Tödliches Bangkok - Thomas Meik - E-Book

Tödliches Bangkok E-Book

Thomas Meik

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Beschreibung

Frank Schaper, ehemaliger GSG 9 Beamter und zurzeit Privatdetektiv, tötet gelegentlich gegen Bezahlung Menschen. Fast zeitgleich erhälter zwei Aufträge, die ihn beide nach Bangkok führen. Für eine Million soll er einen verschwundenen Milliardär finden. Lieber tot als lebendig braucht man ihn zurück. Der BND heuert ihn ebenfalls an, da Deutsche in Thailand von einem offensichtlich Verrückten ermordet werden. Schaper wandelt sich in Thailand. Der skrupellose Killer wird zum Freund und Beschützer der minderjährigen Prostituierten Thailands.

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Seitenzahl: 510

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Thomas Meik

Tödliches Bangkok

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Inhaltsverzeichnis

1. Teil: Der Auftrag

2. Teil: Aron

3. Teil: Look sao (Töchter)

1. Teil

Der Auftrag

»Eine Million Euro ist ein recht üppiger Finderlohn, will mir scheinen«.

Frank Schaper legte seine Füße auf den Couchtisch aus Eiche und rutschte dabei noch ein wenig tiefer in den großblumig bezogenen Ohrensessel.

»Vor allen Dingen, wenn man bedenkt, dass selbst ein Killer in Bangkok vermutlich nicht mehr als 3.000 Euro kostet.

»Das ist es, was ich an Privatdetektiven so schätze«, antwortete ihm die Frau, die er als Melanie Williams kennen gelernt hatte und in deren Wohnzimmer er gerade saß. Sie trat seitlich vor seinen Sessel, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte spöttisch. »Sie sind so furchtbar clever und spüren sofort jede Widersprüchlichkeit.«

»Eine wirklich schöne Frau«, dachte Schaper. »Schlank und rank und trotzdem wohlgeformt. Sieht aus wie Ende zwanzig, ist aber wahrscheinlich doch schon Anfang vierzig. Vielleicht ein bisschen zu sehr herausgeputzt wie eine Barbiepuppe. Die braunen Augen lassen vermuten, dass sie ihre Haare blond eingefärbt hat. Die Augen! Was ist bloß mit den Augen? Traurig und kalt. Was für eine Mischung!«

»Wenn sie mich genug angestarrt haben, können wir vielleicht unser Gespräch fortsetzen. »

»Ich starre sie nicht an. Alte Frauen interessieren mich nicht.« Er lächelte dreist.

» Sie sind ein echter Gentleman. Man hat mir nicht zu viel versprochen«, war alles, was sie zu seiner Grobheit sagte.

»Kalt bis ins Herz«, dachte er und sagte laut: »Es tut mir leid, wenn ich sie verletzt haben sollte, aber ich bin in Gedanken gewesen. Und ich neige zur Grobheit, wenn man meinen Gedankenfluss stört. Gerade versuchte ich herauszubekommen, was sie wirklich von mir wollen.«

Melanie Williams nahm ihm direkt gegenüber auf der Couch Platz. Sie schlug die schlanken, kurz berockten Beine übereinander, umfasste ihre Knie mit beiden Händen, beugte sich ein wenig nach vorn und schaute ihm direkt in die Augen.

»Eigentlich gar nicht mal so viel«, antwortete sie. »Fliegen sie nach Thailand und finden sie meinen Mann. Tot oder lebendig. Tot wäre mir allerdings lieber, muss ich gestehen. Dafür zahle ich ihnen eine Million Euro, plus Spesen natürlich.«

Das war sehr direkt. Frank setzte einen überraschten Gesichtsausdruck auf.

»Sie erwarten von mir einen Mord, Madame?«

»Es wäre nicht ihr erster, Herr Schaper, wie sie sicher am besten wissen«.

»Ich hätte gern einen Drink«, sagte er und überlegte sich, was da bloß schon wieder auf ihn zuzukommen drohte. »Was weiß die Kuh von mir«, ging es ihm durch den Kopf. »Und woher weiß sie es. Am besten, ich verpiesele mich hier möglichst bald. Das riecht nach Stress. Das riecht verdammt nach Stress.«

»Was trinken sie denn«, wurde er in seinen Gedanken unterbrochen. Melanie Williams stand jetzt vor der Hausbar.

»Am liebsten trockenen französischen Rotwein oder schottischen Malt-Whiskey, wenn mich meine Unterlagen nicht täuschen. Stimmt's?«

»Ich nehme einen französischen Cognac«, erwiderte er, obwohl er das Zeug nicht leiden konnte. Es ärgerte ihn, dass sie so gut über ihn Bescheid wusste.

»Nun ist er sauer«, wiederum spöttisch lächelnd kam sie auf ihn zu. Mit mürrischem Gesichtsausdruck nahm er den Cognac und leerte das Glas mit einem einzigen Schluck. »Mein Gott ist das scheußlich,« dachte er. »Wie flüssige Seife.« Er schüttelte sich und hätte dabei fast das Glas verloren.

»Noch einen?« fragte sie.

»Nein, danke«, krächzte er und ließ sich zurück in den Sessel sinken. Er räusperte sich kräftig. »Sie wollen also ihren Göttergatten loswerden. Mögen sie mich einweihen weshalb?«

»Aber gern. Mein Mann hat sehr viel Geld.«

»Ich weiß, ich weiß«, fiel ihr Frank ungeduldig ins Wort. »Auch ich habe meine Hausaufgaben gemacht und mich ein wenig über sie und ihren Mann erkundigt. Sie besitzen Milliarden. Davon haben sie einen guten Anteil mit in die Ehe eingebracht. Ererbt über Jahrhunderte. Grundlage ihres Vermögens war der Geschäftsinn ihrer Vorfahren im 16ten Jahrhundert. Sie entstammen einer Seitenlinie der Fugger Das Vermögen ihres Mannes kommt aus den USA. Man weiß nichts genaues, aber es soll während der Prohibitionszeit zusammengekommen sein. Es gibt auch Gerüchte, dass er gar kein Vermögen besaß und lediglich ihnen und ihrer Familie eine Show vorgeführt hat, um an ihr Geld zu kommen. Wie dem auch sei, seit ihrer Eheschließung vor nunmehr sechzehn Jahren hat ihr Mann aus ihrem Besitz ein Milliardenvermögen gemacht. Wie, weiß auch wieder keiner so genau. Er hat sehr erfolgreich an der Börse und mit Immobilien spekuliert, internationale Transaktionen eingefädelt und dafür reichliche Provisionen kassiert. Aber ihm gehört auch in jeder deutschen Großstadt mindestens ein Bordell, und er ist an allen großen Spielkasinos dieses Landes mit mehr als 25% beteiligt. Kinder haben sie keine. Ihr Mann hatte weltweit einige Vaterschaftsklagen am Hals, wurde aber nie verurteilt. Ihre Ehe gilt als glücklich, obwohl ich aufgrund ihres Angebotes darüber inzwischen eine etwas andere Meinung habe.«

»Ach tatsächlich?« Melanie lächelte. Für einen kurzen Augenblick legte sich Trauer über ihr Gesicht. Dann lächelte sie wieder ihr spöttisches Lächeln. »Einige sehr wichtige Tatsache haben sie nicht erwähnt: Ich habe keinerlei Verfügungsgewalt über unser Vermögen. Mein lieber Mann hat alles so organisiert, dass mir zwar jeden Monat ein gutes Auskommen bleibt, aber sämtliche Besitztümer, Geldanlagen, Nummern- und Girokonten laufen auf seinen Namen. Ich habe keinerlei Vollmacht «

»Wie hat er das denn geschafft?«

»Oh, er kann sehr überzeugend sein, glauben sie mir. Sie werden das sicher auch noch feststellen dürfen.« Wieder huschte ein Anflug von Traurigkeit über ihr Antlitz. »Ich bin eine arme reiche Frau, mein Mann lebt inzwischen in Thailand. Seit drei Jahren war er nicht mehr in Deutschland.«

»Und wo lebt er genau?«

»Ich habe nicht den Schimmer einer Ahnung. Ich denke in der Nähe von Bangkok oder Pattaya. Nirgendwo sind die Mädchen jünger.« Sie schaute ihm ernst und ohne Spott in die Augen.

»Ach! Auch noch ein bisschen Eifersucht im Spiel. Na prima! «

»Oh nein!« sie lachte kurz auf. »Bestimmt nicht. Ich habe Mitleid mit den Mädchen, die ihm in die Finger geraten.«

Frank erhob sich, streckte sich und sagte: »Und nun wollen sie an die Kohle. Ich soll nach Bangkok jetten, ihrem Göttergatten eine unbeschränkte Vollmacht aus dem Kreuz leiern, oder besser noch ihn gleich umlegen, weil sein Testament wahrscheinlich immer noch zu ihren Gunsten lautet…«

»Er hat kein Testament«, fiel sie ihm ins Wort.

»Na umso besser. Das heißt, ich muss mich auch noch darum kümmern, ob er nicht in Bangkok oder sonst wo auf dieser Welt doch noch eines hinterlassen hat, bevor ich ihm unter die Erde helfe.«

»Brauchen sie nicht. Ist schon erledigt. Legen sie ihn einfach um.« Melanie war zum Kamin gegangen, der dem Terrassenfenster gegenüber lag. Frank folge ihr.

»Und dafür bekomme ich dann eine Million Euro plus Spesen. Die Hälfte sofort, die andere Hälfte später.«

»Leider nicht. Sie bekommen alles später, lediglich die Spesen kann ich Ihnen vorschießen. Erst muss ich an das Geld herankommen, dann kann ich sie bezahlen. Ist doch logisch, oder.« Langsam machte ihn ihr spöttisches Lächeln ärgerlich.

