Tumult und Spiele - Peter Burke - E-Book

Tumult und Spiele E-Book

Peter Burke

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Beschreibung

Mit meisterlicher Leichtigkeit überführt Peter Burke Jahrzehnte seiner Forschung in eine glänzende Erkundung der Alltagsgeschichte und zeigt: Der Mensch der Renaissance war ein spielender. Von Spottversen und Satiren über Karneval, Theater und Akrobatik bis hin zu Schaukämpfen, Quizzen und den Vorformen von Fußball und Tennis: Die italienische Renaissance war besessen von Spiel und Wettbewerb. In seinem ebenso unterhaltsamen wie gelehrten Essay leuchtet Peter Burke, der große Kenner der Epoche, das ganze erstaunliche Spektrum der mal ordinären, mal kultivierten Lustbarkeiten aus. Quer durch die Gesellschaftsschichten genossen die Massen die Möglichkeit des Ausbruchs aus den strengen Konventionen im Spiel. Zugleich kanalisierten viele »Regeln der Unordnung« die Subversion unversehens. Dennoch wetterten Kirchenmänner und Humanisten gegen Gewalt, Blasphemie und Obszönität des Spiels und drängten auf eine Bändigung seiner Zügellosigkeit. Ein wichtiger Beitrag zur Kultur der italienischen Renaissance, die sich in Burkes Blick als Zeitalter göttlicher, aber auch teuflischer Komödien präsentiert.

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Mit meisterlicher Leichtigkeit überführt Peter Burke Jahrzehnte seiner Forschung in eine glänzende Erkundung der Alltagsgeschichte und zeigt: Der Mensch der Renaissance war ein spielender.

Peter Burke

Tumult und Spiele

Theater, Calcio und Karneval im Italien der Renaissance

Aus dem Englischen von Matthias Wolf

Verlag Klaus Wagenbach Berlin

»Scherzen, ja, aber ernsthaft«(scherzare, sì, ma seriamente)

In Erinnerung an den spielfreudigen Gelehrten Umberto Eco

Vorwort

1Einleitung

2Spaß und Spiele

3Lachen

4Befürworter und Gegner des Spiels

5Personen, Orte und Zeiten

6Neue Entwicklungen

7Epilog: 1650 bis heute

Dramatis Personae

Ausgewählte Literatur

Anmerkungen

Vorwort

Ein chinesischer Maler, der seinen Schülern erklärte, wie sie einen Bambushain abzubilden hätten, sagte ihnen, sie sollten zunächst monatelang über Bambus meditieren, versuchen, selbst zu einem Bambus zu werden, und dann ihr Gemälde innerhalb von Minuten ausführen. Auf ähnliche Weise ist auch dieser Essay, wiewohl kurz und im Laufe weniger Monate verfasst, letztlich in einer langen Entstehungszeit herangereift. Meine Beschäftigung mit Volksfesten und insbesondere mit dem Karneval in meinem Buch Helden, Schurken und Narren. Europäische Volkskultur in der frühen Neuzeit (1978) weckte in mir den Wunsch, dieses Thema weiterzuverfolgen. Gespräche mit Philippe Ariès führten wenige Monate später zu der Einladung, 1980 auf einer Konferenz in Tours zum Thema »Les yeux à la Renaissance« einen Vortrag zu halten. Eine Konferenz über »Il tempo libero«, die 1994 in Prato stattfand, gab mir Gelegenheit, die Geschichte des Mußegedankens weiter zu vertiefen. Mein Buch über Castigliones Cortegiano, des Hofmann, der in Form spielerisch präsentierter Dialoge daherkommt, regte mich zu weiteren Gedanken über Elemente des Spiels in der Kultur der Hochrenaissance an. Anlässlich einer von Jan Bremmer und Herman Roodenburg in Amsterdam organisierten Konferenz über die Kulturgeschichte des Humors verfasste ich einen Beitrag unter dem Titel »Frontiers of the Comic«, der seinerseits zu einem Kapitel in einem 1997 veröffentlichten Sammelband zur Geschichte des Humors ausgearbeitet wurde.1 Kurz gesagt habe ich diesen Essay meinem Gefühl nach über vierzig Jahre lang vorbereitet, ohne mir dessen bewusst zu sein. Gelegentlich habe ich mich dabei aus früheren eigenen Publikationen bedient, doch ich glaube, dass dieses Buch mit neuen Ideen aufwarten kann und dass die Gedanken darin, die schon an anderer Stelle ihren Niederschlag fanden, hier in einer neuen Richtung weiterentwickelt werden.

