Tränen der Hoffnungslosen - Lisa Winter - E-Book

Tränen der Hoffnungslosen E-Book

Lisa Winter

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Beschreibung

Der Roman handelt von den uneigennützigen Taten von hilfsbereiten Menschen in Krisengebieten im Kongo und in dem Flüchtlingslager Lampedusa, einer Insel im Mittelmeer. Erzählt wird die Geschichte von Esmeralda, die unter dramatischen Umständen als Flüchtlingsmädchen aus Eritrea nach Deutschland gekommen war und als Krankenschwester mit ihrer Freundin Julia und deren Verlobten Jens,einem jungen unerfahrenen Assistenzarzt, in die Demokratische Republik Kongo geht, um den vom Elend geplagten Menschen in der Organisation `Ärzte für Menschen in Not` zu helfen. Esmeralda erfährt vom Leid von traumatisierten Kindersoldaten, den grausamen Überfällen von Rebellen auf unschuldige Menschen in ihren Dörfern und begibt sich selbst mit ihren Weggefährten in Lebensgefahr. Krankheiten, Hunger, Korruption, Gewalttaten, Mord und Totschlag prägen das Elend der Kongolesen. Es stellt sich heraus, dass all die Probleme des Landes mit den kriminellen Machenschaften von korrupten Politikern, Polizei und Landesführer entstanden sind. Schlimmste Überfälle auf die Dörfer waren von oberster Stelle angewiesen worden, um die Menschen zu vertreiben oder zu töten. Esmeraldas Vater Peter ist erfahrener Kriegsberichterstatter und hilft durch seinen gefährlichen Einsatz dem Ärzteteam dabei, die Welt über das Leid der Bevölkerung zu informieren. Viele Hindernisse müssen überwunden werden. Ohne den Glauben an das Gute des Menschen und an die Macht der Liebe wären die dramatischen Ereignisse kaum zu bewältigen gewesen. Dieser Glaube gibt den Betroffenen Hoffnung und beflügelt sie zu neuen Taten.

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Seitenzahl: 277

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Tränen der Hoffnungslosen

Roman

Lisa Winter

Inhalt

1. Dezember 2015

2. 2010 Ein neues Leben kann beginnen

3. Leben ohne Sanira

4. Einige Monate später

5. 2012 Demokratische Republik Kongo

6. Jens in Bukavu

7. Afghanistan 2010 –Operation Halmazag

8. Im Lager Fizi

9. Abschied vom Hindukusch

10. Wiedersehen

11. Bukavu

12. Peter in Fizi

13. Jens in Bukavu

14. Urlaub in der Heimat

15. Frühling 2013 Besuch in Lampedusa

16. 2014 Esmeralda in Lampedusa

17. Julia und Karsten, Jens und Katharina

18. Peter in Deutschland

19. Dezember 2016

20. Peter und Mona in der DR

21. Im Osten von Sud Kivu

22. Esmeralda in Lampedusa

23. Kinshasa

24. Gefängnis Makala

25. Sud Kivu

26. Plan der Befreiungsaktion

27. Gefängnis Makala

28. Befreiungsaktion

29. Peter in Kenia

30. Kinshasa

31. Goma

32. Kinshasa

33. Lampedusa 2014

Epilog

Über die Autorin

Meinung der Autorin dieses Romans:

Von Lisa Winter liegen außerdem vor:

Dezember 2015

Dezember 2015. Es ist Silvester. Esmeralda und Jonas leben mit ihrer kleinen Tochter Sanira glücklich auf der Insel Lampedusa. Das neue Jahr möchten sie mit der Familie in Köln begrüßen. Die kleine Sanira ist mittlerweile ein Jahr alt und soll nun der deutschen Familie vorgestellt werden.

Jonas ist promovierter Arzt und hat sich, wie auch Esmeralda, der `Internationalen Hilfsorganisation zur Rettung für Flüchtlinge in Lampedusa` angeschlossen.

Dr. Fontane ist immer noch im Dienst. Er hatte Esmeralda medizinisch versorgt, nachdem sie als Flüchtling in Lampedusa als eine der wenigen Überlebenden angeschwemmt worden war. Das vollkommen überfüllte und veraltete Boot, welches sie in die Freiheit bringen sollte, sank und fast alle Passagiere kamen dabei ums Leben.

Er hatte sich sehr gefreut, als Esmeralda nach Jahren ihrer Rettung ihn besucht hatte und freute sich besonders darüber, dass auch sie als Krankenschwester für diese wohltätige Organisation tätig sein wollte.

„Mittlerweile hatte sie sich zu einer erwachsenen Schönheit entwickelt. Ihre Intelligenz, ihren Fleiß und Ausdauer hatte Dr. Fontane schon Jahre früher an ihr geschätzt.

„Durch ihre Erfahrungen ist sie die passende Persönlichkeit, um den Angekommenen, vom Leid gezeichneten Flüchtlingen, zu helfen“, dachte Dr. Fontane, nachdem er sie persönlich eingestellt hatte.

Zu ihren Aufgaben gehört, neben der medizinischen Versorgung, die amtlichen Registrierungen durchzuführen, bevor die Flüchtenden zu ihrem nächsten Ziel gebracht werden. Mit viel Mitgefühl, Rat und Tat steht sie den meistens hilflosen Menschen bei. Es sind lange Arbeitstage, harte Arbeit, oft 12 Stunden am Tag.

„Jonas, hast du den Strom im Sicherungskasten abgeschaltet?“

„Ja, habe ich.“

„Auch alle Stecker aus den Steckdosen herausgezogen? Und den Hauptwasserhahn im Keller zugedreht?“

Esmeralda ist beschäftigt, die restlichen Sachen für Sanira einzupacken.

