Transkulturelle Herausforderungen meistern - Anna Fuchs - E-Book

Transkulturelle Herausforderungen meistern E-Book

Anna Fuchs

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Beschreibung

Runter vom Sofa und raus in die Welt!  Wir leben und arbeiten immer internationaler. Was aber passiert, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenkommen, sei es im Berufsleben, im Alltag, auf Reisen oder beim Umzug in ein anderes Land? Anna Fuchs zeigt praxisnah, wie transkulturelle Herausforderungen souverän gemeistert werden können, und verbindet dafür Kulturtheorie mit psychologischen Konzepten. Darüber hinaus macht sie konkrete Vorschläge, wie Methoden und Modelle des kommunikationspsychologischen Werkzeugkoffers eingesetzt werden können, um in einer immer diverseren Welt zu einem echten Miteinander auf Augenhöhe beizutragen.

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Seitenzahl: 304

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Anna Fuchs

Transkulturelle Herausforderungen meistern

Missverständnisse klären und Kompetenzen stärken

 

 

 

Über dieses Buch

Angewandte Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun: Praxisnah und übersichtlich erklärt Anna Fuchs, was passiert, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen: Weltbild, Kommunikationsstil und Konfliktverhalten unterscheiden sich. Konflikte und Missverständnisse scheinen da unausweichlich. Wie also kann ich schwierige transkulturelle Situationen souverän meistern? Und welche Methoden und Modelle bietet mir der kommunikationspsychologische Werkzeugkoffer dafür? Fragen, die angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen von großer Relevanz sind und die dieses Buch beantwortet.

Vita

Anna Fuchs ist Diplom-Psychologin, langjährige Trainerin am Schulz von Thun Institut für Kommunikation, Projektleiterin des Certificate of Advanced Studies: Angewandte Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun in Luzern und Dozentin für Interkulturelle Kommunikation und Führung an der EAE Business School, Barcelona. Sowohl ihr Berufsalltag als Dozentin, Trainerin und Coach als auch ihr Privatleben – gemeinsam mit ihrem argentinischen Partner lebt sie seit 2001 in Barcelona, wo ihre beiden Kinder dreisprachig aufwachsen – bieten ihr eine Fundgrube an Beispielen für interkulturelle Situationen, Missverständnisse und Konflikte.

Inhaltsübersicht

Vorwort

Einführung

Wie dieses Buch zu lesen ist

Statische Eisberge oder lebendige Flusslandschaften?

1. Was ist Kultur? Eine Annäherung

2. Wie kommuniziere ich? Das Kommunikationsquadrat

3. Wer bin ich? Das Innere-Team-Modell

Teil I Wie kulturelle Identität entsteht

1. Das Innere Team und Multikollektivität

2. Unsere Umwelt und die Ausprägung des Inneren Teams

3. Wie Kultur unsere Wahrnehmung prägt

4. Wie unser Denken funktioniert – ein Überblick

5. Exkurs: Wenn Kulturwechsel zum Schockerlebnis werden

6. Politisch korrekt – unser Denken ist es nicht und wir sind es erst recht nicht!

7. Third Culture Kids und Cross Culture Kids – zu Hause an mehreren Orten

8. Keine transkulturelle Kompetenz ohne innere Beweglichkeit – von weltgewandten Menschen und Persönlichkeits-Schwerstarbeit

Fazit Teil I

Teil II Wie Kulturen sich unterscheiden und welche Dynamiken zwischen ihren Mitgliedern wirken

1. Werte sind die Grundlage unseres Verhaltens

2. Das Werte- und Entwicklungsquadrat – Perspektivwechsel und Ergänzungspotenzial

3. Stimmigkeit als Kommunikationsideal

4. Kommunikation – und wie Kultur sie beeinflusst

5. Das Riemann-Thomann-Modell – von Himmelsrichtungen der Seele und Kulturfeldern

6. Kulturdimensionen – von der Kunst, Kulturen zu vergleichen

7. Kulturdimensionen und das Innere Team – Welche Stammspieler melden sich zu Wort?

8. Der Teufelskreis – zirkuläre Konfliktdynamiken

9.Fazit Teil II

Teil III Wie die transkulturelle Perspektive unser (globales) Zusammenleben verbessern kann

1. Ich – Auf die Haltung kommt es an

2. Du – I see you!

3. Wir – die Entwicklung einer globalen Identität

Zum Schluss

Anhang

Methodenkoffer – ein Überblick

Literatur

Internetquellen

Dank

Vorwort

Friedemann Schulz von Thun

Nehmen wir einmal an, Sie gehören einer Kultur an, in der es als extrem unhöflich gilt, das Angebot einer Gastgeberin abzulehnen. Und nehmen wir weiter an, Sie haben jemanden aus einem anderen Kulturkreis zu Gast, in dem die Höflichkeit es wiederum gebietet, ein Angebot nicht gleich anzunehmen, sondern erst wenn es ein zweites und drittes Mal bekräftigt wird. Sie können sich bestimmt ausmalen, was passiert. Eine Verstimmung auf beiden Seiten ist programmiert, und weil Menschen sich ihrer kulturellen Werte und Verhaltensnormen oftmals kaum bewusst sind, kann sie metakommunikatorisch nicht ohne Weiteres aufgelöst werden. Solche Verstimmungen können Beziehungen schnell vergiften oder gleich im Keime ersticken. Hier ist interkulturelle Kompetenz gefragt, die (auch) in diesem konkreten Fall darin bestehen würde, sich erstens in den Gepflogenheiten des Gastlandes gut auszukennen und sich zweitens die Normen der eigenen Kultur bewusst zu machen, die einem als implizite Selbstverständlichkeiten in Fleisch und Blut übergegangen sind.

Diesen interkulturellen Ansatz haben wir 2006 in unserem Buch «Interkulturelle Kommunikation» (Kumbier und Schulz von Thun, Hrsg.) mit den Modellen der Hamburger Kommunikationspsychologie verfolgt. Dieser Sammelband hat sich mittlerweile erfreulich zu einem Standardwerk entwickelt.

