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Lisa verbringt mit ihren Eltern und dem kleinen Bruder die Sommerferien in den Bergen. Auf der Wanderung zur Birkhöhe verirrt sich die Familie und kann den Rückweg nicht finden. In einer unbekannten Welt mit fremdartigen Wesen wie Trolle und Blumenelfen erlebt die kleine Familie spannende Abenteuer. Die 9-jährige Lisa gerät durch einen Trollzauber in große Gefahr und eine scheinbar ausweglose Situation. Wird es Lisa und ihrer Menschenfamilie gelingen den Zauber wieder rückgängig zu machen?
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Seitenzahl: 314
Veröffentlichungsjahr: 2021
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In diesem Roman verwischen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie. Ungewöhnliche Begegnungen werden spannend, einfühlsam und fantasievoll erzählt, zu einer natürlich empfundenen Wirklichkeit. Taucht ein in eine unbekannte Welt mit Trollen und Blumenelfen. Die liebevollen Farbillustrationen geben dieser Geschichte einen besonderen magischen Rahmen.
Katja Schmoll wurde am 23. April 1957 in Berlin geboren. Heute lebt sie mit ihrem Mann im brandenburgischen Groß Lindow, nahe der Oder. Wann immer es möglich ist, sind die beiden mit dem Wohnmobil unterwegs. Reisen nach Norwegen und Finnland wurden für Katja Schmoll Auslöser und Inspiration Geschichten zu schreiben, über das Leben der Trolle und viele Abenteuer, die es in der Natur zu erleben gibt.
Kapitel 1 Endlich Urlaub
Kapitel 2 Die Wanderung
Kapitel 3 Ein besonderes Frühstück
Kapitel 4 Auf der Suche
Kapitel 5 Das kleine Haus
Kapitel 6 Der Hauseigentümer
Kapitel 7 Training für das Hasenrennen
Kapitel 8 Wahrheit oder Lüge
Kapitel 9 Lisa läuft weg
Kapitel 10 Der Entschluss
Kapitel 11 Die Umwandlung
Kapitel 12 In der Trollfamilie
Kapitel 13 Der erste Morgen bei den Trollen
Kapitel 14 Die Reitstunde
Kapitel 15 Die Bergfinken helfen
Kapitel 16 Eierdieb oder Spieletroll
Kapitel 17 Der Trollvater geht zu den Menschen
Kapitel 18 Waldbeeren für Peter
Kapitel 19 Das war so nicht geplant
Kapitel 20 Spieleabend bei den Trollen
Kapitel 21 Der Traum
Kapitel 22 Das große Hasenrennen
Kapitel 23 Lisa ist krank
Kapitel 24 Klaus und Jana
Kapitel 25 Die Absprache
Kapitel 26 Lisa berichtet ihren Eltern
Kapitel 27 Estella sucht Hilfe
Kapitel 28 Eine folgenschwere Entscheidung
Kapitel 29 Die Kräuter-Allika
Kapitel 30 Das Floß
Kapitel 31 Im Reich der Großtrolle
Kapitel 32 Malina die Medizinfrau
Kapitel 33 Wer findet die Blumenelfen
Kapitel 34 Peters Auto
Kapitel 35 Der Zauberspruch
Kapitel 36 Zurück in die Menschenwelt
„Oh wie schön ist es, mit der ganzen Familie Urlaub zu machen“, dachte Lisa. Sie lag in dem großen, weichen Bett der Pension Sonnenschein. „Niemand drängelte sie aufzustehen.“ Das Bett war warm und gemütlich. Lisa drehte sich noch einmal auf die andere Seite, um weiter zu schlafen. Vor vier Tagen war sie mit ihrer Familie, Vater Klaus, Mutter Jana und dem kleinen Bruder Peter angekommen. In einem Haus mit großem Garten hatte die Familie eine hübsche Ferienwohnung gebucht. Hier wollten sie gemeinsam den Sommerurlaub verbringen. Das Haus stand am Rand einer kleinen Ortschaft, umgeben von Bergen, Wäldern und Seen. Ein Bach schlängelte sich durch die schmalen Straßen. Eine kleine Brücke ermöglichte es, über den Bach auf die andere Uferseite zu gelangen. Neben dieser Brücke befand sich ein großes Mühlrad, welches sich nun aber nicht mehr drehen konnte. Ein angrenzendes altes Gebäude erinnerte daran, dass an dieser Stelle früher, mit der Kraft des Wassers, Holz gesägt wurde. Es gab viele Möglichkeiten, immer wieder Interessantes zu entdecken und zu erleben. Jeden Tag unternahm die Familie einen anderen Ausflug oder probierten gemeinsam neue Spiele aus. Jedes Mal hatten alle Spaß dabei.
Die Urlauber aus den benachbarten Ferienwohnungen waren freundlich und entspannt. Die Kinder hatten sich sofort angefreundet. Wenn sie sich in dem großen Garten der Pension trafen, erzählten sie einander, was sie alles erlebt hatten und erkundeten die nähere Umgebung. Die meisten Feriengäste sprachen Deutsch, aber manche unterhielten sich in anderen Sprachen. Den Kindern war das beim Spielen egal. Sie fanden immer einen Weg, sich trotzdem zu verständigen.