„Ja Schatz, ist alles erledigt. Es wird schon nichts passieren, während wir in Deutschland sind“, meint Jonas.

Fertig angezogen sitzt die kleine Sanira fröhlich und quiekend in ihrem Laufstühlchen. Die Reise kann losgehen.

„Dr. Fontane freut sich mit uns, wenn wir Papa besuchen. Er lässt ihn herzlich grüßen.“

„Ja er ist ein guter Arzt und ein großartiger Mann und vor allem hat er für jeden ein großes Herz. Sonst hätte er über die vielen Jahre die Problematik der Flüchtlinge nicht so wegstecken können. Er ist vollkommen überarbeitet. Auch ihm würde mal ein etwas längerer Urlaub gut tun. Weg von allem.“

„Schatz, wohin sollte er gehen, um Urlaub zu machen? Er hat sein ganzes Leben für die Hilfe von Bedürftigen geopfert. Er hat keine eigene Familie oder noch lebende Angehörige.“

Esmeralda sitzt neben Jonas auf dem Beifahrersitz in ihrem Kombi und die kleine Sanira in ihrem Kindersitz auf der Rückbank. Zufrieden knabbert Sanira an einer trockenen Brotkruste und schaut während der Fahrt aufmerksam aus dem Fenster.

Nach der Überfahrt mit der Autofähre, hören sie auf der Autobahn über das Radio Nachrichten über neu angekommene Flüchtlinge, die aus nordafrikanischen Ländern geflohen waren. Immer mehr Menschen fliehen aus dem Elend, das in ihren Heimatländern herrscht und suchen Frieden und Sicherheit in Europa.

Während der Autofahrt erinnert sich Esmeralda an die vergangenen Jahre, vor und nach ihrer Entlassung aus dem Sanatorium für Suchterkrankte.

2010 Ein neues Leben kann beginnen

Peter und seine eritreische Frau Sanira hatten für ihre achtzehnjährige Tochter Esmeralda ein kleines gemütliches Appartement im Schwesternheim gemietet, das direkt neben dem Krankenhaus in einem Vorort von Frankfurt lag. Sie teilte es sich mit Julia. Julia war im gleichen Alter.

Beide waren gleichzeitig erfolgreich mit ihrer Ausbildung als Krankenschwestern fertig geworden.

Julia war langbeinig, schlank und hatte halblanges hellblondes Haar, das sie meistens zum Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Durch ihre aufgeweckte, offene Art war sie Esmeralda sofort sympathisch geworden. Dies beruhte sich auf Gegenseitigkeit. Sie wurden Freundinnen. So waren die gemeinsamen langen, meist ruhigen Nachtdienste, nicht ganz so ermüdend und langweilig gewesen, da sie sich immer etwas zu erzählen hatten. Doch niemals hatte Esmeralda von ihren dunklen Erlebnissen aus ihrer Vergangenheit erzählt.

Beide jungen Frauen wurden durch ihren Fleiß und Hilfsbereitschaft von den Ärzten, sowie von den Patienten geschätzt.

Nach einem gemeinsamen Nachtdienst erschien es Esmeralda, dass Julia aufgekratzt und gar nicht müde, so wie sonst war. Esmeralda kam bettfertig in ihrem Nachthemd aus dem Badezimmer und Julia saß untätig auf ihrem Bett.

„Wieso ziehst du dich nicht aus. Willst du noch weg?“, fragte Esmeralda.

„Ja, ich geh noch weg.“

Julia wirkte etwas verlegen.

„Wohin denn?“

„Es ist früher Morgen, viel zu schade, um ihn zu verschlafen. Außerdem haben wir heute den ganzen Tag frei, bis morgen zum Frühdienst“, antwortete Julia.

Julia ging ins Badezimmer.

Esmeralda legte sich in ihr Bett und war gerade am Einschlafen, als Julia geschminkt und umgezogen vor ihrem Bett stand. Sie spürte, dass Julia etwas auf dem Herzen hatte.

„Sag endlich was du vor hast. Vorher lässt du mich doch nicht einschlafen.“

Esmeraldas Neugier war geweckt.

Julia kicherte:

„Ich bin zum Frühstück verabredet. Mit Dr. Müller, dem neuen Assistenzarzt.“

„Hab ich es mir doch gedacht! Ich habe doch gemerkt, dass da irgend etwas zwischen Euch läuft. Ansonsten hättest du dich nicht freiwillig zum Nachtdienst gemeldet.“

Esmeralda lachte.

„Der ist doch süß, oder? Ich finde ihn hinreißend.“

„Ja, dass wird er wohl sein. Dann geh und komme nicht so spät zurück. Auch Verliebte müssen mal schlafen.“

Esmeralda lächelte und gähnte.

„Und da ich Gott Lob nicht verliebt bin, brauche ich jetzt meinen Schlaf“, fügte sie hinzu und drehte sich zur Wand um.

Bevor sie einschlief dachte sie über ihre neue Freundin nach. Esmeralda hatte aus den Erzählungen geschlossen, dass Julia in Liebesangelegenheiten noch sehr unerfahren war. Während ihrer Schulzeit hatte sie einen Freund in ihrer Klasse, der sehr schnell etwas mehr als `Händchenhalten` von ihr forderte. Daraufhin hatte Julia den Kontakt mit ihm beendet. Für mehr war sie nicht bereit gewesen.

