er jetzt alles wieder auf?“

„Während ich Billy Wayne damals überzeugt habe, sagte ich ihm, dass er eines Tages die Gelegenheit bekommen würde, seine Geschichte zu erzählen. Er entgegnete, dass niemand ihm glauben würde, wenn er alle Morde gestand, woraufhin ich sagte, dass ihm sowieso niemand glauben würde.“ Er zuckte mit den Schultern. „Damals nicht und vielleicht niemals, Geständnis hin oder her. Das jeglicher Widerruf auf taube Ohren stoßen würde. Außer, es würden neue Beweise auftauchen.“

„Taten sie das?“, fragte Nicole.

„Nein. Aber Billy Wayne ist davon überzeugt, dass welche existieren. Es muss sie nur jemand finden.“

„Und da kommen wir ins Spiel?“, fragte ich.

McCracken nickte. „Sieht so aus.“

„Billy Wayne hat also auf der Lauer gelegen und nun einen Wohltäter gefunden“, sagte ich. „Jemanden, der anonym bleiben möchte, wie ich gehört habe.“

„Ich kann Ihnen sagen, dass diese Person ein besonderes Interesse an Verbrechen, an forensischer Forschung und an allem, was mit Strafverfolgung zu tun hat, hat. Er unterstützt seit Jahren Kriminallabore und polizeiliche Vereinigungen. Er besitzt eine der größten Sammlungen des Landes von Erstausgaben der Kriminalliteratur.“

„Ein Verbrechensfan?“, fragte Nicole.

McCracken lächelte. „Das könnte man so sagen.“

„Wie viele Menschen wissen, dass Billy Wayne zwei der Morde leugnet?“, fragte ich.

„Natürlich die Anklage und der Richter. Aber ich glaube nicht, dass sie Billy Wayne tatsächlich geglaubt haben. Oder dass es sie auch nur interessiert hat. Ich glaube, sie dachten, dass er nur ein wenig das System stören wollte. Dazu kommen das ganze Chaos und die Gerüchte, die vor ein paar Jahren infolge des Ganzen entstanden. Ich nehme an, dass jeder, der sie gehört hat, diesen Teil der Geschichte von Billy Wayne Baker längst vergessen hat. Also, eigentlich wissen es nur sein Wohltäter und ich.“

„All die Jahre hat er zu der Sache geschwiegen?“, hakte ich nach.

McCracken nickte.

„Warum? Hört sich doch so an, als würde ein Zeitungsreporter, jemand vom Fernsehen oder ein Krimiautor seiner Geschichte lauschen und etwas daraus machen wollen.“

„Ich weiß nur, dass er sagte, dass er nicht mehr sicher wäre, wenn er zu hohe Wellen schlagen würde.“

„Vor anderen Gefangenen?“, fragte Nicole.

„Oder vor den Wachen“, sagte McCracken. „Er sagte, wenn er mit dem Finger in die richtige Richtung zeigen würde, könnten Dinge ins Rollen geraten - seine Worte.“

„Aber nun möchte er die Gelegenheit beim Schopf ergreifen?“, fragte ich.

McCracken kehrte seine Handflächen nach oben. „So sieht es aus. Er hat sich klar ausgedrückt, dass er nicht einfach nur freigesprochen werden möchte, sondern Beweise will, dass er die Wahrheit gesagt hat.“

Das klang sinnvoll. Irgendwie. Billy Waynes Behauptung seiner Unschuld, wenn auch nur in Bezug auf zwei der Morde, würde nicht viel ändern. Außer, dass es ihn vielleicht zu einer Zielscheibe im Gefängnis machen würde. Wenn er jedoch wirkliche, echte Beweise hätte, wäre es anders. Was er zu erreichen hoffte, wie das sein Leben in irgendeiner Weise ändern sollte, erkannte ich noch immer nicht, aber vielleicht ging es um die Sache mit der Gerechtigkeit. Was auch immer das war.

„Wie sind dieser anonyme Typ und Billy Wayne in Kontakt getreten?“, wollte Nicole wissen.

„Er hat Billy Wayne einen Brief geschrieben. Sie haben eine Korrespondenz begonnen. Billy Wayne hat offenbar Vertrauen zu ihm gefasst und ihm seine Geschichte erzählt. Der Typ glaubte ihm und beschloss, ihm zu helfen. Dann wandte er sich an mich. Zu sagen, ich wäre überrascht gewesen, beschreibt es nicht ganz. Also rief ich Ray an und hier sitzen wir nun.“

„Was ist der nächste Schritt?“, fragte ich.