Eine weitere Einladung, diesmal von John Henderson und Virginia Cox, die mich baten, ein kurzes Buch für eine Reihe über die italienische Renaissance zu verfassen, überzeugte mich davon, das Thema erneut aufzugreifen. Es liegt mir fern, mich bei dem aktuellen Virus zu bedanken, aber seine Auswirkung, der buchstäbliche Hausarrest, verhalf mir zu vorzüglicher Konzentriertheit und erlaubte mir, meine Notizen zu ordnen und trotz geschlossener Bibliotheken einen ersten Entwurf anzufertigen. Meiner Frau Maria Lúcia kann ich gar nicht genug dafür danken, dass sie sich in dieser Zeit der Krise um mich gekümmert hat. Für die in Boccaccios Dekameron beschriebene Gruppe junger Männer und Frauen wie fraglos auch für den Verfasser bedeutete das Erzählen von Geschichten eine gewisser Abwechslung – sie alle waren vor der Pest von 1348 geflohen. Für mich im Jahr 2020 nun war das Lesen und Schreiben über das Spiel eine Form wohltuender Abwechslung in einer vom Corona-Virus beherrschten Zeit.

1Einleitung

Die drei entscheidenden Wörter im Titel und Untertitel dieses Buchs mögen auf den ersten Blick eindeutig sein, doch birgt jedes von ihnen Probleme. »Italien«, ließe sich argumentieren, ist in dieser Periode vielleicht zu klein und gleichzeitig zu groß, um als einheitlicher Forschungsgegenstand behandelt zu werden. Einerseits finden sich zu traditionellen Spielformen in Italien – von Charivaris (scampanate) bis zum Karneval – Parallelen in anderen Gegenden Europas, während einige neue in Italien erfundene Formen wie die Komödie in anderen Ländern übernommen und adaptiert wurden. Andererseits war Italien noch keine Nation, sondern bestand aus einer Reihe von Regionen, die sich in ihren Kulturen ebenso unterschieden wie in ihren ökonomischen Strukturen und politischen Systemen. Eine auf dem Toskanischen basierende Schriftsprache trug seinerzeit zwar zur Vereinheitlichung der Halbinsel bei, doch die Mehrheit der Bevölkerung sprach regionale Dialekte, und die Eliten verwendeten den Dialekt oft als spielerische Form von Sprache, wie noch zu zeigen sein wird.

Wie die Leser bemerken werden, stammen die meisten der hier aufgeführten Beispiele aus Nord- oder Mittelitalien, was allerdings nicht bedeutet, dass es südlich von Rom keine spielerische Kultur gegeben hätte. Zu den offensichtlichen Beispielen, die das Gegenteil beweisen, gehören der Geschichtenerzähler Masuccio Salernitano aus Salerno im Südwesten Italiens; Pietro Antonio Caracciolo, ein Schauspieler, der Schwänke in seiner neapolitanischen Heimatsprache verfasste; Fabrizio de Fornaris, auch er ein neapolitanischer Mime, der für seine Interpretation der Figur des hasenfüßigen Prahlhanses »Capitan Coccodrillo« berühmt war; Giambattista della Porta, ein Universalgelehrter aus Neapel, der sich vor allem mit seinen Komödien einen Namen machte; und Giordano Bruno aus Nola bei Neapel, der auch als Verfasser einiger lebendiger und spielerischer Dialoge hervortrat. Dass der Süden in diesem Essay nur eine zweitrangige Rolle spielt, resultiert wahrscheinlich aus einem relativen Mangel an Zeugnissen. Das sizilianische Puppentheater existierte zum Beispiel schon zu dieser Zeit, doch über seine Vorführungen vor dem 19. Jahrhundert ist nur wenig bekannt.

Nicht unproblematisch ist auch der Begriff »Renaissance«. Das Hauptproblem besteht dabei im Kontrast zwischen zwei gängigen Verwendungen des Worts. Oft wird es auf traditionelle Weise benutzt, um eine bestimmte Epoche der europäischen Geschichte zu bezeichnen – mehr oder weniger das 15. und 16. Jahrhundert. Heutzutage wird diese Zeit öfter als »frühneuzeitlich« beschrieben und bis zum 18. Jahrhundert ausgeweitet. Im vorliegenden Essay werde ich Italien während einer langen Renaissance betrachten, die von 1350 bis 1650 reicht.

Das Wort »Renaissance« wird auch in einem präziseren und eingegrenzteren Sinn gebraucht, um auf eine bestimmte Bewegung zu verweisen, auf einen kollektiven Versuch, die Kultur der klassischen (griechischen und römischen) Antike neu zu entdecken und zu imitieren. Dieser Essay konzentriert sich auf diese Bestrebungen, die um das Wirken der wichtigsten Künstler und Autoren der Epoche erweitert werden, selbst wenn diese nicht unmittelbar von der antiken Welt beeinflusst waren. Die Bewegung betraf zwar nur eine Minderheit der italienischen Bevölkerung, doch um sie in ihrem Kontext zu verorten, wird es unumgänglich sein, auch die Volkskultur zu untersuchen.

