Trust and Heal - Michelle C. Ahrens - E-Book

Trust and Heal E-Book

Michelle C. Ahrens

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Beschreibung

Kannst du lernen, wieder zu vertrauen?  Lea flieht nach einem traumatischen Erlebnis aus ihrer Heimatstadt, um in der schottischen Hauptstadt Edinburgh ihr Studium abzuschließen. Doch vor Ort stellt sich heraus, dass sie nicht wie geplant mit einer anderen Studentin, sondern mit dem oberflächlichen Rugbyspieler Liam zusammenwohnen wird: Ein Schock für Lea, die Männern nicht mehr vertrauen kann und diesen am liebsten weitläufig aus dem Weg geht. Da sie jedoch auf die Schnelle keine andere Bleibe findet, muss sie sich mit der Situation arrangieren. Liam treibt Lea mit Partys, One-Night-Stands und seiner Unordnung in den Wahnsinn und findet seinerseits seine zurückhaltende Mitbewohnerin schrecklich langweilig. Als dann aber Liams Traum von einer Profikarriere zerplatzt, ist es Lea, die ihn auffängt. Während Liams Körper langsam zu heilen beginnt, fügt sich auch Leas Seele wieder zusammen. Doch die schwerste Prüfung steht ihr noch bevor ...  Bist du schon einmal durch die romantischen Gassen von Edinburgh gelaufen oder träumst du davon? Dieser gefühlvolle Roman wird dich direkt wieder nach Schottland versetzen, Schmetterlinge im Bauch inklusive! 

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Seitenzahl: 480

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Trust and Heal

Die Autorin

Michelle C. Ahrens ist das Pseudonym zweier Schwestern, die mit ihren Familien, Hunden und Katzen in wunderschöner ländlicher Idylle leben. Wenn sie nicht gerade schreiben, verbringen sie am liebsten Zeit mit Freunden, mit denen sie bei einem Glas Wein und einer hausgemachten Lasagne über neue Ideen für ihre Bücher sprechen.

Das Buch

Kannst du lernen, wieder zu vertrauen? 

Im schottischen Edinburgh will Lea neuanfangen und die Vergangenheit hinter sich lassen. Doch vor Ort stellt sich heraus, dass sie nicht wie geplant mit einer anderen Studentin, sondern mit dem oberflächlichen Rugbyspieler Liam zusammenwohnen wird. Ein Schock für Lea, die Männern nicht mehr vertrauen kann und diesen am liebsten weitläufig aus dem Weg geht. Da sie jedoch auf die Schnelle keine andere Bleibe findet, muss sie sich mit der Situation arrangieren. Liam treibt Lea mit Partys, One-Night-Stands und seiner Unordnung in den Wahnsinn und findet seinerseits seine zurückhaltende Mitbewohnerin schrecklich langweilig. Als dann aber Liams Traum von einer Profikarriere zerplatzt, ist es Lea, die ihn auffängt. Während Liams Körper langsam zu heilen beginnt, fügt sich auch Leas Seele wieder zusammen. Doch die schwerste Prüfung steht ihr noch bevor ... 

Michelle C. Ahrens

Trust and Heal

Eine Liebe in Schottland

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin März 2022 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® E-Book-Konvertierung powered by pepyrus.com ISBN 978-3-95818-673-6

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Und morgen warten unsere Träume

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Liebe Leserin, lieber Leser,

in unserem Roman wird das Thema Vergewaltigung und deren psychische Folgen behandelt. Wir möchten hiermit darauf hinweisen, dass einige Szenen im Buch für Betroffene belastend und retraumatisierend wirken könnten.

Gedicht

»Trust I seek and I find in youEvery day for us something newOpen mind for a different viewAnd nothing else matters«

Metallica, »Nothing Else Matters«

Kapitel 1

Lea

Das darf einfach nicht wahr sein! Das Zimmer sah im Inserat viel größer aus! Natürlich war mir vorher klar, dass es klein sein würde, und ich weiß ja auch, wie teuer und schwierig es ist, ein Zimmer hier in Edinburgh zu bekommen. Jeder weiß das. Verzweifelt sehe ich mich um in dem Zimmer, das eine bessere Abstellkammer ist. Auf keinen Fall zehn Quadratmeter groß, wie in der Annonce behauptet worden war. Bestehend aus einer einzigen Dachschräge, einem ziemlich windigen Fenster, einem kleinen Einbauschrank, einem filigranen weißen Regal und einem Bett, das durch die Dachschräge wenig Kopffreiheit zulässt. Wahrscheinlich werde ich mir jeden Morgen den Kopf anstoßen, sobald mich mein Wecker aus dem Schlaf reißt. Mit welchem Weitwinkelobjektiv wurden wohl die Fotos in der Wohnungsanzeige gemacht, frage ich mich immer wieder.

Im selben Moment, in dem ich gedanklich durchrechne, wie oft ich mir wohl beim Aufstehen den Kopf stoßen werde, durchzuckt mich der Gedanke, dass es irgendwie auch egal ist, wie man in einen Tag startet, da derart banale Momente keine Rolle mehr für mich spielen. Ich bin hierhergekommen, um neu durchzustarten und das Vergangene, soweit es möglich ist, hinter mir zu lassen.

»Denk einfach an das, was jetzt ist, und nicht immer nur an das, was war! Fang an, wieder im Hier und Jetzt zu leben«, hatten meine Eltern und mein älterer Bruder Johannes mir monatelang erfolglos einzutrichtern versucht. Wie soll das gehen? Das, was war, kann ich einfach nicht vergessen. Und macht uns nicht auch all das Unschöne, das wir erlebt haben, zu dem Menschen, der wir heute sind? Und bei mir ist es nun mal das, was ich jetzt bin. Unschlüssig drehe ich mich in dem kleinen Zimmer um.

»Es ist halt eine bessere Abstellkammer«, gebe ich kleinlaut gegenüber Megan, meiner neuen Mitbewohnerin, zu bedenken, die lässig im Türrahmen lehnt.

»Es ist ein kleines, gemütliches Zimmer in superzentraler Lage«, betont sie bewusst optimistisch. »Man kann wirklich mit ganz wenig Aufwand wie etwas neuer Farbe, ein paar netten Bildern und ein paar Änderungen so viel daraus machen.«

Sie lächelt mich mit ihren perfekten weißen Zähnen an, fährt sich mit ihren manikürten Händen selbstbewusst durch ihre langen Haare und schaut mich dabei aufmunternd an. Sie ist der Typ Frau, mit dem ich wahrscheinlich in meinem ganzen Leben keine Gemeinsamkeiten haben werde. Groß, mit langen, lockigen blonden Haaren, perfekt gestylt, geschminkt und mit Gelnägeln. Alles an ihr wirkt unecht, wie aus einem Werbespot. Ich frage mich, wie man mit diesen Krallen überhaupt noch normal auf einem Computer tippen kann oder Alltägliches, wie den Müll rausbringen oder die Spülmaschine ausräumen, bewerkstelligen will.

Natürlich weiß ich, dass mir gar nichts anderes übrig bleibt, als mich mit diesem Zimmer zu arrangieren. Den Mietvertrag habe ich schon vor Wochen in Deutschland unterschrieben. Voll Grauen erinnere ich mich noch an die Suche nach einer Bleibe, bei der mir schnell klar wurde, dass es hier nicht viel Auswahl gibt.

»Okay, dann werde ich das mal versuchen«, lächle ich tapfer und stolpere prompt bei dem Schritt, den ich bei dieser Aussage mache, über meinen 23 kg schweren Koffer. Ich kann mich gerade noch fangen, und Megan sieht mich an, als wäre ich der ungeschickteste Trampel, der ihr je unter ihre strahlend blauen Augen gekommen ist.

»Supi, dann wäre das ja geklärt«, trällert sie fröhlich.

Die ganze Wohnung ist nicht besonders groß, nur ca. 35 Quadratmeter. Gleich von der Haustüre geht es durch einen winzig kleinen Vorraum, der in der Anzeige als Flur beschrieben wurde, in das kleine Wohnzimmer mit einer integrierten Küchenzeile, die versteckt hinter einer Wand liegt. Das hat zur Folge, dass die Küche bloß ein 1,5 Meter breiter Schlauch ist. Der Esstisch muss wahrscheinlich deshalb sein trauriges Dasein in einer dunklen Nische des Wohnzimmers fristen. In der »großzügigen Küchenzeile«, wie es im Inserat formuliert war, wäre für ihn sicher kein Platz mehr gewesen. Der gesamte Fußboden ist mit einem ehemals wohl flauschigen Veloursteppich in einem furchtbar hässlichen Grün ausgelegt, der alles noch mal kleiner erscheinen lässt. Ein heller Fußboden hätte hier wohl wahre Wunder bewirkt. In Gedanken mache ich mir eine Notiz, dass ich über diesen Fußboden niemals ohne Hausschuhe laufen werde. Wer weiß, wie viel Fußpilzkulturen in ihm schon auf einen neuen Wirt warten. Igitt! Als hätte Megan meine Gedanken erraten, folgt sie meinem Blick auf den Teppich: »Leider kann man den Teppich nicht rausreißen, denn der Vermieter duldet das nicht.« Sie zuckt gelangweilt mit den Schultern.