„Ich habe ein Treffen mit Billy Wayne für Sie vereinbart.“

„Wann?“

„Morgen. Neun Uhr.“ Er sah Nicole an. „Ich schlage vor, dass nur Jake geht. Weibliche Besucher verursachen im Union Correctional immer einen Aufruhr.“ Er lächelte. „Besonders, wenn sie aussehen wie Sie. Ohne Zweifel würden sie ausrasten.“

„Was ist so schlimm an einem kleinen Aufruhr?“, sagte sie. Großer Gott.

Kapitel vier

Das Union Correctional Institute, ein wichtiger Teil des ausgedehnten Gefängnissystems Floridas, beherbergte die ganz schlimmen Jungs. Hier herrschten maximale Sicherheitsvorkehrungen und es gab sogar einen eigenen Todestrakt. Es war das Zuhause solch gefälliger Bürger wie Daniel Conahan, dem Hog-Trail-Killer, Danny Rolling, dem Gainesville-Ripper, und zwei der X-Box-Mörder, Troy Victorino und Jerone Hunter, gewesen. Aktuell lebte hier auch Billy Wayne Baker - im Hauptteil des Gefängnisses, da sein Geständnis ihn vor dem Todestrakt bewahrt hatte.

Billy hatte keinen tollen Spitznamen wie Schlitzer oder Würger bekommen, obwohl Strangulation seine Hauptmethode beim Morden gewesen war. Ich nahm an, dass die Zeitungen den alten Billy Wayne hauptsächlich ignoriert hatten, weil seine Taten in den weniger bevölkerten Gebieten und kleineren Städten im Nordwesten Floridas stattgefunden hatten. Nicht zu erwähnen, dass Florida eine lange Liste von Serienmördern zur Auswahl hatte und in den Zeitungen nur ein begrenzter Platz für Berichte über sie zur Verfügung stand. Sie mochten fässerweise Tinte kaufen, aber der Kampf um Platz in der Zeitung konnte eine Kneipenschlägerei unter Reportern verursachen.

Vielleicht hätte er mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn er seine Opfer in Stücke gehackt oder sie in einem bizarren Ritual zur Schau gestellt hätte. Aber einfache Vergewaltigung und Strangulation waren es nicht wert. Nicht im Sunshine State jedenfalls.

Das Union Correctional erstreckte sich längs einer zweispurigen Straße zwischen Jacksonville und Gainesville, in der Nähe des kleinen Ortes Raiford. Es sah steril und einheitlich aus und mehr als nur ein bisschen furchteinflößend. Nicole fühlte dasselbe. Ich weiß das, denn als wir uns der Anlage näherten, sagte sie: „Dieser Ort sieht unheimlich aus.“

„Und deswegen kommst du auch nicht mit hinein.“

Auf dem Weg hierher hatte sie gesagt, dass sie „verdammt sicher“ war, dass sie mit mir hineingehen würde. Ich sagte Nein. Sie sagte, ich könnte sie nicht aufhalten. Ich sagte, ich könnte - und würde. Sie sagte, ich sei ein Idiot. Ich stimmte ihr zu, blieb aber bei meiner Entscheidung, sie nicht mitzunehmen.

„Warum?“, fragte sie.

„Weil ich nicht auf uns beide zur selben Zeit aufpassen möchte.“

„Ich nehme an, es gibt dort Wachen.“

„Ja, aber sie haben alle Hände voll zu tun. Wenn die Insassen unruhig werden, werfen sie uns vielleicht hinaus, bevor wir überhaupt zu Billy Wayne kommen.“ Ich konnte sehen, wie sie darüber nachdachte, und fuhr fort. „Außerdem möchte ich nicht, dass Billy Wayne abgelenkt wird. Der Besuch wird vielleicht nicht sehr lang sein und es gibt ein paar Dinge, die ich von ihm hören möchte.“

Sie warf mir einen Blick zu. „Ich hasse es, wenn du recht hast.“

„Ich weiß.“

„Zumindest kommt es selten vor.“ Sie lächelte. Sie kann so witzig sein.

Als sie auf das Eingangstor zufuhr und anhielt, stieg ich aus und ging zur Fahrerseite hinüber. Sie ließ das Fenster herunter. „Bleibst du in der Nähe?“

„Ich fahre in die Stadt und suche ein Starbucks.“

„Ich weiß nicht, ob Raiford für Starbucks groß genug ist.“

„Hab noch nie einen Ort ohne eines gesehen.“ Sie fuhr davon.

