Tödliche Treue - Bianka Echtermeyer - E-Book

Tödliche Treue E-Book

Bianka Echtermeyer

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Der zweite Fall für Charlotte Schmidt und Daniel Zumsande Die Hamburger Journalistin Charlotte Schmidt ist für ihre kritischen Texte bekannt. Ein neuer Auftrag führt sie in eine Idylle, die trügt. Charlotte recherchiert über häusliche Gewalt und interviewt zwei Frauen einer Beratungsstelle. Doch am nächsten Morgen wird eine ermordet aufgefunden.  Die Journalistin hat offenbar in ein Wespennest gestochen. Aber warum – und ist sie auch in Gefahr? Welche Rolle spielt außerdem der LKA-Kommissar Daniel Zumsande, der die Tote kannte und nun von den Ermittlungen ausgeschlossen wird? Ausgerechnet Daniel, für den Charlotte längst mehr empfindet als journalistisches Interesse! Als die beiden auf eigene Faust ermitteln, geraten sie bald ins Visier des Täters … "Spannend und nah an der zutiefst verstörenden Realität erzählt." Brigitte

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Tödliche Treue

Die Autorin

BIANKA ECHTERMEYER, geboren 1975 in Warendorf, ist Schriftstellerin und freie Journalistin. Am Anfang ihrer Karriere brachte ihr der deutsche Auslandsrundfunk, die Deutsche Welle, alles über Journalismus bei. Sie arbeitete in Berlin beim Fernsehen, bis sie 2008 für einen Job bei Brigitte Online nach Hamburg zog. Heute lebt sie immer noch dort, was daran liegt, dass Hamburg einfach zu schön ist, um es zu verlassen. In ihren Krimis greift sie gesellschaftliche Themen auf und lässt ihre Protagonisten Charlotte Schmidt und Daniel Zumsande zwischen Alster, Elphi und Elbe ermitteln. 

Das Buch

Die Hamburger Journalistin Charlotte Schmidt ist für ihre kritischen Texte bekannt. Ein neuer Auftrag führt sie in eine Idylle, die trügt. Charlotte recherchiert über häusliche Gewalt und interviewt zwei Frauen einer Beratungsstelle. Doch am nächsten Morgen wird eine ermordet aufgefunden. Die Journalistin hat offenbar in ein Wespennest gestochen. Aber warum – und ist sie auch in Gefahr? Welche Rolle spielt außerdem der LKA-Kommissar Daniel Zumsande, der die Tote kannte und nun von den Ermittlungen ausgeschlossen wird? Ausgerechnet Daniel, für den Charlotte längst mehr empfindet als journalistisches Interesse! Als die beiden auf eigene Faust ermitteln, geraten sie bald ins Visier des Täters …

Bianka Echtermeyer

Tödliche Treue

Kriminalroman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei MidnightMidnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinApril 2020 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © Nina HüttmannE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95819-271-3

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

Danksagung

Quellenangaben

Nachtrag

Leseprobe: Der Tag, an dem Theo starb

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Prolog

Das Messer war abgerutscht. Autsch, so ein Mist! Hellrotes Blut schoss blitzartig aus der Kuppe ihres linken Zeigefingers und quoll in Millisekunden über ihre ganze Hand. Oh nein! Sie sprang von einem Bein aufs andere und zischte durch ihre Zähne. Schnell schmiss sie das blaue Schneidemesser zur Paprika auf das Brettchen und drehte den Wasserhahn auf. Das Blut floss augenblicklich mit dem festen Strahl in den Abfluss, als wäre es nie da gewesen. Puh! Das war noch mal gut gegangen.

Sie blieb einfach stehen und beobachtete, wie das Wasser weiter über ihre Hand strömte. Der Druck schmerzte inzwischen an der frischen Wunde. Warum habe ich nicht besser aufgepasst? Wirklich, sie war manchmal so unendlich blöd. Ganz kurz schloss sie ihre Augen und atmete tief durch.

Aber nein, was war das schon wieder? Der Ärmel ihres blau-weißen Streifenshirts war nun auch total nass. Sie presste den Stoff mit ihrer rechten Hand zusammen, drückte gleichzeitig mit ihrem Ellenbogen den Wasserhahn runter und schaute sich um. Wo war die Küchenrolle? Ach da! Sie hielt ihren blutenden Finger ausgestreckt über die Küchenzeile aus dunklem Naturstein und schritt nach links. Ganz an der Seite der riesigen Arbeitsplatte stand die Rolle aus Recyclingpapier, von der sie sich drei Blätter abriss und um ihren Finger wickelte. Mit der anderen Hand hielt sie den provisorischen Verband fest.

Mensch, an diesem Tag klappte aber auch gar nichts. Sie fühlte schon, wie sich wieder Tränen in ihren Augen sammelten, aber sie schluckte einfach und schaute stattdessen auf das wunderschöne Holzschild, das neben ihr an der Wand hing. Sie kannte die Zeilen darauf auswendig, aber trotzdem las sie sie immer wieder gern.

Wir sind eine ziemlich verrückte Familie.

Wir sind jeden Tag füreinander da.

Wir knuddeln gern und haben viel Spaß zusammen.

Wir lachen, und manchmal jubeln wir auch.