Mein Zimmer geht direkt vom Wohnzimmer ab. Danach kommt ein weiterer winziger Flur, das kleine Badezimmer, das aus einer Dusche, einem Waschbecken und einem alten Klo besteht. Auf den ersten Blick fällt mir ein breiter Riss im Waschbecken auf. Über der Dusche hat sich die Tapete bereits gelöst und gibt den Blick auf einen großen schwarzen Schimmelfleck frei. Gegenüber vom Bad ist Megans Zimmer. Da die Tür geschlossen ist, kann ich mir keinen Eindruck von diesem Raum verschaffen.

Auch wenn die Wohnung ganz und gar nicht das ist, was ich mir vorgestellt habe, muss ich daraus jetzt das Beste machen, denn ich habe mir fest vorgenommen, hier in Edinburgh von vorne zu beginnen und meinen Master in Englischer Literatur zu machen, zu dem ich in Deutschland einfach nicht mehr in der Lage war. Natürlich weiß ich, dass dieser Neuanfang nicht leicht wird, und ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich bereit dazu bin. Aber nachdem ich mich monatelang bei meinen Eltern verschanzt hatte, musste ich endlich wieder anfangen zu leben, denn alles anderes hätte auch sie zerstört. Das wurde mir mit jedem Tag, an dem meine Mutter mich besorgt fragte, ob sie mir helfen könne, immer bewusster. Deshalb habe ich mir fest vorgenommen, das hier durchzuziehen und einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu setzen. Gedankenverloren starre ich in den Badezimmerspiegel, der in der rechten unteren Ecke einen blinden Fleck aufweist. Man sieht mir die Anstrengungen der letzten Monate deutlich an. Meine langen, lockigen braunen Haare hängen glanzlos und schlaff herunter, und meine grauen Augen haben völlig ihr Strahlen verloren.

Megan, die unter der Tür stehen geblieben ist, holt mich zurück in die Gegenwart, indem sie in hartem schottischem Dialekt vorschlägt: »In der Straße unten sind einige Take-away-Restaurants; wenn du willst, können wir uns schnell was holen. Du bist sicher von der Reise noch völlig erschossen.«

»Ja, gerne. Das ist eine gute Idee.«

So viel Einfühlungsvermögen hätte ich ihr irgendwie gar nicht zugetraut. Nach einem schnellen Blick auf ihre Uhr meint sie nur, dass sie noch eine Stunde Zeit hat, bevor sie ihr Freund abholt, und sie mir noch einige Infos über meine Wohnsituation geben müsste. Das klingt jetzt wieder mehr nach einer Pflichtveranstaltung und nicht mehr nach »Ich möchte meine neue Mitbewohnerin kennenlernen«. Mein Handy vibriert und zeigt den Eingang der sechsten WhatsApp-Nachricht meiner Mutter an, die mich besorgt fragt, ob ich mittlerweile gut angekommen sei. Schnell tippe ich ihr kurz zurück, dass ich jetzt bei meiner Wohnung bin und mich später nach dem Essen bei ihr melden würde. Seit dem Tag, als ich wieder zu meinen Eltern nach Hause gezogen bin, war ich nicht mehr von ihr getrennt, und mir ist sehr wohl bewusst, dass sie sich Sorgen um mich macht. Einfach weil meine Mutter sich immer Sorgen macht. Aber auch mein Bruder und meine beste Freundin Anja haben mir schon geschrieben und sich erkundigt, wie es mir geht. Es fällt mir verdammt schwer, ohne diese Menschen hier einen Neustart zu wagen, waren sie doch in den letzten Monaten immer für mich da. Außerdem waren sie es, die mich immer wieder gezwungen haben aufzustehen. Deshalb schreibe ich ihnen ebenfalls, dass bei mir alles gut ist und ich mich später ausführlich melden werde.

Bei dem kleinen indischen Take-away am Eck holen wir uns etwas zu essen. Megan studiert lange die Karte, um mir dann zu erklären, dass sie sich natürlich komplett vegan ernährt, und bestellt sich danach ein Linsen-Curry. Fast habe ich ein schlechtes Gewissen, als ich mein Chicken Tikka Masala entgegennehme und den strafenden Blick von Megan sehe.

»Also, es ist so, dass sich, seitdem wir bezüglich der Wohnung geskypt haben, einiges bei mir verändert hat«, trällert Megan fröhlich los, während wir durch die engen Gassen Edinburghs zurück zu unserer Wohnung schlendern.

Oh mein Gott, was will sie mir jetzt wohl mitteilen, denke ich, als sie schon zum Punkt kommt.

»Mein Freund hat mich nämlich gefragt, ob ich bei ihm einziehen möchte. Und natürlich habe ich Ja gesagt. Aber die supergute Nachricht ist, dass ich bereits einen Nachmieter für die Wohnung habe, und er auch mit dir als Mitbewohnerin einverstanden ist.«

Mir fällt fast die Kinnlade herunter. Was zur Hölle will sie mir mitteilen, gerade während wir unser Essen nach Hause tragen? Ein Mann als Mitbewohner? Das kommt für mich einfach nicht infrage. In den letzten Monaten hatte ich schon Probleme, mich mit Männern – außer meinem Bruder – zu unterhalten. Nein, das kann ich einfach nicht!

»Was meinst du damit? Verdammt, hättest du mir das nicht ein bisschen früher mitteilen können. Dann hätte ich mir etwas anderes gesucht«, fahre ich sie mit bebender Stimme an.

»Für dich ändert sich ja nichts. Die Miete bleibt gleich hoch, und Liam ist ein echt netter Kerl. Er ist im Rugby-Team meines Freundes. Du wirst ihn mögen, alle Mädels mögen ihn. Wenn du verstehst, was ich meine …« Dabei zwinkert sie mir mit ihren perfekten langen Wimpern zu, als wollte sie mir mitteilen, dass die Entwicklung der Ereignisse wirklich ein Sechser im Lotto für mich ist. »Also die Mädels von der Uni würden bestimmt gerne mit dir tauschen«, schiebt sie grinsend hinterher.

Das kann ja sein, nur würde ich aktuell lieber in einem Erdloch im Wald hausen, als mir mit einem unbekannten Typen die Wohnung zu teilen. Nicht, nachdem mich schon Angstzustände überkommen, wenn nur jemand, den ich nicht kenne, zu nahe hinter mir steht. Meine Hand ist schon völlig nass geschwitzt, und ich merke, wie in meinem Kopf die Bilder hochschießen, die ich seit Monaten auszublenden versuche. Das hier darf doch einfach nicht wahr sein! Am liebsten würde ich auf der Stelle gehen, nach Hause fahren zu meinen Eltern, mich in meinem Zimmer verkriechen, die Decke über meinen Kopf ziehen und nie wieder aufstehen.

So ruhig wie möglich versuche ich ein- und auszuatmen. »Sorry, aber ich kann das nicht!«, platze ich heraus. »Ich kann einfach nicht mit jemandem zusammenwohnen, den ich nicht kenne. Ich werde mir so schnell wie möglich eine neue Bleibe suchen.« Ich hoffe, dass meine Stimme nicht so zittrig klingt, wie ich mich innerlich fühle.

»Ich finde, du machst ein Drama, wo gar keins ist!«, fährt sie mich unwirsch an, während wir die Treppen zu unserer Wohnung hochlaufen. »Du kennst mich ja auch nur von den zwei Malen, in denen wir geskypt haben, und Liam ist wirklich cool und, um ehrlich zu sein, auch ziemlich heiß.« Sie grinst mich wieder an und schiebt, während wir uns an den kleinen Esstisch setzen, noch schnell hinterher: »Aber erzähl das bloß nicht meinem Freund.«

Mir ist der Appetit gründlich vergangen. Mein Magen besteht nur noch aus einem einzigen Knoten.

»Weißt du, wie wir es machen: Du lernst ihn morgen Nachmittag erst mal kennen. Außerdem bekommst du zum Semesterstart eh keine Unterkunft mehr. Es wird dir also nicht anderes übrig bleiben, als es zu versuchen, denn ich ziehe zur Monatsmitte definitiv aus«, betont sie nüchtern und schiebt sich mit dem Löffel eine Portion ihres Currys in den Mund.

