Die Welle des Olymp - Michael Wolfgang Geisler - E-Book

Die Welle des Olymp E-Book

Michael Wolfgang Geisler

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Beschreibung

Dem Menschen ist es bestimmt, eingebettet in die Vielfalt seiner Gefühle und Gedanken Erfahrungen zu machen. Wohin führen diese? Welche Kräfte kommen zur Entfaltung? Besitzt der Mensch ein Schicksal, welches er erfüllen muss, und was bedeutet es, Herr seiner selbst zu sein? Bei einem Sportwettkampf lernen sich Britta und Bernhard kennen. Britta temperamentvoll, unruhig und voller Erwartung fordert Beachtung und Anerkennung. Bernhard trägt die Sehnsucht nach Harmonie und Verständigung in seinem Herzen. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg und ahnen von ihrer tiefen Zusammengehörigkeit. Familie und Kinder liegen auf dem gemeinsamen Weg. Glück und Erfüllung soll das Leben schenken. Doch dieses bleibt stets Herausforderung und bringt gleichfalls Missverständnis und Verletzung mit sich. Denn, was dem Einzelnen fehlt, wird vom Gegenüber eingefordert. Bernhard liebt die griechische Götterwelt, die ihm Wegweiser und Bezugspunkt wird. Es ist nicht allein der reflektierende Verstand, der Bernhard mit den Göttern verbindet, sondern lebendige innere Erfahrung. Dieses Erleben begleitet ihn und Britta. Die Geburt ihrer Kinder, die Liebschaften von Britta, der Tod von Bernhards Bruder, all das kann eigene Gestaltung und auch Schicksal sein. Dann tritt mit großer Macht ein, was das Leben in neue Bahnen lenkt. Auf der Suche nach sich selbst, erschüttert durch die offenbar gewordene Untreue seiner Frau, verunglückt Bernhard während seines Urlaubs beim Olymp. In dieser Zeit, künstlich beatmet und versorgt auf der Intensivstation, taucht er in eine Begegnung mit den Urmächten dieser Welt ein. So treten die alten Gottheiten vor das menschliche Bewusstsein. Der Platz, der ihnen gebührt! Davon erzählt dieser Roman – sanft und bestimmend, von einer profanen und zugleich heiligen Welt. Unterhaltsam und spannend ist das Buch geschrieben – voller Verständnis und Weisheit für den fordernden Menschenweg. Die tiefen Gründe, die den Menschen bewegen, treten mit Klarheit ins Licht.

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Seitenzahl: 744

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Die Welle des OlympDie Liebe, die Freiheit und die Götter

Gehe den Weg, der mehr Mut erfordert!

Mary Bauermeister

Michael Wolfgang Geisler

Die Welle des OlympDie Liebe, die Freiheit und die Götter

Roman

© tao.de in Kamphausen Media GmbH, Bielefeld

1. Auflage (2018)

Autor: Michael Wolfgang Geisler

Lektorat: LektoRat Vita Funke, Freiburg

Umschlaggestaltung: Rosi Schüle grafik & gestaltung

Das Umschlagbild zeigt ein Foto von Herbert Maier ©.Kreta ׀ 2006

Printed in Germany

Verlag: tao.de in Kamphausen Media GmbH, Bielefeld,www.tao.de, eMail: [email protected]: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

978-3-96240-331-7 (Paperback)

978-3-96240-332-4 (Hardcover)

978-3-96240-333-1 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und sonstige Veröffentlichungen.

Wie alles begann

Beim Olymp

Britta und Bernhard lernen sich kennen

Britta und Bernhards Familie

Brittas Eltern – die Heirat – Gabriel

Britta und Konrad Wegner

Der Besuch im Bergischen Land

Aphrodite und Ares

Die Radtour

Verständigung, Weisheit und Klarheit

Wie es sich findet

Die Göttin Artemis

Bernhard erzählt von Evelyn

Helena

Zeus und Kronos

Britta ist wieder berufstätig

Gespräche mit Marlene

Karin, Christoph und Britta

Die Göttin Hera, das Verlangen der Frauen und Dionysos

Konvention und Freiheit

Der Tod und das Leben

Familie

Die Krankheit

Apollon, Krankheit, Heilung und Tod

Das Sterben und das Jenseits

Getrennte Wege

Prometheus und die Erschaffung des Menschen

Herakles und die Bestimmung des Menschen

Klärung

Der Besuch bei Karin

Der Kranich

Britta und die Freiheit

Hestia und Demeter

Die Aufdeckung

Die Reise zum Weltinnenraum

Die Welle

Hades

Aphrodite und Hera – Ares und Zeus

Der Adler des Zeus

Gaia, die Mutter Erde – Uranos, der Sternenhimmel

Poseidon oder der unendlich fließende Ozean

Das Wiedersehen

Wie alles begann

Beim Olymp

Mit gleichmäßigen, kräftigen Zügen schwimmt Bernhard Johannes Krüger im Meer. Hin und wieder dreht er sich auf den Rücken, um ein wenig auszuruhen, und betrachtet den Himmel. Kleine Wellen umspielen seinen Körper. Er muss achtgeben, damit er beim Atmen nicht das salzige Wasser schluckt. Die Sonne spiegelt sich glitzernd auf der Wasseroberfläche und blendet den Schwimmer leicht. Allzu weit möchte er sich nicht vom Ufer entfernen, doch zumindest den Ankerplatz der Fischerboote, direkt vor der Küste bei einer Sandbank gelegen, würde er gerne erreichen.

Bernhard meint, ein dumpfes Grollen zu vernehmen. Er blickt zum Himmel. Ein feines Gespinst aus Wolkenfetzen bedeckt das Blau des Firmaments. Nichts deutet auf ein Gewitter hin. Vielleicht habe ich mich geirrt, denkt er leicht verwundert. Schaut er hin zum Land sind Hotels zu erkennen und dahinter erhebt sich majestätisch das Olympgebirge. Wie so häufig liegen seine fast 3000 Meter hohen Gipfel in Wolken. Am Strand befinden sich um diese Jahreszeit, Mitte Mai, kaum Gäste. Die Liegen unter den aufgespannten Sonnenschirmen, die zum Verweilen einladen, bleiben verwaist. Rechter Hand von Bernhard in vielleicht 100 Metern Entfernung schwimmt eine Frau ebenfalls in Richtung der Boote. Ansonsten entdeckt er keinen weiteren Menschen im Wasser.

Bernhard gehen die Ereignisse der letzten Tage durch den Kopf. Noch einmal wendet er seinen Blick dem mächtigen Gebirge zu. Vorgestern stand er früh am Morgen oben auf der höchsten Spitze, dem Mykitas. Vielleicht war das Grollen, welches ich soeben vernommen habe, ein Gruß des Göttervaters Zeus, lässt er seine Fantasie spielen. Zeus ist der Herr über Donner und Blitz. Ein außergewöhnlicher Ort ist das Gebirge des Olymp – den Göttern nah und keineswegs dem Menschlichen entrückt!

Der Aufstieg zum Gipfel wird in seiner Erinnerung lebendig. Vor seinem geistigen Auge zeigen sich die viele hundert Jahre alten Schlangenhautkiefern mit ihren mächtigen Stämmen, die dort in den Bergen trotz Kargheit und Mangel gedeihen und noch bis zu einer Höhe von über 2000 Metern stehen. In eigenwilligen Formen präsentieren sie ihr individuelles Erscheinungsbild. Was haben sie nicht alles gesehen, und wie sehr haben sie sich auf das Leben eingelassen, um daran zu wachsen!

Bernhard fühlte sich, während er durch die Wälder des Gebirges wanderte, in der Nähe dieser mächtigen Bäume stark und seiner selbst sicher. Die Unruhe und Zweifel, die ihn seit einigen Wochen begleiteten, waren verschwunden, als er diese großen, stolzen Wesen betrachtete. Er lehnte sich an die warme Rinde, atmete tief und schöpfte Zuversicht. Er blickte auf den felsigen Boden. Kalkstein! Wenig Erde. Die Natur leistete ihm Gesellschaft. Verbunden mit ihr gab es keine Gelegenheit zur Einsamkeit. Du darfst sein, wie du bist! Die Kiefern schenkten ihm diese Gewissheit.

Gämsen begegneten dem Wanderer. Sie beachteten ihn kaum, sondern ästen friedlich und ohne jede Scheu weiter, als er die Tiere aus nur wenigen Schritten Entfernung beobachtete. Unwirklich schien ihm dieses Geschehen – wie verzaubert.

Bernhard meinte fast, die olympischen Götter begleiteten ihn auf seinem Weg hinauf zum Mykitas. Er hatte Geschichte und Erdkunde studiert, die Kultur der Antike faszinierte ihn, und in Gedanken zählte er die zwölf Gottheiten auf, die nach der griechischen Mythologie auf den Gipfeln des Olymp zuhause sind: Zeus, Hermes, Aphrodite, Athene, Hera, Hephaistos, Demeter, Ares, Poseidon. Er stockte und überlegte weiter … Apollon, Hestia und Artemis ergänzte er noch. Kraftvoll symbolisieren sie das Leben in all seinen Facetten. Da die Götter unsterblich sind, müssen sie hier oben auf dem Olymp anwesend sein, überlegte er und erfreute sich an dieser einfachen Logik.

Der letzte Teil des Aufstiegs führte steil über Fels und Geröll. Vorsichtig musste er seine Schritte setzen. Oben angekommen nahm er auf dem Gipfelfelsen Platz. Hinter ihm stand etwas schräg ein eiserner Pfosten mit einer blauweißen griechischen Flagge aus Blech. Sein Blick reichte weit über Land und Meer. Im Osten blau schimmernd erstreckte sich die Wasseroberfläche in unendliche Weiten.