»Meine Antwort ist: Nein. Ich werde jetzt gehen und dieses Gespräch vergessen. Wenn sie mal einen anderen Auftrag für mich haben, möglichst ohne Leichen, können sie gerne wieder auf mich zukommen. Ich bekomme als Privatdetektiv 1.500 Euro pro Tag plus Spesen. Aber, wie gesagt, ohne Mord. Comprende?« Er war wütend, er hatte sich irgendeinen einfachen Überwachungsjob vorgestellt. Ehemann nachspionieren, Geliebte fotografieren, Irgendwie so was. Und nun das. Was für eine Kacke.

Melanie ging auf ihn zu und berührte ihn am Arm. »Regen sie sich doch nicht auf. Bleiben sie noch einen kleinen Augenblick. Setzen sie sich, ich hole ihnen noch einen Cognac.«

»Lieber einen Glenfiddich.« Er nahm seufzend am Kopfende des riesigen Esstisches Platz.«Wie früher bei Fürstens«, dachte er. »Je ein Stuhl an den Kopfenden, in der Mitte ein fünfarmiger Kerzenleuchter und fünf Meter Platz zwischen den Speisenden. Wie gemütlich.« Laut sagte er: »Ich verstehe wirklich nicht, warum sie ihren Mann umbringen lassen wollen. Sie haben doch«, dabei schaute er sich im übertrieben großen Wohnzimmer um, »wirklich einfach alles. Ein absolutes Sahnehaus, Wohnungseinrichtung vom Feinsten, genug Geld zum Leben. Und der Mann, den sie nicht mehr lieben, ist weit weg und stört sie überhaupt nicht.«

Sie reichte ihm den Whiskey und setzte sich ans andere Ende des Tisches. »Ich will das Geld und ich will es ganz allein. Es gehört mir, er hat es mir geraubt und ich will es wieder. Ich will es vererben, wie wir es seit Jahrhunderten tun.« Sie brachte ihre Worte sehr ernst vor.

»Aber ich bringe niemanden um, nur weil jemand an das Geld des Opfers möchte«, antwortete Frank.

»Sie haben schon Menschen auf Bestellung getötet.«

»Gerüchte, Madame. Ich bin nie wegen Mordes oder Totschlags verurteilt worden, wie sie sicher wissen. Zugegeben in meiner Gegenwart sind Menschen unter mysteriösen Umständen gestorben, auch vom Notwehrrecht habe ich hier und da Gebrauch gemacht, aber ich bin kein Killer«, antwortete Frank und lächelte ernst, wobei er dachte: »Ist die dumme Nuss eigentlich nicht ganz dicht, derart direkt über solche Dinge zu sprechen, oder will sie mich in eine Falle locken.«

»Mir hat man anderes berichtet«, erwiderte Melanie. »Aber, wie dem auch sei. Sie sollen ihn ja gar nicht töten. Ich will nur sein Geld, das ist alles.«

»Aber sie müssen schon damit rechnen,« jetzt lächelte Frank spöttisch, »dass er die Moneten nicht so einfach herausrücken wird.« Der Whiskey bekam ihm ausgezeichnet. Langsam gewann seine Neugier die Oberhand über die Lustlosigkeit, mit der er bis dahin die Angelegenheit betrachtet hatte. »Vielleicht bringt sie mir ein wenig Zerstreuung. Die letzten Monate waren fast ein wenig langweilig. Schau‘n wir mal. Hab ich zurzeit was zu tun? Eigentlich nicht«, ging es ihm durch den Kopf.

»Sie haben so was schon einmal geschafft, Herr Schaper.«

»Sie weiß wirklich alles«, dachte Frank staunend, lachte dabei und sagte:

»Sie wissen ja sogar Staatsgeheimnisse. Aber erstens konnten wir den besagten Herrn ziemlich einfach unter Druck setzen und zweitens hatte ich den gesamten Bundesnachrichtendienst auf meiner Seite.«

Melanie Williams erhob sich abrupt von ihrem Stuhl. »Sie können meinen Auftrag gar nicht ablehnen. Sie wissen zu viel darüber, ich habe ihnen alles erzählt. Sie wären eine Gefahr für mich, vor allen Dingen, wenn sie sich mit meinem Mann in Verbindung setzen. Ich werde sie töten lassen müssen, wenn sie meinen Auftrag nicht annehmen.«

»Oh, bitte. Nicht diese Tour. Wenn sie einen Killer hätten, der mich töten könnte, bräuchten sie mich überhaupt nicht für die Lösung ihrer Probleme. Außerdem denke ich, sie haben meine Akte genau studiert, liebe Frau«. Er erhob sich ebenfalls. Seine blauen Augen verschwanden hinter Schlitzen, die Stirn legte sich in Falten und er wurde blass bis zur Kopfhaut, die deutlich im Gegenlicht unter seinem schütter gewordenen Haar zu sehen war. Für einen Moment sah er wesentlich älter aus als 38 Jahre. »Ich hänge weder am Geld noch am Leben, Frau Williams. Nicht dass ich zum Freitod neige, aber mir liegt nichts am Leben. Ich ernähre mich von Stangenbrot, Rotwein und Käse und bin jeden Augenblick bereit zu sterben. Ich hänge an gar nichts. Also versuchen sie nicht mir zu drohen. Nie wieder.« Er ging in Richtung Wohnzimmertür, nahm seine verschlissene Wildlederjacke und zog sie über sein blaues Jeanshemd. »Ich nehme ihren verschissenen Auftrag unter Vorbehalt und erst mal auch nur teilweise an. Besorgen sie mir ein Flugticket nach Bangkok für die nächste Woche. Natürlich Business-Class, versteht sich. Schicken sie mir alle Unterlagen und Informationen, die sie haben, in mein Büro und überweisen sie mir 25.000 Euro für Spesen auf mein Kreditkartenkonto. Mein Büro sagt ihnen die Nummer. Ich suche ihren Mann und wenn ihre Story stimmt, besorge ich ihnen eine Generalvollmacht und zwei Monate Vorsprung, um diese zu nutzen. Aber ich werde mit Sicherheit niemanden umbringen. Ich mach das, weil mich die Geschichte interessiert. Ihre Drohungen kümmern mich einen Dreck«. Frank ging zurück zum Esstisch, stützte sich mit den Fäusten auf und beugte sich in Melanies Richtung. »Und ihr Geld ebenso. Trotzdem kassiere ich natürlich die Million, wenn ich den Auftrag erfüllt habe.« Er grinste breit. »Wenn irgendetwas an ihrer Story nicht stimmt, komme ich zurück. Und ich garantiere ihnen, dann mache ich gewaltigen Ärger und kassiere ebenfalls die Million. Sind sie mit meinen Bedingungen einverstanden.«

Melanie nickte kurz aber deutlich. Sie schien ein wenig verstört ob des zornigen Ausbruches von Frank.

Mit den Worten: »Bemühen sie sich nicht, ich finde den Weg«, begab er sich zur Tür, die Sekunden später ins Schloss fiel. Melanie Williams blickte auf. Sie erhob sich und ging zum Garderobenspiegel im Flur. »Na ja. Lief doch ganz gut«, sagte sie ihrem Spiegelbild, lächelte sich zufrieden zu und ordnete ihre Frisur.

*

»Das gibt Ärger, das gibt richtigen Ärger«, murmelte Polizeileutnant Pohn Lontan, als er das Hotelzimmer betrat. Das Zimmer schien im Blut zu schwimmen. Das Bettzeug, auf dem die Leiche lag, war rot und sabschig, von Blut durchtränkt. Obwohl Lontan schon seit fünf Jahren bei der Touristenpolizei von Bangkok Dienst tat und schon viele Leichen gesehen hatte, war er immer wieder überrascht, wie viel Blut sich in einem menschlichen Körper befand. Leichen störten seinen Job, insbesondere tote Touristen. Nun lag wieder einer vor ihm. Blutig blond, ungläubig starrend, blauäugig. Ein Farang, ein europäischer Ausländer. Und seinen abgeschnittenen, bluttriefenden Penis hatte man ihm in den weit aufgerissenen Mund gestopft.

»Oralen Sex hatte der sich sicher auch anders vorgestellt«, bemerkte zynisch der untersuchende Arzt und blickte zu Lontan auf, der an das Bett getreten war und auf den Toten starrte.

»Shit«, war alles was der Leutnant von sich hören ließ. Sein Gesicht blieb asiatisch undurchschaubar. Gerade kam er von einer ausgesprochen befriedigenden Inspektion aus dem Massagesalon Cleopatra, und dann das. Diese verdammten Touristenmorde störten seinen gemächlichen und angenehmen Lebensablauf erheblich.