Ich stand vor dem Tor und starrte es an. Ich freute mich nicht gerade, mich innerhalb des Zauns aufzuhalten. Was, wenn es einen Aufruhr gab, oder sie mich für einen Insassen hielten oder die Schlüssel verloren? Blöd, aber als ich dort stand, regte sich ein Hauch von Klaustrophobie in mir. Ich schaute in den klaren blauen Himmel hinauf und stellte fest, dass ich den am meisten vermissen würde. Den und Nicole.

Ich erinnerte mich an das erste Mal, dass ich im Gefängnis gewesen war. Ich war acht Jahre alt gewesen. Pancake und ich. Wir hatten etwas Dummes angestellt. Hatten unsere Namen auf Mr Fletchers Garage gesprüht. Er war darüber nicht glücklich gewesen. Ray auch nicht. Wir konnten nicht leugnen, dass wir es gewesen waren, da unsere Namen in Rot auf dem weißen Tor leuchteten. Wie bereits gesagt, etwas Dummes.

Ray entschied, dass wir unbelehrbare Kriminelle waren. Dazu verdammt, Gesetzlose zu sein. Das hatte er nicht zum ersten Mal gesagt, aber diesmal fügte er hinzu, dass wir erfahren mussten, wie unsere Zukunft aussah. Er kannte einen Typen im örtlichen Gefängnis. Ray kannte irgendwie immer irgendeinen Typen.

Meine Mutter lebte da noch. Sie verteidigte uns und sagte, wir wären doch nur Kinder. Ray hörte ihr nicht zu. Er sagte, dass wir es entweder jetzt oder später auf die harte Tour lernen würden. Er gewann den Streit schließlich, indem er sagte, sie sollte es als Ausflug mit Lerneffekt betrachten.

Der Sergeant war furchteinflößend. Dunkle Augen, ein buschiger Schnäuzer und kein Lächeln. Er zeigte uns das gesamte Gefängnis mit all seinen Betonwänden und Metalltüren, bevor er uns in einer winzigen Zelle einsperrte. Er und Ray gingen dann Mittag essen. Lange. Es erschien uns wie Tage.

Ray hatte seinen Standpunkt klargemacht.

Ich holte tief Luft und betrat das Union Correctional. Glücklicherweise hatte der Wächter meinen Namen auf seiner Liste. Er lächelte nicht - vielleicht taten Strafvollzugsbeamte das einfach nicht -, tätigte jedoch einen Anruf. Fünf Minuten später erschien ein uniformierter Beamter namens Rafael Lopez. Er führte mich in den Eingangsbereich. Nachdem ich ihm meinen Ausweis gezeigt, meine Taschen geleert und mein Telefon gegeben hatte, unterzog ich mich einer Durchsuchung. Dann erklärte er mir die Regeln und betonte, dass diese nicht verhandelbar waren. Auch er lächelte nicht. Nicht einmal. Dann saß ich auf einer Bank und wartete auf einen weiteren Wächter, der mich in den Besucherbereich begleiten würde.

Letzte Nacht, nachdem Nicole und ich ins Hyatt eingecheckt hatten, haben wir nett zu Abend gegessen, einen Spaziergang durch Jacksonville Landing gemacht und dann ein paar Drinks an der Hotelbar genommen. Zurück auf unserem Zimmer hat Nicole mich zu ihrem Vergnügen benutzt - das hat sie wirklich -, ich habe nur der Höflichkeit halber mitgemacht. Danach rollte sie sich sofort auf die Seite und schlief ein. Kein Kuscheln, kein Gespräch. Sie konnte manchmal so ein Kerl sein. Ich war zu aufgekratzt, um zu schlafen, also las ich noch einmal Pancakes Bericht über Billy Wayne Baker.

Billy Wayne war sechsundzwanzig. Er hatte seine Mordserie vor vier Jahren begonnen, eine Woche vor seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag. Sein erstes Opfer hatte in Apalachicola gelebt. Eine junge Frau, alleinstehend. Ermordet in ihrer Wohnung an einem Sonntagabend. Er ließ DNS und Fingerabdrücke zurück. Zum Glück für Billy Wayne und zum Unglück der Cops und der Welt im Allgemeinen war er in keiner der Datenbanken zu finden, weder in der AFIS noch im CODEX, also blieb er weiterhin anonym.

Drei Monate später kreuzten sich weiter im Norden die Wege von Wanda Brunner und Billy Wayne. Spät in der Nacht in ihrem Wohnwagen am Santa Rosa Beach. Ihr Ehemann, ein Fernfahrer, war zum Zeitpunkt ihres Todes drei Staaten entfernt gewesen. Es wurden im Wohnwagen keine Fingerabdrücke gefunden. DNS hingegen schon und eine Analyse zeigte, dass die Morde von Apalachicola und Santa Rosa Beach miteinander in Verbindung standen. Florida hatte einen neuen namenlosen Schrecken.

