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Die junge und bildhübsche Noella Wakefield findet in sich nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter in einer prekären Lage wieder. Gräfin Ravensdale, die Cousine von Mrs. Wakefield und deren Tochter Noely bringen bei ihrem unangemeldeten Besuch ein afrikanisches Fieber mit, an dem sie beide und Mrs Wakefield sterben. Da Mrs. Wakefield und Noella von einer Witwenrente gelebt hatten, ist Noella nun mehr mittellos. Jasper Raven tritt in ihr Leben und überredet sie, sich als Noely, die Schwester des Earl von Ravensdale auszugeben. Um sich und ihre zwei treuen Angestellte vor dem Hungertod zu retten, willigt Noella schweren Herzens ein und reist nach Schloss Ravensdale. Dort trifft sie ihren vermeintlichen Bruder, den gutaussehenden, aber zynischen Earl Ravensdale, der seiner Mutter nicht verzeihen konnte, dass sie ihn als Kind verließ. Wird Noella es schaffen, den Earl von ihrem Rollenspiel zu überzeugen und kann sie Jaspers Geldgier und Erpressung entkommen?
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Seitenzahl: 184
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Trügerisches Paradies
Titel der Originalausgabe: The Lovely Liar
Zum Buch
Die Gräfin Ravensdale und deren Tochter Noely, die ohne Voranmeldung als Gäste bei Mrs. Wakefield auftauchen, verändern grundlegend das Leben der jungen Noella Wakefield. Die beiden Damen schleppen ein mysteriöses Fieber ein, dem sie selbst sowie Noellas Mutter zum Opfer fallen. Noella sieht sich in einer äußerst prekären Lage – besitzt sie doch kein Geld und keine Möglichkeit, ihren eigenen Unterhalt und den der beiden alten Dienstboten zu bestreiten. Jasper Raven erscheint ihr in diesem Moment wie ein rettender Engel. Seinen Vorschlag allerdings kann sie nicht gutheißen: Sie soll die Stelle Noelys einnehmen als Schwester des Earl von Ravensdale. Ihr ungutes Gefühl und ihre Antipathie gegen den leichtsinnigen Jasper sollen sich noch verstärken, als er in seiner Geldgier nicht davor zurückschreckt, Noella zu erpressen...
Zur Autorin
Barbara Cartland, Stiefgroßmutter von Lady Di, gilt heute als ‚the world’s top selling author‘. Ihre Werke sie veröffentlichte neben ihren Liebesromanen unter anderem auch Biographien, Diät und Gesundheitsbücher wurden in sämtliche Kultursprachen übersetzt. Nach Agatha Christie ist sie die meistübersetzte Autorin des belletristischen Genres.
1
Noella schaute sich verzweifelt im Zimmer um. In ihren Augen stand ein gehetzter Ausdruck. Es war kaum zu ertragen, wie sehr sich der Raum verändert hatte. Nichts erinnerte mehr an den einst so gepflegten Zustand.
Die hellen Stellen an den Wänden zeigten, wo früher Bilder gehangen hatten. Der schöne Spiegel über dem Kamin war verschwunden. Auch der zierliche französische Schreibtisch, an dem ihre Mutter gesessen und Briefe geschrieben hatte, fehlte.
Nur wenige Möbelstücke waren übriggeblieben. Ein Sofa mit gesprungenen Federn, zwei schäbige Armsessel und ein Teppich, der so zerschlissen war, dass es sich nicht lohnte, ihn vom Boden zu nehmen.
Alles andere war verkauft worden. Das Zimmer enthielt keinen einzigen Gegenstand mehr, der auch nur ein paar Shilling eingebracht hätte.
Noella trat ans Fenster und schaute in den ungepflegten Garten hinaus, dessen Wege fast zugewachsen waren. Nur die Narzissen, die ihre Mutter gepflanzt hatte, blühten noch. Sie bildeten unter den Bäumen einen goldenen Teppich.
Da sich niemand um den Rasen kümmerte, war er nicht mehr so weich und grün, wie sie ihn in Erinnerung hatte.
Die Beete waren von Unkraut überwuchert. Unzählige Ranken drohten die Sträucher zu ersticken, die vergeblich ums Überleben kämpften.
»Was soll ich tun?« fragte Noella verzweifelt. »Mama, hilf mir . . . bitte, hilf mir«, flehte sie zum Himmel.
Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass das Unheil so schnell über sie hereingebrochen war. Fast ehe sie sich dessen bewusst wurde, stand sie ganz allein auf der Welt da.
Ihr Vater war Offizier gewesen. Während seiner erfolgreichen militärischen Laufbahn war ihm eine Tapferkeitsmedaille verliehen worden. Als er bei seinem Regiment den Abschied genommen hatte, hatte man ihm eine großzügige Pension gewährt.
Er war nach langen Jahren an den Folgen früherer Verwundungen gestorben, die er auf dem Schlachtfeld davongetragen hatte.
Seine Witwe hatte die Hälfte der Pension erhalten, die er zu seinen Lebzeiten bezogen hatte.
Da im Haus eine liebevolle und vor allem sorglose Atmosphäre geherrscht hatte, war es Noella nie in den Sinn gekommen, sich Gedanken darüber zu machen, was im Falle des Todes ihrer Mutter aus ihr werden sollte.
Sie hatte wohl immer in der Gewissheit gelebt, dass sie heiraten und einen Ehemann haben würde, der für sie sorgte, lange bevor ihre Mutter alt wurde.
Nachdem Mrs. Wakefield den ersten Schock über den Verlust ihres heißgeliebten Mannes überwunden hatte, hatte sie alles darangesetzt, ihrer Tochter ein glückliches Leben zu bieten.
Sie hatte sich von jeher mit ihrer ganzen Kraft dafür eingesetzt, dass ihrer Tochter eine gute Erziehung zuteilwurde.
Auch als ihr Mann noch lebte, war jeder Penny, den sie erübrigen konnte, für Noellas Ausbildung verwendet worden. Sie hatte Unterricht in den Fächern erhalten, die man normalerweise für ein Mädchen ihres Alters als notwendig erachtete.
Noella war außergewöhnlich intelligent. Sie hatte aus allem was sie lernte, ihren Nutzen gezogen.
Ihre Lehrer waren der Vikar, ein sehr gelehrter Mann, ein pensionierter Schuldirektor und eine Gouvernante, die viele Jahre bei einer aristokratischen Familie im Dienst gestanden hatte.
Noella liebte Bücher mehr als alles andere auf der Welt. Ihre Mutter amüsierte sich manchmal darüber, dass ihre Tochter in ihren Träumen zu den exotischsten Orten in allen nur möglichen Teilen der Erde reiste.
In dem ruhigen Dorf auf dem Lande mitten in Worcestershire, wo ihr Vater nach seiner Verabschiedung billig ein Haus erworben hatte, gab es so gut wie kein Gesellschaftsleben.
Das uralte weiße Haus mit den schwarzen Holzbalken hatte etwas Anheimelndes. Noella hatte es gefallen, wahrscheinlich weil es von Sonnenschein und Lachen erfüllt gewesen war.
Auch nach dem Tode ihres Vaters hatten sie an den Abenden, wenn Noella ihren Unterricht hinter sich hatte, herzlich zusammen gelacht.
Sie hatten sich Geschichten von einem Schatz erzählt, den sie im Garten zu finden hofften. Er würde sie in die Lage versetzen, zu den Orten zu reisen, die Noellas Fantasie beflügelt hatten.
Vor einem Jahr Noella war gerade siebzehn geworden stand völlig unerwartet die Cousine ihrer Mutter, Countess Caroline Ravensdale, mit ihrer Tochter vor der Tür.
Mrs. Wakefield hatte oft von ihrer Cousine erzählt, der sie von Herzen zugetan war. Sie waren im gleichen Alter und zusammen aufgewachsen.
Ihre Mutter hatte bisher nur von ihrer gemeinsamen Kinderzeit berichtet. Erst mit sechzehn Jahren erfuhr Noella die Wahrheit über Caroline Ravensdale.
Mrs. Wakefield berichtete, dass Caroline, deren Vater weit reicher war als ihre Familie, zur Saison nach London gefahren war.
Caroline war so schön, dass ihr Debüt in der Gesellschaft ein großer Erfolg wurde.