Pohn Lontan war 36 Jahre alt, 1,70m groß, 65 Kilo schwer und hatte kurze, schwarze Haare. Grundsätzlich trug er Uniform ― auch privat. Er gehörte zur Volksgruppe der Thai, war verheiratet und hatte fünf Kinder mit seiner Ehefrau, ebenfalls einer Thai. Daneben hielt er sich eine Zweitfrau burmesischer Abstammung in Pethaburi, einem Vorort von Bangkok. Seine Nebenfrau hatte zwei Kinder, bei denen allerdings nicht eindeutig feststand, ob er der Vater war. Aus reiner Geldnot-Pohn war nicht gerade großzügig ― begab sie sich gelegentlich in die Wochenendprostitution. Nach alter thailändischer Tradition besuchte er darüber hinaus regelmäßig Massagesalons. Hier machte sich das Tragen der Uniform bezahlt, denn Geld verlangte man nie von ihm, egal mit wie vielen Mädchen er auf die Zimmer verschwand. Kein Mädchen wäre auch je auf die Idee gekommen, ihm einen sexuellen Wunsch abzuschlagen, völlig gleichgültig, wie pervers er auch war. So konnte er seine gelegentlichen, milden sadistischen Neigungen ohne Hemmungen ausleben. Es verging eigentlich kein Tag seines Lebens ohne sexuelle Betätigung und Befriedigung. Und das behagte ihm sehr. Auch seine finanzielle Situation gefiel ihm ausgezeichnet. Zwar verdiente er als Leutnant der Touristenpolizei lediglich 6.450 Baht pro Monat, was nicht mal für den Lebensunterhalt seiner offiziellen Familie gereicht hätte, aber die Bestechungsgelder, die ihm aus seinem Arbeitsbereich zuflossen, erbrachten ihm im Schnitt noch einmal 30.000 Baht. Er kassierte bei Touristen, die er gern und regelmäßig mit minderjährigen Mädchen erwischte. Je nach dem, wie jung das Mädchen war, ließ er sich mit 1.000 bis zu 10.000 Baht bestechen. Einen Teil gab er natürlich an die Mädchen weiter, schließlich war er Buddhist und kannte seine Pflichten. Er kassierte in Nachtbars und Nightshowbars dafür, dass er verbotene Showdarstellungen diskret übersah, die Mädchen grundsätzlich für volljährig hielt und Anzeigen von Touristen verschwinden ließ, die man ein wenig ausgenommen hatte. Für alle kleinen Gaunereien Touristen aus Japan, Amerika und Europa gegenüber war er zu haben, wenn sie ohne Gewalt abliefen. Gewalt und Zwang war im zuwider. Er war ein Thai, also ein freier Mensch. Das nahm er wörtlich, und das galt in seinen Augen auch für andere Menschen, selbst für Touristen. Bei Mord, Totschlag, Körperverletzung oder Vergewaltigung endete seine Bestechlichkeit. Seine Geschäfte verliefen trotzdem sehr gut. Es hatte sich gelohnt die Traffic-Police zu verlassen. Fünf Jahre war das jetzt her. Zwar wäre er bei der Verkehrspolizei jetzt schon Hauptmann, aber die Nebeneinkünfte waren im Vergleich zur Touristenpolizei geradezu lächerlich. 100 Baht konnte man einem LKW-Fahrer abnehmen, der zu lange am Steuer saß und sich mit dem koffeinhaitigern Teufelsgebräu Krating Daeng — roter Stier — wachzuhalten versuchte. 100 Baht war auch die Obergrenze für Trunkenheit, Überladung und Verkehrsgefährdung. Zu schnelles Fahren, Missachtung der Ampelzeichen und Parkvergehen brachten noch weniger ein. Mit Müh und Not schaffte man auf diese Weise 5.000 bis 8.000 Baht pro Monat heran. Das war nicht viel dafür, dass man den ganzen Tag in der unglaublich öligen Dunst- und Abgaswolke der Straßen Bangkoks verbringen musste.

Nein, nein, die Entscheidung damals war goldrichtig gewesen.

Aber nun hatte er wieder eine Leiche am Hals. Es gab nichts zu kassieren und unangenehme Gespräche mit den Vorgesetzten standen ihm ins Haus. Nur eine kleine Hoffnung blieb ihm noch.

»Sind sie ganz sicher, dass es sich um einen Touristen handelt«, fragte er den Kommissar der Mordkommission, der die Untersuchung leitete, und gerade aus dem Badezimmer kam. »Vielleicht ist er Repräsentant einer europäischen Firma oder lebt ständig in Thailand«.

Der Kommissar grinste breit: »Keine Chance, Pohn, der Fall bleibt ihnen erhalten. Hier, schauen sie sich den Pass an.« Er reichte ihm einen roten Pass der Bundesrepublik Deutschland, in den ein Touristenvisum eingeheftet war.

»Er muss heute das Land verlassen«, bemerkte Pohn.

»Das wird er wohl nicht mehr schaffen«. Der Kommissar war ganz im Gegensatz zu Pohn nach wie vor bester Laune. Er war im Dienstgrad drei Stufen über ihm angesiedelt. Also regte sich in Lotans Gesicht kein Muskel, obwohl ihm eigentlich nach Streit gelüstete.

Pohn nahm den Tatort jetzt etwas genauer in Augenschein. Sie befanden sich im Nana Hotel, direkt am Nana-Entertainment-Center. Touristen nutzten es gern als Stundenhotel, wenn sie mit einem der willigen Mädchen aus dem Vergnügungszentrum handelseinig geworden waren. Der Raum war mit einem Kingsize-Doppelbett, einem Tischchen, zwei Sesseln und einem kleinen Fernseher ausgestattet. Es lief noch. MTV, ein Musikvideo nach dem anderen. In einem kleinen Nebenraum befanden sich Dusche und Toilette. Auf dem Tisch standen eine fast leere Sektflasche und eine halbleere Flasche Thai-Wodka. »Welch grausame Mischung«, ging es Lontan durch den Kopf. Der Tote auf dem Bett hielt sein Glas noch in der verkrampften rechten Hand. Ein zweites Glas lag zerbrochen am Boden.

»Die müssen ziemlich betrunken gewesen sein«, bemerkte Lontan.

»Das kann man wohl sagen, Toilette und Waschbecken sind total vollgekotzt.«, antwortete der Kommissar.

Er und Lontan standen jetzt gemeinsam am Fußende des Bettes und beobachteten den untersuchenden Arzt.

»Ich werde nie verstehen, warum die Burschen sich von wildfremden Mädchen fesseln lassen.« Pohn schüttelte den Kopf und fragte den Arzt: »Können sie uns schon sagen, wann und wie er gestorben ist?«

»Natürlich nur vorläufig. Sehen sie, das Blut auf dem Bettzeug ist noch nicht vollständig geronnen. Es ist noch keine zwei Stunden her. Aufgrund des Gesichtsausdruckes und der Körperverkrampfung gehe ich davon aus, dass er mit seinem eigenen Penis erstickt wurde. Vielleicht ist er auch durch die Unterleibsschnittwunde verblutet. Das weiß ich erst nach der Obduktion. Aber das habe ich alles schon dem Kommissar erzählt.«

»Hat er sich erbrochen?« fragte Lontan weiter.

»Das kann er ihnen erst sagen, wenn er ihm in den Mund schauen kann. Zurzeit ist der ja noch besetzt«, antwortete ihm gereizt der Kommissar, der den Eindruck gewann, dass Pohn Lontan sich in seinen Aufgabenbereich einmischte. »Sehen sie, Pohn, sie sind ein wenig später hier erschienen als wir. Wir sind eigentlich mit der Arbeit am Ende. Die Untersuchung fällt sowieso nicht in ihren Aufgabenbereich. Sie müssen sich lediglich von ihren Vorgesetzten vorwerfen lassen, dass es offensichtlich Prostituierte in dieser Stadt gibt, die sie nicht unter Kontrolle haben. Das sollten sie in ihrem eigenen Interesse ändern. Ich will sie gern über alle Untersuchungsergebnisse unterrichten. Sie bekommen wie immer einen vollständigen Bericht, und können mich jederzeit um Informationen angehen. Aber fragen sie bitte mich und nicht meine Leute.«

Lontan erschrak ob der plötzlichen barschen Reaktion des Kommissars. Er nahm die Hände gefaltet in Nasenhöhe und verbeugte sich Verzeihung heischend zu ihm hin: »Ich wollte sie nicht beleidigen, ehrenwerter Kommissar. Vergeben sie mir bitte meine Ungeschicklichkeit.« Er ärgerte sich ohne es zu zeigen. Als wenn ihm nicht schon genug Ungemach durch Presse und Vorgesetzte ins Haus stünde. Jetzt machte ihn auch noch der Kommissar zur Schnecke. »Gestatten sie mir noch einige Fragen?«

»Oh, bitte. Fragen sie!« Der Kommissar lächelte wieder verbindlich.

»Hat jemand den Toten und sein Mädchen zusammen gesehen?«

»Wir haben noch niemanden gefunden, wir haben natürlich auch die Leute an der Rezeption befragt, die den Namen des Mädchens hätten notieren müssen. Aber sie behaupten, das Zimmer sei gar nicht von ihnen vermietet worden. Deswegen hätten sie auch keinen Meldezettel Sie wüssten weder, wer der Tote sei, noch wer ihn begleitet hätte. Ebenso beschwört der Etagenservice, niemandem auf dieses Zimmer etwas gebracht zu haben. Getränke und Gläser sind auch nicht aus diesem Hotel. Das haben wir festgestellt. Gefunden wurde die Leiche vom Zimmermädchen, die den Raum säubern sollte. Sie befindet sich mit einem schweren Schock im Krankenhaus und konnte noch nicht vernommen werden. Kann ich ihnen sonst noch etwas berichten?« Zwar lächelte der Kommissar, aber seine Stimme verriet Lontan, dass er besser keine Fragen mehr stellen sollte, und so bedankte er sich für die Auskünfte und schwieg.

Das war der 14. Tourist, der innerhalb der letzten neun Monate mit seinem eigenen Geschlechtsteil erstickt worden war. Und es war der sechste Deutsche. Sie hatten kaum brauchbare Spuren. Wenn es einmal Zeugenaussagen gab, waren sie dermaßen widersprüchlich, dass mit ihnen nichts anzufangen war. Es war nicht einmal klar, ob immer dasselbe Mädchen als Lockvogel benutzt wurde. Es gab kein erkennbares Motiv. Nie war einer der Toten ausgeraubt worden und immer waren es Touristen, die sich sexuell vergnügen wollten. Bisher hatten sie der Presse zwar die Toten nicht verschwiegen, aber sie hatten die brutalen Einzelheiten für sich behalten. Den Botschaften der getöteten Touristen mussten sie wohl oder übel den ganzen Tathergang schildern. Und das gab Ärger. Die Botschafter beschwerten sich beim Innenminister, der gab den Ärger an die Touristenpolizei weiter und von dort kam der ganze Segen direkt zu Pohn Lontan. Und das alles nur, weil die erste Leiche im Rajah Hotel aufgetaucht war. Das war leider sein Revier. Er war für die Registrierung und Überwachung der Prostituierten von Sukhumvit und Patpong zuständig. Fast wünschte er sich im Augenblick zur Traffic-Police zurück. Gerade der deutsche Botschafter hatte sich beim letzten ihn betreffenden Fall mächtig aufgeblasen. »Das gibt richtigen Ärger mit den Deutschen«, dachte Pohn.

