4,99 €
O Canada - Feuerwerk, Konzerte, Picknicks, Barbecue, Paraden
Mit dem Nationalfeiertag am 1. Juli beginnt in Kanada der Sommer. Doch kaum ist die Nationalhymne zur Feier der frisch vereidigten Kanadier verklungen, verliert das Land auch schon wieder einen seiner neuen Bürger ...
Während es draußen heiß wie im Backofen ist, versucht Linn Sommer einen kühlen Kopf zu bewahren. Nach der Trennung von ihrem Freund und kurz vor ihrem 30. Geburtstag steht für sie die Welt Kopf. Deshalb lässt sie sich von dem Todesfall nur allzu gern ablenken. Doch diesmal scheint sie sich zu viel auf den Teller geladen zu haben, denn nicht nur die sommerlichen Temperaturen bringen sie ins Schwitzen, sondern auch die zahlreichen Verdächtigen ...
Nach einer gescheiterten Ehe ist Linn Sommer froh, in Kanada einen Neuanfang wagen zu können. Die waschechte Norddeutsche mit einer Schwäche für Stepptanz, Fahrradfahren und attraktive Männer verschlägt es in das idyllische Städtchen Kitchener. Dort findet sie einen Job in der deutschen Bäckerei Hansel & Pretzel. Alles scheint perfekt - bis Linn hinter der Bäckerei eine Leiche findet! Sie beschließt, auf eigene Faust zu ermitteln. Und das nicht nur, weil der zuständige Inspektor unwiderstehlich charmant ist.
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 283
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Grußwort des Verlags
Über diese Folge
Hansel & Pretzel - Die Serie
Die Protagonisten
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Rezept
Bienenstich
Danksagung
Über die Autorin
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser,
vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.
Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.
Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.
Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!
Dein beTHRILLED-Team
Melde dich hier für unseren Newsletter an:
O Canada - Feuerwerk, Konzerte, Picknicks, Barbecue, Paraden
Mit dem Nationalfeiertag am 1. Juli beginnt in Kanada der Sommer. Doch kaum ist die Nationalhymne zur Feier der frisch vereidigten Kanadier verklungen, verliert das Land auch schon wieder einen seiner neuen Bürger ...
Während es draußen heiß wie im Backofen ist, versucht Linn Sommer einen kühlen Kopf zu bewahren. Nach der Trennung von ihrem Freund und kurz vor ihrem 30. Geburtstag steht für sie die Welt Kopf. Deshalb lässt sie sich von dem Todesfall nur allzu gern ablenken. Doch diesmal scheint sie sich zu viel auf den Teller geladen zu haben, denn nicht nur die sommerlichen Temperaturen bringen sie ins Schwitzen, sondern auch die zahlreichen Verdächtigen ...
Nach einer gescheiterten Ehe ist Linn Sommer froh, in Kanada einen Neuanfang wagen zu können. Die waschechte Norddeutsche mit einer Schwäche für Stepptanz, Fahrradfahren und attraktive Männer verschlägt es in das idyllische Städtchen Kitchener. Dort findet sie einen Job in der deutschen Bäckerei Hansel & Pretzel. Alles scheint perfekt – bis Linn hinter der Bäckerei eine Leiche findet! Sie beschließt, auf eigene Faust zu ermitteln. Und das nicht nur, weil der zuständige Inspektor unwiderstehlich charmant ist.
Sieglinde (Linn) Sommer, deutsche Teeliebhaberin, die sich nach einer Trennung ein neues Leben in Kanada aufbaut und dabei begeistert in Mordfällen ermittelt
Bas van de Groot, Polizeiinspektor, der Linns Einmischung einerseits nicht leiden kann, aber andererseits sie auch für ihre Menschenkenntnis bewundert
Kamryn Bellamy, Reporterin mit einem schier unermüdlichen Schatz an eigenwilligen, schottischen Redewendungen und Linns beste Freundin
Mackenzie (Mac) Snyder, Linns Gothic-Mitbewohnerin mit einer Vorliebe für laute Musik, Computergenie, stammt aus einer mennonitischen Familie
Igor Medwedew, Linns Mitbewohner, Fitnesscoach und angehender Koch, verwöhnt die WG regelmäßig mit seinen Kochkünsten
Bryan Evans, Linns Vermieter und Makler, der immer um ein friedliches Zusammenleben in der WG bedacht ist
Kyle Anderson, Linns Mitbewohner, Locationscout beim Fernsehen, dessen reizvolle Grübchen Linn häufig verwirren
Marianne und Rainer Brunhuber, Hansel & Pretzel-Besitzer, die Linn wie eine eigene Tochter ins Herz schließen
»Verdammtes Ding!« Ich schlug mit der Hand auf den Drucker.
Igor kam herein und stellte eine Tüte mit Gemüse neben dem widerspenstigen Gerät auf dem Küchentisch ab. »Ist das Bryans?«
»Ich wollte damit die blöden Formulare ausdrucken, aber das doofe Teil druckt nicht!«
Mein Mitbewohner zog das Kabel ab, das den Drucker mit meinem Laptop verband.
Ich fuhr ruckartig von dem Stuhl hoch. »Was soll das?«
»Jetzt mach hier mal keinen Paul Henderson«, brummte er und wackelte an dem Stecker herum.
»Paul Henderson?«
Igor steckte das Kabel wieder zurück. »Kanadischer Eishockeyspieler, der 1972 beim Spiel gegen Russland das entscheidende Tor geschossen hat. ›Das Tor, welches man überall auf der Welt hören konnte‹.«
Ich starrte ihn an. »Hast du einen Hitzschlag?«
»Versuch jetzt mal.« Er blickte auf meinen Bildschirm. »Ist das der Antrag auf Verlängerung deiner Aufenthaltsgenehmigung?«
Ich drückte auf den Print-Button, und der Drucker spuckte die erste Seite des Formulars aus.
