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Nena Tramountani

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Beschreibung

Matilda & Anthony: In ihrem Leben ist die Liebe ein unbeschriebenes Blatt. Bis er die Konturen ihres Herzens zeichnet ...

Matilda hat das Drama um die Liebe satt. Die Psychologie-Studentin ist sich sicher, dass man keinem Mann trauen kann. Davon versucht sie auch ihre Mitbewohnerin Briony zu überzeugen, die sich in den gut aussehenden Künstler Anthony verliebt hat. Denn Matilda durchschaut sofort, dass er mit ihrer besten Freundin spielt. Um Briony noch größeren Herzschmerz zu ersparen, geht sie einen gefährlichen Deal mit Anthony ein: Wenn er endlich aufhört, Briony falsche Hoffnungen zu machen, lässt Matilda sich von ihm malen – und zwar nackt. Doch mit jedem Pinselstrich erinnert er sie nicht nur an ihren längst begrabenen Traum, sondern auch an den Menschen, der sie früher war. Und plötzlich beginnt ihre Fassade zu bröckeln …

Aufwendig ausgestattet und hochwertig veredelt: Die Soho-Love-Reihe zieht alle Blicke auf sich!

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Seitenzahl: 536

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NENA TRAMOUNTANI, geboren 1995, liebt Kunst, Koffein und das Schreiben. Am liebsten feilt sie in gemütlichen Cafés an ihren gefühlvollen Romanen und hat dabei ihre Lieblingsplaylist im Ohr. Nach ihrem Studium der Sprachwissenschaften arbeitete sie als freie Journalistin und zog anschließend nach Wien. Inzwischen lebt sie wieder in ihrer Heimat Stuttgart, wenn sie gerade nicht auf Inspirationsreisen ist.

Mehr Infos über die Autorin und die Soho-Love-Reihe gibt es auf Instagram (@nenatramountani) oder unter www.nenatramountani.com.

Außerdem von Nena Tramountani lieferbar:Fly & Forget

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

Nena Tramountani

Try & Trust

Roman

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Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de).

Umschlag: bürosüd GmbH

Umschlagmotiv: www.buerosued.de

Redaktion: Melike Karamustafa

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-25913-6V001

www.penguin-verlag.de

Für alle, die Angst haben und es trotzdem tun.

1. KAPITELAll the good girls go to hell

MATILDA

»Du bist ein Kontrollfreak. Du kommst in die Hölle. Und davor wirst du eingewiesen, weil du mit dir selbst redest.«

»Hallo? Alles in Ordnung?«

Ich fuhr herum und setzte mein überzeugendstes Lächeln auf.

Na immerhin. Er sah ganz süß aus. Und war eher in meinem Alter als sein Kollege, der vor zehn Minuten zum Rauchen in den Hof gekommen war. Fast hätte ich den ausgewählt. Die Ironie eines rauchenden Fitnesstrainers war der perfekte Gesprächsöffner, aber dummerweise hatte er die ganze Zeit über telefoniert.

»Hi …« Mein Blick zuckte zu dem Namensschild auf dem türkisfarbenen Shirt. »Nick. Wie schön.« Beim letzten Wort musterte ich ihn extra offensichtlich von oben bis unten.

Der arme Kerl runzelte die Stirn und fuhr sich durchs sandfarbene Haar. »Das hier ist der Mitarbeitereingang«, sagte er und deutete auf die Tür hinter sich.

Darauf wäre ich nie gekommen, Nick.

PureGym London stand in fetten Lettern darauf. Zutritt nur für Personal.

»Kann ich dir helfen?«

Mein Grinsen wurde breiter. »Das hoffe ich doch.« Als würde ich einen spontanen Hitzeanfall erleiden, befreite ich mich von meinem dicken Schal und stopfte ihn in meine Handtasche. »Ich interessiere mich für eine Mitgliedschaft«, sagte ich und zog mir auch die schwarze Beanie vom Kopf, bevor ich meine Locken schüttelte. Die Mütze war der essenziellste Teil meiner Tarnung gewesen, da meine Haare das Erste waren, was man bemerkte, wenn ich den Raum betrat. Und sie waren auch das Erste, was meiner besten Freundin auffallen würde, wenn sie mich im Hinterhof ihres Fitnessstudios herumlungern sah. Zum Glück war sie inzwischen über alle Berge.

»Ähm, also, ich hab gerade Mittagspause«, sagte Nick und hob das Sandwich in seiner Hand, doch mir entging nicht, wie er dabei ebenfalls meinen Körper scannte. »Am besten wendest du dich an einen meiner Kollegen, du musst einfach hier ums Eck zum Eingang und …«

»Ich hätte aber gerne deine Hilfe«, unterbrach ich ihn und biss mir auf die Unterlippe.

Wow, ich würde es ihm echt nicht verdenken, wenn er mich zum Teufel schickte. Die Erfolgschancen bei solcher Dreistigkeit standen fifty-fifty, vor allem, wenn er Hunger hatte. Entweder ich war sein Typ und er ein Fan von plumpen Anmachen oder …

Eine zarte Röte breitete sich unter seinen Sommersprossen aus, und er erwiderte – wenn auch ein wenig ungläubig – mein Lächeln.

Okay, alles klar. Sorry, Nick.

Ich trat einen Schritt auf ihn zu. »Wie wär’s, wenn ich dir in deiner Pause ein bisschen Gesellschaft leiste, und du erzählst mir was über die verschiedenen Abos, die man bei euch abschließen kann?«

»O-Okay.«

Zehn Minuten später lag sein Sandwich noch immer verpackt auf dem Boden, aber mein schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen. Nachdem ich den ersten Schritt gemacht hatte, wurde seine Unsicherheit von Erregung abgelöst, und wir knutschten ziemlich hemmungslos rum.

Nach ein paar Minuten wich ich zurück und drückte ihn mit einer Hand gegen die rote Ziegelwand. »Ich brauche einen Gefallen«, begann ich, ein wenig außer Atem.

»Wegen … Wegen der Mitgliedschaft?« Er sah mich mit glasigen Augen an, ohne die Hände von meinen Hüften zu nehmen.

Lächelnd beugte ich mich vor und biss leicht in seine Unterlippe.

Er schauderte.

»Nee, das war gelogen«, hauchte ich. »Du musst was in eurem System nachschauen.«

»Ich muss was?«

Ich ließ meine Hand über seinen Oberkörper gleiten und langsam immer tiefer wandern. »Es ist keine große Sache. Ehrlich.«

Er grub seine Finger in meine Haut und schob mich eine Armlänge von sich. »Hast du mich deswegen geküsst?«

Offensichtlich gab er sich Mühe, ernst zu klingen, doch sein Blick, der zu meinen feuchten Lippen zuckte, verriet ihn.

»Yep. Und weil du so heiß bist.« Mit diesen Worten drückte ich mich an seinen Körper und küsste ihn erneut.

Als wir uns das nächste Mal voneinander lösten, seufzte er tief. »Ich darf keine Daten rausgeben.«

»Ich brauche weder einen Namen noch eine Adresse. Nur eine kleine Info.«

»Was für eine Info?«

»Wie oft Briony Clifford die letzten Wochen hier war.«

Mein fünfzehnminütiger Heimweg vom Fitnessstudio in Marylebone nach Soho war der reinste Walk of Shame. Und das, obwohl ich Nicks Angebot, ihn in den Umkleideräumen zu vögeln, ausgeschlagen hatte. Was vermutlich mein Fehler gewesen war. Unverbindlicher Spaß war wohl kaum ein Grund für Schamgefühle. Allerdings hatte ich keine große Lust mehr auf Sex gehabt, nachdem er meiner Bitte nachgekommen war. Nein, meine Scham hatte einen anderen Grund – unnötige Spionage.

Seufzend wich ich drei schnatternden Teenagern mit Einkaufstüten aus und bog in die weniger belebte Broadwick Street ein.

Natürlich war ich erleichtert, dass ich mich getäuscht hatte. Dreimal die Woche Sport zu treiben, war weder außergewöhnlich noch besorgniserregend. Eher etwas, das ich ebenfalls in Erwägung ziehen sollte, um meine Zeit sinnvoll zu nutzen, anstatt sie damit zu verbringen, grundlos meiner Freundin hinterherzuspionieren, verflucht noch mal.

»Darling, was ziehst du denn für ein Gesicht?«

Ich blickte auf. Nur noch wenige Meter trennten mich von der Ginger Cat Bar – dem urigen Pub, über dem sich meine WG befand. Zwei Häuser weiter saß eine zusammengekauerte Gestalt mit einem Pappbecher in den runzeligen Händen im Schutz des Eingangs, die Kapuze ihres schmutzigen Anoraks tief ins Gesicht gezogen.

»Hi, Regina.« Hastig lief ich zu ihr und ließ mich neben ihr auf die Stufen fallen.

Im Haus hinter uns befand sich eine Anwaltskanzlei, aber die Mitarbeiter fingen früh an und verließen häufig erst spät am Abend das Büro. Die Wahrscheinlichkeit, dass man uns in den nächsten Minuten verscheuchen würde, war also nicht besonders hoch.

»Raus mit der Sprache«, sagte sie mit heiserer Stimme und wandte mir ihr verknittertes Gesicht zu. Unter der Kapuze blitzten silbergraue Haare hervor, und zwei ihrer Backenzähne fehlten, dafür strahlten ihre braunen Augen all die Wärme aus, an der es London heute fehlte. Oder mir. Für Ende März war es wirklich arschkalt.