Haben wir eine zu ernste Auffassung von der Renaissance? Fraglos hatte sie eine spielerische Seite, was auch für viele – wenn nicht gar die meisten – ihrer berühmtesten Protagonisten zutrifft, egal ob sie an ihr als Künstler oder als Gelehrte (die sogenannten Humanisten) mitwirkten.

Maßgebliche Künstler schufen Bilder, die Lachen oder zumindest ein Lächeln hervorrufen sollten, unter ihnen Leonardo (dessen Notizbücher zeigen, dass er auch Scherze sammelte), Raffael (dessen verspielte Putti ikonischen Status erhielten), Bronzino (dessen komische Gedichte beweisen, dass er keineswegs so kalt war, wie seine Gemälde vermuten lassen), Giulio Romano (der sich architektonische Scherze erlaubte) und Arcimboldo (der visuelle Wortspiele erfand). Selbst Michelangelo, von dem es oft heißt, er sei – ob in der Agonie oder in der Ekstase – immer völlig ernsthaft gewesen, hatte einen Sinn für Humor, der sowohl in seinen Gedichten (in denen er seine Arbeit an den Deckengemälden in der Sixtina ironisierte) als auch in seiner Kunst zum Ausdruck kam. Auch hatte er – zumindest der Legende nach – ein Faible für Schelmenstreiche, und mit Francesco Berni, dem damaligen Meister dieses Genres, pflegte er kom'ische Verse auszutauschen.2

Namhafte Humanisten wie Francesco Petrarca, Poggio Bracciolini, Angelo Poliziano und Pietro Bembo sammelten Witze. Cosimo de' Medici, der inoffizielle Herrscher von Florenz, spielt in Polizianos Scherzbuch eine aktive Rolle. Cosimos Enkel Lorenzo de' Medici, genannt der Prächtige, schrieb Lieder für den Karneval sowie ein komisches Gedicht, und Lorenzos zweiter Sohn Giovanni – der spätere Papst Leo X. – beschäftigte mehrere Narren, deren Aufgabe darin bestand, ihn und seinen Hof zu unterhalten. Baldassare Castiglione erörterte das Wesen des Humors. Niccolò Machiavelli verfasste Komödien. Bedeutende Damen aus der Oberschicht, namentlich Isabella d'Este, nahmen an Spielen teil. Der Humanist Leon Battista Alberti präsentierte mathematische Rätsel als »spaßigste Dinge« (cose iocundissime). Philosophen wie Marsilio Ficino oder Giordano Bruno begeisterten sich für die Idee des »ernsthaften Spiels« (serio ludere oder giocare serio), und Galileo Galilei flocht in seinen anschaulichen Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme (1632) komische Passagen ein.3 Auch zwei der größten italienischen Dichter ihrer Zeit widmeten sich dem Genre: Ludovico Ariosto verfasste Komödien sowie den Ritterroman Orlando furioso (Der rasende Roland), der spielerische Elemente enthält, und Torquato Tasso schrieb Dialoge über Spiele.

Vor dem Hintergrund, dass die Renaissance eine Bewegung kultureller Innovation war – gelegentlich getarnt als Neubelebung des Alten –, könnten ein paar Bemerkungen von Psychologen aufschlussreich sein. So wurde darauf hingewiesen, dass Innovation durch das Spiel mit Ideen zustande kommt, indem versucht wird, alternative Lösungen für ein bestimmtes Problem zu erproben. Eine Form dieses Spiels ist der Dialog, und im Italien der damaligen Zeit erlebten gedruckte sowie mündlich tradierte Dialoge eine wahre Blüte.4

Über das Spiel in der Renaissance zu schreiben soll nicht heißen, dass es im Mittelalter keine Verspieltheit gegeben hätte. Im Gegenteil: Dass das Spielerische in dieser Zeit sehr präsent war, muss jedem ins Auge stechen, der etwa über Franz von Assisi liest, den Blick über die Seitenränder vieler mittelalterlicher Manuskripte schweifen lässt oder die Wasserspeier und Miserikordien gotischer Kirchen betrachtet.5 Zwischen dem Mittelalter und der Renaissance gab es erhebliche Kontinuitäten in den Formen des Spiels, was namentlich für den Karneval gilt, und ebenso gab es Formen, die mit der Tradition brachen.

Was ist Spiel?