Dies ist das Reich Poseidons, ging es Bernhard durch den Kopf. Große Bedeutung gaben die Griechen in alten Zeiten diesem Gott des Meeres mit seinem mächtigen Dreizack. Uns Menschen heute, die wir in einer Kultur voller Rationalität und Technik leben, ist Poseidon fremd geworden. Er vertritt die Träume, in die wir tief eintauchen können, das Unbewusste, Unerklärliche und Irrationale, und jeder Augenblick unseres Seins ist gleichfalls in dieser Wirklichkeit verankert. Sie ist schwer zu fassen und doch leben wir allzeit in ihr.

Ein leichter Wind umspielte Bernhards Körper. Begeistert blickte er hinab auf das Meer. Mit großer Kraft zog es ihn an. In seiner Vorstellung sah er sich in Gestalt eines Vogels über der Wasseroberfläche gleiten und dann wieder als Fisch bis zum Grund des Ozeans schwimmen.

Wie unendlich schön ist unsere Erde – und zugleich: wie fordernd, dachte er, während er seinen Gefühlen nachspürte. Er wollte träumen und im selben Augenblick verstehen; von oben die Landschaft wie der Vogel betrachten; eintauchen in das Meer und sich darin verlieren; fest verwurzelt auf der Erde stehen wie die Kiefer.

Zeus wacht darüber, damit das irdische Leben gedeiht, dachte er. Der Gott der Unterwelt, Hades, steht ihm gegenüber. Nach unserem Tod nimmt er unser Menschenwesen auf. So teilen sich Zeus, Poseidon und Hades, die drei göttlichen Brüder, die Welt. Jeder regiert sein Reich.

Bernhard Johannes Krüger war ein Träumer. Nicht dass er dem täglichen Sein entfliehen wollte. Er nahm seinen Beruf als Lehrer ernst und voller Gewissenhaftigkeit sorgte er für seine Familie. Frau und Kinder standen stets an der ersten Stelle seines Handelns. Jedoch zugleich existierte ebenso seine eigene Wirklichkeit, die ihm allein gehörte. Diese war bunt und lebendig. Niemanden war er Rechenschaft schuldig über das, was er hier erlebte.

Bernhard schaute nach oben zum Himmel. Unendlichkeit, Licht … So blau wie das Meer und doch vollkommen von ihm verschieden. Sein Blick wollte die Ferne des Firmaments erfassen. Von Uranos, Vater des Kronos und Großvater der drei Brüder Zeus, Poseidon und Hades fühlte sich Bernhard angezogen. Dieser Gott und Begründer des Himmels weilte in den unendlichen Weiten. Durch seine Flucht weg von seiner Schöpferin und Gattin Gaia, der Erde, wurde der Raum zwischen Himmel und Erde erschaffen, der dann die Entfaltung des Lebens erlaubte. So berichtet es die griechische Mythologie. Völlig gegenwärtig fühlte Bernhard dieses Geschehen und er meinte zu erleben, wie der Himmel von der Erde in die Ferne floh und sich überraschend eine neue Wirklichkeit auftat.

Vielleicht möchte sich Uranos mir zeigen, überlegte Bernhard. Er könnte mir sagen, dass sich das Leben vollkommen unerwartet entwickeln kann und darf. Denn die überraschende Veränderung gehört zur Eigenart des Uranos. Solche Worte des großen Gottes wären wie eine Antwort auf meine inneren Fragen.

Nachdenklich schaute Bernhard auf das Geschehen, das ihn hierher geführt hatte – die tiefe Erschütterung seines Daseins. Die letzten Wochen, die Gespräche mit seiner Frau, der Verlust an äußerer Lebensgewissheit kamen ihm in den Sinn. Er suchte, ob irgendwo am Firmament ein Zeichen der großen Gottheit Uranos zu entdecken wäre, den ein großer Schmerz in die Ferne getrieben hatte.

Der Aufenthalt in Griechenland sollte Bernhard eine Zeit der Besinnung und Distanz zu seiner Frau sein. Nach dem, was in den letzten Monaten geschehen war, meinte er, solch eine Pause zu benötigen. Er fühlte sich ratlos und die Zukunft schien vollkommen offen. Bisher unbekannte Gefühle hatte er in den Tagen vor seiner Abreise in sich entdeckt, was ihn einerseits verunsicherte und ihm andererseits Mut schenkte. Es erstaunte ihn, dass diese Gefühle wohl schon lange in ihm lebten, wie er nachträglich beim Blick auf sein Leben feststellen konnte, er aber trotzdem nicht von ihnen gewusst hatte. Hierüber wollte er mehr Klarheit gewinnen.

Über lange Zeit seiner Ehe hatte Bernhard das Bild aufrechterhalten, stark zu sein. Er hatte seine Unzufriedenheit und Unsicherheit nicht wahrgenommen. Ein Mann hat keine Probleme! Ich bin nicht enttäuscht oder verletzt. Britta, meine Frau respektiert mich. Nie würde sie ernsthaft nach einem anderen Mann schauen. Derart wünschte er sich sein Erleben. Denn eine andere Sichtweise trug den Geschmack von Niederlage in sich und diese sollte keinen Platz in seinem Leben haben. Stark, erfolgreich und respektiert wollte er sein und er machte sich dieses Bild zu eigen, ignorierte alle Zeichen, es könnte nicht der Wahrheit entsprechen.

In den vergangenen Monaten war ihm vor Augen geführt worden, dass er sich etwas vorgemacht hatte. Nun sah er, dass gleichfalls Enttäuschung in ihm existierte, Sehnsucht, Traurigkeit und Verletzung. Und es gab noch etwas, das ihn zutiefst erstaunte: Seine Wirklichkeit kannte nun nicht nur eigene neue Gefühle, sondern ebenso solche seiner Frau, die er zuvor nie bemerkt hatte. All dies verwirrte ihn und er versuchte es zu verstehen, auch wenn es nicht unbedingt seiner Art entsprach, die Welt mit dem Verstand erfassen zu müssen. Er lebte wie ein Fisch im Wasser in seiner Welt der Fantasien, Träume und Gefühle. Wie für den Bewohner eines ans Meer grenzenden Aquariums war für ihn nun eine trennende Glasscheibe zerbrochen und das ihn bisher umschließende Nass floss hinaus in die Weite des Ozeans.

Britta und Bernhard lernen sich kennen

Die Moiren, die drei Schicksalsgöttinnen, wissen von jedem Menschen und seiner Bestimmung. Sie schauen auf Bernhard und seine Frau Britta. Was ist ihnen in dieses Leben mitgegeben?

»Zwei Menschen sollen sich begegnen und einander Partner sein«, spricht die erste Schicksalsgöttin.

»Wir müssen sie zusammenführen«, ergänzt die zweite.

»Was möchten sie erfahren?«, fragt die dritte und fährt fort: »Schöne, große Themen sehe ich in ihnen. Anerkennung, Akzeptanz, Wertschätzung, Harmonie und Verständigung suchen sie im Leben. Sie sollen einander darüber lehren und beschenken!«

»Mut und Gedeihen sei ihnen eigen!«, sprechen alle drei. »Wir wollen den Raum bilden, in dem sich die Lebenswege, die aus ihnen erwachsen, verknüpfen und verweben.«

Auf einem Sportfest in Köln hatten Britta und Bernhard sich kennengelernt. Ausgangspunkt war ein Geschehen gewesen, das Britta immer noch leicht peinlich war. Damals studierte sie Sport und Französisch in Köln und begleitete ihren Freund Markus zu der Veranstaltung. Markus nahm am 1500-Meter-Lauf teil und gehörte zu den aussichtsreichen Kandidaten auf den Sieg. Er trainierte hart und wollte in diesem Jahr den nationalen Durchbruch schaffen. Bernhard war bei diesem Wettbewerb für die Zeitmessung verantwortlich. Er spielte im Verein Hockey und übernahm gelegentlich Aufgaben bei Sportereignissen.

Britta wartete an der Ziellinie auf den Einlauf ihres Freundes. Als das Läuferfeld um die letzte Kurve des Stadionrunds bog, lag Markus an dritter Stelle und setzte zum Endspurt an. Britta feuerte ihn an; sie betrat die Laufbahn und sprang von rechts nach links und von links nach rechts; sie schrie: »Markus, Markus, du schaffst das!«, während ihr Freund verbissen um den Sieg kämpfte. Jeder Sprung von Britta löste die Zeitmessung aus. Ihr erster Sprung über die Ziellinie, Einlauffoto und Zeit wurden ermittelt, ihr zweiter Sprung, wieder erfolgte eine Messung und so ging dies in einem fort. Währenddessen stürmten die Läufer mit letztem Einsatz auf das Ziel zu.

Bernhard sah von der gegenüberliegenden Seite der Laufbahn, was sich zutrug. Er rief laut in Richtung Britta und wedelte mit den Armen, was sie allerdings als Unterstützung und Anfeuerung interpretierte. Bernhard gelang es nicht mehr, wollte er nicht die Läufer gefährden, über die Bahn zu wechseln und Britta, die nun direkt vor der Lichtschranke stand, zur Seite zu nehmen. Markus traf als erster ein. Britta lief auf ihren siegreichen Freund zu, um ihn zu feiern. Sie fiel ihm um den Hals und rief: »Super, super! Du hast gewonnen. Super! Markus, du bist der Beste!«

Markus war Brittas erster richtiger Freund. Sie bewunderte ihn und wollte, dass der Glanz seiner Erfolge auch auf sie strahlte. Allerdings gab es auch Augenblicke, da fragte sie sich, ob sie tatsächlich so einen tollen Mann verdient hatte und ob seine Zuneigung wirklich ihr galt. Denn sich in seiner Gegenwart ganz aufgehoben und entspannt zu fühlen wollte ihr nicht gelingen.

Bernhard wartete das Eintreffen des letzten Läufers ab und ging dann langsam auf Britta zu. Er wusste nicht so recht, wie er sich nun verhalten sollte. Er nahm ihre Hand und zog sie etwas grob zur Seite.