Dann verschwand Billy Wayne für wenig mehr als ein Jahr von der Bildfläche. Die Beamten dachten bereits, dass er vielleicht weitergezogen wäre. Oder gestorben. Doch er tauchte in Pine Key wieder auf, wo drei weitere Opfer ihr Leben aushauchten. Alle innerhalb von drei Monaten. Loretta Swift, die zusammen mit ihrem Mann eine Bäckerei mit Sandwich-Shop besaß; die Bankangestellte Noleen Kovac; und Sara Clark, die Frau eines örtlichen Polizisten.

Nach nur vierundzwanzig Stunden nach dem Mord an Sara Clark tauchte Billy Wayne in der Nähe von Defuniak Springs bei seinem sechsten Opfer auf. Misty Abbott, die in einem Nagelstudio gearbeitet hatte. Vier Monate später erreichte er das Ende der Straße. In Lynn Haven, östlich von Panama City. Sein siebtes und letztes Opfer war Della Gibson, die wie Billy an der FSU studiert hatte und für ein langes Wochenende ihren verwitweten Vater besuchte, einen örtlichen Staatsanwalt. Das Ende kam, weil Billy Wayne dumm und leichtsinnig gewesen war. Er war einen Tag nach seinem letzten Mord weniger als eine Meile vom Tatort gefasst worden, als er ein Paar Laufschuhe stahl. Als seine Fingerabdrücke in die Datenbank geladen wurden und mit denen übereinstimmten, die in Marilee Whitts Zuhause in Apalachicola gefunden worden waren, kam Billy Waynes Karriere kreischend zum Stehen.

Seine gesamte Terrorherrschaft hatte weniger als zwei Jahre gedauert, aber sie hatte eine Welle des Schreckens durch Nordflorida gejagt. Alle Morde fanden bei den Opfern zu Hause statt, wo sie vor derartig Bösem geschützt hätten sein sollen. Aber war auch nur irgendwer sicher, wenn jemand wie Billy Wayne auf Beutezug war? Diese Angst führte zu vielen schlaflosen Nächten in dieser Ecke Floridas. Besonders bei Frauen, die allein lebten. Der Markt für Waffen und Sicherheitssysteme explodierte.

Mit seiner Festnahme endete ein Albtraum und die Floridianer konnten endlich aufatmen. Zumindest, bis der nächste Billy Wayne auftauchte. Und da wir hier in Florida waren, war das unvermeidlich. Es blieb nur die Frage des wann, wo und wie.

Die Metallbank, auf der ich saß, war nicht für Bequemlichkeit entworfen worden, und mein Hintern fühlte sich an, als wäre er eingeschlafen. Schließlich erschien ein junger schwarzer Wächter namens Marcus McKinney. Er war groß und durchtrainiert und trug ein warmes Lächeln auf den Lippen. Das erste, das ich bis jetzt gesehen hatte.

„Sind Sie Mr Longly?“, fragte er.

Ich stand auf. „Ja.“ Wir schüttelten uns die Hände.

„Gehen wir.“ Ich folgte ihm durch ein paar verschlossene Türen, die von der Innenseite aus von Wachen mit steinernen Gesichtern geöffnet wurden.

„Haben Sie Ihnen die Regeln erklärt?“, fragte Marcus.

Das hatte Lopez getan. Bleiben Sie bei Ihrer Begleitung. Sprechen Sie mit niemandem, außer Sie werden dazu aufgefordert. Und denken Sie nicht einmal daran, pfiffig zu sein. Er hatte nicht exakt dieses Wort verwendet, hatte aber deutlich gemacht, dass der Verstoß gegen eine dieser Regeln - wie etwa der Versuch, Billy Wayne etwas zu überreichen, oder jede Form der nonverbalen Kommunikation, oder die Erregung selbst des kleinsten Ärgernisses - dazu führen würde, dass ich die andere Seite des Union Correctional kennenlernen würde. Erfreulicher Gedanke.

„Sicher“, sagte ich.

„Zum ersten Mal hier?“, fragte er.

„Ja.“ Er lachte leise.

„So sehen Sie auch aus. Sie machen ganz schön große Augen.“

„Das ist mein natürliches Aussehen.“

„Ja, sicher.“ Zu sagen, dass das Union Correctional bestürzend war, traf es nicht ganz.

