Tonios Glück - Michael Wolfgang Geisler - E-Book

Tonios Glück E-Book

Michael Wolfgang Geisler

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Beschreibung

Es wird einmal sein, was in heutigen Tagen noch unter dem Schleier der Unkenntnis über das Kommende verborgen liegt: Dann existiert eine Zivilisation, in der das Glück und die Freiheit jedes Menschen verwirklicht sind.« Mit diesen Worten beginnt die Novelle. Sie erzählt von der Zukunft und dem Streben der Bewohner dieser Erde, dass ihre Wünsche wahr werden. Das Geschehen spielt in einer fernen Zukunft. Die Menschen haben vollkommen unterschiedliche Gesellschaften, die kaum miteinander in Kontakt stehen, gegründet. Tonio, ein anerkannter Wissenschaftler, lebt in der »Zivilisation« - einer von Technik und Maschinen gestalteten Wirklichkeit. Die Bewohner vertrauen ihr Dasein der Fürsorge von Robotern an und gleichen ihren technischen Helfern auf vielfältige Weise. Trotzdem begibt sich Tonio auf die Suche nach einer anderen Existenz. Er entdeckt eine Welt des Zweifels und der Sehnsüchte und begegnet einer Frau aus einer fremden Kultur. Gefühle und Gedanken, von denen er zuvor nichts ahnte, werden in ihm wach. Damit beginnt für ihn ein Aufbruch zu sich selbst und in eine ihm unbekannte Wirklichkeit. Doch kann er ganz auf sich allein gestellt seinen Weg finden? Michael Wolfgang Geisler erzählt spannend und mit Feingefühl vom Erleben seines Helden und den Abenteuern, die er zu bestehen hat. Die Novelle spielt in der Zukunft und doch ist, was dort beschrieben wird, von fast erschreckender Aktualität: Der Mensch steht vor der Entscheidung, sich der Technik anzuvertrauen oder die Herausforderung zur eigenen Entwicklung anzunehmen.

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EPUB
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Seitenzahl: 257

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Für Julia und Matheo

Michael Wolfgang Geisler

Tonios Glück

Eine Zukunftsnovelle

© 2021 Michael Wolfgang Geisler

Autor: Michael Wolfgang Geisler

Bild Umschlag: iStock.com/steve-goacher

Lektorat, Korrektorat: LektoRat Vita Funke, Freiburg

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN:

978-3-347-40446-5 (Paperback)

978-3-347-40447-2 (Hardcover)

978-3-347-40448-9 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Am Anfang von Entwicklung und Erkenntnissteht die Trennung.

Das Paradies wird verlassen.

Die Sehnsucht nach der Einheit bleibt.

Die Zivilisation

Es wird einmal sein, was in heutigen Tagen noch unter dem Schleier der Unkenntnis über das Kommende verborgen liegt: Dann existiert eine Zivilisation, in der das Glück und die Freiheit jedes Bewohners verwirklicht sind. Überaus leistungsfähige Technik, die allein dem Wohl der Menschen verpflichtet ist, garantiert ein Leben ohne Begrenzung.

Jeder Bewohner der Zivilisation lebt ohne Pflicht und allein zum Zweck seines Wohlergehens. Nach eigenem Ermessen gestaltet der Mensch die Welt. Von einem Gott, mit dessen Wirken das Schicksal alles Irdischen in Verbindung steht, existiert keine Vorstellung mehr. Die Mythen, die von der Vertreibung aus dem Paradies berichten, sind nicht mehr bekannt. Denn die Menschen sind keiner Bestimmung, Natur oder höheren Mächten unterworfen. Sie gestalten und beherrschen die Wirklichkeit.

Sie haben von den Maschinen, die selbst kein Verlangen kennen, gelernt, nur solche Bedürfnisse zu beachten, die strikter Vernunft entspringen. Denn diese ist in der Zivilisation alleiniger Maßstab für alles Geschehen.

In dieser fernen Zukunft steht Energie im Überfluss zur Verfügung. Die Zivilisation beherrscht das Verfahren zur Verschmelzung von Atomkernen, um in gleicher Weise wie die Sonne Energie in beliebiger Menge zu erzeugen. Chemische Elemente, jedes Material und jede Apparatur können von Robotern gefertigt werden. Biologische Abläufe unterliegen exakt gesteuerten technischen Prozessen. Der Erfüllung aller Wünsche sind keine Grenzen gesetzt.

Diese Gesellschaft bedarf nicht mehr der Arbeit der Menschen. Technische Helfer, die über den Zugriff auf das gesamte Wissen der Zivilisation verfügen, erschaffen, was es zu erbauen gibt. Sie reparieren, reproduzieren und verbessern sich selbstständig. Sie dienen den Menschen ohne Einschränkung.

Jegliche Kommunikation erfolgt ohne Zeitverzug und über beliebige Entfernungen. Informationen werden in Form von Sinnbildern, Logoi genannt, zwischen Menschen und Maschinen übertragen. Ein Logos kennzeichnet einen Tatbestand, der sich aus mehreren Begriffen, zwischen denen eine Beziehung besteht, zusammensetzt. Auf diese Weise ist eine Verständigung schnell, effektiv und eindeutig möglich. Roboter steuern den Übersetzungsprozess zwischen den Logoi und den Gedanken, die sie kontaktlos direkt vom Gehirn ablesen und an dieses übermitteln.

Der Mensch steht im Mittelpunkt allen Geschehens. Maschinen folgen ihren Vorgaben, und diese sind vollständig auf die Interessen der Bewohner ausgerichtet, auf ihr Glück und ihre Freiheit.