Unser kurzer Blickkontakt wird durch das Schrillen der Klingel unterbrochen, und Megan schaut schnell auf die Uhr. »Oh, das wird Ian sein. Du entschuldigst mich.«

Sie schnappt sich schnell ihre Jacke, zieht vor dem Spiegel noch ihren Lipgloss nach, schwebt perfekt gestylt zur Tür und verschwindet. Was zurückbleibt, bin ich mit meiner Verzweiflung, mit meinem Knoten im Magen und dem Loch, in das ich gerade wieder falle. Mit zitternden Händen nehme ich mein Handy und starte einen Videoanruf bei meiner Mutter, bevor die Verzweiflung mich ganz und gar übermannt.

»Hallo, mein Schatz!« Als ob meine Mutter geahnt hätte, dass ich sie jetzt anrufen werde, ist sie schon nach dem ersten Klingelzeichen auf meinem Display zu sehen. »Wie ist Edinburgh denn so und die Wohnung und deine Mitbewohnerin?«

Schon bei dieser Frage schießen mir die Tränen in die Augen, und ich versuche mir so gut es geht meine Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, weil mich nun mal kein Mensch auf der ganzen Welt so gut kennt wie meine Mom. Schnell fasse ich ihr deshalb konfus zusammen, was mir Megan alles mitgeteilt hat.

»Lea, so schwer diese Situation jetzt auch für dich ist, du musst versuchen, dich mit ihr zu arrangieren. Natürlich weiß ich, dass das für dich unendlich schwer ist, das möchte ich auch überhaupt nicht kleinreden, doch irgendwann musst du es versuchen«, meint meine Mutter mitfühlend. »Ich kann das vollkommen verstehen, dass du dir eine andere Wohnung suchen möchtest. Bloß befürchte ich, dass du keine finden wirst. Du weißt ja, was das für ein Theater war.« Wie immer trifft sie mit wenigen Worten den Nagel genau auf den Kopf. »Und dass du Angst hast, verstehe ich natürlich auch«, fährt sie sanft fort. »Aber du musst wirklich versuchen, daran zu arbeiten, Männern gegenüberzutreten, ohne immer vom Schlimmsten auszugehen. Vielleicht solltest du das Thema Selbsthilfegruppe jetzt wirklich einmal angehen. Wir haben da doch schon so oft drüber gesprochen.«

Nachdem meine Mutter aufgelegt hat, versuche ich das zu tun, womit sich bei mir die Panik am besten bekämpfen lässt. Ich schrubbe das Waschbecken, die Dusche und das Klo mit dem Reinigungsmittel, das ich im Bad finde. Immer eine kleine Aufgabe suchen, die einem Sicherheit gibt und bei der man am Ende den Erfolg sieht. Das zumindest habe ich in irgendwelchen Selbsthilfeforen über Panikattacken gelesen. Danach beziehe ich mein Bett und versuche auf meinem E-Book-Reader in eines meiner Lieblingsbücher, Jane Eyre, abzutauchen. Doch ich kann mich nicht auf die mir so vertrauten Sätze des Buches konzentrieren. Daher lasse ich das E-Book frustriert auf mein Bett fallen und blicke aus dem Fenster mit dem abgeblätterten Rahmen, gegen das der Regen grau und kalt trommelt. Edinburgh heißt mich wirklich nicht mit offenen Armen willkommen.

Kapitel 2

Liam

Oh Shit, ich bin verdammt spät dran. Megan und ich hatten gestern 17:00 Uhr vereinbart, um uns wegen der Wohnung und ihrer neuen Mitbewohnerin – besser gesagt: meiner neuen Mitbewohnerin – zu treffen. Aber ich hatte vorher noch Training. Deshalb muss ich mich jetzt echt beeilen und habe keine Zeit zu verlieren. Da ich nicht auf die Fahrdienste meines Bruders angewiesen sein möchte, ist der Bus, der mir gerade fast vor der Nase wegfährt und den ich nur durch einen rekordverdächtigen Sprint erreiche, wohl meine einzige Chance, noch einigermaßen pünktlich zu sein. Aber wahrscheinlich hätte Michael sowieso keine Zeit gehabt, mich zu fahren, da er fast immer arbeitet und für seine Stelle als Assistenzarzt im Krankenhaus sein komplettes Privatleben aufgegeben hat.

Die Wohnung liegt in einer kleinen Seitenstraße. Perfekt, da sich am Grassmarket ein Pub an das andere reiht und auch das Stadtzentrum mit allen Clubs zu Fuß leicht zu erreichen ist. Also DIE perfekte Wohnung, wenn man abends gerne einen draufmacht. Das einzig Blöde ist, dass sie im vierten Stock ohne Aufzug liegt. Mein Trainer wäre begeistert über diese zusätzliche Laufeinheit, aber meine Laune ist schon im Keller, bevor ich an der Wohnungstür angekommen bin und auf die Klingel drücke. Megan ist supercool und seit zwei Jahren mit unserem Außenverteidiger Ian zusammen. Innerlich hoffe ich natürlich, dass sie sich eine Mitbewohnerin gesucht hat, die so aussieht wie sie. Obwohl ich natürlich niemals etwas mit meiner Mitbewohnerin anfangen würde. Die würde ich ja nie wieder loswerden, wenn sie mich nervt. Und das tun sie ja alle irgendwann. Aber man darf ja wohl noch gucken!

Megan öffnet mir die Tür und sieht wie immer zum Anbeißen aus. Ich umarme sie und blicke über ihre Schulter in die Wohnung.

»Das ist Lea, deine neue Mitbewohnerin«, flötet sie mir betont fröhlich ins Ohr, als sie sich aus unserer Umarmung löst.

Auf dem Sofa sitzt in einem Oversize-Kapuzenpulli eine unscheinbare junge Frau mit langen braunen Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hat. Sie hat große graue Augen, und ihr verkrampfter Kiefer mit den zusammengepressten Lippen sieht nicht so aus, als würde sie sich über unsere Begegnung freuen. Sie steht auf, hält mir ihre Hand hin und begrüßt mich mit einem leisen »Hey, ich bin Lea«, wobei sie jeden Blickkontakt vermeidet. Der Akzent ist unüberhörbar, und ich frage mich, wie man so schüchtern sein kann. Sie wirkt dünn, zerbrechlich und nicht gerade wie jemand, mit dem man so viel Spaß haben kann wie mit Megan.

»Liam«, antworte ich deshalb knapp, als ich ihre zarte Hand schüttle.

Mein Blick gleitet an ihr hinab, und ich verstehe die Welt nicht mehr. Warum hat Megan sich denn eine Mitbewohnerin wie die ausgesucht? Damit sie selbst noch mehr auffällt? »Also wir werden dann wohl ab Mitte des Monats zusammen hier wohnen«, sage ich lahm.

Eigentlich wollte ich einen nüchternen und unverfänglichen Ton anschlagen, aber ich merke selbst, dass das etwas zu gönnerhaft rüberkam. Miss Brav wird sich wohl an so einige Partys gewöhnen müssen. Na, vielleicht taut sie ja dann auch mal auf. Schon bei dem Gedanken daran muss ich schmunzeln. Meine Kumpels werden sie so verarschen, wenn sie nicht ein bisschen lockerer wird. Hoffentlich weiß sie überhaupt, wie das Wort SPASS geschrieben wird. Obwohl ich mir das nicht wirklich vorstellen kann. Sie sieht nicht nach Partys und Spaß aus, eher nach Jahrgangsbeste und Nerd. Aber egal, von dieser Kleinigkeit werde ich mir diese perfekte Wohnung nicht versauen lassen. Aus diesem Grund ist mir relativ egal, wie sich Miss Brav mit mir arrangiert, denn schließlich bin ich der Hauptmieter. Sie hat also zwei Möglichkeiten: sie akzeptiert, wie ich lebe, oder sie lässt es und sucht sich eine andere Bleibe, was hier auf die Schnelle so gut wie unmöglich ist. Seitdem ich in dieser Stadt studiere – oder besser gesagt: seitdem ich wegen des Sportangebots hergekommen bin, wohne ich bei meinem Bruder.

»Du machst hier deinen Master in Englisch, hat Megan mir erzählt«, versuche ich ein unverfängliches Gespräch zu starten.

»Ja, in Englischer Literatur. Ich bleibe ein Jahr hier«, erwidert sie schüchtern.

Wieso schaut sie mir, wenn wir uns unterhalten, nicht mal richtig in die Augen? Ich kann nur hoffen, dass sie noch aus sich rausgeht, weil sonst wird das hier eine zähe Angelegenheit.