Das dritte Problem ist das vielschichtigste und schwierigste von allen. Was ist eigentlich Spiel? Was hat ein Faustkampf mit einem Ratespiel, einer Komödie oder einer Parodie zu tun? Unter den zahlreichen Theoretikern des Spiels, die sich mit dieser Frage herumgeschlagen haben, möchte ich drei hevorheben: einen Niederländer, einen Franzosen und einen Russen.6

In seiner Schrift Homo ludens (1938), der vielleicht besten Studie zum Thema, untersuchte der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga das »Spielelement in der Kultur«, das vom Krieg bis zum Streben nach Wissen reicht. Was verstand Huizinga unter Spiel? Nach seiner Definition handelt es sich um eine freiwilllige Aktivität, die um ihrer selbst willen, innerhalb eines zu ihr gehörenden Rahmens von Zeit und Raum ausgeübt wird, die durch die ihr eigenen Regeln Ordnung schafft und von einem Gefühl der Spannung und Freude begleitet ist. Auch unterschied er zwischen zwei Hauptformen des Spiels: Nachahmungstrieb und Wettstreit.7 In seinem Buch Die Spiele und die Menschen (1958) unterteilte der französische Philosoph und Soziologe Roger Caillois das Spiel in vier Typen, wobei er Huizingas Modellpaar um »Zufall« und »Rausch« ergänzte. Über Rätsel oder Humor ließ sich keiner der beiden Wissenschaftler aus.8 Die zweite dieser Lücken wurde von dem russischen Literaturtheoretiker Michail Bachtin ausgefüllt, der sich in seinem Buch Probleme der Poetik Dostojevskijs (1963) auf die antike griechische und römische Idee des »Ernsthaft-Komischen« bezog und die von ihm so genannte Geschichte des Lachens erörterte. Bachtin betonte die kulturelle Bedeutung des »karnevalistischen Weltempfindens« und vor allem den zentralen, subversiven Akt des Karnevals, die »närrische Krönung und anschließende Entthronung des Karnevalskönigs«.9

Die folgenden Ausführungen machen sich die Arbeit der drei Theoretiker zunutze, doch anders als diese interessieren sie sich nicht für allgemeine Prinzipien des Spiels, sondern für seine Formen und Rollen in einer spezifischen Kultur in einer spezifischen Epoche. Viele Spiele sind international – oder genauer gesagt, sie wurden internationalisiert. Im Gegensatz dazu geht es Spaß oder Humor wie manchen Weinen: Sie reisen nicht gut. Was in einer bestimmten Kultur oder einer bestimmten historischen Epoche als spielerisch gilt, wird in einer anderen möglicherweise nicht als amüsant empfunden.

Um dieses Problem zu vermeiden, könnte man Spiel als ein Bündel – oder besser gesagt – als ein System von Praktiken definieren, die in einer bestimmten Kultur als spielerisch anerkannt werden. Die Praktiken ähneln sich wie die Angehörigen einer selben Familie, die verschiedene gemeinsame Charakterzüge teilen, auch wenn einer von ihnen einem bestimmten Mitglied fehlen mag. Eine Definition von Spiel ist vielleicht einfacher zu ermitteln, wenn man dabei ex negativo verfährt (auf den Ausschlussprozess wird in Kapitel 6 näher eingegangen). Im Italien der Renaissance wurden spielerische Handlungen von ernsthaften unterschieden, und Spiel galt oft als Ausgleich zum ernsthaften Geschäft des Alltagslebens und als Möglichkeit, der Langeweile zu entrinnen.

Allerdings gibt es keine festen Grenzen zwischen Spiel und Kultur, in die es eingebettet ist, was gerade jemandem wie Huizinga nur allzu bewusst war: »Der Gegensatz Spiel–Ernst bleibt stets schwebend.«10 Was zum Beispiel für den Spaßvogel und seine Zuschauer ein Spaß war, mochte aus Sicht des Opfers eine todernste Beleidigung sein. Die Satiren der Renaissance waren von der Form her spielerisch, aber inhaltlich ernst, zielten sie doch auf die Vernichtung der anvisierten Person. Volkstümlicher Protest, der oft bei Festivitäten, namentlich in der Zeit des Karnevals, ausbrach, bediente sich karnevalesker Formen wie Crossdressing, Masken und fröhlicher Gewalt, doch die Ziele des Aufruhrs waren ernsthafter Natur. Zweideutigkeit war gang und gäbe und konnte sogar der Zweck des Spiels sein. Der im 16. Jahrhundert entstandene Park von Bomarzo, auf den in Kapitel 5 näher einzugehen sein wird, ist mit zahlreichen steinernen Ungeheuern und Bildern aus der Unterwelt ausgestattet, die seinerzeit wahrscheinlich ebenso sehr Angst wie Gelächter hervorrufen sollten. Die Erneuerer des Spiels setzten sich unter anderem zum Ziel, Zweideutigkeiten zu beseitigen und klare Unterscheidungen nicht nur zwischen Spielerischem und Ernsthaftem zu treffen, sondern auch zwischen Erlaubtem und Verbotenem.

