Trust and Fly - Michelle C. Ahrens - E-Book

Trust and Fly E-Book

Michelle C. Ahrens

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Beschreibung

Arvid ist Musiker und hält sich mit Gelegenheitsgigs in Edinburgh über Wasser, während er davon träumt, irgendwann richtig durchzustarten. Mit Maya, die ein Café betreibt, verbindet ihn eine intensive Freundschaft, obwohl Arvid sich längst mehr wünscht. Maya ist allerdings tabu, denn sie ist verheiratet. Doch auf einmal überschlagen sich für beide die Ereignisse: Mayas Ehe zerbricht und Arvids großer Traum ist plötzlich zum Greifen nah: Ein Song von ihm geht auf TikTok viral – und plötzlich stehen die Musiklabels Schlange. Gerade, als der Liebe zwischen beiden nichts mehr im Weg steht, muss er Edinburgh verlassen und sich ein Image als Musiker aufbauen. Was ist er bereit, für die Frau zu opfern, für die er jedes einzelne Wort seiner Liebeslieder geschrieben hat?

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Trust and Fly

Die Autorin

Michelle C. Ahrens ist das Pseudonym zweier Schwestern, die mit ihren Familien, Hunden und Katzen in wunderschöner ländlicher Idylle leben. Wenn sie nicht gerade schreiben, verbringen sie am liebsten Zeit mit Freunden, mit denen sie bei einem Glas Wein und einer hausgemachten Lasagne über neue Ideen für ihre Bücher sprechen.

Das Buch

Arvid ist Musiker und hält sich mit Gelegenheitsgigs in Edinburgh über Wasser, während er davon träumt, irgendwann richtig durchzustarten. Mit Maya, die ein Café betreibt, verbindet ihn eine intensive Freundschaft, obwohl Arvid sich längst mehr wünscht. Maya ist allerdings tabu, denn sie ist verheiratet. Doch auf einmal überschlagen sich für beide die Ereignisse: Mayas Ehe zerbricht und Arvids großer Traum ist plötzlich zum Greifen nah: Ein Song von ihm geht auf TikTok viral – und plötzlich stehen die Musiklabels Schlange. Gerade, als der Liebe zwischen beiden nichts mehr im Weg steht, muss er Edinburgh verlassen und sich ein Image als Musiker aufbauen. Was ist er bereit, für die Frau zu opfern, für die er jedes einzelne Wort seiner Liebeslieder geschrieben hat?

Michelle C. Ahrens

Trust and Fly

Scottish Love Songs

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Oktober 2022© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® E-Book powered by pepyrus

ISBN 978-3-95818-672-9

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Cover Me in Sunshine – Pink & Willow Sage Heart

Race My Mind – Drake

Dreamer – Sunrise Avenue

Boulevard of Broken Dreams – Green Day

Count On Me – Bruno Mars

Wrecking Ball – Miley Cyrus

ASAP – Milow

Survivor – Destiny’s Child

Lose Yourself – Eminem

Traitor – Olivia Rodrigo

Lights Off – Charlie Cunningham

Every Time I Cry – Ava Max

Let Me Entertain You – Robbie Williams

Somebody That I Used to Know – Gotye

Happier – Ed Sheeran

As it was – Harry Styles

What About Us – Pink

Diamonds – Rihanna

You Are the Reason – Calum Scott

Perfectly Imperfect – Declan J Donovan

Everything I Wanted – Billie Eilish

Is It Just Me? – Emily Burns

Standing Still – Roman Lob

Livesafer – Sunrise Avenue

Waking Up Without You – Michael Schulte

Say Something

Fight Song

Wrecked

Hurricane – Ofenbach & Ella Henderson

Lifetime – Justin Bieber

New Beginnings – NEFFEX

Maya und Arvid: Playlist of their lives

Danksagung:

Leseprobe: Und morgen warten unsere Träume

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Cover Me in Sunshine – Pink & Willow Sage Heart

Motto

Hand me the world on a silver platter, and what good would it be? 

Some people want it all

But I don’t want nothing at all

If it ain’t you, baby

If I Ain’t got you

- Alicia Keys

Cover Me in Sunshine – Pink & Willow Sage Heart

Arvid

Endlich beginnt die Festivalzeit in Schottland. Ich liebe diese Zeit von Juni bis September, in der in ganz Schottland kleine und große Live-Events Menschen aus aller Welt hier in diese schöne, raue Region locken.

Genau diese Lebensart war es auch, die mich vor einigen Jahren dazu bewogen hat, meiner schwedischen Heimat den Rücken zu kehren und hier in Edinburgh mein Glück als Singer und Songwriter zu versuchen. Zwar war der Anfang wirklich hart, doch mittlerweile habe ich viele Gigs in den unzähligen Pubs der schottischen Hauptstadt. Und auch die Tatsache, dass meine beste Freundin Maya mir eine Stelle an der Musikschule organisiert hat, hat dazu geführt, dass ich momentan – zwar bescheiden, aber dennoch – von meiner Musik leben kann. Große Sprünge sind zwar nicht drin, aber dafür lebe ich meinen Traum, was mir mehr bedeutet als ein dickes Bankkonto. Eine Tatsache, die meine Eltern in Schweden wohl nie verstehen werden. Aber zum Glück bin ich der Meinung, dass man nicht jedem gefallen muss, sondern zuallererst glücklich sein sollte. Natürlich finde ich es schade, dass sie mein Leben hier für Zeitverschwendung halten, doch da gibt es genug Freunde, allen voran Maya, die mich immer unterstützt haben und meinem Traum von der Musik nicht belächeln.

Und diese Freunde sind es auch, die immer versuchen, mich durch ihre Anwesenheit bei diesen Liveauftritten zu unterstützen. Die für mich da sind, wenn ich einmal wieder down bin, weil es einfach ein hartes Business ist, in dem man neben Talent auch unfassbar viel Glück braucht, um sich einen Namen zu machen.

Der Auftakt zu meiner geliebten Festivalsaison ist schon immer das Wickerman Festival, das zwar nicht ganz so groß ist wie das Edinburgh Festival, aber dafür mit jeder Menge Charme, coolen Gigs und einer wahnsinnig tollen Atmosphäre punktet. Deshalb freue ich mich unendlich, dass ich dort mit meinen selbst geschriebenen Songs auftreten darf, auch wenn mein Gig schon um 14.00 Uhr eingeplant ist und ich damit leider nicht am wirklich coolen und echt hochkarätig besetzten Abendprogramm teilnehmen darf.

Aufgeregt packe ich meine Siebensachen in meinen uralten Volvo. Leider konnten nur zwei meiner Freunde ihr Wochenende freischaufeln, um mich zu unterstützen, wenn ich mit meiner Gitarre oben auf der Bühne stehe.

Ich muss mir eingestehen, dass ich es sehr schade finde, dass ausgerechnet Maya nicht mit von der Partie sein kann, da sie ihren Mann Colin auf eine Veranstaltung begleiten muss. Bei diesem Gedanken wird mir ziemlich schwer ums Herz, da sie sich im Laufe der Zeit heimlich und leise immer mehr in mein Herz geschlichen hat. Ich weiß, dass ich aufhören muss, von früh bis spät an sie zu denken, denn schließlich ist sie verheiratet.

»Huhu!«, durchbricht Idas aufgekratzte Stimme meine Gedanken. Sie umarmt mich fest von hinten, während ich mir, davon aufgeschreckt, fast den Kopf am Kofferraumdeckel meines Autos stoße.

»Warum bist du eigentlich noch nicht mit dem Packen fertig?«, fragt sie mich und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen tadelnd an. »Nach Dumfries fahren wir schließlich noch fast zwei Stunden«, schiebt sie mit einem besorgten Blick auf ihre Uhr hinterher.

»Keine Sorge, dass schaffen wir doch wirklich locker!«, versuche ich sie zu beruhigen.

»Aber wir müssen noch Maya einsammeln, und das dauert im Berufsverkehr furchtbar lange«, gibt sie wie immer zu bedenken, während ich Grey begrüße, der bei Idas penibler Zeitplanung kommentarlos die Augen verdreht.

»Maya kommt leider nicht mit, von daher sparen wir uns da schon mal Zeit«, antworte ich Ida ausweichend.

»Warum das denn?«

»Sie muss Colin auf das Sommerfest seiner Bank begleiten.«

Meine Stimme klingt gepresst, und natürlich entgeht mir Idas besorgter Blick nicht. Ich glaube, sie hat längst mitbekommen, dass Maya für mich weit mehr ist als nur meine beste Freundin.

»Na, dann werden wir eben dafür dein Fanclub sein und die ganze Zeit pfeifen und eine Zugabe nach der nächsten fordern«, erklärt sie pragmatisch und umarmt mich dabei noch mal fest.

