Traumfänger - Die Legende vom verliebten Stern - Nadine Radermacher-Ilski - E-Book

Traumfänger - Die Legende vom verliebten Stern E-Book

Nadine Radermacher-Ilski

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Beschreibung

Mystische Träume, eine Legende und ein uraltes Versprechen. Seit Wochen quälen den jungen Jace seltsame Träume, an die er sich beim Erwachen nur bruchstückhaft erinnern kann. Blaue Augen sind das Einzige, was sich in sein Gedächtnis einbrennt. Doch nicht nur Jace wird in jeder Nacht von Träumen heimgesucht. Die stille, zurückgezogene Blue begegnet jede Nacht ihrem Schicksal, nur weiß sie noch nichts damit anzufangen. Werden Blue und Jace hinter den Ursprung ihrer Träume kommen? Werden sie die dunklen Pläne rechtzeitig erkennen, die sie bedrohen? Können Freundschaft und Liebe das Schicksal lenken?

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Seitenzahl: 238

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Foto © Sigrun Linke

Nadine Radermacher-Ilski wurde am 19. Juli 1978 in Hamburg geboren. Der Beruf ihres Vaters ließ sie in vielen Teilen Deutschlands zu Hause sein; bis sie schließlich vor über 20 Jahren in Nordrhein-Westfalen sesshaft wurde. Sie lebt und arbeitet in Jülich in der Nähe von Aachen.

Mit Traumfänger – Die Legende vom verliebten Stern erscheint ihr zweiter Roman.

Bereits bei trediton erschienen:

Traumreise – Der Weg zurück in die Wirklichkeit

Mehr über die Autorin:

www.facebook.com/radermacher.ilski/

www.instagram.com/radermacherilski/

© 2019 Nadine Radermacher-Ilski

Umschlaggestaltung:

Daniela Reif, Wiesbaden, Germany

Verwendung von Motiven von © iStockphoto LP

(Foto-ID: 65051465, dtokar; 512801318, Kerrick; 915166348, m-gucci)

Kapitelschmuck- und Trennergestaltung:

Dream Design – Cover and Art, Inh. Renee Rott, Eitzweiler, Germany

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-7482-8099-6

Hardcover:

978-3-7482-8100-9

e-Book:

978-3-7497-2886-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für meine Freunde!

Für Tinchen, meinen Lieblingsmensch.

Für Sigrun und Verena,

Ihr seid wunderbar!

Danke für Eure Freundschaft!

In einer sternenklaren Frühlingsnacht durchdringt das Mondlicht das noch feine Blätterdach zärtlich wie das sanfte Streifen eines Windhauches auf der Haut. Der Wald hat nach einem langen Winter gerade sein grünes Kleid übergestreift, und die Luft wird geschwängert von den lieblichen Düften der Natur. Es wirkt wie die Wiedergeburt nach einem langen tiefen Schlaf. Überall erwacht das Nachtleben.

Das Rascheln einer Maus im Unterholz dringt an sein Ohr. Der Ruf einer Eule ertönt, wahrscheinlich wird die Maus ihr Abendessen sein. Ein Knacken im Gehölz lässt ihn lauschen, dies Geräusch kommt nicht von einem Tier.

Er horcht! Da! Schon wieder, diesmal lauter und ganz in der Nähe. Jetzt sind Schritte zu hören, schnelle Schritte, jemand läuft durch den Wald. Seine Neugier ist geweckt. Er muss wissen, wer zu dieser nächtlichen Stunde durch den Wald läuft und warum.

Er folgt den Geräuschen und bald darauf erfassen seine Augen die Quelle des Lärmes. Eine junge Frau läuft quer durch den Wald.

Was macht sie hier?

Wovor läuft sie davon?

Er muss es wissen!

Er heftet sich an ihre Fersen. Sie läuft und hastet durch das Gehölz, dabei sieht sie sich immer wieder um, so als spüre sie, dass ihr jemand folgt. Man kann ihre Furcht regelrecht fühlen. Er rätselt. Vor wem oder was hat sie solche Angst?

Als sich der Wald öffnet, erreicht sie den Rand einer Schlucht, hier wird ihr Lauf abrupt gestoppt. Sie bleibt wie angewurzelt stehen. Auch er stoppt seinen Lauf und betrachtet sie, doch nur von hinten.