Jeder Bewohner verfügt über einen oder mehrere persönliche Roboter, die als T.A.S. bezeichnet werden. Hierbei handelt es sich um ein vernetztes System verteilter Rechnerleistung und ortsgebundener Maschinenfähigkeiten. Das Sinnbild »T.A.S.« steht für den Logos: »Technik, die den Menschen stets und in jeder Situation unterstützt.«

Alle Belange der Menschen werden von den T.A.S. verwaltet. Existierte zu Beginn der Zivilisation hinsichtlich öffentlicher Angelegenheiten noch ein Dialog zwischen den Bewohnern, so wurde dies durch die vollständige Perfektionierung der Roboter überflüssig. Die technischen Helfer bewerten und steuern zuverlässig die Geschehnisse. Ein Austausch der Menschen untereinander ist nicht notwendig. Keiner bedarf des anderen. Maschinen vollbringen jegliche Dienstleistungen und Aufgaben.

Die Roboter erfüllen nicht allein alle materiellen Bedürfnisse des Menschen, sondern optimieren gleichfalls seine neuronale Aktivität. Ein Bewohner der Zivilisation muss nichts denken, fühlen oder empfinden, was ihm missfällt und nicht zu seinem Wohlbefinden beiträgt. Durch eine virtuelle Kopfhaube werden alle Zustände des Gehirns erfasst und dem persönlichen T.A.S. übermittelt. Dieser berechnet, wie ein optimaler Datenfluss hergestellt und realisiert werden kann. Auf solche Weise sichern die Roboter das Glück des Menschen. In der Zivilisation betrachten sich die Individuen als vollkommen frei. Sie besitzen die absolute Entscheidungsgewalt über ihre technischen Helfer.

Auch die Reproduktion der Menschen wird technisch gesteuert und von Maschinen verwaltet. Aus einem Fundus von Genmaterial züchten die Roboter neue Individuen. Die Optimierung der neuronalen Aktivität und Zuführung von Nahrung sichert die Entwicklung des Nachwuchses. Die Befriedigung aller Bedürfnisse erfolgt auf die bestmögliche Weise. Über Lernprogramme werden die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt.

In dieser kommenden Zeit wird es neben jener Zivilisation noch viele weitere Kulturen geben. Sie existieren unabhängig voneinander und erlauben ganz verschiedenartige Daseinsformen.

Ein Anruf

Tonio stimmt dem Gedankenaustausch zu. In der Verbindungsanfrage wurde ihm übermittelt, dass es sich um den ihm bekannten Forscher Candidus handelt, der mit ihm in Kontakt treten möchte.

Tonio sitzt im Arbeitszimmer seines Anwesens, als ihn der Anruf erreicht. In diesem Raum hält er sich häufig auf. Besonders gerne widmet er sich hier mathematischen Fragestellungen. Er ist ein Mann in den Dreißigern, hat dunkle, fast schwarze Haare, braune, leicht oval geformte Augen und eine hellbraune Hautfarbe. Seine Gesichtszüge sind weich. Wie alle Bewohner der Zivilisation besitzt er eine schlanke Figur. Seine Schultern sind schmal und er macht einen zarten Eindruck. Doch diese persönlichen Eigenschaften sind für ihn ohne Bedeutung. In der Kultur, in der er lebt, findet die äußere Erscheinung eines Menschen keinerlei Beachtung.

Als Wissenschaftler hat er eine gewisse Bekanntheit erlangt. Seine Gedankensammlungen stoßen bei den Gelehrten der Zivilisation auf Anerkennung. Normalerweise beteiligt Tonio sich nicht an einer Diskussion über wissenschaftliche Erkenntnisse und lehnt Anfragen, wie er sie soeben von Candidus erhalten hat, ab. Er studiert lieber für sich das, was nach sorgfältiger Auswahl seine Aufmerksamkeit gefunden hat. Er meidet den Austausch und möchte nicht in einen Prozess von Anmerkungen, Fragen und Antworten eingebunden sein, der ihn möglicherweise nicht interessiert.

Doch in diesem Augenblick, kurz bevor er die Kontaktanfrage erhielt, hatte ihn eine gewisse Leere erfasst. Solche Momente, in denen ihm Inhalt und Beschäftigung fehlen, sind in der letzten Zeit häufiger geworden. Zweifel und Zwiespalt kommen dann kurz in ihm auf. Meist lässt er bei solchem Geschehen sogleich seine Gehirnströme durch den T.A.S. optimieren.

In der Zivilisation ist es für die Bewohner eine Selbstverständlichkeit, glücklich zu sein. Eine andere Erfahrung können sie sich nicht vorstellen. Ihre Gehirnströme lassen unter dem Einfluss eines T.A.S. keinen anderen Zustand zu. So sind ihnen normalerweise Erfahrungen von Leere oder Zweifel nicht bekannt. Auch Tonio könnte sich ganz dem Versprechen der Zivilisation anvertrauen, dass sich jeder Bewohner allzeit im Zustand des Glücks befindet. Er könnte stets alle seine neuronalen Aktivitäten von den Maschinen perfektionieren lassen. Sobald der Mensch vollständig unter dem Einfluss dieser Unterstützung lebt – was im Normalfall von den ersten Lebensstunden an der Fall ist –, fühlt er sich glücklich. Bei Tonio meldet sich jedoch ab und an Neugier. Dann stellt er Teile der Technik ab, und hierdurch ist es möglich, dass in ihm unbekannte und oft auch unangenehme Gefühle oder Gedanken aufkommen. Meistens weiß er in solchen Momenten nicht, wie er diesen Zustand einordnen soll. Obwohl ihn die auf solche Weise gemachten Erfahrungen durchaus erschrecken, meldet sich ein Verlangen, mehr von dem Geschehen zu verstehen. Daher experimentiert er hin und wieder mit dem Abschalten der Roboter. So ergeben sich für ihn kleine Ausflüge in andere Wirklichkeiten.