Wir zanken uns nicht und vergessen, was war.

Wir sind unsere Zukunft und blicken gelassen auf das, was kommen mag.

Was für ein schöner Spruch! Sie hatte sich schon immer eine Familie gewünscht, aber als sie endlich da war, war das Leben tausendmal anstrengender geworden als gedacht. Doch sie wusste auch, dass es gleichzeitig das Schönste war, was ihr hätte passieren können. Das Lachen ihrer Tochter, die Art, wie sie morgens strahlend ihre kleinen Arme nach ihr ausstreckte, war durch nichts zu ersetzen. Familie war für sie das Fundament, das Wichtigste im Leben.

Ihre Eltern hatten es schließlich vorgelebt, und deshalb ging es auch ihrer Schwester ähnlich. Sie hatte sich das gleiche Wandbild in Travemünde gekauft, und nun hing es bei jeder von ihnen in der Küche.

Sie spürte, dass die Küchenrolle feucht wurde, und riss sich los. Jetzt aber flott ein dickes Pflaster über die Wunde. Sie eilte über den hellen Flur mit der großen Glastür in ihr Schlafzimmer. Vorsichtig drückte sie die Tür auf und tapste auf leisen Sohlen zu ihrem Einbauschrank mit den glänzenden weißen Fronten. Marie sollte auf keinen Fall aufwachen, sonst wäre sie den ganzen Nachmittag über quengelig. Vorsichtig öffnete sie ein Fach, holte den Kasten mit dem Verbandszeug heraus und klebte fast lautlos ein großes Pflaster um ihren Finger.

Auf dem Weg zurück kam sie am Bettchen vorbei und sah, wie sich der Brustkorb ihres kleinen Mädchens langsam auf und ab bewegte. Marie lag auf dem Rücken und hatte beide Arme weit von sich gestreckt. Rebecca seufzte und zog die rote Strickdecke mit den weißen Blumen etwas höher und streichelte ihrer Kleinen mit der rechten Hand über den Kopf. Ach verdammt, fiel ihr plötzlich ein, der Herd war ja noch an! Jetzt aber schnell zurück … Doch, hm. Ihre Hand umklammerte den Rand des Bettchens, und ihr Blick blieb einfach an Marie kleben. Irgendwie konnte sie sich nicht von ihr lösen. Dieser Anblick war einfach zu schön. Marie hatte kaum Haare, obwohl sie schon über eineinhalb Jahre alt war. Ihre Tochter störte das natürlich nicht, aber sie konnte es kaum abwarten, endlich schöne Frisuren auf ihren Kopf zu zaubern. Ihre Schwester steckte bei ihrer Tochter immer eine Spange in den Pony, und deshalb hatte sie sich auch welche in verschiedenen Farben besorgt. Sascha machte sich allerdings jedes Mal darüber lustig, wenn er Marie wickelte und den Haarschmuck in der Schublade entdeckte.

Sie wollte sich noch einmal runterbeugen, als ein lauter Knall erklang. Augenblicklich zuckte sie zusammen und spürte, wie es in der Wunde pochte. Erst schaute sie zu ihrer Tochter, dann zur Tür. Aber Marie schlief weiter. Ganz vorsichtig schritt sie raus und guckte in den weiten Flur. Sascha hatte die Haustür mit voller Wucht zugeschlagen. Weil er ein ziemlich großer und breit gebauter Mann war, hatte das bei ihm zwangsläufig ziemlich viel Wumms. Jetzt stand er vor der Treppe und schleuderte seine edlen braunen Schuhe in die gegenüberliegende Ecke.

Sie dagegen war so leise, dass sie glaubte, gar nicht da zu sein. Sie wartete, kreuzte ihre Arme stramm hinter dem Rücken und biss sich leicht auf die Unterlippe. »Was ist los?«, fragte sie kaum hörbar.

»Nichts.«

Doch dieses Nichts war verräterisch. Es bedeutete meistens, dass viel in ihm war. Häufig viel Wut. Sie machte deshalb eine kurze Pause, bevor sie weiterredete. »Marie schläft. Bitte weck sie nicht auf.«

Ihr Blick war immer noch fest auf ihn gerichtet.

»Ja, ja.«

Ihr Mann setzte sich auf die unterste Treppenstufe und sackte augenblicklich in sich zusammen. Er hob die Hände vor sein Gesicht, aber sie konnte seinen Atem trotzdem hören. Der Anblick war fast ein wenig skurril, wo sie diesen teuren blauen Anzug doch vor einem Monat gekauft hatten, damit er kraftvoll und seriös wirken konnte. Und jetzt saß er hier und weinte. Aber das hatte ihn offensichtlich beruhigt. Ihre Arme lockerten sich, und sie ging auf ihn zu. Er nahm die Hände zwar vom Gesicht, guckte aber weiterhin stur auf den Boden.

»Was ist passiert? Willst du es mir nicht sagen?«

»Nein, jetzt nicht.«

Sie stand dicht vor ihm und hob die Hand, um ihm genauso über den Kopf zu streichen wie vorhin Marie.