Ein langes weißes Nachthemd umspielt ihre Beine. Sie steht barfuß auf dem nackten Felsen. Das lange Haar fällt wellenförmig auf ihre Hüften. In dem Mondlicht wirkt die Farbe seltsam. Silbrig schimmernd umspielen einzelne Strähnen, die von einem leichten Windzug aufgewirbelt werden, ihre Arme. Er erkennt ihre unregelmäßige schnelle Atmung an dem Heben und Senken ihrer Schultern. Langsam dreht sie sich um.

In dem Moment, in dem sie ihn ansieht, sich ihre Blicke treffen, scheint er verloren. Er versinkt in dem Strudel ihrer strahlendblauen Augen. Solche Augen hatte er noch nie gesehen. Augen so blau wie das Bildnis des Himmels an einem wolkenfreien Sommertag.

Noch bevor er diesen Gedanken zu Ende bringt, fliegt er schon in ihnen davon. Es ist, als würde er durch sie an einen fernen Ort gebracht. Er sieht die Sterne, die Weite des Universums und die damit verbundene Erkenntnis,wie klein er doch in Wirklichkeit ist, wie klein sie doch alle sind. Das Gefühl, in ihr Inneres gezogen zu werden, wird immer stärker, immer tiefer bis zum Grund ihrer Seele.

Diese Seele, sie strahlte eine Wärme und Reinheit aus, die ihr diesen einzigartigen Glanz, ihre Schönheit verlieh. Doch es waren auch dunkle Stellen der Furcht und Unsicherheit zu erkennen. Im nächsten Augenblick entsteht in ihm ein großes Bedürfnis, sie zu beschützen, um so die dunklen Flecken fortzuwischen. Er spürte, da existiert noch mehr, etwas, was nur ihm gilt. Doch bevor er es zu begreifen glaubt, reißt ihre Verbindung abrupt ab.

Der Schrei eines Adlers, der über ihren Köpfen ertönt, lässt die junge Frau erschrocken nach oben schauen.

„Nein!“, will er rufen. Er macht einen Satz auf sie zu, um sie noch rechtzeitig zu erreichen. Doch es ist zu spät! Sie strauchelt und verliert ihr Gleichgewicht.

Der Schrei der jungen Frau vermischt sich mit dem Schrei des Adlers. Im nächsten Moment ist sie verschwunden.

Der rote Pick-up fuhr über die Landstraße Richtung Zweigstelle der ‚National Wildlife Federation‘, kurz ‚NWF‘. Jace lehnte den Kopf gegen die Scheibe der Beifahrertür, um die Kühle, die sie ausstrahlte, gegen das stetige Pochen in seinem Kopf zu nutzen. Die letzte Nacht ist mal wieder alles andere als erholsam gewesen. Erschöpft wischte er sich mit der Hand seine braunen Haare aus der Stirn.

Seit Wochen schon kämpfte er mit den Träumen. Immer wenn er im Morgengrauen erwachte, noch bevor der Wecker läutete, rang er mit den Erinnerungen. Er versuchte jedes Mal das Bild seiner Träume nicht zu verlieren, doch das Einzige, was blieb, waren diese blauen Augen und das Gefühl des Versagens. Er wollte es so gerne verstehen, doch sein Kopf gab nicht mehr preis.

Wahrscheinlich hatte es sowieso nichts zu bedeuten. Vielleicht war es der Druck und der Stress der letzten Wochen, die ihn um den Schlaf brachten. Er lernte und arbeitete viel zu viel. Doch wenn er an die MSU, Minnesota State University, wollte, musste er sich anstrengen und einen tadellosen Lebenslauf vorweisen. Gerade er als Indianer musste sich doppelt so viel Mühe geben. Offiziell würde das zwar nie einer zugeben, aber er wusste von seinem Dad, wie schwer es für ihresgleichen war, einen Collegeabschluss zu bekommen. Gute Noten und Einsatz in sozialen Projekten waren da eine Pflicht!

Auch er wollte, wie sein Vater, Anwalt werden, um später in der Kanzlei mitzuarbeiten. Sein Dad und der Vater seines besten Freundes hatten sich nach ihrem Abschluss zusammengetan. Sie eröffneten in der Nähe von Minneapolis eine Kanzlei. Ihr größtes Engagement sollte den Belangen der Lakota und dem Umweltschutz gelten.

Die Lakota-Indianer waren eine Stammesgruppe im Norden der USA. So wie viele Ureinwohner lebten auch diese in dem ihnen zugewiesenen Areal. Doch Jace’ Dad hatte Pläne, die er allerdings unmöglich im Reservat hätte umsetzen können. So entschied er sich bewusst für ein Leben außerhalb.