»Ich studiere BWL. Aber vor allem bin ich hier, weil ich einen Platz in der Unimannschaft des Rugbyteams bekommen habe und die echt gut sind.«

»Hört sich nett an«, antwortet Lea leise. »Mit Rugby kenne ich mich leider gar nicht aus.«

Tja, wer hätte das gedacht, denke ich mir. Ich kann mir die unscheinbare Deutsche auch eher bei einem Treffen des örtlichen Kirchenchors vorstellen als mit einer Dose Bier auf der Zuschauertribüne.

»Klar, ihr Deutschen seid eher die Fußballnation. Für Rugby braucht man echte Männer«, versuche ich einen lahmen Scherz, der Leas Mundwinkel nicht einmal zum Zucken bringt. »Ich bin daher ziemlich viel unterwegs, da ich nach der Uni dreimal pro Woche Training habe und an den Wochenenden natürlich immer ein Spiel. Du wirst mich gar nicht so oft zu Gesicht kriegen.«

»Das ist egal«, antwortet Lea. »Ich werde mich sowieso nach einer anderen Wohnmöglichkeit umschauen.«

»Okaaaayy«, antworte ich überrascht. »Findest du mich so abstoßend?«, schiebe ich nach. Meine männliche Eitelkeit würde das nämlich nur schwer verkraften.

»Das hat mit dir als Person überhaupt nichts zu tun. Ich möchte bloß nicht mit einem Mann eine Wohnung teilen müssen. Deshalb hatte ich mich ja auch für Megan als Mitbewohnerin entschieden. Gleich morgen wende ich mich an die Uni, vielleicht können die mir bei der Wohnungssuche behilflich sein.«

Fast muss ich laut losprusten, verkneife mir das aber in letzter Sekunde. Soll sie doch selbst herausfinden, dass ihr gar nichts anderes übrig bleibt, als sich mit mir zu arrangieren. Nicht mit Männern zusammenleben, geht’s noch? Betont gleichgültig zucke ich daher mit den Schultern und wende mich Megan zu, die graziös am Türrahmen lehnt und der diese Lea auch ziemlich auf den Senkel zu gehen scheint.

»Wie schaut’s aus heute Abend?«, frage ich. »Ian und die Jungs wollen noch in die Sportsbar. Hast du Lust mitzukommen?«

»Klar, ich bin dabei«, grinst Megan. Nach einer kurzen Pause wendet sie sich an meine zukünftige Mitbewohnerin. »Ähm, du kannst selbstverständlich mitkommen, wenn du möchtest.«

»Auf keinen Fall, danke«, antwortet Lea hastig. »Ich bin wirklich erschöpft, mir steckt die Reise noch in den Knochen.«

Unwillkürlich rolle ich mit den Augen. Als ob sie zu Fuß von den »Krauts« nach Schottland gewandert wäre. Aber ich bin heilfroh, dass sie sich uns nicht anschließt. Mit Lea geht mir schon nach gefühlten zehn Sekunden der Gesprächsstoff aus.

»Ich bin in fünf Minuten wieder da«, verkündet Megan und flitzt in ihr Zimmer.

Lea und ich sehen uns an. Endlose Sekunden vergehen, in denen mir auffällt, dass in der Ecke ein total verstaubter Gummibaum vor sich hin welkt und dass von den Fensterrahmen die Farbe abblättert.

»Okay, bis dann«, sagt Lea knapp und versucht, in möglichst großem Bogen um mich herum aus dem Zimmer zu gelangen.

So etwas Deprimierendes wie die ist mir in meinem Leben noch nicht begegnet. In Deutschland werden ihre Familie und ihre Freunde, so sie denn überhaupt so etwas hat, sicher ein Freudenfeuerwerk gezündet haben, als sie mit ihrer negativen Aura das Land verlassen hat.

»Tadaaaaa, ich bin fertig, wir können los«, ertönt fröhlich Megans Stimme. Als ich mich umdrehe, verschlägt mir ihr Anblick fast den Atem: ein superkurzer schwarzer Ledermini und hochhackige Stiefel! Ian ist schon ein Glückspilz. Wohingegen ich mit Lea vorliebnehmen muss. Diese sieht Megan mit hochgezogenen Augenbrauen an. Klar, solche Klamotten hat die bestimmt nicht im Schrank.

»Also, wir sind dann mal weg. Ich komme in den nächsten Tagen mal vorbei, um meine Sachen abzustellen. Viel ist es nicht, mach dir da keine Gedanken. Also, man sieht sich. Bye!« Mit einem lässigen Winken öffne ich die Wohnungstür und gehe raus, ohne mich noch einmal nach ihr umzudrehen.

Kapitel 3

Lea

Als die Wohnungstür ins Schloss fällt, lasse ich mich erschöpft an der Wand nach unten sinken. Liam muss mich für die letzte Spießerin halten, aber das ist mir auch egal. Meinen Start in Edinburgh hatte ich mir ganz anders vorgestellt! Vielleicht mit meiner neuen Mitbewohnerin einen Cidre trinken, nachdem ich einen kleinen Rundgang durch diese superschöne Stadt gemacht habe. Ein bisschen erzählen, wo ich herkomme. München kennt ja schließlich jeder. Stattdessen ruft das Outfit, mit dem Megan eben losgezogen ist, in mir schlimme Erinnerungen wach. Ein kurzes rosa-weißes Dirndl mit extratiefem Ausschnitt, die Flyer, die ich für die After-Show-Party verteile und die verschwitzt in meiner Hand kleben, laute Musik im Bierzelt, Menschen, die auf Bierbänken zu lauter Schlagermusik tanzen. »Hölle, Hölle, Hölle«, dröhnt die Musik des Schlagers in meinem Ohr, all diese Bilder sind wieder in meinem Kopf, so als würde ich gerade dort stehen. Ich kann spüren, wie mein Atem immer unregelmäßiger wird und ich unkontrolliert zu zittern anfange. Ich schlinge meine Arme um meine Knie, um wenigstens ein bisschen Halt zu spüren, als die Panikattacke über mich hereinbricht.

Wie lange ich zitternd und weinend in der Ecke gekauert habe, weiß ich hinterher nicht mehr. Irgendwann beginnt sich mein Atem zu normalisieren, und ich bin in der Lage, aufzustehen und einen Schluck Wasser aus dem Wasserhahn zu trinken. Als hätte in meiner Heimatstadt München ein Alarm geläutet, beginnt mein Telefon zu vibrieren, und ich sehe eine verwackelte Aufnahme unseres Dackels Sissi. Meine Mutter hat ein perfektes Timing dafür, mich anzurufen, wenn es mir schlecht geht. Sie hat einfach den siebten Sinn.

»Hallo, Mama! Wie geht es euch?«, nehme ich das Gespräch mit brüchiger Stimme an.

»Was ist los, mein Schatz?«, fragt mich Mama sofort besorgt.

Was soll es, ich kann es ihr sowieso nicht verheimlichen. Und ich erzähle ihr einfach, dass ich nicht in der Lage bin, normal mit diesem Typen zu reden, dass ich einfach nicht weiß, wie ich damit umgehen kann.

»Jetzt beruhige dich erst einmal. Schau einfach, ob du eine andere Wohnung oder ein Zimmer im Studentenwohnheim findest. Es gibt für alles eine Lösung.«

Wir reden noch geschlagene dreißig Minuten, in denen meine Mutter immer wieder versucht, mich davon zu überzeugen, dass nicht jeder Mensch Schlechtes in sich trägt. Bevor wir uns verabschieden, nimmt sie mir noch das Versprechen ab, dass ich jetzt noch ein bisschen rausgehe, um mich wenigstens mit der Umgebung um den Grassmarket vertraut zu machen. Nachdem ich mich etwas frisch gemacht habe, schnappe ich mir meine Jacke, meine Handtasche und meinen Schlüssel mit dem Vorsatz, mich endlich nicht mehr zu verstecken.

Es ist noch nicht spät am Abend, und es nieselt nur noch, als ich auf die Straße trete und mir spätsommerliche Luft entgegenschlägt, die bereits einen leichten Herbsthauch mit sich führt. Da der Grassmarket der Kern der Edinburgher Altstadt ist und sich hier unzählige Pubs, Geschäfte und Restaurants aneinanderreihen, sind die Straßen immer noch voll. Es herrscht eine quirlige und lebendige Atmosphäre. Das imposante Castle, welches sich über dem Grassmarket erhebt, sieht in der Beleuchtung und mit dem dunklen Abendhimmel, den Wolkenformationen und den glitzernden Sternen, die in den Wolkenlücken zu sehen sind, geradezu mystisch aus.