In unserer eigenen Kultur erkennen die meisten von uns normalerweise, allerdings nicht immer, wenn etwas spielerisch gemeint ist, was in der häufigen Bemerkung »nur zum Spaß!« zum Ausdruck kommt. Im Falle anderer – vergangener oder heutiger – Kulturen lässt sich dies nicht so ohne Weiteres erkennen. Deshalb dürfte es hilfreich sein, die Sprache des Spiels zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten zu untersuchen.

Das Wort »Spiel« ist ein Begriff, der unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten zulässt: die Geige spielen, Karten spielen, ein Spiel spielen, den Kasper spielen, jemandem einen Streich spielen, Kinderspiel, Vorspiel beim Sex, Spielsalon oder Schauspielhaus. Selbst Fontänen spielen. Im Umfeld dieses vagen, aber zentralen Schlüsselworts (zwangsläufig ebenso vage wie der Begriff »Kultur«, gerade weil er so zentral ist) finden wir Zerstreuung, Unterhaltung, Witzigkeit, Spaß, Spiele, Scherze, Spöttelei, Pläsanterien, Schabernack, Verspottung, Neckerei und Trickserei.

Der entsprechende zentrale Begriff im Niederländischen, den Huizinga verwendete, war spel, bei Caillois im Französischen war es jeu. Der zentrale Begriff im Italienischen war und ist bis heute gioco, der ein ganzes Spektrum von Bedeutungen abdeckt, von Freude über Spaß, Scherzen und Spielen bis zu Beleidigung, Täuschung und – nicht zu vergessen – Geschlechtsverkehr.11 Die altitalienischen Wörter ludere und ludo waren weniger gebräuchlich, hatten eine begrenztere Bedeutung und meinten mehr oder weniger »Scherz« (obwohl uns der Begriff ludrico, so wie das englische ludicrous, an die Verbindung zum Humor erinnert). In dieser Hinsicht stand das Italienische im Gegensatz zum klassischen Latein mit seinem zentralen Begriff ludus, während sich iocus, so wie das englische Wort joke, auf Wortspiele beschränkte.12

So wie im Englischen war auch das italienische Schlüsselwort von einer Peripherie verwandter Begriffe umgeben. Einige von ihnen beschrieben die Auswirkungen des Spiels, die häufig in Verteidigungsschriften geltend gemacht wurden (siehe hierzu Kapitel 4): Effekte wie allegria (»Freude«), diletto (»Vergnügen«), diporto (»Spott«), divertimento (»Zerstreuung«), passatempo (»Zeitvertreib«), piacevolezze (»Annehmlichkeiten«), ricreazione (»Erholung«), riposo (»Entspannung«), sfogo (»Abreaktion«), sollazzo (»Ergötzen«), spasso (»Spaß«), svago (»Ablenkung«), trastullo (»Kurzweil«) und trattenimento (»Unterhaltung«).

Das Gemeinsame all dieser Begriffe ist ihr Gegensatz zum Wort noia mit seinen damals vielfältigen Bedeutungen für unangenehme Gefühle wie Betrübnis und Ängstlichkeit. Für Dichter war der Kontrast zwischen gioia und noia unwiderstehlich, zumal sich beide Wörter auch noch reimen. Annoiare bedeutete »jemanden anöden« und noioso stand für »langweilig«. Der Herrscher von Ferrara ließ sich zur Renaissance-Zeit in der Nähe der Stadt eine Villa errichten, die er Schifanoia nannte, »vermeide noia«. Obwohl das Leben unsinnig kurz war, wie Renaissance-Dichter immer wieder schrieben, schien die Zeit den Menschen oft träge dahinzukriechen, wofür die häufige Verwendung bestimmter Begriffe wie passatempo oder fuggilozio (»vermeide Müßiggang« – oder vielleicht auch »such dir eine Beschäftigung«) spricht. Die Idee der Langeweile soll zwar erst im 18. Jahrhundert entstanden sein, doch fraglos verbirgt sie sich bereits hinter einigen der oben genannten Begriffe, die noch um »ermüdend« (tedioso) zu ergänzen wären.13

Andere Begriffe waren präziser. Inganno bedeutete »Täuschung«, ein Schlüsselwort, das in diesem Buch immer wieder auftauchen wird, so wie auch diese Praxis selbst im Italien der damaligen Zeit sehr verbreitet war. Burla wurde von Castiglione in seinem berühmten Buch Der Hofmann als »freundlicher Trug« (un inganno amichevole) definiert. Der literarische Begriff »burlesk« leitet sich von dem Wort ab, und der Satiriker Francesco Berni bekam von einem Kollegen das Attribut »Meister und Vater des burlesken Stils« (maestro e padre del burlesco stile). Der Terminus beffa – sowie die dazugehörigen Adjektive beffardo und beffabile – bezeichnet einen Streich oder Schabernack, der im Italien der Renaissance zur gängigen Praxis gehörte. Der Begriff scherzo reichte in seiner Bedeutung vom Kinderspiel bis zum Erwachsenenwitz.