Nach seiner Erschaffung wurde Tonio der Kategorie der Forscher zugeordnet, die in der Zivilisation als §F ausgewiesen wird. Diese Bezeichnung trägt er auch als Titel. Unter dem Namen §F Tonio wird er als Autor von Datensammlungen geführt. Eigenschaften der Kategorie §F sind Wissensdrang, analytisches und rationales Denken, Konzentrationsfähigkeit sowie Interesse an Komplexität. Die Ausbildung der Eignung als Wissenschaftler wurde in seinem Leben gefördert. Auch er selbst versucht, seine Fähigkeiten beständig zu verbessern. Er absolviert fortwährend Schulungen, um seine Qualifikation zu erhöhen. Dabei hat ihn in den letzten Jahren insbesondere das Thema »Wahrheit« interessiert. Sein T.A.S. unterbreitet ihm täglich Vorschläge, welche Lernschritte er als Nächstes unternehmen kann. Tonio weiß, die ihn unterstützenden Maschinen beziehen in optimaler Weise seine Ausgangslage und Erkenntnismöglichkeiten sowie das vorhandene Angebot in ihre Berechnungen ein. Ein Roboter greift auf alle Datensammlungen der Zivilisation zurück, in denen das vorhandene Wissen komplett vorliegt. Tonio selbst wäre nie in der Lage, derart viele und unterschiedliche Daten zu erfassen und ihre Informationen zu beurteilen. Er vertraut den Maschinen.

Als Mensch der Kategorie §F gehört Tonio innerhalb der Zivilisation einer kleinen Gruppe an. Die meisten Bewohner wissen nichts von den Themen, mit denen er sich beschäftigt.

Als Wissenschaftler strebt §F Tonio danach, immer mehr Kenntnis über die Welt erlangen. Dieses Verlangen liegt in ihm. Zwar besteht keine Notwendigkeit für seinen Wissenserwerb. Alle Prozesse werden fehlerfrei von den Maschinen gesteuert. Eine Verbesserung oder Änderung von Abläufen durch den Eingriff von Menschen ist nicht erforderlich. Trotzdem: Tonio möchte forschen und entdecken.

Seine aktuellen Untersuchungen beschäftigen sich mit Fragen zur Analyse von großen Informationssammlungen. In der Zivilisation existiert eine ungeheure Menge an Daten. Alles – jedes kleinste Detail – wird für immer gespeichert. Die Frage nach der effektiven Nutzung dieser Informationen stellt sich mit ihrer Zunahme fortlaufend. Die von §F Tonio entwickelten Techniken und Theorien zur Auswertung sind in den Kreisen der Wissenschaftler auf Interesse gestoßen. Die technischen Helfer klassifizieren seine Gedankensammlungen mit AA2 – eine der höchsten Bewertungen. Sie werden mit Priorität für den Zugriff bereitgestellt. Dank seiner Forschungen wurden tatsächlich kleine Optimierungen in Datenspeicherungsverfahren eingeführt.

Seit kurzer Zeit interessiert sich Tonio für die Fragestellung, ob sich wissenschaftliche Aussagen zum Glück machen lassen. Hier stehen seine Forschungen noch am Anfang. In der Zivilisation wird Glück für das menschliche Leben als gegeben vorausgesetzt. Von daher handelt es sich um eine verwunderliche Idee, über die Grundannahme, dass jeder Mensch im Zustand einer Optimierung seiner neuronalen Aktivität glücklich ist, nachzudenken.

Tonio ist stolz, einen derart umwälzenden und ihn faszinierenden Forschungsansatz zu verfolgen. Er möchte das Undenkbare denken! Denn es geht im Leben darum, die eigenen Interessen zu verfolgen. Er weiß, die Beschäftigung mit der Frage, warum der optimierte Mensch stets und immerfort glücklich ist, wird ihm gefallen. So absurd dies auch erscheinen mag: Er möchte hinterfragen, was überhaupt nicht hinterfragbar ist. Denn was könnte der optimierte Mensch sonst sein, wenn nicht glücklich? Doch Tonio sieht sich als Forscher, der Neuland betritt und entdeckt!

Tonio wendet sich dem Gedankenaustausch zu.

»Ihre Überlegungen werden von mir geschätzt«, meldet sich §F Candidus. »Ich stehe vor Herausforderungen, zu deren Lösung ihr Beitrag von Bedeutung sein kann.«

Tonio hat den Kontakt auf automatisch gestellt. So kann die Diskussion in großer Geschwindigkeit ablaufen. Sobald die Übertragungsintelligenz feststellt, dass dem Empfänger Gedanken des Senders bereits bekannt sind, werden sie in dessen Gedächtnis freigeschaltet. Eine weitere Übertragung vom Gesprächspartner erübrigt sich. Dieser erhält fast zeitgleich eine Rückmeldung, dass sein Anliegen verstanden wurde. Übertragungen neuer Inhalte erfolgen erst dann, wenn eine Verständnisübereinstimmung von Sender und Empfänger gegeben ist. Fehleinschätzungen sind hierdurch unmöglich.

