Turrinis Leber - Franz Friedrich Altmann - E-Book

Turrinis Leber E-Book

Franz Friedrich Altmann

4,8

Beschreibung

GUCKI, TURRINI UND DER LUFTG'SELCHTE PFARRER Gucki Wurm, die resolute Provinzjournalistin bei den Mühlviertler Nachrichten, und ihren trinkfesten Hund Turrini wirft so schnell nichts um; aber was den beiden jetzt passiert, lässt sie einmal tief schlucken: Mitten im Vorweihnachtstrubel findet Gucki DIE LEICHE VOM PFARRER HIMMELFREUND - sie hängt an einem Fleischerhaken im Kamin vom Kirchenwirt. Mit seinem Einsatz für Asylwerber hatte sich Himmelfreund im Dorf nicht nur beliebt gemacht. Gerade im Kirchenwirt hätten die Asylanten einquartiert werden sollen. Hat der Mord am Pfarrer also einen politischen Hintergrund? Wollte der Mörder ein symbolisches Zeichen setzen? Oder liegt die Lösung ganz woanders ? steckt am Ende gar eine ominöse Frauengeschichte dahinter, von der im Dorf gemunkelt wird? Und welche Rolle spielt bei alldem die Frau Hansi, die Chefin der Dorfdisko "Almrausch"? ERMITTLUNGEN ZWISCHEN WEIHNACHTSFEIERN UND TAROCKABENDEN Einmal mehr haben Gucki und Turrini alle Hände voll zu tun, um die richtige Spur noch vor Oberstleutnant Rammer von der Polizei zu finden - und dabei zwischen Weihnachtsfeiern, Redaktionsstress und den Tarockabenden mit den Nachbarsbuben nicht selbst aus der Spur zu geraten. Ein SCHRÄGER PROVINZKRIMI von Franz Friedrich Altmann - BISSIG, WITZIG UND NICHT AUF DEN MUND GEFALLEN. - der fünfte Fall von Gucki Wurm und Turrini - schräger Provinzkrimi im Stil von "Bad Fucking" - Schauplatz Mühlviertel WEITERE KRIMIS MIT DEM BELIEBTEN ERMITTLERDUO GUCKI WURM UND TURRINI: - Turrinis Jagd - Turrinis Bauch

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Franz Friedrich Altmann

Turrinis Leber

Kriminalroman

Inhalt

Titel

Widmung

I

II

III

IIII

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

Franz Friedrich Altmann

Zum Autor

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Impressum

Für die wunderbare Veronika Posset (1962–2014)

I

Ewig schad um den Damenspitz! Wirklich eine elegante Umschreibung, wenn du nicht direkt sagen willst, dass eine Frau ein bisserl einen Rausch hat. Euphemismus nennt man so eine Umschreibung. Hab ich mir sagen lassen. Von einem G’studierten. Heißt nix anderes, als dass man was schönredet. In dem Fall den Rausch. Indem man ihn in einen charmanten Damenspitz verwandelt. Eine gnädige Umschreibung der Wirklichkeit, könnte man sagen.

Besser gesagt: Hat man sagen können. Weil ja der Damenspitz praktisch schon ausgestorben ist. Wird heutzutags nur mehr von ein paar vertrottelten Hofräten in den Mund genommen. Wenn die Frau Hofratsgattin wieder einmal schon am Vormittag eine ganze Flasche Eierlikör ausgesoffen hat.

Steht der Damenspitz also ziemlich weit oben auf meiner Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter. Den werd ich bald einmal strei­chen müssen, den Damenspitz. Lang wird er es nämlich nimmer dermachen. Und was wird dann nachkommen? Das Komahasi, das Komagirlie oder die Komatussi?