Lisa hatte Schulferien. Deshalb durfte sie am Morgen so lange schlafen, bis sie von selbst aufwachte. Kein Weckerklingeln riss Lisa aus ihren Träumen. Hier wurde sie sanft mit Vogelgezwitscher sowie dem Quaken von Fröschen in der Ferne geweckt. Die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster hereinschienen, tanzten auf ihrer Bettdecke und kitzelten Lisa auf der Nase. Sie sah zu dem Bettchen herüber, in dem ihr kleiner Bruder schlafen sollte, aber das Bett war leer. Peter hatte sich heimlich aus dem Zimmer geschlichen, als Lisa noch schlief. Jetzt spielte er mit seinen Autos in der Wohnküche, während die Eltern dort das Frühstück vorbereiteten. Gerade als sich Lisa noch einmal so richtig einkuscheln wollte, drang ein unwiderstehlicher Duft in ihre Nase. „Was war das?“ Es roch nach irgendetwas Leckerem. „Eierkuchen oder Rühreier?“ Sie erinnerte sich daran, dass sie hier im Urlaub immer auf der Terrasse gemeinsam frühstücken. Bei der Gelegenheit wurden die Vorhaben für den Tag besprochen. Lisa sprang aus dem Bett und lief in die Küche. „Guten Morgen! Ich bin wach! Wann gibt es Frühstück? Was machen wir heute?“ Sie freute sich schon auf diesen neuen Tag. Vor allem war sie gespannt, was die Familie heute unternehmen würde. „Guten Morgen“, erwiderte der Vater und winkte seiner Tochter fröhlich zu. Die Mutter gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange. „Guten Morgen, Lisa. Ich hoffe, du bist gut ausgeschlafen und fit für unseren Ausflug.“ Bevor Lisa auf die Frage ihrer Mutter antworten konnte, sprach diese ohne Unterbrechung weiter: „Du kannst dich jetzt im Bad fertigmachen. Danach zieh dich bitte schnell an. Bis dahin haben wir den Tisch gedeckt.“
Kurze Zeit später saß die Familie auf der Terrasse zusammen. Das Frühstück schmeckte herrlich, die Brötchen waren aufgebacken und rochen lecker. Es gab Rührei mit frischen Kräutern, dazu extra krosse Speckscheiben, die der Vater so liebte, Kakao für die Kinder zum Trinken. Auf dem Tisch standen aufgeschnitten verschiedene Wurst- und Käsesorten, Joghurt, Erdbeeren und Knuspermüsli sowie Honig und Nutella. Lisa hatte großen Appetit. So probierte sie von allem und aß, bis nichts mehr in ihren Bauch passte. Der Vater erläuterte die Vorhaben für den Tag: „Wir wollen heute eine große Wanderung in die Berge machen. Unser Ziel ist es die Birkhöhe, also diesen Berggipfel dort, zu erreichen.“ Er wies mit dem ausgestreckten Arm auf eine der Bergkuppen, welche von der Terrasse der Ferienwohnung aus gut zu sehen war. „Von dort aus soll man einen wunderbaren Blick in das Tal und auf unsere Pension haben. Der große See, auf dem wir gestern mit dem Ruderboot unterwegs waren, soll von da oben wie eine kleine Pfütze aussehen.“ Dann hielt er inne und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck Kaffee, bevor er weitersprach: „Allerdings ist die Wanderung recht lang und beschwerlich, weil wir zunächst einige Kilometer bergauf laufen müssen. Deshalb haben uns die Nachbarn angeboten, dass ihr sie gern zum Baden an den See begleiten könnt. Paul und Pauline würden sich über Spielkameraden am Seeufer sicherlich sehr freuen.“ Lisas Mutter sah ihren Mann entgeistert an. „Hatte er gerade wirklich vorgeschlagen, hier im Urlaub ohne die Kinder auf eine Wanderung zu gehen?“ Klaus bemerkte diesen Blick. Sofort versuchte er, seinen Vorschlag sachlich zu begründen: „Na ja, diese Wanderung könnte durchaus mit Gefahren verbunden sein. Wir wissen nicht, wie sicher die Wege dort oben sind. Vielleicht leben da wilde Tiere und keiner weiß, was uns alles erwartet.“ Lisa hörte aufmerksam zu. Das klang nach Abenteuer. „Ich will mitwandern!“, rief sie entschlossen und überlegte kurz: „Baden mit Paul und Pauline wäre auch ganz schön. Jedoch Abenteuer sind noch viel besser“, entschied sie letztlich für sich. Peter schloss sich direkt der Meinung seiner großen Schwester an und rief: „Ich auch! Ich auch!“ „Na dann werden wir mal die notwendige Verpflegung zusammenstellen und einpacken“, erwiderte Jana erleichtert. Sie wertete den Willen der Kinder in diesem Fall als Entscheidung.
Die Eltern bereiteten die Wanderung sorgfältig vor. Festes Schuhwerk, Jacken, Mützen, Mückenschutz und Creme gegen die intensive Sonneneinstrahlung, Brote, Nussriegel, Apfelsaft und vor allem Wasserflaschen zum Trinken. Lisa wollte die Buntstifte und einige Papierblätter mitnehmen, um die Abenteuer direkt aufmalen zu können. Aber ihr Vater ließ es nicht zu. Er erklärte, dass es beim Wandern ohnehin keine Gelegenheit zum Malen gäbe und dass ihr Gepäck zu schwer werden würde. Lisa musste enttäuscht ihre Malsachen in der Ferienwohnung zurücklassen.
Dann war es soweit. Klaus band sich den Rucksack um, Jana setzte den Kindern ihre Sonnenmützen auf und die kleine Wandergruppe machte sich auf den Weg Richtung Bergkette. Familie Reschke wohnte in der Nachbarferienwohnung. Mit ihren Kindern Paul und Pauline spielten sie im Garten Federball. Frau Reschke winkte und rief der kleinen Wandergruppe hinterher: „Viel Spaß und kommt gesund zurück!“ Jana antwortete, „Ja danke, wir wünschen euch auch einen schönen Tag und bis heute Abend!“ Lisa ergänzte die Verabschiedung, indem sie Paul und Pauline vertröstend zurief: „Wir können ja noch zusammen baden gehen, wenn wir wieder zurück sind! Ich komme dann rüber!“ Als Antwort erhielt sie ein, „Okay!“. Dann hatten sich die Wanderer bereits so weit von der Pension entfernt, dass die Kinder der Familie Reschke hinter der Hecke nicht mehr zu sehen waren. Ihre Rufe beim Spielen wurden immer leiser, bis sie ganz verstummten.