»Oh, oh.« Igor deutete auf ein rotes Licht neben dem kleinen Display. »Papierstau.«
»Das gibt’s doch nicht!« Ich zog an dem Blatt, das sich keinen Zentimeter bewegte. »Wenn das so weitergeht, krieg ich noch einen Herzinfarkt!«
»Dank Doktor Hopps ist das heutzutage auch kein Problem mehr.«
»Dir ist echt nicht gut, oder? Was soll das Gequatsche über diesen Paul und Hopps?«
Igor nahm Brokkoli und Tomaten aus dem Beutel und öffnete die Kühlschranktür. »Als Kanadierin solltest du so etwas wissen.«
»Ich bin aber keine Kanadierin, sondern Deutsche.« Mit einem Ruck löste sich das Blatt und riss in der Hälfte durch.
»Wenn du die kanadische Staatsbürgerschaft annehmen willst, musst du so was wissen.« Er schloss den Kühlschrank. »Hopps hat den Herzschrittmacher erfunden.«
»Das sind Fragen aus dem Einbürgerungstest?« Ich versuchte, mit den Fingern den restlichen Teil des Papiers zwischen den beiden Rollen zu erhaschen.
»Ja.«
»Solch nutzlose Fakten muss ich mir nicht merken. Ich werde nie Kanadierin, denn als Deutsche darf man nur eine Staatsbürgerschaft haben.« Ich bemerkte, dass meine Fingerkuppen vom Toner schwarz gefärbt waren.
»Ich hab mit einem Deutschen studiert, der hatte beide Nationalitäten. Der ist hier geboren, aber seine Eltern waren deutsch.« Igor zog Gurken und Zucchini aus dem Einkaufsbeutel.
»Das ist ein spezieller Fall. Und man kann auch versuchen, eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen.« Ich rieb mit einem Küchentuch an meinen Fingern, aber die Flecken gingen nicht ab.
»Mach das doch. Dann musst du dich nicht alle fünf Jahre wieder mit dem Antrag für ‚permanent residents‘ herumärgern.« Igor betätigte einen Knopf an der Seite des Druckers, und wie von Zauberhand öffnete sich der obere Teil. Mein Mitbewohner nahm das zusammengeknautschte Papier heraus, drückte den Deckel wieder zu und warf den Zettel zusammen mit meinem abgerissenen Stück in den Müll.
»Die Verlängerung für die PR-Card ist gar nicht so schlimm.« Ich drückte erneut auf den Print-Button. Doch wieder geschah nichts.
»Der Toner ist leer.« Igor zeigte auf das Display.
»Aber dafür war noch genug Farbe da, oder was?« Ich hielt ihm meine verdreckten Finger hin. »Was für ein Mist!«
»Ja, so einen zehnseitigen Antrag auszudrucken und handschriftlich auszufüllen ist gar nicht so schlimm«, stichelte Igor und verschwand aus der Küche.
Ich knurrte ihm undamenhaft hinterher und ließ mich auf den Stuhl zurückfallen.
»Seit Igor für diesen Einwanderungstest gelernt hat, protzt er ständig mit seinem Wissen!«, beschwerte ich mich bei Kamryn und Mac.
Ich saß mit meinen Freundinnen auf der Wiese vorm Columbia Lake. Der künstlich angelegte See lag gegenüber zahlreichen Studentenwohnheimen sowie den Sportanlagen der Universität Waterloo. Wir warteten auf das Feuerwerk zum kanadischen Nationalfeiertag. Obwohl erst morgen der erste Juli war, veranstaltete die Stadt das traditionelle Feuerspektakel immer einen Tag früher.
»Da Igor nicht gerade für seine Gesprächigkeit bekannt ist, kann das ja nicht so schlimm sein.« Kamryn, die ausnahmsweise mal nicht in ihrer Tätigkeit als Reporterin für die Kitchener Gazette unterwegs war, fuhr sich durch ihre langen, roten Locken.
»Von wegen«, widersprach ich. »Seit er mit Silvana für irgendwelche Projekte zusammenarbeitet, ist aus dem Brummbär eine regelrechte Quasselstrippe geworden.« Ich stieß Mac an. »Stimmt doch, oder?«
Mac, die andere Frau in der WG, in der ich mit Igor und Bryan lebte, griff in die Popcorntüte. Im Gegensatz zu den anderen Besuchern, die mit Picknickkörben ausgestattet auf das Gelände gekommen waren, hatten wir nur je eine Flasche Wasser mitgebracht. Mac war beim Vorbeilaufen an diversen Essensständen beim Popcorngeruch schwach geworden und knabberte seitdem ununterbrochen.
»Gestern hat er mir was von Oscar Peterson vorgeschwafelt.« Sie strich sich über ihren langen schwarzen Rock. Meine Mitbewohnerin stammte aus einer alteingesessenen Mennonitenfamilie. Sie hatte die streng religiöse Gemeinschaft vor Jahren verlassen und kleidete sich seitdem in Gothic-Klamotten. Dementsprechend überraschend fand ich, dass sie sich das rote Ahornblatt, das man uns am Eingang des Festivalgeländes gegeben hatte, an ihre schwarze Bluse geheftet hatte.
»Wer ist das?«, wollte Kamryn wissen.
»Du kennst ihn nicht?« Mac setzte eine gespielt entsetzte Miene auf.