Der offensichtliche Unterton von Gewalt wurde vom Knallen der Türen, den Schreien der Insassen und dem absolut humorlosen Benehmen der Wachen verstärkt, die auf vielfältige Weise gefährlicher aussahen als die wenigen Sträflinge, die ich zu Gesicht bekam. Doch es gelang mir, an McKinneys Seite zu bleiben, bis er mich anwies, vor einer Glasscheibe Platz zu nehmen. An der Trennwand rechts von mir befand sich ein Telefonhörer.

Ich wartete und rutschte auf meinem Stuhl herum und wartete. Endlich erschien Billy Wayne. Er war kleiner als ich ihn mir vorgestellt hatte. Konnte nicht größer sein als eins fünfundsiebzig und hatte vielleicht siebzig Kilogramm auf den Rippen. Er war dünn und drahtig, hatte aber ein rundes Gesicht, dessen Babyspeck noch nicht ganz verschwunden war. Er sah aus wie vierzehn. Freundlich und harmlos. Schwer vorstellbar, dass das der Typ war, der den Norden Floridas terrorisiert hatte.

Billy Wayne nahm Platz. Er trug einen weißen Gefängnisoverall, dessen kurze Ärmel bis zu seinen Schultern aufgerollt waren. Keine Tattoos waren zu sehen. Er betrachtete mich, als würde er Maß nehmen, und nahm dann den Telefonhörer auf seiner Seite. Ich griff nach meinem.

„Jake Longly“, sagte er.

„Das bin ich.“

„Ich bin ein großer Baseballfan. Ich weiß alles über dich.“ Nicht ganz, was ich erwartet hatte.

Er fuhr fort. „Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt war, dass du derjenige sein würdest, mit dem ich spreche.“

„Das ist schon Jahre her. Jetzt bin ich eine Art Privatermittler.“

„Das habe ich gehört. Danke fürs Herkommen.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich wäre nicht neugierig, warum du uns treffen wolltest. Diese Geschichte ist mehr als nur ein bisschen merkwürdig.“

„Wohl war.“ Er lächelte.

„Und ich muss sagen, dass mir in den Sinn gekommen ist, dass du das tust, um deine Verbrechen noch einmal zu durchleben.“ Er schnaubte grinsend. „Sieh dich an. Ein Amateurpsychologe.“

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. „Dafür hat mich noch niemand gehalten. Aber die Idee ist mir auch schon mal gekommen.“

„Verstehe.“ Er zögerte, als würde er überlegen, was er als Nächstes sagen sollte. Vielleicht dachte er darüber nach, das Gespräch zu beenden. Den Hörer fallen zu lassen und zu gehen. Doch das tat er nicht, sondern fuhr fort. „Ich durchlebe täglich jedes einzelne meiner Verbrechen.“ Er wedelte mit dem Arm. „Gibt sonst nicht viel zu tun hier drin. Viel Zeit, über alles nachzudenken.“

„Gute oder schlechte Erinnerungen?“

Wieder zögerte er. „Ein bisschen von beidem.“

Ich nickte. Ich nahm an, dass das stimmte. Wahrscheinlich hatte er gemischte Gefühle in Bezug auf alles, was er getan hatte. Zumindest hoffte ich das. Reue kann einen langen Weg nehmen, um eine Seele zu retten. Und wenn eine Seele der Rettung bedurfte, dann die von Billy Wayne.

„Kommen wir zum Punkt“, sagte er. „Die Wachen halten Besuche gern kurz.“ Er zuckte mit den Schultern. „Eines der vielen Spiele, die sie spielen.“

„Okay. Erzähl mir, warum ich hier bin.“

„Hat McCracken das nicht getan?“

„In gewissen Grenzen. Aber ich möchte es von dir hören.“

„In Ordnung. Ich schätze, du bist mit meiner … äh … Karriere vertraut?“

„Ja.“

„Ich möchte, dass du beweist, wovon ich weiß, dass es die Wahrheit ist.“

„Dass du nur fünf dieser Morde begangen hast?“

„Richtig.“

„Darf ich dich etwas fragen?“

„Darum bist du hier“, sagte Billy Wayne.

„Wie kam es, dass ein Jurastudent - und ein guter, wie ich hörte - dermaßen auf die schiefe Bahn geriet? Ich meine, du hattest eine völlig andersartige Karriere vor dir. Was ist passiert?“

„Diese Frage habe ich mir selbst mehrmals gestellt“, sagte er. „Diese kleine Facette meiner Persönlichkeit habe ich beinahe zufällig entdeckt.“ Die mörderische Facette. Die dicke Glasscheibe, die uns trennte, war plötzlich sehr tröstlich.

„Wie kam das?“, fragte ich.