»Lassen Sie mich den Ansatz unserer aktuellen Forschung, die ich gerne mit Ihnen diskutieren möchte, erklären. Sie wissen, fortlaufend müssen bei den Menschen Teile des Naturkörpers ausgetauscht werden. Es liegen Störungen in ihrer Funktion oder bereits große Abnutzungserscheinungen vor. Sicher ist das keine Neuigkeit für Sie, und bisher wird dies allgemein als unumgänglich und zugleich als irrelevant angesehen«, berichtet Candidus.

»Ich weiß«, antwortet Tonio. Angesichts der Banalität des Übermittelten verliert er bereits das Interesse an dem Austausch.

Tonio ist nicht bekannt, wie sein Gesprächspartner aussieht, und er käme auch niemals auf die Idee, sich mit solchen Äußerlichkeiten zu beschäftigen. Es ist für ihn ohne Bedeutung, dass Candidus einige Jahre älter ist als er, eine helle Haut und blonde Haare sowie eine gewisse Härte der Gesichtszüge besitzt. Er weiß von den Forschungen seines Gesprächspartners und das genügt ihm.

Candidus ist ein Mensch, der sich vollständig der reinen Vernunft verpflichtet sieht und Gefühle als störende Überbleibsel längst vergangener Zeiten betrachtet, die eine Irrationalität befördern. Diese Haltung entspricht der zahlreicher Wissenschaftler in der Zivilisation.

Er sitzt vollständig entspannt im Arbeitsbereich seines Anwesens und konzentriert sich auf die Kommunikation. Er sucht einen fachlichen Austausch auf hohem Niveau. Er möchte, dass seine Forschungen zum angestrebten Ergebnis führen.

Candidus fährt mit seinen Überlegungen fort: »Wissen Sie, ich habe begonnen, die Tatsache des Ersatzes von Körperbereichen ganz prinzipiell zu untersuchen. Ich hatte sogar den Gedanken, ob der ständige Bedarf an Ersatz nicht die Grundannahmen aller Wissenschaft berührt. Zu einer derartigen Überlegungen wurde ich stark von der Kollegin §F Channah angeregt, die diese Forschungen mit mir begonnen hat. Es mag ungewöhnlich klingen, aber es stellt sich die Frage, ob Glück und Freiheit mit in die Analyse einbezogen werden müssen. Vielleicht geht solch ein Gedanke auch zu weit, jedoch ich möchte ihn nicht von vornherein ausschließen.«

Candidus sucht Tonios Rat zum Thema Glück. Als Tonio das erkennt, ist er hellwach. Sein Herz schlägt schneller. Sein T.A.S meldet sich und fragt, ob er alle Körperfunktionen in den Wertebereich »normal« korrigieren soll. Tonio verneint, obwohl er weiß, dass diese Option besser für ihn wäre. Denn derartig kraftvolle Reaktionen seines Körpers zuzulassen, führt genau zu dem höheren Verschleiß, von dem sein Gegenüber spricht. Immerhin schlägt in seinem Körper noch das Naturherz. Schon mehrfach wurde ihm der Vorschlag unterbreitet, es gegen ein haltbareres Modell auszutauschen. Doch irgendeine Irrationalität hält ihn hiervon ab. Sein T.A.S könnte M.A.S-Roboter, die auf alle Aufgaben der Körpererhaltung spezialisiert sind, herbeiordern. Die M.A.S stehen jederzeit zur Verfügung, da sie in großer Zahl produziert werden. In einer kleinen Operation würden sie sein Herz durch ein leistungsfähigeres technisches Produkt ersetzen. Ein absolutes Routineverfahren.

In diesem Augenblick scheint es Tonio angebracht, eine höhere Herzfrequenz zuzulassen. Obwohl er natürlich weiß, dass ein Zuviel der Emotionen die Rationalität des Denkens beeinträchtigt. Und statt auf die Anregung seines Helfers zur Optimierung einzugehen, fährt Tonio sogar die allgemeine Wohlfühlkontrolle herunter. Dadurch besitzt sein T.A.S. auf bestimmte Gehirndaten keinen Zugriff mehr. Erst wenn der Zustand »hoch erregt« überschritten werden sollte, muss der T.A.S sich wieder einschalten.

Diese Entschlossenheit und der Nachdruck, mit dem sich Tonio von Hilfen trennt, ist für ihn selbst überraschend. Er weiß um den Nutzen der Maschinen und zollt ihnen Anerkennung. Vernunft spielt die entscheidende Rolle in seinem Leben. Sich nicht vernünftig zu verhalten, darin erkennt er keinen Sinn, denn für einen Forscher kann es nur rationales Handeln geben. Für ihn existiert eine unumstößliche Wahrheit: Die Zivilisation ist perfekt!

Ein Bewohner der Zivilisation besitzt die vollkommene Freiheit. Menschen und technische Helfer werden als etwas grundsätzlich Verschiedenartiges angesehen. Die Roboter bilden ein alle Lebensbereiche umfassendes System, das ausschließlich für das Wohl der Bewohner existiert. Zwar reproduziert, erweitert und erneuert sich das Robotersystem selbstständig, doch die Menschen sind frei einzugreifen. Während ein technischer Helfer nur bei Zustimmung, die meist automatisch gesetzt wird, eine Optimierung des Gehirndatenstroms durchführt, kann ein Mensch jederzeit in das Verhalten und die Existenz einer Maschine eingreifen.

Tonio versteht die Funktionsweise der Roboter. Er hat die Prozesse der Datenbearbeitung, die zu dem Handeln der Maschinen führen, eingehend studiert. Es ist für ihn ungewöhnlich, Vorschläge seines T.A.S abzulehnen. In diesem Moment rechtfertigt er dieses Tun vor sich selbst damit, dass er zum Bereich Glück forscht und deshalb einen größeren Erfahrungsraum benötigt. Kurz geht es ihm durch den Kopf, dass diese Begründung vielleicht nicht seine gesamte Motivation berücksichtigt. Doch im Augenblick hat er nicht die Zeit, sich weiter damit zu beschäftigen. Er muss sich auf das Gespräch konzentrieren.