Auch Tays Dad erkannte, dass seine Möglichkeiten im Reservat begrenzt waren, und so entschied er sich mit Jace’ Dad den Weg des Ungewissen zu gehen. Ihr Volk und die Natur, die für die Indianer mit zur Familie gehörte, würden jedoch immer mit zum Mittelpunkt ihres Lebens gehören.

So besuchten sie regelmäßig ihre Familien und nahmen stets an den wichtigsten Festen ihres Stammes teil. Sie heirateten innerhalb ihres Volkes und wurden Väter von Söhnen, die sie wiederum mit den Gebräuchen der Lakota erzogen.

So wuchsen Tayron, den alle nur Tay nannten, und Jace wie Brüder auf. Und da die Pläne seines Dads aufgingen, lebten sie ein gutes Leben und ermöglichten so ihren Söhnen eine gute Schulbildung. Daher sah Jace es als seine Pflicht an, sein Bestes zu geben, um seinen Vater stolz zu machen. Doch dieser Anspruch an sich selbst setzte Jace des Öfteren in letzter Zeit immer mehr unter Druck.

Sollte er weniger tun? Vielleicht kamen die Träume ja doch von dem Stress, den er sich machte. Denn aus welchem Ursprung sollten sie sonst entstanden sein? Was versuchte sein Unterbewusstsein ihm zu sagen? Und gab es überhaupt was zu sagen? Fragen über Fragen.

Jace war so in seine Gedanken vertieft, dass er gar nicht mitbekam, dass sein Kumpel Tay ihm schon die ganze Zeit von seinem Freitagabend berichtete, während er den Pick-up die Straße entlangsteuerte.

„… also es war der Hammer! Und erst die Mädels! Eine Braut – wow – die war so scharf, an der hätte man sich wortwörtlich die Finger verbrannt, so heiß war die. Jace, das nächste Mal kommst du mit, ja?! Kein ‚ich muss lernen‘. Das lass ich nicht mehr gelten. Mensch, Alter, ich sag dir, wenn du so weitermachst, verpasst du noch das Beste an unserem letzten High-School-Jahr. Jace? Jace!“

„Ja, der Hammer“, brummte Jace.

„Alter, hörst du mir überhaupt zu?“ Mit diesen Worten boxte er Jace auf den Oberarm.

„He, Mann, was soll das?“

„Was das soll? Ich erzähle dir gerade von einem Hammer-Abend mit tollen Bräuten und Mega-Musik und alles, was du dazu zu sagen hast, ist ein verschlafenes ‚JA‘, na danke auch.“ Beleidigt wegen der mangelnden Aufmerksamkeit seines besten Freundes schaltete Tay das Radio an und starrte stur auf die Fahrbahn.

Jace setzte sich aufrecht hin und überlegte, was er seinem Freund Versöhnendes sagen sollte. Wenn Tay erst mal eingeschnappt war, konnte es lange dauern, bis er wieder mit einem sprach. Jace versuchte es mit einer aufrichtigen Entschuldigung:

„Tay, tut mir Leid, wirklich! Das nächste Mal komme ich mit. Versprochen! Aber ich hab wieder so beschissen geschlafen. Vielleicht hast du ja Recht, und ich tu einfach zu viel.“ Gute Taktik, Einsicht zeigen, Jace war zufrieden mit sich.

Tay sah kurz zu ihm. Grinsend sagte er: „Sag ich doch, zu viel lernen macht krank!“

„Das passt dir echt gut in den Kram, oder?!“

„Na klar! Vertrau auf Dr. Tay. Lernen ist nur Gift für den Körper. Spaß – das ist die beste Medizin.“ Mit diesen Worten lenkte er den Pick-up auf eine Seitenstraße. „Aber jetzt mal Scherz beiseite. Irgendwas quält dich doch, Jace. Meinst du nicht, du solltest mal mit jemandem darüber reden?!“

„Weiß nicht! Mit wem denn? Ist doch albern! Ich bin doch kein kleines Kind mehr, was nach einem Albtraum nachts neben Mummys Bett steht.“

„Quatsch! Jetzt hör aber auf! Was hat das mit kleinen Kindern zu tun? Hast du vergessen, was meine Großmutter immer gesagt hat?

Die Welt wird Traumder Traum wird Welt,und was man geglaubt,es sei geschehen,kann man von Weitem erstkommen sehen.“

Jace sah Tay total verblüfft von der Seite an.

„Da staunst du, was?!“

Mit sowas hatte Jace nun wirklich nicht gerechnet.