Zunächst war die Wanderung leicht, fröhlich und von vielen Entdeckungen am Wegrand geprägt. Der Wanderweg war breit, sodass Klaus und Jana gemütlich nebeneinander laufen und Lisa oder Peter auch noch in die Mitte hätten nehmen können. Die Kinder aber liefen voran. Sie wollten als Erstes schauen, was es alles zu entdecken gab. Dann begann der Wald. Der Weg wurde schmaler und führte langsam bergauf. Am Anfang merkten die Kinder die wachsende Anstrengung nicht. Doch schon bald wollte Peter nicht mehr laufen. Klaus und Jana wechselten sich ab, den Jungen zu tragen. Später setzte Peter den Aufstieg mit etwas Motivation doch wieder zu Fuß fort. Es gab unglaublich viel zu erleben und zu entdecken. Das Klopfen eines Spechtes war zu hören. Dann raschelte es im hohen Gras, ohne dass ersichtlich wurde, welches Tier dieses Rascheln verursacht haben könnte. Die Strahlen der Sonne durchdrangen hier und da das dichte Blätterdach und zauberten helle Flecken auf den Weg. Ein großer Käfer krabbelte am Wegrand. Er schillerte in allen Farben, sobald die Sonnenstrahlen auf seinen Rücken fielen. Peter hob ihn auf und wollte ihn mitnehmen, weil er so schön aussah. „Lass den Käfer besser hier weiterkrabbeln!“, rief Jana ihrem Sohn zu. Sie hatte sein Interesse an diesem Tier bemerkt und versuchte ihn durch entsprechende Erklärungen von seinem Vorhaben abzubringen. „Weißt du“, sprach sie zu ihm, „dieser schöne Käfer kann sich nur in seiner gewohnten Umgebung wohlfühlen und nur dort auch so wunderbar glänzen. In deiner Hosentasche würde er traurig sterben müssen.“ Peter überlegte einen Moment, ließ den Käfer wieder frei und setzte seine Entdeckungstour fort. Inzwischen war der Weg so schmal, dass alle Familienmitglieder in einer Reihe hintereinander laufen mussten.
Plötzlich hörten sie ein Rauschen und Glucksen, das immer lauter wurde und schon war die kleine Wandergruppe an einem Bächlein angekommen. Ein umgekippter, dicker Baumstamm war die einzige Möglichkeit, um an das andere Ufer zu gelangen. Dort schien der Weg weiterzugehen. „Meinst du wirklich, dass wir hier noch auf dem richtigen Wanderweg sind?“, fragte Jana ihren Mann und sah ihn dabei zweifelnd an. „Ja natürlich“, antwortete dieser überzeugt. „Der Weg führt nach oben und unser Ziel ist schließlich die Birkhöhe, also die Bergkuppe dort.“ „Schau doch noch einmal sicherheitshalber in die Wanderkarte“, bat Jana. Klaus setzte den Rucksack ab und kramte in diesem, um die Karte herauszuholen. „Ich kann sie nicht finden, ich glaube, die liegt noch auf dem Küchentisch“, bemerkte er und fügte hinzu: „Wir werden auch so unser Ziel erreichen! Lasst uns diesen Bach hier überqueren und dort den Pfad hinaufgehen. Sicher ist es nicht mehr weit, bis wir oben sind und von dort aus unsere Pension und den See sehen können.“ Nach einer kurzen Rast setzte die Familie ihre Wanderung fort. Lisa fand es abenteuerlich, über den dicken Stamm auf die gegenüberliegende Bachseite zu balancieren. Sie amüsierte sich darüber, wie ihre Mutter vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte, um unbeschadet das andere Ufer zu erreichen. Peter wollte auch alleine über den Baumstamm laufen, aber der Vater ließ es nicht zu. Er trug ihn wie ein zappelndes Bündel auf seinen Armen hinüber.
Nachdem alle Familienmitglieder auf der anderen Seite des Baches angekommen waren, lief Lisa neugierig voraus, immer den schmalen Pfad bergauf. Sie wollte unbedingt als Erste am Ziel sein. Jedes Mal, wenn der Weg ein Stückchen weiter oben einen Bogen machte, sah es aus, als müsste sich dort die Bergkuppe befinden und den Ausblick auf die Pension und den See ermöglichen. Dann jedoch, wenn Lisa an der Stelle angekommen war, versperrten Bäume und Büsche die Sicht in das Tal. Der Pfad führte noch weiter und weiter hinauf und immer höher. Peter hatte schon längst keine Lust mehr zu laufen. Er wurde von seiner Mutter getragen. Lisa verlor, so langsam auch die Freude am bergauf wandern und fürchtete, dass der Weg gar nicht endete. Sie wollte, wie ihr Bruder, vom Vater auf den Schultern getragen werden. Dieser weigerte sich jedoch und meinte, dass Lisa ja inzwischen dafür viel zu groß und zu schwer wäre. Jana schnaufte und bat ihren Mann darum, sie beim Tragen von Peter abzulösen. „Siehst du“, sagte Klaus zu ihr, „wir hätten die Kinder doch nicht auf diese Wanderung mitnehmen sollen. Es ist zu anstrengend für die Kleinen.“ „Nein!“, antwortete Jana, „Wir hätten die Wanderkarte mitnehmen sollen, um ab und zu hineinsehen zu können. Dann wären wir auch nicht vom Weg abgekommen.“ Aber was konnten die Wanderer jetzt tun? Umkehren? So kurz vor dem Ziel? Ein Streit um die vergessene Karte würde die Situation nicht besser machen. So liefen sie weiter, immer bergauf.