„Ich war zweiundzwanzig. Fast. Noch immer auf dem College. Bin am Wochenende runter nach St. Georges Island gefahren, um ein paar Freunde zu treffen. Auf dem Rückweg machte ich in einer Bar in Apalachicola halt. Dort traf ich diese Kleine. Wir gingen zu ihr. Es wurde sehr schnell sehr heiß, wie man so sagt, aber dann machte sie einen Rückzieher.“

„Sie sagte Nein?“

„Genau. Ich stand nicht auf ihre Neckereien. Es war, als würde sie sich über mich lustig machen. Mich demütigen. Und ich hatte getrunken. Mehr als ein paar Drinks. Und ein wenig Gras. Das ist keine Entschuldigung, nur ein Fakt. Schließlich hielt ich sie fest. Drohte ihr. Tat, was getan werden musste. Danach wurde sie komplett verrückt. Sagte, sie würde die Polizei rufen. So was in der Art.“

„Also hast du sie umgebracht?“

„Klar. Ich konnte sehen, wie sich das Jurastudium in Luft auflöste, wenn sie nicht die Klappe hielt. Danach hatte ich Angst. Panik, um genau zu sein. Ich rannte hinaus und machte mich auf den Weg.“

„Eine natürliche Reaktion auf diese Art von Panik. Wann wurde dir klar, dass du etwas getan hattest, was nicht mehr rückgängig zu machen war?“

Er kratzte sich an der Nase. „Es war schluderig gemacht. Ich hatte überhaupt nicht an DNS oder Fingerabdrücke oder so gedacht. Zumindest nicht in diesem Moment. Später, als ich vierzig, fünfzig Meilen entfernt war und mein Gehirn wieder funktionierte, wurde mir klar, dass ich diese Dinge hätte bedenken und aufräumen müssen. Aber dann war es zu spät. Ich konnte nicht zurückkehren. Also bin ich einfach abgehauen.“ Er schüttelte seinen Kopf. „Merkwürdigerweise wusste ich zu diesem Zeitpunkt, als ich den Highway entlangfuhr, dass ich erwischt werden würde. Ich wusste nicht, wann, wo oder wie, aber ich wusste, dass es passieren würde.“

„Aber du hast auch an jedem anderen Tatort Beweise zurückgelassen.“

„Nicht, dass ich es nicht zu verhindern versucht hätte. Nachdem ich darüber nachgedacht hatte, trug ich Handschuhe und Kondome.“ Er lachte leise. „Natürlich wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ein Kondom tropfen könnte, wenn man es abnimmt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Lebe und lerne.“

„Du hast also deine Vorgehensweise geändert?“

„Nicht, dass es viel gebracht hätte.“ Er rieb sich eine Schulter. „Sie, diese erste, hat sich gewehrt. Hat mich ziemlich gekratzt. Also habe ich beim nächsten Mal ein Messer mitgebracht. Ein großes, furchteinflößendes. Zur besseren Kooperation.“

„Ich kann es mir vorstellen“, sagte ich.

Billy Waynes ruhige Art war verstörend. Er redete, als würde er eine Geschichte erzählen, die nichts mit ihm zu tun hatte. Als würde er jemandem eine Zusammenfassung eines Films geben, den er gesehen hatte. Ich weiß, dass das für Soziopathen nicht ungewöhnlich ist, aber dort zu sitzen und das zu erleben, war in Ermangelung eines besseren Wortes beunruhigend.

„Also, bei dem ersten Mädchen, in Apalachicola - Marilee Whitt - wurdest du wütend und hast sie getötet. Was ist mit den anderen?“

Ein paar Sekunden lang blickte er zur Decke hinauf und sah mich dann wieder an. „Nachdem ich aus Apalachicola geflohen war und zurück nach Tallahassee fuhr, geschah etwas Merkwürdiges.“

Er starrte mich an, als würde er auf eine Antwort warten. Ich hatte keine, also fuhr er fort.

„Das Töten, das Leben aus ihr herauszuwürgen, hat etwas in mir freigesetzt. Ich weiß nicht, was genau, aber es gefiel mir.“ Er senkte seinen Blick, schüttelte leicht den Kopf und sah mich dann wieder an. „Es ergibt nicht viel Sinn, aber es war wie eine dunkle Besessenheit, die aus einer Art Büchse der Pandora in meinem Kopf gekommen war.“ Er hob eine Augenbraue und zuckte mit einer Schulter. „Ich weiß, das klingt lächerlich. Das tut es selbst in meinen Ohren. Aber besser kann ich nicht beschreiben, wie es sich angefühlt hat. Jedenfalls war das der Anfang.“