Anna Fuchs würdigt diesen Ansatz, greift ihn ihrerseits auf und systematisiert die Beiträge unserer Modelle. Inzwischen sind aber auch Gefahren und Fallstricke deutlicher geworden, die sich aus diesem Ansatz ergeben können (Stichwort «Kulturalismus») – und vor allem scheint die Zeit reif zu sein, um genauer zu erkennen, wie viel kulturelle Vielfalt in jeder und jedem Einzelnen von uns steckt, wie viel fundamentale Gemeinsamkeiten auch zwischen den Kulturen bestehen und welche Chancen sich eröffnen, wenn kulturelle Qualitäten einander ergänzen und etwas Neues hervorbringen. Hier zeichnet sich ein transkultureller Ansatz ab, den Anna Fuchs mit viel Erfahrung und Kenntnisreichtum im dritten Teil ihres Buches entfaltet.

Erst mal wird nun alles komplexer. Zu lernen, «Die Italiener sind so, die Chinesen so, die Deutschen so …», war übersichtlich, aber leider rettungslos unterkomplex und nur allzu geeignet, neue Stereotype hervorzubringen. Doch wie gelangen wir über die interkulturelle zu einer transkulturellen Reife? Anna Fuchs ist prädestiniert, hierüber nachzudenken, und zwar nicht (nur) theoretisch, sondern im engen Kontakt mit konkreten Lebensbeispielen: sowohl aus ihrem eigenen Leben – sie lebt als Norddeutsche in Barcelona, ihr Mann ist Argentinier, ihre Kinder wachsen dreisprachig auf – als auch aufgrund ihrer Erfahrungen als Dozentin und Coach. Sie entdeckt zu meiner Freude, dass auch zur Erlangung der transkulturellen Reife die Modelle unserer Hamburger Kommunikationspsychologie entscheidend beitragen können.

Und es lohnt sich, dieses Ziel zu verfolgen! Die Probleme der Welt lassen sich nicht im urheimatlichen Kreise lösen, der Planet ist längst zur gemeinsamen Heimat geworden. Und die gelingende Koexistenz aller Menschen und Lebewesen auf Erden bekommen wir nicht geschenkt, sie ist nur als gemeinsame Errungenschaft zu denken. Klug, lebendig und zukunftsweisend, wie Anna Fuchs dieses Buch geschrieben hat, generiert es dafür eine optimistische Aufbruchsstimmung.

 

Friedemann Schulz von Thun, 9.9.21

Einführung

«Anna», donnerte mein argentinischer Freund los, «das erkläre ich dir doch jetzt schon zum dritten Mal!» Vor lauter Schreck über diesen Gefühlsausbruch, aber vor allem aus Empörung über diese ungerechte Behandlung traten mir die Tränen in die Augen. Wie konnte er es wagen, mich wegen einer Kleinigkeit so anzufahren? Erstaunt sah er mich an: «Was hast du denn?», fragte er ehrlich überrascht. «Ich rede doch ganz normal mit dir!» Nun war es an mir, ihn mit großen Augen anzuschauen. Konnte es sein, dass er das tatsächlich so sah?

Als angehende Psychologiestudentin war ich besonders interessiert daran zu verstehen, was wiederholt zwischen uns passierte: Wir gerieten regelmäßig in Situationen, in denen wir Konflikte und Kommunikationsverhalten ganz unterschiedlich wahrnahmen und bewerteten. Ich recherchierte – und entdeckte so mit Anfang zwanzig das Feld der Interkulturellen Kommunikation. Sofort war ich Feuer und Flamme: Mein Freund war in seiner Andersartigkeit nicht einfach verrückt, stattdessen gab es vermutlich kulturelle Ursachen für unsere unterschiedlichen Bewertungs- und Verhaltensmuster – und diese ließen sich nachlesen!

Ich lernte: In manchen Kulturen, darunter auch in der argentinischen, wurden Gefühle deutlich lebhafter kommuniziert als in Deutschland. Und dieser unterschiedlich starke Einsatz von Gestik, Mimik und Tonlage wiederum barg das Risiko für Missverständnisse. Das passierte also nicht nur meinem Freund und mir – wie beruhigend.

Plötzlich erschienen mir auch viele weitere meiner alltäglichen Beobachtungen in einem anderen Licht. Damals lebte ich bereits ungefähr die Hälfte des Jahres in Spanien, die andere Hälfte in Deutschland. Selbstverständlich waren mir kulturelle Unterschiede aufgefallen – nun konnte ich sie endlich einordnen.

Die Interkulturelle Kommunikation hat mich seither nicht mehr losgelassen: Sie begleitete mich durch mein Psychologiestudium in Hamburg und Barcelona, und sie macht auch heute noch einen großen Teil meiner Tätigkeit als Dozentin, Trainerin und Beraterin aus.

Doch je länger und tiefer ich mich mit unserem komplizierten menschlichen Miteinander beschäftigte, desto mehr Zweifel kamen mir an der interkulturellen Sichtweise. Sie erschien mir zu statisch, zu sehr auf Unterschiede fokussiert, zu vereinfachend. Interkulturelle Kommunikation wurde entwickelt, um Kulturen beschreibbar und vergleichbar zu machen: «So sind Deutsche» versus «So sind Argentinier». Aber hält diese Sichtweise nicht auch gewisse Stolperfallen bereit? Benehme ich mich nicht manchmal viel «argentinischer» als mein Partner? Ist er nicht z.B. viel strukturierter und ordnungsliebender als ich, Eigenschaften, die man tendenziell eher Deutschen nachsagen würde? Ist unsere Nationalkultur also wirklich relevanter als andere Gruppenzugehörigkeiten wie «Psychologin versus Programmierer» oder «Mann versus Frau»? Und wieso eigentlich «versus»? Warum werden Menschen unterschiedlicher Kulturen einander so gut wie immer nur gegenübergestellt?

Gibt es, neben allen Unterschieden, nicht auch diverse kulturelle Zugehörigkeiten, die mein Partner und ich teilen, z.B. als junge, weit gereiste Großstädter, ehemalige Studierende und Migranten? Habe ich als Studentin mit meiner gleichaltrigen Mitbewohnerin aus Stockholm nicht vielleicht mehr kulturelle Werte geteilt als mit vielen Deutschen, die ganz anders lebten und sozialisiert worden waren als ich? Und darüber hinaus: Beeinflussen wir uns nicht sowieso ständig gegenseitig im Kontakt und im Zusammenleben? Schließlich lernen wir voneinander und finden oft einen dritten Weg.