»Du hast mit deinem wilden Rumspringen die Zeitmessung ausgelöst. Der Lauf ist ungültig!«, stammelte er leicht fassungslos.

Britta schaute ihn ungläubig an.

»Du hast dich vor die Lichtschranke gestellt. Wir konnten den Lauf nicht messen«, meinte er nun etwas freundlicher als zuvor, nachdem er den Schreck in ihrem Gesicht bemerkt hatte.

Britta schaute ihn mit großen Augen an. Allmählich wurde ihr klar, was geschehen war.

»Sie müssen noch mal laufen?«, fragte sie.

»Nein, das geht nicht. Das wars für heute!«, entgegnete Bernhard.

Dann wandte er sich den Läufern zu, die noch im Zielraum standen, knieten oder lagen und erklärte, was geschehen war. Alle schauten auf Britta. Markus machte ein grimmiges Gesicht und eine Scheibenwischerbewegung vor seinem Kopf.

Britta setzte sich ins Gras. Sie fühlte sich blöd und unfähig. Ihr Freund ging zu ihr hin. Markus war überaus ehrgeizig und hatte sich bei diesem Sportfest durch eine gute Zeit für die Deutschen Meisterschaften qualifizieren wollen. Nun hatte er gewonnen – allerdings ohne eine Siegerzeit.

»So ein Schwachsinn!«, schimpfte er los. »Das war wirklich nicht nötig! Kannst du nicht vorher ein klein wenig nachdenken! Jetzt komme ich nicht zum Wettkampf in Hamburg. Das ist echt Scheiße!«

»Ich wollte das doch nicht. Tut mir leid«, entgegnete Britta mit zittriger Stimme. Schuldbewusst schaute sie zu Markus hoch, der neben ihr stand.

»Das hilft jetzt auch nicht mehr. Vorher denken! Ich geh jetzt duschen und fahr nach Hause. Tschüss.« Wütend stampfte Markus davon.

Bernhard beobachtete die Szene und sah Britta völlig aufgelöst auf dem Boden sitzen. Er wollte sie trösten. Sie war ihm sympathisch.

»Entschuldige, dass ich vorhin etwas grob war. Ist ja nicht so schlimm mit der Zeitmessung. Kann mal passieren. Wir hätten den Bereich besser absperren müssen«, wandte er sich an sie.

Britta schaute mit blassem Gesicht und traurigen Augen zu ihm hoch.

»Lass uns doch noch kurz dort auf die Terrasse setzen und was trinken. Dann erholst du dich von dem Schreck. Wird schon wieder«, sagte Bernhard in einem aufmunternden Ton zu ihr. »In zehn Minuten bin ich mit allem fertig und dann hole ich dich ab. Nimms dir nicht zu sehr zu Herzen.«

Britta nickte, sie wollte nichts fühlen und denken.

An diesem Nachmittag – Markus war ohne ein weiteres Wort an Britta zu richten nach Hause gefahren – verstanden sich Britta und Bernhard blendend. Sie lachten sogar über Brittas Missgeschick, schauten sich dabei in die Augen und fühlten sich gut.

»Du hast eine fabelhafte Zeit erreicht«, spottete Bernhard. »Weltrekord! – ein atemberaubendes Zielfoto.« Wieder mussten sie lachen.

Britta blickte zwar mit Bewunderung auf Markus und seine Erfolge im Sport und beim Studium. Aber Bernhard gab ihr das Gefühl, aufgehoben zu sein und sie mochte seinen freundlichen Humor.

Markus war weiterhin richtig sauer auf Britta. Seine ganze Planung für die Sportkarriere war durch ihr Verhalten in Frage gestellt. In diesem Jahr würde sich keine Chance mehr für eine nationale Qualifikation ergeben. Als sie am nächsten Tag telefonierten, machte er ihr schwere Vorwürfe. Sie fühlte sich herabgewürdigt. Die Bekanntschaft mit Bernhard gab ihr die Sicherheit, Markus zu widersprechen.

»Immer dreht sich alles um dich. Ich muss mit zu deinen Wettkämpfen. Und wenn dann was schiefgeht, bin ich dran schuld. Was mit mir ist, interessiert dich nicht!«, warf sie Markus in heftigem Tonfall an den Kopf.

Markus wollte sich neben Frust und Ärger nicht zusätzlich noch kritisieren lassen und spürte, dass Britta innerlich mit ihm gebrochen hatte. Das tat weh und verletzte seine Eitelkeit. Zugleich rief es seinen Trotz hervor. Wenn dies ihre Haltung war, sie ihn nicht mehr als ihren Mann verstand – er würde eine andere Freundin finden, die ihn mehr schätzte, sagte er sich.

So blieb ihr Telefonat kurz und endete damit, dass sie auseinandergingen.

Britta hatte Bernhard vom ersten Augenblick an gemocht und bemühte sich intensiv um ihn. Immer wieder rief sie ihn an, schlug Treffen vor, sprühte vor Ideen, was sie gemeinsam unternehmen konnten. Sie war verliebt! Es störte sie nur ein wenig, dass von ihm nicht so viel Initiative ausging. Sie unternahmen zusammen viele lange Spaziergänge. Bernhard liebte die Natur. Bei solchen Treffen erzählte er von den Geschichten aus der Antike, die er gerade gelesen hatte, versank gänzlich in seiner Welt und Britta hörte ihm zu. Sie fragte nicht viel, sondern lauschte seinen Worten. Sie meinte in Bernhard einen Mann gefunden zu haben, der die innere Unruhe, die sie stets in sich spürte, auffing und ihr Halt gab. Er interessierte sich wie sie für Sport, war verlässlich und liebevoll.

Innerhalb weniger Wochen waren Britta und Bernhard zu einem unzertrennlichen Paar geworden. Sie verbrachten so viel Zeit miteinander, dass ihre Freunde hin und wieder spotteten und die Anfangsbuchstaben ihrer Namen, B&B, mit Bed and Breakfest übersetzten. Dermaßen einvernehmlich wirkte ihr Zusammensein.

Wenn sie miteinander schliefen, genoss Britta Bernhards Zärtlichkeit. Manchmal fehlte ihr allerdings seine Bewunderung. Er nahm ihre Anwesenheit zu selbstverständlich hin, meinte sie. Andererseits sie wollte diese leichten Gefühle der Unzufriedenheit nicht allzu wichtig nehmen. Bernhard ist anders als Markus, sagte sie sich dann. Auf ihn kann ich mich verlassen, und er verfolgt nicht nur seine Karriereziele.

Trotz Brittas Bemühen, Bernhards Verhalten zu verstehen, wünschte sie sich, dass Bernhard sie mehr beachten sollte. Sich einfach nur um der schönen Gefühle willen zu lieben, kam Britta nicht aufregend genug vor. Sex verlieh ihr Macht, verschaffte ihr Beachtung, stellte sie in den Mittelpunkt. Für solch ein Empfinden hatte Bernhard offensichtlich keine Ader. Dies schürte bei ihr ein Gefühl, nicht wichtig für ihn zu sein. Sie fühlte sich zurückgewiesen.

Britta versuchte, diese tiefe Emotion zu verstecken, denn hier wurde berührt, was sie als große Last in sich trug: Bernhard soll zeigen, dass er mich braucht. Er soll nicht einfach in sich ruhen. Und doch: Entscheidend ist, dass er an meiner Seite steht und ich einen festen Bezugspol in meinem Leben gefunden habe, beruhigte sie sich, wenn solche Gefühle aufkamen.

Sie ertappte sich auch dabei, insbesondere bei den Stunden im Bett, dass sie an Markus dachte. Immer hatten sie kleine Kämpfe, wer wichtiger wäre, miteinander ausgetragen. Demgegenüber war Bernhard etwas langweilig, das musste sie sich zumindest in aller Heimlichkeit eingestehen. Markus war ganz leicht zu reizen gewesen, er war eitel und auf sich bezogen. Eine Frau sollte zu ihm aufschauen. Sie konnte mit ihm spielen, ihm Anerkennung verweigern. Er hatte sich dann aufgeplustert und Bewunderung gefordert. Dies hatte ihr das Gefühl gegeben, wichtig und machtvoll zu sein. Ein wenig Drama war schön, verlieh ihr Bedeutung und machte sie lebendig. Bernhard ging auf solche Spiele nicht ein. Eher sorgenvoll reagierte er, wenn sie sich abweisend verhielt. Er schien sich selbst zu genügen.

Es war eine vollständig andere Form von Nähe, die sie jeweils suchten. Britta suchte die Begegnung im Kampf um Anerkennung, Bernhard das Verschmelzen im Gleichklang. Britta fand das zuweilen enttäuschend. Manchmal erschrak sie aber auch vor der Wahrhaftigkeit der Liebe, die Bernhard zeigte. Sie meinte, dieser nicht genügen zu können.

Bernhard machte sich wenig Gedanken über das Zusammensein mit Britta. Er liebte sie und dieses Empfinden war für ihn das Wesentliche. Sicher, hin und wieder war er über die Art von Britta verunsichert, wenn sie sich zurückweisend zeigte. Dann übte er ihr gegenüber Vorsicht, wartete, wie sie sich weiter verhielt und was sie wünschte. Er sah es als seine Aufgabe an, für sie da zu sein und wollte sich von ihren kleinen Launen, wie er ihr Verhalten für sich nannte, nicht verletzt fühlen.

Die Schicksalsgöttinnen, die Moiren, bleiben stets zusammen und sind überall anwesend. Die Jüngste ist kaum der Mädchenzeit entwachsen, die Mittlere eine Frau im besten Alter, die Älteste eine reife Frau mit grauem Haar. Sie könnten einander jeweils Mutter und Tochter sein.

Die Moiren entstammen der Göttin der Nacht, Nyx, einer Schwester der Gaia. Ebenso wie die Erde brachte das Chaos die finstere Nacht hervor. Die vollkommene Dunkelheit ist die Heimat der Moiren. Und was in der Dunkelheit liegt, dies bringen sie durch das lebendige Schicksal ans Licht. Auf diese Weise verwirklicht sich die Bestimmung des Menschen!