Tay ließ sich nicht beirren und redete einfach weiter: „Wir könnten mit meiner Tante Annouk reden. Und am besten – am besten fahren wir zu ihr. Wir sind ohnehin schon lange nicht mehr im Reservat gewesen. Was meinst du, ich finde, es wäre höchste Zeit für einen Besuch?“ Fragend sah Tay zu Jace herüber. „Nun komm schon, gib dir einen Ruck. Lass uns morgen fahren. Sonntag wäre ein super Tag für einen Familienbesuch.“

Jace überlegte, warum eigentlich nicht. Er legte die Hand auf Tays Schulter und verkündete kurzentschlossen: „Machen wir! Bruder, wo wäre ich nur ohne dich?“

„An deinem Schreibtisch!“, kam es kurz und knapp zurück und beide prusteten los.

Mitch rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Sind Sie sich sicher, Sheriff? … Ah, … ja, … okay, … ich verstehe! … Nein, nein, ich werde es mir ansehen! Treffen wir uns doch direkt am Wanderparkplatz. … Ja, genau! … In einer halben Stunde? Passt mir gut!“ Mit diesen Worten legte Mitch den Hörer auf.

Wenn das wirklich stimmte, was der Sheriff ihm gerade berichtet hatte, dann mussten sie dafür sorgen, dass das Gebiet um die Brutstätte weiträumig abgesperrt wird. Nicht nur zur Sicherheit des Geleges, sondern auch und vor allem zur Sicherheit der Wanderer.

Ein brütendes Weißkopfseeadlerpärchen konnte sehr gefährlich werden, wenn man sich zu nah an seinen Adlerhorst ranwagte, ob nun mit Absicht oder durch Zufall.

Es gab Berichte von Adlern, die einen Bären in die Flucht geschlagen hatten, um ihre Eier zu schützen. Nicht auszudenken, was für Verletzungen sie Menschen zufügen konnten.

Es kam viel Arbeit auf sie zu. Es müssten alle Wanderwege im Umkreis von tausend Metern gesperrt werden. Ausgerechnet zu Beginn der Saison in einem sehr beliebten Wandergebiet. Doch taten sie es nicht und sollte einem Wanderer etwas passieren, dann waren die Adler trotz Abschussverbot in großer Gefahr.

Der ‚National Eagle‘ war seit 1940 zwar gesetzlich geschützt, doch leider gab es immer noch Jäger, die diese fantastischen Tiere schossen, um ihre Federn zu verkaufen. Allein der Besitz so einer Feder war in den USA illegal. Jeder Fund musste gemeldet werden.

Um doch eine Feder besitzen zu dürfen, bedurfte es eines langen Antragsverfahrens. Sogar die Indianer, die diese Federn aus rituellen Gründen in ihren Kopfschmuck einarbeiteten, mussten Genehmigungszertifikate vorweisen. Man hoffte so, das Wappentier der USA vor der Ausrottung zu schützen.

Leider gab es im Ausland immer noch viele Abnehmer, die es nicht interessierte, woher die Federn stammten. Auf dem Schwarzmarkt kursierten surreale Preise. Doch sie wurden gezahlt, also lohnte es sich wohl, das Risiko einer Strafe einzugehen.

Mitch malte sich aus, was wohl jemand für ein komplettes Tier oder womöglich Eier zahlen würde. Kopfschüttelnd vertrieb er diesen Gedanken, denn allein die Vorstellung glich einem Horrorszenario.

Er war Leiter der Zweigstelle des NWF und somit war seine Aufgabe vor allem, den Schutz der Greifvögel in diesem Gebiet zu gewährleisten. Das Registrieren der Raubvögel, die Versorgung von verletzten Tieren und das Eiermanagement in den Großstädten wie Saint Paul und Minneapolis stellten seine Arbeit vor große Herausforderungen.

Gott sei Dank musste er dies nicht allein bewerkstelligen. Neben ihm arbeitete noch ein Tierpfleger in der Station. Mehr konnte der NWF sich nicht leisten, deshalb waren sie auf ehrenamtliche Helfer angewiesen.

Seit knapp einem Jahr hatten sie samstags Unterstützung von Jace. Er war im letzten High-School-Jahr und brauchte diese Stelle als Referenz für seine Bewerbung am College. Mitch konnte Jace gut leiden, er merkte dem Jungen an, dass er mit Herzblut dabei war. Die Arbeit schien ihm großen Spaß zu machen.