Nun blickte er auf und runzelte die Stirn. »Was ist mit deinem Finger passiert?«

»Ich habe mich beim Kochen geschnitten.«

Er guckte erstaunt, als wäre dies das Seltsamste der Welt. Dann zog er seine Nasenflügel hoch. »Was riecht denn hier so komisch?«

Ein Schreck durchzuckte sie. Der Herd!

So ein Wahnsinn! Oh nein! Sie rannte zurück und zog schnell die Pfanne auf ein anderes Feld. Das Gemüse zischte und war inzwischen tiefschwarz. Schnell stellte sie die Hitze aus, und das Induktionsfeld war sofort kalt.

Sascha trat durch die Tür und schaute sich die Misere an. »Na, das wird wohl nichts mit dem Essen heute«, sagte er und lachte in sich hinein.

Sie vermied seinen Blick und überlegte fieberhaft, was sie tun sollte. Vielleicht etwas anderes kochen? Oder eines der Gerichte aus dem Tiefkühlfach nehmen, die ihre Mutter letzte Woche mitgebracht hatte? Aber die mochte Sascha meistens nicht.

Er lehnte sich an die Arbeitsplatte und war dicht neben ihr.

»Ich bekomme nur fünfhundert Euro Gehaltserhöhung. Lächerlich, nicht?«

Sie stützte ihre Arme am Rand des Herds ab, und ihre Muskeln wurden fester. Er war immer noch sauer. Im Grunde war er stinksauer. In den sechs Jahren Beziehung mit ihm hatte sie schnell gelernt, die feinen Nuancen seiner Stimme zu analysieren. Und diese Stimmung war nicht gut, sie war sogar auf der Kippe zur Katastrophe. Ihr Herz fing an schneller zu schlagen, und sie spürte, wie ihr Rücken heiß wurde. Vielleicht konnte sie ihn noch beruhigen. Sie musste es versuchen.

»Sei nicht traurig. Du machst einen tollen Job, und nächstes Mal bekommst du bestimmt wieder mehr.«

Sie schaute ihn nicht an, sondern kratzte einen Fleck weg, der gar nicht da war.

»Aber ich möchte eben jetzt mehr. Der verdammte Herr Altrogge bekommt zweihundert Prozent Bonus und bestimmt noch eine dicke Gehaltserhöhung dazu. Dabei hat er nur von meiner Vorarbeit profitiert.«

Langsam wanderte ihr Blick rüber zu ihm. Sascha stand kerzengerade da und hatte seine Hände fest an die Arbeitsplatte gekrallt, als wollte er der Küche beweisen, dass er stärker war.

Lass ihn sich bitte beruhigen!

»Das ist unfair. Doch du warst ja auch öfter krank. Dafür kannst du aber nichts.«

Nun grunzte er laut. »Ja, genau. Ich kann nichts dafür. Aber Marie, die diese scheiß Grippe aus der Kita angeschleppt hat.«

In ihrem System verstummte augenblicklich jedes Geräusch, und Adrenalin schoss durch ihre Adern. Dieser letzte Satz und der fiese Ton, der darin mitschwang, hatten den Unterschied gemacht, den sie leider nur zu gut kannte: Sascha würde sich nicht mehr beruhigen. Schweiß brach ihr am ganzen Körper aus, und sie schluckte schwer. Langsam schloss sie die Augen und öffnete sie kurz danach wieder. Er brauchte einen Schuldigen für sein Dilemma, und es würde wieder einmal sie treffen. Jetzt musste sie so schnell wie möglich versuchen, irgendwohin zu gehen, wo er sie in Ruhe lassen würde. Aber wo sollte das sein? Raus auf die Straße rennen konnte sie nicht, weil Marie nebenan schlief und sie ihre Tochter nicht allein lassen wollte.

»Ich geh mal kurz ins Bad – ich habe dort etwas vergessen«, sagte sie hastig und merkte selbst, wie ihre Lippen zitterten.

Aber Sascha war schon an ihr dran und schubste sie zur Seite. Mit einem heftigen Schlag knallte sie an die kalte Wand, und ein dumpfer Schmerz schoss durch ihren Rücken. Ein, zwei Sekunden strichen vorbei, in denen sie gar nichts fühlen konnte, aber dann war ihr Verstand wieder da. Nicht aufgeben, sagte sie sich innerlich und tastete sich langsam mit den Händen an der rauen Oberfläche entlang. Dieses Mal wird es bestimmt nicht so schlimm. Ihr Kopf arbeitete auf Hochtouren, und sie suchte verzweifelt nach einer Lösung, aber er stand direkt vor ihr. Was sollte sie tun? Oh Gott, was sollte sie nur tun?

Ihr Herz schlug schneller und schneller, und sie wagte es nicht, ihn anzusehen, doch plötzlich, ganz unerwartet, erwachte tief in ihr eine Stimme: Du hast noch eine Chance! Also hob sie den Kopf, blickte ihn direkt an und fixierte ihn:

»Bitte beruhig dich, Sascha. Du weißt, was Dr. Brenniger gesagt hat.«

Aber seine grauen Augen wurden schmaler, und er baute sich breit vor ihr auf. Seine Lippen bebten, und sie konnte fast spüren, wie ihn ein Tsunami aus Zorn und Wut erfasste.