Ähnliche Zweifel äußerten später auch viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer meiner Trainings, die in ihrer Arbeitspraxis als Führungskräfte, in der Lehre oder im Non-Profit-Bereich auf viel komplexere Verhaltensmuster stießen als die, die sie in der Literatur fanden.

Erneut machte ich mich also auf die Suche nach Erklärungen für die vielschichtigen Tücken, die im zwischenmenschlichen Miteinander lauern, bis mich Kolleginnen und Kollegen auf das Konzept der Transkulturalität aufmerksam machten. Es begreift Kultur als Prozess und zeichnet ein viel realistischeres – aber eben auch unweigerlich komplexeres Bild – unseres Zusammenlebens. Denn komplex ist es allemal, dieses Miteinander mit seiner internationalen Geschäftswelt, der kulturellen Vielfalt und den allgegenwärtigen digitalen Medien, die Menschen weltweit vernetzen. Unweigerlich treffen hier die unterschiedlichsten Vorstellungen, Wertmaßstäbe, Strategien und vieles mehr aufeinander, die es zu erkennen, zu verstehen und – im besten Fall – zu nutzen gilt.

Wieder begann ich zu recherchieren: Der transkulturelle Diskurs auf akademischer Ebene schien mir erhellend, allerdings wurde meine innere Praktikerin immer ungeduldiger und begann frustriert zu skandieren: «Alles schön und gut! Aber wie kann ich Transkulturalität leben und lehren?» Erst war ich enttäuscht, dass ich kaum etwas zur praktischen Umsetzung finden konnte. Doch dann wurde mir klar, dass mir das passende Handwerkszeug längst zur Verfügung stand: Die Kommunikationsmodelle von Friedemann Schulz von Thun – bei dem ich studiert hatte und mit dessen Institut ich seitdem zusammenarbeite – helfen uns, menschliches Miteinander zu beleuchten, zu verstehen und zu verändern.

Die Modelle waren mir schon lange wertvolle Wegbegleiter, um kulturübergreifende Begegnungen aus interkultureller Sicht zu betrachten. Nun fiel mir auf, dass ich in der Anwendung oft bereits ganz automatisch über diese «traditionelle interkulturelle» Sicht hinausgegangen war. Denn das Menschenverständnis und die dualistische Haltung, die der Kommunikationspsychologie zugrunde liegen, weisen große Gemeinsamkeiten mit der transkulturellen Perspektive auf.

Ich war schon damals der festen Überzeugung, dass die Hamburger Kommunikationspsychologie nach Schulz von Thun den aktuellen Diskurs um einen dringend benötigten handlungsorientierten Ansatz ergänzen kann. Sie hilft zu verstehen, was passiert, wenn Menschen sich begegnen. Denn einerseits macht sie die ablaufenden komplexen innermenschlichen und zwischenmenschlichen Vorgänge beschreibbar und sprachfähig. Und andererseits ist sie durchdrungen von dem Gedanken, sowohl Herausforderungen zu meistern und Missverständnisse zu klären als auch Kompetenzen zu stärken und Synergien zu schaffen.

Inzwischen verbinde ich die interkulturelle und transkulturelle Sichtweise in meiner Arbeit – und mein Anfangsverdacht hat sich erhärtet: Die Kommunikationsmodelle eignen sich wunderbar, um Brücken zwischen verschiedenen Positionen zu schlagen, komplexe Theorien und Dynamiken nachvollziehbar abzubilden und den Kontakt zwischen Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zu verbessern.

Ein unterschiedliches Verständnis davon, wie gefühlsbetont Konflikte ausgetragen werden sollten, haben mein Freund und ich auch nach fast zwanzig Jahren Partnerschaft übrigens immer noch. Einiges scheint so tief verwurzelt zu sein, dass es nur schwer veränderbar ist; in vielem haben wir aber auch voneinander gelernt und uns aufeinander zubewegt. Wir haben unser interkulturelles Wissen erweitert und neue transkulturelle Handlungsmöglichkeiten für uns entdeckt, das heißt, wir haben vor allem viel über uns selbst gelernt. So etwas geht nicht ohne Reibung vonstatten und kann Nerven – oder ausnahmsweise auch mal Tränen – kosten; es macht aber gleichzeitig wahnsinnig viel Spaß.

Wie dieses Buch zu lesen ist

Erlauben Sie mir noch einige Anmerkungen, bevor es losgeht. Als Kommunikationspsychologin ist mir bewusst: Sprache konstruiert Realität, denn über Sprache lernen und reproduzieren wir Normen und Werte einer Gesellschaft. Daher ist es mir ein ehrliches Anliegen, mit meiner Sprache zu transportieren, dass ich von der Gleichwertigkeit aller Menschen überzeugt bin – und zwar jenseits von Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Geschlecht. Eine gendergerechte Sprache kann Sprech- und Lesegewohnheiten verändern und dadurch – vor allem auf lange Sicht – zu einer Veränderung der Kultur führen. Leider macht sie Texte aber oft umständlicher und dadurch weniger gut nachvollziehbar. Weil es für dieses heiß diskutierte Dilemma leider immer noch kein Patentrezept gibt, habe ich mich für einen pragmatischen Kompromiss entschieden: Einerseits habe ich mich bemüht, durchgängig so zu formulieren, dass ich möglichst viele Menschen mit-meine. Andererseits bin ich je nach Kontext und Lesefluss davon abgewichen – in der Hoffnung, dass Sie, liebe Leser*innen, mir dann besser folgen können.

Der Aufbau des Buches folgt der chronologischen Entwicklung des Feldes: von «Intrakulturalität» (Was ist Kultur? Wie kommt sie in unseren Kopf? Was macht sie mit uns?) über «Interkulturalität» (Wie unterscheiden sich Kulturen? Welche Dynamiken wirken im zwischenmenschlichen Kontakt?) zu «Transkulturalität» (Welche Gemeinsamkeiten haben wir? Wie können wir unsere Ressourcen am besten nutzen, um Synergien zu schaffen? Was entsteht dabei Neues? Und auch: Was bedeutet Transkulturalität für unser globales Miteinander, da zwischenmenschliches miteinander Reden und gesellschaftliches miteinander Leben unmittelbar ineinandergreifen?).