Plötzlich wurde es dunkel. Lisa schaute durch das Blätterdach nach oben in den Himmel und sah, wie sich eine dicke Wolke vor die Sonne schob. Es hatte den Anschein, als wollte diese Wolke sich auf die Bäume und die kleine Wandergruppe herniedersenken. „Mutti, schau mal da!“, rief Lisa. „Gleich sind wir in der Wolke. Dann können wir dort ausruhen. Ich mag jetzt nicht mehr laufen.“ Jana wandte sich mit einem besorgten Blick zu Klaus. „Lass uns an einem geschützten Platz eine Rast einlegen, bis sich der Nebel verzogen hat und wir unseren Weg zurück zur Pension wiederfinden können.“ Doch kaum, dass genug Zeit gewesen wäre sich nach einem geeigneten Rastplatz umzusehen, war die Familie vom Wolkennebel umgeben. Die Bäume und Sträucher, die eben noch in leuchtendem Grün ihre Blätter der Sonne entgegengestreckt hatten, sahen plötzlich grauschwarz verschwommen und gespenstig aus. Zu allem Überfluss begann es auch noch zu regnen. Die Mutter zog den Kindern die Kapuzen ihrer Jacken über die Ohren und band die Kordel unter dem Kinn mit einer Schleife zusammen, sodass der Wind nicht darunter fahren konnte. Der Vater, der noch immer Peter auf seinen Armen trug, mahnte jetzt, ganz dicht beieinanderzubleiben, um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Jana nahm Lisa an die Hand und fasste mit der anderen Hand einen Riemen vom Rucksack, den Klaus auf dem Rücken trug. Die Regentropfen trafen nass und kalt auf die Gesichter von Klaus, Jana, Lisa und Peter, sie liefen an ihren Wangen herunter und suchten sich einen Weg, um in das Innere der Kleidung zu gelangen. Die Nässe auf den Jacken und Hosen war nicht dauerhaft aufzuhalten und kroch kalt und unangenehm bis auf die Haut. Vollkommen orientierungslos stapfte die kleine Wandergruppe so durch das Gelände auf der Suche nach einem Unterstand, um wenigstens Schutz vor dem Regen zu finden. Man konnte keine drei Meter weit sehen, es gab keinen Weg mehr, nur der Waldboden, der von kleinen und großen Felsbrocken unterbrochen wurde. Peter begann zu weinen. Der Wind wehte aus allen Richtungen und wo er sich in den Blättern der Bäume oder einer Felsspalte fing, erzeugte er unheimliche und geheimnisvolle Geräusche. „Mutti, hörst du das auch?“, rief Lisa. „Das klingt wie Opas altes großes Gartentor.“ „Ach was, das ist nur der Wind, komm weiter, wir werden schon ein trockenes Plätzchen zum Ausruhen finden“, antwortete die Mutter.
Und tatsächlich, vor ihnen, gerade noch ganz verschwommen und halb im Nebel, tauchte eine große Felswand auf. Diese ragte im oberen Teil etwas hervor, sodass der Boden am Fuß des Felsens trotz des Regens nicht nass werden konnte. „Ich glaube, wir haben einen Rastplatz gefunden!“, rief Klaus. Kurz darauf standen alle unter diesem natürlichen Dach im Trocknen. Die Felswand hatte von der letzten Sonne Energie gespeichert, die sie jetzt an ihre unmittelbare Umgebung abgab. Dort, wo die Regentropfen den Felsen trafen, bildeten sich kleine weiße Wölkchen, die vom nachlassenden Wind sanft davongetragen wurden. Die Felswand in dem trockenen Bereich spendete den durchnässten und erschöpften Wanderern eine angenehme Wärme. Jana atmete tief durch. Obwohl sich der Wolkennebel noch nicht verzogen hatten, seufzte sie laut: „Gott sei Dank.“ Dann zog sie Peter die feuchten Kleidungsstücke aus. Lisa konnte das schon alleine. Sie war froh, die nassen Sachen abzulegen. Sie setzte sich auf den Boden in das weiche Moos und lehnte den Rücken an die Felswand. Ein angenehmes Gefühl durchströmte ihren Körper und sie erinnerte sich an die Winterferien bei ihren Großeltern. Nach einer Rodelpartie saß sie oft zum Aufwärmen auf der Ofenbank. Oma brachte ihr dann eine große Tasse heißen Kakao und las Geschichten vor. Erst jetzt bemerkte sie ihren Hunger. Die Mutter packte aus dem Rucksack belegte Brote, Apfelsaft und Trinkbecher aus, damit sich die müden Wanderer etwas stärken konnten. Klaus hatte inzwischen ebenfalls seine nasse Kleidung ausgezogen und übergab diese seiner Frau. Jana breitete die Sachen zum Trocknen auf dem warmen Felsen aus. In der Zwischenzeit erklärte Klaus seinen Kindern, dass Wolken keine kuschelweichen Federbetten seien, wie es oft den Anschein hat. Sie bestünden viel mehr aus Millionen von kleinen Wassertröpfchen, die hoch oben durch den Wind stetig wechselnde Formen annehmen. Dort würden sie über das Land gepustet, um an anderer Stelle als Regen wieder zur Erde zu fallen. Er wollte noch erzählen, wie die Wassertröpfchen in die Wolke kommen, aber Peter hatte sich schon an Lisa angekuschelt und beide Kinder waren eingeschlafen. Jana nahm das Tuch, das sie um ihren Hals trug und deckte damit die Kinder liebevoll zu. Dann schmiegte sie sich an Klaus und sagte zu ihm hoffnungsvoll: „Aber morgen, wenn sich der Nebel verzogen hat, werden wir gemeinsam den Weg zurück zur Pension finden. Oder?“ „Ganz sicher“, antwortete Klaus. Er umarmte Jana beschützend, beide sahen zu ihren schlafenden Kindern herüber und dann sanken auch sie müde in das weiche Moos und schliefen ein.