*

Franks Büro befand sich in seiner Wohnung. 2 1/2 Zimmer in der ersten Etage eines dreigeschossigen Altbaus. Die übrigen Wohnungen des Hauses in Hamburg-Eppendorf wurden von Prostituierten beruflich genutzt. Auf die Haustüren geschriebene Mädchennamen verrieten dem Interessenten, wen er wo finden würde. Franks Haus- und Bürotür zierte lediglich das übliche kleine Namensschild. Privatdetektei Schaper & Schaper stand darauf. Er war alleine tätig, aber er hatte Spaß daran, Menschen und vor allen Dingen Behörden zu verwirren. Es war ihm immer wieder ein Genus, einen verdatterten Steuerprüfer darüber aufzuklären, dass der zweite Schaper mangels Existenz nur schwer zu sprechen sein würde. Das kostete natürlich Geld und bedeutete Ärger. Auch mit Klienten spielte er bisweilen ein ähnliches Spiel, wenn die sich verärgert über seine ausgesprochen lustlose Behandlung ihrer Angelegenheiten oder über seine Grobheiten bei seinem Partner beschweren wollten.

Als Büro nutzte er seinen geräumigen Flur. Ausgestattet mit Schreibtisch, Couch, zwei Sesseln, Telefon, Fax, Fernseher mit Videorecorder und Garderobenständer. Der plastikeichefurnierte Billigschreibtisch stand direkt gegenüber der Eingangstür.

Üblicherweise saß Johanna Libsch — er nannte sie Jonny — hinter diesem Schreibtisch, um eventuelle Besucher oder Klienten abzufangen, deren Begehr festzustellen und dann Frank aus seinen Privatgemächern zu rufen, so er denn zu Hause war. Johanna, blond und schlank, sah sehr gut aus, was es ihr bisweilen nicht gerade erleichterte, die Freier wieder aus dem Büro hinaus zu komplimentieren, die sich auf der Suche nach käuflicher Liebe in der Tür geirrt hatten. Das war ein echter Nachteil an diesem Job, fand sie. Aber Frank Schaper zahlte ausgezeichnet dafür, dass sie lediglich Telefon- und Faxdienst, Buchhaltung und die Führung seines Terminkalenders zu bewältigen hatte. Außerdem war er ein angenehmer Chef. Er stellte ihr nicht nach, keine Macho-Sprüche, erträgliche Arbeitszeit —12 bis 18 Uhr -und regelmäßige Gehaltszahlungen.

Bisweilen ließ er sich von ihr auch einen Kaffee bereiten. Daher wunderte sie sich nicht, als sie seine Stimme am Telefon vernahm. Er bat sie, ihm einen Kaffee zu kochen, er sei in fünf Minuten im Büro. Sie ging also in die Küche und machte sich an die Arbeit. Kurz drauf wurde die Küchentür von außen geschlossen.

»Hey«, rief sie, eilte zur Tür und schlug dagegen. »Was soll das?«

Die Tür wurde eine Spalt weit geöffnet und eine Hand mit einem auf sie gerichteten Revolver erschien.

»Halt die Klappe!« hörte sie eine tiefe, ihr nicht bekannte Männerstimme. »Setz dich irgendwohin und verhalte dich ruhig!«. Die Revolverhand verschwand, kam ohne Revolver wieder und zog den Schlüssel ab und verschloss die Tür von außen.

Etwa zwanzig Minuten später kam Frank Schaper vom Frühstück. Er frühstückte fast immer in der Cafeteria eines nahegelegenen Kaufhauses, weil es dort bis 13 Uhr Rühreier und gebratenen Schinken gab. Er blickte in das glattrasierte Gesicht eines breitschultrigen Mannes mit einer Stoppelfrisur.

»Berty, altes Scheißhaus, was verschafft mir die Ehre deines Besuches?« rief Frank, ohne sein Erstaunen darüber zu zeigen, dass nicht Johanna Libsch von ihrem Schreibtisch zu ihm aufsah, sondern Hauptmann Berthold Reimann, sein ehemaliger Vorgesetzter bei der GSG-9.

»Wir wollten sie unauffällig und diskret sprechen«, antwortete Reimann. Er nahm seine Füße vom Schreibtisch, beugte sich nach vorn und stützte die Ellenbogen auf die Schreibunterlage. »Aber setzen sie sich doch, Herr Schaper! Es ist ja ihr Büro. Im Sitzen plaudert es sich doch angenehmer.«

»Danke, aber in deiner Gegenwart stehe ich vorsichtshalber lieber, und angenehme Plaudereien gibt es mit dir sowieso nicht«, antwortete Frank spöttisch. »Wer ist denn der Kumpel, den du da mitgebracht hast?« Er fragte, obwohl er genau wusste, dass der Mann auf der Couch neben der Eingangstür Klaus Wankel hieß, Direktor beim Bundesnachrichtendienst BND war und als Hauptabteilungsleiter die Agenten des BND im asiatischen Ausland führte. Aber aus alter Gewohnheit gab Frank sein Wissen nie ohne Not preis.

»BND«, antwortete Berthold Reimann lediglich.

»Was habt ihr denn mit Jonny gemacht.«

»Wie gesagt«, erwiderte der END-Direktor, »niemand soll wissen, dass wir uns mit ihnen in Verbindung setzen. Wir haben sie in der Küche eingesperrt.«

»Hat sie euch nicht gesehen?«

»Natürlich nicht. Und nun schicken sie ihre Büromaus für eine Stunde fort! Wir haben einen Auftrag für sie und brauchen weder Augen- noch Ohrenzeugen«, antwortete Reimann.

»Ich möchte keinen Auftrag,« antwortete Frank und erhob sich. »Und schon gar nicht von euch. Ich schlage vor, ihr geht, und wir vergessen diesen überflüssigen Besuch möglichst schnell. Okay?« Er war zur Tür gegangen und hatte sie geöffnet.

»Schicken sie ihre Tippse fort. Wir meinen es wirklich ernst. Herr Reimann hat ihnen die beiden herausgeschlagenen Vorderzähne immer noch nicht verziehen. Er hat sich freiwillig bereit gefunden, mich hierher zu begleiten, weil wir sie und ihre Sekretärin auf der Stelle liquidieren werden, wenn sie nicht mit uns zusammenarbeiten.« Klaus Wankel hatte sich vom Sofa erhoben. Amüsiert stellte Frank Schaper fest, dass er extra hohe Absätze trug, um ein wenig größer zu erscheinen. Und er hatte einen Revolver gezogen.

»Mir persönlich gefällt die Idee, sie einfach umzulegen, Schaper«, warf Reimann ein und legte seine Füße wieder auf den Schreibtisch.

»Pass auf, dass Jonnys Blumen nicht verwelken, wenn du ihnen mit deinen Käsemauken zu nahe kommst,« erwiderte Frank. »Aber mal im Ernst, Jungs. Ihr kennt meine Akte, ihr kennt meine Skrupellosigkeit, und ihr wisst, wie wenig ich am Leben hänge. Was also soll diese lächerliche Drohung?«

Direktor Wankel steckte seine Pistole wortlos zurück in den Schulterhalfter.

»Ich bin kein Unmensch und ich bin neugierig«, fuhr Frank fort. »Ich werde mir eure Story anhören. Geht kurz aufs Scheißhaus, ich schicke Jonny nach Hause.«

BND und GSG-9 trotteten wie artige Buben in das Badezimmer. Frank befreite seine Sekretärin aus der Küche, schob alle Erklärungen auf später und sie in Windeseile zur Haustür hinaus. Mit einem: »Ich brauche sie heute nicht mehr, Jonny« unterbrach er ihr permanentes »also, so was ist mir ja noch nie passiert, also, das verstehe ich nicht, also, sowa…«

Dann rief er: »Genug geschnuppert, Freunde. Ihr könnt wieder herauskommen.

Wie ich den Laden so kenne«, wandte er sich dann an Wankel, »schickt euch doch der Staatssekretär im Kanzleramt Also dürft ihr irgendeine Mission wieder einmal nicht offiziell unternehmen und seid auf verkrachte Existenzen wie mich angewiesen. Und wenn ihr mich wollt, wollt ihr Leichen. Stimmt's?«

»Nicht ganz«, antwortete Wankel. »Deutsche Touristen sind in Thailand ermordet worden. Sie haben sicher davon gehört.«

»Na und. Habt ihr Sorge um die Reisebranche?«

»Natürlich nicht. Lassen sie doch Herrn Direktor Wankel ausreden«, bemerkte Reimann ungeduldig.«

»Okay, Berty. Aber warum so förmlich. Zu mir sagst du sie, zu ihm Herr Direktor, was ist los mit euch.«

»Herr Schaper. Ich war ihr Vorgesetzter und sie haben mir vor versammelter Mannschaft die Zähne ausgeschlagen und mir in den Sack getreten. Und das, als ich ihnen gerade das Bundesverdienstkreuz verleihen sollte. Und da fragen sie noch?« Reimann ließ sich auf die Couch nieder.

»Berty, ihr hattet mich hängen lassen.«

»Könnten sie bitte ihre privaten Angelegenheiten auf privater Ebene austragen, meine Herren«, drängte Wankel. »Ich würde ihnen jetzt gern erzählen, welchen Auftrag wir für sie haben.« Er wandte sich wieder an Frank, der nun selber an seinem Schreibtisch saß. Füße natürlich hoch, zwischen Blumen und Telefon.