»Ich hab was richtig Dummes getan«, murmelte ich und kramte eine Fünfpfundnote aus meiner Jeanstasche, die ich ihr in den Becher steckte. »Es war gut gemeint, jedenfalls rede ich mir das ein, damit ich mir nicht eingestehen muss, dass ich langsam, aber sicher den Verstand verliere und einfach nur das krankhafte Bedürfnis habe, Kontrolle über meine Mitmenschen auszuüben. Der Ursprung dafür ist klar, ich …«

»Und selbst psychoanalysiert hast du dich auch schon, wie ich höre«, fiel sie mir sanft ins Wort und lachte ihr Schmirgelpapierlachen. »Sei nicht so hart zu dir, Liebes. Du hast ein gutes Herz.«

Ich sprang auf und begann mich rückwärts Richtung Wohnung zu bewegen. »Du meinst den harten schwarzen Klumpen in meiner Brust?«, rief ich ihr zu und ignorierte die argwöhnischen Blicke der anderen Passanten gekonnt.

Erneutes Lachen. »Bis später, Matilda.«

»Bis später!«

Links von der Bar schlüpfte ich in den Gang, dessen Wände beinahe vollständig von Efeu berankt waren, und fischte den Schlüsselbund aus meiner Handtasche. Nachdem ich mich mehrmals gegen die Haustür geworfen hatte, ging sie mit einem Ächzen auf. Gemächlich schlurfte ich das Treppenhaus nach oben.

Du wirst dich zusammenreißen und dein bestes Verhalten an den Tag legen. Das waren für heute genug Schwachsinnsaktionen.

Im zweiten Stock angekommen, schlug mir der Duft von süßem Gebäck entgegen. Ich beschleunigte meine Schritte und schloss die Tür auf, während mir bereits das Wasser im Mund zusammenlief.

Bingo! Der Geruch stammte tatsächlich aus unserer Wohnung. Das war einer der wenigen Vorteile, wenn man mit einem ekelhaft verliebten Paar zusammenwohnte – das Liebesglück mit Liv hatte die Back- und Kochmotivation unseres Ex-WG-Arschlochs Noah angekurbelt. Vor ihrem Einzug hatten Briony und ich nicht einmal gewusst, dass Seymour einen Herd bedienen konnte. Geschweige denn ein normales Gespräch mit uns führen … Tja, und dann war seine Kindheitsfreundin Schrägstrich große Liebe durch einen Zufall, an dem ich nicht ganz unbeteiligt gewesen war, in die WG gezogen, und nach anfänglichem Drama waren die zwei unzertrennlich und aus ihm fast ein anständiger Kerl geworden. Fast.

Ich kickte meine Schuhe von den Füßen und lief geradewegs in die Küche. Zwei Bleche Zimtschnecken lachten mich aus dem Ofen an, die Ränder der aufgegangenen Gebäckstücke schon ein bisschen zu braun.

»Habt ihr nicht was vergessen?«, rief ich, während ich sie auf die Anrichte hievte.

Meine Stimme ging in verdächtig lauter Rockmusik unter, die aus dem Flur durchs Wohnzimmer bis in die offene Küche scholl. Arctic Monkeys – ihr persönlicher Soundtrack.

Ich verdrehte die Augen und lief in Richtung unserer Schlafzimmer – und blieb auf halbem Weg wie angewurzelt stehen. Natürlich. Wie hatte ich auch nur für einen Moment etwas anderes annehmen können? Die Musik diente lediglich dazu, das Ächzen der Matratze und ihre keuchenden Atemzüge zu übertönen.

Ich grinste und klopfte an Seymours Tür. »Hi Leute, ihr könnt die Musik auch einfach weglassen, wir sind weder blöd noch taub, und ihr braucht euch doch nicht für eure wunderbare Liebe zu schämen!«

Auf einen Schlag war nur noch der wummernde Bass zu hören, alle anderen Geräusche waren verstummt.

»Wollte nur sagen, dass ich eure Zimtschnecken vor dem Verbrennungstod gerettet habe und im Gegenzug mindestens ein Blech vernichten werde.«

»Hau ab, Matilda!«, ertönte Noahs Stimme, die mehr einem Knurren glich.

»D-Danke fürs Rausholen«, folgte Livs atemlose Antwort.

Ich kicherte. Okay. Genug genervt. Die beiden waren weiß Gott nicht die Einzigen in der WG, die ihre Mitbewohner mit ihrem Sexleben unterhielten. Außerdem freute ich mich für Liv. Und wenn ich ganz ehrlich war, freute ich mich auch für das WG-Arschloch.

Ich wollte gerade Brionys Zimmer ansteuern, als ein anderes Geräusch an meine Ohren drang. Ein Geräusch, das mein Herz kurzzeitig zum Stillstand zwang.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, ging ich weiter bis zum Bad am Ende des Flures und drückte mein Ohr gegen das weiß lackierte Holz.

Kontrollfreak, Kontrollfreak, Kontrollfreak!

Die Dusche lief. Das war nicht ungewöhnlich – Briony hasste es, im Fitnessstudio oder im Schwimmbad zu duschen. Ungewöhnlich war, dass sie nicht unter der Dusche stand. Die Laute waren unverkennbar.

Ich kniff die Augen zusammen. Presste beide Handflächen an die Tür, als könnte ich ihr damit helfen. Ich durfte nicht vom Schlimmsten ausgehen, vielleicht hatte sie einfach was Falsches gegessen … Warum drehte sie das Wasser nicht ab, wenn sie doch eindeutig über der Kloschüssel hing? Vermutlich aus genau demselben Grund, aus dem sie es ihre ganze Jugend über nicht getan hatte.

Ich schlug die Augen auf, trat einen Schritt zurück und klopfte behutsam. Einmal, zweimal.

Wie eben bei Liv und Noah verstummten die Geräusche hinter der Tür.

»Hey«, rief ich, so unbeschwert ich konnte. »Bry?«

»Ich bin gleich fertig«, kam sogleich die hektische Antwort. Ihre Stimme klang rau und aufgesetzt fröhlich, sprich: exakt wie meine.

Es gab tausend Dinge, die ich darauf erwidern wollte – von »Bitte sag mir, es ist nicht wie damals« und »Ich bring diesen Schwachkopf um, wenn er dir auch nur ansatzweise das Gefühl gibt, du bist nicht perfekt« bis hin zu »Ich bin hier, wenn du mich brauchst, ich werde es immer sein« –, doch ich kannte diese Frau da drinnen besser als mich selbst. Und ich wusste, was geschehen würde, wenn ich die kontrollsüchtige Psycho-Freundin raushängen ließ. Das, was auch bei ihrer jüngsten Dating-Geschichte geschehen war: Sie würde mich ausschließen. Aufhören, mit mir darüber zu reden. Ich konnte einiges ertragen. Dass Briony ihr Leben für mich zensierte, gehörte nicht dazu. Ganz egal, wie viele Sorgen ich mir machte, ich musste mich beherrschen.

Also wandte ich mich von der Tür ab, obwohl mich eine unsichtbare Macht davon abhalten wollte, und zwang mich, zurück in die Küche zu gehen.

Die Zimtschnecken hatten inzwischen die perfekte Temperatur, doch mir war der Appetit vergangen. Wortfetzen und Szenen aus unserer Schulzeit bombardierten mich von allen Seiten. Unsere erste Begegnung in der Mädchentoilette der überteuerten Privatschule, in die ihre Eltern sie nach dem »Vorfall« gesteckt hatten. So nannten sie es bis heute: einen Vorfall. Ein unschöner Kratzer in der perfekten Fassade. Tja, ich hatte es wohl mit aufgelösten Mädels und Toiletten.

Zuletzt hatte ich vor ein paar Wochen die heulende Liv von einer der Letzteren in unsere WG geschleppt.

Als Briony fünf Minuten später aus dem Bad kam, saß ich auf dem Sofa und hatte mein bestes Pokerface aufgesetzt.

Sie trug ihren bunten Morgenmantel, die hellblonden Haare steckten in einem pinkfarbenen Handtuchturban, und auf ihrem Gesicht lag ein strahlendes Lächeln.

»Hi Tilda, sorry, dass es so ewig gedauert hat.« Ihre blauen Augen waren gerötet, und ihr Teint war noch blasser als sonst. Trotzdem erwiderte ich ihr Lächeln.

»Hast du dich für dein Date vorbereitet?«

Ihr Lächeln verblasste. Doch nach einem Moment hatte sie sich wieder gefangen und hob eine Braue. »Ach, darf ich jetzt mit dir darüber reden, ohne dass du gleich in die Luft gehst?« Sie lief zur Küchentheke, schnappte sich einen großen Teller aus dem Schrank und begann, Zimtschnecken darauf zu häufen.

»Tut mir leid«, nuschelte ich, während ich aufsprang und ihr in die Küche folgte. »Ich weiß, ich bin manchmal unerträglich.«

Blitzschnell stellte sie den Teller ab, wandte sich zu mir um, schlang beide Arme um meine Mitte und drückte mich an sich. Der Geruch ihres Himbeershampoos stieg mir in die Nase.