Wie lange die kleine Familie in dem weichen Moos am Fuße der wärmenden Felswand geschlafen hatte, wusste niemand. Irgendwann wurden die vier Wanderer mit einem Summen und Vogelgezwitscher aus ihren Träumen gerissen. Als sie die Augen aufschlugen, schien die Sonne. Der Wolkennebel hatte sich verzogen. Die zurückgebliebenen Wassertropfen hingen wie winzige schillernde Perlen an dem Gras sowie den Zweigen und Blättern der Bäume. Der Felsen, dort wo er noch nass vom Regen war, sah aus wie mit goldener und silberner Farbe angemalt. Davor erstreckte sich eine saftig grüne Wiese mit vielen verschiedenen Gräsern und Blumen. Die Blütenköpfe leuchteten rot, gelb, blau oder weiß und wankten im Wind sanft hin und her. Einige von ihnen hatten sich mit einer Wasserglitzerperle geschmückt. Bunte Schmetterlinge flogen über die Wiese hinweg und es sah aus, als würden sie die Wasserglitzerperlen einsammeln. Wo ein Schmetterling solch eine Perle mit seinen Flügeln berührte, war diese plötzlich verschwunden und ein Wassertropfen lief am Pflanzenstängel entlang zu Boden. Überall schwirrten Hummeln, Bienen und Käfer umher, die vergnügt summten und brummten. Hier und da ließen sie sich nieder um sich auszuruhen oder aus den Blüten den Nektar zu naschen. Hoch oben in den Baumwipfeln flatterten Vögel. Sie schienen Fangen zu spielen. Immer wenn sie zu wild umherflatterten und dabei die Zweige berührten, fielen viele Wassertropfen zeitgleich zur Erde. Als würde dort jemand mit einer kleinen Gießkanne sitzen und ab und zu einen Schwall Wasser herabschütten.
„Oh wie schön“, rief Lisa. Klaus hatte gerade keine Zeit, sich dieses Treiben anzuschauen. Er drückte an den Knöpfen seiner Uhr herum, die er vor zwei Monaten von Jana zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Eigentlich wollte er nur wissen wie spät es war, aber das Display blieb schwarz. „Hoffentlich ist sie gestern bei dem starken Regen nicht kaputtgegangen“, murmelte er enttäuscht. Jana beruhigte ihn. „Nein, das kann nicht sein, die ist bis 5 m Tiefe wasserdicht. Und wenn sie tatsächlich kaputt sein sollte, dann werden wir sie nach dem Urlaub als Garantieleistung reparieren lassen. Außerdem kann man die Uhrzeit auch auf dem Smartphone ablesen.“ Sie lief zum überdachten Felsvorsprung und holte die Kleidung, welche inzwischen getrocknet war. Lisa half Peter die Strümpfe anzuziehen, während ihre Mutter in der Jackentasche nach ihrem Smartphone suchte. Aber was war das? Akku alle? Das konnte nicht möglich sein. Bevor sie die Wanderung antraten, hatte Jana den Akkustand ihres Smartphones kontrolliert. Schließlich wollte sie viele Fotos machen, um diese später ihren Freunden und Verwandten zu senden. Jetzt war das Display genau wie bei der Uhr von Klaus schwarz und das Smartphone ließ sich nicht einschalten. Was für eine Situation? Ohne Uhrzeit, ohne Navi, ohne eine Gelegenheit schöne Fotos zu machen. Wie sollten sie telefonisch Hilfe ordern, wenn es notwendig werden würde? Zum Glück hatte Klaus auch sein Smartphone dabei. Schnell zog er es aus seiner Hosentasche. „Nein, das gibt es nicht - das kann doch nicht wahr sein!“, rief er entsetzt. „Dieses Teil funktionierte ebenfalls nicht.“ Jana fügte hinzu: „Jetzt sind wir verloren!“ Klaus bewertete die Situation nicht ganz so tragisch und meinte, dass der Rückweg auch ohne diese technischen Hilfsmittel zu finden sein sollte. Jetzt meldete sich Peter: „Frühstück essen, Milch trinken!“ Jana blickte Klaus erschrocken an. Von den mitgenommenen Butterbroten war nur noch ein kleines Stück übrig und die Flasche Apfelsaft war auch fast leer. Wie sollte die ganze Familie davon satt werden und ihren Durst stillen? „Erst anziehen, danach suchen wir uns Wasser zum Waschen und dann essen wir Frühstück“, sprach der Vater zu den Kindern. Auf diese Weise versuchte er Zeit zu gewinnen. Entweder fanden sie direkt den Weg zurück und konnten dann in der Pension frühstücken oder sie hätten bis dahin eine Idee, wie man ein Frühstück improvisieren konnte. Die Mutter verstand das Vorhaben sofort. Sie unterstützte die Worte ihres Mannes und half den Kindern beim Ankleiden. Währenddessen kramte der Vater in dem Rucksack herum, um festzustellen, was sich konkret alles darin befand. Außer dem Rest der Butterbrote, eine fast leere Flasche mit Apfelsaft, zwei halb leere Wasserflaschen, vier Nussriegel und den vier Trinkbechern fand er Sonnencreme, Mückenspray, ein Feuerzeug, ein Taschenmesser und siehe da, zwei Spielzeugautos sowie den Teddybären, welchen Peter beim Packen heimlich mit hineingesteckt hatte. Als Peter sah, dass der Vater seine Autos gefunden hatte, erinnerte er sich wieder daran und rief: „Auto haben!“ Lisa fand das ungerecht, dass Peter Spielzeug dabeihatte und sie ihre Buntstifte und das Malpapier zu Hause lassen musste. Klaus war auch nicht begeistert. Er hatte die ganze Zeit die Autos und den Teddy von Peter mit rumgeschleppt. Die Mutter überlegte indessen, wie sie ein Frühstück für alle bereiten konnte, ohne dass die Kinder bemerkten, wie ernst und bedrohlich die Situation für alle war.