»Sie hatte Haare in der gleichen Farbe wie du, Liebes«, sagte Mrs. Wakefield. »Die Haarfarbe verdankst du einem schwedischen Vorfahren, der in ferner Vergangenheit in unsere Familie eingeheiratet hat. Von Zeit zu Zeit zeigt sie sich bei nachfolgenden Generationen wieder.«
Noellas Haare waren von einem ganz blassen Gold wie das der Sonnenstrahlen, die am frühen Morgen am Horizont erscheinen. Ihre Augen waren nicht so blau wie der Himmel, wie man hätte meinen können. Sie waren tiefblau wie das stürmische Meer.
»Caroline wurde in der Londoner Gesellschaft sehr bewundert«, fuhr Mrs. Wakefield fort. »Niemand erstaunte es daher auch nur im Geringsten, dass sie eine brillante Ehe schloss.«
»Wen hat sie geheiratet, Mama?« fragte Noella, als sie die Geschichte zum ersten Mal hörte.
»Den Earl of Ravensdale. Er war viel älter als sie und sehr vermögend. Er besaß nicht nur einen riesigen Landsitz in Yorkshire, ihm gehörte auch ein Stadthaus in London und ein weiteres in Newmarket, wo er seine Rennpferde trainierte.«
Noella lauschte fasziniert.
»Er war ein seltsamer Mann«, sagte Mrs. Wakefield nachdenklich. »Irgendwie fand ich ihn zum Fürchten.«
»Du hast ihn gekannt, Mama?«
»Selbstverständlich. Ich begegnete ihm, als sich Caroline mit ihm verlobte und er ihren Eltern einen Besuch abstattete. Nach ihrer Hochzeit habe ich sie dann in Yorkshire besucht.«
»Erzähl mir davon, Mama«, bat Noella.
Mrs. Wakefield redete erst nach kurzem Zögern weiter.
»Ich glaube, dort wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass Carolines Ehemann dem Alter nach fast ihr Vater hätte sein können. Er sah gut aus und war sehr autoritär. Mir fiel auf, dass er Caroline wie ein Schulmädchen behandelte.«
»Störte sie das nicht?«
»Falls ja, hat sie sich nicht dazu geäußert. Es kam mir so vor, als ob sie ruhelos und nicht so glücklich war, wie ich ihr das gewünscht hätte.«
Nach einem tiefen Seufzer fuhr sie fort: »Yorkshire liegt so weit entfernt, dass ich sie dort nur dieses eine Mal besuchte. Natürlich war ich bei verschiedenen Gelegenheiten ihr Gast, nachdem der Earl Raven House in London eröffnet hatte. Caroline und ich verlebten herrliche Zeiten, während wir Bälle besuchten oder Einkäufe machten.«
In Mrs. Wakefields Augen trat ein weicher Ausdruck.
»Caroline liebte mich so, als ob ich ihre Schwester wäre. Sie lieh mir ihre Kleider, genau wie wir uns als Kinder gegenseitig Spielzeug geliehen hatten.«
»Das muss wunderbar für dich gewesen sein, Mama.«
»Und ob es das war«, pflichtete Mrs. Wakefield ihr bei. »Zum ersten Mal im Leben trug ich kostspielige und elegante Kleider. Ohne eingebildet zu sein, darf ich wohl behaupten, dass ich in der Gesellschaft Erfolg hatte.«
»Wie hätte es bei deiner Schönheit anders sein können, Mama?«
»Ich war nicht so schön wie Caroline. Doch als dein Vater mich bei einem Ball in Raven House zum ersten Mal sah, wusste er, dass ich das Mädchen war, das er heiraten wollte.«
»Wie romantisch, Mama.«
»Es war das Herrlichste, was ich je erlebt hatte. Wenn du wüsstest, wie großartig dein Vater in seiner Uniform aussah!«
»Du hast dich sofort in ihn verliebt, nicht wahr, Mama?«
»Ich konnte gar nicht anders, als mich in ihn verlieben«, erklärte ihre Mutter. »Leider war es uns unmöglich, so schnell zu heiraten, wie wir uns das gewünscht hätten. Er war nämlich im Begriff, mit seinem Regiment nach Indien zu reisen.«
Noella stieß einen kleinen Schrei aus.
»O Mama, das muss für euch beide entsetzlich gewesen sein!«
»Ihm blieb gerade noch Zeit, mir seine Liebe zu gestehen. Er bat mich, auf ihn zu warten. Ich habe ihm das Versprechen gegeben.«
»Und dann musste er gehen«, murmelte Noella.