Warum ich überhaupt mit dem Damenspitz angefangen hab? Weil genau jetzt ein Wunder geschieht. Anders kann man es nicht sagen: Eine Auferstehung von den Toten fällt eindeutig unter Wunder! Weil jetzt – wir schreiben den 19. Dezember 2012, es ist früher Nachmittag – weil jetzt, genau in dem Moment – weil jetzt der entzückende Satz fällt: „Ja, hast du leicht gar einen Damenspitz?“

Was für eine Sternstunde der Wörter-Wiederbelebung! Kriegt der Damenspitz, der praktisch schon in den letzten Zügen liegt, einen Defibrillator auf die Brust geknallt. Hopp – oder tropp! Und was passiert? Ein ordentlicher Stromstoß, dass es den Damenspitz nur so reißt – da schlägt er auch schon die Augen auf und erwacht zu neuem Leben.

„Einen Damenspitz? Ich hab zwei Damenspitz, meine Liebe!“, lautet nämlich die Antwort auf die vorhergehende Frage.

Jetzt muss ich vielleicht doch ein bisserl was erklären. So­zusagen das Drumherum von unserem Damenspitz-Dialog. Sonst kennt sich womöglich kein Schwein aus – und dann heißt es zum Schluss: „Der verzählt lauter Schwachsinn daher!“

Also: Wann sich die Geschichte abspielt, hab ich eh schon erwähnt. Bleibt noch das Wo: nicht etwa in der Seniorenresidenz Nachsommer in Bad Gstettn, wo sich die Hofratswitwen das Warten auf den Tod mit Eierlikör versüßen, sondern in der Redaktion der Mühlviertler Nachrichten in Freistadt. Und dann noch das Wer – das ist das Allerwichtigste – Wer hat da den Damenspitz in den Mund genommen?

„Ja, hast du leicht gar einen Damenspitz?“, hat die Renate Heiligenbrunner gefragt. Das ist die Redaktionssekretärin. Die Antwort aber ist von der Renate ihrer Chefin gekommen. Von der Frau Redaktionsleiterin Mag. Gudrun Wurm. Die spar ich mir aber jetzt, die Antwort. Wird sich doch hoffentlich ein jeder dermerkt haben!

Und –? Was können wir aus diesem Dialog herauslesen? Eine ganze Menge! Die Mitarbeiter der Mühlviertler Nachrichten pflegen einen ziemlich vertrau­lichen Umgangston. Erstens: weil sie miteinander per Du sind. Und zweitens: weil die Sekretärin ihre Chefin offen drauf anspricht, dass die während der Arbeitszeit angesoffen ist.

So weit – so klar. Die Antwort der Frau Mag. Wurm bleibt aber weiterhin ein Rätsel. Was soll denn das heißen: zwei Damenspitz? Heißt das am End, dass Damenspitz eine anerkannte Maßeinheit für Rauschzustände ist? Sagen wir einmal: ein Damenspitz ist harmlos, zwei Damenspitz ist ein ordentlicher Rausch, vier Damenspitz aber ist ein Vollrausch?

Die gute Renate denkt anscheinend auch ganz in diese Richtung. Sonst tät sie nach einem unauffälligen Kontrollblick über den Schreibtisch der Frau Mag. Wurm nicht sagen: „Aber geh, du hast doch praktisch eh nix getrunken!“

Und wirklich – mehr als sechs leere Bierflaschl stehen da nicht herum. Warum sitzt die Frau Magister dann nicht am Schreibtisch, sondern liegt rücklings auf dem Teppichboden? Und macht so komische Bewegungen? Irgendwie direkt unanständig?

Immerhin haben wir jetzt wenigstens unser erstes Warum geklärt. Warum die Renate gefragt hat: „Hast du leicht gar einen Damenspitz?“

Fehlt uns nur noch das zweite Warum: Wie kann man zwei Damenspitz haben?

Aber das lassen wir lieber gleich die Frau Mag. Wurm selber erklären. Die muss das ja können: was so watscheneinfach erklären, dass es ein jeder Depp versteht. Für was arbeitet sie denn sonst bei einer Regional­zeitung?