Die Familie machte sich auf den Weg. Der Vater lief voran, um nach Wasser Ausschau zu halten und den Heimweg zu suchen. Sie liefen über die Wiese mit den bunten Blumen. Die Sonne und der warme Wind hatten inzwischen das Gras getrocknet und die Wassertropfen waren alle verschwunden. Dann gelangten sie in einen lichten Birkenwald. Die Blätter der Bäume leuchteten in einem hellen Grün. Sie flatterten an den dünnen Zweigen wie kleine Fähnchen im Wind. Die Sonnenstrahlen drangen durch das frische Laub bis auf den Waldboden. Überall reckten sich junge Pflanzen der Sonne entgegen. Viele große und kleine Felsbrocken lagen im Wald herum. Hin und wieder versperrte eine riesige Felswand den Weg, sodass die Wanderer die Richtung ändern und um den Felsen herumgehen mussten. Die kleineren Felsbrocken waren zum Teil mit dicken Moospolstern belegt, als hätten sie diese wie eine wärmende Zudecke über sich geworfen. Dann wurde der Wald dichter und mit Nadelbäumen durchsetzt. Auf dem Waldboden lagen Tannenzapfen herum, die Peter am liebsten alle eingesammelt hätte. Klaus blickte suchend in die Ferne, ob er irgendetwas von dem wiedererkannte, was er am Vortag gesehen hatte.
„Hört ihr auch das Plätschern?“, fragte Jana. „Ich glaube, wir haben Wasser gefunden.“ Die kleine Wandergruppe stoppte ihren Marsch und alle lauschten aufmerksam. „Waschen, Frühstück!“, rief Peter, seine Tannenzapfen vergessend. Nun liefen sie zielstrebig in die Richtung, aus der das Geräusch zu hören war. Als sie dort ankamen, sahen sie einen kleinen Bach mit kristallklarem Wasser, der sich zwischen Felsformationen, großen Bäumen und saftigen Wiesen hindurchschlängelte. Das Wasser sprang und hüpfte lustig glucksend über die Steine und Felsbrocken, die versuchten den Lauf des Baches aufzuhalten oder in einen anderen Weg zu zwingen. Gelbe Blumen säumten sein Ufer. Ihr Spiegelbild blitzte ab und zu, vermischt mit silbernen Glitzerfunken, auf dem bewegten Wasser auf. Größere Steine, die am Rande des Bächleins im Gras lagen, ermöglichten es den Wanderern, nahe an den Wasserlauf heranzutreten. Ein großer flacher Stein lag mitten im Flussbett. Das Wasser floss in seinem Lauf rechts und links daran vorbei, ohne dass die nach oben gewendete Seite dabei nass wurde. Der Vater schritt über die Steine bis dorthin. Er stand nun in der Mitte des Bachlaufes, umgeben von dem plätschernden Wasser. „Kommt her!“, rief er seiner Familie zu und kam zunächst zurück, um Peter hinüberzutragen „Alleine!“, rief Peter und zeterte, als der Vater ihn auf den Arm nehmen wollte. „Bitte versuche es“, antwortete er und die Mutter sah ihn ängstlich und vorwurfsvoll an. Klaus setzte Peter wieder ab und dieser lief direkt auf die Steine zu. Klaus hinterher, um bei Gefahr schnell zupacken zu können. Peter hatte Mühe, mit seinen kleinen Beinchen von einem Stein auf den nächsten zu gelangen. Dann stand er vor der Herausforderung, den letzten großen Stein inmitten des Bächleins zu erreichen. Zwischen ihm und dem Ziel plätscherte das Wasser und es war ungewiss, ob er diese Distanz überwinden könnte. Peter kümmerte das nicht. Er holte zu einem großen Schritt aus und stieß sich mit dem anderen Bein, so gut er konnte, ab. Doch oh weh, diese Entfernung war zu groß für ihn und er wäre fast in das Wasser gerutscht, wenn ihn der Vater nicht in letzter Sekunde gepackt hätte und mit ihm gemeinsam diesen großen Schritt gegangen wäre. Peter sah seinen Vater erschrocken an. Klaus nickte ihm zu und sagte: „Manchmal ist es doch ganz gut, die Hilfe der Erwachsenen anzunehmen.“ Er drehte sich zu Lisa um. „Komm Lisa, nimm meine Hand“, und Lisa reichte sie dem Vater und gelangte ebenfalls trockenen Fußes auf den großen Stein im Bach. Aber wo war Jana? Klaus sah sich um und erblickte seine Frau vornübergebeugt in den kniehohen Büschen. „Was machst du da?“, fragte er erstaunt. „Ich habe für uns ein Überraschungsfrühstück entdeckt, wenn wir unsere Morgenwäsche erledigt haben.“ Dann sprang sie lachend und wie ein Rehlein mit flinken Beinen schnell herbei, um den Kindern bei der Morgenwäsche zu helfen. Das Wasser aus dem Bach war kalt und erfrischend. Die Kinder wuschen sich die Augen blank und der Vater schöpfte Wasser in einen der Becher. Mit diesem Wasser spülten sie sich den Mund um, weil sie keine Zahnbürsten dabeihatten. Als sie damit fertig waren und sich frisch fühlten, stellte sich der Hunger wieder ein.