»Dann lasst uns mal losfahren, bevor Ida einen Herzinfarkt bekommt, weil sie Angst hat, dass wir zu spät ankommen und keinen Platz mehr für unser Zelt finden«, schlägt Grey in seiner trockenen Art vor und knufft dabei Ida spielerisch in die Seite.

Die beiden sind seit beinahe zwei Jahren zu einem wirklich wichtigen Bestandteil meines Lebens geworden, und ich bin unheimlich erleichtert, dass sie mich zu diesem Auftritt begleiten. Es ist zwar schade, dass die anderen nicht dabei sind, aber ich werde ihn trotzdem in vollen Zügen genießen. Seitdem der Barkeeper im »Last Drop« diesen Gig für mich über Beziehungen klargemacht hat, habe ich einen Riesenbammel davor, da ich noch nie auf einer so großen Bühne gestanden und vor so vielen Menschen gespielt habe.

Als ich meinen Freunden diese großartige Neuigkeit erzählt habe, war sofort klar, dass sie mich nach Dumfries begleiten würden. Denn schon allein bei dem Gedanken an die große Bühne, die Menschenmassen und das Gefühl, Teil eines solchen Festivals zu sein, pocht mein Herz wie wild, und ich fühle mich, als müsste ich mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug springen. Aber mit Ida und Grey an meiner Seite kann kaum etwas schiefgehen.

Also quetschen wir uns alle, wie schon so oft, in meinen klapprigen roten Volvo und machen uns auf den Weg durch die schottischen Lowlands nach Dumfries. Hier geht es viel gemächlicher zu als im lebhaften Edinburgh oder gar im hippen Glasgow. Dieser Teil wird nur von wenigen Touristen besucht, die Schottland lediglich mit den Highlands, den Hebriden oder der Isle of Skye verbinden. Dabei ist das kleine Dörfchen Auchencairn bei Dumfries jedes Jahr der beliebte Treffpunkt für ein Musikfestival der Extraklasse, das seinen Höhepunkt schließlich in der Verbrennung einer circa neun Meter großen Figur aus Reisig und Holz findet. Dieses kleine Festival ist vor allem durch seine vielen unterschiedlichen Musikrichtungen bekannt, und es macht mich unheimlich stolz, dass ich dort auftreten darf.

Sobald wir kaum zwei Stunden später das Festivalgelände auf den Wiesen am östlichen Rand von Auchencairn erreichen, sehen wir die riesige Figur aus Holz und Reisig, die von einem kleinen Hügel aus das Festivalgelände überragt. Das rote Absperrband um das Gelände flattert im Wind, während der Security-Mann am Einlass meinen Namen auf der Liste der Künstler sucht und mir meinen Backstageausweis überreicht, den ich stolz in Empfang nehme.

Mein erster Backstageausweis als aktiver Musiker, schießt es mir durch den Kopf, und auch Ida und Grey grinsen, als sie ihre Ausweise mit dem Vermerk »CREW« entgegennehmen. Außerdem überreicht er uns noch unsere Armbänder, die uns als Festivalbesucher ausweisen, und erklärt uns kurz, wo wir unsere Zelte aufstellen können.

Klar ist der Auftritt hier nicht der Riesengig, kein Livekonzert in einem berühmten Stadion, aber es fühlt sich an, als wäre es ein kleiner Schritt in Richtung meines großen Traums. Als würde ich heute nach einem Stern greifen.

Trotz des typisch schottischen Wetters – es weht ein kalter Wind aus Nordosten, gepaart mit Nieselregen – ist die Stimmung jetzt schon ausgelassen. Rund um uns wird gelacht, gefeiert, gegrillt, und im Hintergrund hört man, wie sich Bands auf ihre Auftritte vorbereiten.

Grey macht sich direkt an die Arbeit und sucht für unser Zelt eine nicht ganz so matschige Stelle.

»Willst du es nicht in die andere Richtung aufstellen?«, fragt Ida in ihrer perfektionistischen Art. »Sonst ist der Eingang in Windrichtung, und das soll man eigentlich doch vermeiden, heißt es zumindest in diesem Video.« Mit diesen Worten hält sie Grey ihr Smartphone unter die Nase.

»Ida, man kann auch manchmal einfach improvisieren. Ein Zelt aufzustellen, ist eigentlich keine Wissenschaft«, erwidert er spöttisch grinsend, während er versucht, die Zeltplane auszubreiten, ohne dass sie immer wieder durch den böigen Wind in die Höhe gerissen wird.

Bevor es von Idas Seite aus noch in einen wissenschaftlichen Exkurs über Zeltaufbau ausartet, schnappe ich mir die eine Seite und helfe Grey, das Zelt mit Heringen im Boden zu fixieren, was zugegebenermaßen nicht so einfach ist, wie wir es uns vorgestellt haben. Der Boden ist lehmig, weshalb einer der Heringe einfach nicht halten will. Außerdem müssen wir feststellen, dass das Zelt, das Grey von einem Kumpel organisiert hat, wohl auch schon bessere Tage gesehen hat. So sind von den acht Heringen zwei verbogen, und außerdem hat das Zelt einen Riss, was von Ida natürlich sogleich mit einem vorwurfsvollen »Du weißt schon, dass man ein Zelt und die Ausrüstung kontrolliert, bevor man losfährt« kommentiert wird.

»Und du weißt schon, dass das Leben langweilig wäre, wenn man nicht hin und wieder improvisieren müsste«, antwortet Grey.

Die beiden sind der pure Gegensatz, und ich habe mich schon immer gefragt, was das zwischen ihnen eigentlich ist. Friends with benefits? Wer sich so neckt …?

Bevor die scherzhafte Diskussion zwischen Ida und Grey sich in die Länge zieht, kommt einer der zwei Jungs von der Zeltstelle neben uns auf uns zu. Anscheinend haben sie unsere kleine Misere mitbekommen, denn er bringt eine Rolle Panzertape und zwei Metallheringe zu uns.

»Hey, ihr könnt von uns zwei Heringe haben, und euren Riss bekommt ihr mit dem Panzertape ebenfalls dicht«, bietet er grinsend in breitem schottischem Dialekt an und lächelt dabei Ida frech an. Da fällt ihm ihr Ausweis mit der Aufschrift Crew auf. »Na, wenn du zur Crew gehört, kann ja nix mehr schiefgehen. Da ist dann bestimmt alles perfekt organisiert«, zieht er Ida auf. An mich gewandt fährt er fort: »Ich bin Ryan, und das ist mein Kumpel Patrick.« Er hält mir seine riesige Hand hin, und sein kräftiger Händedruck ist freundlich und warm.

Auch Patrick ist mittlerweile zu uns rübergekommen. An der routinierten Art, wie beide innerhalb weniger Minuten unser Zelt aufstellen, kann man deutlich erkennen, dass sie das wohl öfter machen.

»Hast du hier einen Auftritt?«, fragt Patrick mich neugierig, während er mit den letzten geübten Handgriffen die Zeltschnur an den Heringen befestigt.

»Ja, morgen Nachmittag. Ich bin schon ziemlich aufgeregt«, erwidere ich beklommen.

»Cool!«, kommt die anerkennende Antwort von Patrick. »Hast du ’ne eigene Band? Oder wo ist der Rest deiner Crew?«, hakt er mit einem neckenden Blick auf Ida nach.

»Ich trete allein auf, nur meine Gitarre und ich.«

»Also so Ed-Sheeran-mäßig«, fragt Ryan mit einem Grinsen.

»Wäre cool, wenn mich alle mit dem vergleichen würden, denn dann hätte ich es geschafft.«

»Hey, warum grillen wir später nicht zusammen, und du zeigst uns schon mal am Lagerfeuer, was du so draufhast?«, schlägt der riesige Ryan spontan vor.

Auf der einen Seite hat er mich da erwischt, denn auf einer Bühne zu stehen, ist immer noch eine Spur anonymer, als dem Publikum direkt gegenüberzustehen. Doch bevor ich auch nur darüber nachdenken kann, erwidert Grey: »Klar, dann kannst du dich schon mal auf morgen einstellen.«

Spätestens jetzt wird klar, dass die zwei Schotten echte Festivalprofis sind, da sie sogar einen Grill in ihrem Kofferraum dabeihaben. Und so sitzen wir wenig später zu fünft um den kleinen Edelstahlgrill, in dem das Feuer munter knackt, und sogar der Nieselregen hat etwas nachgelassen.

Die Stimmung ist fröhlich und ausgelassen, das Bier lecker, und auch wenn die Würstchen auf dem Grill etwas zu dunkel geraten sind, macht es einfach verdammt viel Spaß, hier zu sein. Das ist es, was ich an solchen Festivals schon immer geliebt habe. Man trifft unkomplizierte Menschen, mit denen man eins gemeinsam hat: die Liebe zur Musik.