Die Abgrenzung ist nicht immer messerscharf, sondern genauso wie das Forschungsfeld durchlässig und dynamisch. Als methodischer Konstante werden Sie den Hamburger Kommunikationsmodellen das gesamte Buch hindurch immer wieder begegnen. Um Ihnen die Übersicht zu erleichtern, habe ich die Anwendungsperspektiven der Modelle am Ende des Buches in Form eines «Methodenkoffers» zusammengefasst.

Sie werden im Folgenden eine Synthese aus ganz unterschiedlichen Zugängen zu Kultur finden, und zwar meine ganz persönliche Synthese. Und wie jeder Mensch unterliege auch ich einem bestimmten Weltbild. Zudem schreibe ich mit einem bestimmten Ziel: Im Mittelpunkt steht die Verbesserung der zwischenmenschlichen Kommunikation. Meine Sicht auf Kultur und Kommunikation ist demnach nur eine Sicht, die um weitere Perspektiven – beispielsweise Ihre eigene – ergänzt werden sollte.

Praxisbeispiele und Anekdoten machen Informationen lebendig, Zusammenhänge nachvollziehbar und Hintergründe verständlich. Die Fallbeispiele, die Sie durch dieses Buch begleiten werden, sind mir alle prinzipiell so in meiner Arbeit begegnet. Ich habe sie allerdings teilweise didaktisch aufbereitet und selbstverständlich anonymisiert, um keine Rückschlüsse auf Personen oder Organisationen zu ermöglichen. Dabei stand ich immer wieder vor der Herausforderung, der Vielfalt und Komplexität von Menschen und Kulturen gerecht zu werden. Beim Schreiben musste ich mich gehörig zusammenreißen, nicht nach jedem Beispiel à la «so sind die Deutschen» und «so sind die Spanier» anzumerken, dass diese Sichtweise auch stereotypisierend sein kann und solche Klassifizierungen zu einem nicht mehr zeitgemäßen Verständnis von Kultur beitragen.

Dieses Dilemma, das Ihnen gleich hier am Anfang begegnet, ist ein wunderbares Beispiel für die Koexistenz von unterschiedlichen Wahrheiten, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch ziehen wird. Denn darum geht es (mir): Brücken zu schlagen und das «dialektische Denken der Gleichzeitigkeit des Verschiedenen» zu trainieren (Pörksen, Schulz von Thun 2014), um ein Konzept anzuführen, das uns ebenfalls kontinuierlich begleiten wird. Dieser Brückenbau wird manches Mal zum Drahtseilakt geraten. So wie die Verbindung der verschiedenen Forschungsgebiete und durchaus widersprüchlichen wissenschaftlichen Perspektiven an einigen Stellen stabiler, an anderen Stellen wackeliger gelingen wird. Und dann werden sowohl ich als auch Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mit den Widersprüchen leben müssen. Insofern können Sie das Buch als Plädoyer verstehen, Ihre Ambiguitätstoleranz zu trainieren, das heißt, weniger im «Entweder-oder» zu denken und dafür mehr im «Sowohl-als-auch».

Nach diesen einleitenden Worten lade ich Sie nun ein, den Balanceakt mit mir zu wagen: zwischen lebenspraktischer, aber kategorisierender Vereinfachung einerseits und dem Bewusstsein um menschliche Komplexität andererseits.

1. Was ist Kultur? Eine Annäherung

Was ist Kultur? Wenn ich diese Frage im Seminar stelle, setzen viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Sprechen an – dann werden sie nachdenklich, und meistens bleibt es im Raum still. Die Antwort scheint zwar auf der Zunge zu liegen, doch die Definition fällt erstaunlich schwer. Tatsächlich gibt es im wissenschaftlichen Kontext bisher keine allgemein anerkannte Begriffsklärung, und das Wort «Kultur» wird auf ganz unterschiedliche Art und Weise benutzt. Vielleicht hat der Soziologe Dirk Baecker (2003) recht, wenn er schlussfolgert, wer versuche, den Kulturbegriff zu definieren, zeige lediglich, dass er diesem nicht gewachsen sei. Kultur ist irgendetwas zwischen einem kollektiv entwickelten künstlichen Konstrukt – also einer Idee, die nur in unseren Köpfen existiert – und einer objektiven, ja fast körperlich spürbaren Realität – der wir bei genauerem Hinsehen tagtäglich auf die Schliche kommen können.

Vielleicht probieren wir es zur Veranschaulichung einmal mit einem Gedankenexperiment: Woran denken Sie bei dem Satz «Oh, wie schön ist Panama»? Wenn Sie die Gutenachtgeschichten-Erfahrungen mehrerer deutscher Generationen teilen, vermutlich nicht an beeindruckende Natur und weiße Sandstrände, sondern an das gleichnamige Kinderbuch von Janosch, in dem zwei kuschelige Freunde mit ihrer gestreiften Ente auf Abenteuersuche gehen. Und vielleicht steigt Ihnen auch ein ganz leichter Bananenduft in die Nase. Kultur ist natürlich viel mehr als eine Kindergeschichte – und doch haben beide vieles gemeinsam: Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben, von klein auf internalisiert, und sie vermitteln eine bestimmte Einstellung zum Leben. Sie bringen Menschen bei, Erfahrungen, Werten und Symbolen eine Bedeutung zu geben. Zwar verändert und entwickelt sich Kultur mit der Zeit – ihre Botschaft oder die kulturellen Werte verändern sich allerdings nur sehr langsam.

Kultur wird oft als der Kitt beschrieben, der Zugehörigkeit schafft, unsere sozialen Beziehungen stärkt und Gesellschaften zusammenhält. Darüber hinaus stellt sie ein Orientierungssystem dar, das uns dabei hilft einzuordnen, wer wir sind und wofür wir stehen, und das festlegt, was im Leben erstrebenswert ist und was wir für gut oder schlecht halten. In «unseren» Kulturen können wir uns mühelos, ja fast schlafwandlerisch, bewegen: Wir wissen, zu welcher Tageszeit was gegessen werden sollte, ob Mahlzeiten im Stehen oder Sitzen eingenommen werden, auf Stühlen oder auf dem Boden, und ob wir dazu unsere Hände, Besteck oder Stäbchen benutzen. Wir wissen sogar, wann Ausnahmen üblich sind. Das heißt, wir sind uns auch der unausgesprochenen Widersprüche oder gar Konflikte bewusst. Wenn ich im Folgenden von Kulturen spreche, dann meine ich also kein trennscharf zu definierendes Konstrukt, sondern ein komplexes System von Wirkungselementen, das beeinflusst, wie wir die Welt verstehen. Ich meine damit ein geteiltes Weltbild, das wir aktiv weitergeben. Ein Identitätsgefühl, dem bestimmte Wertvorstellungen zugrunde liegen, die sich auch in der Art und Weise zeigen, wie wir uns in der Welt bewegen und sie erleben, welche Verhaltensweisen wir an den Tag legen – und wie wir mit anderen kommunizieren.