»Nach seiner Abreise kehrte ich aufs Land zurück«, berichtete ihre Mutter. »Ich wusste, dass mir nie wieder ein Mann begegnen würde wie er. Er bedeutete alles für mich.«
»Es muss doch auch andere Männer gegeben haben, die dich heiraten wollten.«
»Da waren zwei oder drei, und es wären wohl mehr gewesen, wenn ich sie ermutigt hätte.«
»Du musstest sehr lange auf Papa warten.«
»Beinahe acht Jahre«, seufzte Mrs. Wakefield. »Als er endlich nach Hause kam, hatte ich Angst, er würde mich gar nicht mehr heiraten wollen.«
»Er hat dir doch geschrieben, oder nicht?«
»Zwei oder dreimal die Woche kam ein Brief von ihm«, erwiderte Mrs. Wakefield voller Stolz. »Er schrieb, dass er Tag und Nacht an mich dächte. Er lebte von der Hoffnung, dass sein Regiment bald nach Hause geschickt würde.«
»Hast du nie daran gedacht, ihm nach Indien zu folgen?«
»Die Reise hätte fast sechs Monate gedauert«, erklärte ihre Mutter. »Selbst wenn meine Eltern sich die Überfahrt hätten leisten können, hätten sie mir nicht erlaubt, so weit zu reisen.«
»Du Ärmste! Es blieb dir also gar nichts anderes übrig, als zu warten«, folgerte Noella.
»Auf meine Weise war ich nicht unzufrieden. Natürlich haben wir gleich nach der Rückkehr deines Vaters geheiratet, obwohl er verwundet war und die Ärzte ihm Ruhe verordneten.«
Mit einem kleinen Lachen fuhr sie fort:
»Du kennst deinen Vater, wenn er sich etwas in den Kopfgesetzt hatte. Er war entschlossen, mich zu heiraten, und alle Ärzte der Welt hätten ihn nicht davon abhalten können. Wir wurden in der kleinen Dorfkirche getraut. Nur ein paar Freunde waren anwesend, um uns Glück zu wünschen und auf unsere Gesundheit zu trinken.«
»Der Unterschied zu der aufwendigen Hochzeit deiner Cousine Caroline muss doch recht groß gewesen sein«, meinte Noella nachdenklich.
Mrs. Wakefields Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an. »Ich hatte weder Brautjungfern noch Pagen«, sagte sie leise. »Doch als ich deinem Vater angetraut wurde, glaubte ich über unseren Häuptern Engel singen zu hören. Mir war, als ob uns ein göttliches Licht einhüllte.«
Bei ihren nächsten Worten bebte ihre Stimme ein wenig.
»Drei Monate später fand ich heraus, dass ich ein Baby erwartete. Das warst du, mein Liebling.«
»Warst du aufgeregt, Mama?«
»Aufgeregt und außer mir vor Freude wie dein Vater auch. Wir dachten, dass es auf der ganzen Erde kein glücklicheres Paar geben könnte als uns.«
»Du hast deine Cousine Caroline natürlich über das bevorstehende freudige Ereignis informiert«, drängte Noella, die bereits wusste, wie die Geschichte weiterging.
»Ja, ich habe an Caroline geschrieben«, bestätigte Mrs. Wakefield. »Und sie antwortete mir, dass auch sie wieder ein Kind erwartete. Sie hatte schon einen Sohn, der neun Monatenach ihrer Hochzeit zur Welt gekommen war.«
Mrs. Wakefield erzählte, dass sie und Caroline Briefe gewechselt hatten, in denen sie einander ihre Gefühle und Empfindungen schilderten.
Dann geschah etwas Seltsames.
Ihre nächsten Briefe kreuzten sich. Die Countess of Ravensdale in Yorkshire und Mrs. Wakefield in Worcestershire stellten fest, dass beide den gleichen Inhalt hatten.
Mein Baby wird nach Meinung der Ärzte am Weihnachtstag beziehungsweise kurz davor oder kurz danach geboren werden. Bei Dir dürfte es genauso sein, Liebste. Ich mache Dir daher einen Vorschlag: Falls es ein Junge wird, wollen wir ihn Noel nennen. Ein Mädchen soll Noella heißen.