„Meinen ersten Damenspitz verdank ich sechs wohltemperierten Flaschln Freistädter Ratsherrentrunk, meinen zweiten Damenspitz aber verdank ich mir selber. Weil ich keine Tussi bin, sondern eine Dame. Ist der Turrini also kein Tussispitz, sondern ein Damenspitz!“

Und wirklich! Kaum hat der Turrini, der genauso wie die Frau Magister Wurm auf dem Rücken liegt und alle Viere von sich streckt – kaum hat also der Turrini seinen Namen gehört, springt er auch schon auf die Beine und wedelt eifrig mit dem Schwanz. Grad vorher noch ein undefinierbares Wollknäuel, jetzt aber, mit dem gedrungenen Körper und dem buschigen Schwanz: eindeutig ein reinrassiger Spitz!

Wer noch nie einen Spitz gesehen hat: Das ist so ein Hund, wie ihn die Witwe Bolte bei Max und Moritz gehabt hat. Nur dass der Spitz, wie ihn der Wilhelm Busch gezeichnet hat, weiß ist, der Turrini aber schwarz. Besser gesagt: Er war einmal schwarz und wird mit zunehmendem Alter immer grauer. Steht ihm aber wirklich gut, das Grau. Praktisch ein Hund in den besten Jahren, der Turrini!

Kaum haben wir aber das mit dem Damenspitz endlich geklärt, taucht auch schon die nächste Frage auf: Wie ist denn die Frau Mag. Wurm auf die blöde Idee gekommen, dass sie ihren Hund Turrini tauft? Ist doch kein Hundename!

Gibt es aber auch eine Erklärung. Das war so: Wie die Frau Magister noch keine Frau Magister war, sondern noch Publizistik und Theaterwissenschaft studiert und gerade ihre Diplomarbeit geschrieben hat – Sentimentale Motive im dramatischen Werk von Peter Turrini hat die geheißen –, da hat ihr der Leo Höllerer einen Hund angedreht. Und weil der Hund dem Theaterdichter wirklich total ähnlich geschaut hat – eher kleiner, eher fester, eher ein trauriges Gschau –, hat er auch schon Turrini geheißen.

Also – hab ich das in Gottes Namen auch noch erklärt. Aber jetzt ist wirklich Schluss mit der ganzen Erklärerei – jetzt wird endlich einmal erzählt!

Warum die Frau Magister am Boden herumkugelt, ergibt sich ja eh aus der Geschichte. Weil die Renate jetzt fragt: „Was machst du eigentlich da am Fußboden, Gucki?“

„Rückengymnastik. Wegen meinem Kreuz. Mach ich normalerweis in der Früh. Hab ich aber heut auslassen müssen. Hätt ich mich garantiert angespieben.“

„Oh-keh, das ist jetzt klar, das mit dem Am-Boden-Herumliegen!“, wird man sagen. „Aber was heißt Gucki?“

Das ist aber wirklich das allerletzte Mal, dass ich was erklär! Weil eigentlich könntet’s ihr da selber draufkommen, dass Gucki eine Abkürzung von Gudrun ist. Hat der Gucki ihr Opa aufgebracht. Wie sie noch ganz klein war. Aber wirklich berechtigt. Weil die kleine Gucki die große Welt gar so neugierig aus ihren dunklen Augen angeguckt hat.

Ist ja heute noch das Allererste, was dir an der Gucki auffallt. Dieser neugierige Blick aus den großen bernsteinbraunen Augen. So ein unergründliches Braun wie das Wasser der Aist! Wobei man ehrlicherweise dazusagen muss, dass den meisten Männern an der Gucki zuerst der üppige Busen ins Aug sticht oder der prachtvolle Arsch oder die elendslangen Haxen.

Obwohl man also wirklich nicht behaupten kann, dass sich die Männer für der Gucki ihre inneren Werte interessieren – den Frauen fallen an der Gucki noch äußerlichere Äußerlichkeiten auf: der gachblonde Bürstenhaarschnitt und das kohlrabenschwarze Gewand. Aber kein elegantes Schwarz – mehr so ein aggressives. Kommt praktisch daher wie ein Mann, dieses Weib!

Brauchen wir ja nur einmal schauen, was sie heute anhat, die Gucki. Was sehen wir da? Hautenger Rollkragenpullover, hautenge Lederhose, dicke Wollsocken. Und alles miteinander schwarz wie die Nacht!