»Schaut, was Britta und Bernhard im Leben suchen«, spricht die Alte. »So unterschiedlich sie sind, so Verschiedenartiges möchten sie lernen!«

»Britta geht es um Wert, Anerkennung und Akzeptanz«, ergänzt die Zweite.

»Bernhard möchte Harmonie und Zusammengehörigkeit«, meint die Jüngste.

»Lassen wir sie ihrem Lebensweg folgen, damit sie die Themen in aller Tiefe erfahren«, verkünden die drei im Gleichklang ihrer Stimmen. Das Schicksal freut sich, wenn die Menschen ihm folgen! Denn sein großes Verlangen besteht darin, den Menschen zum Einverständnis mit seiner Bestimmung zu führen.

Britta und Bernhards Familie

Britta zeigte sich äußerst interessiert, die Eltern ihres Freundes kennenzulernen. Da Bernhard seine Eltern, die nicht weit von Köln im Bergischen Land wohnten, öfters am Wochenende besuchte, bat sie ihn schon nach wenigen Monaten des Zusammenseins, mitfahren zu dürfen. Bernhard willigte ein. Er hatte ihr bereits so manches von seiner Familie erzählt. Seine Eltern waren stolz darauf, dass ihr ältester Sohn in Köln studierte. In ihrer Heimatstadt führten sie eine alteingesessene Bäckerei und Konditorei mit Café. Herr Krüger hatte bereits in jungen Jahren die Meisterprüfung als Bäcker und Konditor erfolgreich bestanden. Schon sein Vater und Großvater waren als Bäckermeister angesehene Bewohner des kleinen Städtchens gewesen. Frau Krüger hatte gleichfalls eine Ausbildung als Konditorin absolviert. Ihre Neigung zur feinen Gestaltung und Begabung für das Künstlerische brachte sie in die Konditorei ein. Torten, Teegebäck, Pralinen, Hohlfiguren, Konfekt und kandierte Früchte sowie Dekorarbeiten aus Marzipan, Schokolade und Zucker aus ihrer Hand fanden allgemein Bewunderung und Anerkennung. Von weit reiste Kundschaft an, um bei ihr einzukaufen. Sie hatte Konditorei und Café mit viel Herzblut zu einem Treffpunkt für alle Liebhaber der kleinen süßen Kunstwerke gemacht. Der jüngere Bruder von Bernhard, Christoph, arbeitete seit zwei Jahren im elterlichen Betrieb mit. Er hatte vor einem Jahr die Prüfung als Bäckermeister abgelegt, eine Ausbildung als Hotelfachkraft absolviert und wollte gerne das Café um ein kleines Hotel erweitern. Dies sollte dann als »Gasthof zum Krug« ihrem Namen alle Ehre machen. Allein, noch konnte er seine Pläne nicht verwirklichen.

Frau Krüger schaute zufrieden auf den Lebenslauf ihrer beiden Söhne. Bernhard studierte und würde Lehrer werden, Christoph sollte das Geschäft übernehmen. Sie wünschte sich von Herzen, dass die Söhne in der Nähe ihrer Heimatstadt Familien gründeten.

Herr Krüger verstand sich als ein der Tradition verpflichteter Bäcker. Die filigrane Arbeit bei Pralinen und Torten überließ er gerne seiner Frau. Selbstbewusst bezeichnete er sein Brot als das beste im Bergischen Land und Köln. Als Bernhard zu studieren begann, hatte er das mit einer gewissen Skepsis gesehen – aber gleichfalls mit Stolz. Schon als Gymnasiast hatte sich Bernhard für das Hobby seines Vaters, die römische Kolonialisierung der Region um Köln, interessiert. Insofern fand ein Studium der Geschichte durchaus die Zustimmung seines Vaters. Gemeinsam hatten sie die Spuren der Römer erkundet sowie Ausgrabungsstätten und Museen besichtigt. Bereits in jungen Jahren war deutlich geworden, dass Bernhard in einer besonderen Beziehung zur antiken Götterwelt stand. Er erlebte die Gottheiten als Partner, mit denen er im geistigen Austausch stand. Als Kind nahm er dies als selbstverständlich hin. Wie ungewöhnlich sein Erleben war, wurde ihm erst im Laufe der Jahre bewusst.

Herr Krüger zeigte sich in Hinsicht auf die römische Kultur als äußerst belesen. Er beschäftigte sich intensiv mit der römischen Epoche im heutigen Deutschland. Erst vor Kurzem hatte ihn sein Hausarzt darin bestärkt, seinem Hobby mehr Zeit zu widmen. Er solle am Sonntag von der täglichen Arbeit Abstand gewinnen und ausspannen, riet ihm der Mediziner. Der frühe Arbeitsbeginn und die langen Arbeitszeiten in der Backstube hatten ihren Tribut gefordert und er litt an Bluthochdruck. Seit ein paar Monaten nahm er dagegen regelmäßig Medikamente. Früher, bevor Christoph das Geschäft mit leitete, hatte Bernhard häufig am Wochenende ausgeholfen. Er war von klein auf gewohnt, mit Hand anzulegen. Stets hatte es in der Bäckerei und im Café etwas zu tun gegeben.

Das Ehepaar Krüger engagierte sich in der katholischen Kirche. Der Glaube gehörte zu ihrem Alltag und im Erzbischof von Köln sahen sie eine uneingeschränkte geistige Autorität. Sie wollten in ihrem Leben christliche Grundsätze hochhalten und dies ebenso ihren Kindern vermitteln. Früher war die ganze Familie jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Heute fiel der ein oder andere Termin auch mal aus. Bernhard schaute mit zwiespältigen Gefühlen auf seine Zeit als Messdiener. Er mochte den Gottesdienst, die Rituale und Gewänder ebenso wie die Musik. Andererseits waren ihm die Vorstellungen von Gott und Moral zu eng erschienen. In seinem Erleben bestand die Welt aus vielen geistigen Wesen, die die Menschen begleiten. Das Kirchengebäude schien ihm allzeit lebendig von Engeln und anderen Geistwesen bevölkert. Für ihn war Gott mit allem, das existierte, eins. Der Vogel, der Baum und natürlich der Mensch sind Ausdruck des Allerhöchsten – so empfand er die Wirklichkeit. Den Eltern war wichtig gewesen, dass Bernhard und Christoph christliche Werte wie Nächstenliebe oder Demut in ihrem täglichen Leben zeigten.

Herr Krüger freute sich, dass Bernhard angekündigt hatte, seine Freundin Britta zum gemeinsamen Kaffee mitzubringen. Das machte den Anschein, als hätte der Junge nun eine Frau gefunden, mit der er das zukünftige Leben teilen wollte. Für Herrn Krüger war Bernhard, selbst wenn er sein Studium erst in einem halben Jahr abgeschlossen haben würde und dann noch die Zeit des Referendariats anstand, mit seinen fünfundzwanzig Jahren alt genug, um an die Gründung einer Familie zu denken.

Frau Krüger gelang es, den Sonntagnachmittag so zu organisieren, dass die Angestellten und Christoph alle Arbeit im Café übernahmen und ihr Mann und sie sich vollkommen dem Besuch widmen konnten. Auf der Fahrt zu diesem Nachmittagskaffee fragte Britta Bernhard bezüglich seiner Eltern aus. Er schilderte ihr das gemeinsame Familienleben, die Inanspruchnahme seiner Eltern durch ihren Beruf und natürlich wies er auch nochmal auf das Hobby seines Vaters hin. Diese gemeinsamen Erkundungen und Ausflüge waren ihm lebhaft im Gedächtnis geblieben.

Krügers begrüßten Britta und ihren Sohn herzlich. Die erste Befangenheit war schnell überwunden. Britta war dankbar für die Selbstverständlichkeit, mit der sie in die Familie aufgenommen wurde. Später am Kaffeetisch, nachdem sie schon über einiges Alltägliche gesprochen hatten, wandte sich Britta an Herrn Krüger: »Bernhard hat mir erzählt, dass Sie richtig viel über die Zeit der Römer im Raum Köln wissen. Imponierend! Da verstehe ich wirklich kaum was von. Aber Sie beschäftigen sich seit Jahren damit und Bernhard hat das angesteckt. Er erzählt mir immer wieder von der Antike.«

Herr Krüger schaute Britta erfreut an. Sein Lieblingsthema war angesprochen worden. Allein, er wollte sie nicht mit einer allzu ausführlichen Antwort überfahren, sondern das Interesse von Britta zuerst erkunden.

»Sie hatten kein Latein in der Schule?«, fragte er nach.

»Nein«, meinte Britta. »Das wurde bei uns überhaupt nicht angeboten. Sprachen und Sport waren meine Lieblingsfächer. Deshalb studiere ich auch Französisch und Sport.«

»Sie kennen den Ursprung des Wortes ›Konditor‹?«

Britta überlegte. »Wahrscheinlich hat das Wort im Französischen den gleichen Stamm. Confiserie oder Pâtisserie! Confiserie, das sollte aus dem Lateinischen kommen.«

»Ja. Der Ausdruck Konditor stammt von lateinisch condire – einlegen, einmachen, lecker zubereiten, würzen.«

Britta nickte zustimmend. »Großartig, was sie alles interessiert«, sagte sie lächelnd.

Nun fühlte sich Herr Krüger ermutigt, sein Lieblingsthema zu vertiefen. Die Unterhaltung drehte sich zuerst um den Ursprung des Namens Köln und verfing sich dann zunehmend in Details. Britta verlor angesichts all der Fachausdrücke und historischen Gegebenheiten den Überblick. Schließlich kam das Gespräch auf die römische Götterwelt und deren Bedeutung für die Menschen in jener Zeit.