»Es war gar nicht so außergewöhnlich, dass wir auf den gleichen Gedanken gekommen waren«, sagte Mrs. Wakefield. »Caroline und ich haben uns von jeher sehr nahegestanden. Wir ähnelten uns nicht nur in der Art, sondern auch im Aussehen. Deshalb waren wir überzeugt, dass sich auch unsere Kinder ähneln würden, auch wenn sie verschiedene Väter hatten.«
Noella Wakefield wurde im Laufe der Jahre immer neugieriger auf Noella Raven, die wie sie am Weihnachtstag zur Weltgekommen, der sie aber nie begegnet war.
Den Grund dafür erfuhr sie erst später, als sie in den Augen ihrer Mutter erwachsen genug war, um die Wahrheit zu erfahren.
Mrs. Wakefield erzählte mit leiser Stimme, der man den Schock immer noch anhörte, was seinerzeit wirklich geschehen war.
Zwei Jahre nachdem die Countess of Ravensdale ihre Tochter zur Welt gebracht hatte, hatte sie sich leidenschaftlich verliebt: In einen Mann, den sie in Newmarket kennengelernt hatte, als sie und ihr Mann ein Pferderennen besuchten.
Captain D’Arcy Fairburn war ein eleganter, attraktiver Dandy, der auf seinem Weg zahllose gebrochene Herzen hinter sich zurückgelassen hatte. Sein außergewöhnlicher Charme machte ihn fast unwiderstehlich. Die Damen und Herren der Gesellschaft waren von ihm begeistert.
Er stammte aus einer guten Familie, war aber ein unverbesserlicher Spieler.
Seine puritanischen Verwandten rümpften die Nasen, wenn sein Name auch nur erwähnt wurde.
Sein zweifelhafter Ruf störte D’Arcy Fairburn nicht im Geringsten. Er wechselte von einem Schlafzimmer ins andere.
Da er ein guter Sportsmann war, wurde er auch im Jockey Club aufgenommen. Die Mitglieder der exklusivsten Clubs in St. James akzeptierten ihn.
Im Umgang mit Frauen zeigte er sich als amüsanter und charmanter Schwerenöter. Kein Wunder, dass Caroline, die die letzten zwei Jahre beinahe ununterbrochen in Yorkshire zugebracht hatte, sich Hals über Kopf in ihn verliebte.
Das Überraschende an der Geschichte war nur, dass er sein Herz ebenfalls an sie verlor.
»Es war nicht nur für mich, sondern auch für viele andere ein furchtbarer Schock, als Caroline mit Captain D’Arcy Fairburn durchbrannte und ihre kleine Tochter Noella mitnahm«, sagte Mrs. Wakefield. »Der Earl war außer sich vor Zorn.«
»Wie ging es weiter?«
»Caroline schrieb mir, dass sie außer Landes gehen würden. Sie fuhren zuerst nach Paris, dann reisten sie durch ganz Europa zu all den Orten, an denen Captain Fairburn spielen konnte.«
»Warum hat sich der Earl nicht scheiden lassen?« wollte Noella wissen.
»Das hat jeder erwartet, doch dazu kam es nicht. Er war zu stolz. Er wollte den Skandal, der unvermeidlich entstanden wäre, wenn er seinen Fall vor das House of Lords gebracht hätte, um jeden Preis vermeiden.«
»Was geschah dann?«
»Caroline verschwand von der Bildfläche. Ich habe einige Jahre nichts von ihr gehört.«
Mrs. Wakefield ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass ihr das Schweigen ihrer Cousine großen Kummer bereitet hatte.
»Eines Tages, kurz vor Weihnachten, erreichte mich ein Brief von ihr«, fuhr sie fort. »Sie schrieb, wie hübsch ihre Tochter geworden sei und dass sie gern wüsste, ob ihr beiden Mädchen euch wohl ähnlich sehen würdet.«
Wie sehr sie sich ähnlich sahen, stellte Noella bald darauf selbst fest.
Damals galt ihr ganzes Interesse der Erzählung ihrer Mutter. Mrs. Wakefield berichtete, dass ihre Cousine Caroline auf ihren Titel verzichtet hatte und sich Mrs. Fairburn nannte.
Sie hoffte, dass die Menschen, die sie im Ausland traf, nicht auf den Gedanken kamen, dass der Mann, mit dem sie zusammenlebte, nicht wirklich ihr Ehemann war.