Gedankenverloren zücke ich mein Handy, um die Stimmung in einem Bild einzufangen, und trete dabei anscheinend instinktiv einen Schritt zurück. In diesem Moment höre ich noch das schrille Läuten einer Fahrradklingel, bevor ich schon den Reifen in meinen Kniekehlen spüre und zu Boden falle. Oh nein! Was habe ich jetzt schon wieder gemacht?, schießt es mir durch den Kopf, während ich mich aufrapple. Sofort bücke ich mich besorgt zu der Fahrradfahrerin, die bei dem Versuch, mir auszuweichen, gestürzt ist.

»Es tut mir so furchtbar leid! Ist alles okay?«, plappere ich aufgeregt los und halte dem Mädchen meine Hand hin.

»Ja, alles okay. Nichts passiert«, meint sie nur, während sie aufsteht und ihr Fahrrad begutachtet. »Du solltest bei deiner nächsten Stadtbesichtigung vielleicht ein bisschen den Verkehr im Auge behalten«, meint sie schmunzelnd, während sie mich von oben bis unten mustert.

Sie hat gar keinen schottischen Dialekt, sondern ihr Englisch klingt irgendwie anders.

»Sorry, ich bin erst seit einem Tag hier und wollte nur das Schloss fotografieren. Es tut mir echt total leid!«

»Ach, das kann doch jedem mal passieren! Schließlich ist das Castle auch wirklich beeindruckend.«

Sie lächelt mich so lieb an, dass ich mich traue weiterzureden: »Du klingst aber auch nicht so, als würdest du von hier kommen.«

»Nein, ich bin nur zum Studium hier. Ich komme aus Dänemark. Und sosehr ich mich auch anstrenge, den Akzent bekomme ich einfach nicht los«, erwidert sie lachend.

Mit ihrer offenen Art ist sie mir vom ersten Moment an sympathisch.

»Und du, weshalb bist du in Schottland?«, fragt sie mich.

»Auch zum Studium, Englische Literatur. Ich komme aus Deutschland.«

»Woher aus Deutschland?«, fragt sie mich interessiert.

»München. Also, es tut mir wirklich leid! Das nächste Mal passe ich besser auf! Versprochen.«

»Quatsch, jetzt hör endlich auf, dich zu entschuldigen. Ich studiere auch Englisch. Ich hab letztes Semester meinen Bachelor gemacht und beginne jetzt mit dem Masterstudiengang. Von daher kann es durchaus sein, dass du öfter in mich reinrennen wirst.« Sie grinst und streicht sich dabei ihren blonden Bob hinter die Ohren. »Ach wie cool, dann werden wir ja wahrscheinlich die gleichen Kurse haben.« Ich freue mich total, und es fühlt sich so an, als würde ein schwerer Stein von meinem Herzen fallen.

So unbefangen wie mit ihr habe ich mich schon lange mit keinem Fremden mehr unterhalten. Sie streckt mir ihre Hand entgegen und meint: »Na, dann sehen wir uns wohl öfter. Mein Name ist übrigens Ida.«

Ihr Händedruck ist fest, warm und lang. »Ich bin Lea.«

»Also, Lea, wohin wolltest du, bevor du entschieden hast, unbedingt auf dem Fahrradweg ein Foto vom Castle machen zu wollen?«

»Eigentlich wollte ich mich nur ein bisschen in der Gegend umsehen. Ich wohne zurzeit noch hier«, meine ich verlegen.

»Super Lage! Da hast du echt Glück, ich musste die ersten Monate hier in einem B&B in Portobello wohnen, weil ich kein Zimmer gefunden habe. Es war superteuer und richtig weit außerhalb. Obwohl sich meine Vermieter rührend um mich gekümmert haben, war ich dann doch ziemlich froh, als ich nach über zwei Monaten endlich ein Zimmer in einer WG bekommen habe. Ein echter Glücksfall! Der Student, der es vorher hatte, ist durch die Zwischenprüfung gerasselt, und das zum wiederholten Mal, und ist daraufhin zurück in die Highlands gezogen. Glück für mich, Pech für ihn. Der Wohnungsmarkt hier ist einfach grauenhaft! Alles überteuert, und auch wenn man bereit wäre, mehr zu bezahlen, gibt es einfach nichts. Hey, wenn du Lust hast, kann ich dir noch ein Café zeigen, in dem man echt leckere Zimtschnecken und tollen Kaffee bekommt, und ich sag das nicht nur, weil die Besitzerin aus Schweden kommt und wir Skandinavierinnen einfach zusammenhalten müssen.« Sie zwinkert mir zu, und mir bleibt gar nichts anderes übrig, als zu nicken. Ihr Charme ist überwältigend.

Sie schiebt ihr Fahrrad, während wir nebeneinander über den Grassmarket schlendern, vorbei an bunten Fassaden, urigen Pubs und einer kleinen Buchhandlung, an der ein altes gusseisernes Schild mit einem verschnörkelten Namen angebracht ist: The Armchair Books. Völlig verzaubert blicke ich auf die Auslage mit den Büchern.

»Die Buchhandlung ist echt süß«, höre ich Ida sagen.

»Ja, da werde ich mir wohl als Erstes ein paar Bücher zulegen, weil ich die meisten daheimlassen musste.«

»Oh, das kenne ich! Und auf dem E-Book-Reader ist es einfach nicht das Gleiche, oder?«

Bei dieser Antwort von Ida kann ich nur lächeln, da sie mir aus der Seele spricht. Zwei Häuser weiter kommen wir dann zu dem Café, und als wir die Türe öffnen, verstehe ich genau, was Ida gemeint hat. Die Inneneinrichtung besteht aus mit kariertem Stoff überzogenen Ohrensesseln und kleinen Tischchen und an den dunkelrot gestrichenen Wänden hängen wunderschöne Landschaftsaufnahmen. Mit einem freundlichen »Hej« begrüßt Ida die hübsche blonde Frau hinter dem Tresen, die wohl die Besitzerin ist.

»Hej hej«, antwortet diese. Das Café ist gut gefüllt, aber zum Glück bekommen wir noch einen Platz an einem kleinen Tisch in der Ecke. Mein Blick fällt auf ein Bücherregal.

»Das Bücherregal ist das Beste an dem Café. Hier gibt es nicht nur Zeitschriften, sondern richtig viele Bücher. Es sind sogar ein paar deutsche Bücher dabei. Dreimal darfst du raten, wer für die Dänischen verantwortlich ist«, meint Ida und zwinkert mir dabei verschwörerisch zu.

»Es ist wirklich total gemütlich hier«, schwärme ich.

»Manchmal sitze ich hier stundenlang, hole mir ein Buch, schmökere darin und genieße meinen Kaffee. Es ist nämlich gar nicht so einfach, in Schottland einen guten Kaffee zu bekommen, das kannst du mir glauben. Außer natürlich du stehst auf Starbucks. Den gibt es auch hier an jeder Ecke. Ich mag die Filialen nur nicht, weil sie, egal in welchem Land du bist, immer alle gleich aussehen«, erklärt mir Ida. Sie wird mir mit jedem Wort, das sie spricht, immer sympathischer, und ich bin froh, dass ich mich aufgerafft habe, die Wohnung zu verlassen.

Nach circa zwanzig Minuten kommt die Besitzerin an unseren Tisch. »Hej, Ida, sorry, dass ihr warten musstet! Leider ist meine neue Bedienung heute erst gar nicht erschienen, und ich habe auf die Schnelle keinen Ersatz gefunden«, stöhnt sie. Lächelnd nimmt sie unsere Bestellung auf, zwei Café au Lait und dazu Zimtschnecken.

Während wir uns unterhalten, merken wir gar nicht, wie lange es dauert, bis unsere Bestellung an unserem Tisch ist.

»Ida, wenn du jemanden aus der Uni kennst, der einen Job sucht, schick ihn bitte zu mir«, meint die Besitzerin zu Ida, als sie uns unsere Bestellung serviert. Kurz überlege ich, ob ich sagen soll, dass ich mir sowieso einen Job suchen will. Aber da ist sie wieder, meine Angst. Ich blicke mich in dem gemütlichen Café um. Keiner sieht hier gefährlich aus oder als wäre er nur hier, um sich zu betrinken. Der Laden ist übersichtlich, und wenn ich nicht allein hier arbeiten muss, dann wäre es vielleicht wirklich möglich für mich, diesen Job anzunehmen …? Die Tische sind weit genug voneinander entfernt, sodass ich mich nicht eng an Menschen vorbeischieben müsste. Oder? Ich ringe innerlich mit mir und knabbere auf meiner Unterlippe.

Kurz bevor die Besitzerin sich von unserem Tisch wegdreht, überwinde ich mich doch noch »Also ich wollte mir sowieso einen Job suchen«, stolpern die Worte aus meinem Mund. »Müsste ich allein arbeiten, oder wären wir immer zu zweit?«, frage ich unsicher.