2. Wie kommuniziere ich? Das Kommunikationsquadrat

Kultur schlägt sich – auch – in der Kommunikation mit sich selbst und anderen nieder. Im Laufe dieses Buches werden Ihnen diverse Methoden und Modelle begegnen, die uns als Hilfsmittel und Verständigungsbrücken für diesen Prozess dienen. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit der Kulturgeprägtheit von Kommunikation erwartet Sie in Teil II. Hier wenden wir uns zunächst dem Kommunikationsquadrat zu. Im Anschluss betrachten wir das Innere-Team-Modell.

Kommunikation ist mehr als nur «miteinander reden». Informationen werden simultan über Sprache, Mimik, Gestik und viele weitere Hinweisreize gesendet. Ein Sachverhalt kann verstanden oder missverstanden werden, die als angemessen bzw. selbstverständlich vorausgesetzte Art des Umgangs kann akzeptiert oder abgelehnt werden, einer bewussten oder auch unbewussten Aufforderung kann entsprochen werden oder auch nicht. Gleichzeitig zeigen wir uns ganz nebenbei als Person, das heißt, wir teilen explizit oder implizit mit, wie es uns geht. Schulz von Thun hat mit dem Kommunikationsquadrat (2013a) ein Analyseinstrument entwickelt, das uns hilft, diese Prozesse unter die Lupe zu legen und uns ihrer bewusst zu werden (vgl. Abb. 2).

 

Das Modell fußt auf der Grundannahme, dass jede Äußerung vier Aspekte hat, die mit den vier Seiten eines Quadrats dargestellt werden können: 1. einen Sachinhalt – Über was informiere ich?; 2. einen Appell – Was möchte ich bei meinem Gegenüber erreichen?; 3. einen oder mehrere Beziehungshinweise – Was halte ich von meinem Gegenüber und wie stehe ich zu ihm oder ihr?; sowie 4. eine Selbstkundgabe – Was zeige ich von mir?

Abb. 2: Das Kommunikationsquadrat mit seinen vier Schnäbeln, vier Ohren und vier Ebenen der Kommunikation

Weil wir immer diese vier Botschaften gleichzeitig senden, spricht die Hamburger Kommunikationspsychologie vom «Simultancharakter» der Kommunikation und geht davon aus, dass alle Menschen mit vier Schnäbeln sprechen und mit vier Ohren hören. Was allerdings nicht heißt, dass der Empfänger die vier Botschaften zwingend so verstehen muss, wie sie vom Sender gemeint waren. Das gilt für jede zwischenmenschliche Kommunikation und für interkulturelle Kommunikation oft ganz besonders. Denn auch wenn Menschen überall auf der Welt auf diesen vier Ebenen kommunizieren: Wie uns diese Schnäbel gewachsen sind, auf welchen Ohren wir besonders hellhörig sind und für welche Hinweise wir sogar taub sein können, ist eben auch kulturbedingt. Lassen Sie mich das anhand der vier Seiten des Kommunikationsquadrats verdeutlichen:

 

1. Der Sachinhalt informiert. Steht die Sachseite im Vordergrund, geht es um präzise, verständliche und differenzierte Informations- und Wissensvermittlung. Es zählen Zahlen, Daten und Fakten.

Wer sich hier zu Hause fühlt, versucht, andere mithilfe detaillierter Informationen und überprüfbarer Tatsachen vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Satzanfänge wie «Fakt ist …» oder «Die Daten zeigen …» suggerieren maximale Objektivität und objektive Wahrheit.

Eine stärkere Sozialisierung auf der Sachseite findet sich traditionell in technischen Berufen und in männerdominierten Lebensbereichen. Auch die Kommunikation der Deutschen wird von Nichtdeutschen häufig auf der Sachseite verortet. So beklagen sich viele internationale Angestellte in meinen Seminaren über die zu gut trainierten «Sach-Schnäbel» und «Sach-Ohren» ihrer deutschen Führungskräfte. So mancher Mitarbeiter würde da gerne einen Appell an seine Führungskraft äußern, das Beziehungs-Ohr und den Beziehungs-Schnabel stärker zu aktivieren.

 

2. Menschen kommunizieren, um etwas zu bewirken. Auf der Appellseite geht es um die Wirksamkeit. Was soll beim anderen erreicht werden? Was soll sie oder er tun bzw. unterlassen, denken, fühlen? Diese Wirkungsabsicht kann mehr oder weniger offen bzw. verdeckt kommuniziert werden. In nordeuropäischen Ländern beispielsweise wird Führungskräften oft empfohlen, klar Stellung zu beziehen, was sie von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwarten, um keinen Raum für Rätselraten zu bieten.

Manchmal ist solch eine klare Kommunikation allerdings mit Vorsicht zu genießen. Je größer die Beziehungsorientierung oder je indirekter der Kommunikationsstil in der jeweiligen Kultur, desto weniger direkt können u.a. auch Appelle geäußert werden. Eine offene Aufforderung, eine direkte Bitte oder gar einen unverblümten Wunsch zu kommunizieren, ist in vielen Kulturen undenkbar, ganz besonders, wenn es sich bei dem Adressaten um eine hierarchisch höhergestellte Person handelt. Das hat auch Vorteile: Ein lediglich indirekter Appell macht mein Gegenüber nicht zum Befehlsempfänger, der sich womöglich herumkommandiert oder gar kritisiert fühlt. Stattdessen kann er – in einem gewissem Rahmen – selbst entscheiden, ob er dem Appell Folge leisten möchte.