»Es ist mir scheißegal, was so ein Psycho-Doc labert. Verstehst du das?«

Ihr Blick flackerte leicht, und sie nickte. Sie verstand. Bislang hatte sie es immer verstanden.

»Du hast es mir versprochen«, versuchte sie es noch einmal und erinnerte sich daran, wie sie mit ihrem Therapeuten geübt hatten, Konflikte zu lösen. Allerdings hatten sie ihm nicht erzählt, dass Sascha sie schlug. Er dachte, dass sie sich nur streiten würden.

Sie schaute ihren Mann an, und sein Mund öffnete sich wie das Maul eines hungrigen Wolfes.

Sie wollte etwas sagen, aber seine Hand schoss zu ihrem Hals, und er drückte sie wieder gegen die Wand.

Sie japste nach Luft und griff nach seinen Armen. Doch seine Hände drückten immer fester zu, und sie war viel zu schwach, um etwas gegen ihn ausrichten zu können. Er musste doch aufhören. Bitte, er musste doch aufhören.

Blitzartig ließ er sie los.

Nach Atem ringend sackte sie auf die Knie.

Tränen schossen ihr in die Augen. Das konnte sie nicht länger aushalten. So etwas durfte sie nicht zulassen.

»Ihre Beziehung muss auf Augenhöhe stattfinden«, hatte Dr. Brenniger gesagt, und genau dieser Satz blitzte nun in ihren Gedanken auf, als sie unten auf dem Boden saß. Speichel lief ihr aus dem Mundwinkel, und sie wischte ihn mit dem Ärmel ab. Wenn sie weiter so schwach blieb, würde Marie sie eines Tages dafür hassen. Sie musste ein Vorbild für sie sein und sich gegen ihn wehren.

»Mach das nie wieder, hörst du! Du weißt, dass ich dich sonst verlasse.« Ihre Stimme war nun viel fester, und sie schaute böse zu ihm hoch.

Er guckte immer noch wütend, doch sie merkte, dass es in seinem Kopf arbeitete.

Vielleicht war er nun vernünftig geworden. Sie wollte wieder aufstehen, aber da landete sein Knie direkt in ihrem Gesicht.

Dunkelheit breitete sich in ihr aus, und sie hatte das Gefühl, als würde sie in Zeitlupe erleben, wie sich ihr Kopf auflöste.

Alle Teile, die vorher noch zusammengehört hatten, suchten sich einen neuen Ort. Sie spürte weder Schmerz, noch war sie erschrocken. Sie befand sich in einem Zustand völliger Ruhe und fernab der Realität. Doch da war sie wieder. Ihr Nacken brannte. Sie machte die Augen auf und sah, dass er sich zu ihr runtergebeugt hatte. Seine Hand lag fest um ihren Hals.

Hinter seinen Augen konnte sie die Hölle erkennen. Das war doch die Hölle, oder? Aber wo war der Ausgang? Wenn sie sich eines wünschte, dann war es ein Weg raus aus dieser Qual.

»Diese Scheiße in meinem Leben ist allein deine Schuld, verstehst du? Du und dein verfickter Bestimmerton. Mach dies! Mach das, Sascha!«

»Lass mich los«, krächzte sie. Sie versuchte sich aufzusetzen. Aber er hatte sie fest im Griff. Mit ihrer linken Hand tastete sie sich an sein Hemd, und es färbte sich sofort rot von ihrem Blut.

Verdutzt ließ Sascha sie los und berührte den Stoff. »Hey, spinnst du? Jetzt ist das scheiß Hemd dreckig.«

Erst konnte sie gar nicht richtig schauen, ihre Sicht war aufgrund des Sauerstoffmangels immer noch verschwommen. Aber dann wusste sie, dass dies ihre Chance war. Sie schoss hoch und rannte so schnell sie konnte.

Er guckte sich um und kam ihr nach.

Sie erreichte die Badezimmertür und stürzte hinein. Jetzt nur noch abschließen. Hastig drehte sie am Schlüssel. Aber Sascha war längst da und stieß mit seiner Schulter heftig gegen das Holz. Sie fiel längs hin und sah, dass er sich direkt über sie stellte.

Ihr hatte doch nur eine Sekunde gefehlt! »Bitte, hör auf! Du hast es versprochen! Du zerstörst unsere Familie.«

»Du willst gehen? Vergiss es! Du bist nämlich gar nichts. Gaaar nichts!«

Seine Füße berührten beide Seiten ihrer Arme. Es kam ihr vor, als würde er stundenlang auf sie runterkommen. Aber sie hatte auch längst jedes Zeitgefühl verloren.

Er sah sich um und griff nach dem robusten Toilettenpapierständer aus Metall, den sie zusammen für wenig Geld im Discounter gekauft hatten. Nächstes Wochenende wollten sie losfahren und einen viel schöneren besorgen.

Sie blickte zu ihm hoch und dachte, dass er gar kein Mensch mehr war. Er bestand nur noch aus Zorn. »Sascha, was tust du da? Hör bitte auf!«

Erst in diesem Moment begriff sie vollkommen, dass die Hölle ihren Ausgang schon lange geschlossen hatte. Mit letzter Panik bäumte sie sich auf und versuchte zu schreien, aber sie konnte sich selbst nicht mehr hören.