Ich schnappe mir meine Gitarre und spiele zur Einstimmung ein paar Akkorde, um meine klammen Finger in Form zu bringen. Und als ich die ersten Akkorde zu »Afterglow« von Ed Sheeran anstimme, überrollt mich ein unglaubliches Gefühl, denn ich liebe diesen Song, auch weil er vor meinem inneren Auge tausend Bilder von Maya aufziehen lässt.

Sobald der letzte Ton verklungen ist, murmelt Ryan anerkennend: »Wow, geile Stimme. Hast du auch ein paar eigene Songs auf Lager?«

»Klar«, antworte ich, »aber die werde ich euch jetzt nicht vorspielen, sonst hättet ihr ja überhaupt keinen Grund, morgen bei meinem Liveact dabei zu sein.«

»Das lassen wir uns nicht entgehen«, meint Patrick fröhlich, während ich meine Gitarre sorgfältig wieder im Gitarrenkoffer verstaue.

Diese Gitarre bedeutet mir echt viel, und ich denke, dass es den meisten Musikern mit ihren Instrumenten so geht.

Ich habe sie vor etwa fünf Jahren von meinem Großvater geschenkt bekommen, das war kurz vor meiner Abreise nach Schottland. Meine Hoffnungen und Träume waren damals riesig, unbedingt wollte ich der Enge meiner kleinen schwedischen Heimatstadt entfliehen. Wohin ich genau wollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Vielleicht nach Barcelona, um mich von der spanischen Lebensart mitreißen lassen, vielleicht anderswohin.

An jenem Abend packte ich gerade meinen überdimensionalen Rucksack, als meine Mutter mir von unten aus zurief, dass ich mal kurz runterkommen solle. Meinen Großvater habe ich schon immer geliebt, und zwischen uns existierte ein ganz besonderes Band, daher freute ich mich umso mehr, dass er an meinem letzten Abend in Schweden vorbeischaute.

»Hej, Arvid«, begrüßte er mich und gab mir einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. »Bevor du morgen in die weite Welt ziehst, wollte ich dich unbedingt noch mal sehen. Lass uns doch ein bisschen auf die Veranda setzen.«

Gemeinsam traten wir in die milde Abendluft hinaus. Es war Mitte Juni, nur noch eine kurze Zeit bis Mittsommer. Diese Tage wirkten immer zeitlos, denn es gab keinen festen Rahmen von Tag und Nacht, der ihnen Halt gab. Auch jetzt um 21:00 Uhr war es noch taghell, obwohl das Licht bereits etwas diffuser war. Neben der Bank, auf die wir uns setzten, stand ein wunderschöner Gitarrenkoffer, den ich bewundernd ansah.

»Das ist mein Abschiedsgeschenk an dich«, erklärte mein Großvater. »Ganz egal, wohin das Leben dich verschlägt, wünsche ich mir, dass du an mich und an deine Heimat denkst, wenn du darauf spielst. Ich finde es großartig, dass du deinen Traum verwirklichen möchtest, und ich wünsche dir so sehr, dass du damit Erfolg haben wirst.« Er legte seine schwielige Hand auf meine. »Wenn du uns und deine Heimat immer in deinem Herzen trägst, dann bleibt ein Stück von dir hier bei uns, und das wünsche ich mir. Denn dann kannst du uns loslassen, ohne uns zu verlieren.«

Gerührt blickte ich den Mann an, mit dem ich die schönsten meiner Kindheitserinnerungen verband. Lange Winterabende vor dem prasselnden Kaminfeuer, an denen er mir aus seinen geliebten Büchern schaurige Spukgeschichten vorlas. Klare Wintertage, an denen er zusammen mit mir Schlitten fahren ging. Laue Sommernächte, in denen unsere ganze Familie um eine große Tafel saß, die im Garten unter den Apfelbäumen aufgestellt war. In den Ästen der Bäume hatte meine Mutter bunte Lampions befestigt, und wir aßen wunderbaren roten Heringssalat und Pudding mit roter Grütze.

»Ich gehe ja nicht für immer weg, Opa«, antwortete ich damals mit belegter Stimme. »Ich muss nur mal hier raus und sehen, was es auf der Welt sonst noch so gibt, und ich will Musik machen.« Mit einer ausholenden Geste umfasste ich das kleine rote Holzhaus, in dem ich aufgewachsen war und die Äcker und Felder, die es umgaben. »Das ist hier einfach nicht möglich.«

»Wer weiß schon, was das Leben für dich bereithält, mein Junge«, sagte Opa mit brüchiger Stimme, und ich konnte sehen, dass in seinen Augen Tränen glitzerten. »Behalte uns einfach im Herzen, okay?«

Ich nahm seine Hand und drückte sie fest. Er war nie ein Mann großer Worte gewesen, und für ihn war das eben eine enorme Ansprache. Irgendwie wusste ich damals nicht genau, wie ich darauf reagieren sollte, und daher saßen wir einfach nebeneinander in der milden Abendluft und lauschten dem lauten Zirpen der Grillen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich natürlich noch nicht, dass dies das letzte Mal war, an dem ich ihn sehen sollte. Er musste damals schon geahnt haben, dass der Krebs in seinem Körper wütete. Hätte ich das alles gewusst, hätte ich ihm zumindest gesagt, wie sehr ich ihn liebte, aber so saßen wir nur schweigend nebeneinander und genossen die Anwesenheit des anderen.

Aber seinen Wunsch erfülle ich ihm noch heute: Jedes Mal, wenn ich meine Gitarre auspacke, denke ich an ihn, seine Herzlichkeit und an sein Verständnis, das er immer für jeden hatte, und ein Stück von ihm lebt für immer in meinem Herzen fort.

»Hey, Erde an Arvid«, höre ich da plötzlich eine Stimme aus weiter Ferne zu mir durchdringen.

Es dauert den Bruchteil einer Sekunde, bis ich wieder im schottischen Hier und Jetzt ankomme und Grey angrinsen kann.

»Ich gehe schlafen«, sage ich entschlossen und drücke meinen Rücken durch. »Schließlich muss ich morgen fit sein.«

Leise summe ich »Afterglow« vor mich hin, und vor meinem inneren Auge sehe ich dabei die schönste Frau der Welt: die Schwedin Maya, die ich ausgerechnet auf meinem ersten Stopp in Schottland traf und die dort zehn Tage zuvor einem anderen Mann das Jawort gegeben hatte.

Race My Mind – Drake

Maya

Ich sehe absolut schrecklich aus, fährt es mir durch den Kopf, als ich mich in dem bodentiefen Spiegel unseres Schlafzimmers kritisch mustere. Heute ist das Sommerfest der Western Highland Bank, in der mein Mann Colin arbeitet, und ich wäre ja am liebsten in einem legeren Outfit dorthin gegangen. Blümchenkleid, Sandalen und, falls es gegen Abend kühl werden sollte, eine Jeansjacke. Doch Colin hatte andere Pläne und nur verächtlich geschnaubt, als er mich in dieser Aufmachung sah.

»Maya, das ist nicht das Treffen eines Yoga-Clubs, sondern der Führungsetage der Bank. Würdest du dich bitte dem Anlass entsprechend kleiden?«

Diesen Tonfall hasse ich, und mir fällt auf, dass Colin ihn mir gegenüber immer häufiger anwendet. Manchmal fühle ich mich in seiner Gegenwart wie ein kleines Mädchen, das allein noch keine Entscheidungen treffen kann und daher an die Hand genommen und in die gewünschte Richtung dirigiert werden muss.

»Ich habe dir doch erst kürzlich das schwarze Kostüm aus London mitgebracht. Könntest du bitte das tragen?«

Obwohl dieser Satz als Bitte formuliert ist, ist er in Wirklichkeit eine Aufforderung, und ich seufze tief.

Am liebsten würde ich gar nicht auf dieses dämliche Fest gehen. Lieber würde ich in der Küche meines kleinen Cafés stehen und meine heißgeliebten Zimtschnecken in den Ofen schieben und meine Gäste bewirten. Oder gemeinsam mit Ida und Grey Arvid zuhören. Denn auf meinen besten Freund bin ich wahnsinnig stolz. Nicht nur weil er Schwede ist und wir Schweden einfach zusammenhalten, sondern weil er mir immer ein Stück Heimat weit weg von daheim vermittelt. Aber heute muss ich die Rolle der glücklichen Bankiersgattin spielen, denn Colin ist seine Karriere seit geraumer Zeit das Wichtigste.

Seufzend fasse ich meine langen blonden Haare zu einem eleganten Dutt zusammen und lege die doppelreihige Perlenkette um, die Colin mir zu Weihnachten geschenkt hat. Mein verkleidetes Ich blickt mir aus dem Spiegel unglücklich entgegen. Ich sehe aus, als würde ich zu einer Beerdigung gehen und nicht auf ein Sommerfest. Und beinahe fühlt es sich auch so an.