Auch die Idee der Verrücktheit (pazzia) fand in vielen Wörtern ihren Niederschlag, etwa in »Merkwürdigkeiten« (bizzarrie), »Kapricen« (capricci), »Schrullen« (ghiribizzi) oder »Extravaganzen« (stravaganze). All diese Begriffe, die heute vielleicht eher negativ konnotiert wirken, wurden seinerzeit durchaus auch in einem positiven Sinn verwendet. Sie bezogen sich auf Narren und Clowns (buffoni), von denen einige am Hof oder auf der Piazza sehr bewundert wurden, aber ebenso auf schöpferische Individuen wie Leonardo, dessen ghiribizzi Giorgio Vasari in seiner Vita des Künstler beschrieb. Diese Begriffe figurierten auch auf den Titelseiten komischer Texte als eine Art Werbung. Beispielhaft sei hier der venezianische Komödiendichter und Schauspieler Andrea Calmo genannt, dessen Briefsammlungen unter dem Titel Cheribizzi (eine Dialektform von ghiribizzi) erschienen und von dessen Versen es hieß, sie behandelten »lächerliche und merkwürdige Themen« (soggetti ridicolosi e bizzarri). Calmos Zeitgenosse und Landsmann Alessandro Caravia, ein Goldschmied und Komödiendichter, berichtete in seinem Poem Naspo Bizaro (1565) von den Heldentaten eines sympathischen Grobians.

Im Mittelalter waren nur wenige dieser Begriffe in Gebrauch, darunter buffone, derisione, diletto, diporto, giocare, ludere, ricreazione, sollazzo, spasso, svagare und trastullo. Ein geistreicher Ausspruch wurde bereits als motto bezeichnet, und dergleichen zu produzieren nannte man motteggiare. Im 14. Jahrhundert verwendete der Schriftsteller Giovanni Boccaccio die Wörter beffa, festevole (»unbeschwert«), piacevole (in der doppelten Bedeutung von »geistreich« und »liebenswürdig«), scherzare, trastullare (»täuschen«) und trattenimento.

Sofern man Texten vertrauen kann (die ja zeitlich gesehen meistens nach der gesprochenen Sprache entstehen), steigerte sich die Anzahl an Wörtern, um Formen des Spiels zu bezeichnen, im 15. und 16. Jahrhundert. So finden wir im 15. Jahrhundert baia, ein Synonym für beffa; canzonare (»necken«); ciurmare (»schwindeln«); furbo (»Filou«) – ein auch im heutigen Italien noch immer gängiger Begriff mit positive Konnotation; ludicro (»lächerlich«); mottevole (»witzig«); scherzo (»Spaß«); stravagante (»überzogen«); und uccellare (»jemanden reinlegen«).

Im 16. Jahrhundert waren es dann namhafte Renaissance-Autoren wie Aretino, Ariosto, Bembo, Berni, Castiglione, Grazzini, Machiavelli und Vasari, die die Palette um weitere Begriffe ergänzten: acutezza (»Esprit«); arguzia (»Scharfsinn« oder »Witz«); bagatelle (»Albernheiten«); bizzarro; buffoneria; burla, burlesco; capriccio, capriccioso; commedia (im Sinne von »Komödie«); faceto (»launig«); furbesco (»listig«); ghiribizzi; giocamente (»spaßeshalber«); grottesco (»grotesk«); passatempo; pazzeggiare (»sich wie ein Verrückter benehmen«); piacevolezze; ridicolo und ridicoloso. Die weite Verbreitung solcher Wörter ist fraglos ein Zeichen dafür, dass dem Spiel mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde als zuvor – eine Schlussfolgerung, die sich auch durch die zunehmende Zahl von Abhandlungen über bestimmte Spiele und durch gelehrte Erörterungen über das Wesen des Humors bestätigt findet.