Wer nicht daran gewöhnt ist, auf der «Appell-Lauer» zu liegen, läuft allerdings tatsächlich Gefahr, indirekte Aufforderungen schlichtweg zu verpassen. Ein extrem aktives «Appell-Ohr» wiederum hört im interkulturellen Kontakt bisweilen vermeintliche Aufforderungen heraus, wo sie gar nicht gesendet wurden. Oder verdeckte Appelle werden zwar bemerkt, die indirekte Vermittlung jedoch als Unsicherheit ausgelegt oder gar als Manipulationsversuch verstanden, was unwillkürlich Widerstand auslöst.

 

3. Beim Beziehungshinweis geht es darum, was ich vom Gegenüber halte und wie ich zu ihm oder ihr stehe, also auch um Akzeptanz und Zugehörigkeit. Die Hamburger Kommunikationspsychologie unterscheidet auf der Beziehungsseite zwei Arten von Botschaften: Du-Botschaften (So bist du!) und Wir-Botschaften (So stehen wir zueinander!).

Sobald Menschen kommunizieren, schwingt auch immer mit, wie sie ihr Gegenüber sehen: «Du bist klug, nett, vertrauenswürdig … oder eben nicht.» Gleichzeitig machen sie ein Beziehungsangebot und verhandeln über eine geteilte Beziehungsdefinition: «Darf ich dich ansprechen? Dir in die Augen schauen? Dich duzen oder siezen? Dich kritisieren, um etwas bitten, dir etwas Persönliches erzählen … oder etwa nicht?»

Beziehungsbotschaften werden vor allem nonverbal über Mimik, Gestik, räumliche bzw. körperliche Nähe, aber auch paraverbal über sprachliche Intonation, Lautstärke und Betonung ausgetauscht. Schon kleine Kinder sind wahre Experten im Deuten dieser Signale. Weil der Blick der anderen so wichtig für uns Menschen ist, liegen wir ständig auf der «Beziehungs-Lauer»: «Wie spricht er eigentlich mit mir?» – «Wie kann sie es wagen, meinen Standpunkt zu kritisieren?» Im Grunde geht es um die Frage, inwieweit Menschen sich gegenseitig ernst nehmen, schätzen und auf Augenhöhe behandeln.

Eine starke Gewichtung der Beziehungsseite kann sich zum Beispiel in einer überschwänglichen «Komplimente-Dank-und-Lob-Kultur» ausdrücken: «Welch schönes Kleid, tolles Kind, herausragende Arbeit!» Oft geht sie auch mit dem kommunikativen Manöver einher, sich selbst verbal kleiner zu machen oder das Gegenüber zu erhöhen. Wer hier nur mit dem Sach- oder Selbstkundgabe-Ohr hört, riskiert, die Expertise des Sprechenden zu unterschätzen. Denn hier wird ein Beziehungsangebot gemacht, bei dem die Erwartung mitschwingt, dass das Gegenüber die soziale Balance aufrechterhalten wird, etwa mit einem Gegenkompliment oder durch die Würdigung einer besonderen Leistung oder Eigenschaft durch die hierarchisch höhergestellte Person.

 

4. Während die Beziehungsbotschaft ausdrückt, wie Menschen zueinander stehen, verdeutlicht die Selbstkundgabebotschaft, wer sie sind. Diese Seite steht für Authentizität und Wahrhaftigkeit. Für Menschen ist es enorm wichtig, einerseits zu erkennen, wen sie vor sich haben, und sich andererseits selbst zu zeigen. In der zwischenmenschlichen Kommunikation schwingt deswegen immer auch – explizit oder implizit, bewusst oder unbewusst – eine Selbstkundgabe mit: «So bin ich, das ist mir wichtig, so geht es mir, so fühle ich mich.»

Allerdings beeinflussen soziale Normen, bis zu welchem Grad Menschen sich zeigen dürfen und wie Gefühle und Bedürfnisse ausgedrückt werden sollten. Wenn etwa die Bewahrung von Harmonie, wie in vielen ostasiatischen Kulturen, eine der obersten Verhaltensregeln ist, dann werden Bescheidenheit, Besonnenheit und eine zurückhaltende Höflichkeit geschätzt. Vor allem in professionellen Settings hat eine verbalisierte Selbstkundgabe dann wenig zu suchen. Aber auch in einer privaten Beziehung kann es als kindisch oder unangemessen bewertet werden, über eigene Gefühle zu sprechen. Direkt ausgesprochene Selbstkundgabebotschaften in Form von Ich-Aussagen oder hinsichtlich der Formulierung eigener Bedürfnisse gelten in vielen Kulturen als egoistisch oder arrogant. Stattdessen tendieren Menschen dann dazu, im «Wir» zu sprechen.

Ein in diesem Zusammenhang oft angeführtes Beispiel sind die japanischen Konzepte «Honne» und «Tatemae» (vgl. auch Rez et al. 2006). Während Honne sich auf die wahren Gefühle und Wünsche einer Person bezieht, beschreibt Tatemae das sozial erwartete Verhalten in der Öffentlichkeit. In Japan gehören negative Gefühle wie Enttäuschung, Wut oder Trauer traditionell nicht in den öffentlichen Raum und werden durch Lächeln oder eine ausdruckslose Mimik kaschiert. Wer seine Gefühle im Sinne von Tatemae nicht in der Öffentlichkeit zeigt, sendet damit gleichzeitig die Selbstkundgabe, dass er höflich ist und sich – im Rahmen der eigenen kulturellen Normen – zu benehmen weiß.

Das wird aber nicht immer verstanden, ganz im Gegenteil führt eine als verdeckt wahrgenommene Selbstkundgabe schnell zu Irritationen, denn sie schürt im Gegenüber den Verdacht, Imponier- oder Fassadentechniken ausgesetzt zu sein, worauf die meisten Menschen mit Misstrauen reagieren. Eine zu starke Kontrolle der Selbstkundgabe kann so zulasten der Authentizität, der Glaubwürdigkeit und langfristig auch des zwischenmenschlichen Kontakts gehen. Dabei dient das Maskieren der Selbstkundgabe oft der Beziehungspflege.

Im Gegensatz dazu kann die Selbstkundgabe aber auch ganz anders gestaltet werden, um die Beziehung zu pflegen: In vielen Mittelmeerländern gehören große Selbstkundgabe-Schnäbel und -Ohren, die Lust daran, sich zu zeigen, sowie ein freundschaftlich-persönliches Verhältnis im Kollegenkreis zum guten Umgangston. Von freundlich aufgeschlossenen Beziehungsbotschaften geht eine große Attraktivität aus, die allerdings auch Fallstricke bereithält: Wenn «kühle Nordlichter» sich schon nach kürzester Zeit im persönlichen Raum der «warmherzigen Südländer» wähnen, erwarten sie oft eine Verbindlichkeit, die regelmäßig enttäuscht wird.