Gerade als Mitch sich die Landkarte an der Wand genauer in Augenschein nahm, um den Bereich der Schutzzone eingrenzen zu können, hörte er einen Wagen auf den Parkplatz vor dem Büro fahren. Abgelenkt sah er aus dem Fenster und beobachtete, wie Jace aus dem Auto seines Freundes Tay stieg. Mitch kannte Tay, da er Jace schon des Öfteren gebracht hatte, wenn der Junge das Auto seiner Mutter nicht zur Verfügung hatte. Jace stieg lachend aus dem Wagen und klopfte auf die Motorhaube zum Abschied. Kurz darauf fuhr der rote Pick-up begleitet von einer Staubwolke vom Platz.

„Guten Morgen! Na, braucht deine Mum das Auto?“, begrüßte Mitch Jace beim Eintreten ins Büro.

„Hallo, Mitch, äh, ja, sie hat wichtige Besorgungen zu machen.“

„Soll ich dich später wieder mit zurück in die Stadt nehmen?“

„Das wäre super! Danke!“ Jace zückt sofort sein Handy, um Tay eine Nachricht zu schicken:

Fahre mit Mitch zurück! Sehen uns morgen früh!

Mitch schaute ihm dabei geduldig zu. Erst als Jace sein Handy wieder in der Hosentasche seiner Blue-Jeans verstaut hatte, fing er an, Jace von dem Telefonat mit dem Sheriff zu berichten. Jace’ Augen wurden im Laufe des Berichts immer größer vor Erstaunen.

„Weißkopfseeadler?! Das wäre doch fantastisch!“ Jace war ganz aus dem Häuschen.

„Ja, natürlich wäre das fantastisch. Allerdings bedeutet das in nächster Zeit viel Arbeit und engmaschige Kontrollen vor Ort. Und hier meine Bitte: sollte sich das Ganze bewahrheiten, würdest du oder besser anders gefragt, sähst du dich in der Lage, mich dann auch in der Woche zu unterstützen? Ich würde dir dann auch einen der Jeeps für die Zeit zur Verfügung stellen.“

Jace starrte Mitch mit offenem Mund an. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. „Na klar, Mann!“, sprudelt es nur so aus ihm raus.

„Mal langsam mit den Pferden! Das muss wohl überlegt sein, Jace. Das bedeutet eine Menge Freizeitverlust und weniger Zeit zum Lernen. Bist du sicher, dass du das leisten kannst und willst?“ Mitch spielte auf die körperliche Verfassung von Jace an. Es war ihm nicht entgangen, dass der Junge in den letzten Wochen sehr ausgelaugt und müde wirkte. Er wollte ihm nicht zu viel zumuten.

„Keine Sorge, Mitch! Ich bekomme das schon hin. Wirklich!“ Jace war begeistert und geehrt, dass Mitch ihm diese Verantwortung überhaupt zutraute.

„Na, dann lass uns erst mal abwarten, ob der Wanderer, der den Adlerhorst gemeldet hat, das Nest nicht mit ein paar dichtgewachsenen Zweige verwechselt hat.“ Mitch schnappte sich seinen Hut und sein Fernglas und ging zur Tür. „Ach, bevor ich es vergesse, könntest du heute das Futter für unsere ‚Pflegekinder‘ abholen? Und frag doch bitte Tay, ob er einen der Jeeps die Woche zur Inspektion abholen könnte. Es müssten alle beide mal wieder durchgecheckt werden. Wenn er den einen wiederbringt, könnte er den anderen wieder mitnehmen.“

„Natürlich, mach ich. Wieviel Kilo Küken haben wir denn bestellt?“

„Äh, … sei so gut und schau schnell selbst in den Büchern nach, und nimm dir Geld aus der Kasse mit. Ich muss jetzt wirklich los, wenn ich pünktlich zum Treffen mit dem Sheriff kommen möchte.“ Mit den letzten Worten fiel die Tür des Büros hinter Mitch ins Schloss. Jace lächelte. Hoffentlich ist die Nachricht keine Finte gewesen.

Weißkopfseeadler!

Diese Tiere waren echt was Besonderes. Das Symbol für Amerika, das Wappentier! Besonders aber auch für die Indianer, dieser Raubvogel war das Sinnbild der Verbindung zwischen Himmel und Erde. Ein Zeichen für Klarheit und Freiheit. Ein mächtiger Naturgeist!

Sollte also ein Indianer je das Glück haben, in den Besitz einer Feder dieser majestätischen Vögel zu kommen, wurde sie gehütet wie ein Schatz. Was für ein Geschenk war es dann erst für ihn, Wächter für gleich zwei solcher Prachtexemplare zu sein. Das Vertrauen, das Mitch in ihn setzte, ehrte Jace daher sehr.