»Tun sie sich keinen Zwang an.«

»Schön!« Wankel nahm auf dem Besucherstuhl Platz. »Sechs deutsche Touristen wurden in Thailand ermordet. Drei in Bangkok, zwei in Pattaya und einer in Cha Am. Alle wurden beim Ficken getötet. Scheinbar grundlos. Nie wurde etwas geraubt. Sie waren gefesselt. Man schnitt ihnen die Schwänze ab und erstickte sie damit.«

»Nette Variante, aber wo liegt das Problem? Sagt doch den Touristen, sie sollen woanders vögeln.«

»Der letzte Tote war ein Angehöriger der GSG-9 in einer äußerst geheimen Mission.«

Leise pfiff Frank Schaper vor sich hin. »Jede Wette, der Mann war aus deiner Truppe, Berty, und du hast ihn hängen lassen.«

Berthold Reimann sprang auf und stürzte sich auf Frank Schaper. Er nahm ihn am Kragen seines Jeanshemdes und riss ihn aus dem Schreibtischstuhl.

»Berty. Du bist einfach zu unbeherrscht. Das ist dein ganz großer Fehler«, sagte Frank ruhig und leise, »und außerdem hast du einen tierischen Mundgeruch.« Angewidert drehte Frank seinen Kopf zur Seite.

»Hören sie sofort auf damit, Reimann.« Wankels Stimme klang schneidend. »Zum einen hat er recht und zum anderen brauchen wir ihn dringend. Wenn sie ihn also bitte wieder auf seinen Stuhl setzen könnten. Danke.«

Frank ordnete sich seine Garderobe und Berthold Reimann ging zurück zum Sofa.

»Wen wollte die GSG-9 denn in Thailand hinrichten?« fragte Schaper.

»Niemanden. Der Mann war als Personenschutz für einen Staatssekretär aus dem Justizministerium unterwegs. Der sollte auf die thailändische Regierung einwirken, weil immer wieder deutsche Sextouristen, die mit minderjährigen Prostituierten erwischt werden, durch massive Bestechungen um Bestrafungen herumkommen.«

»Und was erwartet man von mir?«

»Unauffällige Aufklärung der sonderbaren Mordserie. Insgesamt wurden bisher 14 Männerauf diese Weise ermordet. Alles Weiße.«

»Aber wieso interessiert euch das? Ihr kümmert euch doch auch nicht um tote Touristen in Miami oder in Rio.«

»Der Staatssekretär war eine Woche verschwunden. Man griff ihn in Burma in einer Opiumhölle auf. Das Arschloch war eine Woche dauerhigh. Der wusste nicht einmal mehr, wer er oder wo er war. Die thailändischen Beamten amüsieren sich königlich auf unsere Kosten. Und der Kanzler ist beleidigt.«

»Wenn das kein Grund ist.»

»Sie haben völlig freie Hand«, fuhr Wankel unbeirrt fort. »Geld und Papiere soviel sie wollen. Sie sollten als Sextourist auftreten. Lassen sie sich keine Perversion entgehen, die Thailand so bietet. Irgendwo im Umfeld des Sexgeschäftes sind unsere Täter zu finden. Sie sollen die Täter liquidieren, ohne sich von den Thais erwischen zu lassen. Ihr Job ist geschafft, wenn keine schwanzerstickten Leichen mehr auftauchen. Natürlich ist dies kein offizieller Auftrag. Wir wissen nichts von ihnen. Wir dürfen keinerlei politische Komplikationen zulassen. Daher geben wir ihnen keine Rückendeckung und wir werden ihnen auch nicht helfen, wenn sie in Thailand im Gefängnis landen.«

»Das ist schon klar, wenn Berty mit von der Partie ist. Das kenne ich auch gar nicht anders von ihm.« Frank nickte seinem ehemaligen Chef grinsend zu. »Wieso greift der BND nicht auf sein eigenes Personal zurück?«

»Ich sag's nicht gern, aber wir haben zurzeit keine geeigneten Leute dafür.«, antwortete Wankel.

»Aha, die Herren mögen nicht mehr töten, was? Ja, ja, lausige Zeiten. Das war auch mal anders. Und wenn ich den Auftrag nicht annehme?«

»Lizenzentzug und Pressekampagne, die sie als Verräter der Neonazis enttarnt. Sie werden als V-Mann gebrandmarkt und militante Naziorganisationen erhalten ihre Adresse und Personendaten«

»Entlohnung?«

»2.000 Euro pro Tag, 100.000 Euro pauschal für die Liquidierung der Täter und unbegrenzte Spesen. Sie haben aber höchstens drei Monate Zeit, den Auftrag zu erledigen. Wenn sie es nicht schaffen, werden sie an die thailändischen Behörden verraten.«

»Schickt mir Unterlagen, Travellerschecks und ein Flugticket. Ich starte nächste Woche.«

*

»Er soll hereinkommen«, hörte Polizeileutnant Lontan die Stimme des Touristikministers aus der Gegensprechanlage. Der persönliche Sekretär des Ministers nickte ihm zu. Pohn nahm Haltung an, bewegte sich militärisch steif ins Arbeitszimmer des Ministers, stoppte zehn Schritte vor dessen Schreibtisch und salutierte.

»Schon gut, Pohn.« Der Minister winkte ab und erhob sich hinter seinem riesigen Schreibtisch aus bestem Mahagoni von einem bequemen Ledersessel. »Nehmen sie doch bitte in der Sitzgruppe Platz.« Er kam auf ihn zu, begrüßte ihn mit einem kurzen Kopfnicken und geleitet ihn zu einer exklusiven Möbelgarnitur, die Pohn bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Fast ehrfürchtig setzte er sich in einen Sessel, von dem er wusste, dass sogar König Bhumipol schon einmal in ihm gesessen hatte. »Irgendwie sehen die Möbel im Fernsehen viel festlicher aus«, dachte er kurz bei sich. »Sonderbar.« Auf einem kleinen Tischchen standen Tee, Kaffee und westliches Gebäck. Das Arbeitszimmer des Ministers hatte die Ausmaße eines buddhistischen Tempels, wirkte aber ansonsten überhaupt nicht thailändisch auf ihn. Nicht einmal asiatisch.

»Nun, Pohn, sie wissen, warum ich sie kommen ließ?«

»Ja, Herr.« Pohn nickte ehrerbietig.

»Und, wie stehen die Dinge?« Der Minister lächelte geschäftsmäßig freundlich.

»Leider wissen wir sehr wenig, Herr. Die Kriminalpolizei geht davon aus, dass es sich um die Taten eines verrückten aber raffinierten Einzelgängers handelt. Die Verstümmelung der Toten lässt darauf schließen, meinen sie, und auch, dass nie irgendetwas geraubt wurde. Sie haben allerdings keine brauchbaren Spuren und befinden sich mit ihren Ermittlungen in einer Sackgasse.«

Das Lächeln des Ministers gefror ein wenig während Pohns Ausführungen.

»Pohn«, sagte er dann sanft, »die Ermittlungen der Kriminalpolizei sind mir bekannt. Ich möchte wissen, wie weit ihre Arbeit gediehen ist. Verstehen sie?«

»Ja, Herr.« Pohn krächzte. Der Hals war ihm trocken geworden.

»Möchten sie Tee oder Kaffee?« fragte der Minister scheinbar mitfühlend. Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte er einen Knopf, der unter dem Tischehen angebracht war, und fast augenblicklich erschien ein junges Mädchen in Landestracht Ein herrlicher folkloristischer Anblick, obwohl er in der Atmosphäre des Raumes fehl am Platze schien. Sie begrüßte den Minister und seinen Gast, indem sie die gefalteten Hände bis an ihre Stirn führte und sich verbeugte. Die unterwürfigste Form der Begrüßung. Der Minister reagierte mit einer für Herrscher üblichen flüchtigen Faltung seiner Hände vor der Brust. Lontan führte seine geschlossenen Fingerspitzen der Höflichkeit halber bis zum Kinn.

»Tee oder Kaffee?« fragte sie Pohn, der auf den Tee wies. Sie schenkte ihm als Gast zuerst ein. Der Minister nahm Kaffee. Dann verschwand sie wieder, wie eine flüchtige Erscheinung.

»Nun?« hörte Pohn die Stimme des Ministers, als er nach einem ersten Schluck Tee gerade seine Tasse absetzen wollte. Panik stieg in ihm auf. Anstatt die entstandene Pause zur Überlegung einer wohlformulierten Antwort zu nutzen, hatte er nur auf das Mädchen gesehen und sich mit Neidgedanken auf die höher gestellten Herren beschäftigt.

»Wir haben alles unternommen, was in unserer Macht steht. Jedes registrierte Mädchen in Bangkok, Cha Am und Pattaya ist in den letzten drei Monaten verhört worden. Die Kriminalpolizei hat alle vorbestraften Gewalttäter durchleuchtet. Die Touristenpolizei kontrolliert permanent alle Stundenhotels. Wir machen jede Nacht überraschende Razzien und stellen Personalien fest. Wir…«

»Pohn.« der Minister zog seinen Vornamen in die Länge, ganz so wie sein Vater es früher getan hatte, wenn er mit ihm unzufrieden war. »Ich will nicht wissen, was sie alles angestellt und unternommen haben. Ich brauche Ergebnisse. Können sie einen weiteren dieser abscheulichen Morde ausschließen? Das ist für mich wichtig.«

Pohn hüstelte verlegen. »Nein, ich fürchte nicht, Herr.«

»Das ist aber schlecht.« der Gesichtsausdruck des Ministers hatte jede Freundlichkeit verloren. »Verstehen sie mich richtig, Pohn. Sie sollen die Untaten nicht aufklären. Sie sollen solche Morde unmöglich machen — mit allen Mitteln. Verstehen sie? Wenn mir auch nur noch ein derartiger Mord zu Ohren kommt, Pohn Lontan, werden sie uralte traditionelle Strafen kennenlernen. Lesen sie mal nach, was der König noch im letzten Jahrhundert erfolglosen Untertanen angedeihen ließ. Haben wir uns verstanden?«

»Ja, Herr.«

»Die Presse haben sie bisher ja ganz prachtvoll herausgehalten, Pohn.« fuhr der Minister dann wieder im Plauderton und mit lächelndem Gesichtsausdruck fort. »Das haben sie gut gemacht. Halten sie es weiter so!«

Pohn sprang sofort aus seinem Sessel hoch, als er merkte, dass der Minister Anstalten machte, sich zu erheben.