»Und was geschah mit ihrem Sohn?«
»Sie ließ ihn bei seinem Vater zurück. Schließlich war er der Erbe des Titels. Ich habe mich manchmal gefragt, ob er ohne seine Mutter sehr einsam und unglücklich war.«
Das war eine faszinierende Geschichte.
Noella dachte kaum darüber nach, bis vor einem Jahr Mrs. Fairburn, wie sie sich nannte, und ihre Tochter unangemeldet bei ihnen zu Hause aufgetaucht waren.
Eines Abends saßen Noella und ihre Mutter vor dem Kamin und überlegten, wie sie ein Kleid ändern und modernisieren konnten. In diesem Augenblick klopfte es.
»Ich gehe nachschauen, Mama«, erbot sich Noella. »Nanny ist in der Küche mit den Vorbereitungen für das Dinner beschäftigt.«
Sie ging in die Halle und öffnete die Tür.
Zu ihrem Erstaunen wartete draußen eine Kutsche.
Auf den Stufen stand eine Dame, die zum Schutz gegen die Kälte bis zum Hals eingemummt war, neben ihr ein junges Mädchen.
»Du musst Noella sein«, sagte die Dame statt einer Begrüßung.
Mrs. Wakefield, die in diesem Augenblick in die Halle trat, war völlig außer sich.
»Caroline! Bist du es wirklich?«
»Ich bin es, Averil, und ich bin zu dir gekommen, weil ich Hilfe brauche.«
Die beiden Frauen fielen sich in die Arme und küssten sich.
Noella schaute ihre Namensschwester an. Genauso gut hätte sie ihr Spiegelbild betrachten können.
Noely, wie sie von ihrer Mutter genannt wurde, hatte die gleichen blonden Haare, die gleichen tiefblauen Augen und das gleiche Lächeln.
Wir könnten tatsächlich Zwillinge sein, stellte sie insgeheim fest.
Der Fahrer des Mietwagens wurde angewiesen, das Gepäck ins Haus zu tragen. Mrs. Wakefield zog die beiden Besucherinnen ins Zimmer vor den Kamin, damit sie sich, aufwärmen konnten.
Die traurige Geschichte, die sie zu erzählen hatten, nahm geraume Zeit in Anspruch.
Captain Fairburn hatte im Laufe der Zeit immer rücksichtsloser und leichtsinniger gespielt. Es war so weit mit ihm gekommen, dass er von Frauen Geld nahm, um seine Rechnungen bezahlen zu können.
Bei einem Kartenspiel war es zu einem entsetzlichen Streit gekommen, und er war zum Duell gefordert worden.
Seine Lebensgefährtin war außer sich. Sie versuchte vergeblich, sich über ihre Ängste hinwegzusetzen. Captain Fairburn hatte während der vergangenen Jahre schon viele Duelle ausgefochten. Eines mehr sollte da wirklich nichts bedeuten, redete sie sich ein.
Nur war er inzwischen leider älter geworden, sein Reaktionsvermögen schlechter. Sein Gegner war jung und ein besserer Schütze. Drei Tage nach dem Duell erlag Captain Fairburn der Verletzung, die er dabei erlitten hatte.
Caroline und ihre Töchter Noely blieben praktisch ohne einen Penny zurück.
»Ich dachte, ich hätte Freunde in Neapel, wo wir uns gerade aufhielten«, erzählte Caroline. »Doch sie verschwanden so schnell wie der Wind. Ich hatte keine andere Wahl als nach England zurückzukehren.«
»Ein sehr vernünftiger Entschluss!« lobte Mrs. Wakefield.
»Ach, Averil, was soll ich nur tun?«
»Du kannst selbstverständlich hierbleiben, solange es dir gefällt«, versicherte ihre Cousine.
»Liebe Averil, ich hoffte, du würdest mir das anbieten. Nur fürchte ich, wir könnten dir zur Last fallen.«
»Du fällst mir nicht zur Last, ganz im Gegenteil. Ich finde es herrlich, dich bei mir zu haben.«
Mrs. Wakefield war in der Tat über Cousine Carolines Gesellschaft sehr glücklich. Und Noella genoss es, sich mit einer gleichaltrigen Gefährtin unterhalten zu können.