Als Colin und ich ein Paar wurden, liebte ich seine lustige und spontane Art. Damals arbeitete ich noch als Bedienung in einem Café an der Royal Mile. Oft holte er mich nach meiner Schicht ab, und wir picknickten auf dem Arthur’s Seat, dem Berg, der inmitten Edinburghs thront und einem das Gefühl vermittelt, bereits in den Highlands zu sein.

An den Wochenenden fuhren wir oft spontan weg und unternahmen stundenlange Spaziergänge an der rauen Küste, ließen vom Wind den Stress der vergangenen Woche wegpusten und saßen danach oft stundenlang in einem kleinen Café neben dem nach Torf duftenden Kaminfeuer und schmiedeten Pläne für unsere gemeinsame Zukunft. Dort entstand auch der Plan, mein eigenes Café zu eröffnen. Maya’s Coffee Pot sollte etwas ganz Besonderes werden, ein Café, das sich von der Masse der Starbucks-Läden abhob.

Seit ich ein kleines Mädchen war, hatte ich in meiner schwedischen Heimatstadt Skåne im Café meiner Großmutter mitgeholfen, zuerst den Teig ihrer unglaublich leckeren Kuchen genascht und später immer mehr selbst gebacken. Alle meine Rezepte, die ich heute voller Hingabe backe, stammen von ihr.

»Maya«, ertönt Colins ungeduldige Stimme vor der Tür und reißt mich aus meinen Tagträumen. »Bist du bald fertig? Wir müssen los!«

Ich seufze tief. »Ja, ich bin gleich so weit«, gebe ich zurück.

Von Colins ehemaliger Leichtigkeit ist nichts mehr geblieben. Er ist in der Karriereleiter immer weiter nach oben geklettert und hat sich dabei Stück für Stück verändert. Zuerst kaum merklich, aber mit der Zeit immer mehr. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann wir das letzte Mal aus vollem Herzen miteinander gelacht haben. Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel, öffne ich die Tür und stehe meinem Mann gegenüber, der mich anerkennend von Kopf bis Fuß mustert.

»Sehr schön, Maya«, meint er und entfernt einen Fussel an meiner Schulter. »Da werden Gordon die Augen rausfallen, wenn er dich sieht.«

Gordon ist Colins Chef, und daher ist seine Meinung besonders wichtig.

»Vor allem, weil er daheim nur seine fette Mildred sitzen hat«, ätzt er.

»Ich mag Mildred sehr gerne«, entgegne ich entrüstet. »Sie ist eine warmherzige und kluge Frau, mit der man immer tolle Gesprächsthemen findet.«

Colin tut meinen Einwand mit einem Achselzucken ab. »Von mir aus. Aber sie ist auch eine fette Qualle, und ich punkte mit meiner schönen Frau.«

Er zieht mich an sich und gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Sobald ich seine Nähe spüre, versteife ich mich, was er zum Glück nicht zu bemerken scheint.

»Wir müssen aber jetzt endlich los, sonst kommen wir noch zu spät«, sagt er dann und dirigiert mich mit einer Hand auf meinem Schulterblatt in Richtung Garage, wo sein neuer schwarzer Tesla bereits auf uns wartet.

Einige Stunden später habe ich das Gefühl, vor Langeweile sterben zu müssen. Es ist ein frischer Tag, und vom Meer her weht ein kühler Wind. Leicht fröstelnd stehe ich vor dem Büfett eines großen schottischen Cateringunternehmens, das auf dem perfekt getrimmten englischen Rasen aufgebaut ist und dessen schwere Leinentischdecken im Wind flattern. Das Anwesen von Gordon und Mildred liegt auf einer Anhöhe und hat einen atemberaubenden Ausblick über den Firth of Forth. Weiße Schaumkronen glitzern auf den Wellen und durchbrechen das stählerne Grau des Wassers. Aber selbst dieser Anblick kann mich gerade nicht begeistern, und so schnappe ich mir einen Teller und gehe achtlos an den hauchdünnen Scheiben schottischen Räucherlachses, Roastbeef, herzhaften Pasteten, Quiches und Co vorbei, direkt zum Kuchenbüfett. Dort wähle ich ein Stück spanische Vanilletorte, die mir mit ihrer wunderschönen Schichtung sofort ins Auge gefallen ist, da ich diese Torte gerne in mein Sortiment aufnehmen möchte. Und schließlich muss ich ja wissen, was die Konkurrenz so anbietet.

»Na, Schatz, schmeckt es dir?«, fragt Colin mich, als ich an unseren Platz zurückkehre, und lacht gekünstelt. »Muss es wohl«, beantwortet er seine Frage gleich selbst. »Das ist ja auch schon das zweite Stück Kuchen, das du dir einverleiben möchtest.« Zwar kaschiert er diese Bemerkung mit einem glucksenden Lachen, doch sie macht mich trotzdem sprachlos.

Zornig starre ich ihn an. Was fällt ihm eigentlich ein, mich derart respektlos zu behandeln? Noch während ich über eine Antwort nachdenke, kommt mir aber schon Mildred zu Hilfe.

»Ach, Colin, Ihre liebe Frau kann doch wirklich so viel Kuchen essen, wie sie möchte, so schlank, wie sie ist. Er schmeckt auch wirklich köstlich, meine Liebe, ich hoffe, Sie genießen ihn«.

Ich lächle ihr dankbar zu, nehme wieder Platz und würdige Colin keines weiteren Blicks. Stattdessen analysiere ich die vor mir liegende Torte. Optisch schon mal eine glatte Zehn. Auch die einzelnen Biskuitschichten sind wundervoll und so fluffig wie eine Sommerwolke. Geschmacklich erkenne ich sofort Vanille- und Orangenaromen, aber irgendetwas fehlt mir. Obwohl dieser optische Traum perfekt zubereitet wurde, fehlt ihm das gewisse Etwas. Irgendwie seelenlos, auch wenn das bei einem Stück Torte schon ein mühsamer Vergleich ist. Aber trotzdem trifft es das.

Colin gibt in der Zwischenzeit alles, um seinem Chef so richtig zu imponieren und einen wundervollen Eindruck zu hinterlassen. Oh Gott, war er vielleicht schon immer so, und ich habe es in meiner ersten Verliebtheit einfach nur nicht wahrgenommen? Wie kann einem der Mann, den man geheiratet hat, plötzlich so fremd werden? Dennoch setze ich ein starres Lächeln auf und gebe zumindest nach außen hin den Anschein, als ob mich die Gesprächsthemen wahnsinnig interessieren würden und ich an den Lippen meines Mannes hinge. Ich verkneife mir sogar den Blick auf die Uhr, obwohl ich sicher bin, dass die Zeit in der Geschichte der Menschheit noch nie so langsam vorübergegangen ist.

Als wir uns endlich auf den Nachhauseweg begeben, bin ich einfach erleichtert, es überstanden zu haben.

»Gordon hat mich doch tatsächlich in den Golfclub eingeladen«, schwärmt Colin nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit. »Nächstes Wochenende sind wir um 12:00 Uhr dort verabredet, danach treffen wir euch zwei Damen zum Lunch im Clubhaus.«

»Moment mal«, unterbreche ich ihn sofort. »Du weißt doch, dass bei mir im Café am Wochenende immer die Hölle los ist, da kann ich unmöglich weg.«

Er wirft mir einen kurzen Seitenblick zu und zuckt lapidar mit den Achseln. »Dann muss eben Lea oder diese ausgeflippte Bedienung mit den blauen Haaren den Laden schmeißen. So schwer wird das doch wohl nicht sein. Und ob jetzt du oder jemand anders den Latte macchiato aus dem Vollautomaten lässt, ist ja wohl völlig irrelevant. Wir reden hier nicht über Quantenphysik, sondern über eine alberne Kaffeemaschine und ein paar Stück Kuchen. Außerdem ist es wichtig, dass wir da gemeinsam hingehen, schließlich ist Networking das A und O für ein erfolgreiches Geschäftsleben.«

Sein überheblicher Ton geht mir in diesem Moment so was von gegen den Strich.

»Seit wann siehst du das so?«, frage ich leise, weil mich seine Reaktion tief verletzt hat.