Außer dem leitenden Professor der Klinik, Dr. Schüler, kannte niemand Esmeraldas Vergangenheit. Prof. Schneider, der ihr damals geholfen hatte aus ihrer Suchterkrankung heraus zu kommen, hatte ihr mit guten Worten geholfen, einen Neuanfang als Krankenschwester beginnen zu können. Er übernahm sozusagen eine persönliche Bürgschaft für Esmeralda.

„Sie wissen Herr Prof. Schneider, dass auch der Giftschrank mit allen Medikamenten, die unter Verschluss sein müssen, von den Schwestern verwaltet werden muss. Stellt das nicht eine Versuchung für ihre ehemalige Patientin dar, etwa rückfällig zu werden?“

„Nein, das halte ich für ausgeschlossen. Esmeralda hat zu viel leiden und erleben müssen, um aus dem Drogensumpf heraus zu kommen. Sie ist vernünftig und intelligent genug, um nicht rückfällig zu werden.“

„Trotzdem werde ich ein Auge auf sie werfen. Doch nur eins von zwei Augen, Herr Kollege Schneider, keine Sorge.“

Dabei kniff er ein Auge zu. „Sie wird es nicht bemerken.“

Allein schon durch ihre Erscheinung war Esmeralda in ihrem neuen Umfeld aufgefallen. Sie war schön, wie ihre eritreische Mutter Sanira. Ihre leuchtenden smaragdgrünen Augen betonten ihr ebenmäßiges schönes Gesicht. Durch ihren deutschen Vater Peter war ihr bronzefarbener Teint nicht schwarz, wie bei vielen, die aus ihrer Heimat kamen. Nicht nur die Pfleger und Ärzte bemerkten ihr exotisches Aussehen, sondern auch einige der Patienten.

Mittlerweile hatten sich die richtigen Rundungen an den richtigen Stellen ihres graziösen Körpers gebildet. Sie war schlank und ihre langen Beine betonten ihre Grazie, während sie durch die Gänge der Station schritt. Bewundernde, manchmal auch freche Blicke verfolgten sie. Doch sie ließ sich nichts anmerken. Falls sie von den Patienten eine unangebrachte Bemerkung hörte, konterte sie schlagfertig und höflich zurück.Von Männern hatte sie genug. In ihrer Freizeit ging sie gerne ins Kino oder zog sich in ihr Appartement zurück, um zu lesen oder das Fernsehprogramm zu verfolgen.

Doch Julia war in ihrer Freizeit ständig unterwegs. Ihr neuer Verehrer konnte nicht genug von ihr bekommen. Sie waren beide sehr verliebt. Esmeralda freute sich für Julia, auch wenn sie manchmal der müden Julia helfen musste, rechtzeitig aus dem Bett zu kommen, um pünktlich den Dienst anzutreten.

Jens und Julia waren nun schon seit Monaten ein Paar, ohne dass sie, außer intensivem Schmusen, Sex hatten. Esmeralda bewunderte Jens für seine Disziplin und Geduld.

„Er muss sie wirklich lieben, sonst würde er auf Sex bestehen“, dachte sie.

„Esmeralda, schläfst du schon?“, fragte Julia leise, als sie wieder im Morgengrauen zurück kam.

„Ich weiß, wir müssen früh aufstehen. Doch ich kann nicht schlafen, bevor ich dir nicht alles erzählt habe. Über das, was ich heute erlebt habe.“

Esmeralda knipste ihre Nachttischlampe an und rieb sich den Schlaf aus ihren Augen. Sie schaute auf ihren Wecker, es war 4 Uhr morgens. Den Wecker hatte sie auf 6 Uhr gestellt.

„Hat das wirklich keine Zeit bis später? Ich bin noch sehr müde Julia!“.

„Es ist passiert! Hörst du Esmeralda?“

Julias Stimme klang aufgeregt.

„Ich habe es getan!“ Julia schaute mit ernster Miene zu Esmeralda, die nicht gleich reagierte.

„Nein wir haben es getan.“

„Was denn? Was habt Ihr getan?“

Eine kleine Pause, dann begriff Esmeralda:

„Herrjeh, … er hat dich entjungfert! Oder? Ach du meine Güte, wie geht es dir?“

Esmeralda war hell wach geworden und hörte der aufgekratzten Julia neugierig zu. Julia setzte sich auf Esmeraldas Bettkante.

„Es geht mir gut, es war gar nicht so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Jens war sehr zärtlich und liebevoll zu mir. Er meinte, dass ich es beim nächste Mal mehr genießen würde. Stimmt das? Ich fand es nicht so toll, wie er. Was meinst du? Du bist doch keine Jungfrau mehr, oder?“

Esmeralda setzte sich auf.

„Bevor ich dir von meiner Entjungferung irgendwann erzählen werde, erzählst du zuerst. Bei mir war es grässlich.“

Julia schilderte ihr jede Einzelheit. Wo sie sich trafen, was sie vorher im schicken Restaurant gegessen und getrunken hatten und wie aufgeregt sie war, als er sie in seinem Appartement verführt hatte.

„Dann hat er gesagt, dass er mich liebt und keine andere Frau mehr ansehen würde. Er hätte nur noch Augen für mich.“

Julias Wangen waren gerötet, während sie fortfuhr.

„Vorher oder nachher?“

„Wenn du es so meinst, wie ich es verstehe, bevor es passiert ist. Wir waren in seinem Appartement. Er hatte gemerkt, dass ich Zweifel hatte, und dass ich mich dabei geschämt hatte, nachdem er mich sanft auf sein Bett gezogen hatte und nackt ausgezogen hatte. Dabei hatte er mich zärtlich gestreichelt und geküsst und mir gesagt, dass ich für ihn eine wundervolle Frau wäre.“

„Muss wohl ein sehr zärtlicher Liebhaber sein, dein Jens“, Esmeralda klang etwas misstrauisch.