Sie vermochte auch nicht mehr zu ihrer Tochter rüberzugehen, die sich in diesem Augenblick am ganzen Körper zusammenkrampfte und laut zu weinen anfing. Als ahnte Marie bereits, dass sie ihre Mutter niemals wiedersehen würde.

Und dann flog der Metallständer runter.

Kapitel 1

Charlotte

Dienstag, 22. Mai 2018

Auf einen Schlag war es still im Raum geworden. Kein Geräusch, es war nichts mehr zu hören. Die Energie, die Luft, der Staub, sogar die Fliegen verkrochen sich vor Schreck und hörten für kurze Zeit auf zu existieren. Die leise Leere tankte stattdessen immer mehr Kraft und übernahm das Kommando im Zimmer. Selbst die Vögel draußen vor dem Fenster beugten sich ihr und hörten auf zu zwitschern. Charlotte saß kerzengerade auf dem harten Plastikstuhl, der angeblich ein Designerstück war, und bewegte sich nicht. Ihre Füße in den weißen Turnschuhen standen fest auf dem Boden.

Mit dieser Ruhe hatte sie nicht gerechnet.

Aber nun gut, das machte nichts. Sie konnte warten. Sie würde nicht nachgeben, das war klar.

Ihr Atem floss tief durch ihre Nase ein und aus, und sie fragte sich, ob ihre Kollegen ihn hören könnten? Er kam ihr recht laut vor.

Bislang hatte sie ihren Kopf nicht bewegt, aber inzwischen fühlte er sich steif an. Ohne es zu wollen, zuckte er augenblicklich leicht nach links. Dabei hörte sie, wie die Wirbelsäule in ihrem Nacken knackte.

Ich breche nicht, dachte sie. Dieses Mal nicht.

Jeder im Kreis starrte sie an. Sie brauchten gar nicht reden, sie konnte in den Blicken lesen, was sie sagen wollten.

Nimm deine Kritik zurück!

Aber nein! Auf dieses »Ich sage zu allem Ja« hatte sie keine Lust mehr.

Sie spürte, wie auf der Haut an ihrem Hals Hitze aufstieg. Sie atmete noch tiefer und hoffte, dass sie nicht rot werden würde. Verdammt, wie warm war es eigentlich heute? Hatten sie wirklich erst Mai?

Sie schlug ihre Beine übereinander, aber dadurch rutschte ihre Jeanstunika viel zu hoch. Schnell zog sie an dem Saum, doch das Kleid bewegte sich nicht. Na ja, egal, sie hatte schließlich noch eine Leggings drunter.

Eugen riss sie aus ihren Gedanken.

»Charlotte, warum findest du es falsch, dass die Frau ihrem Mann vergeben hat?«

Sie schaute zu ihm auf und merkte, dass er lächelte. In diesem Moment war sie richtig erleichtert über seine Geste. Sie strich sich eine Strähne ihrer langen braunen Haare hinters Ohr und setzte die Beine wieder auf den Boden.

»Das setzt ein falsches Signal. Wir als Journalisten haben doch eine Verantwortung gegenüber unseren Leserinnen. Und eine Frau, die ihrem Ex, der sie ständig verprügelt hat, vergibt, könnte für andere unfreiwillig zum Vorbild werden. Findest du nicht auch, dass wir unmissverständlich gegen häusliche Gewalt argumentieren sollten?«

Auf einmal regten sich alle in ihrem Stuhlkreis. Die fünf Frauen von der spirituellen Lebenshilfe-Zeitschrift »Schicksalstage« zogen ihre Schultern hoch, redeten miteinander, schlugen die Beine hastig übereinander oder kreuzten die Arme vor der Brust. Nur Eugen, ihr Chefredakteur, blieb wieder einmal völlig ruhig. An diesem Tag hatte er ein T-Shirt der Metal-Band Megadeth an, das sehr gut zu den tätowierten Totenköpfen auf seinen Armen passte. Seine Beine steckten in hautengen dunklen Jeans, und seine langen grauen Haare waren ausnahmsweise mal offen. Sein Geruch kam Charlotte ebenfalls sehr vertraut vor. Vermutlich hatte er schon vor der Themenkonferenz einen halben Tabakladen leer geraucht. Zwischen den Frauen in den kunterbunten Farben wirkte er wie ein Teufel, aber ganz bestimmt nicht wie der Chef einer esoterischen Zeitschrift.

Doch sein Äußeres störte niemanden, denn im Herzen war er mindestens so entspannt wie ein tibetischer Mönch. Gerade wollte er den Mund aufmachen, da irritierte ihn Melli, die rechts von ihm saß.

Sie strich sich hektisch durch ihr dunkel gefärbtes Haar, nahm die Hand runter und gleich wieder rauf und wusste offenbar nicht, wohin mit ihrer Energie. Im Gegensatz zu Eugen war sie allerdings standesgemäß gekleidet. Ihre indische Modephase hatte sie zwar aufgegeben, aber nun trug sie T-Shirts und lange Röcke in Chakrafarben. An diesem Tag war das Energiezentrum Solarplexus mit der Farbe Gelb an der Reihe. »Charlotte, solche gesellschaftspolitischen Themen kannst du doch für ›Versus‹ schreiben. Bei denen arbeitest du ja nun öfter, oder?«, zischte sie ziemlich barsch.