»Ach ja, Pohn.« Der Minister war zu seinem Schreibtisch gegangen. »Ich habe hier noch eine Akte für sie. Aus Deutschland vom Bundesnachrichtendienst«, fuhr der Minister fort. »Die Deutschen schicken uns einen Killer, der den perversen Touristenmörder beseitigen soll. Machen sie was daraus, Pohn. Nutzen sie ihn oder nicht. Nur ihr Geschmack entscheidet.« Der Minister hatte seine geschäftsmäßige Freundlichkeit zurückgewonnen. »Auf keinen Fall darf der Mann hier sterben. Vorerst zumindest nicht. Nur ich kann diese Anordnung widerrufen. Klar, Pohn?«

»Ja, Herr.«

»Gut. Sie können gehen.«

»Kob khun krap -Danke sehr-, Herr.« Lontan verbeugte sich tief, verließ den Raum und ging grußlos hastend durch das Vorzimmer.

»Wie soll ich das denn lesen?« fragte er sich laut selbst im Fahrstuhl, als er in der deutschen Akte blätterte. Dann atmete er tief durch. »Es hätte schlimmer kommen können«, dachte er. »Es hätte wirklich schlimmer kommen können.«

Da saß er nun mit zwei Bangkok-Tickets im Taxi zum Flughafen und überlegte, ob er dass BND-Ticket für die SAS über Kopenhagen oder das Ticket der Frau Williams für die Lufthansa über Frankfurt verwenden sollte.

»Ist es ihnen schon einmal passiert, dass zwei Menschen, die sich vorher nie gesehen haben, an ihr Taxi treten, und beide wollen in die gleiche Straße gefahren werden?« fragte Frank unwillkürlich seinen Fahrer.

»Öfter als sie glauben würden«, bekam er zur Antwort. »Manchmal habe ich gerade hier am Flughafen das Gefühl, die Leute würden sich vorher absprechen, um Geld zu sparen. Aber das ist natürlich Blödsinn. Die kommen aus völlig verschiedenen Maschinen und merken erst bei der Diskussion, wer denn wohl zuerst am Taxi gewesen ist, dass sie das gleiche Ziel haben und freuen sich dann. »

»So, so,« war die einsilbige Antwort Franks, der wieder in grüblerisches Schweigen verfiel und die Hoffnung des Taxifahrers auf ein Gespräch enttäuschte. »Ich mag solche Zufälle nicht«, dachte er. »Zwei verschiedene Aufträge für Bangkok innerhalb von drei Tagen. Aber was soll es. Ich habe 30.000 Euro in Travellerschecks, 25.000 Euro auf meinem Visakonto und ein Flugticket im Wert von 8.000 Euro, das ich verscherbeln kann. Ich habe zwei Jobs, die belebende Aufregungen versprechen und ich kenne Thailand noch nicht.« Er beschloss, sich später zu sorgen.

Am Flughafen stellte er fest, dass die SAS-Maschine zwei Stunden früher in Bangkok ankommen würde. Er hatte noch ein wenig Zeit bis zum Abflug, also gab er das Lufthansa-Ticket zurück und begab sich zur Filiale einer deutschen Großbank Er bemerkte sofort den verächtlichen Gesichtsausdruck der ältlichen Dame hinter dem Bankschalter, den diese sich gönnte, als sie erfuhr, dass Frank 8.000 Euro in thailändische Baht umgetauscht haben wollte.

»Machen sie sich keine Sorgen«, sagte er lächelnd, während sie ihm 112.000 Baht vorzählte. »Ich werde nicht alles vervögeln. Ein bisschen geb' ich auch fürs Essen aus.«

Sie gab ihm keine Antwort, schaute nur auf das Geld in ihren Händen und begann mit dem Vorzählen noch einmal von vom.

In der kleinen Turbopropmaschine nach Kopenhagen nahm er seine Gedanken wieder auf. Beide Aufträge waren eigentlich reine Killeraufträge. Gut, der BND, der nur zu gut über seine GSG-9-Zeit informiert war, wusste, dass er gelegentlich bereit war, Kapitalverbrecher zu töten. Vor allen Dingen dann, wenn die Gefahr bestand, dass sie von einem Gericht wegen der Beweislage gar nicht oder nur sehr milde bestraft würden. Und es musste sich für ihn lohnen. Er tötete nicht aus Idealismus und erst recht nicht aus Vergnügungssucht. Aber wieso kam Melanie Williams auf die Idee, sie könnte ihn als Killer für ihren Mann anheuern?Er hatte schließlich keine Zeitungsannoncen aufgegeben, etwa nach dem Motto: »Killer sucht Erweiterung seines Betätigungsfeldes«. Niemand wusste etwas von seinen gelegentlichen Henkerstätigkeiten. Alle privaten Hinrichtungen der letzten Jahre hatte er als Notwehrakte hinstellen können. Selbst seinen Auftraggebern gegenüber. Aber vielleicht hatte die Williams einfach nur einen Versuchsballon gestartet. Vielleicht hatte er aber auch schon zu viele Notwehraktionen hinter sich gebracht, so dass die Unterwelt sich ihren Teil dachte.

Das Kabinenpersonal reichte einen Abendsnack Frank nahm das zum Anlass, seine Grübeleien vorläufig zu beenden. Er hatte sowieso das Gefühl, sich dabei im Kreis zu bewegen.

»Hören sie, junger Mann«, sagte die Stewardess der Boeing 767, die Frank von Kopenhagen nach Bangkok bringen sollte, »die Touristenklasse befindet im Heck der Maschine, hinter dem letzten Vorhang.« Die dänische Stewardess hatte ihn auf Deutsch angesprochen.

»Wieso sieht man, dass ich aus Deutschland komme«, ärgerte sich Frank in Gedanken, um dann laut zu antworten: »Ich sehe nur so aus, als wenn ich in die Penner-Lounge gehöre, liebe Frau, aber ich habe eine blaue Boarding-Card. Sehen sie?« Er hielt ihr Ticket und Boarding-Card vor die Nase und grinste breit über sein tagelang nicht rasiertes Gesicht. Die junge, blonde Stewardess errötete ein wenig, so dass ihm seine Pampigkeit fast leid tat. Schließlich wusste er, dass er mit seinem Jeanshemd, dem Stoppelbart und der ungepflegten Frisur den Eindruck erweckte, eigentlich unter Brücken zu nächtigen. Sie war niedlich, fast kindlich, wie er jetzt bemerkte. Wahrscheinlich noch neu im Job. »Verzeihen sie mir bitte meinen eigenartigen Humor«, versuchte er die Situation zu retten.

»Es war mein Fehler, verzeihen sie mir«, bekam er zur Antwort. Sie lächelte erleichtert. »Ihr Platz befindet sich im Gang auf der anderen Seite. Gehen sie am besten vorn durch die Küche.«

Der Flug sollte zehn Stunden dauern und so machte Frank es sich in dem breiten Sessel der Business-Class bequem und studierte seine Unterlagen. Der BND hatte ihm einen ganzen Aktenordner über die Mordserie mitgegeben. Die thailändischen Untersuchungsergebnisse gab es in englischer Sprache. Er schaute sich die deutschen Fälle durch. Sechs Männer zwischen 25 und 62 Jahren waren alle auf die gleiche bestialische Weise umgebracht worden, sie hatten offensichtlich nur eine Gemeinsamkeit, sie waren Sextouristen. Sie kamen aus den unterschiedlichsten Berufen. Zwei waren ledig, die anderen verheiratet, drei von ihnen hatten Kinder. Alle sechs waren allein nach Bangkok gefahren. Keiner kannte den anderen, keiner von ihnen stand in Verbindung zu Rauschgiftkreisen. Alle entstammten dem eher bürgerlichen Milieu. Frank betrachtete sich das Fotomaterial genauer. Die Kopfaufnahmen wirkten unglaublich brutal. Weit aufgerissene Augen verkündeten Schmerz, ungläubiges Erstaunen und panische Angst. Ein blutiger Stumpf ragte aus den Mündern. Offensichtlich hatte man ihnen den erigierten Penis zusammen mit dem Hodensack abgeschnitten, ihnen die Nasen zugehalten, bis sie die Münder vor Schmerz oder nach Luft ringend aufrissen, um ihnen dann den Penis so tief in den Schlund zu drücken, dass sie erstickten. Der ganze Kopf und der umliegende Bettbereich war blutbesudelt »Ein Bild zum Kotzen«, dachte Frank Schaper bei sich, obwohl er schon einiges an verunstalteten menschlichen Körpern gesehen und auch selbst verursacht hatte. Alle waren wehrlos gewesen. Gefesselt; an Bettpfosten, mit Handschellen, Seidenschals oder Stofffetzen. Da keinerlei Kampfspuren an den Tatorten gefunden worden waren, musste man davon ausgehen, dass die Fesselungen freiwillig im Rahmen von Sexspielen erfolgt waren. Auf allen Opfern fanden sich Spuren von Erbrochenem, besonders im Bereich des Unterleibs und auf den Brustkörben. Den Unterlagen war nicht eindeutig zu entnehmen, ob der Mageninhalt von den Opfern stammte. Schaper hielt es für unwahrscheinlich, da das Erbrechen nach den Blutungen stattgefunden haben musste, denn das Erbrochene befand sich augenscheinlich über den Blutspuren. Aber nach den Blutungen hatten die Opfer ihre Geschlechtsteile in den Mündern, über diesen Umstand hatte sich scheinbar, sofern die Akten denn vollständig waren, noch niemand den Kopf zerbrochen. Sonderbar. Dafür hatte man untersucht und verneint, ob die Toten vorher noch zu einem Samenerguss gelangt waren. »Pech, meine Herren«, dachte Frank zynisch. »Viel Geld bezahlt, tot und nicht mal gut gefickt. Das Leben kann hart sein.« Die thailändische Polizei tappte gänzlich im Dunkeln. Keine Spuren, keine Beschreibungen von Tatverdächtigen, unbrauchbare Zeugenaussagen. Zumindest nicht in den Akten. Niemand konnte sagen, mit wem die Toten kurz vor ihrem Tod zusammen waren. Man wusste nicht einmal, ob sie sich mit einem Jungen oder mit einem Mädchen vergnügen wollten. Die Touristenpolizei war in Panik und die Kriminalpolizei hilflos. Ihre Überwachungsmethoden versagten ebenso wie ihre traditionell gut geschmierten Verbindungen zur Halbwelt des Sexgeschäftes. Dabei musste der Unterwelt selbst an einer raschen Beendigung der Mordserie gelegen sein, da tote Touristen dem Geschäft mit dem Sex abträglich waren. Wenn erst die grausamen Einzelheiten der Taten an die Öffentlichkeit gelangten, könnte man das gut florierende Geschäft mit Japanern, Australiern, Europäern und Amerikanern erst einmal vergessen. »Wirklich interessant,« dachte Frank, aber andererseits kann es doch nicht so schwer sein, ein paar Irre ausfindig und unschädlich zu machen.« Er schaute die Unterlagen daraufhin durch, ob die Polizei schon Versuche unternommen hatte, die Täter zu provozieren und in eine Falle zu locken. Fehlanzeige. »Das wäre doch das Naheliegende«, sagte er sich kopfschüttelnd.