»Das Schwert von Gaius Julius Caesar wurde im Marstempel der Stadt Köln aufbewahrt«, erzählte Herr Krüger. »Aulus Vitellius, der Befehlshaber des römischen Heeres in Niedergermanien, der später den Beinamen Germanicus annahm, sah sich durch dieses Schwert als Kaiser berufen und übernahm für kurze Zeit die Macht in Rom.«

Britta dachte nicht lange über das Gehörte nach. Bisher war das Gespräch unterhaltsam gewesen und auf diese Weise wollte sie es fortführen.

»Ja, so ein Schwert ist schon wichtig«, meinte sie. »Solche Reliquien gibt es ja noch heute in der katholischen Kirche.« Sie überlegte, was ihr noch zu dem Thema einfallen konnte. Spontan ergänzte sie: »Deshalb heißt es ja auch ›Schwerter zu Pflugscharen‹.«

Herr Krüger ließ sich nicht durch diese reichlich konfuse Antwort beirren, er befand sich in seiner Gedankenwelt und meinte nun etwas genauer auf den Gott Mars und das Schwert eingehen zu sollen, da Britta sich hierfür zu interessieren schien.

»Mars war in Rom ein entscheidender Gott. Der Name Markus geht auf ihn zurück und bedeutet ›dem Mars geweiht‹. Ebenso wie der Monat März, der den Anfangsmonat im römischen Kalender bildete. Helm, Lanze und Schwert gehören zur Ausrüstung von Mars.« Dann machte er einen Gedankensprung. »Die Römer kannten verschiedene Arten von Schwertern. Das Gladius oder Kurzschwert war die Standardwaffe der römischen Infanterie. Beim ›Typ Mainz‹ verjüngt sich die Klinge zunächst, um vor der Spitze wieder breiter zu werden, das Gewicht beträgt zwischen 1200 und 1600 Gramm. Diese Waffe war insbesondere für den Nahkampf im Gedränge gedacht, der zur Taktik der römischen Legionen gehörte. Für ein längeres Schwert, wie es zum Beispiel die Reiterei einsetzte, gab es nicht ausreichend Platz. Das hätte den Legionär behindert.«

Herr Krüger hatte sich in Details geredet und Britta verlor den Bezug. Zudem war der Name Markus gefallen. Von ihrem Ex-Freund wollte sie im Augenblick nichts hören. Sie war hier, um dieses Kapitel in ihrem Leben hinter sich zu lassen. Wenn Markus mit Mars zusammenhing, dann war der Gott ja nicht so das, was sie im Leben suchte. Sie konnte sich Markus nur zu gut mit einem Schwert vorstellen. Damals beim Wettkampf in Düsseldorf hätte er es wahrscheinlich gegen sie gezückt. Die Sache mit dem Gewicht, ging ihr durch den Kopf. Dazu kann ich etwas sagen, meinte Britta. Hierfür bedurfte es nicht des historischen Fachwissens.

»Das ist ja gar nicht so schwer«, antwortete sie. »Aber wahrscheinlich waren die Schwerter trotzdem ziemlich gefährlich. Gut, dass wir heute keine Schwerter mehr einsetzen. Vermutlich sind viele Menschen durch solche Waffen getötet worden.«

Bernhard überlegte, es wäre gut, wenn er sich in das Gespräch einmischte, damit das Thema Schwert sein Ende fände und Britta aus der leicht misslichen Lage entkam.

»Im Laufe der Zeit haben die Römer den Kriegsgott Mars mit dem griechischen Gott Ares gleichgesetzt«, warf er ein. »Ares hatte jedoch in der griechischen Mythologie nie die Bedeutung wie Mars in Rom. Möglicherweise war Mars, insbesondere in früheren Jahren, ein Gott, dem das Gedeihen der Vegetation zugeordnet wurde. Die Begrenzung auf den Krieg könnte eine etwas einseitige Sicht auf eine spätere Entwicklung darstellen.«

Über den Bedeutungswandel von Mars während der Römerzeit entspann sich nun eine lebhafte Diskussion mit seinem Vater. Britta war nicht mehr am Gespräch beteiligt und konnte sich mit Frau Krüger unterhalten, die meist zu allem, was mit Römern zu tun hatte, schwieg. Sie hatte einige ausgewählte Spezialitäten auf den Tisch gebracht. Nicht zu viel. Niemand sollte das Gefühl von Überfluss oder übermäßiger Sättigung bekommen. Bei ihr musste alles Stil haben. Das Gedeck, die Blumen, die Torte, der Kaffee oder gerne auch feiner Tee. Ihr Sinn für Schönheit bestimmte ihr Tun.

Bernhard hatte seiner Mutter bereits von Brittas Eltern erzählt. Ihr Vater arbeitete als Ministerialdirigent bei der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Frau Krüger flößte dieser Titel Respekt ein. Zwar war sie kein Mensch, dem Titel oder Status allzu viel bedeuteten, aber sie machte sich darüber Gedanken, welche Umgangsformen Britta von zu Hause aus gewohnt war. Frau Krüger freute sich, dass sich die junge Frau eher bescheiden und interessiert zeigte. Geschirr, Blumen, Torte hatten ihre Beachtung und Lob gefunden. Ihr Lachen klang überaus freundlich.

»Ihr Vater ist sicher sehr eingespannt und viel bei der Arbeit?«, fragte sie.

»Ja. Ich habe ihn als Kind selten zu Hause gesehen. Am Wochenende hatte er oft noch Termine. Für ihn stellt die Arbeit den Mittelpunkt seines Lebens dar.«

Als Britta dies sagte, spürte sie, wie ein Gefühl der Enttäuschung sich meldete. Ihr Vater hätte sich mehr um sie kümmern sollen, das schlummerte als tiefes Empfinden in ihr. Selten gab es gemeinsame Unternehmungen. Und wenn, dann war da ihre ältere Schwester, Sarah, die es stets verstand, die Aufmerksamkeit des Vaters auf sich zu ziehen. Immer existierte im Leben der Schwester etwas Wichtiges, das bei den Eltern Beachtung fand. Wenn sie selbst dann soweit war, gute Noten nach Hause brachte, ihren ersten Freund, dann war das durch Sarah bereits bekannt und nichts Besonderes mehr. Britta meinte, dies sei ungerecht gewesen. Sie hätte mehr Lob und Unterstützung verdient gehabt, ja benötigt. Bei Bernhard gab es ja auch das gemeinsame Hobby mit seinem Vater.

Letzten Sommer hatten sie und ihr Vater zwei Wochen Urlaub in Florida gemacht. Dort besaß die Familie ein schönes Ferienhaus. Dies war tatsächlich das erste Mal in ihrem Leben, dass sie so eine lange Zeit allein zusammen mit ihrem Vater verbrachte. Sie erinnerte sich an die Blicke aus der Umgebung, wenn sie gemeinsam Ausflüge unternahmen oder am Strand weilten. Die Menschen fragten sich wohl, ob sie die junge Partnerin dieses durchaus attraktiven Mannes war oder die Tochter. Das hatte sie genossen. Ja, mein Mann soll das Format meines Vaters besitzen, sagte sie sich dann. Sie meinte zu bemerken, dass auch ihr Vater diese Blicke wahrnahm und sich geschmeichelt fühlte.

»Das kenne ich nur zu gut. Der Hanns stand ja immer in der Backstube. Aber wir waren zu jeder Zeit das Team Krüger«, erwiderte Frau Krüger auf die Antwort von Britta. Sie legte eine kleine Pause ein. »Sie besitzen einen schönen Nachnamen«, meinte sie dann. »Herzog, das hört sich vornehm an.«

»Mir gefällt der Name auch gut. Klingt fast wie ein Adelstitel. Britta Karoline Herzog. Ich denke, meine Mutter war und ist stolz auf ihren Nachnamen. Mein Vater sieht ihn wohl als selbstverständlich.«

Frau Krüger war sich unsicher, ob Britta nicht zu anspruchsvoll für Bernhard wäre. Bernhard legte keinen großen Wert auf Äußerlichkeiten. Er lebte zufrieden mit dem, was er besaß. Das musste nicht viel sein. Seine Mutter sorgte sich, ob Britta ihn zu einer Lebensweise drängen würde, die seiner Natur widersprach. Andererseits wusste sie, dass ihr Sohn in seinen Vorstellungen schwer zu beeinflussen war. Selten übernahm er die Meinung anderer Menschen. Frau Krüger wollte besser verstehen, ob Britta für ihren Sohn die richtige Partnerin wäre.

»Ihre Mutter arbeitet?«, fragte sie.

»Sie ist Lehrerin an einer Realschule. Sie unterrichtet sehr gerne. Als wir klein waren, hat sie eine längere Pause eingelegt. Mein Vater half nicht im Haushalt.«

Britta dachte an ihre Mutter. In Grunde verstand sie sich gut mit ihr. Streit hatte es nie gegeben. Andererseits fehlte die Wärme. Ihre Mutter war eine nüchterne Frau. Beruflichem Erfolg gab sie eine große Bedeutung. Immer bestand eine gewisse Distanz zu den Töchtern. Manchmal dachte Britta, ein Sohn wäre ihr lieber gewesen. Das Leben der Mutter wirkte durchgeplant. Der Beruf, der Mann, die Ehe, die Kinder, Golfspielen, alles war geordnet und korrekt. In letzter Zeit ging Britta die Begeisterung für das Golfspiel zunehmend auf die Nerven. Die Eltern übten diesen Sport seit langem aus. Der Vater nutze das Spiel für Treffen mit wichtigen Gesprächspartnern. Bei Urlauben in Florida hatten sie viel Zeit damit zugebracht und die Kinder mussten sich eine andere Beschäftigung suchen. Wenn Britta das Wort Handikap hörte, sträubte sich ihr Innerstes. Kam sie in letzten Jahren am Wochenende nach Hause, dann hatte die Mutter meist einen Termin auf dem Golfplatz.

»Meine Mutter macht auch gerne Sport«, ergänzte Britta das Gesagte.