Im Folgenden beschreibt Kapitel 2 verschiedene Spielformen im Italien der Renaissance. Die Italiener dieser Zeit frönten vielen Spielen, darunter Schaukämpfen und den Vorläufern von Fußball, Tennis und einigen »Gesellschaftsspielen«. Kapitel 3 beschäftigt sich mit verschiedenen Arten von Humor in Worten, Bildern und Handlungen, von Komödien bis zu hin zu Streichen. In Kapitel 4 geht es um die Auseinandersetzung über Spiele, ihre Kritiker und Verteidiger. Kapitel 5 wählt einen soziologischen Zugang, wobei die Frage gestellt wird, wer, wo und wann spielte. Kapitel 6 untersucht langfristige Veränderungen vom 14. bis zum frühen 17. Jahrhundert, und der Epilog setzt die Betrachtung bis in die Gegenwart fort. Im ganzen Buch werde ich immer wieder die Anwendungen und Funktionen von Spiel thematisieren, die fraglos genau so wichtig sind wie die Untersuchung von Aufbau, Ausdruck und Fortleben sowohl individueller wie kollektiver Identitäten.

Wie die Literaturliste überdeutlich klar macht, ist dieses Buch mitnichten der erste Beitrag zum Thema. Unter Geschichtswissenschaftlern wurde Spiel als Gegenstand erst in den letzten paar Jahrzehnten – ab den 1970er oder 1980er Jahren – ernst genommen, doch sie konnten auf eine lange Ahnenreihe zurückblicken, auf eine bunt gemischte, unerwartete und gelegentlich exzentrische Gruppe von Vorreitern.

Die Geschichte der Spielgeschichte

Ein Interesse für die Geschichte des Spiels setzte bereits in der Renaissance selbst ein. Entsprechende Bücher wie etwa die Abhandlung über das Glücksspiel des Universalgelehrten Girolamo Cardano oder der Dialog zum selben Thema des Sieneser Patriziers Girolamo Bargagli illustrierten die klassische Spieltradition anhand von Beispielen aus dem antiken Rom, und der humanistische Arzt Girolamo Mercuriale verfasste eine Abhandlung über Leibesübungen in der griechischen und römischen Antike.14 Im 17. Jahrhundert veröffentlichte der Dichter und Gelehrte Niccolò Villani eine Studie über die komische Dichtkunst der Alten.15 Nach Villani war Spielgeschichte nicht mehr gefragt. Einige wenige Historiker des 18. Jahrhunderts, namentlich Ludovico Muratori und Girolamo Tiraboschi, widmeten sich dem Thema, allerdings nur vereinzelt und wenn, dann oft mit Missbilligung. In seinen Abhandlungen über altertümliche Bräuche des italienischen Mittelalters befasste sich Muratori mit sogenannten öffentlichen Spielen, und Tiraboschis Geschichte der italienischen Literatur polemisierte gegen die »Frivolitäten« (frivolezze) der Renaissance-Akademien und die »lächerlichen Namen« dieser Zusammenschlüsse.16

Anfang des 19. Jahrhunderts verfasste der englische Homme de Lettres Isaac D'Israeli (der Vater Benjamin Disraelis) eine Schrift über die italienischen Akademien, in der er, dem Beispiel Tiraboschis folgend, behauptete, diese »Bezeichnungen von exquisiter Absurdität« offenbarten den »leichtfertigen Nationalcharakter« der Italiener.17 Ein gutes Vierteljahrhundert später veröffentlichte John Addington Symonds, auch er ein Homme de Lettres, eine mehrbändige Studie über die Renaissance in Italien, in der er die »Frivolität« des humoristischen Dichters Annibale Caro kritisierte.18

Der bedeutende Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt widmete in seiner berühmten Schrift Die Cultur der Renaissance in Italien (1860) sogar ein längeres Kapitel dem »modernen Spott und Witz«, was für seine Zeit eher ungewöhnlich war. Burckhardt betrachtete diese im größeren Zusammenhang der »Entwicklung des Individuums« als »Correktiv […] der modernen Ruhmbegier«. Detailliert schrieb er im Weiteren über die Possen des Priesters Arlotto Mainardi und die Buffonerien Pietro Gonellas, des Hofnarren von Ferrara; über die Streiche, die in den noch aus dem 13. Jahrhundert stammenden »hundert alten Novellen« nacherzählt werden; über »Parodien der mittelalterlichen Ritterdichtung«; die Renaissance-Theorien des Witzes und die Satiren Pietro Aretinos, des »größte[n] Lästerer[s] der neueren Zeit«. Auf all diese Themen und Individuen werde ich in späteren Kapiteln noch einmal zurückkommen.19