»›Manchmal‹ ist gut.« Sie grinste zu mir auf, wurde aber sofort wieder ernst. »Tilda, die Sache ist mir wichtig, okay? Es ist alles gut. Ich weiß, was ich tue. Hab Vertrauen und versuch dich für mich zu freuen.«

»Ich vertrau dir!« Nur dem Mistkerl vertraute ich nicht. »Ehrlich! Und natürlich freu ich mich.« Was ich noch mehr getan hätte, wenn mir nicht klar gewesen wäre, wie die Geschichte enden würde. »Ich will, dass du heute das beste Date deines Lebens hast.« Ich würde ihn kastrieren, wenn er ihr wehtat.

»Ganz, ganz, ganz ehrlich?« Sie drückte mich an sich, bis ich kaum noch Luft bekam. Jetzt war das Strahlen, das ihr Gesicht erhellte, keine Maskerade mehr. Ihre Freude war echt.

Ich verdrehte die Augen und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich finde immer noch, du hast was Besseres verdient. Aber ja. Ehrlich. Was macht ihr?«

Mit einem zufriedenen Nicken ließ sie von mir ab und schnappte sich den Teller mit den Zimtschnecken, bevor sie mit der freien Hand nach meiner griff und mich zurück in den Wohnbereich zog.

»Wir wollen auf den Primrose Hill. Er hat ein Picknick vorbereitet.«

Wir ließen uns auf die beiden einander gegenüberstehenden Sessel fallen.

»Zum Sonnenuntergang?«, hakte ich nach und konnte den Sarkasmus nicht ganz aus meiner Stimme tilgen.

»Ja, Miss Ich-hasse-alles-was-mit-Romantik-zu-tun-hat, zum Sonnenuntergang!« Sie kicherte und sah dabei so gelöst aus, dass ich für einen Moment alle Bedenken vergaß. Wenn er sie auch so zum Lachen brachte, war vielleicht alles nur halb so schlimm? Außerdem griff sie nach einer Zimtschnecke. Hatte ich mir die Geräusche hinter der Badezimmertür nur eingebildet?

»Apropos Romantik«, fuhr sie fort und nickte in Richtung unserer Schlafzimmer. »Die haben ganz schön Spaß, was?«

Ich stöhnte. »Hätten wir das vorher gewusst …«

»Dann hätten wir Liv erst recht einziehen lassen«, vervollständigte sie meinen Satz. »Ich hätte nie gedacht, dass es so angenehm sein kann, mit einem Pärchen zusammenzuwohnen.«

»Angenehm?« Ich riss die Augen auf. »Das findest du angenehm?«

»Seit wann bist du so prüde?« Sie hob die Zimtschnecke in ihrer Hand. »Und einen netten Nebeneffekt hat es auch.«

»Seit wann erfreust du dich an Sexgeräuschen in dieser WG?«

Sie errötete leicht und lehnte sich im Sessel zurück. Ihre nächsten Worte waren so leise, dass ich mich über den selbst gezimmerten Paletten-Tisch beugen musste, um sie zu verstehen. »Seit ich selbst die Aussicht darauf habe.«

Ich spürte förmlich, wie meine Gesichtszüge einfroren.

Lächeln, Matilda! Supportive. Wir sind supportive. Es ist durchaus möglich, dass er es im Bett bringt und sie anständig behandelt. Wenigstens was das Körperliche angeht.

»Du … Also …« Ach du Scheiße, ich musste mich wirklich zusammenreißen. »Hast du dir überlegt, ihn zu vögeln?«

»Tilda!« Die Röte in ihren Wangen verdunkelte sich.

Ich grinste anzüglich. »Also ja?«

»Und wenn?«

Betont lässig zuckte ich mit den Schultern. »Ist doch gut. Wie war eure Kuss-Chemie?«

Sie sah absolut entgeistert aus.

Wäre der Grund dafür nicht so traurig, hätte ich über ihre Miene gelacht. Seit mehreren Tagen bandelte sie mit Anthony an, und es war das erste Mal, dass ich ihr normale Fragen dazu stellte, die nicht darauf abzielten, ihn ihr auszureden. Sorgen hin oder her – was war ich für eine beschissene Freundin? Sie hatte sich die letzten Jahre jede meiner Männergeschichten angehört. Auch wenn die nie ins Romantische abgedriftet waren, doch das war nun wirklich nicht der Punkt.

»Wie gesagt, tut mir leid, dass ich mich in letzter Zeit wie eine Helikopter-Mum verhalten hab. Also: Ich muss den Typen nicht feiern, um dich zu feiern, okay?«

Sie ließ die Zimtschnecke sinken, und ihre Augen wurden schmal. »Was, wenn ich keine Lust mehr habe, mit dir darüber zu reden, weil du mich sowieso verurteilst?«

»Ich verurteil dich nicht! Heiliges Non-Judging-Breakfast-Club-Versprechen.«

»Es ist Nachmittag«, erwiderte sie trocken, aber da war etwas in ihrem Blick. Ein Glitzern.

Ich hatte sie fast.

»Komm schon, Bry! Willst du keine Blowjob-Tipps?«

Sie schnappte nach Luft. »Du bist unmöglich!«

»Sorry.« Ich stützte mich mit beiden Händen auf dem Tisch zwischen uns ab, beugte mich noch näher zu ihr rüber und schaute ihr verschwörerisch in die Augen. »Willst du?«

»Matilda, du hast …« Sie fuchtelte mit der Zimtschnecke in ihrer Hand herum.

»Ich habe viele Qualitäten, und meine beste Freundin unterstützen, war in den letzten Tagen leider keine davon«, vervollständigte ich ihren Satz. »Meine Blowjobs sind allerdings unschlagbar. Lass dir dieses Wissen nicht entgehen, nur weil ich ein treuloses Miststück bin.« Ich zog mein Handy aus der Hosentasche. »Ich hab auch Referenzen. Willst du sie sehen?«

Sie legte die Zimtschnecke zurück auf den Teller, lief um den Tisch herum und warf sich mit Schwung auf mich, wobei sie mir das Handy aus der Hand riss und aufs gegenüberliegende Sofa pfefferte. »Du. Hast. Einen. Dachschaden.«

Binnen Sekunden wurden wir beide von einem Lachflash geschüttelt, bei dem ihr das Handtuch vom Kopf rutschte, sodass ihre nassen Haare in mein Gesicht fielen. Ich versuchte mich zu befreien, doch sie begann damit, mich zu kitzeln. Genauso wie ich Briony in- und auswendig kannte, wusste auch sie bis ins kleinste Detail über mich Bescheid – inklusive Schwachstellen.

»Ich gebe auf«, japste ich und rollte unter ihr weg auf den Boden. »Du hast gewonnen, dann eben keine Blowjobs für Anthony!«

Mit knallrotem Kopf stand sie auf und zog mich an beiden Händen hoch. Ohne mir Zeit zum Protestieren zu lassen, zerrte sie mich in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Das Rockkonzert von schräg gegenüber war trotzdem noch zu hören. Anschließend drehte sie sich mit auf einmal vollkommen ernster Miene zu mir um.

»Matilda«, wisperte sie.

Sofort war meine Sorge zurück. Ich schluckte. Sollte ich sie darauf ansprechen, dass sie sich übergeben hatte? Wollte sie darüber reden? Oder hatte sie Zweifel?

»Was ist los, Süße?«

»Ich habe Angst.« Sie biss sich auf die Unterlippe und ging zu ihrer Kleiderstange, an der auf einem Bügel ein fein säuberlich ausgewähltes Outfit hing, dass sie sich vermutlich für ihr Date zurechtgelegt hatte. Typisch Briony.

»Du musst das nicht tun«, sagte ich. »Du musst überhaupt nichts tun, was du nicht willst. Du bist ihm nichts schuldig. Du …«

»Tilda«, fiel sie mir mit einem Seufzen ins Wort und griff nach ihrer weißen Jeans, während sie sich von mir weg in Richtung des großen Ganzkörperspiegels drehte. Ich war die einzige Person, vor der sie sich umzog, und selbst bei mir hasste sie es.

Ich ließ mich auf ihr Bett fallen und wandte den Kopf in Richtung Fenster, damit sie nicht das Gefühl hatte, beobachtet zu werden.

»Ich will das. So, so sehr. Ich hab bloß Schiss, dass er mich seltsam findet.«

Einatmen. Ausatmen. Es ist ganz leicht. Sie braucht keine Furie, sie braucht ’ne gottverdammte Freundin.

»Wieso sollte er dich seltsam finden?«, brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.

»Weil ich … es noch nie getan hab.«

Gerade hatte ich es mir auf dem Bett zwischen ihren unzähligen Kissen gemütlich gemacht, doch die Verletzlichkeit in ihrer Stimme zerstörte irgendetwas in mir. Mit einem Satz war ich auf den Beinen. Sie hatte den Morgenmantel ausgezogen und knöpfte gerade die Jeans zu. Sobald ich mich näherte, verschränkte sie reflexartig die Arme vor der Brust, obwohl sie einen BH trug.

»Bry.« Ich fasste sie sanft an den Schultern und drehte sie zu mir um.

Sie versuchte, trotzig zu schauen, aber die ausgewachsene Panik konnte ich ihr trotzdem an der Stupsnase ablesen.

»Es gibt kein Ablaufdatum für das erste Mal Sex«, sagte ich und schaute sie eindringlich an. Wir führten dieses Gespräch nicht zum ersten Mal. Heute war es allerdings wichtiger denn je für sie, diese Worte zu hören. »Es ist scheißegal, ob du vierzehn oder achtzehn oder zweiunddreißig bist. Das Alter ist nicht mehr als eine dumme Zahl. Vielmehr geht es darum, dass du deinem Partner vertraust, Spaß hast und dich wohlfühlst.«

»Du klingst echt wie meine Mum. Also, vielleicht nicht direkt wie meine, weil die solche trivialen Dinge wie ihre Tochter nicht interessieren, aber … Du weißt, was ich meine«, plapperte sie drauflos und ließ die Arme sinken.