„Was soll denn an dem so männlich sein?“, wird man jetzt fragen.

Kommt schon noch. Unter dem Schreibtisch schwere Schnürstiefel, auf der Sessellehne eine abgewetzte Lederjacke. Beides eindeutig Männersachen! Noch dazu aus den Beständen der Deutschen Wehrmacht. Weil der Gucki ihr Opa wenigstens diese zwei Erinnerungsstücke an seine schöne Zeit bei der Deutschen Luftwaffe retten hat können. Seine Fliegeruhr haben ja eh die Scheiß-Russen kassiert.

In derana Kluft kommt die Gucki dann schon daher wie ein Mann. Eher sogar wie ein wilder Hund! Eh klar, dass sie dann auch raucht und sauft und flucht und spuckt und stänkert und rauft. Wie ein richtiger Mann halt!

Momentan aber nicht. Momentan liegt sie herum wie eine Schildkrot auf dem Rücken: Weil das Tarockieren gestern wieder einmal gar so lang gedauert hat. Bis heute hat es gedauert. Bis um vier in der Früh!

„Was heißt denn da gar so lang?“, wird jetzt ein jeder sagen, der selber auch tarockiert. Bis vier in der Früh ist ja eh nicht lang! Wenn man bedenkt, dass beim Tarockieren die Zeit hundertmal schneller verrinnt als wie normal.“

Dem kann ich nur beipflichten. Und nur wegen dem Spät-ins-Bett-Gehen allein ist es ja nicht, dass es der Gucki jetzt so elendig geht. Vor viere ist sie sowieso selten heimgekommen, seit sie mit ihren Nachbar­buben in der Meierhansl-Hütte tarockiert. Ist sie es also gewohnt. Weil sie ja schon seit zwölf Jahren jeden Dienstag tarockiert. Ist sie natürlich auch das Biertrinken gewohnt. Gehört ja zum Tarockieren dazu. So zehn, zwölf Bier hat die Gucki da jedes Mal getrunken. Ohne mit der Wimper zu zucken!

Nur hat es halt gestern nicht nur Bier gegeben, sondern auch fest einen Schnaps. Weil letzter Dienstag vor Weihnachten. Ist gleich: Meierhansl-Hütten-Weihnachtsfeier. Das aber heißt nicht Weihnachtslieder oder Weihnachtspackerl – das heißt Schnaps und wieder Schnaps!

Der Johnny ist Nebenerwerbsbauer und hat daher einen Obstler mit. Weil er gar so viele schöne Mostbirnbäume hat, wegen seiner Gicht aber keinen Most mehr trinken darf. Der Maxi ist auch Nebenerwerbsbauer und hat einen Troadernen mit. Weil er sich sagt, dass er bei dem Getreidepreis seine Gersten lieber versauft. Der Gerri aber ist ein Nebenerwerbsbauer, bei dem schon der Papa gern einen Zwetschkernen getrunken hat. Und gleich eine ganze Zwetschkenbaum-Plantage versetzt hat. Jetzt sollt man meinen, dass wenigstens der Fuzzi keinen Schnaps mithat. Weil er ja kein Bauer ist, sondern nur Automechaniker. Weit gefehlt! Der Fuzzi tut sich von allen Nachbar­buben mit der Schnapsbrennerei sogar am meisten an. Hat einen Mordstrumm Acker gepachtet und setzt jedes Jahr Erdäpfel über Erdäpfel. Die alle miteinander zu Wodka destilliert werden.

Da haben die zwei Kilo Vanillekipferl, die die Gucki in die Meierhansl-Hütte mitgeschleppt hat, auch nichts ausrichten können. Haben diesen Schnaps-Tsunami auch nicht aufhalten können. Das Einzige, was sie bewirkt haben, ist, dass der Gucki jetzt vor einem jeden Weihnachtskekserl graust.

„Und was ist jetzt mit unserer Weihnachtsfeier?“, fragt die Renate. Ist direkt verzagt. Weil die Gucki so gar nicht danach ausschaut, wie wenn sie heut an einer feuchtfröhlichen Weihnachtsfeier teilnehmen könnt. Weil sie eigentlich mehr so ausschaut, wie wenn sie heut überhaupt nimmer aufstehen könnt.