»Bin ich der Highlander und leb ewig?« Wieder einmal beglückte Kamryn uns mit einem ihrer eigenartigen schottischen Sprüche, den Mac jedoch ignorierte.
»Offenbar ein so berühmter Jazzpianist, dass ich noch nie was von ihm gehört hab.«
»Dann weiß ich ja, was demnächst auf deiner Playlist erscheinen wird.« Ich tat, als wenn ich wild auf Klaviertasten spielen würde.
Mac hörte vier Wochen lang die gleiche Musik, bevor sie ihre Playlist häufig radikal änderte: Von Abba zu Grunge, Britpop folgte auf Soul, und Classic Rock wurde von Hip-Hop abgelöst.
»So patriotisch bin ich nicht, dass ich mir nur jemanden anhöre, weil er Kanadier ist.« Mac, die bisher auf der Decke gekniet hatte, setzte sich in den Schneidersitz. »Sag mal, Kam, wieso kennst du den nicht? Musstest du keinen Test machen?«
Kamryn, die mit ihrer Familie aus Schottland nach Kanada ausgewandert war, schüttelte den Kopf. »Als meine Eltern die Staatsbürgerschaft für uns beantragt haben, war ich für den Test zu jung.«
Mac sah mich an. »Wenn du also für den Test lernen musst, dann komm bloß nicht bei uns an. Wir können dir nicht helfen.«
»Ich werde den Test nicht machen.«
Neben uns baute eine fünfköpfige Familie lärmend ihre Klappstühle auf. Die drei Kinder versuchten vergeblich, ihre Stühle aufzustellen, ohne die riesigen, hellrosa Zuckerwattestangen aus den Händen zu legen.
»Warum nicht? Du beschwerst dich doch immer, dass du hier Steuern zahlst, aber nicht wählen darfst.« Kamryn zog die Nase kraus, als der süßliche Duft der Zuckerwatte langsam zu uns herüberwaberte.
»Ich will aber meine deutsche Staatsbürgerschaft nicht dafür aufgeben.« Ich griff in Macs Popcorntüte, um dem penetranten Geruch entgegenzuwirken.
»Willst du irgendwann zurück?« Mac riss die Tüte weiter auf.
»Man gibt doch seine Nationalität nicht einfach so an der Garderobe ab, wenn man in ein anderes Land zieht«, erwiderte ich.
»Du tust beinah so, als wenn du gerade erst in Toronto gelandet bist. Dabei bist du jetzt schon ... zwei Jahre in Edmonton und fast zwei Jahre in Kitchener«, Kamryn hob einzelne Finger an ihrer Hand, »also seit fast vier Jahren in Kanada, und du willst nicht Kanadierin werden?«
»Wieso hängst du so an deinem deutschen Pass?«, fragte Mac.
»Immerhin kann ich mich damit frei in Europa bewegen.«
»Das heißt, du willst gar nicht zurück nach Deutschland, sondern woanders nach Europa?«, fragte sie nach.
»Ich halte mir so lediglich alle Möglichkeiten offen.«
»Die Spanier werden bestimmt von deinen grandiosen Sprachkenntnissen beeindruckt sein«, piesackte Mac, denn sie wusste genau, dass ich außer Englisch nur ein paar Brocken Französisch sprach.
Ich deutete nach vorn, wo die letzte Band gerade die Bühne verließ. »Das Feuerwerk geht bestimmt gleich los.«
»Ich verstehe nicht, wie du dich minutenlang darüber aufregen kannst, aber dann die Lösung für dieses Problem einfach so abwiegelst«, ließ Kamryn nicht locker. Sie jammerte mit deutschem Akzent weiter: »Alle fünf Jahre dieses ellenlange Formular. Plus dazu übersetzte und beglaubigte Kopien, die ihnen ohnehin schon vorliegen. Und dann noch die detaillierte Auflistung, an wie vielen Tagen ich in den letzten fünf Jahren das Land verlassen hab und wo ich genau war.«
»Und nicht zu vergessen die Ungewissheit, ob die kanadische Regierung dir nicht irgendwann mal die Verlängerung verweigern wird, weil sie vielleicht gerade genügend Bäckereiverkäuferinnen haben«, fügte Mac hinzu.
»Bekommt ihr Geld vom Einwanderungsministerium, wenn ihr neue Kanadier anwerbt?«
Ein zischendes Geräusch erklang, und schräg über uns ergoss sich ein silberner Sternenregen.
»Es geht los!« Mac zog ihr Handy, das sie sich mit einem Strumpfband ans Bein geklemmt hatte, hervor und richtete es auf den Himmel.
»Happy Canada Day!«, schallte es aus den Lautsprechern.
»O Canada! Our home and native land ...«
Jemand hustete.
Mit leicht geöffneten Lippen stand ich zwischen Mac und Igor, die vollen Herzens die kanadische Nationalhymne mitsangen. Ich hatte die Hymne schon bei mehreren Gelegenheiten gehört und kannte daher den Text sogar teilweise. Dennoch traute ich mich nicht, mit einzustimmen. Es kam mir nicht richtig vor, als Deutsche eine fremde Hymne zu singen.
Erneut war das Husten zu hören.
Mac hielt mir das Programm hin, auf dem der Text abgedruckt war. Fast unmerklich schüttelte ich mit dem Kopf, hielt den Mund aber trotzdem weiterhin leicht geöffnet, sodass die anderen hoffentlich nicht erkannten, dass ich nicht sang.