Es stimmte, dass Charlotte mehrmals in der Woche beim Nachrichtenmagazin »Versus« saß und dort Online-Artikel über frauenrelevante Themen aus Politik und Gesellschaft verfasste. Noch vor ein paar Monaten hatte Charlotte hauptsächlich als Online-Redakteurin für »Schicksalstage« gearbeitet und eigentlich vorgehabt, das ganz aufzugeben. Doch Eugen hatte sie überredet, ihre Wurzeln nicht ganz zu vergessen und weiter für ihr Magazin zu arbeiten, dieses Mal aber für die gedruckte Ausgabe. Schließlich war sie freiberuflich und brauchte mehrere Auftraggeber.

Eugen klatschte mit beiden Händen auf seine Oberschenkel.

»Okay, wenn Charlotte einen Einwand hat, dann reden wir auch darüber.«

Neben ihm schnaufte Melli. Aber er ignorierte es und fuhr fort. »Was sind die Fakten: Wir wollen eine Geschichte über Vergebung machen, die auch gut zu uns passt …«

»Richtig, wir sind ›Schicksalstage‹, wir beschäftigen uns mit spirituellen Fragen, die …«

Eugen drehte sich zu Christine, die links von ihm saß, und berührte leicht ihre Schulter. Sie verstummte sofort.

»Also, die Frau in unserer Reportage war jahrelang Opfer häuslicher Gewalt. Dann ist ihr Mann bei einem Autounfall gestorben, und sie hat sich für vier Jahre in ein Kloster zurückgezogen. In dieser Zeit ist sie ganz zu sich gekommen und hat ihrem verstorbenen Ehemann verziehen.«

»Ich könnte noch einen Infokasten zu dem hawaiianischen Vergebungsritual Ho’oponopono schreiben«, unterbrach Yvonne, die direkt neben Charlotte saß.

»Das passt doch gar nicht. Die Frau war in einem katholischen Kloster.« Melli war schon wieder genervt.

»Ach ja.« Yvonne war sofort ruhig und wirkte so, als würde sie nie wieder etwas sagen wollen.

Eugen grunzte laut.

»Also, Leute, wir diskutieren noch die Fragen von Charlotte. Ist es ethisch verwerflich, diese Geschichte zu drucken?«

Charlotte hielt es nicht mehr aus und musste auch etwas dazu sagen. »Ich fände die Geschichte okay, wenn die Frau ihren Mann bewusst verlassen und ihm danach verziehen hätte. Das würde anderen Mut machen, die in einer ähnlichen Situation stecken.«

Melli guckte sie wieder mit geschlitzten Augen an.

»Wir können ja wohl kaum die Erfahrungen dieser Frau verändern …«

Eugen war die Ruhe selbst. »Ich verstehe deinen Einwand, Charlotte, finde aber trotzdem, dass der Fall hier anders liegt. Sie hat ihm nicht vergeben, während die Gewalt in ihrer Beziehung noch akut war. Diese Frau ist nicht mehr mit ihrem Mann zusammen, ob nun bewusst oder durch einen Unfall. Danach hat sie sich vier Jahre intensiv mit ihrer Situation auseinandergesetzt und am Ende für ihren eigenen inneren Frieden entschieden, ihrem Mann zu verzeihen.«

Melli hatte schon den Mund offen, doch dann überlegte sie es sich anders und verstummte. Alle in dem Kreis nickten.

Mist, damit war Charlotte überhaupt nicht zufrieden.

Doch Eugen streckte seinen rechten Arm aus und zeigte direkt auf sie. »Aber! Trommelwirbel, liebe Damen! Weil Charlottes Einwand wichtig ist, wird sie ein Interview zum Thema häusliche Gewalt führen, welches wir hinter die Geschichte stellen.«

Er stockte und guckte nach draußen. Charlotte musste sich instinktiv auch umdrehen. Ein Rotkehlchen saß auf einem Ast vor dem Fenster und zwitscherte laut. Sie wertete das als Zustimmung.

»Am besten mit einer Beratungsstelle«, fuhr er einfach fort, und alle anderen drehten sich wieder um. »Die sollen uns sagen, wie sich betroffene Frauen von häuslicher Gewalt lösen können und wo sie Unterstützung bekommen.«

Melli verzog das Gesicht. »Meinst du, dass das zu uns passt?«

»Ja.«

Eugen drehte einen Zettel Papier um, der vor ihm auf dem Boden lag. Für ihn war das Thema offenbar erledigt.

Charlotte hätte am liebsten breit gegrinst, aber das ließ sie lieber, um die anderen nicht noch mehr zu verärgern.

Ihr Interview spielte sowieso keine Rolle mehr, weil die Runde schon über die nächste Reportage zu diskutieren anfing, und Charlotte hielt sich dieses Mal zurück.

Als die Konferenz vorbei war, ging sie rüber zu ihrem freien Schreibtisch, den sie nutzen durfte, wenn sie ab und zu in der Redaktion arbeitete. Sie warf ihren Block darauf und bemerkte, dass Eugen hinter ihr im Flur stand und sie ansah.

»Hast du noch eine Minute?«, fragte er.

