Träumereien an preußischen Kaminen - Kurt Tucholsky - E-Book

Träumereien an preußischen Kaminen E-Book

Kurt Tucholsky

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Beschreibung

Sechs phantastische Grotesken. Inhalt: Walpurgisnacht Bei Stadtzauberers Die Einsiedlerschule Die Träume In des Waldes tiefsten Gründen Die verzauberte Prinzessin Coverbild: DRogatnev / Shutterstock.com

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Kurt Tucholsky

Träumereien an preußischen Kaminen

Grotesken

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Zum Buch

Sechs fantastische Grotesken:

 

Walpurgisnacht

Bei Stadtzauberers

Die Einsiedlerschule

Die Träume

In des Waldes tiefsten Gründen

Die verzauberte Prinzessin

 

Coverbild: DRogatnev / Shutterstock.com

 

 

1. Walburgis Nacht

Einer jungen Schrumpelhexe aus Kurland in altem Gedenken – Mary Gerold, 24.4.18

 

Der Dovre-Alte:

»Du meinst, wir hätten nicht auch unsre Zeitung? Hier, bitte, hier schwärmt vondir, rot auf schwarz, die Blocksbergpost, ein Blatt von Verbreitung –« (Peer Gynt)

 

Der Hexenweibel Sengespeck schnaufte alle Luft ein, die um ihn war. »Antreten!«, brüllte er.

Die Schwadron trat an. Hundertundsechzig Hexen, in zwei Reihen sauber ausgerichtet. Am rechten Flügel die Oberhexe Feodorowna Hippenkranz, danach Frau Hexe Deppe, danach Fräulein Mohrchen (aus Sachsen) und alle die andern.

»Stillstann!«, dröhnte Herr Sengespeck. Sie standen wie die Mauern. Der Weibel verlas den Dienst:

»Heute Abend steht die Eskadron geschlossen vor dem Blocksberg am Südhang. Abrücken dazu um 10 Uhr. 11.40 Besichtigung durch seine Exzellenz den +++. (Ein ganz unmilitärischer Schauer ging durch die Reihen.) 12 Uhr bis 4.30 Orgie, mit anschließender Parade vor Höchstebendemselben. 5 Uhr Abreiten. Es tritt alles ein.«

Sengespeck ließ das Blatt sinken.

»Also heute ist der große Tag. Dass mir der Anzug in Ordnung ist! Der Donner holt euch! Die Besenstiele gut gestriegelt, die Lumpen vorschriftsmäßig, Haare in die Stirn gekämmt. Stiefel: keine. Weggetreten!«

Hurr – weg waren sie. Und putzten.

Die zweite Schwadron des Zehnten Teuflischen Hexenregiments war zur Zeit in einer kleinen Häusergruppe im Thüringischen, in der Nähe von Elend, einquartiert. Der Flecken galt für verlassen und unbewohnt, war es aber nicht.

Der Flecken war belegt, völlig belegt, nicht ein Plätzchen mehr war frei. Hier wurden für das große Blocksbergmanöver alle Hexen der Umgegend ausgebildet; nur wenige waren abkommandiert, weiter ihren friedlichen Beschäftigungen nachzugehen, das Vieh zu behexen, böse Winde zu bannen und den Kindern Angst und Schrecken einzujagen.

Hier aber herrschte der raue Ernst des Lebens. Hier wurde gearbeitet und exerziert, gedrillt und gewettert, dass es eine Lust war. Wochen und Wochen und Monate – und das alles für den einen Freitag, den dreizehnten November, für diese eine Nacht ...

Frau Oberhexe Hippenkranz gab den grünen Liqueur aus.

»Trinkt, Kinder, trinkt!«, sagte sie zu den Novizen, die noch keinen Blocksberg mitgemacht hatten, »ihr werdet's brauchen, die Nacht ist lang!«

Das wimmelte und krabbelte in der Stube des Achten Beritts: Die Carmagnac (eine Emigrantenhexe) legte Rouge und Hexenfett auf; die Schulzen, ein ausgekochter, alter Jahrgang, versteckte ihre riesigen grünen Ballschuhe an ihrer Büste; das rothaarige Fräulein Mohrchen aus Sachsen band die Korsettschnüre ans Bett und ging mit zusammengepressten Lippen ein Stück ins Zimmer hinein, bis sie schlank war wie eine Stopfnadel; die kleine mollige Perle hingegen (eigentlich hieß sie Lieschen Peiermann und war die entartete Tochter einer sonst feinen Familie) hatte schon einen kleinen Schwips und kitzelte unaufhörlich lachend ihren schwarzen Kater, der auf ihren weißen Schultern buckelte. Und sie putzten und lärmten und stießen sich von den Spiegeln fort, alte und junge, braune und schwarze, schlanke und fette und verhutzelte.

Der Novemberregen klatschte gegen die Scheiben – in bösen Stößen rannte der Wind gegen das Haus an. Oben die Schuhus – alte kastilianische Fledermäuse – klappten mit den großen Flügeln und sahen mit ihren glühenden Augen in die Schornsteine, wann die Madamen fertig wären.

Es war heute Freitag – die klugen Tiere ahnten, was in der kalten Luft lag. Nur der alte Wach-Uhu war in seinem Verschlage und hatte sich ganz dick aufgeblasen. Er saß, satt und faul, auf einem toten Eichhörnchen, seinem Abendbrot – fressen mochte er noch nicht, aber er saß zunächst einmal drauf.

Aus der Weibelstube erklang gewichtiges Räuspern. Herr Sengespeck trank den letzten Schluck Burgunderpunsch aus seinem kugeligen Glase und setzte es seufzend auf den Tisch.

 

»Buah!«, sagte er, »das ist ein Wetterchen! Dienst ist Dienst, aber es wäre doch ein gemütlicher Abend gewesen, sozusagen bei den warmen Kacheln da und dem Knaster hier ... Pfui, Rudolf, wer wird so etwas denken! Heute, am Ehrentage deines Herrn! Na, dann los!«

Auf dem Tisch lag aufgeschlagen der Malleus maleficarum, eine Prachtausgabe des altehrwürdigen Hexenhammers), aufgeschlagen bei Kapitul XXVII: »So die widerspänstige Hexe im casu incubi beim Inquirieren leugnet und was darauff zu geschehen«, und daneben stand die dunkelgrün bauchige Flasche mit Stobbes Machandel oo. Ach –!

Und mit einem wehmütigen Blick auf alle dieser Herrlichkeiten machte er sich ans Umkleiden und tat die Gala-Uniform an: dunkelgrüner Rock mit gelben Aufschlägen und goldenem Kragen. Auf den Achselstücken brodelten die kleinen Fegefeuer mit gekreuzten Ofengabeln, darüber: die Weibelabzeichen.

Stöhnend zog der beleibte Mann das Koller fester. 's war nicht der erste Blocksbergdienst, den er machte; wer seit 1897 Jahr für Jahr die kalt-heißen Nächte durchbraust hat, der weiß, was das heißt.

Wie die Zeit vergangen war! Wo waren alle die andern –? Der rote Ignaz und Sergeant Presel (genannt der Kreuz-Junge) und der alte Wachtmeister Herrmann von der Zweiten Reitenden Wilden-Jäger-Brigade – wo waren sie alle? Dahin, dahin! Tot oder pensioniert oder Lotteriekollekteure – dahin, dahin!

Noch einmal sah Sengespeck auf den braven Ofen in der warmen Ecke – dann riss er entschlossen die Tür auf.