Nachdem Tay Jace an der Station abgesetzt hatte, versank er in seine Gedanken. Er machte sich ernsthaft Sorgen um Jace.

Natürlich hatte er die Veränderungen in den letzten Wochen an ihm bemerkt. Er war schließlich wie ein Bruder für ihn. Jace wirkte ausgelaugt. Oft schien es, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders. Irgendetwas beschäftigte ihn. Es ließ ihn nicht los, so als wäre er gefangen.

Jace schob zwar seinen Zustand auf den Stress, der durch den Wunsch ausgelöst wurde, auf ein College zu gehen. Tay sah, welchen immensen Druck er sich machte. Er verstand ihn ja. Er wusste, wie wichtig es für Jace war, Anwalt zu werden. Sein Freund hoffte, was verändern zu können und Gutes zu tun, genau wie ihre Väter.

Doch der Zustand, in dem Jace sich momentan befand, hatte ganz und gar nichts mit seinen Lebenszielen zu tun. Etwas anderes füllte seinen Geist und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Umso mehr war Tay erleichtert, dass Jace dem Besuch im Reservat zugestimmt hatte. Es klang vielleicht seltsam, doch auch als moderner Indianer verließ man sich noch auf die alten Weisheiten der großen Schamanen und stempelte sie keineswegs als Hokuspokus ab.

Tay war sich sicher – Jace würde dort Hilfe und Erkenntnis finden.

Da die Fahrt ins Reservat circa zwei Stunden dauerte, würden sie sich morgen sehr früh auf den Weg machen müssen. Eigentlich ist sein Plan gewesen, den Sonntag im Bett zu verbringen, doch für Jace würde er alles tun. Sogar seine Pläne für den Samstagabend über den Haufen werfen. Na ja, zumindest würde er jetzt vor Mitternacht nach Hause kommen und das Bier weglassen.

Schmunzelnd dachte er an die letzte Nacht zurück. Die Braut, die er gegen zwei Uhr nachts in seinem Pick-up nach Hause gebracht hatte, verfolgte nur ein Ziel, sie wollte eine von seinen Eroberungen werden. Alles an ihr signalisierte ihm: nimm mich!

Sie hatte sich regelrecht an ihn rangeschmissen. Und seien wir doch mal ganz ehrlich, Leckereien, serviert auf einem Silbertablett, ließ man nicht stehen. Er jedenfalls nicht. Er lebte strikt nach der Devise: Unverbindlichkeit war, so wie das Salz in der Suppe, der Geschmacksträger für Spaß! Warum sich also festlegen?

Er sah es an seinen Mitschülern, die sich schon früh in eine Beziehung mit einem Mädchen stürzten. Am Anfang waren alle himmelhoch jauchzend, doch nach einiger Zeit konnte man die Veränderung erkennen. Spaß und Freude wichen Rechtfertigungen und Pflichten. Nein, da blieb er lieber ungebunden und frei. Vielleicht eines Tages, doch das war für Tay noch weit, weit weg. Also nutzte er jede Gelegenheit, die ihm geboten wurde. Diese Lebensart bescherte ihm nicht gerade einen guten Ruf. Doch seltsamerweise standen die Mädels auf die Art von Typen, für die jedes Date ein Abenteurer war. Und ihm war’s recht!

Jace dagegen war das absolute Gegenteil von Tay. Das hieß nicht, dass er nicht gut aussah. Gutaussehend war er. Groß, muskulös, goldbraune Augen und sein Lächeln ließ die Mädchen dahinschmelzen. Doch genau das war der Punkt. Jace bemerkte überhaupt nicht, was für eine Wirkung er auf die Bräute hatte.

Auf Partys ging Jace nur selten, und wenn er es tat, dann nur um Tay einen Gefallen zu tun. All die Dinge, die Jungs in ihrem Alter so taten, interessierten Jace recht wenig. Sein Freund vergrub sich lieber in seine Bücher.

Jace ist schon immer der Klügere und Vernünftigere von ihnen beiden gewesen. So war es auch logisch, dass Jace in die Fußstapfen ihrer Väter steigen würde. Tay waren diese definitiv zu groß. Doch das war okay.

Seine Ziele waren nicht so hochgesteckt. Schule fiel ihm immer schon schwer, er war eher der Pragmatiker als der Theoretiker. Sein Talent lag darin, Dinge wieder ans Laufen zu bekommen. So hatte er schon früh begonnen alles Mögliche in seiner Umgebung zu reparieren. Irgendwann ergab sich dann die Möglichkeit, bei ‚Clay’s Car Service‘ anzufangen. Neben der Schule natürlich.