Die virtuelle Kopfhaube nimmt seine neuronale Aktivität auf und steuert darüber die Übertragung. Natürlich muss jeder Mensch den Umgang mit der Kopfhaube lernen, um ein höchstmögliches Maß an Eigenbestimmung zu erreichen, und er entwickelt sich in dieser Fähigkeit fortwährend weiter. Allerdings, Tonio beherrscht es meisterhaft, die Kontrolle über die gesamte Datenübertragung auszuüben.

»Lassen Sie mich zunächst über den Ausgangspunkt meiner Forschung sprechen«, fährt Candidus fort. »Unzählige Kunstmenschen, spezialisierte M.A.S., sind dabei, ständig Naturteile der Menschen auszutauschen. Dieses Vorgehen sichert die Existenz der Bewohner. Ich verfolge nun einen innovativen Ansatz und betrachte die Existenzphasen der Menschen, die durch diese Austauschaktivitäten verbraucht werden. Ein Tatbestand, der bisher keine Beachtung gefunden hat und auf den unsere T.A.S. nicht hinweisen.«

An dieser Stelle tritt eine Unterbrechung der Übertragung ein. Doch Tonio bleibt der Grund für diese Verzögerung verborgen: Denn Emotionen sind nicht Gegenstand einer Logoi-Übertragung zwischen Menschen. Und Candidus benötigt eine kurze Pause, weil die Informationen, die er nun übermitteln möchte, ihn selbst erstaunen lassen.

»Bisher ist es der Zivilisation nicht gelungen, das absolute Ende der Existenz eines Menschen zu verhindern. Die Beachtung der Tatsache eines Existenzendes wird durch die T.A.S im Automatikmodus aus den Gehirndaten eliminiert. Dadurch fließt sie nicht in unsere Überlegungen ein. Ich habe allerdings für meine Gespräche mit Wissenschaftlern und für die momentanen Forschungen meinen Helfer angewiesen, die Gedanken daran zuzulassen.«

Wieder stockt der Austausch.

»Unter Beachtung des Existenzendes zeigen die Berechnungen, die ich durchgeführt habe, das folgende Ergebnis: Für die Austauschphasen werden durchschnittlich 6,325 % der Zeit der Gesamtexistenz eines Menschen benötigt.«

»Ich lasse den Begriff Existenzende gleichfalls zu«, unterbricht Tonio den Gedankenfluss seines Gesprächspartners. Nun haben die Überlegungen sein Interesse gefunden. Der Austausch scheint sich zu lohnen. Allerdings wundert es ihn, dass Candidus den Begriff »Kunstmenschen« benutzt. Er selbst spricht stets von technischen Helfern oder wählt eine exakte Formulierung wie T.A.S oder M.A.S. »Kunstmenschen« scheint ihm als Bezeichnung zu ungenau. Sicher, die Maschinen als solche zu bezeichnen ist möglich, denn in vielem sind sie den Bewohnern ausgesprochen ähnlich. Doch Tonio ist Wissenschaftler, und was ein Mensch ist, ist eindeutig definiert. Die Bezeichnung »Kunstmensch« vermischt klar unterscheidbare Merkmale. Ein Bewohner der Zivilisation besitzt Freiheit und er ist glücklich. Beide Annahmen gelten für einen technischen Helfer nicht. Zudem: Ein T.A.S oder M.A.S besitzt kein Eigeninteresse und hat keine Bedürfnisse. Sein Verhalten wird durch den Algorithmus zur Auswertung der Datensammlungen bestimmt, der von den Bewohnern geändert werden kann. Sein Agieren ist in jedem Augenblick von der Anweisung oder Zustimmung der Bewohner abhängig, auch wenn die Roboter fast ausschließlich im Automatikmodus betrieben werden. Menschen handeln im Gegensatz dazu aus Eigeninteresse, besitzen Bedürfnisse und bestimmen über sich selbst! Sie sind glücklich und frei, während technische Helfer nur die Zustände von »An« oder »Aus« kennen.

»Gut.«

Für Tonio ist es ohne Bedeutung, dass sein Gegenüber in diesem Augenblick kurz angebunden ist und sich nicht unterbrechen lässt.

Candidus führt seine Überlegungen fort: »Dass wir in eine Verbindung gekommen sind, ist überaus hilfreich. Jedenfalls geht es um die Zeiträume der Ersetzung, jene 6,325 % einer Existenz, die ich berechnet habe und nun näher analysieren werde. Ich weiß, es wird argumentiert, sie seien bedeutungslos, da auch in diesen Zeiten die Optimierung der Gehirndaten gewährleistet ist. Das gilt auch, wenn sich die Erneuerung von Körperfunktionen als komplizierter als vorhergesehen herausstellt, was ja sehr selten der Fall ist. Aber Sie wissen, bei solchen Austauschoperationen wird die Eigenkontrolle des Probanden ausgeschaltet und setzt erst nach Vollendung des Auftrags wieder ein. Es entsteht somit ein Zustand, der als nicht gleichwertig mit anderen Existenzphasen angesehen werden kann. Auch wenn wir das Glück als weiterhin gegeben annehmen, so ist unübersehbar, dass die Freiheit in solchen Momenten nicht mehr sichergestellt ist. Eine Zivilisationsgrundlage wird verletzt, was ja eigentlich nicht sein kann.«

Candidus legt eine Gedankenpause ein. Er ist stolz auf seine Erkenntnis und möchte sie bei seinem Gegenüber wirken lassen. So ist er ein wenig enttäuscht, als Tonio sofort antwortet. Sein persönlicher T.A.S muss diese Datenlage augenblicklich korrigieren, damit der Impuls der Enttäuschung keine Auswirkung auf sein Befinden hat.