Von verkorksten Familienverhältnissen konnten wir beide ein Lied singen. Im Gegensatz zu mir hatte Briony allerdings immerhin noch eine intakte Familie. Leider legte diese aber mehr Wert auf den perfekten Schein als auf die Wahrheit.

Ich griff nach ihren Händen und drückte sie leicht. »Bry. Du bist der Jackpot. Und ja, mir ist schon bewusst, dass du mir nicht glaubst, weil ich dich liebe und du denkst, ich bin dadurch verpflichtet, das zu sagen, aber es stimmt trotzdem. Dieser dumme Hipster-Freak kann sich glücklich schätzen, dass du überhaupt auf ein Date mit ihm gehst.«

Die Beleidigung entlockte ihr ein unfreiwilliges Lachen. »Hey! Du wolltest nicht urteilen!«

Ich grinste. »Sorry. Also: Kuss-Chemie? So auf einer Skala von Waschmaschine bis Explosion?«

Brionys Blick wurde seltsam verklärt. »Explosion«, hauchte sie nach einer kurzen Pause, in der sie sich garantiert vorstellte, wie dieser Penner sie küsste. »Er ist so … Also … Wow.«

Ich nickte. »Gut. Wow ist gut. Das wird lustig, glaub mir. Spaß steht an erster Stelle. Nicht sexy aussehen oder so ein Mist. Wenn es dir zu stressig ist, sag ihm, er soll das Licht ausschalten. Und das mit dem Blowjob war natürlich nur blödes Gelaber, um dich zum Lachen zu bringen. Genauso wie jeder Frauenkörper anders ist, mag auch jeder Kerl was anderes. Alles, was zählt, sind die richtige Kommunikation und Spaß. Alles, was sich gut anfühlt.«

Sie nickte ebenfalls und atmete tief durch. »Okay. Was, wenn er es trotzdem seltsam findet?«

»Du kennst die Antwort.«

Wir sahen uns ein paar Sekunden in die Augen. Ich musste es nicht aussprechen. Auch wenn sie ein bisschen nervös war und gutgläubiger, als ihr guttat – sie war stark und konnte für sich selbst einstehen. Briony hatte die Hölle durchgemacht und war trotzdem auf der anderen Seite wieder herausgekommen. In einem Stück. Und auch durch meine Hölle hatte sie mich geführt.

Auf einmal straffte sie die Schultern und reckte das Kinn. »Wenn er es seltsam findet, hat er mich nicht verdient«, verkündete sie entschlossen.

Meine Mundwinkel zuckten. »Das ist mein Mädchen!«

Anschließend verzog ich mich wieder aufs Bett und überließ Bry ihrem Outfit.

Ich studierte Psychologie und hatte den Mist länger recherchiert als sonst irgendeinen Bereich. Mir war schon klar, dass ein einziger Typ nicht ihr komplettes Selbstvertrauen zerstören konnte. Menschen hatten immer nur so viel Macht über uns, wie wir es zuließen. Und dennoch schnürte sich meine Kehle zu, während ich die wolkenverhangene Stadt hinter den Fenstern betrachtete.

Anthony Sinclair hatte vielleicht nicht die Macht, sie von Grund auf zu zerstören, doch das musste er gar nicht. Es reichte schon, dass er die Macht hatte, ein Trigger zu sein. Aber so weit durfte es nicht kommen. Dafür würde ich sorgen.

2. KAPITELAs the flames grow higher

ANTHONY

Ich hörte seine Schritte nur Sekunden, bevor ich die Tür erreichte. Im Laufe der Jahre war ich ein Meister darin geworden, sie von denen anderer Bewohner zu unterscheiden.

Auf Zehenspitzen schlich ich um die Ecke und presste mich dort gegen die Wand. Das Treppenhaus roch nach billigem Zitronenputzmittel und Zigaretten. Hastig warf ich einen Blick über die Schulter. Die Glastür hatte einen Sprung, und im Gegensatz zu meiner war sie nicht mit Tape zugeklebt. Rauchschwaden drangen durch die Ritzen. Jacky qualmte trotz der Kleinen. Außerdem hörte ich das Klimpern von Glasflaschen, gefolgt von wüsten Flüchen. Unter anderen Umständen hätte ich Madison und Grayson für eine improvisierte Mal-Session in den Southwark Park mitgenommen. Wenn ihre Mum eine ihrer Episoden hatte, war ein bisschen Ablenkung und frische Luft das Beste, was man ihnen bieten konnte. Heute war allerdings der falsche Tag.

Ich hielt die Luft an.

Geh einfach weiter. Um Himmels willen, bitte geh einfach weiter.

Die Schritte verstummten.

Fuck.

Im nächsten Moment lugte ein weißhaariger Mann um die Ecke, und ich trat reflexartig von der Wand weg, damit er keinen falschen Eindruck bekam. Etwa den, dass ich mich neben der Tür meiner alleinerziehenden Nachbarin vor ihm versteckte, weil ich weder die Kohle für die nächste Miete, geschweige denn die für die letzten beiden Monate zusammenhatte und seit einer Woche die dritte Verwarnung an meiner Haustür prangte.

»Mr. Wellington«, rief ich und setzte ein möglichst gewinnendes Lächeln auf.

Mein Vermieter war weit über sechzig, hatte lange ungepflegte Haare und wirkte auch sonst, als vergäße er regelmäßig, sich um sich selbst zu kümmern. Was er niemals vergaß, war das Geld, das ich ihm schuldete, weswegen wir seit einer Weile Verstecken spielten. Die einzigen beiden Gründe, aus denen er mir dieses Loft überlassen hatte, waren meine Überredungskünste und die Tatsache, dass ich keinen Vertrag verlangte und die Miete seit den ersten paar Monaten nur noch bar zahlte.

»Was lungern Sie hier in der Dunkelheit rum?«, polterte er los und zog die Nase hoch.

»Ich war gerade bei Jacky.« Auf die Schnelle fiel mir keine bessere Ausrede ein.

Er zog die buschigen Augenbrauen zusammen und fuhr sich über die Hakennase. »Sie sind freiwillig da rein?«

Wellington konnte Jacky nicht leiden, aber immerhin zahlte sie pünktlich, da ihr Ex zwar über alle Berge war, aber ihr jeden Monat Geld überwies.

»Haben Sie die Kleinen in letzter Zeit gesehen? Grayson ist über fünf Zentimeter gew…«

Er unterbrach mich mit einem rasselnden Husten und einem Handwedeln, bevor er Anstalten machte, sich von mir abzuwenden.

Erstaunt riss ich die Augen auf. War heute mein Glückstag, und er hatte verdrängt, wie unsere letzte Begegnung abgelaufen war? Er hatte auf meine Tür eingehämmert, bis die Wände wackelten, und gedroht, mich inklusive der »Teufelsfarben, deren Gestank verflucht noch mal bis auf die Straße rauszieht« rauszuschmeißen. Ließ ihn das Alter langsam vergesslich werden?

»Ach, und nächstes Mal möchte ich wieder Scheine sehen, mein Lieber.«

Sein Gesicht verschwamm vor meinen Augen. Stahlgrau und Perlmuttweiß und noch mehr Grau, eine Mischung aus Asche und Anthrazit. Nach meinem Einzug hatte ich ihn gemalt. Das Porträt war immer noch eins meiner besten, obwohl es ihm kein bisschen ähnlich sah. Ich hatte ihn glücklicher dargestellt, ansehnlicher. Die Dankbarkeit, die ich ihm gegenüber damals empfunden hatte, war in jedem Pinselstrich zu erkennen. Wieso klang er so freundlich?

»Es tut mir leid, Sir, ich …«

»Schwamm drüber«, fiel er mir erneut ins Wort. »Immerhin ist es endlich da. Nächstes Mal lass ich mich nicht so lange hinhalten, ist das klar?«

Er wartete keine Antwort ab, sondern schlurfte in Richtung Treppe davon – seine Wohnung, genauso verwahrlost wie das restliche Gebäude, befand sich im ersten Stock.

Wie vom Donner gerührt verharrte ich ein paar Sekunden im schummrigen Gang und atmete Jackys Rauch ein. Mir wurde übel, die letzte Mahlzeit lag Stunden zurück. Seit Noah wieder in seiner WG war, ernährte ich mich hauptsächlich von Toast und Baked Beans.

Noah.

Die plötzliche Gefühlsmischung aus Wut und Ohnmacht überwältigte mich. Ich hatte die Anwesenheit meines besten Freundes die letzten Tage genossen, auch wenn ich froh war, ihn inzwischen auf Wolke sieben mit seiner neuen-alten Freundin zu sehen. Das war tausendmal besser, als wenn er todunglücklich in meinem Loft rumhing. Nein, seine Abwesenheit war nicht der Grund für das Gefühl, das sich durch meinen Körper fraß und mir die Tränen in die Augen trieb.

Mit zitternden Händen zog ich mein Handy hervor und setzte mich in Bewegung. Während ich meine Wohnungstür aufschloss, wählte ich seine Nummer. Er brauchte ungewöhnlich lang, um ranzugehen.

»Tony?« Er klang, als sei er eben einen Marathon gelaufen. Oder, was wahrscheinlicher war, als hätte er gevögelt.