Ich ließ meinen Blick über die Köpfe schweifen. Ganz vorn stand die dunkelhäutige Richterin, vor der die Neukanadier vor wenigen Minuten den Eid auf King Charles III. geschworen hatten. Schräg davor in der zweiten Reihe konnte ich den hustenden Mann ausmachen. Er hatte dunkle, fast schwarze Haare und war schon ganz rot im Gesicht vom Husten. Neben ihm stand eine Frau, die entweder taub oder völlig unberührt von seinem möglichen Erstickungstod war, denn sie sah stur nach vorn. Sein Husten verebbte langsam.
In dem überdachten Holzbau befanden sich knapp dreißig frisch vereidigte Kanadier plus mitgebrachte Gäste. Ich fühlte mich geehrt, dass Igor mich dazu eingeladen hatte. Überraschenderweise hatte er Mac als zweiten Gast mitgenommen. Die beiden kabbelten sich ständig, sodass ich mir oft nicht sicher war, wie sympathisch sie sich eigentlich waren.
Die letzten Töne der Hymne verklangen, und Mac knuffte mir in die Seite. »Wieso hast du nicht mitgesungen?«
»Ist ja nicht ihre Hymne«, brummte Igor von der anderen Seite.
»Ich möchte jetzt alle Neukanadier bitten, noch einmal nach vorne zu kommen«, verkündete die Richterin. »Halten Sie bitte Ihre PR-Cards bereit.«
Der Mann hüstelte erneut und stand auf. Igor folgte ihm nach vorn. Die Richterin hielt dem Mann eine Schere hin und sagte etwas, was für uns in seinem Hustenanfall unterging.
»Was kommt denn jetzt?«, fragte ich.
Ein Kopf drängte sich von hinten zwischen Macs und meine Schultern. »Der beste Teil.« Die Frau hinter uns schnäuzte sich.
Mac und ich warfen einen Blick zurück. Eine flotte Mittfünfzigerin mit grauen, gelockten Haaren saß hinter uns und zerknüllte ein Taschentuch in den Händen.
»Sie müssen ihre PR-Cards zerschneiden.« Sie verzog das Gesicht und hielt sich das nasse Tuch an die Nase. Eine Träne rollte ihr langsam die Wange runter. »Ich freu mich immer so für alle«, entschuldigte sie sich.
Mac und ich drehten uns wieder nach vorn. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Igor die kleine Plastikkarte zerschnitt.
»Warum tun sie das?«, flüsterte ich Mac zu.
»Weil die PR-Card nur für Ausländer mit Aufenthaltsgenehmigung ist. Ein Kanadier darf dieses Dokument nicht besitzen«, mischte sich die Frau hinter uns wieder ein.
Igor bahnte sich den Weg zurück in unsere Stuhlreihe. In den Händen hielt er die vier Teile seiner PR-Card.
»Das könnte ich nicht!«, gestand ich. »Einfach so ein offizielles Dokument zerschneiden.«
»Und da war es wieder – das deutsche Obrigkeitsgefühl«, lästerte Mac.
»Ich hab ja jetzt was viel Besseres.« Igor wedelte mit seiner Einbürgerungsurkunde. »Damit kann ich einen kanadischen Reisepass beantragen.« Triumph blitzte in seinen Augen auf. »Und dann nie wieder bei der Einreise in die USA aufgehalten werden.«
»Davon träume ich auch«, gab ich zu. »Mich nicht mehr fragen lassen müssen, ob ich irgendwelche Verbindungen zum Nazi-Regime von 1933 bis 1945 in Deutschland hätte.«
Mac lachte laut auf und hielt sich dann eine Hand vor den Mund, als sich zahlreiche Gäste zu ihr umdrehten.
»Die US-Amerikaner sind zwar nicht für ihre Mathekenntnisse bekannt«, flüsterte sie. »Aber selbst sie sollten nachrechnen können, dass du zu der Zeit noch gar nicht geboren warst.«
»Das ist denen total egal. Die Frage steht auf dem Zettel und gut ist.«
»So wie die Frage, ob man in einer terroristischen Gruppe aktiv sei«, fügte Igor hinzu.
Macs Hand schnellte wieder an ihren Mund. »Als ob man darauf jemals mit ›Ja‹ antworten würde.«
Ich sprach mit harschem Akzent: »Oh, Mist. Ich wusste nicht, dass ich dann nicht ins Land darf. Was mache ich jetzt mit der Bombe, die ich mir am Bauch festgeklebt hab?«
Macs Lachen ging dieses Mal glücklicherweise in einem allgemeinen Applaus unter. Die feierliche Zeremonie war beendet. Die Gäste strömten auf die umliegende Wiese hinaus.
»Was ist eigentlich in dem Haus?« Ich deutete auf einen viktorianischen, gelben Steinbau am anderen Ende der Grünfläche.
»Woodside National Historic Site«, antwortete Mac.
»Und das ist denkmalgeschützt, weil ...?« Ich sah sie an.
»Das ist das Geburtshaus von William Mackenzie King. Er war Kanadas zehnter und mit 22 Jahren der längste amtierende Premierminister.« Igor holte tief Luft, doch ich kam ihm zuvor: »Ausreichende Antwort, danke.«
»Hattest du nicht auch was von Buffet gesagt?« Mac schaute Igor fragend an.
Unser Mitbewohner deutete mit dem Kopf auf ein großes, weißes Zelt inmitten der Wiese. »Da, wo die Leute schon Schlange stehen.«
»Wollen wir nicht lieber ein bisschen warten, bis es leerer ist?«, schlug ich vor.
»Was willst du solange machen? Kanadaflaggen zählen?« Mac zeigte mit einer ausladenden Armbewegung durch den Park, der an allen erdenklichen Stellen mit Flaggen geschmückt war.