„Komm, ich koche uns einen Tee. Wir können sowieso nicht mehr schlafen. Bald beginnt unsere Frühschicht. Erzähl mir jedes Detail.“

Esmeralda stand auf und füllte den Wasserkocher für den Tee auf, bevor sie ins Bad ging.

Leben ohne Sanira

Esmeralda war im Nachtdienst. Julia und Jens hatten frei und waren zusammen. Es war sehr ruhig auf der Station. Nachdem vor der allgemeinen Nachtruhe alle Patienten versorgt worden waren und sie alle Medikamente für die Nacht an die Patienten ausgegeben hatte, begab sie sich ins Schwesternzimmer, nahm sie sich eine Illustrierte, die ein Patient zurückgelassen hatte. Während sie die Seiten des Magazins durchblätterte hörte sie Radiomusik, bis eine männliche, neutral klingende Stimme die Musik unterbrach:

„Achtung Autofahrer!

Auf der A 6, zwischen Frankfurt und Darmstadt, gab es einen tragischen Auffahrunfall, in den mehrere Fahrzeuge verwickelt wurden. Ein Lastkraftwagen hatte plötzlich in einer uneinsehbaren Kurve gebremst, um vor einem unerwarteten, vor ihm liegenden Stau, anhalten zu können. Folgende Fahrzeuge waren nicht mehr in der Lage rechtzeitig zu stoppen. Aufgrund der Auffahrunfälle ist die Fahrbahn auf beiden Seiten der Autobahn gesperrt. Wir bitten die Autofahren, die sich auf der A 6, zwischen Frankfurt und Darmstadt befinden, wegen Aufräumarbeiten, auf die A 61 Richtung Mainz-Frankfurt, auszuweichen.“

Esmeralda nahm diese Nachricht kaum zur Kenntnis.

Ihre Station lag auf der gleichen Etage wie die Notaufnahme. Mit einem Ruck flog die Tür zum Schwesternzimmer auf.

„Komm Esmeralda, wir werden in der Notaufnahme gebraucht. Es gab fürchterliche Unfälle auf der Autobahn. Viele Verletzte werden gebracht!“

Samuel, ein Pfleger, man nannte ihn Sam, stand in der Tür. Esmeralda eilte mit ihm durch den Flur zur Notaufnahme. Als sich die schwere undurchsichtige Milchglastür zur Notaufnahme automatisch öffnete hatte, klangen hektische, wirre Stimmen und quietschende Geräusche von eilig geschobenen Tragen durch den Flur. Die verletzten Menschen auf den fahrbaren Krankenliegen hatten teilweise blutende Verletzungen auf ihren Körpern. Von einigen Verletzten tropfte Blut aus Wunden von ihren Gesichtern auf den Fußboden. Bei anderen hingen die Arme schlaff herunter. Andere wurden mit Verbänden an Kopf und Körper auf Rollstühlen zur Notaufnahme geschoben. Die riesige Tür, die zum Ausgang zur Straße führte, war weit offen und bot den Blick auf mehrere Krankenwagen mit grell aufleuchtenden Scheinwerfern. Esmeralda rannte mit Sam zum diensthabenden Notarzt.

„Geht beide in den Raum 2 A. Da liegen zwei Schwerverletzte, die schnellstens versorgt werden müssen. Dr. Fischer ist dort. Er wird Euch Anweisungen geben. Schnell, beeilt Euch!“ befahl er, während er eine bewusstlose Frau untersuchte.

Esmeralda und Sam eilten zu ihrem angewiesenen Platz.

Im Raum 2 A lagen auf den Krankenligen eine Frau und daneben ein Mann, beide ohne Bewusstsein. Die Frau hatte einen dunklen Teint. Bei dem Anblick erschrak Esmeralda und hörte ihren Pulsschlag hinter ihren Schläfen pochen. Neben der Frau lag ein Mann. Ein weißer, blonder Mann. Er trug eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht, so dass Esmeralda sein Gesicht nicht genau erkennen konnte. Sie trat näher an die Liege der Frau und erkannte ihre Mutter. Mit geschlossenen Augen schien Sanira nicht zu atmen. Dann blickte Esmeralda auf den Mann. Tatsächlich! Es war ihr Vater.

„Messt den Blutdruck der Beiden. Schnellstens, jede Minute ist lebenswichtig! Sie sind direkt in den LKW reingefahren. Sie mussten von der Feuerwehr aus ihrem Autowrack herausgeschnitten werden. Hier habe ich das Antihistaminikum aufgezogen. Die Frau hat einen Schock. Esmeralda geben Sie ihr die Spritze.“

Doch Esmeralda wurde es übel und schwarz vor den Augen. Sie verlor die Kontrolle über ihre Beine und sackte in sich zusammen, fiel auf den Boden, bevor sie ohnmächtig wurde.

„Was ist denn das für eine Krankenschwester? Wieso fällt sie zusammen wie ein Kartenhaus?“

Dr. Fischer war wütend.

Sam beugte sich über Esmeralda.

„Wach auf Esmeralda, was ist los?“

Dr. Fischer gab auch Esmeralda eine Injektion, nachdem er Sanira versorgt hatte. Langsam kam Esmeralda wieder zu sich.

„Meine Mami, … ist sie tot? Was ist mit meinem Vater?“, stammelt sie mühsam hervor.