»Was hast du gemacht?«, brachte ich hervor. Das Zittern hatte sich inzwischen auf meine Stimme übertragen. Noah schien es nicht zu bemerken. Im Allgemeinen nahm er in den letzten Tagen wenig außer Liv wahr. Liebeskrank war er mir tausendmal lieber als auf MDMA. Wenn der Vollidiot glücklich war, war ich es auch. Wenn er die einzige Grenze in unserer Freundschaft überschritt, war ich allerdings alles andere als das.

»Geschlafen«, antwortete er. Im Hintergrund konnte ich Liv lachen hören.

Was für ’ne Überraschung.

»Was du mit meiner Miete gemacht hast?«, spezifizierte ich.

Sein Schweigen war Antwort genug. Außerdem war er der Einzige, der infrage kam.

Ich betrat meine Wohnung, knallte die Tür hinter mir zu und kickte meine Sneakers von den Füßen. Bei einem der Schuhe löste sich die Sohle. Geil. Gutes Timing.

Ich bemühte mich um einen ruhigen Tonfall. »Ich hätte es irgendwie hingekriegt.«

Am beschissensten war, dass ich nicht mal wusste, ob das stimmte. Noah kannte meine Lage. Er wusste, dass ich mich von einem Job zum nächsten schleppte und jeden Monat kurz vorm Rausschmiss aus meinem Loft stand. Und er wusste auch, dass ich diesmal keinen blassen Schimmer hatte, wie ich die Kohle aufbringen sollte.

»Ich weiß, Tony, ich weiß. Ich wollte nur helfen. Es ist echt keine große Sache, und du …«

»Das hast nicht du zu entscheiden!«, schrie ich und beendete den Anruf, bevor ich etwas sagte, das ich ernsthaft bereuen würde.

Ich bekam es immer hin. Immer. So war es seit Jahren, verdammte Scheiße. Die Situation war nicht neu für mich. Neu war, dass Noah sich in den Kopf gesetzt hatte, mich finanziell zu unterstützen, auch wenn ich ihm mehr als einmal verklickert hatte, dass seine Hilfe unerwünscht war. Ich hasste sein Mitleid. Und dass er so privilegiert war. Dass er eben mal die Dreimonatsmiete für seinen Kumpel überwies, einfach weil er es konnte. Wie zum Teufel war er an Wellingtons Kontodaten gekommen? Ich hasste ihn dafür, dass er es gut meinte.

Rote Punkte tanzten vor meinen Augen. In meinen Ohren rauschte es. Bevor ich wusste, was genau ich da tat, bekam ich eins der Marmeladengläser zu fassen, die als Pinselhalter dienten, und schleuderte es mit voller Wucht gegen die Ziegelsteinwand neben die Matratze. Ich stand einfach so da und beobachtete, wie es in Millionen kleine Scherben zersprang und die Pinsel in alle Richtungen flogen. Sekundenlang rührte ich mich nicht. Bis die Wut langsam verrauchte und nichts als Scham zurückließ.

»Du Vollpfosten«, zischte ich mir selbst zu. »Du führst dich wie ein Kleinkind auf.«

Ich hatte heute Abend Besseres zu tun, als mir über etwas Gedanken zu machen, das ich eh nicht ändern konnte. Jeden Penny würde ich zurückzahlen, aber das würde ich kaum heute hinbekommen. Heute hatte ich noch Essen und Alkohol zu besorgen, dafür würde mein Erspartes ja wohl hoffentlich noch reichen. Und dann würde ich einen verdammt unterhaltsamen Abend haben.

Mit hastigen Schritten durchquerte ich den Raum und ging neben meinem improvisierten Bett auf die Knie. Vorsichtig tastete ich nach den Scherben. Ein Blutstropfen bildete sich auf meinem Zeigefinger und tropfte herunter.

Purpurrot.

Schmerz war keiner zu spüren, es war nur ein oberflächlicher Schnitt. Und plötzlich war da eine Stimme in meinem Ohr. Glasklar, als befände sich die dazugehörige Person nicht in der Vergangenheit, sondern unmittelbar neben mir in diesem schäbigen Loft.

Schau’s dir an, Tony. Schau genau hin. Du gehörst hierher, genau wie ich, genau wie wir alle. Unter der Haut sehen wir alle gleich aus. Am Ende bleibt nur noch Rot.

Ich hob den Kopf und fixierte die Bilder. Die Skizzen, die Leinwände, die halb fertigen Gemälde. Gesichter, Orte, lang vergangene Momente.

Du gehörst hierher. Vergiss das nie. Und wenn sie es vergessen, dann erinnere sie. Zwing sie. Werde so gut, dass dich nie wieder jemand vergessen kann.

Purpurrot.

Die untergehende Sonne tauchte Londons Skyline in purpurrotes Licht.

»Ich muss dir was sagen.«

Der Himmel blutete und tropfte auf die Wolkenkratzer.

Ich riss mich von dem hypnotisierenden Anblick los und schob den Korb mit dem Essen ein Stück vor, um näher an das hübsche Mädchen neben mir heranzurutschen.

Wir saßen auf einer löchrigen Picknickdecke, die ich mir von Jacky geliehen hatte, nachdem ich dann doch noch nach dem Rechten gesehen hatte. Die Kleinen hatten geschlafen, und ihre Mum war wie erwartet völlig neben der Spur gewesen.

Der abgewetzte Stoff roch nach kaltem Rauch, doch daran schien sich Briony nicht zu stören. Ihre langen weißblonden Haare wehten im Wind, und ihre Lippen waren zusammengepresst. Die Stimmung war abrupt gekippt, dabei war ich kaum ein paar Sekunden abgelenkt gewesen. Normalerweise fiel es mir nicht schwer, mich auf mein Gegenüber zu konzentrieren, egal, wie viel Bullshit in meinem Kopf herumschwirrte. Vor allem nicht, wenn es sich um jemanden handelte, den ich so mochte wie mein heutiges Date. Aber der Gedanke an die verfluchte Miete ließ mich nicht los.

Ich schüttelte leicht den Kopf, als könnte ich ihn damit vertreiben. Ich wollte ihr nicht den Abend ruinieren.

»Alles okay?« Behutsam legte ich ihr eine Hand auf den Rücken. Fühlte sie sich unwohl? Sie hatte das Essen kaum angerührt und klammerte sich an ihrer Cider-Flasche fest.

»Ich …« Sie verspannte sich kurz unter meiner Berührung, und ich nahm meine Hand sofort wieder weg. Wir hatten zwar schon ein paarmal miteinander rumgemacht, und sie schien durchaus angetan von mir zu sein, aber heute war irgendwas im Busch.

»Sorry«, begann ich, als sie nicht fortfuhr. Eine zarte Röte breitete sich unter ihrer Elfenbeinhaut aus. »Falls ich nicht ganz bei der Sache war, meine ich. Bitte denk jetzt nicht, dass es was mit dir zu tun hat. Ich hab mich wirklich auf heute gefreut. Ich mag es, mit dir zu reden.«

Es war die Wahrheit. Ich mochte es auch, sie zu küssen. Und ich wäre definitiv nicht abgeneigt, wenn sie später mit zu mir kommen wollte.

»Was?« Sie erwiderte meinen Blick. Ihre Augen waren groß und klar und blau. Das Unbehagen war daraus verschwunden, stattdessen sah sie überrascht aus. Plötzlich kicherte sie, und der Farbton ihrer Wangen verdunkelte sich noch mehr. »Ich mag es auch«, flüsterte sie.

Aufmerksam sah ich sie an. »Was wolltest du mir sagen?«

Erneut wich sie meinem Blick aus und blies die Backen auf.

Als ich ihr diesmal einen Arm um die Schultern legte, war ich mir sicher, dass es in Ordnung war. Ich strich ihr über den Kopf und stupste sie leicht mit der Stirn an. »Was ist los, Miss Clifford?«, flüsterte ich mit übertrieben tiefer Stimme. Egal, was sie beschäftigte, es half bestimmt, den Ernst ein bisschen rauszunehmen. »Haben Sie etwa Geheimnisse vor mir?«

Ein weiteres Lachen folgte, dann holte sie tief Luft und wandte mir das Gesicht zu, sodass wir nur Millimeter voneinander entfernt waren.

Sie roch nach Himbeere. Würde ich sie malen, würde ich Perlweiß und Safrangelb wählen. Und dazwischen zwei Indigotupfer setzen.

»Ich bin Jungfrau.«

Pause.

Ich strich ihr noch einmal über den Kopf. »Okay?«

Sie sah mir in die Augen. Sah weg. Sah mich wieder an. Die Worte auszusprechen, musste sie riesige Überwindung gekostet haben.

»Wir müssen nicht miteinander schlafen«, fügte ich schnell hinzu. Hatte sie unser Gespräch letzte Woche falsch verstanden und dachte, ich wollte nur mit ihr ins Bett? Sie wäre nicht die Erste. »Wir …«

»Findest du das nicht total seltsam?«, fiel sie mir ins Wort.

»Finde ich was seltsam?«

Sie richtete den Blick auf den Horizont, vermutlich, um mir nicht in die Augen schauen zu müssen, schmiegte sich dabei aber in meine Umarmung. »Na ja, es ist schon sehr ungewöhnlich.«

So langsam dämmerte es mir. Es ging nicht um das Gespräch, in dem ich ihr erklärt hatte, dass ich sie mochte, aber nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung war. Sie sprach von sich selbst. Davon, dass sie noch nicht so viele Erfahrungen gesammelt hatte.