»Also meistens bin ich im Laden, außer ich muss irgendwas in der Küche erledigen. Aber es ist hier alles ganz übersichtlich«, lautet die freundliche Antwort. »Studierst du wohl mit Ida zusammen Englisch? Du kommst aber nicht aus Dänemark, oder? Dein Akzent klingt nicht schottisch, aber definitiv auch nicht dänisch. Ich bin Maya.« Sie hält mir freundlich ihre Hand hin, und anscheinend ist ein warmer, freundlicher Händedruck etwas typisch Skandinavisches.

»Ich bin Lea und komme aus Deutschland«, antworte ich.

»Super, wenn du Lust hast, können wir es gerne ausprobieren, und du kommst einfach mal vorbei. Dann kannst du ja schauen, ob es was für dich wäre. Samstag wäre klasse. Ich schreib dir meine Handynummer auf, dann könntest du dich melden, wenn was dazwischenkommt. Um zehn Uhr machen wir auf, es würde reichen, wenn du zwanzig Minuten vorher da bist, dann kann ich dir noch alles zeigen«, schlägt Maya mir vor.

Als sie uns an unserem Tisch zurücklässt, grinst mich Ida breit an.

»Super, du hast eine Wohnung am Grassmarket und schon einen Job direkt ums Eck! Könnte schlechter für dich laufen, oder?« Ida ist so fröhlich, dass sogar ich grinsen muss. Ja, wer hätte das gedacht? Ich bin fast ein wenig stolz auf mich, diesen für mich so mutigen Schritt zu wagen.

»Ja, es könnte echt schlechter laufen«, erwidere ich deshalb und lächle in mich hinein. Die Gedanken an Liam und all die anderen Sorgen verdränge ich jetzt einmal kurz und genieße Idas vor Optimismus sprühende Präsenz.

Wir unterhalten uns noch eine gefühlte Ewigkeit und genießen die leckeren Zimtschnecken und den Kaffee. Mit Ida zu reden macht einfach Spaß und gibt mir das Gefühl, nicht ganz alleine in dieser Stadt zu sein. Es gibt nur wenig Menschen, zu denen man gleich so eine Verbindung hat. Als wir bezahlen und das Café verlassen, ist es schon spät, und da Ida den gleichen Weg einschlägt wie ich, muss ich nicht einmal ohne Begleitung durch die Dunkelheit laufen.

Natürlich ist Megan noch unterwegs, als ich die dunkle Wohnung betrete. Schnell schalte ich alle Lichter an, dusche und gehe ins Bett.

Doch wie immer suchen mich die alten Bilder im Traum heim. Es sind verzerrte Bilder von Menschen, die auf Bierbänken tanzen, Körper, die sich an mich drängen, und die darauf folgende Dunkelheit. Schweißgebadet schrecke ich hoch mit dem Drang, einfach nur davonzurennen, und stoße mit dem Kopf schmerzhaft gegen die Dachschräge. Der Blick auf mein Handy zeigt, dass es erst drei Uhr morgens ist. Weil ich Angst habe, die Augen wieder zu schließen, schnappe ich mir meinen E-Book-Reader und lese.

Am nächsten Morgen bin ich völlig gerädert, als ich mich auf den Weg in die Uni mache. Ida hat versprochen mir heute schon mal alles zu zeigen. Außerdem habe ich als Allererstes bei der Uni angerufen und gefragt, ob vielleicht ein Zimmer in einem der Studentenwohnheime frei sei. Die Frau am anderen Ende meinte nur lapidar, sie könne mich auf eine Warteliste setzen. Allerdings müsste ich da so ein bis zwei Jahre Geduld haben. Sehr lustig! Deshalb bin ich völlig fertig, als ich mit dem Bus die Princes Street entlangfahre, am Waverly Bahnhof vorbei in Richtung Uni. Man kann deutlich sehen, wie wunderschön die Hauptstadt Schottlands ist, und ich nehme mir fest vor, meine neue Heimat in den nächsten Wochen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Der Bus fährt über den Queens Drive durch den Holyrood Park, und ich lasse mich trotz der dunklen Wolken über mir kurz verzaubern von dem Stück wilder Natur inmitten der Stadt. Der Blick auf den Arthur’s Seat mit der Ende August bereits leicht einsetzenden Herbstfärbung ist aber auch wirklich unbeschreiblich schön. In nur wenigen Wochen werden hier die Ahornbäume in den sattesten Rot-, Gold- und Orangetönen leuchten und den Berg mit diesem Farbspektakel noch stärker in Szene setzen. Diesen Übergang vom Sommer in den Herbst habe ich schon in Deutschland geliebt. Die Luft ist nicht mehr so schwer von der Hitze der letzten Sommertage, stattdessen wird sie wieder klarer und frischer und alle Farben erscheinen plötzlich viel intensiver. Der Herbst riecht nach Frische und Blättern, und auch wenn der Spätsommer seine Herrschaft noch nicht ganz aufgeben will, passt sich die Natur bereits langsam der neuen Jahreszeit an. Als ich aus dem Bus steige, ziehe ich meine Jacke fröstelnd enger um mich, denn es weht ein starker, eiskalter Wind, der die Wolken erst zu dramatischen Formationen auftürmt, nur um sie kurze Zeit später in Richtung Meer davonzutragen. Aber die Kälte ist vergessen, sobald ich den altehrwürdigen Campus der University of Edinburgh betrete. Ein bisschen komme ich mir vor, als wäre ich in Hogwarts gelandet und fast rechne ich damit, dass Harry auf seinem Nimbus 2000 um die nächste Ecke rast. Das Old College Building mit seinen beeindruckenden Säulengängen, den riesigen Steintreppen und der großen Kuppel raubt mir fast den Atem. Ich kann es gar nicht fassen, dass ich hier die nächsten zwölf Monate meines Lebens verbringen darf. Um diese Uhrzeit herrscht auf dem Gelände hektische Betriebsamkeit, Trauben von lachenden Menschen schieben sich an mir vorbei. Sie sehen so aus, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, an einem Ort wie diesem studieren zu dürfen. Ich versuche, mich nicht vom Strom der Studenten mitreißen zu lassen, und schaffe es irgendwie, mich in eine ruhigere Ecke zu verkrümeln. Von dort aus beobachte ich in sicherer Entfernung den Trubel um mich herum, als mein Blick auf eine Horde junger Männer fällt, die sich laut unterhalten und wild gestikulieren. Sie rempeln sich gegenseitig an und scheinen unwahrscheinlich viel Spaß zu haben. Plötzlich entdecke ich Liam in der Gruppe. Er hat den Arm um ein hübsches rothaariges Mädchen gelegt, das einen dunkelroten Cordrock und schwarze Stiefel trägt. Dichte Locken quellen unter ihrer Mütze hervor. Liam lacht laut über eine Bemerkung, die sie macht, und für den Bruchteil einer Sekunde treffen sich unsere Augen. Ich kann sehen, wie Liam leicht die Stirn runzelt, dann wird er von der Dynamik der Gruppe schon weitergetragen.

Ich stehe da, und die Kälte ist mit einem Mal wieder ganz deutlich zu spüren. Liam scheint mich nicht einmal mehr erkannt zu haben, da bin ich mir ganz sicher. Er wusste nicht, wo er mich einordnen sollte. Ich schaue an mir herab. Ich trage eine alte schwarze Jeans und einen grauen Anorak. Meine Haare habe ich zu einem flachen Pferdeschwanz gebunden. Wenn ich ehrlich mit mir selbst bin, sehe ich aus wie meine eigene Oma. Obwohl Oma Lisa einen derartigen Vergleich wahrscheinlich entrüstet von sich gewiesen hätte, denn sie ist für ihr Alter wirklich noch ziemlich flott. Früher hätte ich mich ebenfalls unbedarft in jede Gruppe integriert und wäre lachend mit Jungs aus meinem Semester in die nächste Vorlesung geschlendert.

Um mich abzulenken, krame ich den ordentlich gefalteten Zettel aus meiner Büchertasche, auf dem ich mir alle Vorlesungen und die dazugehörigen Hörsäle für den heutigen Tag notiert habe. Auch wenn ich das akademische Viertel einrechne, bin ich spät dran für meine Vorlesung über »Die englische Literatur des 18. Jahrhunderts«. Also löse ich mich aus meiner Erstarrung und eile einer der großen Eingangstüren entgegen. Als ich den Vorlesungssaal mit den holzgetäfelten Wänden und den großen bogenförmigen Fenstern betrete, verspüre ich zum ersten Mal seit Langem so etwas wie ein Glücksgefühl. Als ich mich nach einem Sitz umsehe, erkenne ich Ida, die wild winkt und auf einen freien Platz neben sich deutet. Erleichtert bahne ich mir meinen Weg durch eine Gruppe Studentinnen.