»Was?«

»Na, dass das Café nicht wichtig ist. Dabei war es doch mal unser gemeinsamer Traum.«

Colin schnalzt ungeduldig mit der Zunge. »Ach, Maya, ich finde das Café wirklich nett, und es hält dich ja auch beschäftigt. Aber irgendwann wird man nun mal erwachsen, und dann muss man sich überlegen, wo man seine Prioritäten setzt.« Ich ziehe scharf die Luft ein, was ihm nicht zu entgehen scheint, denn in etwas sanfterem Ton schiebt er nach: »Ich mache das doch für uns, Maya. Du möchtest doch so gerne eine Familie mit Kindern. Und diese kosten nun mal eine Menge Geld, und ich habe keine Lust, dass wir jeden Cent zweimal umdrehen und uns überlegen müssen, was wir uns leisten können und was nicht. Wenn wir einmal Kinder haben, dann sollen diese die besten Schulen des Landes besuchen können und …«

Ich spüre, wie ich Kopfschmerzen bekomme. »Wieso machst du dir schon Gedanken über die beste Schule, wenn wir noch nicht einmal beschlossen haben, dass wir mit der Babyplanung beginnen. Schließlich bist du dir doch überhaupt nicht sicher, ob du überhaupt bereit dafür bist oder ob da nicht vorher noch ein richtig wichtiger Deal eingefädelt werden muss«, schiebe ich traurig nach, denn dieses Thema rührt an einem ganz wunden Punkt bei mir.

Immer, wenn ich das Thema Kinder und Familie anschneide, wiegelt mein Mann ab. Entweder ist nicht der richtige Zeitpunkt, der nächste Karriereschritt müsse abgewartet, erst ein größeres Haus gekauft werden. Dabei übersieht er meine Wünsche und Bedürfnisse regelmäßig.

Ein liebevolles Zuhause hat nichts mit der Größe des Hauses zu tun, sondern mit der Wärme und Geborgenheit, die es ausstrahlt. Warum will er das einfach nicht verstehen?

»Warum bist du heute bloß so wahnsinnig empfindlich?«, fragt er in ätzendem Tonfall. »Manchmal habe ich das Gefühl, du willst mich in eine Rolle drücken, für die ich jetzt eben noch nicht bereit bin. Es läuft gerade richtig gut bei mir, und wenn es für dich okay ist, dass du dich um das Kind allein kümmerst, können wir das Thema gerne noch einmal verhandeln. Aber ich werde definitiv nicht meine Karriere für eine Elternzeit wegwerfen.«

Schon bei den Worten »das Thema verhandeln« und »Karriere wegwerfen« werde ich richtig wütend auf ihn.

Was bitte ist das hier, ein Vertragsabschluss oder unser Leben? Und weil ich an der Art, mit der er mich jetzt ignoriert, merke, dass das Thema für ihn damit erst einmal erledigt ist, starre ich gedankenverloren aus dem Fenster, bis mein Handy vibriert und mir anzeigt, dass Ida mir ein Video geschickt hat. Da die Stimmung in diesem Wagen sowieso auf die Temperatur eines Gefrierfachs gesunken ist, tippe ich auf mein Handy und öffne das Video.

Ida denkt immer daran, dass ich Instagram hasse und schickt mir deshalb ihre Videos per WhatsApp. Es ist ein Zusammenschnitt mit einigen Eindrücken von dem Festival. Ida, die stolz ihren Crew-Ausweis in die Kamera hält, Grey und sie, die mit zwei Bier anstoßen, dann ein Lagerfeuer, an dem Arvid sitzt, und sobald ich seine tiefe, weiche Stimme höre, wird mir ganz warm ums Herz. Es klingt einfach super, und auch wenn ich die Coverversion von ihm gut kenne, bekomme ich wieder Gänsehaut.

Wie gerne würde ich jetzt mit meinen Freunden feiern und die Zeit genießen. Die Stimmung auf dem Wickerman Festival muss trotz widrigster Wetterverhältnisse einfach bombastisch sein, wenn man die Bilder so sieht. In diesem Augenblick muss ich daran denken, wie wir letztes Jahr zusammen mit unseren Freunden auf dem Edinburgh Festival waren. Arvid hat uns quasi jede Minute erzählt, wie cool es wäre, wenn auch er endlich auf so einem Festival einen Auftritt hätte, und jetzt ist dieser große Traum von ihm endlich Wirklichkeit geworden. Ich kann gar nicht sagen, wie gerne ich jetzt bei ihm und meinen Freunden wäre, ein Teil dieser Gemeinschaft, in der ich mich nie verstellen muss.

»Könntest du bitte den Ton abdrehen, wenn du dir schon irgendwelche überflüssigen Videos anschaust? Es nervt, wenn ich Auto fahre«, blafft Colin in diesem Moment und sieht mich strafend von der Seite an.

Schnell tippe ich eine Antwort an Ida und teile ihr mit, wie gerne ich jetzt bei ihnen wäre. Sofort erscheint ein Herz und ein »Wir vermissen dich auch«.

Arvid nicht zu seinem ersten großen Auftritt begleitet zu haben, fühlt sich an, als hätte ich ihn im Stich gelassen. Sobald es irgendetwas im Café gibt, wobei ich Hilfe brauche, ist er für mich da, und am bisher wichtigsten Tag seiner Laufbahn als Musiker musste ich hier verkleidet in einem Kostüm auf ein völlig langweiliges Sommerfest gehen. Und weil mein schlechtes Gewissen gegenüber meinem besten Freund einfach riesig ist, tippe ich auch sofort eine Nachricht an ihn.

Ich freue mich so für Dich! Ich bin so stolz auf Dich und wäre so gerne dabei gewesen!

Sofort sehe ich, dass er die Nachricht auch gleich gelesen hat und mir zurückschreibt.

Stimmung ist MEGA hier, die Zuschauer sind voll cool drauf. Schade, dass du nicht da bist. Mit Dir zusammen wäre das hier noch viel schöner.

Beim Lesen dieser Nachricht muss ich unwillkürlich lächeln, und da Colin gerade in die Garage gefahren ist, schaut er mich säuerlich von der Seite an.

»Mit wem schreibst du da eigentlich die ganze Zeit?«, hakt er in kaltem Ton nach.

»Mit Ida und Arvid. Er hat heute seinen Auftritt auf dem Wickerman Festival.«

Colin rollt die Augen. »Ich versteh einfach nicht, warum du mit diesem Versager so eng befreundet bist«, antwortet er verächtlich und steigt aus dem Wagen, ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen. Ich bleibe einen Moment sprachlos sitzen und folge ihm dann ins Haus.

Daheim gehen wir uns dann wie so oft aus dem Weg, und ich frage mich, wann wir in unserer Beziehung die falsche Abzweigung genommen haben, seit wann wir nur noch nebeneinanderher leben, statt wirklich zusammen zu sein.

Da ich so schnell wie möglich aus diesen Klamotten herauskommen möchte, ziehe ich mich schnell ins Bad zurück und lasse mir ein Schaumbad ein, um diesen grauenhaften Tag einfach nur zu vergessen.

Da höre ich Colin an die Tür klopfen: »Ich gehe noch mit ein paar Freunden weg. Warte nicht auf mich. Kann später werden.«

Das heißt dann wohl, dass ich den Rest des Abends meine Ruhe habe. Das sagt schon eine Menge über eine Beziehung aus, wenn man so empfindet, sobald der Partner nicht daheim ist. Außerdem merke ich, wie trotzdem die Eifersucht in mir aufsteigt, denn ich vermute schon seit ein paar Wochen, dass es nicht einfach nur ein paar Freunde sind, mit denen er sich so regelmäßig trifft.

Da ich jedoch nicht vorhabe, den Rest des Abends Trübsal zu blasen, steige ich aus der Wanne und frage meine Freundin Lea und ihren Freund Liam, ob sie Zeit haben, noch etwas Schönes zu unternehmen.

»Klar, komm einfach vorbei. Wir kochen zusammen«, antwortet sie mir nach fünf Minuten, weshalb ich wenig später vor dem kleinen Reihenhaus stehe, in das die zwei Anfang des Jahres gezogen sind, nachdem Lea eine Festanstellung als Lehrerin für Deutsch und Englisch an der Comprehensive School in dem kleinen Vorort Portobello ergattert hatte.

Mit einem besorgten »War wohl nicht so schön auf dem Sommerfest?« begrüßt mich Lea an der Tür und nimmt mich fest in den Arm.

Darauf kann ich lediglich mit den Achseln zucken und nuschle nur: »Ging so.«

»Komm erst mal rein. Wir kochen Thailändisch«, meint sie, während ich ihr in ihre geräumige Wohnküche folge, in der Liam schon fleißig Gemüse klein schnibbelt.

»Ich hoffe, ich störe euch nicht«, kommentiere ich, während ich mir eine Paprika schnappe, um diese ebenfalls klein zu schneiden.

»Gar nicht«, antworten beide fast gleichzeitig. In diesem Moment frage ich mich, wann ich das letzte Mal so glücklich mit meinem Mann war, wie die zwei es sind.

»Hat Ida euch auch das Video von Arvid geschickt?«, frage ich. Beide konnten nicht mit aufs Festival, da Liam heute noch arbeiten musste.

»Ich bin sicher, dass Arvids Auftritt echt gut ankommt«, antwortet Lea lachend, während sie das Hähnchenfleisch in der Pfanne scharf anbrät.