Sie erzählte von der Golfleidenschaft und auch ein wenig vom durch Äußerlichkeit geprägten Lebensstil der Familie Herzog. All dies bestätigte Frau Krüger, mit einem gewissen Vorbehalt auf die Freundschaft ihres Sohnes zu schauen. Die offen zugewandte Art von Britta zerstreute dann aber vorerst ihre Bedenken.

Der Nachmittag bei Krügers verlief angenehm. Bernhard freute sich, dass seine Eltern Britta überaus freundschaftlich begegneten. Britta fand Bernhards Eltern ausgesprochen sympathisch. Sie fühlte sich angenommen und die Wärme, die ihr entgegengebracht wurde, stillte eine tiefe Sehnsucht. Herr Krüger sah in Britta eine charmante Gesprächspartnerin. Frau Krüger mochte Britta in ihrer zurückhaltenden und freundlichen Art. Ein leichter Zweifel blieb jedoch in ihr bestehen, ob sie für Bernhard die richtige Frau wäre. Sie spürte in Britta auch eine Unruhe und fragte sich, ob ihr die Verlässlichkeit und Ehrlichkeit ihres Sohnes auf die Dauer genügen würden. Eine leise Angst stieg in ihr auf, Britta könnte Bernhard verletzen.

Bei der Rückfahrt wollte Britta noch mit Bernhard über das Zusammentreffen sprechen.

»Wie hat dir der Nachmittag gefallen«, fragte sie Bernhard.

»Schön.«

Bernhard hatte kein Bedürfnis, über das Zusammensein mit seinen Eltern zu sprechen. Für ihn war alles in bester Ordnung und so, wie er es erwartet hatte. Weitergehende Gedanken über das Treffen hatte er sich bereits im Vorfeld nicht machen wollen. Er kannte seine Eltern, er kannte Britta und sah kein Problem. Es entsprach nicht seiner Art, zusätzliche Überlegungen anzustellen, ob zum Beispiel Britta sich unsicher fühlte hinsichtlich dessen, was auf sie zukommen könnte. Sie hatte den Vorschlag gemacht, seine Eltern kennenzulernen – nach dem Warum fragte er nicht –, alle hatten sich gut verstanden, damit sollte es gut sein. Bernhard blickte mit Vertrauen und Liebe auf Britta und beschäftigte sich nicht mit den Motiven, Ängsten oder Interessen, die hinter ihren Worten oder ihrem Handeln standen. Er ging davon aus, dass ihm Britta erzählen würde, wenn ihr etwas von besonderer Bedeutung schien. Bernhard freute sich, dass Britta an seiner Seite stand.

Britta empfand Enttäuschung, als sie dieses kurze »schön« vernahm. Sie wartete einen Augenblick, ob Bernhard nicht doch noch ein paar Worte folgen lassen wollte. Als dies nicht der Fall war, spürte sie leichten Ärger in sich aufkommen. Interessierte er sich überhaupt nicht für ihre Gefühle? Sah er sie nicht als wichtig genug, dass er danach fragen konnte?

»Mir hat es auch gut gefallen«, sagte sie schließlich. »Deine Eltern sind wirklich nett. Dein Vater ist ein richtig lieber Mensch und deiner Mutter fühle ich mich nah.«

Sie schaute zu Bernhard. Was Britta ihm erzählte, entsprach dem, was er ebenso gespürt und erwartet hatte, es freute ihn. Als Bernhard auch jetzt nichts weiter sagte, fuhr Britta fort.

»Meinst du, deine Eltern finden es gut, dass wir zusammen sind?«

Darüber hatte sich Bernhard noch keine Gedanken gemacht. Der Nachmittag war harmonisch verlaufen. Da stellte sich für ihn diese Frage nicht. Wenn es kein Problem gab, musste keine Lösung gefunden werden. Außerdem war es seine Entscheidung, mit wem er sein Leben teilte und dies war nicht von der Haltung der Eltern abhängig. Er suchte nach einer Antwort.

»Ich glaube schon«, meinte er schließlich. An Brittas Blick erkannte er, dass sie noch mehr von ihm erwartete. Vielleicht ist sie unsicher, weil sie sich im Gespräch mit meinem Vater auch ziemlich konfus geäußert hat, überlegte er. Er wollte ihr Mut zusprechen. »Ihr habt euch wirklich gut verstanden. Mein Vater hat sich sogar gerne mit dir über die Römer unterhalten. Das ist eine Auszeichnung. Bei diesem Thema ist er wählerisch!«

Britta schaute etwas zufriedener. Trotzdem, Bernhard hätte schon nach ihrem Befinden fragen können. So richtig interessierte er sich wohl nicht für sie. Wie unsicher sie sich vor dem Treffen gefühlt hatte, schien ihm egal zu sein. Andererseits, seine Gelassenheit gefiel ihr. Und das mit dem Vater war eine nette Bemerkung von ihm gewesen. Sie sprachen nicht mehr viel während der Fahrt.

In der folgenden Woche traf Britta ihre Freundin Marlene. Das Treffen zum Nachmittagskaffee mit den Eltern Krüger bewegte sie weiterhin. Sie schilderte ihrer Freundin alle ihre Gefühle. Vollkommen selbstverständlich stand im Raum, welche Bedenken und Erwartungen sie zuvor mit dieser Begegnung verknüpft hatte. Da musste sie nichts erklären und was vielleicht das Wichtigste war: Marlene verstand das Erzählte so, wie Britta es wollte. Sie stellte nichts in Frage – keinesfalls Britta selbst. Aber Bernhard hat es irgendwie nicht kapiert, dachte sie.

»Was meinst du, ist es Bernhard egal, was ich empfinde?«, fragte sie, nachdem sie alle Begebenheiten ausführlich beredet hatten. »Er hat sich überhaupt nicht um meine Nervosität gekümmert.«

»Kenne ich!«, meinte Marlene. »Männer denken oft nur an sich. Wie es uns Frauen geht, interessiert sie dann überhaupt nicht.«

»Aber Bernhard ist mir wichtig. Er ist schon für mich da und ich kann mich auf ihn verlassen. Er will, dass es mir gut geht. Ich zweifle nur manchmal, ob er mich wirklich möchte oder nicht eigentlich eine andere Frau. Andererseits ist er der erste Mann, bei dem ich Geborgenheit spüre. Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, das war ganz besonders. Weißt du, was ich da gedacht habe? Dass habe ich noch nie jemanden erzählt.«

Marlene schaute Britta neugierig an.

»Mit Bernhard kann ich mir vorstellen, Kinder zu haben. Er ist der Mann, den ich will!«

Britta zögerte. Leise Zweifel meldeten sich angesichts des Gesagten in ihr. Marlene schien das Thema Kinder ziemlich kompliziert.

»Echt«, antwortete sie in einem leicht zweifelnden Tonfall.

Auch Britta wollte ihre Bemerkung nicht weiter vertiefen, sondern kam wieder auf ihre Erfahrung mit den Männern zu sprechen.

»Weißt du, Markus ist schon ein super Typ«, meinte sie. »Aber er hat mich richtig doof behandelt, als das mit der Zeitmessung passiert ist. Und Bernhard hat darüber gelacht. Andererseits: Markus hat mir oft Komplimente gemacht, gesagt, dass ich toll aussehe, sexy bin, ich ihm besser als andere Frauen gefalle … Als er zum Beispiel den Lauf in Brüssel gewonnen hat, sind wir richtig schick und teuer ausgegangen. Das würde Bernhard nicht machen.«

So setzte sich ihr Gespräch über Männer noch eine Weile fort und in Britta meldeten sich recht unterschiedliche und auch widersprüchliche Gefühle.

Gleich nachdem Britta Bernhard kennengelernt hatte, war es zu einem ausführlichen Gespräch mit Marlene gekommen. Britta hatte das Außergewöhnliche an der Begegnung mit Bernhard betont, wie sehr sie meinte, angekommen zu sein, und Marlene hatte sie bestärkt, den Kontakt zu Bernhard zu suchen. Bernhard sprach mit seinen Freunden nicht viel über Britta. Für ihn stimmte es einfach. Er fühlte sich von Britta angenommen und spürte, dass sie ihn als ihren Mann sah. Sie suchte seine Anwesenheit. Das war für ihn Ausweis ihrer Liebe, die er erwiderte.

Brittas Eltern – die Heirat – Gabriel

Bis Britta Bernhard ihren Eltern vorstellte, dauerte es noch eine Weile. Erst nach dem ersten Staatsexamen sah sie hierfür den richtigen Augenblick. Frau Herzog lud angesichts der bestandenen Prüfung zu einem feierlichen Abendessen ein. Da beide mit guten Noten bestanden hatten, konnte die Einladung gleichfalls als eine besondere Anerkennung verstanden werden. Das Gespräch drehte sich zunächst um Studium und Beruf, das Referendariat, das nun folgen würde, und mögliche Schulen als Arbeitsort. Frau Herzog besaß einen engen Bezug zu diesen Themen und Herr Herzog konnte sein Wissen über die Vorhaben der Landesregierung einbringen.

Dann wurde das Gespräch persönlicher. Man hatte sich gleich beim Kennenlernen auf die persönliche Anrede verständigt, Frau Herzog stellte sich als Isolde, Herr Herzog als Herbert vor.

»Wie sind deine Gedanken hinsichtlich Kindern«, fragte Isolde Bernhard.

»Ich mag Kinder sehr gerne«, antwortete Bernhard. »Ich denke, sie gehören zu meinem Leben.«

»Britta liebt auch Kinder«, meinte Isolde und schaute hierbei ihre Tochter an.

Britta nickte. Herbert nickte gleichfalls.

»Dann habe ich ja Aussichten, Oma zu werden«, warf Isolde leicht scherzhaft ein. Während sie diesen Satz formulierte, dachte sie auch, dass ihre Erscheinung noch so jung wirkte, dass man ihr keinesfalls ansehen würde, dass sie Enkelkinder hatte.