 

Als bewusstseinsbildendes Modell kann das Kommunikationsquadrat dabei helfen, Irritationen, Missverständnissen und Konflikten auf die Spur zu kommen und ganz grundsätzlich die Aufmerksamkeit für verbale wie nonverbale kommunikative Prozesse zu schärfen.

Von einem interkulturellen Standpunkt aus können wir es außerdem nutzen, um zwei Nationalkulturen gegenüberzustellen. «Die Deutschen» werden gemeinhin als direkt, regel- und zeitorientiert, rational, distanziert und individualistisch beschrieben, und Nichtdeutsche machen «den deutschen Kommunikationsstil» vor allem auf der Sach- und Appellseite fest. Im Vergleich dazu wird ein «mediterraner Kommunikationsstil» eher auf der Beziehungs- und Selbstkundgabeseite verortet – zumindest aus deutscher Sicht. Aus arabischer Perspektive sähe das vermutlich schon wieder ganz anders aus, weil hier eine tendenziell sogar noch stärkere Beziehungsorientierung vorherrscht.

Vergleicht man Kulturen mithilfe des Kommunikationsquadrats, können Konfliktpotenziale analysiert, persönliche Entwicklungsrichtungen aufgezeigt und Verhaltensempfehlungen ausgesprochen werden. Denn der gezielte Einsatz und die bewusste Gewichtung unserer vier Ohren und vier Schnäbel ist trainierbar.

Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels verdeutlichen: Neuankömmlinge sind in Spanien immer wieder erfreut darüber, wie schnell sich aus einer zufälligen Begegnung in der Mittagspause oder nach dem gemeinsamen Yoga-Kurs ein intensives und persönliches Gespräch entwickeln kann. Wenn das spanische Gegenüber dann auch noch begeistert sagt: «Das war richtig nett! Lass uns das nächste Woche unbedingt wiederholen!», scheint sich ganz unverhofft eine Freundschaft anzubahnen. Was für ein Glück, sind Zugezogene doch darauf angewiesen, sich ein neues Netzwerk aufzubauen. Hat der Kollege dann unvermittelt «andere Pläne» oder erscheint die Yoga-Bekannte einfach nicht, ist die Enttäuschung oft groß. Eine meiner Klientinnen hat einmal einen ganzen Nachmittag am Strand auf die neue Freundin gewartet, die sich zu allem Überfluss beim nächsten Aufeinandertreffen offensichtlich keiner Verfehlung bewusst war.

Unter die Lupe des Kommunikationsquadrats gelegt, sehen wir, dass bei diesem Missverständnis zwei Faktoren zusammenkommen: Erstens wurde in der starken Gewichtung der Selbstkundgabeseite nicht die größere Durchlässigkeit des öffentlichen Bereichs erkannt, dank der auch Themen, die anderswo noch unter «Privatsphäre» fallen, zum ganz normalen Small Talk gehören können. Stattdessen wurde sie fälschlicherweise als starke persönliche Verbindung interpretiert. Und zweitens wurde die Nachricht auf der Sachseite verstanden, das heißt als konkretes Angebot, das Treffen an einem bestimmten Tag zu wiederholen, und nicht als generelles Beziehungsangebot, wie es gemeint war: «Ich würde mich jederzeit gerne wieder mit dir treffen.»

3. Wer bin ich? Das Innere-Team-Modell

Zu gelungener Kommunikation gehört sowohl ein guter Kontakt zum Gegenüber als auch das Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und Gefühle. Hier liegt der Ursprung des Inneren-Team-Modells nach Schulz von Thun (2013c). Es erlaubt uns, 1. in uns selbst und andere «hineinzuschauen», 2. zu verstehen, welche inneren Tendenzen und Dynamiken dort schalten und walten, und 3. bei Bedarf Persönlichkeitsveränderungen anzustoßen. Das Modell, mit dem wir die Persönlichkeit jedes einzelnen Menschen facettenreich und vielschichtig darstellen können, ist mir zu einem unerlässlichen Werkzeug geworden, um inter- und transkulturelle Phänomene zu verstehen.

Mit dem Inneren Team bilden wir ab, dass bei jedem Menschen in jedem Moment «mehrere Seelen in der Brust wohnen», die berücksichtigt werden wollen (vgl. Abb. 3). Hat mein neuer Chef in Shanghai mich auf absolut unpassende Weise kritisiert, erzeugt das vielschichtige Reaktionen in mir: Gefühle wie Wut oder Ärger («So eine bodenlose Frechheit!»), Handlungsimpulse («Wehr dich!»), Grübeleien («Ich bin einfach nicht gut genug.») oder Körpersignale wie Schwitzen, Zittern oder Magengrummeln. Solche Impulse bilden wir im Inneren-Team-Modell als Stimmen ab, die entweder vorschnell, laut und energisch auftreten oder sich leise, manchmal auch erst nachträglich, bemerkbar machen können.

Abb. 3: Mit dem Inneren-Team-Modell lassen sich innermenschliche Dynamiken abbilden.

Indem wir diese Impulse, Tendenzen oder auch Persönlichkeitsanteile als Mitglieder unseres Inneren Teams verstehen, die eine Botschaft vertreten, und ihnen einen Namen bzw. eine Funktion zuweisen, machen wir sie greifbar und beschreibbar. Darüber hinaus besagt die Team-Metapher, dass Innere Teams nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie «äußere Teams» im Berufs- oder Privatleben funktionieren. Die Mitglieder können sich weiterentwickeln, neue Aufgabenbereiche übernehmen, Konflikte klären, Allianzen schließen, gemeinsam daran arbeiten, ein gutes Betriebsklima aufrechtzuerhalten, sowie geschätzt und stolz nach außen präsentiert werden. Sie können ihre Botschaft aber auch weniger konstruktiv kommunizieren, sich streiten, andere nicht zu Wort kommen lassen und vom Rest des Teams verachtet oder schamhaft versteckt werden. Das kann sogar dazu führen, dass innere Stimmen verbannt werden, oftmals durchaus in guter Absicht, etwa, um uns vor Verletzungen zu schützen. Manchmal werden so genau diejenigen Stimmen verbannt, die wir für den zwischenmenschlichen Kontakt so dringend brauchen und die etwa Gewissen, Moralvorstellungen oder Empathie verkörpern. Und häufig trifft es auch Stimmen, die nicht den vorherrschenden kulturellen Normen und Werten einer neuen Gastkultur entsprechen.