»Ich stimme Ihnen zu«, meint Tonio. »Sie beschäftigen sich damit, ob der Status Mensch in einer Phase fehlender Eigenkontrolle gegeben ist oder womöglich eine Annäherung an den Abhängigkeitszustand eines Roboters erfolgt.

Ein Mensch ohne Freiheit ist laut Definition kein Mensch. Außerdem wäre zu untersuchen, inwieweit Glück und Freiheit unabhängig voneinander sind oder ob sie sich gegenseitig beeinflussen. Sollte dies der Fall sein, dann führte eine Herabsetzung der Freiheit auch zu einem Glücksverlust.«

»Ja, das ist eine wichtige Überlegung: Bleibt der Status Glück gleich, je nachdem, ob in diesem Augenblick Freiheit gegeben ist – oder nicht? Eine ungewöhnliche Frage, ich weiß. Unsere Helfer stellen die Gehirndaten stets optimal ein. Trotzdem möchte ich das genauer analysieren«, fährt §F Candidus fort.

»Eine sehr interessanter Forschungsansatz«, merkt Tonio an. Er ist froh, dass die Aufregung, die er spürt, nicht Teil der Übertragung ist. Allerdings wiederholt er sich: »Sehr interessant«, sendet er ein zweites Mal.

Solch eine Wiederholung stellt ein vom Üblichen abweichendes Verhalten dar – insbesondere bei einem §F. Der T.A.S von Candidus wird das in seinem Protokoll über das Gespräch vermerken.

Doch dieser konzentriert sich im Moment auf anderes.

»Ich sehe, Sie verstehen die Ausgangslage. Lassen Sie mich nach meinen Vorüberlegungen zum Forschungsvorhaben kommen.«

Tonio schaut sich in seinem Arbeitsraum um. Sehr schön, denkt er, während er auf die weitere Übertragung von Gedanken wartet. Das Licht möchte ich ein wenig wärmer. Er stellt sich das vor, und im gleichen Augenblick ändert sich die Beleuchtung. Ein wenig mehr grün, wünscht Tonio. Alles erscheint in einem leichten Türkiston. So ist es gut. Meist überlässt er es seinem T.A.S, die Wohnumgebung zu gestalten. Größe, Farbe, Helligkeit sind variabel und sollen ausschließlich seinem Wohlbefinden dienen. Sein T.A.S weiß am besten, wie die optimale Ausgestaltung zu sein hat. In diesem Augenblick nimmt sich Tonio allerdings vor, dass er sich einmal selbst mehr mit all den Möglichkeiten beschäftigen möchte. Sein T.A.S wird ihn an dieses Vorhaben erinnern.

Nun meldet sich wieder sein Gesprächspartner. »Ich habe entschieden, den Menschen eine vollkommen andere Existenzform anzubieten. Und ich bin in meinen Forschungen auch bereits in eine Phase der Realisation eingetreten.«

Candidus sammelt seine Gedanken. Zugleich möchte er seine Information beim Gesprächspartner wirken lassen.

Tonio wartet gespannt auf weitere Erklärungen. Er lässt angesichts der innovativ klingenden Ankündigungen des Wissenschaftlers die gültigen Regeln für das Studiendesign aller Forschungen Revue passieren. Forschungen in der Zivilisation sind einem eindeutigen Regelwerk unterworfen, deren Einhaltung stets gesichert ist. Sind Menschen in die Studien einbezogen, müssen diese über alle Details informiert werden. Erst wenn sichergestellt ist, dass den Betroffenen alle möglichen Auswirkungen des Vorhabens bekannt sind, können sie, wenn sie möchten, teilnehmen. Die Freiheit jedes Individuums bleibt stets oberstes Entscheidungskriterium. Selbstverständlich muss jederzeit das Glücks- und Freiheitsniveau gehalten werden. Hiervon darf es nicht die geringste Abweichung geben. Was kann angesichts dieser Voraussetzungen so neu bei den Forschungen von Candidus sein?, fragt sich Tonio.

Er weiß auch, dass Forschungsprojekte in dem zuständigen Gremium einstimmig für geeignet angesehen werden müssen, sobald auch nur ein Mensch hiervon betroffen ist. Zudem: Die Roboter untersuchen alle Vorhaben und geben fehlerfreie Beurteilungen ab. Die technischen Vorrichtungen besitzen solch eine hohe Qualität, dass jegliche für die Entscheidungsfindung relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt werden.

Die Beschlussfassung der Menschen wird durch die Roboter exakt vorbereitet. Möglichkeiten und Risiken werden genau analysiert. Dieser technische Prozess ist derart zuverlässig, dass die Zustimmung der Menschen zu den Vorgaben der Maschinen stets gegeben wird. Es sind in der Zivilisation keine Abweichungen von den Empfehlungen der Roboter bekannt.

Tonio konzentriert sich wieder auf die Übertragung.