»Natürlich«, meinte Bernhard. »Das gehört dazu.« Dabei lächelte er freundlich. Was er sagte, kam vom Herzen.

Britta freute sich einerseits über die Anteilnahme ihrer Mutter, andererseits empfand sie ihr Verhalten als Einmischung. Sie wollte beim ersten Treffen von Bernhard mit ihren Eltern lieber über Unverfängliches sprechen.

»Wir fahren in zwei Wochen nach Griechenland«, warf sie ein. »Wir leihen uns einen kleinen Campingbus und dann geht es los, zuerst nach Italien, dann mit der Fähre weiter nach Griechenland. Ich freue mich total darauf.«

Das Gespräch wurde lebhafter. Früher, bevor sie das Haus in Florida gekauft hatten, hatte die Familie Herzog häufiger Urlaub auf der Insel Kreta gemacht. Viele Erinnerungen aus dieser Zeit wurden lebendig.

»Wir haben immer eine ausgesprochen schöne Zeit auf Kreta verbracht«, meinte Isolde. »Die beiden kleinen Mädchen waren wirklich brav. Wir haben das sehr genossen.«

So verlief der Abend harmonisch und als Britta und Bernhard sich verabschiedeten, geschah dies in einer Stimmung allgemeiner Sympathie. Bernhard fühlte sich erleichtert. Isolde und Herbert würden wohl nicht seine besten Freunde werden, dachte er. Dafür waren sie doch zu unterschiedliche Menschen. Aber sie hatten einen angenehmen Abend miteinander verbracht.

Britta und Bernhard verreisten häufig während ihres Referendariats. Meist hatten sie dann Unterlagen zur Unterrichtsvorbereitung dabei. Sie fühlten sich frei. Völlig selbstverständlich planten sie ihre gemeinsame Zukunft. Allerdings lebten sie noch getrennt in zwei Wohnungen. Beide waren sie an Schulen in kleinen Städten, die eine gute Distanz auseinanderlagen, in Nordrhein-Westfalen angestellt und hatten dort jeweils eine Unterkunft gefunden. So trafen sie sich meist nur am Wochenende, telefonierten viel und verbrachten natürlich die Ferien miteinander. Zwischen ihnen herrschte große Einigkeit.

Die Idee, zu heiraten – auch aus praktischen Gründen, damit die Schulbehörde bei der späteren Anstellung ihre Wünsche nach nah beieinander liegenden Arbeitsorten berücksichtigte – nahm zusehends Gestalt an. Bernhards Eltern wünschten sich eine kirchliche Trauung und fanden Gehör. Sie übernahmen es, hierfür alle notwendigen Schritte zu veranlassen. Die sonstigen Feierlichkeiten zur Vermählung organisierten Isolde und Herbert Herzog, und die Krügers steuerten ausgewählte Produkte ihrer Konditorei bei.

Stolz zeigte sich Britta als Braut und ließ sich von ihrem Bräutigam in das Leben als Ehefrau führen. Viele Freunde waren gekommen, um ihnen zu gratulieren und gemeinsam zu feiern.

Das Leben entwickelte sich mit großer Kraft weiter. Das zweite Staatsexamen, die Anstellung als Lehrer, die gemeinsame Wohnung am Rande von Köln, weite Reisen in die Welt … und es dauerte nicht lange, bis Britta schwanger wurde. Ein Junge, Gabriel, erblickte das Licht der Welt. Britta und Bernhard schauten zufrieden auf das, was geschah. Und doch es gab auch Schatten und Wolken. Jetzt, da die großen Veränderungen sich vollzogen hatten und Britta zusammen mit Gabriel mehr Zeit zu Hause verbrachte, spürte sie alte Gefühle in sich, deren Existenz sie der Vergangenheit zusprechen wollte. Allein sie lebten weiterhin in ihr. Es fehlte ihr etwas im Leben – Unerfülltes schlummerte als Sehnsucht und Wunsch. Die Unruhe aus früheren Tagen kam wieder hoch. Es sollte in ihrem Leben, ja insbesondere im Zusammensein mit Bernhard, Aufregendes geschehen, das ihr Wert und Bedeutung gab! Sie wollte spüren, wie sie in Bernhard Gefühle auslöste und er ihrer bedurfte. Unzufriedenheit mit ihrem Mann stellte sich ein. Sie sah sich nicht ausreichend beachtet. Schätzte er sie überhaupt, fragte sie sich. Oder betrachtete er sie einfach als Ehefrau, wie jede andere Frau es genauso sein könnte?

Gabriel war nun fast drei Jahre alt. Aufgeweckt und interessiert schaute er in die Welt. Er besuchte den Kindergarten und hatte sich schnell in die neue Umgebung eingefunden. Bernhard liebte es, mit ihm zu toben. Im Park jagten sie einem Ball hinterher, versuchten auf Bäume zu klettern, oder Gabriel ließ sich in seinem Bobbycar mit hoher Geschwindigkeit über die Wege schieben. Schnell und wild sollten die Spiele sein. Aber genauso gab es auch ruhige Augenblicke, wenn er mit seinem Baukasten oder den Autos spielte und vollkommen in seine Fantasiewelt eintauchte.

Britta arbeitete wieder mit einer reduzierten Stundenzahl. Bernhard übernahm große Teile des Haushalts und der Versorgung von Gabriel. Er hatte sein Deputat gleichfalls herabgesetzt. Er war zufrieden. Wenn er an seine Kindheit dachte, als er in der Bäckerei aushelfen musste, an die Selbstverständlichkeit, mit der seine Eltern in jener Zeit davon ausgingen, dass er eine Bäckerlehre absolvieren würde, dann meinte er, in seinem Leben viel erreicht zu haben: Gymnasium, Studium, Beruf, dazu Britta an seiner Seite, die er liebte, und Gabriel, seinen Sohn. Was konnte ihm fehlen? Wenn sich Britta immer häufiger abweisend zeigte, ihn in einem Temperamentsausbruch heftig anging, was im letzten halben Jahr häufiger der Fall war, dann wollte er nicht, dass dies die Harmonie seiner Existenz in Frage stellte und versuchte es zu ignorieren. Er fand, er wäre in der Lage, sowohl seinen Beruf erfolgreich auszuüben als auch ein guter Ehemann und Familienvater zu sein. Wenn Britta Probleme im Leben hatte, was er zu spüren meinte, dann wollte Bernhard ihr ein fester, zuverlässiger Partner sein. Er wünschte sich, dass Britta und Gabriel zufrieden mit ihm waren. Seine Bedürfnisse durften durchaus zurückstehen, wenn es den beiden gut ging.

Bernhard nahm nicht wahr, dass auch ihm etwas fehlte: Er sehnte sich nach Zuwendung und Zärtlichkeit von seiner Frau – nach Harmonie und Gemeinsamkeit. Doch er stellte die Notwendigkeit in den Vordergrund, Britta unterstützen zu sollen, und verdrängte das Gefühl eines Mangels. Gerne übernahm er die häuslichen Aufgaben und freute sich, Abende alleine mit Gabriel zu verbringen, wenn Britta Zeit bei einem ihrer zahlreichen Termine verbrachte.

Sie traf sich mit Freundinnen, besuchte Veranstaltungen, machte Sport oder ging ins Kino. Sie meinte, diesen Ausgleich von Arbeit und Haushalt zu benötigen. Ein tiefer Widerspruch hatte sich in ihr aufgetan. Das Leben mit Kind und Mann schien ihr zunehmend beengend. In ihr drängte das Verlangen, sich auf ihre eigenen Interessen und Wünsche zu konzentrieren. Zugleich spürte sie, dass sie damit Bernhard vernachlässigte. So baute sie in sich das Bild, dass er nicht der richtige Mann für sie wäre und schob ihm Schuld zu, mit der Begründung, dass er sie nicht verstünde und kein richtiges Interesse für sie zeigte. All das versetzte ihr Leben in grundlegende Unruhe und keinesfalls wollte sie in ihre Wahrnehmung kommen lassen, wie sehr sie ihr eigenes Verhalten als falsch empfand.

An einem Freitag, Britta war wieder abends unterwegs, ergab sich ein Gespräch, das sie tief verwirrte. Sie saß zusammen mit Jochen, einem alten Freund von Markus, in der Bar, die zu einer kleinen Theaterbühne gehörte. Der Kontakt zu Jochen hatte die Trennung von Markus überlebt. Jochen befand sich in Begleitung seiner neuen Freundin Claudia. Gemeinsam hatten sie sich ein kurzweiliges Theaterstück angeschaut. Nun tranken sie noch ein Glas Wein zusammen. Bernhard kümmerte sich währenddessen zu Hause um Gabriel. Das Gespräch drehte sich um Ereignisse aus der Zeit, als Britta und Markus ein Paar gewesen waren. Jochen fühlte sich, vielleicht durch die neue Freundschaft mit Claudia, in einer Stimmung, die Vergangenheit Revue passieren lassen zu wollen.

»Wie war es für dich, Britta«, fragte er, »als Markus nach eurer Trennung die großen Erfolge beim Laufen hatte und alle in deinem Bekanntenkreis ihn angehimmelt haben?«

»Alle? Meinst du die Frauen?«, erwiderte Britta etwas gereizt. Sie blickte kurz zu Jochen und dann zu Claudia, die neugierig schaute. »Hat mich eigentlich nicht mehr interessiert«, meinte sie dann.

Britta wollte in diesem Gespräch nicht ihre Gefühle ausbreiten. Als Jochen die Bemerkung über Markus machte, fand sie dies überaus unpassend. Was ging das Jochen an – und erst recht Claudia, die sie derart sensationslüstern betrachtete?

»Er ist schon gut bei den Frauen angekommen«, merkte Claudia an.

Was soll diese doofe Bemerkung, dachte Britta.