Charlotte nickte verwundert und folgte ihm über den schmalen Gang in sein Büro. Wie immer sah es dort total chaotisch aus. Überall lagen Stapel von Zeitschriften, und lose Blätter waren auf dem Boden verteilt. Sie nahm einen Haufen Papier vom Besucherstuhl und setzte sich ihm gegenüber an den Schreibtisch. »Na, soll ich doch kein Interview zu häuslicher Gewalt führen?«, fragte sie ihn und war sich in diesem Moment selbst unsicher, ob er einen Rückzieher machen würde.

Aber er setzte sich mit einem großen Wumms auf seinen Stuhl und lächelte sie an. »Aber klar machst du das.«

Dann sah er ihr direkt in die Augen.

Charlotte war irritiert und zuckte wieder mit dem Kopf.

Er lächelte noch breiter und fing an zu reden. »Kannst du dir vorstellen, mehr für uns zu schreiben?«

Ihre Muskeln entspannten sich, sie ließ sich nach hinten in den Stuhl fallen und starrte kurz an die Decke.

»Willst du, dass die anderen mich umbringen?«

»Keine Angst, das werden sie nicht.«

Charlotte drehte den Kopf zurück zu ihm, und er guckte sie noch immer fest an. Warum machte er das?

Ihre Beine kribbelten. Am liebsten wäre sie rausgerannt, aber sie blieb sitzen und hielt es aus.

»Eugen, du weißt, dass mein Herz an anderen Themen hängt. Ich schreibe gerne über Politik und Gesellschaft.«

Er hob einen Bleistift vom Schreibtisch und klopfte mit der harten Kante auf die Tischplatte.

»Ich glaube trotzdem, dass unsere Artikel genau das Richtige für dich sind.«

Das alte Thema.

»Das sollte ich selbst besser wissen, oder?«

Sein Klopfen hörte auf.

»Du bist klug, Lotti, keine Frage. Aber es steckt noch mehr in dir.«

War das ein Kompliment oder Berechnung?

»Und was könnte das sein?«

»Du hast eine gute Intuition und ein Gespür für Menschen.«

»Die kann ich bei einem Nachrichtenmagazin auch gut brauchen.«

Eugen lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und schaukelte leicht hin und her.

»Ja, aber du bist so darauf versteift, das Seriöse in dir zu sehen, dass du vergisst, dass du auch viel Weiches in dir hast. Und diese Mischung aus klugem Journalismus und tiefer Weiblichkeit fehlt uns hier in der Redaktion.«

»Eugen, ich möchte mit meinen Geschichten etwas bewegen und für Gerechtigkeit sorgen. Mein Ziel ist es, dass die Dinge nicht so bleiben, wie sie sind. Schon gar nicht für Frauen!«

»Ach, und das kannst du nicht bei uns?«

»Wir schreiben über Vergebungsrituale und spirituelles Tanzen.«

Charlotte wusste bei ihm echt nicht mehr, was sie noch sagen sollte.

»Lotti, die Veränderungen, die du dir wünschst, werden nicht allein durch die Politik oder die Gesellschaft bestimmt. Da muss jeder bei sich anfangen. Und genau an dieser Stelle helfen wir. Spirituelles Tanzen löst vielleicht keine politischen Probleme, aber es gibt dem Einzelnen die innere Ruhe und das Selbstvertrauen, dafür zu kämpfen.«

»Wenn du meinst«, sagte Charlotte nur langsam.

»Ja, genau das meine ich. Was du im Großen lösen willst, musst du erst einmal bei dir schaffen. Und für diese Themen bist du genau die Richtige.«

»Geht klar. Soll ich jetzt über Tantrakurse schreiben?«

»Wieso nicht?«

»Das war ein Scherz.«

»Andere Themen nehme ich auch gern.«

Eugen hörte damit auf, seinen Stuhl zu drehen, und schrieb etwas auf seinen Zettel. »Okay, das Thema hatten wir schon ein paarmal, aber diesen Klassiker kam man ja immer bringen.«

Sie sprang augenblicklich auf und starrte auf sein Papier. Dort stand groß: Charlotte – Tantrakurs.

»Eugen, das ist nicht witzig.«

Er schaute zu ihr hoch und grinste sie an.

»Nimm doch deinen neuen Freund mit, diesen Polizisten.«

Charlotte blieb für einen Moment die Luft weg.

»Daniel ist nicht mein neuer Freund. Wir haben uns erst einmal gesehen, seit dieser … dieser ganzen Sache.«

Hannah Klarenheim war diese Sache, an die sie gleich wieder denken musste. Sofort sah sie ihre blauen Augen vor sich, die bewegungslos geradeaus geschaut hatten.

Charlotte rieb sich den Arm und bemerkte, dass sie eine Gänsehaut hatte. War es kälter geworden?

Es war erst wenige Monate her, dass sie die tote Hannah Klarenheim in deren Wohnung gefunden und den Hamburger Oberkommissar Daniel Zumsande getroffen hatte. Hannah war auch Journalistin gewesen und nach einem virtuellen Shitstorm ermordet worden. Der Zufall wollte es, dass Daniel und sie den Täter gemeinsam im Netz jagten. Bis sie am Schluss dem Mörder direkt in die Falle gelaufen war … Wahnsinn, es kam ihr so vor, als wären seitdem schon Jahre vergangen.