„Sind das Ihre Eltern?“ Dr. Fischer begriff.

Schon stand Esmeralda wieder auf ihren Beinen und wollte zu ihren Eltern gehen. Doch Sam hielt sie zurück.

„Komm ruhe dich aus. Wir sorgen für sie. Es wird alles getan, um deine Eltern zu retten.“

Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete Esmeralda die helfenden Hände über ihren Eltern. Eine Schwester führte sie zurück in das Schwesternzimmer.

„Lege dich auf die Liege und ruhe dich aus. Wir übernehmen deinen Dienst. Gut, dass es auf unserer Station ruhig ist. Wenn wir Neuigkeiten wegen deinen Eltern haben, werden wir dich rufen. Bleib ruhig und versuche etwas zu schlafen.“

Esmeralda war viel zu besorgt und zu nervös, um Ruhe zu finden. So entschied sie, wieder zur Notaufnahme zurück zu gehen. In 2 A sah sie, wie mehrere Ärzte um das Leben von Sanira kämpften.

„Sie hat keinen Herzschlag mehr!“, rief eine Schwester.

Mit einer Maschine versuchten die Helfer ihr Herz zu reanimieren.

Nach dem ersten Elektroschlag bäumte sich Saniras Körper kurz auf und fiel wieder schlaff zurück auf den OP-Tisch. Nächster Versuch. Ein kurzer Laut. Wieder bäumte sich der schlaffe Körper von Sanira auf und fiel wieder leblos auf den OP-Tisch zurück. Die Ärzte und das Team wussten nun, dass es keinen Sinn mehr hatte. Das Signal der Herzschrittmaschine gab einen ununterbrochenen, in Esmeraldas Ohren, schrillen, nicht enden wollenden Ton, von sich. Das Signal des Todes.

Peters Leben konnte gerettet werden. Er saß am Steuer des Unglückswagens. Sanira wurde bei dem Aufprall zwischen ihrem Sitz und dem vorderen Teil des Cockpits eingeklemmt. Trotz der Abmilderung des Aufpralls, durch das Airbag, riss ihre Milz und unglücklicherweise drang eine gebrochene Rippe ihres Brustkorbes in ihre Lunge.

Esmeralda stand regungslos im Raum. Sie war traumatisiert. Sam bemerkte sie und führte sie aus dem Raum. Willenlos ließ sie sich von ihm führen. Er fuhr sie in seinem Auto nach Hause. Julia hatte von Sam von dem Unfall erfahren und wartete in ihrem Appartement auf Esmeralda. Sam nahm Esmeralda bei der Hand und führte sie in ihr Schlafzimmer. Julia wollte etwas sagen, doch sie brachte kein Wort über ihre Lippen, als sie die tiefe Trauer von Esmeralda spürte. Willenlos ließ sich Esmeralda von Julia entkleiden und in ihr Bett legen.

Bevor Julia das Schlafzimmer verließ, streichelte sie mitfühlend über das Haar von Esmeralda.

Esmeralda war auf unbestimmte Zeit vom Dienst beurlaubt worden. Hinter geschlossenen Rollläden verbrachte sie die Stunden apathisch, ohne Notiz zu nehmen, ob es Tag oder Nacht war. Ratlos beobachtete Julia ihre Freundin. Wenn Esmeralda es zuließ, brachte sie ihr Tee und etwas zum Essen, was meistens unberührt auf dem Teller lag, wenn Julia das Geschirr abräumte.

Peter konnte ihr nicht beistehen, da er selbst um sein Leben zu kämpfen hatte. Er hatte mehrere Knochenbrüche erlitten, doch seine Organe waren verschont geblieben und er überlebte.

Dr. Fontane hatte durch Dr. Schneider von dieser Tragödie erfahren. Sofort flog er von Lampedusa nach Frankfurt, um sich um Esmeralda zu kümmern. Vorher hatte er ein Telefongespräch mit Prof. Schneider geführt. Beide waren sich einig, dass Esmeralda die größte Aufmerksamkeit brauchte, um in ihrem Schmerz der Trauer nicht rückfällig zu werden.

Sie konnte ihren Vater besuchen, der nun nicht mehr in der Intensivstation lag. Doch Esmeralda hatte nicht den Willen und die Kraft aus ihrem Bett aufzustehen. Lähmende Trauer raubte ihr jegliche Energie. Sie bekam harmlose Beruhigungsmittel, um etwas schlafen zu können. Die Pillen waren von Julia abgezählt. Mittlerweile ahnte sie von Esmeraldas Vergangenheit. Prof. Schneider hatte sie zu einem persönlichen Gespräch gebeten und ihr aufgetragen, auf Esmeralda besonders gut aufzupassen, da sie, was Medikamente anging, evtl. labil sein könne.

Esmeralda lag wach im abgedunkelten Schlafzimmer. Sie lauschte dem Ticken ihres Weckers. Julia war im Dienst. Der von Julia gekochte Tee war kalt und abgestanden. Die Scheibe Brot mit Schinken lag wieder unberührt auf dem Teller. Esmeralda war dem Gedanken nahe, auf die Straße zu gehen, um den Schmerz des Verlustes ihrer geliebten Mutter mit irgendwelchen stärkeren Mitteln zu vertreiben. Aus Erfahrungen wusste sie, wie einfach es war und wo das richtige Mittel dafür zu bekommen war. Mühsam schleppte sie sich ins Badezimmer. Dann sah sie ihr Gesicht im Spiegel. Ihre sonst strahlenden Augen waren trüb und glanzlos geworden. Tiefe dunkle Augenringe hatten sich gebildet. Ihr Haar war verfilzt.