»Super, dass wir diese Vorlesung gemeinsam haben«, sprudelt es aus Ida hervor, als ich mich auf den Holzstuhl neben ihr fallen lasse. Autsch, der ist härter als gedacht. »Hast du heute Mittag eigentlich schon etwas vor?«, fragt sie mich.

Ich schüttle den Kopf, und Ida redet munter weiter: »Perfekt! Dann treffen wir uns zum Mittagessen in The Meadows, das ist ein Park hinter dem Unigelände. Und dann kann ich dir die Unibibliothek zeigen, wenn du möchtest.«

»Das wäre wirklich toll«, antworte ich und versuche meinen Ton ihrer Begeisterung anzupassen. »Ich bin echt froh, dass ich dich umgeworfen habe«, schiebe ich grinsend hinterher.

»Ich auch«, meint Ida lachend und drückt meine Hand.

Als ich einige Stunden später an die verabredete Stelle komme, steht Ida bereits da und zieht gerade ihr Handy aus der Jackentasche.

»Ach, da bist du ja«, sagt sie. »Gerade wollte ich dich anrufen. Was möchtest du denn essen? Hier gibt es einen Laden, der einfach die besten Bowls der Stadt verkauft. Dafür könnte ich sterben«, schwärmt sie, nimmt meinen Arm und zieht mich mit sich.

Idas quirlige Art tut mir unheimlich gut und erinnert mich daran, wie unbeschwert ich selbst einmal war. Einfach eine Studentin, die ihr Leben genießt. Wie sehr möchte ich endlich auch wieder so sein wie sie. Als wir mit unseren Bowls nach kurzer Zeit den Park betreten, bin ich schon wieder völlig begeistert. Zwischen farbenfroh angelegten Blumenrabatten mit englischen Duftrosen und blauem Rittersporn, die in geschwungenen Bögen verlaufen, erstrecken sich weitläufige gepflegte Rasenflächen, auf denen sich die Menschen ihr Mittagessen schmecken lassen. Da zur Abwechslung mal die Sonne scheint, will wohl halb Edinburgh diese kostbare Zeit im Freien verbringen. Ein Wirrwarr unterschiedlichster Sprachen liegt in der Luft, und ich bin einfach froh, in dieser schönen Stadt studieren zu können. Hier zu sein ist wirklich wie ein wahr gewordener Traum. Seitdem ich mich für das Studienfach Englisch entschieden habe, wollte ich ein Auslandssemester in Schottland machen, da mich dieser Teil der Insel schon immer fasziniert hat. Ich weiß aber nicht, ob ich es ohne die schrecklichen Ereignisse tatsächlich durchgezogen hätte oder ob ich den bequemeren Weg gewählt hätte und nach meinem Studium einfach angefangen hätte zu arbeiten.

»Also an diesen schottischen Akzent muss ich mich wirklich erst gewöhnen«, stelle ich fest, nachdem ich der Gruppe Studenten neben uns eine Weile zugehört habe. Ida blickt grinsend von ihrer Bowl hoch und nickt.

»Bei mir hat das Monate gedauert, ehe ich das auch als Englisch wahrgenommen habe. Aber irgendwann kommt es dir ganz normal vor.«

Da bin ich mir zwar noch nicht so ganz sicher, aber ich hoffe, dass sie recht hat.

Ich recke mein Gesicht der Sonne entgegen und genieße ihre wärmenden Strahlen.

»Hi, Ida«, ertönt da plötzlich eine Stimme, und ich zucke zusammen. Vor uns steht ein junger Mann, und alles in mir krampft sich unwillkürlich zusammen.

»Schön, dass ich dich entdeckt habe«, meint er freundlich. »Hast du später Zeit auf einen Kaffee?«

»Ich weiß noch nicht«, antwortet Ida ausweichend und deutet auf mich. »Ich möchte Lea noch die Unibibliothek zeigen. Sie ist neu hier an der Uni und kennt sich noch nicht so aus.«

»Hallo, Lea! Ich bin Caleb. Du kannst natürlich auch gerne mitkommen, wenn du möchtest.«

Hastig schüttle ich den Kopf. »Nein, ist schon in Ordnung, ich habe wirklich noch viel zu tun. Geht ihr mal allein«, wiegle ich ab und hoffe, dass ich nicht zu unhöflich rüberkomme. Aber keinesfalls möchte ich mit Caleb einen Kaffee trinken gehen, egal wie nett er auch sein mag.

»Dann ein anderes Mal«, wendet sich Ida an Caleb, der daraufhin enttäuscht den Rückzug antritt.

»Süßer Kerl, aber ein bisschen zu brav für mich«, schmunzelt Ida. »Er studiert Informatik«, schiebt sie hinterher, als ob das die Erklärung dafür wäre, ihn abblitzen zu lassen. »Ich zeige dir jetzt mal die Bibliothek. Das ist übrigens mein heimlicher Lieblingsplatz in der Stadt«, schwärmt Ida. »Du wirst von der Playfair Library begeistert sein.«

Ida erklärt mir, dass wir das Glück haben, in diese Bibliothek gehen zu können, denn eigentlich ist die Library Hall ein begehrter Veranstaltungsort und beherbergt nur noch einen kleinen Teil der Bücher, die ansonsten in der University Library untergebracht sind.

Mir stockt der Atem, als wir das Gebäude betreten. Eine geschwungene Steintreppe führt nach oben, und an den Wänden hängen die ganz großen der schottischen und englischen Geschichte. Wir durchqueren eine atemberaubende Halle mit einer wundervoll gewölbten Decke und betreten dann die Bibliothek.

»Du kannst den Mund wieder zu machen«, flüstert Ida, und ich fühle mich ertappt, da mir meine Begeisterung wohl sehr deutlich anzusehen ist.

Hier ist nichts von dem pulsierenden Studentenleben zu spüren, das der Campus ansonsten ausstrahlt. Große Tische mit wunderbar altmodischen grünen Banker-Lampen stehen an den Längsseiten des Raumes, die Bücherregale reichen vom Boden bis hinauf zur Decke. Große hölzerne Leitern sorgen dafür, dass man auch die Bücher in den obersten Regalen mühelos erreichen kann. Am Eingang sitzt eine ältere Dame in einem senffarbenen Twinset und mit einer doppelreihigen Perlenkette. Sie lächelt uns freundlich an und kontrolliert kurz unsere Studentenausweise. Fast könnte man meinen, sie wäre in direkter Linie mit der Queen verwandt. Hier zu stehen ist einfach so unwirklich, fast wie in einer Zeitkapsel, die einen hundert Jahre zurückkatapultiert hat. Das Einzige, was hier modern wirkt, sind die Laptops und Tablets der Studenten, die vor ihnen auf den Tischen stehen.

Kapitel 4

Liam

War das nicht vorhin die deprimierende Langweilerin aus Megans Wohnung? Für einen Augenblick dachte ich, sie in der Menge erkannt zu haben, aber ich kann mich auch täuschen. Wenn sie es war, dann hat sie sich heute ja mal wieder ganz große Mühe gegeben, gut auszusehen. Äh, nicht. Ganz anders als Eileen, deren süßen Lippenstift ich immer noch schmecken kann. Gestern Nacht ist es richtig spät geworden, dabei wollte ich einmal vorbildlich um 22:00 Uhr im Bett sein und schlafen, damit Coach Ken heute mal nichts zu meckern hat. Na ja, was soll ich sagen? Im Bett war ich kurz nach drei, und das auch nicht allein. Außerdem hängt mir der letzte Gin Tonic ziemlich hinterher, und die Unterlagen für meine Vorlesungen heute konnte ich auch nicht so auf die Schnelle zusammensuchen. Was solls? Ein weiterer unproduktiver Tag in meinem Leben wird mich schon nicht umbringen.

Michael wäre entsetzt, wenn er jetzt meine Gedanken lesen könnte. Der Assistenzarzt, der sein Studium in Bestzeit durchgezogen hat, keine Klausur verhauen hat und dann noch als einer der Jahrgangsbesten ausgezeichnet wurde! Unsere Eltern sind schier geplatzt vor Stolz auf diesen wohlgeratenen Sohn. Wie oft ich schon den Satz »Nimm dir mal ein Beispiel an deinem Bruder« gehört habe, kann ich gar nicht mehr zusammenzählen. Deutlich habe ich noch den letzten Streit mit meinem Dad im Gedächtnis, in dem er mir vorwarf, planlos in den Tag hineinzuleben und mich viel zu sehr von meiner Lust bzw. Unlust leiten zu lassen. Tja, ich schätze mal, Dad hatte recht, muss ich grinsend zugeben.