Eugen riss sie aus ihren Gedanken. »Guck mal nach draußen, Lotti!«

»Hm …?«

»Siehst du: Da ist Frühling. Jetzt beginnt etwas Neues! Sei doch mal frei und lass die spontane Charlotte raus. Wag mal etwas!«

Sie seufzte. »Ja, mach ich«, erwiderte sie und war bereits auf dem Weg zur Tür.

»Wieso glaube ich dir nur nicht?«, fragte er und grinste.

»Vermutlich, weil ich es nicht ernst gemeint habe.«

»Dann überleg’s dir.«

Sie saß wieder an ihrem Schreibtisch in dem kleinen Zimmer und musste tatsächlich raus in den Frühling schauen.

Der Simone-Trichter-Verlag lag direkt an der Hamburger Alster, und das Wasser glitzerte im Sonnenschein. Kleine Segelboote fuhren Schleifen und schienen auf der Oberfläche zu tänzeln. Eine junge Mutter kam mit ihrem Kind einen Schotterweg entlang. Als die Kleine den Eisladen am Restaurant Cliff entdeckte, war nicht zu übersehen, dass sie bockig wurde. Charlotte konnte nicht hören, was die Mutter sagte, aber bestimmt diskutierte sie mit ihrer Tochter, dass ein Eis gerade keine gute Sache sei. Ein sehr großer Mann mit Jeans und blauem Polohemd bog um die Ecke und hob das Kind auf den Arm. Doch es schrie immer noch.

Charlottes Blick glitt weiter, sie sah große Hunde, die im Gras schnüffelten, und Jogger, die an ihnen vorbeiliefen. Ihr Blick schweifte zu den Bäumen vor ihrem Fenster, und sie beobachtete die kleinen Vögel, wie sie auf und ab hüpften oder laut sangen. Durch die Luft wirbelten weiße Blütenblätter, als hätten sie keine Lust, ganz simpel auf direktem Weg zu Boden zu fallen. Durch das geöffnete Fenster roch alles saftig, nach tiefem, erfülltem Grün.

Ich bin spontan!, dachte sie. Sie kratzte sich am linken Arm und grummelte. »Total spontan im Beruf und in der Liebe!«

Ach Mann, seufzte sie wieder. Bevor sie weiter nachdenken konnte, nahm sie ihr Handy in die Hand und schaute nach Daniels Nummer. Ihr Magen zog sich zusammen, aber sie ignorierte es.

Sie war Mitte dreißig, und Beziehungen waren schließlich kein Problem für sie. In ihrem Leben hatte sie schon vier ernsthafte gehabt, und Daniel war nett. Also, alles wunderbar.

Aber dann legte sie das Handy zurück auf den Tisch und schaute nach draußen. Direkt vor dem Fenster flog gerade eine Schwalbe von einem Ast weg.

Charlotte wusste, dass das nur die halbe Wahrheit war. Daniel war mehr als nur »nett«, und genau das machte ihr dummerweise Angst. Wenn sie sich auf ihn einließe, würde er Erwartungen an sie stellen, und sie müsste diese dann erfüllen. Der Gedanke daran erschreckte sie, und am liebsten würde sie das Thema aussitzen. Andererseits … was hatte Eugen gesagt? Bevor du die Probleme im Großen lösen kannst, musst du es erst einmal bei dir schaffen.

Sie blinzelte ein paarmal und nahm das Handy wieder in die Hand. Mit ihrem Zeigefinger klickte sie seine Nummer auf dem Smartphone an und hielt die Luft an. Er hatte sie schon mehrere Male nach einem weiteren Date gefragt, aber zufälligerweise hatte sie immer etwas Wichtiges an dem Tag vorgehabt. Doch nun konnte sie ihn ja mal spontan anrufen.

Kapitel 2

Daniel

Er hockte vor dem weißen Bett und strich mit dem rechten Zeigefinger an der Kante entlang. Das ergab keinen Sinn, aber er wollte alles aufnehmen, alles verstehen, was diese Frau betraf.

Er konnte ihre Anwesenheit noch immer spüren. Ihr Geruch hing in der blauen Bettwäsche und war lieblich süß. Alles hier im Zimmer strahlte und war genauso wie sie. Er schloss kurz die Augen und stellte sich vor, dass sie wieder da wäre. Vielleicht würde sie gerade aufstehen oder noch ein bisschen liegen bleiben …

Eigentlich hoffte er, wenn er ehrlich war, dass er nicht nur ihr Verhalten verstehen würde, sondern am Ende auch sein eigenes.

Er stand auf, und durch seine Beine fuhr ein leichter Schmerz. Auf dem Nachttisch neben ihm lag ein Stapel bunter Bücher. Er nahm das oberste hoch und betrachtete das lila Cover. Keine Ahnung, das war wohl Liebeszeug. Er legte das Exemplar wieder zurück.

Warum las sie das, fragte er sich, und hatte sich dann auf dieses Leben eingelassen?

Daniel atmete tief durch und dachte an sein eigenes altes Leben in Düsseldorf, das er erst vor wenigen Monaten hinter sich gelassen hatte.