„Egal“, dachte sie.

„Ist doch egal wie ich aussehe. Stoff bekomme ich, wenn ich ihn brauche.“

Sie zog sich ihre Jeans und ein Kapuzenshirt an. Dann klingelte es an der Tür. Esmeralda ignorierte das Klingeln. Doch der Besucher ließ nicht locker. Unaufhörlich läutete die Glocke. Nachdem sie immer noch nicht öffnete, hörte sie ein heftiges Klopfen gegen ihre Tür.

„Esmeralda, mache die Tür auf! Ich bin es, dein Vater. Bitte mache auf.“

Esmeraldas Eingeweiden zogen sich schmerzhaft zusammen. Sie konnte jetzt noch nicht ihren Vater sehen. Wieder schrillte die Türglocke unaufhörlich.

„Bitte meine Süße, mache auf. Wir haben doch nur noch uns. Ich brauche dich. Und du mich!“ Peters Stimme klang sanft

Esmeralda öffnete die Tür.

Peters Auge war noch geschwollen, mittlerweile hatte sich die Haut unter dem Auge von blau auf gelb verfärbt. Unter seinem Hemd hatte man ihm einen festen Verband über der Brust angelegt. Er ergriff seine Tochter und drückte sie fest an sich. Steif ließ es Esmeralda geschehen. Als sie seine warmen Tränen auf ihren Wangen spürte, fühlte sie den Schutz ihres Vaters.

Wieder hatte er sie vor dem Elend der Sucht gerettet. Sie saßen die ganze Nacht zusammen. Sie hatten sich viel zu erzählen. Peter schilderte traurig und gefasst, wie sich der Unfall ereignet hatte.

Sanira und er waren auf dem Weg zu Esmeraldas Großeltern. Es regnete in Strömen in der Dunkelheit und die Scheibenwischer schafften es nicht, den starken Regen von den Scheiben zu verdrängen. Peter fuhr langsam und konzentriert. Doch die Scheinwerfer gaben nur wenige Meter vor ihnen Sicht frei. Dann fuhren sie in eine langgezogene Kurve. Peter konnte nicht rechtzeitig bremsen, als er plötzlich die rot leuchtenden Bremslichter des vor ihm fahrenden LKWs wahrnahm. Peter hörte nur noch den Aufprall. Der LKW schob sich auf die vor ihm stehenden PKWs. Der Bremsweg war zu lange, um rechtzeitig das Unglück verhindern zu können.

Esmeralda hörte traurig zu, doch sie hatte keine Tränen mehr, die sie weinen konnte.

Viele Freunde und Bekannte von Peter und Sanira nahmen an der Trauerfeier und an der nachfolgenden Beerdigung teil. Am offenen Grab standen, direkt hinter Esmeralda und Peter Dr. Fontane und Prof. Schneider. Peter hatte seine Tochter eingehängt, um sie zu stützen, während der Pfarrer die Worte des Abschiedes sagte. In einem Lokal in Frankfurt hatte Peter ein Abschiedsessen für die Trauergäste arrangiert. Seine Eltern, sämtliche Kollegen von seiner damaligen Redaktion, sowie Freunde von Peter und Sanira waren der Einladung in ein typisch hessisches, gutbürgerliches Lokal gefolgt.

Esmeralda hatte zwischen Dr. Fontane und Peter Platz genommen. Die Großeltern Gaby und Walther saßen am Tisch ihr gegenüber. Gaby und Walther waren immer noch geschockt von dem plötzlichen Tod von Sanira. Sie hatten sie lieb gewonnen, obwohl sie sich gegenseitig nicht oft besucht hatten. Während das Essen serviert wurde, berührte Dr. Fontane vorsichtig Esmeraldas Arm mit seiner Hand.

„Was wirst du denn nun machen? Ich freue mich, dass du als Krankenschwester hier einen soliden Beruf gefunden hast. Hast du vor, hier für immer zu bleiben?“

Esmeralda wusste nicht, worauf er hinaus wollte. Sie zuckte mit ihren Schultern.

„Wieso? Ich weiß im Moment gar nichts. Ich fühle mich innerlich elend und leer.“

Dr. Fontane streichelte über ihren Arm.

„Ich fühle mit dir meine Liebe. Doch verliere dich nicht in Trostlosigkeit und Trauer. Denke darüber nach, was du mit deinem Leben anstellen könntest. Du bist unabhängig und frei. Du hast die Gabe, anderen Menschen zu helfen.“

Dann stand er auf und verabschiedete sich diskret von ihr.

„Ich muss leider aufbrechen. Meine Maschine fliegt in zwei Stunden ab. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“

Einige Monate später

„Wir sind glücklich und stolz, wie hervorragend sie Ihren Dienst auf unserer Station tätigen“, meinte der Leiter der Klinik, Prof. Dr. Schüler, als er Esmeralda ihren Schichtplan übergab.

„Ich habe Sie mit ihrer Freundin, Schwester Julia, für die Tagesschicht eingeteilt.“

Julia wartete am Eingang der Station auf Esmeralda.

Julia hatte sich mittlerweile mit Jens verlobt.

Der Tag wurde ziemlich anstrengend. Es kamen neue Patienten und andere wurden entlassen. Während Julia und Esmeralda ein freigewordenes Bett abzogen, sagte Julia:

„Stell dir vor. Der Jens hat ein Angebot bekommen in Krisengebieten als Arzt zu arbeiten. Man nennt sie `Ärzte für Menschen in Not`. Hast du schon mal etwas davon gehört?“

„Ja, mein Vater hat durch seine Arbeit als Reporter einige davon kennengelernt“.