Um zu verstehen, wie solche verbannten inneren schwarzen Schafe sich benehmen, können Sie sich vorstellen, wie es wäre, Teil eines Arbeitsteams zu sein, in dem weder Sie selbst noch Ihre grundsätzlich engagierte Arbeit vom Chef oder vom Kollegenkreis zur Kenntnis genommen würden, Sie keinerlei Einfluss auf Teamentscheidungen hätten und in Teamsitzungen nicht einmal mit am Besprechungstisch sitzen dürften. Im wirklichen Leben würden Sie vermutlich so schnell wie möglich das Team oder gleich den Arbeitgeber wechseln. Innere Teammitglieder können das jedoch nicht. So drücken sich diese inneren Wortmelder weiter im Besprechungszimmer herum und schwanken zwischen Apathie und aufwieglerischer Konfrontation. Wenn sie dann auch noch Leidensgenossen finden, können sie das Betriebsklima ganz schön aufmischen. Vielleicht versuchen diese schwarzen Schafe, die anderen Teammitglieder lautstark zu unterbrechen, gießen den Kaffee über den Tisch, setzen gar den Mülleimer in Brand oder machen ohrenbetäubenden Lärm. Als innere Schattengestalten versuchen sie, ihrem Standpunkt Gehör zu verschaffen. Und weil es hier um eine innermenschliche Realität geht, geschieht das oft in Form von psychosomatischen Symptomen. Ignorierte innere Anteile gehen uns an die Nieren, schlagen uns auf den Magen, laufen uns über die Leber oder lassen uns Menschen auf andere Art und Weise gesundheitlich in die Knie gehen.

Als Gegenreaktion muss nun auch das gern gesehene innere Bühnenensemble unter dem Druck der Aufwiegler aufrüsten. Wo es anfangs ausreichte, diese geflissentlich zu übersehen, müssen nun Strategien entwickelt werden, um den schwelenden Unmut aus dem Untergrund in Schach zu halten. Der innere Energieverlust dabei ist enorm. In meiner Arbeit begegnen mir regelmäßig solche hochgeschaukelten Untergrundbewegungen, die für die Betroffenen oft nur schwer zu erkennen sind. Sie berichten dann über Leistungsminderung, Übersensibilität, Zerrissenheit oder das Gefühl innerer Leere und merken nicht, dass es ungehörte Anteile sind, die ihnen den Schlaf rauben oder gar zu Depression und Burn-out führen.

Für ein inneres Klima von Wertschätzung, Synergie und Inspiration ist eine starke innere Führung unerlässlich, die dafür Sorge trägt, dass alle Anteile gehört werden. Im Inneren-Team-Modell erfüllt das Oberhaupt diese Rolle, indem es dafür sorgt, dass Stimmen sich weiterentwickeln, neue Aufgabenbereiche übernehmen, Konflikte klären, Allianzen schließen und gemeinsam daran arbeiten, ein gutes Betriebsklima aufrechtzuerhalten.

Das Oberhaupt ist die Instanz, die unser Ich-Bewusstsein vertritt, die das innere Durcheinander quasi von oben herab beobachten sowie die einzelnen Mitglieder als Teil von «sich selbst» erkennen, sie steuern und zwischen ihnen moderieren kann. Diese Führungskraft des Inneren Teams sollte in der Lage sein, innere Konflikte zu schlichten, die innere Teamentwicklung voranzutreiben und alle inneren Teammitglieder prinzipiell als wertvolle Anteile des eigenen großen Ganzen zu verstehen. Das ist ohnehin schon kein leichtes Unterfangen. Wenn Menschen dann auch noch in neue Kulturen eintauchen, wirken weitere äußere Systeme auf das innere Gleichgewicht ein, die den inneren Wirkkräften ordentlich einheizen können. Doch dazu später mehr.

Zunächst möchte ich mit Ihnen gemeinsam betrachten, wo unsere inneren Anteile herkommen und wie wir Kultur verinnerlichen.

3.1Wo kommen die inneren Stimmen her?

Wenn Forscherinnen und Forscher versuchen, die Persönlichkeit von Menschen zu verstehen, fällt es ihnen schwer, zwischen «Anlage» – also unseren Genen – und «Umwelt» – zum Beispiel unserem sozialen Umfeld – zu trennen. Heutzutage herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass diese Faktoren sich gegenseitig bedingen. Und auch für innere Teammitglieder gilt: Mit einigen Anteilen werden wir geboren, andere entstehen erst in der Interaktion mit unserer Umgebung.

Einige der Stimmen, die wir von Haus aus mitbringen, sind wiederum universell und tief in den Gehirnstrukturen aller Menschen verankert: Ein innerer empathisch Verbundener ist grundsätzlich genauso im Menschen angelegt wie eine abgrenzende Autonomiewächterin, schließlich hat jeder Mensch sowohl ein Bedürfnis nach liebevoller Nähe und Zugehörigkeit als auch nach Distanz und Unabhängigkeit. Zur «Grundausstattung» gehören außerdem abwehrbereite innere Kriegerinnen einerseits sowie fluchtbereite Angsthasen andererseits. Schließlich ist auch die berühmte fight-or-flight response (Kampf-oder-Flucht-Reaktion) tief in unserem Gehirn verankert.

Darüber hinaus beeinflussen Gene auch individuelle Persönlichkeitsunterschiede. Sie bestimmen beispielsweise, ob ein Mensch eher introvertiert oder extrovertiert ist. Wie deutlich ein inneres verrücktes Huhn, das für laute und mitreißende Spontaneität steht, nach außen sichtbar gemacht werden darf, hängt dann aber wiederum vom Feedback der Gruppe ab. Hat mein Umfeld mir nur lange genug gespiegelt, dass Frauen keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen dürfen, werde ich im Laufe meiner Sozialisierung lernen, das verrückte Huhn