»Hast du gedacht, ich reite jetzt drauf rum, wieso du noch nie Sex hattest, obwohl du so heiß und intelligent und interessant bist?« Ich griff nach ihrem Kinn und drehte ihren Kopf, sodass sie gezwungen war, mich anzusehen. »Versteh mich nicht falsch, du bist sowohl interessant als auch heiß und intelligent, aber das hat so absolut gar nichts damit zu tun, ob und wann du Lust auf Sex hast.«

Sie nickte, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Richtig«, brachte sie immer noch ein bisschen verlegen hervor.

Ich beugte mich vor und küsste sie. Ihr Mund war weich und einladend, doch sie war nicht bei der Sache, also wich ich zurück.

Nervös befeuchtete sie ihre Lippen mit der Zungenspitze.

»Möchtest du dein erstes Mal mit jemandem haben, der verliebt in dich ist?«, hakte ich nach. »Das würde ich nämlich zu hundert Prozent verstehen.«

Ich liebte Dates. Die Gespräche, die Eigenheiten jeder Frau, die Spannung, den Sex. Nur wenn es um Gefühle ging, machte ich dicht. Es war nicht beabsichtigt, natürlich hatte ich genauso Lust darauf wie der Rest der Welt, doch es war keine Option. Ich hatte akzeptiert, dass ich verkorkst war. Manchmal wünschte ich mir, es ginge mir so wie Noah, der vor seiner Vergangenheit weggerannt war und deshalb all die Jahre niemanden an sich rangelassen hatte. Ich rannte nicht weg. Ich wusste genau, was Sache war. Denn sobald ich glaubte, jemanden zu mögen, wirklich zu mögen, flüsterte mir eine kleine fiese Stimme zu, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis mein Gegenüber realisierte, dass ich es nicht wert war. Früher oder später würden sie alle Reißaus nehmen, nicht wahr? Egal, was ich tat, wenn dieser Gedanke kam, stellten sich keine Gefühle mehr ein. Hätte ich die Chance darauf, eines Tages auch nur ansatzweise so etwas für jemanden zu empfinden wie er für Liv, würde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit es funktionierte. Meine einzige Regel war, dass ich mit offenen Karten spielte. Der kurzzeitige Spaß, den ich haben konnte, wenn ich Briony das Blaue vom Himmel versprach und ihr vorgaukelte, Gefühle zu haben, war ihren Schmerz nicht wert.

Kopfschüttelnd rückte sie näher. »Das ist mir egal, ich will einfach nur, dass es sich richtig anfühlt. Bei dir fühlt es sich richtig an.«

»Briony?« Ich wartete, bis sie meinen Blick erwiderte. »Du kannst ehrlich zu mir sein, okay?«

Sie trank einen großen Schluck aus ihrer Flasche, stellte sie ins Gras hinter sich und beugte sich dann wieder zu mir. »Ich will, dass du mit mir schläfst. Ich hab schon viel zu lang darauf gewartet.«

Grinsend hob ich eine Braue. »Auf mich?«

Sie verdrehte die Augen. »Werd bloß nicht übermütig.«

So mochte ich sie am liebsten. Wenn sie sich nicht davon einschüchtern ließ, dass sie mich gut fand. Ich mochte es auch, wenn sie rot wurde, es war ehrlich und real, und auch wenn sie sich damit ein Stück weit vor mir entblößte, wirkte sie in diesen Momenten freier. Es erinnerte mich ein bisschen an die Version von ihr, die zu sehen war, wenn sie auf der Bühne stand.

»Also willst du mich für meinen Körper ausnutzen?«, zog ich sie auf.

Sie holte aus, um mich in die Rippen zu boxen.

Ich ergriff die Gelegenheit, packte ihre Handgelenke und zog sie ganz nah an mich. Dann küsste ich sie, bis ihr Atem nur noch abgehackt kam und Verlangen durch meinen Körper pulsierte. Bis das Rot des Himmels von Dunkelblau ersetzt wurde und die Kälte unter unsere Jacken kroch.

»Wie wär’s, wenn wir uns heute Nacht gegenseitig ausnutzen?«, wisperte ich an ihren Lippen.

»Bleib«, sagte ich, als sie sich später im Halbdunkel aufrichtete und nach ihrer Unterwäsche tastete. »Bleib, wenn du willst.«

Ihr Lächeln war eine Mischung aus Benommenheit und Dankbarkeit. Sie ließ sich zurück auf die Matratze fallen und machte es sich auf meiner Brust gemütlich. Innerhalb von Sekunden war sie eingeschlafen. Die körperliche Anstrengung und die Neuheit der Erfahrung, die sie gerade gemacht hatte, forderten ihren Tribut.

Ich zog die Decke über ihren nackten Körper und schlang die Arme um sie. Mein Blick streifte die Umrisse der Staffelei, der Hängematte vor dem Fenster und der Farbtuben darunter. Die Wärme ihrer Haut konnte die Kälte nicht vertreiben. Vermutlich hätte ich das Fenster schließen sollen, es war verdammt kalt für Ende März.

Ich strich über ihr weiches Haar, über ihre Haut, zeichnete Muster auf ihren Rücken. Es könnte so einfach sein. Wen interessierten schon Geldsorgen, wenn sie in meinen Armen lag? Briony war perfekt. Alles an ihr war richtig und gut. Manchmal reichte es aus, jemanden zu halten und mir vorzustellen, da sei mehr.

Ich vergrub mein Gesicht in ihrem Haar. Heute reichte es nicht. Es lag nicht an den Geldsorgen. Es war egal, wer in meinen Armen schlief. Es lag an der Kälte, die nichts mit dem Nachtwind zu tun hatte. Es lag an dem Grau, das sich in jedem Winkel des Lofts breitgemacht hatte und sowohl nachts als auch tagsüber alle Farben verschluckte.

Es lag an mir.

3. KAPITELAnd she needs you

MATILDA

Der Geruch von Verbranntem stieg mir genau in dem Moment in die Nase, als Liv, herzhaft gähnend, ins Wohnzimmer trat. Sie trug ein übergroßes Bandshirt, das bis zur Hälfte ihrer Oberschenkel reichte und definitiv nicht ihr gehörte, und ihr Pony stand in alle Himmelsrichtungen ab.

»Morgen«, nuschelte sie. »Hier riecht’s irgendwie komisch.«

Die letzten Sekunden – oder waren es Minuten? – hatte ich auf mein Handy gestarrt, genauer gesagt auf den »Zuletzt online«-Schriftzug in Brionys WhatsApp-Chat. Nach wie vor 22:43 Uhr.

Mir war wirklich nicht mehr zu helfen …

Hinter Liv kam Seymour in nichts als Boxershorts aus dem Flur geschlurft. »Wer hat dich in die Nähe des Herdes gelassen?«, fragte er mit einem müden Grinsen.

Jetzt kam mein Hirn auch endlich in die Gänge. Ich wirbelte herum, und mein Blick traf auf ein übel riechendes schwarzes Gemisch in der Pfanne. Tja, das war’s wohl mit meinem Rührei. Hastig schob ich die Pfanne von der glühenden Platte und schaltete den Herd aus, bevor ich die verkohlten Reste mit dem Pfannenwender in den Mülleimer schabte.

»Gut, hätten wir also wieder mal unter Beweis gestellt, dass die Küche und ich keine Freunde werden.«

Liv eilte in Richtung Balkon, während Noah sich lachend zu mir gesellte und mir die Pfanne aus der Hand nahm. »Darf ich mich ums Frühstück kümmern, bitte? Bevor wir alle an einer Rauchvergiftung sterben?«

Ich verdrehte die Augen und nahm einen großen Schluck von meinem Kaffee, der viel zu schwach schmeckte. »Tu dir keinen Zwang an.«

Liv riss die Balkontür auf und kam dann wieder zu mir, um sich bei mir unterzuhaken und mich zum Sofa zu lotsen. »Lass den mal machen«, murmelte sie verschwörerisch. »Wie geht’s dir? Du hast gestern nicht allzu viel Schlaf bekommen, oder?«

Ich runzelte die Stirn. Erst als ich ihr anzügliches Lächeln bemerkte, realisierte ich, dass sie nicht auf meine Sorge um Briony anspielte. Zwar hatte ich ihr erzählt, dass ich Anthony aus diversen Gründen kein Stück über den Weg traute, aber ich wollte ungern auf dem Thema rumreiten, da sie nun mal mit seinem besten Kumpel zusammen war. Und außerdem wollte ich ihr nicht den Grund auf die Nase binden, aus dem mein Beschützerinstinkt so ausgeprägt war, wenn es um Bry ging. Nicht, weil ich Liv nicht vertraute, sondern weil Briony selbst entscheiden sollte, wem sie von ihrer Vergangenheit erzählte.

»Weil du in den letzten Tagen mehr Orgasmen als ich hattest und mich diese Ungerechtigkeit die ganze Nacht wach gehalten hat?«, fragte ich mit Engelsmiene.

Lachend ließ sie sich aufs Sofa fallen und griff wie selbstverständlich nach meiner Kaffeetasse. Ihre Augen strahlten, ihre Haut glühte. Ich gab es wirklich nicht gerne zu, aber Seymour schien tatsächlich gut für sie zu sein.

Ich öffnete den Mund, um eine Warnung auszusprechen, doch da hatte sie schon einen Schluck genommen und verzog prompt das Gesicht.