Jetzt wollten alle wissen, womit sie die Mutter zum Frühstück überraschen würde. Jana berichtete stolz: „Ich habe dort drüben Sträucher entdeckt, an denen ganz wunderbare, große blaue Beeren hängen. Die schmecken süß und saftig und sind noch dazu sehr gesund. Ich schlage vor, jeder von uns nimmt seinen Becher und sammelt sich selbst die schönsten Früchte zusammen. Dann setzen wir uns zum Essen alle in das weiche Moos. Ich gebe jedem einen Nussriegel und der Vater mischt den restlichen Apfelsaft mit dem köstlichen, kühlen Wasser aus dem Bach, sodass wir auch noch eine wunderbare Apfelschorle trinken können.“ Lisa und Peter waren begeistert. Klaus schaute zunächst etwas skeptisch, war aber doch stolz auf seine Frau, weil diese das Frühstücksproblem so kreativ gelöst hatte. „Kommt her Kinder und schaut! Das hier sind Blaubeersträucher“, erklärte sie. „Wenn ihr genau nachseht, findet ihr unter den Blättern die Früchte, die aussehen wie schwarze Perlen. Die grünen und roten Früchte sind noch nicht reif. Diese sind hart und schmecken sauer, die lasst ihr dran. Die großen dunkelblauen, die sind lecker, die wollen wir sammeln. Probiert mal eine und sucht euch dann euer Frühstück selbst zusammen.“ Lisa und Peter nahmen ihre Aufgabe sehr ernst und bedienten sich nur der besten und größten Früchte. Jana sammelte mit und warf ab und zu einige Blaubeeren bei Peter in den Becher. Peter steckte sich jede zweite Beere, die er pflückte, direkt in den Mund, um zu prüfen, ob sie süß genug wären. Vom Sammeln und Kosten waren seine kleine Hand und der Mund blau gefärbt. Als Lisa das sah, lachte sie laut, weil das so komisch aussah. Aber auch Lisa hatte eine blaue Zunge und blaue Zähne, sodass Peter ebenfalls lachen musste, als er Lisa sah. Das wurde ein ganz besonderes Frühstück auf der Wiese in dem weichen Moos mit den leckeren Blaubeeren und der kühlen Apfelschorle. Alle hatten großen Spaß, denn auch Klaus und Jana hatten einen blauen Mund und sahen zum Lachen komisch aus. Als sie das Frühstück beendet hatten, wollten die Kinder nicht gleich weiterwandern. „Es ist so schön hier, können wir nicht noch etwas bleiben und spielen?“, bettelte Lisa. Peter rief, „Auto spielen! Auto spielen!“ „Na gut, ein Weilchen“, antwortete Klaus. Er wollte mit Jana beraten, wie sie weiter vorgehen könnten. Dabei war es ihm wichtig, die Kinder nicht zu beunruhigen.
Der Vater reichte Peter die Autos aus dem Rucksack. „Und womit kann ich spielen?“, fragte Lisa traurig. „Spielt doch zusammen“, sagte die Mutter und sah Peter auffordernd an. Der hielt seine Autos fest in den kleinen Händen und hatte nicht die Absicht, sein Spielzeug zu teilen. Er sah in Lisas trauriges Gesicht. Dann überlegte er und reichte ihr ein Auto. Lisa lächelte und sagte: „Ich habe da schon eine gute Idee! Dort drüben ist ein kleiner Berg. Wir wollen die Autos von oben hinunterrollen lassen und welches zuerst unten ankommt, hat gewonnen.“ Die Kinder setzten diese Idee sofort in die Tat um. Zeitgleich starteten sie die Fahrzeuge oben auf dem Hügel. Dann beobachteten sie, wie die Autos dort Fahrt aufnahmen, den Berg hinunterstürzten, sich überschlugen und im hohen Gras verschwanden. Anschließend liefen sie ihrem Spielzeug hinterher, um es wieder aufzuheben und das Gleiche noch einmal zu probieren. Am Fuße des kleinen Hügels angekommen, waren die Fahrzeuge nicht da. Lisa und Peter suchten überall, konnten jedoch die Autos nicht finden. Im hohen Gras hörten sie ein Wispern und Kichern. Lisa bog vorsichtig die Grashalme auseinander und traute ihren Augen nicht. Da standen ihre zwei Spielzeugautos und oben darauf saß jeweils ein kleines Wesen mit Armen und Beinen und einem Kopf mit Wuschelhaar. Diese Geschöpfe hatten lustige Gesichter, eine dicke Knollennase, fröhliche, leuchtend funkelnde Augen, abstehende Ohren und einen großen Mund. Eines war mit einem T-Shirt und einem Höschen gekleidet, das andere hatte ein grünes Kleidchen an und feuerrote lange, struppige Haare. An ihren Popos saßen kleine Schwänzchen, die mit einem Haarpuschel endeten. „Wer seid ihr und was macht ihr mit Peters Autos?“, sprach Lisa die kleinen Wesen mutig an. Da sahen diese erschrocken auf und bemerkten erst jetzt, dass sie entdeckt worden waren. „Guten Tag! Ich heiße Mocki und das ist mein Bruder Sören. Wir haben diese Autos gefunden. Deshalb gehören sie uns!“ „Aber nein! Die gehören Peter! Wir haben zusammen die Autos den Berg herunterrollen lassen!“, trat Lisa jetzt für das Recht ihres kleinen Bruders ein. „Meine Auto!“, unterstrich Peter seinen Besitzanspruch. „Aha, du heißt also Peter und wie heißt du?“, fragte das Wesen mit den roten Haaren, welches sich mit dem Namen Mocki vorgestellt hatte. „Ich heiße Lisa und jetzt gebt Peter die Autos wieder!“, forderte sie energisch und streckte ihren Arm danach aus. „Nicht so schnell“, fauchte Mocki, „sonst beiße ich dir in die Hand.“ Lisa zog erschrocken ihren Arm zurück. „Die sind scheinbar doch nicht so ungefährlich“, überlegte sie. Aber da lachte Mocki schon wieder freundlich und sagte: „Keine Angst, war nur Spaß! Seid ihr Menschenkinder?“ „Natürlich Menschen, was sonst? Aber was seid ihr?“, fragte Lisa. „Wir sind Trolle und leben hier. Menschen haben wir noch nie gesehen. Wollen wir zusammen mit den Autos spielen?“ „Na gut“, antwortete Peter und die Kinder setzten ihr Spiel fort. Nur dass jetzt auf jedem Auto ein kleiner Steuermann saß, der mit mehr oder weniger Erfolg bei der Talfahrt denSteinchen am Hügel auszuweichen versuchte. Es kam immer wieder vor, dass sich die Fahrzeuge mitsamt ihren Fahrern überschlugen und in hohem Bogen rechts und links vom Weg im Gras verschwanden. Die kleinen Trolle schlugen dann lustige Purzelbäume, ohne sich dabei wehzutun und alle lachten übermütig. Die Zeit verging wie im Fluge bei diesem Spiel, sodass die Kinder das Rufen der Mutter überhörten. Erst jetzt, als der Vater mit kräftiger Stimme und schon leicht genervt die Kinder aufforderte, die Wanderung gemeinsam fortzusetzen, war es für sie ratsam, sofort das Spiel zu beenden. Deshalb verabschiedeten sie sich von ihren neuen Spielkameraden und liefen schnell zu ihren Eltern hinüber. „Seid nicht traurig, wir finden euch ganz bestimmt wieder, denn wir kennen den Wald besser als ihr“, riefen Mocki und Sören den Kindern nach.