Um zu zeigen, wie souverän sie hinsichtlich ihrer Beziehung mit Markus war, beschloss sie, in die Offensive zu gehen.

»Er hat ja immer irgendwelche Frauengeschichten gehabt«, meinte sie forsch. »Da war er nicht so wählerisch.«

»War dir das schon damals klar?«, hakte Jochen nach. Die Bemerkung von Britta erstaunte ihn. So hatte er sie noch nie über Markus sprechen hören. Claudia setzte ein freundliches und, wie Britta fand, auch leicht überhebliches Lächeln auf. Vor einigen Jahren hatte Claudia eine Nacht mit Markus verbracht. Jochen sollte das keinesfalls wissen. Die Nacht war ihr in lebhafter Erinnerung geblieben. Inzwischen waren es nicht nur die sportlichen Erfolge, die Markus auszeichneten, sondern beruflich hatte er gleichfalls Karriere gemacht. Vor Kurzem hatte sie ihn mal in Köln getroffen. Er trug einen teuren Anzug, eine wertvolle Uhr schmückte sein Handgelenk. Er sah erfolgreich aus. An eine Nacht mit so einem Mann konnte man sich gerne erinnern, sagte sie sich.

»Was soll mir klar sein? Dass Markus hinter Frauen her ist und sich dabei mit jeder, die ihn toll findet, einlässt? Natürlich ist das so«, sagte Britta leicht erregt.

»Ja. Aber das war nicht der Grund, warum ihr euch getrennt habt?« Jochen fühlte sich unsicher.

»Doch, auch«, entgegnete Britta. Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, passte für sie aber gleichwohl gut ins Gespräch.

»Komisch. Das hat mir Markus nie erzählt. Ich dachte, du wüsstest nichts über all die Frauengeschichten, die er in deiner Zeit hatte«, ließ Jochen zögernd verlauten.

Das Lächeln von Claudia wirkte eingefroren.

»Er ist halt ein richtig unzuverlässiger, eitler Typ.« Britta hatte sich für eine Vorwärtsverteidigung entschieden. Was auch immer Jochen meinte, sie wollte nicht als Dumme dastehen, die nicht wusste, was Markus für Affären gehabt hatte. Im Augenblick gab es keine Zeit für Ärger oder Wut. Dieses Gespräch musste erst mal gut überstanden sein.

»Er machte ja echt jeden Monat mit einer anderen rum. Aber ich hatte nicht gedacht, dass dir das bekannt war. Ich habe ihn kritisiert, fand es nicht fair dir gegenüber. Zum Beispiel mit Nicole. Das hätte er wirklich bleiben lassen können. Oder auch mit der Mary. Ist heute ebenfalls nicht besser. Ich will nicht über ihn herziehen, er ist mein Freund. Aber ich würde mich jedenfalls nicht so verhalten.« Bei dieser Bemerkung schaute Jochen Claudia an und wollte lächeln. Claudias Gesicht wirkte erstarrt. Jochen bezog das auf sich, dass sie ihn gleichfalls für so einen Typen wie Markus hielt. Das wollte er nicht. Deshalb ergänzte er noch schnell: »Ich würde mich nie so verhalten. Niemals.« Der Gesichtsausdruck von Claudia entspannte sich aber nicht.

Britta meinte, dass der Boden unter ihr wegsackte. Nicole und Mary waren damals ihre besten Freundinnen gewesen. Dann die Bemerkung, dass sei ihr gegenüber nicht fair gewesen. Was für eine armselige Rolle wurde ihr da zugewiesen. Sie schluckte.

»Lassen wir das Thema Markus. Ist durch«, bemerkte sie schließlich in einem resignativen Ton. Danach plätscherte das Gespräch lustlos vor sich hin.

»Ich bin müder, als ich dachte«, warf Britta schließlich ein. »Es war eine anstrengende Woche. Gabriel schläft nicht so gut.« Eine Feststellung, die nicht stimmte. »Er ist ein wenig erkältet.« Das war ebenfalls erfunden. »Ich sollte zu Hause bei ihm sein.«

Sie gingen mit der gegenseitigen Vergewisserung auseinander, bald wieder voneinander zu hören.

»War ein schöner Abend mit euch. Bis demnächst«, verabschiedete sich Britta.

Sie fühlte sich erschöpft, erniedrigt, verraten. Wut stieg in ihr hoch. Als sie zu Hause ankam, schliefen Gabriel und Bernhard schon. Sie schaute durch die offene Tür und sah ihren Sohn friedlich in seinem Bett liegen. Gleichwohl … in diesem Augenblick spürte sie Kälte in ihrem Herzen.

Sie hatte das Bedürfnis, noch zu duschen. Dabei zitterte sie leicht. Dann zog sie sich um und schlüpfte neben Bernhard ins Bett. Er wachte auf und murmelte schlaftrunken: »Alles klar? Wie geht’s?« »Alles okay. Schlaf weiter!« Sie drehte sich zur Seite und versuchte einzuschlafen.

Mit Bernhard über ihre Gefühle zu sprechen, war das Letzte, was sie jetzt wollte. Diese Herabsetzung, die ihr eben widerfahren war, sollte kein Mensch erfahren. Eine ganze Weile lag sie noch wach. Markus hatte ihre Liebe missbraucht. Sie musste ihre Wut unterdrücken. Sie selbst hatte zwar in der Zeit mit Markus ebenfalls eine kleine Affäre gehabt, aber dies schien ihr in keiner Weise mit dem Verhalten von Markus vergleichbar zu sein, und zudem stellte sich das nun nachträglich als mehr als gerechtfertigt heraus.

Am nächsten Morgen erklärte Britta, sie fühle sich krank, wäre wohl etwas erkältet und hätte Kopfschmerzen. Sie blieb im Bett liegen, verdunkelte den Raum, spürte Unruhe und empfand, dass weder ihre Mutter noch ihr Vater noch Markus ihr je das gegeben hatten, was sie brauchte.

Bernhard ist auch nicht besser, dachte sie. Er beachtet mich viel zu wenig. Eigentlich schätzt er mich überhaupt nicht. Er will Beruf, Ehefrau, Kind. Dabei habe ich ihn als Mann genommen, weil er für mich da sein soll. Aber wann ist er das schon? Interessiert es ihn wirklich, wie es mir geht? Ist er jetzt bei mir? Fragt er mich?

Während ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, hatte sie Gabriel und ihrem Mann gegenüber ein schlechtes Gewissen. Ich bin nichts wert, meldete sich ein Gefühl, das sie sofort verdrängte.

Wahrscheinlich kommt Bernhard gleich mit einem sorgenvollen Gesicht rein. Das hilft mir auch nicht. Irgendetwas stimmt nicht mit mir, wenn mich Markus derart betrogen hat.

Mühsam gewann sie in den nächsten Tagen ihre nach außen gezeigte Selbstsicherheit zurück. Es blieben gleichwohl der Groll und das Gefühl, im Leben nicht zu erhalten, was ihr zustand, und dass Bernhard dies nicht bemerkte und in keiner Weise versuchte, hieran etwas zu ändern. Für ihn reicht es, wenn er alles hat, was er braucht. So empfand sie seine Einstellung.

Dann meldeten sich andere Gedanken. Ich fühle mich in seiner Gegenwart wohl, sprach sie zu sich selbst. Ich besitze ein Zuhause, ein wunderbares Kind. Es ist gut. Das soll so bleiben. Ihre Gefühle sprangen hin und her.

Bernhard bemerkte ihre angespannte Stimmung. Er spürte, dass es Britta schlecht ging. Indessen nichts lag ihm ferner, als an eine Krise in ihrer Beziehung zu denken. Wenn er die Situation ganz vernünftig betrachtete, gab es keinen Anlass hierfür. Doch ohne dass er sich darüber Rechenschaft ablegte, begab er sich zunehmend in seine eigene Welt; er versank in die Geschichten über das Altertum, sprach in Gedanken mit den griechischen Göttern und fühlte sich in dieser Welt vollkommen zu Hause. Britta schien er dann weit weg von ihr zu sein.

In einem jedoch bestand große Einigkeit zwischen ihnen: Beide wollten ihre Familie. Sie gab ihnen Halt und dem Dasein Sinn.

Britta und Konrad Wegner

Britta konzentrierte sich in den nächsten Monaten mehr auf ihre Arbeit. Sie war beauftragt, einen jungen Referendar, Konrad Wegner, zu betreuen. Sie bereitete ihren Unterricht gewissenhaft vor, wollte die Anerkennung des jungen Mannes gewinnen – vielleicht auch sein Begehren, denn sie fand ihn durchaus attraktiv. Aus den Augenwinkeln betrachtete sie seinen wohlgeformten Hintern, wenn er sich vornüber beugte. In ihrer Wahrnehmung besaß er schöne Augen, eine angenehme Stimme und, was sie faszinierte, er schien frei zu leben. Eine Freiheit, nach der sie sich sehnte. Wenn sie Wohnung, Mann und Kind als lastende Verpflichtung empfand und sich älter werden sah, ohne dass ihre Träume in Erfüllung gingen, dann wünschte sie die Zeit zurück, als sie ohne Begrenzungen und offen für eine abenteuerliche Zukunft gelebt hatte.

Der Kontakt zu Konrad wurde vertrauter. Sie lachte viel in seiner Gegenwart, fühlte sich jung, schön und begehrt, genoss seine Blicke und jeden Augenblick des Zusammenseins.

Eines Nachmittags waren sie alleine im Lehrerzimmer. Konrad hatte auf der Couch, die zum Ausruhen an der Wand stand, Platz genommen. Britta betrat den Raum mit einem Stapel Hefte und brachte diese an ihrem Platz.

»Genug für heute. Das korrigiere ich erst morgen«, meinte sie und schaute in Richtung Konrad, der freundlich lächelte.

»Ja. Gönne dir eine Pause. Du arbeitest viel und gut. Deine Schüler haben eine tolle Lehrerin«, erwiderte Konrad.