»Bei Menschen, die bereits von zahlreichen Funktionsstörungen ihres Körpers betroffen waren und vor weiteren längeren Austauschzeiten standen, wurde in einer kurzen Operation das Gehirn isoliert. Das bedeutet, alle Körperteile außer dem Gehirn wurden entfernt und nicht wie üblich ersetzt. Die auf diese Weise körperlich optimierten Menschen besitzen dieselbe Datenlage wie jeder andere. Aber – und hier liegt der Vorteil dieser Veränderung – alle weiteren Austauschphasen, abgesehen von auf das Gehirn bezogenen, entfallen. Diese Menschen besitzen – das ist meine These – mehr Freiheit als Menschen, die ständigen Operationen unterworfen sind.«

Tonio ist erstaunt. Eine solch umfassende Änderung hat er nicht erwartet.

»Hat Ihr T.A.S Ihnen dies vorgeschlagen?«, möchte er wissen. Dies wäre der naheliegende Grund.

»Nein. Diese Idee ist das Ergebnis meiner Forschung, die auf einer Analyse der Austauschphase beruht«, antwortet Candidus und Stolz erfüllt ihn.

»War es schwierig, die Zustimmung der Gremien zu erhalten?«

»Es ist sichergestellt, dass jederzeit der Körper mit allen Funktionen wieder ergänzt werden kann. Alle Überprüfungen der Kunstmenschen haben ergeben, dass dies ohne jede Einschränkung in kurzer Zeit möglich ist, sobald ein Mensch das verlangt. Die Roboter und dann natürlich auch die Kommission sind der Argumentation gefolgt, dass sich für die Freiheit und das Glück des Einzelnen keine Einschränkungen ergeben können.«

»Dem stimme ich zu«, meldet sich Tonio.

Candidus beachtet diese Anmerkung nicht und sendet weitere Informationen: »Wir haben nur solche Menschen in das Programm aufgenommen, die ihren Körper – außer dem Gehirn – für keinerlei Aktivitäten mehr genutzt haben. Bisher hat dieser Tatbestand, dass der Körper nicht benötigt wird, wenig Beachtung gefunden. Die Versuchsanordnung beinhaltet, dass der T.A.S jedes Teilnehmers um die Funktionalität erweitert wurde, genau die vertraute Umgebung und Wahrnehmung sowie das alte bekannte Körperempfinden über die Optimierung der Gehirndaten herzustellen. Für die Teilnehmer ergeben sich nicht die geringsten Abweichungen gegenüber dem vorherigen Zustand.«

»Sie arbeiten an einer umwälzenden Änderung«, bestätigt Tonio. »Ich bin gerne bereit, Sie zu unterstützen. Insbesondere interessiert es mich, auf die Grundannahmen Ihres Projekts zu schauen. Die Phasen der Freiheit sollen erhöht werden. Dazu muss ich mir noch weitere Gedanken machen. Unsere T.A.S werden einen weiteren Termin vereinbaren. Bis dahin studiere ich relevante Datensammlungen.«

»Das Angebot einer Zusammenarbeit nehme ich an.«

Der T.A.S übermittelt Tonio das Protokoll. Dieser studiert ein weiteres Mal das Gespräch. Sein technischer Helfer hat alle Aussagen mit einer Bewertung versehen. So ist die Feststellung einer Variabilität von Glück und Freiheit mit einer niedrigen Wahrscheinlichkeit gekennzeichnet. Candidus wird als ein gründlich arbeitender Mensch gekennzeichnet. Eine Zusammenarbeit mit ihm wird zu 83 % empfohlen.

Hervorgehoben ist, dass im Rahmen dieses Projekts eine Trennung von der Mitbegründerin §F Channah erfolgte. Es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen den beiden verantwortlichen Forschern. §F Channah hat eine Datensammlung zu dem Projekt angelegt. Tonio lässt seinen T.A.S diese für eine Durchsicht vormerken.

Gleichfalls weist der T.A.S auf eine weitgehende Gedankenübereinstimmung zwischen Candidus und Tonio hin. Hierdurch konnten bestimmte Passagen der Unterhaltung in großer Geschwindigkeit ablaufen.

Tonio bittet um einige wesentliche Kerndaten zu §F Channah. Sein T.A.S übermittelt Kennziffern:§F Channah hat die Zivilisation vor einem Jahr verlassen. Sie hat sich der Kultur ᾳT angeschlossen. Ihr Aufenthaltsort dort ist nicht bekannt. Aber möglicherweise existiert noch eine Altverbindung zu ihr. Dies muss verifiziert werden. Die Empfehlung für eine Zusammenarbeit liegt bei 6%.

Weitere Eckdaten:

- Gemeinsame Forschungen mit §F Candidus zur Ursache von Austauschprozessen körperlicher Funktionen und ihrer Optimierung.

- Forschungen zu früheren Kulturen. Veröffentlichung einer Gedankensammlung unter dem Titel »Reich der Notwendigkeit«. Empfehlung 14 %.

- Forschungen zu anderen Kulturen und eine vergleichende Betrachtung in Bezug auf die Zivilisation. Erstellung einer Gedankensammlung unter dem Titel »Nachbarkulturen«. Empfehlung 12 %.

- Zahlreiche Fortbildungen. In Übereinstimmung mit Tonio Erwerb einer Meisterschaft in alter Sprechweise.

Tonio gehört zu den Menschen, die die altertümliche Sprache beherrschen. Er hat es zur Meisterschaft auf diesem Gebiet gebracht. Diese Sprache wird bei der Entschlüsselung von Daten aus weit zurückliegenden Kulturen benötigt. Allerdings, einzelne Menschen haben auch unabhängig von Forschungsanliegen Freude an ihrer Nutzung. Sie formen mit Schlund, Zunge und Mund bei der Ausatmung genau festgelegte Schallwellen, die durch schnell wechselnde Frequenzen in sogenannten Worten langsam und schwer verständlich die Bedeutung der Logoi wiedergeben. Dies ist eine unterhaltsame Beschäftigung in Kreisen von Menschen, die sich auch hin und wieder zu körperlichen Begegnungen zusammenfinden. Tonio nimmt an solchen Treffen allerdings nie teil.