Sosehr die beiden Mädchen sich rein äußerlich ähnelten, dem Wesen nach war Noely, die so lange auf dem Festland gelebt hatte, reifer und erfahrener.
Sie hätte viele Menschen kennengelernt und war von einem Ort zum anderen gereist, wo immer es Spielcasinos gab.
Häufig sprach sie über Dinge, von denen Noella noch nie etwas gehört hatte. Dabei hatte sie manchem gegenüber eine für ein junges Mädchen ungewöhnlich zynische Einstellung.
Ihr schönes, ruhiges Gesicht strafte diesen Zynismus Lügen.
»Es war hoffnungslos, von Papa Geld zu erwarten«, gestand sie eines Tages.
Noella war nicht entgangen, dass Noely Captain Fairburn Papa genannt hatte, obwohl er nicht ihr richtiger Vater war.
»Das muss sehr schwierig für dich gewesen sein«, erwiderte Noella zögernd.
»Zu manchen Zeiten war es die Hölle auf Erden«, gab Noely zu. »Wir mussten oft bei Fremden eine Mahlzeit schmarotzen, wenn wir nicht hungern wollten.«
Als sie sich besser kannten, zog Noely sie vollends ins Vertrauen.
»Ich war es müde, mir ständig den Kopf zu zerbrechen, wo wir unser nächstes Essen herbekommen sollten«, erzählte sie. »Als wir in Venedig waren, schrieb ich einen Brief an meinen wirklichen Vater, den Earl of Ravensdale.«
»Das war sehr mutig von dir«, entgegnete Noella nach kurzem Zögern.
»Ich teilte ihm mit, wie elend ich mich fühlte. Dass ich keine Lust mehr hatte, durch ganz Europa zu reisen, von Casino zu Casino. Ich bat ihn um Erlaubnis, nach Hause kommen zu dürfen.«
Noella fand es zuerst illoyal von Noely, dass sie einen so schwerwiegenden Schritt hinter dem Rücken ihrer Mutter unternommen hatte. Nach kurzem Überlegen machte sie sich klar, dass es für die beiden sehr schwer gewesen sein musste, mittellos zu sein. Noely hatte doch sehr unter der Demütigung gelitten, sich als Tochter eines Mannes ausgeben zu müssen, den ihre Mutter nicht heiraten konnte.
»Du weißt doch wohl, was das bedeutet«, sagte Noely.»Wenn ich wirklich ich selbst sein könnte, wäre ich Lady Noella Raven.«
»Daran habe ich gar nicht gedacht!« rief Noella.
»Nun, es entspricht der Wahrheit. Natürlich ist mir klar, dass ich nun, nachdem D’Arcy Fairburn gestorben ist, für meine Mutter sorgen muss.«
Sie seufzte.
»Da mein Vater ihr niemals verzeihen wird und auch ihre eigenen Verwandten ihr die kalte Schulter zeigen, habe ich keine andere Wahl. Ich muss bleiben, wer ich bin.«
»O Noely, das tut mir so leid für dich. Aber vielleicht ergibt sich etwas.«
»Was?« fragte Noely.
Wie sich später zeigen sollte, hielt das Schicksal Unangenehmes für alle bereit. Ein paar Monate lang schlugen sie sich mehr schlecht als recht durch. Sie lebten von Mrs. Wakefields schmaler Pension und zerbrachen sich die Köpfe, wie sie zu Geld kommen sollten.
Mrs. Wakefield erfuhr, dass Caroline ihre Pelze und alles andere von einigem Wert verkauft hatte, um die Rückreise nach England zu finanzieren. Bei ihrer Ankunft besaß sie nur noch wenige Pfund. Die vier Frauen waren sich darüber im Klaren, dass sie so nicht für immer und ewig weiterleben konnten.
Eines Morgens brachte die Post einen Brief für Mrs. Fairburn. Nachdem sie ihn geöffnet hatte, stieß sie einen kleinen Schrei des Entzückens aus.
»Endlich eine gute Nachricht«, rief sie, »eine wunderbare Nachricht! Du musst dich mit mir freuen, Averil!«
»Was ist geschehen?« fragte Mrs. Wakefield.
»Ein Freund, ein sehr guter Freund sogar, Mr. Leon Rothman, trifft morgen in England ein und möchte mich sofort sehen.«