„Die anderen hat es also nur gegeben, um dieses Gefühl wieder zu durchleben?“

Er nickte. „Klingt zu einfach, oder? Beinahe ein Klischee. Aber es ist die Wahrheit.“ Er seufzte lang und tief. „Keine Ahnung, woher das gekommen ist, wo es die ganze Zeit unbemerkt in meinem Kopf verborgen war, aber sobald diese Dunkelheit freigesetzt worden war, übernahm sie irgendwie die Kontrolle. Ich kämpfte dagegen an. Wusste, dass es falsch war. Aber es verging kein Tag, an dem ich nicht daran gedacht hätte.“ Wieder seufzte er. „Drei Monate später tat ich es wieder.“

„War es diesmal besser geplant? Hast du den Ort ausgekundschaftet? Vielleicht das Opfer beobachtet?“

„Nicht wirklich.“ Er zögerte, als dächte er darüber nach, was er sonst noch sagen sollte. „Ich meine, ich kam in die Stadt, sah mich um, fand eine Gelegenheit und nutzte sie.“

„Ohne richtige Planung?“

Er schüttelte seinen Kopf. „Es war nicht schwer. Es gibt überall Gelegenheiten. Die Leute schließen ihre Türen nicht ab. Lassen Fenster offen. Und die meisten dieser Kleinstädter gehen früh schlafen. Es war leicht zu tun, was ich tun musste und nach Hause zurückzukehren, bevor irgendetwas entdeckt wurde.“

„Nach dem zweiten Mord - Wanda Brunner - in Santa Rosa Beach, passierte über ein Jahr lang nichts. Danach kam Pine Key. Warum die Ruheperiode?“

Billy Wayne rieb sich mit dem Handballen die Nase. „Ich habe dagegen gekämpft. Mit diesem Ding in mir. Ich wusste, dass das, was ich tat, falsch war, und dass ich, wie ich bereits sagte, eines Tages gefasst werden würde. So geht es immer aus. Jedes Mal, wenn das Gefühl - das Bedürfnis, schätze ich - aufkam, habe ich es niedergerungen. Aber schließlich gab ich auf, es zu bekämpfen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Besser kann ich es nicht erklären.“

„Und das Ende?“, fragte ich. „Der Ladendiebstahl?“

„Dämlich, oder?“

„Einige haben spekuliert, dass du gefasst werden wolltest. Dass du das getan hast, um dem Ganzen ein Ende zu setzen.“ Ich hatte das in Pancakes Aufzeichnungen gelesen. Irgendein Psychologe hatte diese Meinung geäußert. Ein paar weitere hatten zugestimmt.

„Psychologen erzählen jede Menge Zeug. Psycho-Gelaber. Damit sie im Geschäft bleiben, nehme ich an.“ Er machte mit seinem Kopf eine nickende Geste über seine Schulter. „Glaub mir, niemand möchte hier drin sein.“

„Schätze, das stimmt wohl“, sagte ich.

„Die Wahrheit ist, dass es einfach eine schlechte Entscheidung war. Mehrere schlechte Entscheidungen. Erstens bin ich in der Gegend geblieben. Hätte nach Hause fahren sollen. Dort ist es immer ruhiger. Nicht, wie wenn ich unterwegs auf der Jagd bin. Wer weiß, vielleicht hätte ich unabhängig von dem Ort, an dem ich mich aufhielt, noch jemanden gefunden. Hätte einen weiteren Mord begangen. Wie dem auch sei, ich blieb in der Gegend. Kaufte sogar eine Karte und überlegte, wohin ich als Nächstes gehen sollte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Es ließ mir keine Ruhe, das steht fest. Aber dann ging ich in diesen Laden. Ich wollte diese Schuhe und nahm sie mir.“

„Ich bin neugierig. Warum rollst du das alles jetzt wieder auf? Ich meine, siebenmal lebenslänglich oder fünfmal sieht für mich nach keinem großen Sieg aus.“

„Für mich ist es das aber.“

„Verstehe.“

„Tatsächlich? Oder spreche ich mit der falschen Person?“

„Schätze, das werden wir sehen. Sag mir, was du glaubst und was genau du von Longly Investigations erwartest.“

„Ich habe alle sieben Morde gestanden. Musste ich, wegen der Abmachung. Aber in Wahrheit habe ich zwei davon nicht begangen. Ich erwarte, dass ihr herausfindet, welche beiden, und dass ihr beweist, dass ich es nicht war.“

„Und genau das werden wir versuchen. Aber darf ich fragen, welche beiden Fälle du leugnest begangen zu haben?“

„Nun, habe ich nicht gerade gesagt, dass ihr das herausfinden sollt?“

„Es würde helfen, wenn wir wüssten, wo wir anfangen sollen.“

Billy Wayne zuckte mit den Schultern, sagte aber nichts.