„Die sind ganz schön mutig. Schließlich helfen sie in gefährlichen Kriegsregionen in der ganzen Welt.“

„Seid Ihr immer noch so sehr verliebt?“, fragte Esmeralda.

„Oh ja, wir wollen für immer zusammen bleiben und wir planen zu heiraten. Aber zuerst will Jens nach Afrika, um zu helfen, wo er gebraucht wird.“

Esmeralda grübelte darüber nach und schwieg.

„Freust du dich nicht? Du sagst gar nichts.“

Julia klang enttäuscht.

„Doch natürlich freue ich mich für Euch. Ich denke an etwas ganz anderes.“

„An was denn? Komm sag es mir.“

Esmeralda steckte die gebrauchte Bettwäsche in den Plastiksack.

„Komm wir schieben das Bett raus und bringen es zum Desinfizieren. Auf dem Weg können wir uns weiter unterhalten.

„Wann geht Jens? Weiß er schon wohin genau man ihn schicken will?“

„Ja, wenn er möchte, könnte er in den Kongo gehen. Der Krieg ist seit 2009 beendet. Doch nach wie vor herrschen dort üble Zustände. Jens soll mit einer Gruppe von Helfern ehemaligen Kindersoldaten psychologische und physische Hilfe geben. Auch müssen arme Kongolesen ärztlich versorgt werden. Immer wieder gibt es Verletzte, die den Rebellen zum Opfer gefallen waren. Impfungen gegen alles mögliche müssen verabreicht werden und vieles mehr muss getan werden. Er hat mich gefragt, ob ich als Krankenschwester mitkommen will. Die werden dort auch dringend gebraucht.“

„Ja und? Willst du mitgehen?“

In Esmeraldas Augen funkelte Feuer und sie blieb stehen und hielt Julia am Arm fest.

„Sag schon, gehst du mit?“

„Schau mich nicht so durchdringend an. Ich weiß es noch nicht. Ich will es mir überlegen. Ich glaube, dass ich zu feige bin. Die armen Kinder, Frauen und Verletzte. Wer weiß, was man mit denen jahrelang gemacht hat. Ich bin vielleicht dem Ganzen nicht gewachsen. Dann herrscht dort Ausnahmezustand. Keiner weiß, wie lange es noch dauert. Ständig werden immer noch Dörfer überfallen. Dann ist es dort sehr heiß und die Luftfeuchtigkeit fast unerträglich. Malaria ist nicht die schlimmste Erkrankung. Wir reden weiter, wenn wir heute Abend zu Hause sind, komm machen wir unsere Arbeit. Jens wird mich heute Abend abholen. Wir wollen Pizza essen gehen. Komm doch mit. Dann erfahren wir alles.“

Nach dem ersten Bissen der Pizza schilderte Jens sein Vorhaben:

„Die Sozialarbeiter haben sich in der „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden“ in Bukavu im Osten der Demokratischen Republik Kongo angeschlossen. Unter anderem werden Opfer sexueller Gewalt gegen Kinder und Frauen betreut.“

Esmeralda hörte aufmerksam zu und vergaß zu essen.

„Die Rebellen fallen immer noch über die Dörfer her, vergewaltigen Frauen und Kinder, vor den Augen der Dorfgemeinschaft, um die Familien zu zerstören. Wenn sie es nicht tun, werden sie sofort erschossen. Danach entführen sie die Opfer in die Wälder und lassen sie in den Minen nach Coltan, Gold und Kupfer schürfen. Gleichzeitig dienen sie als Sexsklaven.“

Die Pizza wurde kalt. Keiner hatte Appetit. Jens trank einen großen Schluck Rotwein aus seinem Glas. Dann erzählte er weiter:

„Sollten die geschundenen Frauen lebend aus den Wälder zurückkehren, werden sie überwiegend von ihren Männern verstoßen. So sind sie doppelte Opfer. Denn „ ...wenn du meine Frau vergewaltigst, dann erniedrigst du mich und zwingst mich, sie zu verlassen und meine eigene Familie zu zerstören.“

„Das wusste ich gar nicht. Das ist wirklich grausam. Was passiert denn mit den aus den Vergewaltigungen hervorgegangen Kindern?“, fragte Esmeralda.

„Sie haben keine Zukunft. Sie werden benutzt, um der Welt Gold, Kupfer, und Coltan für Smartphones und anderen elektronischen Geräten, zu verkaufen.“

Julia trank etwas Mineralwasser. Auch ihr war der Appetit vergangen.

„Was tut denn die UN? Ich hörte, dass sie nach Zentralafrika EU-Soldaten geschickt haben, die für Ordnung sorgen sollen.“

„Hör auf“, verächtlich winkt er ab und fuhr fort:

„ … man sagt, dass die Vereinten Nationen EU-Soldaten verdächtigen, Minderjährige sexuell missbraucht zu haben. Mädchen zwischen 11 und 16 Jahren alt sagten einem UN-Team, sie seien von Soldaten des `Europäischen Militärverbandes` für Sex bezahlt oder vergewaltigt worden. Für Wasser und eine Packung Kekse habe ein Soldat Oralsex von einer Siebenjährigen verlangt. Das ist abscheulich! Deshalb will ich helfen und werde morgen dem Professor meine Kündigung vorlegen. Den Vertrag habe ich schon unterschrieben. Man wird mich für 6 Monate schicken.“

„Du hast Julia gefragt, ob sie mitkommen will. Ist das als Paar erlaubt, oder können nur Single aufgenommen werden?“, fragte Esmeralda neugierig. Auch Julia hörte aufmerksam zu, was Jens zu sagen hatte.