Clayton Olsen erkannte schon früh sein Talent und bot ihm vor ungefähr einem Jahr an, nach der High-School bei sich in der Werkstatt den Mechaniker zu machen, um dann später Teilhaber zu werden.

Tay war Feuer und Flamme! Er liebte den Geruch von Motoröl, aber vor allem das Gefühl, am Ende des Tages etwas vollbracht zu haben. Seither lenkte er jeden Samstagmorgen, wie auch heute, seinen Pick-up auf den Hof der Werkstatt, streifte sich seinen Overall über und befand sich im Paradies.

„Hey, Tay! Wie war dein Freitagabend? Wieder eine Schnecke aufgerissen?“ Grinsend und mit verschmiertem Gesicht rollte Luke unter dem Wagen hervor.

„Was willst du wissen, du alter Sack?“, antwortete Tay lachend. Tay mochte Luke. Er arbeitete schon lange für Clay. Luke wusste alles über Autos, und Tay hatte bereits eine Menge von ihm gelernt. Tay wusste, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde. Luke lechzte geradezu nach Einzelheiten. Tay nahm es ihm nicht übel, nein, eigentlich verstand er den Mittvierziger sogar und irgendwie tat er ihm ein wenig leid.

Luke war seit zwanzig Jahren verheiratet und durfte zu Hause wohl auch nicht mehr so oft ran. Früher ist er laut eigener Aussage wohl auch ein Hallodri gewesen. Tay fand diese Vorstellung sehr amüsant, denn wenn man sich Luke heute so anschaute, konnte man sich dies schwer vorstellen – kleiner, gedrungener Mann mit Halbglatze und Bierbauch.

Lachend quälte Luke sich auf die Beine und legte väterlich den Arm um Tay. „Wen nennst du hier alt? Ich hab es noch voll drauf, glaub mir.“ Dabei zwinkerte er Tay verschwörerisch zu.

Den Gedanken wollte Tay sich wirklich nicht näher ausmalen und lenkte auf ein anderes Thema. „Was gibt es heute zu tun? Ist Clay schon da?“

„Ersteres, wir haben heute Morgen zwei Autos zur Inspektion reinbekommen und zum zweiten Thema kann ich nur sagen: Clay war gestern pokern!“

Tay verdrehte die Augen. Na toll, dann war mit Clay nicht vor dem Mittag zu rechnen. Immer wenn sein Boss Pokern ging, war am nächsten Tag nichts mit ihm anzufangen. Tay glaubte, dass er ein Spielproblem hatte, aber sicher war er sich nicht.

Seufzend nahm er den Schlüssel für den grünen Dodge vom Brett. Bevor er sich die Stöpsel von dem Kopfhörer seines Handys in die Ohren stopfte, murmelte er zu sich selbst: „Na dann, lass uns mal unseren Job machen!“ In Begleitung der harten Bässe seiner Playlist bereitet er den Ölwechsel des grünen Autos vor.

Seufzend hielt er sich den Kopf! Clay Olsen saß am Küchentisch und rührte gedankenverloren in seinem Kaffee herum. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Nach der letzten Partie wollte er doch aufhören!

Er hatte ausnahmsweise mal einen guten Start gehabt und gewonnen. Nach all den Niederlagen in den letzten Monaten wurde das auch langsam mal Zeit. Endlich gewonnen! Und was für ein Gewinn, er konnte es im ersten Moment noch gar nicht fassen. Zehntausend Dollar lagen im Pott, und mit einem „Full House“ hatte er sie alle abgezockt. Zum richtigen Zeitpunkt war er standhaft geblieben und hatte auf sein Bauchgefühl vertraut.

BAM! Er war der Sieger!

Clay ist so erleichtert gewesen. Er hatte das erste Mal einen kühlen Kopf bewahrt. Dies lag sicherlich daran, dass er sich am gestrigen Abend jeglichen Alkohol verbot hatte. Sonst ist er immer sturzbetrunken gewesen, wenn er spielte.

Danny, der Handlanger von Eddie, hatte stets dafür gesorgt, dass sein Whiskyglas immer voll war. So wurde es für Clay nach kurzer Zeit jedes Mal unmöglich, den Überblick zu behalten. Doch gestern Abend, da hatte er keinen Tropfen angerührt. Danny hatte es ein paar Mal versucht, Clay blieb allerdings beherrscht.