»Wusstet ihr, dass die Flagge eines der kanadischen Symbole ist?«, begann Igor.
»Nicht schon wieder«, stöhnte ich.
»Sie ist 1965 das erste Mal gehisst worden.« Auf meinen verdutzten Blick hin streckte Mac die Brust heraus. »Das weiß ich, weil meine Mutter immer wieder betont, dass die Flagge und sie gleich alt sind.«
»Das rot-weiße Muster stammt von dem Royal Military College in Kingston«, fuhr Igor unbeirrt fort. »Seit dem Mittelalter sind dies die Farben von England un...«
»Du bist gerade vereidigt worden! Es fragt dich kein Mensch mehr nach diesem Kram«, fiel ich ihm erneut ins Wort.
»Du bist ja nur neidisch, weil du keine Ahnung von kanadischer Geschichte hast.«
»Bisher hab ich auch gut gelebt, ohne dass ich wusste, dass Peter Hammerson ein weltweit zu hörendes Tor geschossen hat.«
»Paul Henderson«, korrigierte Igor mich.
»Paul, Peter – ist das wirklich das, was einen Kanadier ausmacht? Sollte man nicht lieber sinnvollere Dinge in einem Einwanderungstest abfragen?«
»Was schwebt dir da so vor?«, fragte Mac.
»Was ist ein Double-Double bei Tim Hortons? Was ist gemeint, wenn du einen Two-Four zur Gartenparty mitbringen sollst?«
Mac und Igor brachen in Gelächter aus.
»Für den Alltag wäre es wirklich nützlicher zu wissen, wie man einen Kaffee mit zweimal Milch und zwei Stück Zucker bestellt und dass du einen Karton mit 24 Bierdosen fürs BBQ mitbringen sollst.« Mac kicherte erneut.
»Fragen die Deutschen solche Sachen in ihrem Einwanderungstest?«, wollte Igor von mir wissen.
»Keine Ahnung. Vermutlich stellen sie noch mehr historische Fragen als die Kanadier.«
»Ihr habt ja auch eine längere Geschichte.« Mac deutete mit dem Kopf in Richtung Zelt. »Essen?«
Ich runzelte die Stirn. »Aber macht das einen zum Deutschen oder zum Kanadier? Dass man viel zur Landesgeschichte weiß?«
»Hä? Können wir das nach dem Essen diskutieren?« Mac legte Igor und mir je eine Hand auf die Schulter.
»Na ja, werde ich automatisch zur Italienerin, wenn ich das ständig wechselnde Parlament der 90er-Jahre herunterbeten kann?«
Ich versuchte ihre Hand abzustreifen, doch sie drängte uns vorwärts und antwortete: »Nur wenn du dazu dreimal am Tag Pizza und Pasta isst und einen Espresso als Schlaftrunk zu dir nimmst.«
Igor lachte auf. »Du hast echt nur noch Essen im Kopf, oder?«
»Jetzt mal im Ernst: Wann wird man Kanadier? Igor, fühlst du dich jetzt nach dem Eid als Kanadier? Oder bist du weiterhin Russe?«
Igor fuhr sich über den Nacken. »So ein richtiger Russe war ich nie. Ich wollte immer in den bösen Westen.« Er griente.
»Aber bist du jetzt Kanadier?«
Er überlegte und antwortete dann: »Ich bin Russe mit einem kanadischen Pass.«
»Igor!« Ein Mann, der mich mit seiner gedrungenen Erscheinung, aber extrem muskulösen Oberarmen an eine Mischung aus Jean-Claude van Damme und Danny de Vito erinnerte, kam auf uns zu. Er trug eine bunte, randlose Kopfbedeckung.
Die beiden Männer umarmten sich herzlich.
»Das hier ist Waleed, wir haben uns im Vorbereitungskurs für den Einwanderungstest kennengelernt«, stellte Igor ihn uns vor.
»Jetzt kann ich mich bei der Post bewerben! Dazu muss man nämlich Kanadier sein.« Waleed war sichtlich erfreut über diese neue berufliche Aussicht.
Mac nickte Waleed zu und hakte sich dann bei mir unter. »Wir gehen schon mal zum Buffet!«
»Ich komme nach«, versprach Igor, während Mac mich wegzog.
»Was war das auf seinem Kopf? Sah aus wie eine von Rainers kleinen Springformen nach einem Farbbad«, flüsterte ich.
Mac unterdrückte ein Kichern. »Bisschen mehr Respekt, wenn ich bitten darf. Das war ein Kufi-Hut. Ein ehemaliger Kollege aus Westafrika hat so einen zu seiner Hochzeit getragen.«
Wir blieben ein wenig abseits der reichlich gedeckten Tische stehen und warteten, da die Gäste sich immer noch um das Buffet drängten. Eine junge Frau, die ich auf sechzehn oder siebzehn schätzte, löste sich aus der Gruppe und kam mit ihrem Teller an uns vorbei. Mac schaute ihr schmachtend hinterher.
»Du tust beinah so, als wenn du seit Tagen nichts gegessen hättest«, bemerkte ich.
»Die hatte einen Cinnamon Bannock.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Die liebe ich!«
»Bannock?«
»Manche bezeichnen sie als fade Eishockeypucks aus Kohlenhydraten, aber die haben keine Ahnung. Stell dir einen Apfelkrapfen auf Urlaub in Schottland vor. Hoffentlich sind noch welche da.«
Ehe ich nachfragen konnte, wie das schottische Klima ein fluffiges, in Fett gesiedetes Gebäck geschmacklich beeinflussen könnte, ließ uns ein quiekendes Geräusch herumfahren. Die junge Frau blickte auf den Pappteller, der mitsamt dem Krapfen und ein paar Trauben vor ihr auf dem Boden lag. Der Mann, der die Zeremonie immer wieder mit seinem Husten unterbrochen hatte, stand neben ihr und griff ihr an den Arm.