Lange Zeit wurden die Diskussionen über die Geschichte des Spiels in Italien (und anderswo) vor allem von Literaturspezialisten dominiert (und natürlich auch von Experten des Theaters, einem Gebiet mit langer Forschungstradition). In der Nachfolge Tiraboschis und D'Israelis stand Arturo Graf, ein Professor für italienische Literatur an der Universität Turin, dessen Abhandlungen über komische Dichtkunst bei verschiedenen Gelegenheiten in späteren Kapiteln zitiert werden. Dagegen erklärte der italienische Philosoph und Kritiker Benedetto Croce in seinen Schriften über die von ihm so genannte Spätrenaissance, der Ausdruck »komische Poesie« (poesia giocosa) sei ein Widerspruch in sich, da Dichtkunst »immer ernst und streng« sei. Auch verurteilte er Eposparodien als Zeichen »zunehmenden Geschmacksverfalls«. Der US-amerikanische Literaturprofessor Thomas F. Crane nahm das Spiel ernster und widmete in einem seiner Bücher über gesellschaftliche Bräuche im Italien des 16. Jahrhunderts sogenannten Gesellschaftsspielen (die Übersetzung von giochi di sala) ein ganzes Kapitel.20

Crane interessierte sich für das Thema allerdings eher aus der Sicht von Altertumsforschern und Volkskundlern als aus derjenigen seiner Kollegen aus der Literaturwissenschaft. Cesare Guasti, ein Archivar und Bewunderer Muratoris, publizierte eine Textsammlung mit Beschreibungen über das Fest Johannes des Täufers in Florenz. Der Journalist Alessandro Ademollo verfasste eine Geschichte des Karnevals in Rom, während Giuseppe Pitrè, der bei Untersuchungen zur italienischen Volkskunde eine Vorreiterrolle spielte, über volkstümliche Bräuche, Feste und Spiele in Sizilien schrieb. Aby Warburg, der mit seinem Interesse für die Renaissance einen interdisziplinären Ansatz verfolgte, erforschte wiederum Feste der Medici in Florenz. William Heywood, ein exzentrischer Engländer, war als Anwalt, Journalist und sogar als Cowboy tätig gewesen, ehe er sich nach Siena zurückzog und über den »Sport in Mittelitalien« zu schreiben begann.21

Das Spiel als Forschungsgegenstand erfreute sich auch außerhalb Italiens eines zunehmenden Interesses. In Frankreich setzte das wissenschaftliche Interesse an Renaissance-Festen mit einer Konferenz von 1955 ein.22 1965 erschienen dann zwei wichtige Publikationen zum Karneval, eine in Madrid und die andere in Moskau. Das Buch von Julio Caro Baroja, der in Spanien als Anthropologe, Historiker und Volkskundler hohe Bekanntheit erlangte, das eine historische Anthropologie der spanischen Kultur entwickelte, nimmt in der langen Reihe von Studien einen herausragenden Platz ein. Caro Baroja bezieht sich dabei auf anthropologische Theorien, namentlich auf diejenige von Sir James Frazer, dies wegen ihres spekulativen Ansatzes und der Überbetonung heidnischer Überbleibsel jedoch überwiegend in kritischer Absicht.23

Auch der zweite Autor, Michail Bachtin, kritisierte Frazer und die Folkloristen, allerdings aus einer anderen Perspektive: Es fehle ihnen, so lautete sein Vorwurf, »jedes theoretische Pathos«, sie präsentierten lediglich »ein Sammelsurium von Kuriosa«, anstatt die »ganzheitliche Welt der volkstümlichen Lachkultur« zu erfassen. Schwierig zu sagen, ob Bachtins Beschäftigung mit dem Spiel aus seinem Interesse an einem französischen Renaissance-Schriftsteller, François Rabelais, resultierte oder ob es umgekehrt war. Auf jeden Fall ist seine Studie Rabelais und seine Welt (vor 1940 verfasst, aber erst 1965 zur Veröffentlichung in der UdSSR freigegeben) ein bedeutender Beitrag nicht nur zur Interpretation eines Meisterwerks der französischen Literatur, sondern auch zur Theorie des Spiels, ebenso wie diejenige Huizingas (den manche Ideen seines russischen Kollegen möglicherweise geschockt hätten, wäre er denn in der Lage gewesen, dessen Werk zu lesen).

Wie bereits erwähnt, betonte Bachtin die Bedeutung der Unordnung und des Lachens für die »Entthronung«, wie er sie nennt, das heißt die symbolische Vernichtung des Gegners. Zum anderen galt seine Aufmerksamkeit »der materiell-leiblichen Basis«. In einem Buch über Rabelais mag das nicht weiter verwundern, doch in den 1940er Jahren war es für einen Wissenschaftler noch recht ungewöhnlich, dem Freud'schen Analen und Genitalen (Bachtin erwähnt Freud allerdings nicht) so viel Aufmerksamkeit zu widmen. Und drittens unterstrich Bachtin die Rolle fröhlicher und festlicher Gewalt in Rabelais' Gargantua und Pantagruel