Es gab wieder einmal etwas zu Essen an Bord und er schätzte die Verpflegung in der Business-Class. Also klappte er das Tischen vor sich herunter und harrte der Speisung.

»Sie fliegen nach Bangkok?« wurde Frank von seinem asiatisch aussehenden Sitznachbarn in Englisch angesprochen.

»Richtig«, antwortete er ihm ebenfalls in Englisch und nahm bei der Gelegenheit zum ersten Mal seine Umgebung bewusst in Augenschein. Er saß zusammen mit dem Asiaten, der sich später als Malaie auf dem Weg nach Singapur entpuppen sollte, in der Mitte der 8. Reihe des Fliegers. Zu seiner rechten Seite saßen zwei Skandinavier in Freizeitkleidung, die sich offensichtlich vorgenommen hatten, sämtliche kostenlos angebotenen alkoholischen Getränke an Bord zu testen. Direkt hinter Frank hatte sich ein fettleibiger Einzelreisender in den Sitz gequetscht. Viele Herren hatten sich offensichtlich der käuflichen Liebe wegen auf den langen Weg nach Thailand gemacht. Sie reisten allein oder mit ein bis drei Bekannten und Freunden. Leger gekleidet unterhielten sie sich auf die kumpanenhafte Art und Weise, die Männer so an sich haben, wenn sie auf der Balz sind. Aber es waren auch Geschäftsreisende an Bord. Anzugträger. Sie studierten Akten, machten Notizen, lasen die Wirtschaftsteile der Zeitungen oder hantierten mit Notebooks. Keine Frau unter den Fluggästen der ersten 18 Reihen, stellte Frank fest. »Tja, ja«, dachte Frank, »wenn die Säfte höher steigen, fliegt der Mann ganz gern zum Geigen.« Er lächelte ob seines gewaltigen Reimes. Der Malaie störte seine Betrachtungen. Er zupfte ihn am Arm. »Ich kenne mich sehr gut aus in Bangkok, du verstehst?«, brachte er in einem sehr nuscheligen Englisch hervor und zwinkerte vielsagend mit dem Auge.

»Toll für dich, Tiger«, antwortete er ihm breit lächelnd, in Deutsch.

»Ich verstehe nicht?«

»Ich sagte: Schön. Gut sie zu treffen.« Frank sprach wieder Englisch und setzte seine Kopfhörer auf, um dem Malaien deutlich zu machen, dass er das Gespräch für beendet hielt. Aber so schnell gab der nicht auf und betatschte so lange seinen linken Arm, bis Frank die Kopfhörer abnahm.

»Welchen Beruf haben sie?« wurde er gefragt.

»Heizungsmonteur. «

Ungläubiges Staunen in den Augen des Malaien. »Ich bin Rennfahrer«, sagte er dann nicht ohne Stolz und zerrte einen zerfledderten Zeitungsartikel aus seiner Hemdtasche. »Carts. Ich war bei der Weltmeisterschaft in Göteborg.«

Frank bekam den schwedischen Zeitungsartikel unter die Nase gehalten.

»Wahnsinn!« antwortete Frank ironisch. Der Typ nervte. Das ging ja gut los. Inzwischen war das Geschirr abgeräumt worden und Frank machte dem Malaien klar, dass er dem Film zuschauen wollte, der gerade startete, obwohl er an der angekündigten Schwarzeneggerdarstellung keinerlei Interesse hatte. Er setzte die Kopfhörer auf, stellte den Ton ab und versuchte einzuschlafen. Schließlich war es inzwischen ein Uhr nachts. Das Mahl war opulent gewesen. Vier Gänge — Shrimpscocktail, Omelette, Filetsteak und Eis mit Himbeeren —hatte er sich auftischen lassen. Das lag ihm jetzt, gut vermischt mit einem halben Liter französischen Rotweins, ein wenig auf dem Magen. Sein unruhiger Magen ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, Erinnerungen quälten ihn. Er war wieder im Gefängnis. Vergewaltigung, Darmriss, Krankenstation. Zierliche Thai-Mädchen. Erstes Liebeserlebnis. Erster Kill für Geld. Tommy isst die heiße Kartoffel. Hustet. »Was ist los, Tommy. Zu gierig, junger Mann?« Husten. Blaues Gesicht. Angstgeweitete braune Augen. »Tommy!!« Frank schreckte hoch und schaute sich hastig um. Niemand starrte in seine Richtung. Er hatte wohl doch nicht laut geschrien. Der Malaie schnarchte neben ihm. Der Film war durch, die Kabine abgedunkelt. Einige wenige betrachteten noch Videos mit Hilfe der Recorder, die man bei der Stewardess bekommen konnte. Frank konnte und wollte nicht mehr einschlafen, die gefürchtete Mischung aus Langeweile und Lustlosigkeit hatte ihn wieder einmal gepackt. Stationen seines Lebens schlichen sich kurz ins Bewusstsein. »Eigentlich habe ich nie gewusst, was ich wollte. Oder ich habe einfach nie etwas richtig gewollt.«, dachte er wieder einmal und merkte, wie ihn Selbstmitleid und Eigentrauer beschlichen. »Ich habe einfach kein Ziel. Nie hatte ich ein Ziel. Das Ziel des Lebens ist der Tod, wenn ich Heidegger richtig verstanden habe. Warten auf den Tod als Erfüllung des Lebens. Mein Gott, wie oft habe ich diesen Scheiß schon gedacht. Aber was tue ich. Essen, Trinken, Schlafen und gelegentliches Vögeln. Und als Höhepunkte und Lifethrills gönne ich mir kleine Abenteuerreisen auf Kosten anderer. Ich bin jetzt 38 Jahre, habe bisher nichts zustande gebracht und werde das wohl auch in Zukunft so halten.« Er lachte verächtlich in sich hinein.

Mit 20 Jahren schaffte er das Abitur, aber er hatte keine Ahnung, wie sein Leben weitergehen sollte. Die Einberufung zum Wehrdienst nahm ihm erst einmal jede weitere Entscheidung ab. Er ließ sich auf eine Dienstzeit von drei Jahren verpflichten, weil er dadurch von Anfang an über ein kleines Gehalt verfügen konnte. Nach 21 Monaten wurde ertrotz ausgesprochen mäßiger Leistungen zum Leutnant befördert. Offiziere waren damals knapp. Niemand, der einigermaßen geradeaus gehen konnte, fiel durch die Lehrgänge. Der ganze Jahrgang wurde komplett befördert. Dann folgten 15 Monate absoluter Gammeldienst Infanterie, Zugführer und stellvertretender Kompaniechef. Bewachung eines Munitionslagers, tödlich langweiliger Wachdienst. Und das am Arsch der Welt, im tiefsten Schleswig Holstein, wo selbst den Friesen nur das Saufen bleibt. Keine Lust zum Studium, Abschied von der Bundeswehr, Einstieg in den höheren Polizeidienst »Kommen sie zu uns. Wir übernehmen sie. Ihre Dienstzeit bekommen sie in voller Höhe angerechnet. Ja, auch die Wehrdienstzeit«. Inspektor bei der Kripo. Langweilige Routinejobs. Spurensicherungen für die Ablage. GSG-9 wurde gegründet. Terroristenabwehr versprach ein etwas aufregenderes Leben. Hunger nach Lifethrills wurde wach. »Na wie wär's, Schaper?«. »Ja, warum eigentlich nicht.« Das war eine für ihn typische Entscheidung. Man bot ihm etwas an, und er entschied sich mit einem: »Warum eigentlich nicht.« Er entschied sich nie positiv, er entschied sich nur nicht dagegen. Inzwischen war er 25 Jahre alt und seit einem Jahr verheiratet. Die erste Frau, mit der er zusammen in einer Wohnung lebte. Das Gefühl geliebt zu werden war angenehm, und er schätzte den regelmäßigen Geschlechtsverkehr. Ungern dachte er an die Solozeiten und die vielen vergeblichen Aufreißversuche. Er lief durch die Diskotheken und Partys und baggerte. Mit Glück bekam er die Reste der Nacht und häufig musste er sich die Jagdbeute erst noch schön saufen, um dann kläglich im Bett zu versagen. Oder er bekam gar nichts ab, legte sich um fünf Uhr morgens ins Bett und verkleisterte ein Taschentuch. Also sagte er sich: »Wieso eigentlich nicht.« und machte seiner Freundin den Vorschlag: »Lass uns doch einfach heiraten.« Frank lächelte bei dem Gedanken an die Hochzeit. Irgendwie war es nett. Auch die Zeit mit Jennifer. Ein Zupfen an seinem Arm brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Der Malaie war wach geworden, hatte gemerkt, dass Frank nicht schlief und fiel wieder lästig.