Klaus und Jana warteten ungeduldig. „Kommt jetzt endlich!“, sprach die Mutter streng. Peter zeterte und weinte, weil er nicht wandern, sondern viel lieber spielen wollte. Klaus nahm ihn kurzerhand auf den Arm und lief entschlossen los. Lisa hatte ebenfalls keine Lust zum Wandern und setzte nur langsam und widerwillig einen Fuß vor den anderen. Sie sah sich noch einmal um, aber ihre kleinen neuen Freunde waren nicht mehr da. Die Mutter stimmte ein Lied an und bemühte sich, die Stimmung etwas aufzumuntern, was ihr diesmal nicht gelang. „Kinder“, sprach der Vater ernst. „Das ist jetzt kein Abenteuer mehr. Wir müssen den Weg zur Pension vor der nächsten Nacht finden, sonst weiß ich nicht, wie wir hier allein im Wald zurechtkommen können, ohne zu verhungern.“ Peter fing an zu weinen und Lisa erwiderte:„Aber wir sind gar nicht allein im Wald. Hier gibt es noch Trolle und die kennen den Wald ganz genau!“
„Solch ein Unfug, wer hat dir denn so etwas erzählt? Trolle! Dass ich nicht lache. Da hat sich irgendjemand ein Märchen ausgedacht und du glaubst, dass es das auch im richtigen Leben gibt“, sprach der Vater. Die Mutter schüttelte ungläubig den Kopf. „Doch, wenn ich es doch sage“, rief Lisa. „Schluss! Jetzt wird endlich gelaufen!“, ordnete der Vater bestimmend an. Zu seiner Frau bemerkte er, dass die Kinder lernen sollten, Märchen und Realität voneinander zu unterscheiden. Jana rechtfertigte sich: „Aber es sind Kinder! Die brauchen Fantasie, Zuversicht und Hoffnung. Und vor allem einen großen Beschützer. Der solltest du sein und nicht den Kindern mit Verhungern drohen.“
Die kleine Familie lief weiter durch den Wald. Inzwischen war es Nachmittag geworden. Die Wanderer wurden müde, die Beine wurden schwer. Hunger und Durst machten sich bemerkbar. Als sie rasten wollten, meinte Jana, dass ihr der Felsen mit dem Vorsprung recht bekannt vorkam. „Wir sind im Kreis gelaufen“, rief sie entsetzt. Klaus drehte sich um und wollte gerade erklären, dass das völlig unmöglich sei, da erkannte er ebenfalls den Felsen und konnte diese Tatsache nicht leugnen. Die ganze Anstrengung des Tages war umsonst. Sie waren wieder dort, wo sie früh gestartet waren und hatten den Weg zur Unterkunft nicht gefunden. Klaus war erschöpft, denn er hatte den Rucksack und Peter die ganze Zeit getragen. Jetzt hatte er keine Idee und keine Energie mehr weiterzusuchen. Jana war zum Heulen zumute, weil sie nicht wusste, wie sie die Kinder beruhigen und die Familie sattbekommen würde. Lisa taten die Füße weh. Schließlich musste sie immer zwei Schritte gehen, wenn die Erwachsenen einen Schritt machten. Außerdem war sie traurig, weil Papa und Mama ihr nicht glaubten. Peter plärrte, weil er Hunger hatte und müde war. Die kleine Familie rastete wieder unter dem Felsvorsprung im weichen Moos.
Jana schaute über die Wiese und bemühte sich darum, zu erkennen, ob es dort etwas Essbares gäbe. Da glaubte sie, ein kleines Haus zu sehen. Aber etwas war komisch. Ja das Dach sah aus, als wäre es mit Gras bewachsen. „Oh“, dachte Jana, „jetzt sehe ich auch schon Dinge, die nicht da sein können. Nur weil ich es mir so sehr wünsche. Nein, das kann nicht sein. Gras auf einem Hausdach, das ist Quatsch“. Schnell wand sie sich ihrer Familie zu und gab den Kindern von dem Wasser zu trinken, welches Klaus am Morgen in die leeren Trinkflaschen gefüllt hatte. Dann schaute sie wieder zu der Stelle am anderen Ende der Wiese und meinte abermals dort ein kleines Haus zu erkennen. Sie wand sich an Klaus und fragte ihn, ob er dort hinten etwas Besonderes sehen würde. Klaus schaute. „Was soll dort Besonderes sein?“ „Ein kleines Haus vielleicht mit einem Dach aus Gras“, erwiderte Jana. „Na, jetzt fängst du auch noch an zu fantasieren“, bemerkte Klaus. Lisa wurde aufmerksam. „Wo denn?“, fragte sie neugierig ihre Mutter. „Da, zwischen den beiden Tannen, am Waldrand“, erklärte Jana. Lisa kniff ihre Augen zusammen und blickte konzentriert in die Richtung. „Ja, ja, jetzt sehe ich es auch! Sicher wird dort jemand wohnen, der uns etwas zum Essen geben kann!“ Klaus holte tief Luft: „Siehst du, was du angerichtet hast mit deinen Fantasien“, rief er genervt seiner Frau zu. Inzwischen war sich Jana sicher,dass dieses Bild von einem Haus nicht nur in ihrem Kopf existierte. Sie schöpfte Hoffnung, dort Hilfe zu finden. Deshalb bat sie ihren Mann gemeinsam nachzuschauen, was da sei. Klaus hielt das für eine sinnvolle Idee, damit Jana und Lisa endlich Ruhe gaben.