»Liam, wann hast du heute Training? Ich würde gern zuschauen«, fragt mich Eileen, und ich zucke zusammen. Ich hatte beinahe vergessen, dass sie noch da ist.

»Ähm, von drei bis fünf«, antworte ich rasch. »Cool, dass du es dir ansehen möchtest.«

Eileen lächelt mich mit ihrem Schmollmund an. »Wenn du Lust hast, könnten wir ja noch was essen gehen, und für danach fällt uns bestimmt auch noch was ein.« Während sie das sagt, streicht sie mir über die Schulter, was wohl verführerisch wirken soll, mich aber gerade eher nervt.

»Daraus wird heute nichts werden, Eileen. Wir haben im Anschluss Mannschaftssitzung, und wenn ich danach daheim bin, muss ich unbedingt noch für die Klausur am Freitag lernen.« Die Wahrheit ist, dass ich schlicht und ergreifend keine Lust habe, den heutigen Abend schon wieder mit der gleichen Person zu verbringen. Eileen ist zwar echt verdammt heiß, aber ich habe absolut keinen Bock, mich jetzt an ein Mädel – und sei sie noch so niedlich – zu binden. In dieser Saison steht noch eine Talentsichtung an. Da kann ich kein Klammeräffchen an meiner Seite brauchen.

Ich wische ihre Hand von meiner Schulter, was vielleicht etwas unwirscher war als beabsichtigt, und schaue in ihre erschrockenen Augen: »Schade, aber dann eben ein anderes Mal«, versucht sie ihre Enttäuschung zu verbergen.

»Jo, man sieht sich«, antworte ich lässig und drücke sie noch kurz an mich, bevor ich mich zu meiner ersten langweiligen Vorlesung davonstehle.

Am Wochenende findet mein Umzug statt. Zum Glück ist Megans Wohnung möbliert, zwar hässlich möbliert, aber was soll’s? Ich muss also nur meinen Kram von Michaels in Megans Wohnung schleppen, und das dürfte schnell erledigt sein. Vor allem, weil mein Bruder dies natürlich in seinem Schichtplan berücksichtigt hat und mir helfen wird. Also ganz easy!

Kapitel 5

Lea

Zum Glück habe ich am Samstag den ersten Arbeitstag in Mayas Café und komme deshalb schon mal um das »Vergnügen«, den Einzug meines neuen Mitbewohners mitzuerleben. Natürlich habe ich mittlerweile auch erkannt, dass ich mich wohl oder übel mit Liam arrangieren muss. Als ich das letzte Mal mit meinem Bruder Johannes geskypt habe, hat er dazu lediglich bemerkt, dass er es nicht schlecht findet, dass ich mein Schneckenhaus verlassen muss. Natürlich hat er noch nachgeschoben, dass er jederzeit kommen kann, wenn der Typ auch nur irgendetwas versucht, was ich nicht möchte. Natürlich weiß ich, dass mein Bruder als typischer Informatiker nicht den Hauch einer Chance gegen einen so sportlich durchtrainierten Typen wie Liam hätte. Ganz zu schweigen davon, dass Johannes wahrscheinlich niemals zu mir kommen wird, weil er dafür seine Wohnung mit seiner geliebten Playstation und seinem Heiligtum, dem Computer, verlassen müsste.

Als ich beim Café ankomme, ist das nostalgische Schild an der Eingangstür auf »Closed« gedreht, aber Maya steht schon hinter dem Tresen. Beim Eintreten schlägt mir der Duft von Kaffee, Apple Pie und Zimtschnecken entgegen, und Maya begrüßt mich mit den Worten »Hej, Lea, toll, dass du da bist«, während sie sich ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz bindet.

Aus den Lautsprechern tönt die dunkle Stimme von Dermot Kennedy, und man kann sich hier nur sofort wohlfühlen. »Als Erstes erkläre ich dir erst mal die Kasse und dann die Kaffeemaschine. Außerdem bieten wir Samstag und Sonntag immer Brunch bis vierzehn Uhr an, weshalb wir noch das Buffet am Tresen aufbauen müssen«, meint sie zu mir.

Maya erklärt mir in ihrer ruhigen Art erst einmal alles, und so haben wir zusammen schnell die Vorbereitungen für den Brunch abgeschlossen, kurz bevor auch schon die ersten Gäste kommen und sich einen Platz suchen. Die Tische sind recht übersichtlich, und es fällt mir gar nicht schwer, mich zu orientieren. Natürlich ist es heute Morgen ziemlich leicht, weil die meisten zum Brunch kommen und deshalb nur die Bestellung für die Getränke aufgenommen werden muss, da die Gäste sich ihr Essen selbst an der Theke zusammenstellen. Mit Maya zusammenzuarbeiten macht dank ihrer unkomplizierten Art richtig Spaß.

Nachdem ich ein paar Tage Zeit hatte, konnte ich mich zum Glück schon etwas an den schottischen Dialekt gewöhnen, und habe deshalb weniger Probleme, die Gäste zu verstehen. Aber auch hier nimmt es mir Maya nicht krumm, wenn ich etwas nicht sofort begreife und nachfragen muss. Da lacht sie nur und meint: »Du hättest mich mal erleben sollen, als ich hier angekommen bin. Ich habe nur Bahnhof verstanden, und durch meinen Akzent ging es den Schotten wohl mit mir nicht anders. Das hat zu vielen Missverständnissen geführt. Du machst das sehr gut, und dein Englisch ist ausgezeichnet. Und ich weiß nicht, ob man sich den Akzent hier wirklich aneignen sollte. Obwohl mein Mann da wohl anderer Meinung wäre. Schließlich ist er Schotte. Und da er aus einem Kaff in den Highlands kommt, ist sein Dialekt für einen Außenstehenden vollkommen unverständlich«, erklärt sie mir.

Als wir zusammen mit dem Rücken zum Tresen stehen, da wir beide an der Kaffeemaschine arbeiten, wird Maya auf einmal von hinten von einem Typen umarmt, und mir fällt vor Schreck fast die Kanne mit dem Milchschaum aus der Hand. Dabei wird mir sofort klar, dass sie es wohl nicht als unangenehm empfindet. Denn sie dreht sich schnell um und spricht mit dem großen blonden Typen in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Anscheinend handelt es sich dabei wohl um einen Landsmann von ihr. Beide umarmen sich innig, und Maya stellt uns einander vor.

»Das ist Arvid. Er lebt hier wie ich im Exil.«

Arvid scheint wohl der Typ für innige Begrüßungen zu sein, weil er mich gleich in den Arm schließt, als ich ihm nur meine Hand geben will. Obwohl es von ihm nicht böse gemeint ist, versteife ich mich und muss dagegen ankämpfen, nicht wild um mich zu schlagen. Es ist mir richtig peinlich, wie schnell er mich loslässt, als er merkt, wie unangenehm mir seine Umarmung ist.

»Sorry, ich dachte, Schotten haben nix gegen Umarmungen«, meint er kleinlaut.

»Tut mir leid, ich hab nicht damit gerechnet. War nur überrascht«, nuschle ich, lade mir das Tablett voll mit dem Kaffee für Tisch 5 und versuche mich zu verdrücken.

Dabei schaut Arvid alles andere als furchterregend aus. Er ist zwar riesig, hat aber total warme blaue Augen und wirkt durch seine verstrubbelten blonden Haare eher chaotisch als gefährlich. Schnell entziehe ich mich der Situation, indem ich die Bestellungen verteile. Arvid macht es sich in der Zwischenzeit auf einem Barhocker am Tresen bequem und bekommt von Maya einen großen Cappuccino serviert. Beide unterhalten sich ungezwungen und lachen, und ich ertappe mich dabei, wie ich beide darum beneide, hier jemanden zu haben, mit dem sie in ihrer Muttersprache reden können. Sosehr mir die Uni auch gefällt, fehlen mir meine Mutter, meine Freundin Anja und mein Bruder doch sehr. Skypen ist nun mal nicht dasselbe, als sich persönlich zu sprechen.

Als ich wieder zum Tresen komme, wechselt Arvid schnell ins Englische, was ich sehr rücksichtsvoll finde.

»Also, Lea, was hat dich ins regnerische Schottland verschlagen?«, fragt er mich und mustert mich dabei aufmerksam aus seinen tiefblauen Augen.

»Ich will hier meinen Master in Englischer Literatur mache. Und ich habe sehr viel Gutes über die Uni hier gehört.«

»Woher kommst du denn?«

Anscheinend scheint er beschlossen zu haben, sich jetzt mit mir zu beschäftigen, was wohl daran liegt, das Maya in die Küche verschwunden ist, um einen Kuchen aus dem Ofen zu holen.

»Aus München.«

»Oh, da war ich mal«, meint er kurz.