»Ich habe deine Bilder gesehen. Du stehst auf brutale Sachen, nicht? Ich kann dir so was besorgen.« gab er in leisem Verschwörerton von sich.

»Was?«

»Frauen und Männer lassen sich quälen. In Bangkok oder in Pattaya. Ganz billig.«

»Danke, mein Freund, kein Bedarf. Ich fliege nicht zum Ficken nach Bangkok. Geschäftlich habe ich da zu tun, verstehst du. Außerdem habe ich mit der Brutalkacke absolut nichts am Hut. Das waren Unfallbilder. So siehst du aus, wenn dir deine Heizung um die Ohren fliegt, weil du das selber hin gefummelt hast. Okay?«

»Ich kann dir auch andere sexuelle Kontakte in Bangkok beschaffen. Ganz billig. Huren so jung, wie du magst. Knaben, Kerle.«

»Ich habe wirklich keinen Bedarf, verstehst du? Ich bin impotent, ich kriege keinen mehr hoch. Nur noch mit dem Wagenheber.«

»Ja, ja, Ich verstehe. Hier meine Visitenkarte mit meiner Bangkok-Adresse«, antwortete der Malaie. Entweder verstand er kein Englisch, oder er war hoffnungslos blöd oder schlicht und einfach extrem hartnäckig. Frank befürchtete letzteres und nahm seufzend die Karte. Zufrieden drehte der Malaie sich auf die Seite und gab innerhalb von Sekunden wieder Schnarchgeräusche von sich. Frank schaute auf die Uhr. Noch vier Stunden. Er stellte den Sitz auf die Schlafposition, rückte das Kissen zurecht und zog sich die Schlafdecke ans Kinn. Er war fest entschlossen, seine Träume zu ertragen. Das hatte sich immer noch als die beste Medizin gegen depressive Stimmungen erwiesen. So sah er seinen achtjährigen Sohn jämmerlich ersticken, ohne ihm helfen zu können. Dann trug er Tommy auf dem Rücken zur Schule. Er erlebte seine eigene brutale Vergewaltigung im Gefängnis als Zuschauer und konnte sein gequältes Gesicht betrachten. »Sonderbar,« dachte er im Halbschlaf, »ich sehe mir selber zu. Warum habe ich kein Mitleid mit mir?« Dann wieder saß er mit Thomas in der U-Bahn. »Volksdorf, aus den hinteren drei Wagen bitte nach vorne umsteigen.« Abkoppelungsmanöver. Beerdigung. Des Pfarrers Geschwätz. Er drohte umzukippen. Irgendjemand will ihn an den Schultern zu Boden ziehen. Verschwitzt erwachte Frank. Der Dicke im Sitz hinter ihm musste zum Klo und hatte sich an Franks Sitzlehne hochgezogen. »Nie werden diese Penner lernen, den Sitz des Vordermannes nicht anzufassen, wenn sie aufstehen wollen«, dachte Frank. Aber dann war es ihm recht, dass er erwacht war. Die Stewardessen wieselten schon durch die Gänge, um das Frühstück auszugeben. Die Passagiere um ihn herum waren alle wieder munter. Der Service kam zu ihm und er wischte sich mit dem dargebotenen heißen Tuch Kopf, Nacken und Hände und widmete sich dem ausgezeichneten Frühstück.

Danach nahm er sich den relativ dünnen Briefumschlag zur Hand, den Melanie Williams in seinem Büro abgegeben hatte, und sichtete die Unterlagen. Ein Ganzkörperfoto ihres Mannes, irgendwo im Urlaub aufgenommen und sinnigerweise mit Vollbart und Sonnenbrille auf der Nase. Vom Gesicht war so gut wie nichts zu erkennen. Das Hochzeitsfoto, 16 Jahre alt, und eine Personenbeschreibung. Hubert Williams war demnach 1,88m groß, wog 95 Kilogramm, hatte blondgelocktes volles Haar und war 44 Jahre alt. Seine Leibesmitte wäre vor drei Jahren von einem deutlichen Fettpolster in Form eines Rettungsringes umgeben gewesen, schrieb seine Frau nicht ohne Häme. Außerdem hätte er einen Hang zu sehr jungen Mädchen und liebe sadistische Sexspiele. Um dies zu belegen, hatte sie zwei Magazine beigelegt, die er sich in Nachbarschaft des lauernden Malaien aber erstmals nicht ansah. Lolita 2000 und Nymphen bis aufs Blut gequält waren die Titel. Der Inhalt ging sicherlich nicht mit den deutschen Gesetzen konform. »Fein, mir so was mitzugeben«, dachte er. »Wenn man mich beim Zoll filzt, hinterlasse ich gleich den richtigen Eindruck.« Er beschloss, die Magazine einfach im Flugzeug zu lassen. »Am besten auf dem Platz des Malaien«, überlegte er belustigt. »Wollte Frau Williams ihren Mann lediglich als Riesenschwein darstellen, der den Tod allemal verdient hat, oder steckt noch eine andere Botschaft in den Magazinen?« Spontan erhob er sich und ging mit den Unterlagen zur Toilette. Die Magazine waren wirklich von der übelsten Sorte. Männer hatten Sex mit Kindern und Frauen wurden bei lebendigem Leib zerschnitten. Das schlimmste an den Aufnahmen war, dass sie nicht gestellt schienen. Echte Sexualmorde waren fotografiert worden. Ihm wurde übel und er musste sich zwingen, die Hefte nach Informationen abzusuchen. Er fand nichts. Weder Adressen, noch Telefonnummern, oder Kontaktanzeigen und auch nicht den geringsten Hinweis auf Thailand. »Sie will ihren Mann vermutlich nur in die ganz dreckige Ecke stellen«, beschloss Frank und ließ die Magazine hastig im Müllbehälter der Bordtoilette verschwinden. »Wenn er nur halb so clever ist, wie er eigentlich gewesen sein muss, um sein gigantisches Vermögen zusammenzutragen, würde seine Frau niemals derartige Magazine bei seinen Sachen finden. Außerdem hatte er vor drei Jahren seine Zelte in Deutschland abgebrochen, und da sollte er ausgerechnet eine derartige Visitenkarte hinterlassen haben?«

Frank ging auf seinen Platz zurück. Im Briefumschlag befanden sich noch drei Briefe von Hubert Williams an seine Frau und ein Fax an seinen deutschen Anwalt. Die Briefe waren in Bangkok, Pattaya und Cha Am abgestempelt worden. Das Fax stammte aus Pattaya. Er fand auch vergrößerte Fingerabdrücke des Gesuchten. Die schienen von der Polizei abgenommen worden zu sein. »Wo hat sie die denn her? Und bei welcher Gelegenheit hat man sie ihm abgenommen?« In seinem Lebenslauf, der ebenfalls beigefügt war, fanden sich keinerlei Polizeikontakte. Er hatte eine blütenweiße Weste. Nicht einmal das Finanzamt hatte etwas an ihm auszusetzen, Steuerprüfungen verliefen grundsätzlich positiv. Kopfschüttelnd steckte er die Unterlagen zurück in den Umschlag. Das schien schwieriger als befürchtet. Einen Deutschen in Thailand zu finden nur auf der Basis einer sehr vagen Personenbeschreibung, undeutlicher Bilder und ohne brauchbaren Anhaltspunkte über den möglichen Aufenthaltsort. Darüber hinaus verfügte der Gesuchte über ein sehr großes Vermögen. Drei Jahre hatte er keine Lebenszeichen von sich gegeben. Er konnte an jedem Ort der Erde sein. Bangkok war offensichtlich nur eine wenig belegte Vermutung seiner Gattin, weil er vor drei Jahren einige Briefe und Faxe aus Thailand nach Deutschland geschickt hatte, oder schicken ließ. »Das wird nicht einfach, Melanie Williams,« dachte er, »aber hoffentlich wenigstens ein bisschen interessant.«

Inzwischen befand sich die Maschine im Landeanflug auf Bangkok. Er packte seine Unterlagen zurück in seine abgewetzte Reisetasche. Klappte gemäß der Anweisungen das Tischchen hoch, brachte den Sitz in eine aufrechte Position und schnallte sich an. Dabei fiel ihm ein, dass er bei den END-Unterlagen nicht den kleinsten Hinweis auf die Zusammenarbeit mit der GSG-9 gefunden hatte. Die ganze Staatssekretärsbewachungsgeschichte kam in den Unterlagen nicht vor. Auch nicht, warum die GSG-9 sich überhaupt in Thailand herumtrieb. Der BND hatte Leute genug. In Thailand befand sich die asiatische Basis des BND. Und wieder fragte er sich, gerade als die Räder des Flugzeuges die Landebahn berührten: »Warum in aller Welt brauchen die mich? Vielleicht haben sie aber auch nur völlig neutrales Material zusammenstellen wollen, damit ich nicht auffalle, wenn ich gefilzt werde« versuchte er sich zu beruhigen »und daher jeden Hinweis auf BND oder GSG-9 vermieden. Ja, das wird es sein. Das könnten auch die Unterlagen eines Reporters sein, der sich Behördenakten gekauft hat. Ja, das war die Erklärung.«

»Rufen sie mich an«, bedrängte ihn der Malaie wieder, als er sich zum Aussteigen erhob und zwinkerte dabei wiederum heftig mit dem Auge. »In fünf Tagen komme ich aus Singapur nach Bangkok und werde mich dort drei Wochen aufhalten. Ich kann ihnen alles zeigen und besorgen. Sie gefallen mir. Ich kann ihnen viel Freude verschaffen.« Frank nickte und reihte sich schleunigst in die hinausdrängenden Passagiere ein.

*