„Nein keine Paare. Deshalb wollen wir mit dem Heiraten noch abwarten. Nach meinem ersten Einsatz, sozusagen, wenn ich mich bewährt habe, wird mit mir über meine private Situation neu verhandelt werden.“

„Aber wir sind doch ein Paar und schließlich verlobt!“, Julia war aufgebracht.

„Süße, ja das sind wir. Wenn du mitkommst, muss das wohl nicht gleich an die große Glocke gehängt werden. Oder?“

Versöhnlich gab er ihr einen Kuss.

„Sie wollen eben keine Konflikte während der Arbeit in diesen schwierigen Krisenherden. Da sind schon genug eigene Probleme im Land“, meinte Esmeralda.

„Es ist spät geworden, ich habe Frühdienst. Wenn Ihr noch bleiben wollt, dann tut das. Ich muss ins Bett“, sagte Jens.

„Ich komme mit!“ Julia zwinkerte Jens zu.

„Ich bleibe heute über Nacht bei dir. Ich weiß nicht, wie lange ich dich noch habe.“

Jens erhob sich vom Stuhl und half Julia in ihre Jacke.

„Geht nur Ihr Turteltauben. Ich trinke in Ruhe meinen Wein aus. Ich will über deine Arbeit bei „Ärzte für Menschen in Not“ nachdenken.“

Esmeralda hatte Feuer gefangen.

Das Gespräch mit dem Professor war für Esmeralda nicht einfach. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, ihm ihr Vorhaben zu erklären. Doch nach jedem gesprochenen Satz wurde es für sie einfacher.

„Das ist bewundernswert liebe Esmeralda. Ich freue mich, dass Sie sich für diese schwierige Arbeit entschieden haben. Gleichzeitig bedauere ich, Sie und Schwester Julia gleichzeitig zu verlieren. Ich werde für sie beide ein Spitzenzeugnis ausfertigen lassen.“

Jens war bereits abgereist. Er hatte sich für 6 Monate verpflichtet in der Zentralafrikanischen Republik zu arbeiten.

Gelbfieberimpfungen, ärztliche Versorgung von Verletzten und medizinische Aufklärungsarbeit, sowie die Betreuung von Kriegsgeschädigte hatte man ihm als seine Aufgaben aufgetragen. Esmeralda und Julia durften als Krankenschwestern in den Ostkongo reisen. Im Vertrag für `Ärzte für Menschen in Not` waren alle finanziellen Angelegenheiten geklärt. Ihr erster Einsatz sollte 3 Monate dauern. Es wurde ein kleines monatliches Gehalt auf ein deutsches Konto überwiesen. Die Reisekosten, Unterkunft, Verpflegung, Versicherungen und notwendige Impfungen wurden von der Organisation getragen. Auch sagte man in dem Vertrag zu, falls nach einem Einsatz in Krisengebieten, es zu physischen oder psychischen Störungen kommen sollte, dass diese von Fachärzten der Organisation behandelt werden würden. Denn die Erfahrungen zeigten, dass viele von den freiwilligen Einsatzkräften dem Druck der begangenen Unmenschlichkeiten nicht immer gewachsen waren. Julia konnte nicht mit Jens gehen, da sie verlobt waren. Doch man hatte nichts dagegen einzuwenden, sie in verschiedenen Regionen einzusetzen.

Peter hatte nach anfänglicher Skepsis Esmeraldas Entscheidung akzeptiert. Auch er hatte sich nach dem Tod von Sanira wieder als freier Krisenreporter engagiert und plante nach Afghanistan zu reisen.

Der Abschied war schwer. Er und Julias Eltern brachten die beiden Freundinnen nach Frankfurt zum Flughafen.

„Wenn du oder deine Freundin in Gefahr seid, egal wo ich mich in der Welt aufhalten werde, rufe mich. Ich krieche aus jeder Ecke der Welt, um dir zu helfen. Versprichst du mir das mein Engel? Ich werde dich, sooft wie ich kann, informieren, wo ich mich aufhalten werde. Passe gut auf dein Handy auf.“

„Ja Papa, das werde ich tun. Wir bleiben stets in Verbindung, egal wo wir sind, das ist doch klar.“

Dann ertönte der Aufruf für die abfliegenden Passagiere nach Kinshasa durch die Lautsprecher der Abflughalle. Es galt aufzubrechen, zum Flug in die Demokratische Republik Kongo. Julia stand noch bei ihren Eltern. Weinend verabschiedete sich ihre Mutter von ihr. Ihr Vater drückte Julia fest an sich und nahm seine traurige Frau in den Arm, als Julia zu Esmeralda ging.

„So Papa, es geht los. Ich liebe dich sehr und werde dich vermissen. Passe gut auf dich auf!“

„Das verspreche ich dir, passe auch gut auf dich auf. Und lasse nicht alle die schrecklichen Dinge, die du sehen wirst, zu dicht an dich heran. Ich weiß, dass du sehr sensibel bist.“

Esmeralda gab ihrem Vater einen herzhaften Kuss und wandte sich Julia zu.

„Komm meine Freundin. Unsere Zeit ist gekommen. Zeit den armen Menschen in einer anderen Welt zu helfen.“

Arm in Arm, mit dem Rucksack auf dem Rücken, den Reisetickets in der Hand, verschwanden sie hinter der gläsernen Wand der Absperrung zu der Gepäckkontrolle für Fluggäste.

2012 Demokratische Republik Kongo

Nachdem 1960 der