Die Frau versuchte, sich von ihm zu lösen, was scheinbar nicht in seinem Sinne war. Er fasste ihre Hände, sie reagierte mit noch mehr Protest.
»Was grabscht der sie denn an?« Mac starrte hinüber.
»Ich hab nicht das Gefühl, dass die sich kennen.«
Mac ging so schnell auf die beiden zu, dass es mir schwerfiel, ihr hinterherzueilen. »Was ist hier los?« Ihre Stimme klang eisig.
Sofort ließ der Huster das Mädchen los, das gleich ein paar Schritte zurücktrat und mich dabei anrempelte.
»Entschuldigung«, murmelte es und wurde rot.
Ich winkte ab. »Nichts passiert.«
»Hier auch nicht.« Obwohl der Huster uns anlächelte, musste ich ein Schaudern unterdrücken. Nicht, dass er unansehnlich gewesen wäre. Ganz im Gegenteil: Er hatte längere, fast schwarze Haare und trug einen gepflegten Bart. Sein Körperbau war athletisch, und mit seinen dunklen Augen könnte er sicherlich so manche Frau zum Schnurren bringen. Aber ich fand sein Lächeln schleimig und seine Art unangenehm.
»Eliza?« Eine Frau, die wie eine ältere Ausgabe des Mädchens aussah, winkte über die Wiese. Ohne uns oder sein heruntergefallenes Essen noch eines Blickes zu würdigen, lief das Mädchen zu ihr.
Als wir uns wieder zu dem Huster drehten, war dieser ebenfalls verschwunden.
»Den fand ich irgendwie ... bäh.« Ich verzog das Gesicht.
»Widerlicher Kerl«, bestätigte Mac. »Und jetzt lass uns endlich was essen.«
»Ob die nach Ahornsirup schmecken?« Ich deutete auf die Kekse, die die Form eines Ahornblatts hatten und mit rotem Frosting überzogen waren.
Bevor Mac antworten konnte, drängte sich der Huster zwischen uns und das Buffet. »Ihr zwei dürft auf gar keinen Fall etwas davon naschen!«
»Warum?« Ich wollte an ihm vorbeigehen, aber er versperrte mir den Weg.
»Das wäre lebensgefährlich für uns Männer. Ihr zwei seid ja jetzt schon zuckersüß.« Er zwinkerte uns zu.
Es kostete mich viel Überwindung, nicht angewidert das Gesicht zu verziehen. Mac hingegen warf ihm einen eiskalten Blick aus ihren dunkel geschminkten Augen zu. Andere hätten den Wink mit dem Zaunpfahl sicherlich verstanden und das Weite gesucht, aber dieser Kerl grinste einfach nur breit und entblößte dabei seine strahlend weißen Zähne.
»Ich liebe Frauen mit Biss!« Er nahm Mac von oben bis unten in Augenschein. Zur Feier des Tages trug sie heute ein aufwendiges schwarzes Kleid, das an den Seiten mit dunkelroter Spitze mit Blumenmuster abgesetzt war. Zusammen mit dem hochgestellten Kragen, den frisch schwarz gefärbten Haaren, dem blass geschminkten Teint und dunkelroten Lippenstift sah sie wie Frau Dracula persönlich aus. »Und dunklen Geheimnissen.« Er hustete.
Mac verschränkte die Arme vor der Brust, schwieg aber immer noch. Ich machte erneut Anstalten, an ihm vorbeizukommen, doch er ließ mich nicht vorbei.
»Okay, wie wäre es«, keuchte er zwischen zwei Hustenanfällen, »wenn wir noch mal starten?« Er räusperte sich, richtete sich auf, strich sich durch die Haare und fixierte uns mit seinen dunklen Augen. »Zoran Dragovic.« Er deutete eine Verbeugung an. »Darf ich den Damen etwas vom Buffet holen?«
»Nein, danke.« Mac schob ihn grob zur Seite.
Zoran sah sie überrascht an und musste wieder husten. Doch sein Gesicht verriet Belustigung.
»Ich mag Herausforderungen«, krächzte er, während er immer noch versuchte, seinen Husten unter Kontrolle zu bringen.
»Dann solltest du mal damit anfangen, dein Gebelle in den Griff zu kriegen!« Mac nahm sich eine kleine Wasserflasche.
»Gibt’s Probleme?« Eine Frau mit schwarzen, glatten Haaren, die fast bis zum Po reichten, stand plötzlich neben Zoran.
Mac zeigte mit der Flasche auf Zoran. »Das einzige Problem sind seine schlechten Anmachen.«
Die Frau warf ihm einen abschätzigen Blick zu. »Mein Mann war noch nie für seine Kreativität bekannt.«
Ich riss die Augen auf, und auch Mac konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Die Frau zuckte mit den Schultern, während Zoran wieder breit lächelte. Er schien sich nicht für sein Benehmen zu schämen. Seine Ehefrau nahm sich ebenfalls ein Getränk und verschwand erneut in der Menge.
»In jeder guten Ehe gibt es Geheimnisse«, sagte Zoran. »Meine Frau kennt daher nicht alle meine Tricks.« Wieder zwinkerte er uns zu.
»Alter, jetzt reicht’s echt!« Macs Stimme war laut geworden.