»Wundert mich nicht, er hat eine echt coole Stimme, und die Songs waren toll«, fügt Liam hinzu, während er Lea das Gemüse zum Herd bringt und ihr von hinten liebevoll den Arm um die Taille legt.

Bei dieser Geste fällt mir Colins Arbeitstreffen im Golfclub nächste Woche ein.

»Könntest du vielleicht nächstes Wochenende am Samstag für mich im Café einspringen?«, frage ich Lea zögerlich. »Colin will, dass ich mit ihm zum Golfplatz gehe«, füge ich augenrollend hinzu.

»Klar«, meint Lea, aber ich kann an Liams Gesichtsausdruck sehen, dass er sie dabei nachdenklich mustert, was auch Lea auffällt. »Das geht schon, das ist ja immer total easy« ergänzt sie lachend und sieht dabei Liam durchdringend an, der von dieser Idee gar nicht begeistert zu sein scheint.

»Wenn ihr was vorhabt, muss es halt meine Aushilfe Alice allein schaffen. Das wäre auch nicht so schlimm«, betone ich deshalb schnell, weil ich auf keinen Fall will, dass die zwei meinetwegen ihre Pläne ändern müssen.

»Nein, es ist kein Problem«, wiederholt Lea, während sie eine Flasche Weißwein öffnet, Liam und mir einschenkt und mir dabei zulächelt. Ironisch betont sie: »Auf keinen Fall sollst du diesen tollen Tag auf dem Golfplatz verpassen.«

»Willst du keinen Wein?«, frage ich Lea, als wir anstoßen und sie mit ihrem Wasserglas bei uns sitzt.

Sobald Liam sich betreten räuspert, fällt es mir wie Schuppen von den Augen.

»Oder habe ich irgendwas verpasst?«, frage ich mit großen Augen.

Sofort erkenne ich an Liams Grinsen, dass ich wohl voll ins Schwarze getroffen habe.

»Wir wissen es erst seit dieser Woche und wollen erst mal das erste Drittel der Schwangerschaft abwarten, bis wir es allen erzählen. Also behalte es bitte noch für dich«, erklärt mir Lea glücklich grinsend, und ich nehme sie fest in die Arme.

Natürlich freue ich mich unheimlich für die beiden, doch auf der anderen Seite führt es mir wieder vor Augen, wie festgefahren meine eigene Ehe ist.

»Natürlich darfst du dann nichts Schweres mehr heben. Ich könnte mir fürs Wochenende auch eine andere Lösung suchen«, stelle ich gleich klar.

»Jetzt mach dir darüber mal keine Sorgen, ich bin nicht krank, sondern nur schwanger«, lacht Lea.

Daraufhin schaut Liam mich mit schräg gelegtem Kopf an und meint: »Wäre vielleicht wirklich besser. Eigentlich finde ich es nicht so gut, wenn sie zusätzlich zu ihrem Job noch arbeitet.«

Bei seinen Worten muss ich unweigerlich schmunzeln, denn als ich ihn zum ersten Mal sah, war er nicht gerade der Typ Mann, der sich um andere sorgt, eher jemand, der in erster Linie an sich selbst dachte.

Doch seitdem die beiden zusammen sind, hat er sich komplett verändert – und das zum Guten. Ich freue mich für Lea, da die beiden einfach nur glücklich sind und ich mir wünschen würde, ich wäre das mit Colin auch. Was würde ich dafür geben, wenn er mich so ansehen würde, wie Liam Lea anschaut. Doch das werde ich wohl so schnell nicht mehr erleben. Das führt mir vor Augen, wie weit ich von meinem Traum von einer eigenen Familie entfernt bin.

Dreamer – Sunrise Avenue

Arvid

Ich bin so aufgeregt wie noch nie zuvor in meinem Leben, als ich mich backstage auf meinen Auftritt vorbereite. Um mich herum herrscht hektische Betriebsamkeit. Die weniger bekannten Künstler werden kaum beachtet, aber für die berühmten Acts, die dann am Abend auf der großen Bühne stehen werden, gibt es Garderoben und extra Catering. Für mich und die Künstler, die danach folgen, ist ein großer Campingtisch aufgebaut, an dem wir uns an den Schnittchen bedienen können, die dort seit mehreren Stunden auf einen dankbaren Abnehmer warten.

Aber erstens bin ich sowieso zu nervös, um auch nur einen Bissen herunterzubekommen, und zweitens ist heute der beste Tag meiner bisherigen Karriere. Leider hat das schottische Wetter das nicht wirklich mitbekommen, denn es gießt in Strömen, und auch die Temperaturen laden nicht unbedingt dazu ein, sich draußen aufzuhalten. Nachdem ich meine Gitarre gestimmt habe, spähe ich mit klopfendem Herzen hinter den Vorhang hervor, der die Bühne vom Backstagebereich abtrennt. Trotz des Wetters haben sich unzählige Menschen eingefunden, um mich singen zu hören, und das macht mich einfach verdammt stolz. Ich kann Ida erkennen, die in einem rosa Parka auf und ab hüpft, um sich warm zu halten. Im nächsten Moment kommt auch schon die laute Durchsage, die mich ankündigt. Kurz sammle ich mich, atme noch einmal tief durch und betrete die Bühne.

Eine halbe Stunde später fühlt es sich so an, als hätte ich noch nie etwas anderes gemacht. Die Zuschauer sind fantastisch und feiern frenetisch jeden meiner Songs. Inzwischen ist sogar die Sonne rausgekommen und lockt noch mehr Besucher auf das Festivalgelände. Und obwohl die Wiese matschig ist, ist die Stimmung großartig, und ich fühle mich so angekommen wie noch nie in meinem Leben.

Das ist es, was ich machen möchte! Auf der Bühne stehen und meine Songs performen. Ich liebe es, meine eigenen Lieder zu schreiben und sie dann einem Publikum zu präsentieren – aber das ist gar nicht so leicht. Denn manchmal fließen die Worte nur so aus mir heraus, und an anderen Tagen sitze ich oft stundenlang mit meiner Gitarre da und bin mit nichts zufrieden, was mir so in den Sinn kommt.

Doch die gute Stimmung hier lässt Adrenalin durch meine Adern schießen und gibt mir ein unglaubliches Hochgefühl. Als meine Auftrittszeit zu Ende ist, höre ich die Menge grölen, begeistert klatschen und nach einer Zugabe rufen. Es ist, als wäre mein Traum mit einem Schlag Wirklichkeit geworden. Völlig verschwitzt und aufgeputscht vom Auftritt trete ich hinter die Bühne, wo Ida und Grey mich lachend in die Arme schließen. Beide versichern mir, dass der Gig großartig war und die Zuschauer wirklich begeistert sind. Ihre Worte überwältigen mich völlig, obwohl ein kleiner Teil meines Herzens sich zusammenzieht, weil der wichtigste Mensch für mich diesen Moment nicht mit mir teilen kann.

»Du warst super«, betont Grey noch einmal anerkennend und klopft mir auf die Schulter, während ich meine Gitarre verpacke. »Lass mich raten, an wen du bei Swedish Girl wohl gedacht hast«, schiebt er augenzwinkernd hinterher.

Sofort knufft Ida ihn in die Seite und motzt ihn an: »Jetzt ärgere ihn nicht. Heute ist doch sein großer Tag!«

Dabei funkeln ihre Augen, da auch sie längst durchschaut hat, dass ich für Maya viel mehr empfinde.

Doch ich will mir jetzt diesen unglaublichen Moment nicht von unerwiderten Gefühlen für die Frau eines anderen zerstören lassen, weshalb ich locker sage: »Hopp, lasst uns jetzt zur Bühne 2 gehen, da tritt gleich eine super Band auf.«

»Klar, ich besorg uns nur schnell Bier, das hast du dir jetzt wirklich verdient«, stimmt Ida sofort begeistert zu, und wir drängen uns durch das Getümmel einer feiernden, gut gelaunten Menge von Festivalbesuchern.

Wir tanzen vor der Bühne und lassen uns von dieser fantastischen Stimmung tragen. Auf einmal spüre ich eine Hand auf meiner Schulter und drehe mich zu einer blonden Frau um, die ich auf Anfang zwanzig schätze.

»Hey, bist du der Typ, der vorhin auf der Bühne stand?«, fragt sie mich mit einem strahlenden Lächeln.

»Denk schon«, erwidere ich grinsend.

»Ich fand deinen Auftritt wahnsinnig toll! Wenn dein Swedish Girl nix dagegen hat, würde ich mit dir gern ein Bier trinken.« Dabei lächelt sie mich verführerisch an und fährt sich mit der Hand durch ihre langen blonden Haare.