»Wow«, brachte sie heraus und gab mir die Tasse zurück.

Ich seufzte. »Ja, ich weiß.«

»Es … Es ist echt nicht so schlimm, ich will ihn dir nur nicht wegtrinken«, beeilte sie sich hinzuzufügen.

»Putzig, wie diplomatisch du das formulierst.«

Noah tauschte einen schnellen Blick mit Liv, bevor er nach der French Press griff und den Rest des Kaffees in hohem Schwung ins Spülbecken goss. »Matilda, du hast ab sofort Küchenverbot.«

Ich warf ein Kissen nach ihm, das er mit einer Hand auffing und direkt zurückschleuderte. Im letzten Moment wich ich aus, sodass es seiner Freundin an den Kopf flog.

»Sorry, Livie«, sagte er leicht zerknirscht.

Mit einem diabolischen Grinsen fischte sie das Kissen vom Boden. »Das bedeutet Krieg.«

Noch so eine Sache, die schwer zuzugeben war: Ich mochte unsere neue WG-Konstellation. Obwohl ich mit einem Paar zusammenlebte, das sich in der Flitterwochenphase befand. Auch wenn ich dem neuen Frieden nicht ganz über den Weg traute. Na ja, ich hatte gerade aber auch andere Probleme.

»Also«, nahm Liv den Faden wieder auf. »Hattest du einen One-Night-Stand? Du warst gestern so schnell weg, nachdem Briony zu ihrem Date aufgebrochen ist …«

Das lag daran, dass ich erst Regina eine halbe Stunde die Ohren vollgeheult hatte und dann als Ablenkung spontan in die Ginger Cat Bar auf Männerjagd gegangen war.

Ich nickte. »Zumindest dachte ich das zuerst. Dann hat sich allerdings beim Vorspiel rausgestellt, dass ich schon mal was mit ihm hatte.«

»Beim Vorspiel?« Sie kicherte, während es hinter uns klapperte und mir kurz darauf der Duft von geschmolzener Butter in die Nase stieg.

»Mhm. Er hat mit seiner etwas fragwürdigen Fingertechnik, die man leider Gottes nur als Bohrmaschinenmethode beschreiben kann, losgelegt, und als ich ihn freundlich darauf hingewiesen habe, dass er mich auf die Weise in drei Jahren nicht zum Kommen bringen wird, hat er angefangen, mir meinen Körper zu mansplainen.«

»Wie meinst du das?«

Ich schlug die Beine übereinander und seufzte. »Er meinte, er weiß, was er tut, seine Ex sei auf die Weise immer zum Höhepunkt gekommen, ich hätte mich nur noch nicht ausreichend mit meinem Körper auseinandergesetzt, bla, bla, bla. Irgendwann hab ich ihn gefragt, ob seine Ex imaginär sei, da ist er wütend abgezogen. Schade. Selbstlos wie ich bin, hätte ich mich bereit erklärt, ihm eine Unterrichtsstunde in weiblicher Anatomie zu geben … Sein Verlust!«

Das letzte Mal hatte ich seine reizende Bekanntschaft im ersten Semester auf irgendeiner Kneipentour gemacht und war zu betrunken und zu wenig selbstbewusst gewesen, um ihm die Meinung zu geigen. Zwischen damals und gestern Nacht waren einige einschneidende Dinge geschehen.

Seymour stellte uns eine frische Kanne Kaffee auf den Couchtisch und warf mir einen ungewöhnlich verständnisvollen Blick zu. »Was für ein Trottel«, murmelte er. »Wieso hast du dann trotzdem so rumgestöhnt, als gäbe es kein Morgen mehr?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Weil ich es mir als Entschädigung selbst besorgt habe, nachdem er weg war.«

Liv prustete los, und auch Seymour grinste anerkennend, bevor er sich wieder dem Herd zuwandte.

»Find ich gut«, sagte Liv. »Dann ist also die ganze WG auf ihre Kosten gekommen.«

Wie auf Knopfdruck war zu hören, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde.

Ich bemühte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Sekunden später kam Briony ins Wohnzimmer geschwebt. Treffender konnte man ihre Gangart nicht beschreiben. Sie trug das gestrige Outfit, und ihr Gesicht glühte ähnlich wie Livs. Ihre langen Haare waren leicht zerzaust.

Sex-Haare.

»Wunderschönen guten Morgen.«

Erleichterung durchflutete mich. Es war alles okay. Dem Anschein nach mehr als okay.

»Hi, Briony«, rief Liv fröhlich. »Du kommst gerade richtig zum zweiten Frühstück.«

»Das erste war überraschenderweise ungenießbar«, ergänzte Noah, ohne sich umzudrehen.

Kichernd gesellte sich Briony zu uns und setzte sich uns gegenüber auf einen der bunten Vintage-Sessel. Sie platzte fast vor Glück. Und sie wich meinem Blick aus, als würde sie sich dafür schämen.

Oh, verflucht noch mal, war ich in letzter Zeit wirklich so scheiße gewesen? Glaubte sie, ich gönnte es ihr nicht?

»Bry, wir wollen alle Details«, sagte ich und grinste sie so überzeugend wie möglich an.

Liv nickte überschwänglich und verteilte den neuen Kaffee auf unsere Tassen. »Alle, alle, alle!«

»Ich bitte drum«, klinkte sich Seymour trocken ein, ohne sich zu uns umzudrehen. Er war gerade damit beschäftigt, Eier in einer Schüssel zu verquirlen. »Ich möchte unbedingt wissen, wie mein bester Kumpel vögelt. Lass ja kein Detail aus.«

Briony lief knallrot an. »Ähm, also, es gibt gar nicht so viel zu …«

»Hast du’s getan?«, fiel ich ihr ins Wort. »Komm schon, Süße, wir sind hier unter uns!«

»Und Noah wird es eh von Anthony erfahren, die zwei sind die schlimmsten Klatschweiber«, flüsterte Liv.

Briony presste die Lippen zusammen, wahrscheinlich, um sich ein breites Grinsen zu verkneifen, und stieß ein leises Quietschen aus, während sie kaum merklich nickte.

Liv und ich tauschten einen Blick, bevor wir ihr beide eine Hand zum High Five hinhielten. Sie bemühte sich um einen genervten Gesichtsausdruck, aber ihre wahre Freude sprudelte über, als sie sich vorbeugte und uns zeitgleich abklatschte.

»Yeeees!«

»Perfekt, damit ist der WG-Orgasmus-Count vollständig. Er hat dich doch hoffentlich zum Kommen gebracht? Nicht so wie der Schwachkopf, den ich törichterweise in die Nähe meines Luxuskörpers gelassen habe?«

»Tilda«, rief Bry mit hoher Stimme. »Reiß dich zusammen.« Dann runzelte sie die Stirn. »Welcher Schwachkopf? Was hab ich verpasst? Sag mir nicht, du hast wieder getindert! Ich dachte, wir haben uns darauf geeinigt, dass auf dieser App niemand Brauchbares zu finden ist?«

»Oh nein, Madame«, sagte ich und warf ihr einen Luftkuss zu. »Du wirst nicht von dir ablenken. Und nur zu deiner Info: Der letzte Tinder-Typ war sehr brauchbar, er hat ganz brav Livs Kartons geschleppt, nicht wahr?«

Liv hatte gerade an ihrem Kaffee genippt und verschluckte sich, weil sie so lachen musste.

Briony schüttelte den Kopf, auch wenn sie sich in Wahrheit amüsierte. Der Ausdruck in ihren blauen Augen, der zwar ziemlich müde, aber mindestens genauso euphorisch wirkte, sprach Bände.

»Oh mein Gott, es war so klar, dass hier wieder ein Riesenthema daraus gemacht wird.« Sie wandte sich an Liv und streckte ihre Handfläche in meine Richtung, als könnte sie mich damit vom Gespräch abschirmen. »Liv, falls es dir noch nicht aufgefallen ist, Matilda muss immer alles zu einem Drama aufbauschen. Dabei bin ich hier die Schauspielerin.«

»Sorry, aber ich muss mich der Dramaqueen anschließen: Erzähl, ich bin mindestens genauso neugierig!«

Briony ließ die Arme sinken und gab sich offenbar geschlagen. »Ja, wir haben miteinander geschlafen. Ja, ich hatte Spaß. Ja, es war wunderschön. Mehr Details gibt’s nicht, ihr sensationsgeilen Hühner!«

Bevor Liv oder ich etwas erwidern konnten, stellte Noah eine duftende Pfanne zwischen uns auf den Tisch. Der Idiot hatte innerhalb weniger Minuten das perfekte Omelett gezaubert – mit Spinat und Champignons. Nicht mal die Chiliflockengarnitur fehlte.

Er warf mir einen triumphierenden Blick zu. »So macht man das, Matilda.« Bevor er, an Briony gewandt, hinzufügte: »Gratuliere zum erfolgreichen Geschlechtsverkehr. Hat Tony zufällig irgendwie angepisst auf dich gewirkt?«

Bry, die noch immer ziemlich rot im Gesicht war, schaute verwirrt zu ihm auf. »Hä?«

»Vergiss es.« Er schüttelte den Kopf wie über sich selbst, ehe er vier Teller aus dem Schrank nahm, sich auf die Sofalehne neben Liv setzte und sie an uns verteilte.

»Für mich nicht, ich hab keinen Hunger«, sagte Briony.