Wäre er es doch auch nur in seiner Entscheidung geblieben, Aufzuhören. Er wäre all seine Schulden mit einem Mal losgeworden. Es wäre sogar noch was übrig geblieben. Doch dann meinte einer am Tisch doppelt oder nichts. Clay beabsichtigte ja vernünftig zu sein. Er wollte dankend ablehnen, als plötzlich Eddie hinter ihm gestanden hatte.

Eddie hatte sich zu ihm hinuntergebeugt und ihm ins Ohr gesäuselt: „Olsen, das wirst du dir doch wohl nicht entgehen lassen, bei der Glückssträhne, die du heute hast?! Zwanzigtausend! Wenn du jetzt aufhörst, glaub mir, so viel Geld wirst du nie wieder in Händen halten!“

„Nein“, hatte er geantwortet, „Für heute hab ich genug!“

Er ist so stolz auf sich gewesen, bis dieses eine Wort den Raum durchschnitten hatte, das Wort, das Clay aus der Reserve gelockt hatte. Die Aneinanderreihung von Buchstaben, die ihn schon immer nur in Schwierigkeiten gebracht hatten.

„Ach, ich wusste ja gar nicht, dass hier am Tisch ein FEIGLING sitzt!“

„Wen nennst du hier einen Feigling?!“, hatte Clay empört geantwortet. Alles konnte Clayton Olsen vertragen, doch wenn man ihn einen ‚Feigling‘ nannte, ging alle Vernunft flöten, und er öffnete den Schwierigkeiten die Tür.

Was blieb, war schlussendlich die Wahrheit in dem Satz:

„So viel Geld wirst du niewieder in Händen halten!“

Clay verlor alles! Seine zehn- und nochmals zehntausend, die er nie besessen hatte. Als es vorbei war, hatte er nicht nur die Chance verspielt, seine Spielschulden, die bei Eddie angelaufen waren, zu begleichen. Nein! Er hatte es geschafft, noch einen Batzen obendrauf zu setzen. Er schuldete Eddie jetzt zwanzigtausend Dollar!

Clay schüttelte den Kopf. Vor lauter Wut auf sich selbst haute er mit der flachen Hand auf die Tischplatte, so kräftig, dass die Kaffeetasse dabei umfiel. „Clay, was hast du getan! Du bist so ein Holzkopf!“, schimpfte er mit sich selbst.

Nun war er nicht nur über beide Ohren verschuldet, nein, was noch viel schlimmer war, er schuldete dem übelsten Typen in der Gegend Geld. Der ganzen Sache wurde aber noch die Krone aufgesetzt. Es wurde noch viel übler, als Eddie nach seiner haushohen Niederlage zu ihm an die Bar herüberkam, an die er sich verkrochen hatte, um seinen Verlust in Alkohol zu ertränken. Dort eröffnete Eddie ihm, dass er, Clay, ihm, Eddie, die Kohle bis Ende des Monates mit Zinsen zurückzahlen solle.

„… und, Olsen, wenn du nicht zahlst, wird es sehr unschön! Denk an deine süße Nichte!“ Eddie sah ihm dabei fest ins Gesicht. Clay erinnerte sich an das süffisante Aufblitzen in seinen Augen. Eddie hatte Spaß dran, ihm zu drohen. Worauf hatte er sich da nur eingelassen?

Clay war verzweifelt! Jetzt hatte seine Spielsucht nicht nur ihn in Gefahr gebracht, auch Blue war jetzt in Gefahr. In ernster Gefahr! Mit so einem wie Eddie war nicht gut Kirschen essen. Dies wusste Clay nur zu gut, denn als er die Bar wenig später verlassen hatte, musste er feststellen, dass alle vier Reifen an seinem Wagen zerstochen waren. Eine Warnung! Das wusste er! Eddie würde sich seine Dollars holen! Egal wie!

Clay starrte auf den Kaffeesee, der sich auf den Küchentisch ausbreitete. Er wusste, er musste etwas unternehmen! Aber was?

Der Mond steht voll am Himmel in dieser lauen Frühlingsnacht. Sein Licht durchbricht das noch junge Blätterdach. Die Strahlen, die es bis zum Boden schaffen, tauchen den Wald in ein geheimnisvolles silbriges Schimmern.

Sie weiß nicht genau, warum sie hier ist. Ihre nackten Füße fühlen den weichen Untergrund. Das Moos kitzelt an ihren Zehen. Langsam geht sie durch den nächtlich erwachenden Wald. In der Ferne vernimmt sie den Schrei einer Eule, und da ein Rascheln. Sie atmet den frischen Duft des jungen Grünes ein.