»Hi, ich bin der Scottish Friend, und Ida ist mein Danish Sweetheart«, mischt sich Grey von hinten charmant ein, um mir dann anerkennend ins Ohr zu flüstern: »Also ich würde mal sagen, du hast dein erstes offizielles Groupie. Und es ist dazu noch verdammt heiß. Genieß es. Ida und ich sind dann mal weg.«

»Ich bin Laura«, stellt die Schottin sich vor. »Da vorn an der Bar gibt es bestimmt noch was zu trinken.« Sie deutet vielsagend mit einer leichten Kopfbewegung Richtung Barbereich.

Sie sieht wirklich verdammt gut aus, und an der Art, wie sie mich ansieht, wird mir klar, dass da noch einiges heute Abend möglich wäre. Warum sollte ich es nicht versuchen? Schließlich bin ich ungebunden und frei.

Die Frau, die mir etwas bedeutet, liegt wahrscheinlich gerade neben ihrem Mann im Bett. Schon der Gedanke allein macht mich traurig, doch vielleicht ist ein lockerer Abend ohne Verpflichtungen mit Laura hier genau das Richtige für mich, wer weiß das schon!

Laura berührt mich immer wieder rein zufällig auf unserem Weg zur Bar, wo wir sogar noch zwei freie Barhocker ergattern.

Sie studiert in Glasgow Kunstgeschichte, erzählt sie. »Okay, dann hast du da ja wahrscheinlich die gleiche Erfolgsquote wie ich als Musiker«, antworte ich lachend.

»Tja, meine Eltern haben zum Glück genug Geld. Da kann ich als Töchterchen machen, wonach mir ist«, ist ihre ironische Antwort, und dabei legt sie mir ihre schmale Hand auf den Oberschenkel und lässt sie sanft darübergleiten.

Und das Einzige, was ich in diesem Moment denken kann, ist, dass es einfach nicht passt. Sie ist nett, hübsch, unkompliziert, aber sie ist mir im Grunde egal, und ich fühle nichts, da ist kein Prickeln, keine Verbindung, einfach rein gar nichts.

Natürlich tut es meinem Ego gut, hier mit ihr zusammen zu sein, aber mein Herz beschleunigt sich nicht, wenn ich in ihre Augen blicke, und ich habe nicht das Gefühl, als würde die Zeit stillstehen, wenn sie mich kurz berührt. Was wäre ich bloß für ein Arschloch, wenn ich jetzt trotzdem auf ihr Flirten eingehen würde, nur um mich besser zu fühlen.

»Schau nicht so nachdenklich«, lacht sie, als sie sich zu mir beugt und mir einen Kuss auf die Wange gibt. »Wir wollen doch beide einfach nur unseren Spaß haben. Oder?«

Ihre Worte wirken wie eine kalte Dusche auf mich.

»Sorry, aber ich kann das nicht.«

»Wegen deines Swedish Girl?«, fragt sie mich neckend.

Und so dämlich es auch klingt, nicke ich beklommen. Denn auch wenn sie unerreichbar ist, will ich einfach keine andere.

»Schade«, sagt sie schließlich achselzuckend und mustert mich. »Ich hätte die Muskeln unter deinem T-Shirt gerne ausführlich angesehen.«

Zum Glück nimmt sie es mir nicht krumm, als ich mich verabschiede und mich in Richtung unseres Zeltes begebe. Jedoch muss ich feststellen, dass Ida und Grey wohl momentan keine Lust auf meine Gesellschaft haben, den Geräuschen nach zu urteilen, die aus dem Zelt dringen. Deshalb laufe ich einfach weiter, den kleinen Hügel zur Reißigfigur hoch und lasse mich dort auf eine Bank fallen. Der Blick auf das Festivalgelände von hier oben ist unglaublich, die Musik wird zu mir hochgetragen. Ich sehe die Leute unten tanzen und bin gleichzeitig in einer ganz anderen Welt. Hier unter den Sternen fühlt sich alles andere ganz weit weg an. Dort unter mir das pure Leben und hier oben die Einsamkeit und die stilleren Töne. Langsam versuche ich, meine Gedanken zu ordnen, die mir schon den ganzen Tag durch den Kopf schwirren.

Heute war mein erster Tag auf einer Bühne, und das Gefühl war schlichtweg unglaublich. Obwohl das der bisher erfolgreichste Tag in meinem Leben als Musiker war, beherrscht Maya meine Gedanken.

Die Wochen nach dem Festival vergehen wie im Flug. Denn plötzlich habe ich mehr Termine als jemals zuvor in meinem Leben. Es scheinen auch mehr Menschen als früher meine Telefonnummer zu kennen, denn ich bekomme mit einem Mal Anfragen von Pubs, die mich bitten, bei ihnen aufzutreten. Die demütigende Zeit des Klinkenputzens scheint erst einmal vorüber zu sein. Während ich früher von Pub zu Pub tingeln musste und eine Absage nach der anderen kassiert habe, da meine Musik sich für einen feuchtfröhlichen Abend mit den besten Kumpels einfach nicht eignen würde, bin jetzt plötzlich ich es, der einigen Wirten eine Absage erteilen muss, da ich es zeitlich einfach nicht schaffe.

Mit einem Schlag scheint meine Karriere in Schwung gekommen zu sein, und ich hoffe, dass ich auf dieser Welle noch ein bisschen mitgetragen werde. Trotzdem brauche ich dringend neue Songs, und genau deshalb mache ich mich heute auf den Weg zum Arthur’s Seat. Dieser Berg inmitten des Holyrod Parks sieht aus, als wäre ein raues Stück der Highlands hier in die Stadt verpflanzt worden.

Diesen Ort empfand ich schon immer als einen besonders inspirierenden Platz inmitten dieser quirligen Metropole. Es beginnt bereits mit dem Aufstieg, denn wenn man den kleinen Bergpfad nimmt, trifft man hier wirklich wenige Touristen. Diese nehmen fast immer den weniger steilen und bequemeren Weg nach oben. Doch genau dieser Bergpfad gibt mir das Gefühl, in der schroffen Natur der Highlands unterwegs zu sein, und bietet traumhafte Ausblicke auf diese wunderschöne Stadt mit den bunten Häusern und engen Straßen, und dem Castle, das die ganze Stadt überragt. Wie sich am Horizont der Carlton Hill mit seinen griechischen Säulen erhebt, ist von hier oben einfach wunderschön.

Schon beim Aufstieg kommen mir durch die Eindrücke rund um mich herum unzählige Gedanken, die ich in meinen Songs verarbeiten möchte, weshalb ich immer meine Gitarre hier hochschleppe. Ein Touristenpärchen hinter mir mustert mich und meinen Gitarrenkoffer neugierig.

Spätestens wenn ich oben angekommen bin und der Wind um meine Ohren saust, bin ich bereit zu schreiben. Doch ich passiere zuerst die Basaltsäulen der Salomon Rips und genieße das Gefühl, dass ich auf dem alten Vulkan stehe, der diese Landschaft hier geformt hat. Ich fühle mich vollkommen frei.

Die Ideen surren durch meinen Kopf, schnell schnappe ich mir mein ausgefranstes Notizbuch, klemme es mir vorsichtig zwischen mein Knie und die Gitarre und zupfe die ersten Akkorde. Ich fühle mich, als wäre ich ganz allein, könnte endlich die Worte finden, die mir schon die ganze Zeit auf der Seele brennen.

Sitting here, looking back,Thinking of you all my life.You’re everything for me,And life without you just doesn’t feel right.

Your eyes shine bright,Like stars in the sky,and I can see your soul in them.Your eyes shine like diamondsBut they will never shine for me.

Sitting here, looking back,Thinking of you all my life.You’re everything for meAnd life without you just doesn’t feel right.

But your eyes will never shine for me,This I have to accept.Your eyes will never look at me,Like I want them to look at me.It’s so hard to accept,But I have to face the bitter truth.

Sitting here, looking back,Thinking of you all my life.You’re everything for meAnd life without you just doesn’t feel right.

But after all, I do not want to lose you,Your soul, your friendship,And that’s why I have to acceptThat you are everything for meBut will never belong to me,

My true love.

Die Worte kommen wie von selbst, die Akkorde sind einfach da, und es fühlt sich richtig an. Sobald das Lied beendet ist und ich mir schnell Notizen zu dem Song machen will, höre ich zwei Leute hinter mir klatschen. Erschrocken fahre ich herum. Das Touristenpärchen von vorhin hat den Aufstieg gemeistert, und die Frau sagt bewundernd mit einem französischen Akzent: »Wow, wenn so einen Song auch mal jemand für mich schreiben würde, den würde ich vom Fleck weg heiraten.«

Dabei schaut sie ihren Partner an, als würde sie direkt mit einem Heiratsantrag rechnen. Dann wendet sie sich wieder mir zu und hebt entschuldigend ihr Handy hoch: »Sorry, wir haben das auf Video. Eigentlich wollten wir nur die letzte Wegstrecke filmen, aber der Song war einfach perfekt. Und hey, wann hat man schon auf einem Berg Livemusik? Wir haben einen ganz gut laufenden Instagram-Account, dürfen wir da das Video hochladen?«

Um ehrlich zu sein, bin ich viel zu perplex, um zu widersprechen, und nicke einfach nur.