Ich erstarrte. »Sag bloß, er hat dir auch noch Frühstück gemacht?«

»Mhm.« Sie sah mich nicht an.

Fuck, ich wollte mich wirklich für sie freuen. Aber wie sollte ich das tun, wenn gerade sämtliche Alarmglocken in meinem Hinterkopf zu schrillen begannen?

Doch ich riss mich zusammen. Nur weil Bry nach dem Vögeln keinen Appetit hatte, was ich nie von mir behaupten konnte, musste ich nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen.

Immerhin grinste sie ziemlich verklärt vor sich hin. Energisch schob ich meine Sorge beiseite und stürzte mich aufs Omelett.

Als Noah sich erhob, um Salz und Pfeffer zum Nachwürzen zu holen, schien Bry es nicht mehr auszuhalten. »Mädels, er ist so perfekt«, hauchte sie. »Der ganze Abend war traumhaft. Erst diese malerische Aussicht auf die Stadt, dann das Picknick, das er vorbereitet hat … Unser Spaziergang und … Gott, ich fühle mich wie in einem Märchen. Als sei das alles zu gut, um wahr zu sein.«

Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Er hat nicht komisch reagiert, oder?«

Endlich erwiderte sie meinen Blick und schüttelte mit verklärtem Lächeln den Kopf. Sie wusste, worauf ich anspielte. »Im Gegenteil. Ich sag ja, er ist perfekt.«

Noah kehrte zurück, stellte Salz und Pfeffer ab und drückte Liv einen schnellen Kuss auf, bevor er irgendwas von »frische Luft« murmelte und sich mit seiner Kaffeetasse auf den Balkon verzog. Seinem Gesichtsausdruck entnahm ich, dass es ihm ebenso viel Spaß wie mir bereitete, dieser Erzählung zu lauschen. Na gut, wahrscheinlich wollte er Bry ein bisschen Privatsphäre gönnen, damit sie offen über den Abend reden konnte.

»Ich freu mich total für dich«, sagte Liv, nachdem sie Seymour kurz nachdenklich hinterhergeschaut hatte.

Briony strahlte sie an. »Ich glaube, es ist was Ernstes. Ich hab das einfach im Gefühl. Bei dir und Noah war es doch auch so, oder? Du wusstest es von Anfang an.«

»Bry, sie hat ’nen Artikel darüber geschrieben, wie sie einen Fuckboy bekehrt«, erinnerte ich sie. »Da war nicht so viel mit Romantik am Anfang.«

Liv kicherte, aber Briony winkte ab.

»Das war ja nur ein Vorwand. Gefühle waren immer da, stimmt’s? Und du hast es auch geschafft, ihn zu bekehren, wie man sieht! Wieso sollte ich es nicht schaffen, Anthony zu bekehren?«

Ich schluckte hart. Spürte förmlich, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich.

Oh, Süße. Oh, bitte nicht.

»Habt ihr darüber gesprochen, in welche Richtung es für euch läuft?«, fragte Liv freundlich.

Ich war dankbar, dass sie das Gespräch weiterführte. Keine Ahnung, was herauskommen würde, wenn ich jetzt den Mund öffnete.

Irgendetwas flackerte in Brys Blick auf, doch dann richtete sie sich auf und lächelte noch breiter. »Nicht direkt, aber das müssen wir auch nicht. Man merkt es einfach an der Art, wie er mit mir umgeht.«

»Hast du gegessen?«

»Hast du auf dem Date gegessen?«

»Wie war es, dich vor ihm auszuziehen? Hat er dir ein gutes Gefühl gegeben?«

»Und was ist mit heute Morgen? Hast du wirklich bei ihm gefrühstückt? Oder war das gelogen?«

Die Fragen blieben mir im Hals stecken. Meine Beine waren schneller als mein Gehirn, im nächsten Moment war ich schon aufgestanden.

»Bin gleich zurück«, murmelte ich und stürmte auf den Balkon.

Gewissenhaft schloss ich die Tür hinter mir und wandte mich zu Seymour um. Eine Gänsehaut überzog seinen nackten Oberkörper, und er klammerte sich an seiner dampfenden Tasse fest.

»Warum frierst du dir hier draußen den Arsch ab?«

Überrascht wandte er mir sein Gesicht zu, als ich mich neben ihn ans Geländer stellte. Zwar regnete es nicht, dafür waberten Nebelschwaden zwischen den grauen Häusern.

»Wahrscheinlich aus demselben Grund wie du«, antwortete er nach einer kurzen Pause.

Ich ging nicht weiter darauf ein. Auch mir war kalt, da ich nur ein knappes Nachthemd trug. Egal.

»Seymour«, flüsterte ich in den eisigen Wind. »Ich weiß, du kannst mich nicht leiden, und glaub mir, die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit, aber das ist mir gerade so was von scheißegal. Du musst mir die Wahrheit sagen.«

Er hob eine Braue. »Was für eine Wahrheit?«

»Meint er’s ernst mit ihr?«, platzte ich heraus.

Bitte sag Ja. Bitte gib mir irgendeinen Grund, Bry in dieser Sache zu unterstützen. Sag einfach Ja und beweis mir, dass ich mich täusche.

Noah seufzte tief. »Ich halt mich da raus, Matilda.«

»Nein, das wirst du nicht! Es ist wichtig, verdammt.«

»Was zur Hölle ist dein Problem mit Anthony? Er hat dir nie was getan. Nur weil ich ein Arschloch bin, heißt das nicht, dass …«

»Es geht nicht um dich«, fiel ich ihm ins Wort. »Ich muss nur wissen …«

Jetzt war es an ihm, mich zu unterbrechen. »Was ist los mit dir? Glaubst du nicht, dass Briony alt genug ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen? Warum stresst dich die ganze Sache so?« Plötzlich grinste er. »Stehst du auf ihn?«

Am liebsten hätte ich geschrien, um der Wut in meinem Bauch Luft zu machen. Stattdessen atmete ich tief durch. »Seymour, halt deine dumme Klappe und hör mir zu. Es ist wichtig. Es geht mir nur um sie, okay? Ich würde dich nicht mit dem Mist nerven, wenn es nicht verflucht noch mal wichtig wäre!« Zu meinem absoluten Entsetzen spürte ich, wie mir Tränen in die Augen schossen.

Seine Miene wandelte sich blitzschnell. Er zog seine Augenbrauen zusammen. »Hey, was ist denn los?«

Ich schüttelte den Kopf und wandte mich ab, um mich zu sammeln.

»Was willst du von mir? Dass ich über meinen besten Kumpel herziehe?«, fragte er, klang dabei aber nicht mehr angepisst, sondern resigniert.

Ich fuhr herum. »Hat er Gefühle für sie? Meint er es ernst?«, wiederholte ich.

Sein Blick war eigentlich schon Antwort genug. »Er würde ihr nicht absichtlich wehtun«, murmelte er.

»Danach habe ich nicht gefragt.«

Angestrengt starrte er in seine Kaffeetasse.

»Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er genauso verknallt in sie ist wie sie in ihn?«, bombardierte ich ihn weiter. »Verkauf mich nicht für blöd, okay? Ich weiß, wie es ist, sich durch die Weltgeschichte zu vögeln, weil man nichts Festes eingehen will. Also spar dir den Bullshit.«

»Ich …« Er brach ab.

Verdammt, musste ich wirklich noch dicker auftragen? So kamen wir nämlich nicht weiter.

»Seymour, hast du Lust, dass ich Liv eingehender von deinen Verflossenen erzähle und sie daran erinnere, wie beschissen du jede einzelne behandelt hast? Damit sie hinterfragt, wieso sie sich eigentlich mit dir abgibt? Wir wissen beide, dass sie was Besseres verdient hat.« Ich spielte unfair, das war mir bewusst, aber in diesem Moment auch herzlich egal, wenn ich damit erreichte, dass er im Gegenzug die Wahrheit ausspuckte.

Augenblicklich schaute er wieder auf und funkelte mich an. »Du kannst nichts gegen Liv und mich ausrichten«, erwiderte er überheblich, aber seine Miene sagte etwas anderes.

»Die Wahrheit. Bitte!«, presste ich hervor.

Zischend stieß er die Luft aus. »Du bist so ein Biest, weißt du das?«

Ich lachte hohl. »Hör ich nicht zum ersten Mal. Also?«

Ein weiteres Seufzen folgte, diesmal eins der Kapitulation. »Anthony führt keine … Beziehungen. Und mit Gefühlen hat er es auch nicht so.«

Bittere Galle stieg in mir auf. »Wer hätte das gedacht?« Meine Stimme sollte verächtlich klingen, doch ich hörte nur Verzweiflung heraus. »Danke dafür. Jetzt wüsste ich außerdem noch gerne, wo er sich heute rumtreibt.«

»Das ist ein Scherz, oder?«

Ich schenkte ihm ein falsches Lächeln. »Seh ich aus, als würde ich Witze machen? Denk an Liv. An den Frieden in der WG und in eurer zarten Beziehung.«

Er sah aus, als wollte er mich am liebsten übers Geländer werfen. Ausnahmsweise konnte ich seinen Wunsch nachvollziehen. Das änderte allerdings nichts an meinem Vorhaben.

»Du solltest nicht Psychologie studieren, sondern dir Gedanken über ’ne Therapie machen«, knurrte er. »Normal ist dein Verhalten nicht.«

»Normal ist langweilig.«

Er erwiderte nichts, erdolchte mich bloß mit seinen Blicken.

»Sprich.«