»Zoran, lass mich mal durch.« Die ältere Dame, die hinter uns gesessen hatte, schob sich an ihm vorbei, sodass sie zwischen uns stand.
Zoran verzog das Gesicht. »Vielleicht sehen wir uns später noch?« Bevor er verschwand, warf er Mac einen letzten Blick zu.
»Widerlicher Kerl.« Mac öffnete ihre Flasche und nahm beherzt einen Schluck Wasser. »Haben Sie mitbekommen, dass er uns vor den Augen seiner Ehefrau angebaggert hat?«
Die Frau presste ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. »Zoran meint das nicht ernst.«
So, wie sie guckte, glaubte sie das selbst nicht.
»Kennen Sie ihn gut?«, fragte ich.
»Wir arbeiten zusammen.« Die Frau hielt mir ihre Hand hin. »Angelica Perez. Ihr könnt mich Angel nennen. Ich leite das IC.«
»Das IC?«, fragte ich nach.
»Immigration Centre. Wir helfen Immigranten in allen möglichen Situationen – Formulare ausfüllen, Hilfen beantragen, Übersetzungen und so.«
»Was macht Zoran da? Immigrantinnen verschrecken, damit sie wieder zurück in ihr Heimatland ziehen?« Macs Sarkasmus war unüberhörbar.
»Er arbeitet als Übersetzer.«
»Für Mann-Weiberheld, Weiberheld-Mann?«, rutschte es mir heraus.
Mac prustete los, und auch Angel huschte ein vorsichtiges Lächeln über die Lippen.
»Direkte Art und ein leichter Akzent, wenn ich mich nicht irre – deutsch?«, fragte sie mich.
»Schuldig«, bekannte ich.
»Ich hab dich schon gesucht.« Eine Mittsechzigerin mit Kopftuch und verhärmtem Gesicht kam auf Angel zu.
»Halima, darf ich dir ...« Angel sah uns fragend an.
»Mackenzie King, aber ich höre nur auf Mac«, stellte sich meine Mitbewohnerin vor.
Halima ließ ihren Blick über Macs Outfit schweifen.
»Hast du Todessehnsucht?« Ihr starker Akzent ließ die Frage unhöflich klingen.
»Ganz im Gegenteil: Als Goth akzeptiere ich den Tod als Teil des Lebens und lebe daher bewusster und individueller als andere.«
Ich schob meine Hand vor. »Ich bin Linn Sommer. Eigentlich Sieglinde, aber den Namen kann ich nicht leiden.«
»Hörst du ihren leicht deutschen Akzent?«, fragte Angel Halima. Dann wandte sie sich zu mir. »Hast du eine Ahnung, wo sie herkommt?«
»Osteuropa?«, gab ich eine vage Vermutung bekannt, denn sie sah einem alten, türkischen Mütterchen, das in Lübeck früher immer mit seinem Hackenporsche auf dem Marktplatz um die besten Preise fürs Gemüse gefeilscht hatte, zum Verwechseln ähnlich.
»Bosnien.« Halima deutete auf einen der Ahornkekse und sagte zu Angel: »Wie wäre es damit?«
Angel nahm einen und biss ab. Zu gern hätte ich Halima gefragt, wie lange sie schon in Kanada war. Offenbar gehörte sie zu den bosnischen Muslimen, daher vermutete ich eine Flucht während des Jugoslawienkriegs. Aber ich wollte keine alten Wunden aufreißen, daher unterdrückte ich meine Neugier.
Doch Halima schien mit der Frage gerechnet zu haben und fuhr fort: »Ich bin 1995 gekommen, nachdem meine Familie im Krieg ermordet worden war.«
Betreten wechselten Mac und ich einen Blick. Was konnte man darauf schon sagen.
»Der ist pappig!« Angel nahm eine Serviette, spuckte Keksbrei hinein und verschnürte die andere Kekshälfte ebenfalls darin. »Wenn das restliche Essen auch so schmeckt, können wir diesen Cateringservice für unser Fest vergessen.«
Mein Blick wanderte über die zusammengeschobenen Tische. Vielleicht könnte ich stattdessen eins der Butter-Pecan-Törtchen probieren, von dem Angel jetzt abbiss?
»Das hier ist auch nicht so gut.« Angel verzog das Gesicht. Sie warf alles in eine Mülltonne am Ende des Buffets.
Mac zog ihren Rock hoch. Halimas Augen wurden groß, als sie ihr Handy aus dem Strumpfband zog.
»Es hat vibriert«, entschuldigte sich Mac und nahm das Gespräch an. Im Weggehen griff sie nach einem Bannock und entfernte sich leise sprechend von uns.
Halima deutete auf ein kleines Schild, das vor einem Teller stand. »Was verbirgt sich hinter ‚gefüllten Teigtaschen‘?«
»Probier doch eins«, schlug ich vor.
»Es ist Ramadan, ich esse erst wieder nach Sonnenuntergang.« Sofort stieg mir das Blut in die Wangen, aber Halima fuhr fort: »Auf einer Feier, wo Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Religionen zusammenkommen, muss das Essen doch genau gekennzeichnet sein!«
»Ich kann die testen«, bot ich an. Schon beim ersten Bissen schmeckte ich fad gewürztes Hackfleisch. »Nix für Vegetarier«, nuschelte ich mit vollem Mund.
»Schwein?«, fragte Halima.
»Kann ich nicht sagen.« Ich schluckte hinunter. »Da ist so viel anderes Zeug drin.«
»Wonach schmeckt es?«, wollte Angel wissen, die sich wieder zu uns gesellt hatte.