»Wir können es dir auch schicken. Du solltest es echt auf TikTok stellen, es ist einfach irre gut«, pflichtet ihr Freund ihr bei, weshalb ich ihnen schnell meine Nummer gebe.

»Wir schicken es dir, sobald wir wieder Netz haben«, versprechen mir die beiden noch und verabschieden sich winkend.

Irgendwie wurmt es mich, dass ein Song von mir in seiner Rohfassung irgendwo zu hören ist, aber wen sollte schon ein Song auf Instagram interessieren?

Irgendwann merke ich, dass es schon ziemlich spät ist und auch ich mich langsam auf den Rückweg machen sollte. Sobald ich unten wieder Netz habe, sehe ich eine Nachricht von einer mir unbekannten Nummer.

Die beiden haben wirklich Wort gehalten und mir das Video geschickt, zudem haben sie einen Link zu ihrem Instagram-Profil angehängt, auf den ich schnell klicke. Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf, denn die zwei scheinen das richtig professionell zu machen und haben unglaubliche 132.327 Follower. Das Video von meinem Song auf dem Berggipfel hat mittlerweile über zweitausend Likes und wurde schon über tausendmal geteilt. Auf meinem Instagram Account ploppen die Aboanfragen auf, und ich starre ungläubig auf mein Handy, das einfach nicht mehr aufhören will zu vibrieren. Was bitte ist hier auf einmal los?

Boulevard of Broken Dreams – Green Day

Maya

Ich bin vollkommen auf meine Atmung konzentriert und spüre, wie mein Körper sich mehr und mehr entspannt. Meine morgendliche Meditationsübung dauert nicht länger als zehn Minuten, und ich nehme mir diese Zeit schon seit Jahren für mich selbst, da ich anschließend viel besser und konzentrierter in den Tag starte. Colin weiß das, und so fahre ich erschrocken zusammen, als er mich plötzlich an der Schulter schüttelt. Etwas unwirsch nehme ich meine Kopfhörer aus den Ohren und drehe mich zu ihm um.

»Sorry, ich wollte dich nicht bei deinem esoterischen Quatsch stören, aber ich komme heute Abend sicher erst sehr spät nach Hause. Wir haben noch einen wichtigen Termin.«

Noch vor einem Jahr hätte ich gewusst, um welchen Termin es sich dabei handelt, denn es gab tatsächlich eine Zeit in unserer Ehe, in der wir sehr viel miteinander gesprochen haben. Inzwischen werde ich lediglich informiert und fühle mich daher aus dem Leben meines Mannes ausgeschlossen.

»Alles in Ordnung?«, frage ich deshalb nach. »Was denn für einen Termin?«

Colin seufzt und verdreht dabei sichtlich genervt die Augen. »Das würde jetzt echt zu weit führen, dir das zu erklären. Hab einen schönen Tag, bye!«

An die Fortführung meiner Meditation ist nicht mehr zu denken, zu sehr belasten mich die Gedanken an meine Ehe. Wann genau wurde sie so, wie sie jetzt ist? Wie soll das in ein paar Jahren aussehen? Wird Colin mich dann überhaupt nicht mehr wahrnehmen?

Seufzend stehe ich auf, rolle meine Matte ein und verstaue sie in meiner Ankleide. Ich brauche das alles nicht. Dieses große Haus, das mir seit einiger Zeit so unpersönlich erscheint. Das teure Auto, die Designermöbel im Wohnzimmer, die Colin vor einem Jahr unbedingt wollte, um damit vor seinen Kollegen angeben zu können. Meinen Einwand damals, dass wir das alles doch gar nicht bräuchten, hat er nicht ernst genommen. Inzwischen komme ich mir beinahe selbst vor wie eine seiner Trophäen, die er vorzeigen kann.

Ich hätte viel lieber noch unser altes Wohnzimmer, das ich damals mit viel Liebe im skandinavischen Stil eingerichtet hatte und das ihm mit einem Mal nicht mehr gut genug war. Aber damals waren wir beide echt und unsere Gefühle füreinander auch.

Mit diesen düsteren Gedanken im Kopf mache ich mich auf den Weg zu meinem Café. Sobald ich an den bunten Häuserfassaden des Grassmarket entlangschlendere, merke ich, wie sehr ich diese Stadt liebe. Sie ist in den letzten fünf Jahren wirklich mein Zuhause geworden. Natürlich bin ich am Anfang nur nach Schottland gekommen, um einmal etwas anderes zu sehen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich in meinem Work-and-Travel-Jahr hier hängen bleiben würde. Doch jeden Morgen holte sich damals Colin seinen Kaffee genau in dem kleinen Laden, in dem ich gearbeitet habe. Nach zwei Wochen hat er mich dann zu unserem ersten Date eingeladen und sich richtig ins Zeug gelegt.

Erst waren wir in einem superromantischen kleinen Restaurant in der Altstadt essen, das in einem kleinem Gewölbekeller eines dieser alten Stadtpalais hier untergebracht war. Alles war wie im Bilderbuch, die kleinen Tische, gedeckt mit weißen Tischdecken und Kerzen darauf, die heimelig flackerten. Danach hat er meine Hand genommen und mir noch die Altstadt mit ihren romantischen Gassen gezeigt, um mich dann zu küssen. Niemals hätte ich gedacht, dass sich der Mann von damals, der immer versucht hat, mir eine Freude zu machen und mir alle Wünsche von den Augen abzulesen, in den Mann verwandeln würde, mit dem ich jetzt verheiratet bin.

Natürlich bin ich nicht so einfältig zu denken, dass sich nicht auch die Gewohnheit in eine Beziehung schleicht. Dass nach fünf Jahren der Himmel nicht mehr ständig voller Geigen hängt und er mich jeden Tag mit einem Strauß Blumen überrascht, ist klar, aber er könnte wenigstens noch mit mir reden, sich für mich interessieren. Nur leider besteht von seiner Seite aus daran kein Interesse mehr, und das schmerzt mich trotz allem immer noch.

Kurz nach unserer Hochzeit hat er eine Stelle bei einer großen Bank in der Innenstadt angenommen. Vor drei Jahren wurde er dann zum Gruppenleiter befördert, und seit diesem Zeitpunkt hat sich Colin nach und nach verändert. Mit einem Schlag wurde die Arbeit zum Allerwichtigsten, und die Zeit mit mir rückte in den Hintergrund.

Ab diesem Punkt wurde es für ihn immer wichtiger, nach außen zu wirken, und er kaufte das Haus in Southside, dabei wollte ich lieber in unserer kleinen Wohnung in der Altstadt nahe meinem Café bleiben. Die Wohnung hatte einen Balkon, von dem aus man auf den Carlton Hill mit den griechischen Säulen sah, wundervolle hohe Decken, wie man sie nur in einem Altbau findet, und hohe Türen, die ich zur Weihnachtszeit immer mit Mistelzweigen geschmückt habe.

Damals waren wir wirklich glücklich! Wenn ich den Zeitpunkt, an dem das Schweigen zwischen uns angefangen hat, bestimmen müsste, würde ich sagen, dass dieser kurz nach unserem Umzug liegt. Ab da war Colin nicht mehr auf ein gemeinsames Familienleben mit mir, sondern nur noch auf seine Karriere fixiert. So oft frage ich mich, warum es so gekommen ist und ob ich es hätte ändern können.

Während ich in Gedanken versunken meinen Schlüssel aus meiner Handtasche wühle, fällt mir der Obdachlose auf, der schon seit einigen Tagen auf einem Pappkarton schräg gegenüber von meinem Café sitzt. Obwohl es Juli ist, hat es hier am Morgen nicht mehr als sechzehn Grad, und der Mann sieht einfach nur müde und abgekämpft aus. Im Vorbeigehen werfe ich immer zwei Pfund in die Mütze, die er vor sich auf den Bürgersteig gelegt hat.

Ohne zu zögern, betrete ich das Café, schalte die Kaffeemaschine an und bereite dort einen großen Cappuccino vor, packe zwei Zimtschnecken ein, belege einen Bagel mit Schinken, Tomatenscheiben und Salat und gehe zurück zu dem Mann, der sich seine Jacke fest um den Oberkörper geschlungen hat.

»Guten Morgen! Ich dachte, vielleicht mögen Sie einen Kaffee und etwas zu essen? Ich sehe Sie seit einigen Tagen hier sitzen und dachte, ich bringe Ihnen mal was vorbei«, spreche ich ihn schüchtern an.