„McCracken sagte, ihm hättest du es auch nicht gesagt. Sagte, dass du weißt, wer es getan hat, dich aber strikt weigerst, diese Information preiszugeben.“

„Und jetzt habe ich es auch nicht vor.“

„Warum nicht?“

Billy Wayne kratze die Stoppeln an seinem Kinn. „Wenn ich es täte, würden sie sagen, dass eure Untersuchung beeinflusst ist. Wenn alles vorbei ist, möchte ich, dass die Leute die Wahrheit kennen. Ich möchte, dass sie sie glauben. Meiner Erfahrung nach gehören Wissen und Glauben nicht immer zusammen.“

„Da stimme ich dir zu.“

„Sieh mal, ich habe schlimme Dinge getan. Ich bin gestört. Krank im Kopf. Ich weiß das. Aber zwei dieser Morde habe ich nicht begangen.“

„Und du möchtest, dass derjenige, der dafür verantwortlich ist, zur Rechenschaft gezogen wird? Wie du?“

„Eigentlich kümmert es mich einen Dreck, was mit ihm geschieht. Ich möchte nur, dass alles seine Richtigkeit hat. Um also fair zu sein, denke ich, dass ihr es selbst herausfinden solltet. Ohne jeden Einfluss. Sei er nun real oder eingebildet.“

„Wir müssen also für unser Geld arbeiten?“

„Erscheint mir nur gerecht.“

Genau wie McCracken gesagt hatte, glaubte Billy Wayne an Fair Play. Ich weiß nicht, ob seine Opfer das genauso gesehen hätten.

„Es würde einen Haufen Mühe und Zeit sparen, wenn ich wenigstens einen Hinweis bekäme.“

„Ich habe sehr viel Zeit.“

„Ich weiß, dass du es deinem Anwalt McCracken nicht erzählt hast. Was ist mit deinem mysteriösen Fanclub? Der Typ, der die Rechnungen für all das bezahlt?“

„Nö. Dem hab ich es auch nicht erzählt.“

„Wer ist er?“

Billy Wayne zuckte mit den Schultern und schwieg.

„Das können wir herausfinden. Ich meine, deine gesamten Mails werden gelesen und gespeichert.“

„Wird nichts nützen. Er kann nicht erzählen, was er nicht weiß.“

Ich beugte mich vor und stützte mich auf meine Ellbogen auf dem Tisch vor mir. Mein Gesicht war nur Zentimeter von der Glasscheibe entfernt, die uns trennte. „Sieh mal, Billy Wayne, wir möchten helfen. Wir mögen Fair Play und Gerechtigkeit und Wahrheit ebenfalls, aber ein wenig Hilfe wäre schön.“

Billy Wayne lächelte. „Wie ich hörte, seid ihr Jungs ziemlich gut. Schnüffelt herum. Es wird offensichtlich werden, denke ich.“

„Warum weigerst du dich so vehement, hier zu helfen? Von der möglichen Beeinflussung mal abgesehen.“

„Sagen wir einfach, wenn ich Wellen schlage und mit dem Finger auf Leute zeige, könnte es für mich hier drinnen ungemütlich werden.“ Er warf einen Blick über seine Schulter und sah mich dann wieder an. „Nicht, dass ich einen Ort hätte, an dem ich mich verstecken kann.“

„Du meinst, jemand könnte dir schaden wollen?“

„Möglich.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich.“

„Wie das?“

„Wenn ich mit meinem Finger auf jemanden aus deiner Familie zeigte, oder auf dich, würdest du dann nicht versuchen, mir das Leben mehr als nur ein bisschen schwer zu machen?“

„Ich wüsste nicht einmal wie.“

„Nun, andere tun das. Dabei will ich es belassen.“

Ich starrte ihn an. „Wenn ich dich richtig verstehe, bedeutet das auch, dass niemand erfahren sollte, dass wir in deinem Auftrag handeln.“

„Das ist Teil der Abmachung. Jeder Hinweis, dass das von mir ausgeht oder ich auch nur irgendwie darin verwickelt bin, könnte auf mich zurückfallen.“ Er lächelte schief. „Sobald ihr ohne mein Zutun die Fakten ausgrabt, Beweise findet, werde ich kein Wort mehr darüber verlieren müssen. Jeder wird es wissen. Und sie werden es glauben. Ich muss nicht mit dem Finger zeigen und mich selbst in Schwierigkeiten bringen. Ich muss nur nicken und sagen: ‚Ja, genau so war’s.‘

Ich nickte und schwieg.