Weiterhin zu §F Channah:

- Hochwertige Ausbildung. 93 % Eignung als Forscherin.

Tonio genügen diese Angaben zunächst. Er weist seinen technischen Helfer an zu recherchieren, inwieweit noch eine Altverbindung zu §F Channah existiert. Was ihn zu diesem Vorgehen bewegt, kann er nicht rational begründen. Doch er spürt ihm unbekannte Gefühle. Sein T.A.S. kontrolliert weiterhin nicht den Wohlfühlbereich.

Angeregt durch die gerade übermittelten Aussagen überlegt Tonio, wie es sich mit einer Ausübung der alten Sprache verhält, an der einige Körperteile wie Lunge, Schlund, Zunge und Mund beteiligt sind, wenn eine Isolation des Gehirns stattgefunden hat. Er kommt zu dem Schluss, dass auch auf diesem Gebiet keine Beeinträchtigung der Menschen zu erkennen ist. Das beruhigt ihn. Die M.A.S können die Erzeugung von Schallwellen übernehmen, falls dies gewünscht wird. Eine eigenständige Bewegung des Atem- und Mundbereichs ist dafür nicht notwendig.

Und ein weiterer Gedanke meldet sich, da er sich mit dem Körper beschäftigt. Er beachtet diesen jedoch nicht, weil er ihm zu fremd und absurd erscheint. Es ist die Überlegung, welches Aussehen das Gesicht von Channah besitzt. Wie ist ihr Mund geformt? Welche Farbe besitzen ihre Augen? Er weiß von Bildern, dass Menschen sich in ihrem Aussehen unterscheiden, auch wenn das Thema der äußeren Erscheinung noch nie seine Aufmerksamkeit gefunden hat. So verfolgt er auch jetzt nicht weiter, was ihn im Inneren bewegt.

Ungewöhnliches hat Tonio in diesem Gespräch mit Candidus erfahren. Noch ahnt er nicht, wie sich hierdurch sein Leben ändern wird.

Channah

Einige Wochen sind vergangen. Tonio ist überrascht, wie sehr ihn die Wissenschaftlerin §F Channah beschäftigt. Immer wieder schiebt er die Gedanken an sie beiseite, doch sie lassen sich nicht abstellen. Da er weiterhin die Kontrolle seiner Emotionen über längere Zeiträume nicht vollständig an seinen T.A.S übergibt, stellt er verwundert fest, wie wohlig sich diese Gedanken anfühlen. Um mehr Informationen über seinen Zustand zu erhalten, lässt er seine Gehirndaten von einem spezialisierten technischen Helfer, einem Monitor, analysieren.

Dieser weist darauf hin, dass bei Tonio eine feste Vorstellung von der Forscherin existiert, welche fortwährend in seine Wahrnehmung tritt. Solch ein Verhalten steht in Bezug zu wesentlichen Ereignissen, Dingen oder Personen, übermittelt der Monitor. Allerdings kann er nicht feststellen, warum diese Wissenschaftlerin solche Bedeutung für ihn besitzt. Tonio bezieht die Aussage auf sein Interesse an den Erkenntnissen von §F Channah. Er nimmt sich vor, mehr über ihre Forschungen in Erfahrung zu bringen.

Der Monitor diagnostiziert weiterhin starke Gefühlsschwankungen und empfiehlt, die Aufsicht über das Wohlbefinden ausschließlich an den T.A.S. zu übergeben. Doch Tonio folgt dem nicht. Er ruht im Wohnbereich seines Anwesens und lässt es zu, dass ihn unbekannte Emotionen überwältigen. Es scheint ihm, als wären diese in verschiedenen Bereichen seines Körpers lokalisiert – insbesondere spürt er sie in der Bauchregion. Was er wahrnimmt, fühlt sich angenehm an.

Ich muss lernen, all das, was mir geschieht, zu verstehen, überlegt Tonio. Doch zunächst möchte ich mich den Gedankensammlungen von §F Channah widmen. Der T.A.S. empfiehlt ihm erneut, seine Emotionen optimieren zu lassen. Jetzt folgt er dem Rat.

Er weist seinen technischen Helfer an, ihm zunächst besonders ungewöhnliche und neue Gedanken auszuwählen, auch wenn sie mit geringer Relevanz gekennzeichnet sind. Jede Information, die ein Roboter übermittelt, ist mit einer Gewichtung versehen. Dies stellt eine Bewertung dar, inwieweit dieses Thema Bedeutung für den anfragenden Menschen besitzt. Normalerweise beschäftigen sich die Bewohner nur mit Informationen hoher Relevanz.

Der Roboter beginnt mit der Übertragung: Untersuchungen zur Existenzenderate. Erstellt auf einer qualitativ hochwertigen Datenbasis. Die Relevanz für Tonio ist kleiner als 5 %.

Tonio merkt auf. Seine Gehirndaten liegen in einem optimalen Bereich für wissenschaftliche Tätigkeit. All die aufregenden Gefühle, die ihn zuvor durchströmten, existieren nicht mehr. Dass Informationen zum Existenzende erstellt wurden, war ihm nicht bekannt. Solch ein Thema ist nicht Gegenstand der üblichen Forschungen.

Sein T.A.S. fährt fort. §F Channah hat für die Zivilisation eine durchschnittliche Lebensdauer seiner Bewohner von 39,47 Jahren errechnet.