»Um ehrlich zu sein, nach nichts. Eine undefinierbare Fleischmasse mit weich gekochtem Gemüse.« Jetzt griff auch ich nach einer Serviette, um den traurigen Teigkloß aus meinem Mund darin verschwinden zu lassen.
»Blöd.« Angel biss sich auf die Unterlippe. »Die waren so überzeugend, als sie letzten Monat bei uns waren.«
»Wo sollen wir denn jetzt noch so schnell Ersatz herbekommen?«, jammerte Halima. »Wir können doch nicht ohne Essen feiern!«
»Ihr braucht einen Caterer für ein Fest?«, fragte ich nach.
»Kennst du jemanden?« Angels Augen leuchteten auf.
Ich wiegte den Kopf hin und her. »Ich arbeite bei Hansel & Pretzel, das ist die deu...«
»Oh!« Angel presste sich eine Hand aufs Brustbein. »Die beste Bäckerei in KW!« Wie die meisten Einheimischen benutzte sie die Abkürzung für die Doppelstadt Kitchener-Waterloo.
»Die sind auf der King Street, oder?«, vergewisserte sich Halima.
»Ja. Mein Chef bietet auch Catering an, allerdings nur Backwaren. Zwar süß und herzhaft, aber er würde keinen Schweinebraten oder so zubereiten.«
Halima verzog angeekelt das Gesicht.
Ich schlug mir vor die Stirn. »Entschuldige, vergiss es. Natürlich würde keiner bei einem muslimischen Fest Schwein haben wollen.«
»Es ist so«, begann Angel, »zum Ende des Ramadans, das ist dieses Jahr am Sonntag in zwei Wochen, veranstalten wir immer ein Fastenbrecherfest. Da die Muslime verschiedener Länder unterschiedliche kulinarische Traditionen haben, bringen viele Teilnehmer ein landestypisches Gericht mit. Da wir aber nie genau wissen, wie viel Speisen wir haben werden, beauftragen wir auch jedes Jahr einen Caterer.«
»Die letzten Jahre haben wir immer mit Chef’s Delight zusammengearbeitet, aber die haben das Geschäft nach dem Tod des Besitzers geschlossen«, warf Halima ein.
»Jedenfalls haben wir jedes Jahr ein Buffet mit Backwaren vom Caterer und den Gerichten der Gäste.« Angel klatschte in die Hände. »Insofern wäre Hansel & Pretzel ein super Ersatz für dieses Jahr. Danke!«
Ich hob die Hand. »Ich muss erst mal meinen Chef fragen. Das muss ja zeitlich auch passen. Und wenn ihr spezielle Backwaren haben wollt, weiß ich gar nicht, ob er die backen kann.«
»Chef’s Delight hat immer Muffins und ein paar Pies geliefert, und alle waren glücklich. Frag ihn bitte, und dann sag uns Bescheid, okay?« Angel griff in ihre Handtasche und zog eine Visitenkarte hervor. »Wir sollten jetzt den Immigranten gratulieren, die wir während der Einbürgerung betreut haben.«
Die beiden Frauen nickten mir zu und verschwanden.
Hungrig wanderten meine Augen erneut übers Buffet. Doch je länger ich darauf schaute, umso mehr fiel mir auf: trockene Teigränder, unappetitliche Fettperlen, entweder zu blasses oder zu dunkles Gebäck – alles Hinweise, die nichts Gutes für den Inhalt verhießen. Und von den Bannocks, von denen Mac geschwärmt hatte, war kein Krümel mehr übrig.
Seufzend griff ich nach ein paar Trauben und sah mich suchend um. Es war Zeit, meine Mitbewohner ausfindig zu machen und nach Hause zu fahren.
»Wo ist Mac?«, fragte ich Igor, nachdem ich schweigend lächelnd neben ihm gewartet hatte, während er sich auf Russisch mit einem anderen Mann unterhalten hatte.
»Sie wollte sich das Haus angucken.«
»Da kann man rein?« Ich beäugte das Geburtshaus des ehemaligen Premierministers. »Kommst du mit?«
»Ich wollte die Richterin noch was fragen. Wegen der Beantragung des kanadischen Reisepasses.«
»Wehe, ich finde dich dann nicht mehr, wenn ich Mac hab«, drohte ich scherzhaft und überquerte die Grünfläche in Richtung Haus.
Das mit gelbem Backstein verkleidete, zweistöckige Haus wirkte nicht besonders groß. Ich steuerte auf das erste Fenster zu und starrte ins Zimmer. Es handelte sich um die Küche, denn ich konnte neben einem abgeschrabbelten Holztisch in der Mitte sowie Pfannen und Töpfen, die an der Wand hingen, auch einen schweren Holzofen in einer Ecke erkennen. Interessanter fand ich jedoch die kleinen, tragbaren Öllampen, die alle auf einem Regal aufgereiht standen. Von wie vielen Händen sie wohl schon zu welchen Gelegenheiten durch das Haus getragen worden waren?
Geschichte war nie mein Lieblingsfach in der Schule gewesen. Ich konnte den Erläuterungen, wer wann wo im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte, wenig abgewinnen. Was ich aber immer wieder faszinierend fand, waren einzelne Schicksale. Ging es zum Beispiel um einen deutschen Soldaten, der in Frankreich im Schützengraben lag und mit seinen rudimentären Französischkenntnissen versuchte, seinem Gegenüber ein deutsches Weihnachtslied für den Waffenstillstand zu Weihnachten beizubringen, war ich Feuer und Flamme und wünschte mir, ich könnte persönlich mit dem Soldaten sprechen.