Dabei hat sich die Renate so eine Mühe gemacht. Hat sage und schreibe dreizehn Sorten Weihnachtskekserl gebacken. Und der Prosecco ist auch schon eingekühlt, und der Gin zittert vor freudiger Erregung schon in der Flasche – und überhaupt: Die Renate hat sich schon so auf die Weihnachtsfeier gefreut!

Muss ich vielleicht doch einmal was zum Thema Weihnachtsfeiern sagen. Mit der Betonung auf Feiern – sprich: Mehrzahl. Weil man ja heutzutags nicht auf eine Weihnachtsfeier gehen muss, sondern auf einen ganzen Haufen Weihnachtsfeiern. Ist der Advent also nicht die stillste Zeit im Jahr, dafür aber garantiert die rauschigste.

Nehmen wir nur einmal die Gucki her! Gestern Tarockierer-Weihnachtsfeier, heute Mühlviertler-Nachrichten-Weihnachtsfeier, morgen Beste-Freundinnen-Weihnachtsfeier mit der Sybille, am Freitag Chicken-Hunter-Union-Weihnachtsfeier. Zur Weihnachtsfeier in Frankys Bar muss sie natürlich auch hin. Ist ja Stammgast. Die ist am Samstag. Und am Sonntag hat sie dann gleich zwei Weihnachtsfeiern. Am Vormittag beim Frühschoppen im Gasthaus Otter und am Nachmittag beim Dämmerschoppen in Mandis Saustall.

Dabei ist die Gucki eh nicht bei der Feuerwehr und auch nicht beim Sportverein oder beim Kirchenchor und schon gar nicht bei der katholischen Frauenbewegung. Nicht einmal bei einem Sparverein ist sie dabei. Sonst tät sie ja aus dem Weihnachtsfeier-Feiern gar nimmer herauskommen.

Dafür kommen bei der Gucki zu den privaten Weihnachtsfeiern noch die beruflichen dazu. Hat in den letzten drei Wochen fast jeden Tag auf irgendsoeine blöde Firmenweihnachtsfeier gehen müssen. Weil sie bei den Mühlviertler Nachrichten arbeitet. Eine Gratiszeitung, die nur von den Inseraten lebt. Kann sie natürlich nicht Nein sagen, wenn die ganzen Firmenchefs ein Foto von sich selber in der Zeitung haben wollen. Wie sie grad ihre Firmenweihnachtsfeier mit einer schönen Rede eröffnen. Hat sich aber eh revanchiert, die Gucki. Für diese Zumutung. Hat die Herren Chefs zu später Stunde dann alle noch einmal fotografiert. Schon hübsch angesoffen. Und hat dann natürlich die Rausch-Fotos in den Mühlviertler Nachrichten gebracht.

Trotzdem muss die Gucki zugeben, dass sie in letzter Zeit mehr getrunken hat, als ihr gut tut. Wenn sie ehrlich ist. Nur: Die Gucki ist natürlich nicht ehrlich. Zeig mir einmal einen Alkoholiker, der ehrlich ist zu sich selber! Sagt sich die Gucki also: „Ah, was! Eh nur mehr fünfmal Weihnachtsfeiern bis zum Christkind – das halt ich auch noch aus!“ Und steht im nächsten Moment auch schon kerzengrad da und sagt ganz lässig: „Also: auf los geht’s los! Wo ist der Gin?“

Wird es wirklich noch eine gemütliche Weihnachtsfeier. Die Gucki und die Renate trinken Prosecco und Gin, der Turrini Freistädter Bier und Jägermeister. Aber wie! Das Bier schlumpert er zwar ganz gewöhnlich aus einem Emailschüsserl, aber das Jägermeister-Trinken – das ist bei ihm ein richtiges Kunststück. Mit dem könnt er jederzeit im Zirkus auftreten!

Und zwar geht das so: Der Turrini klemmt das Jägermeister-Flascherl zwischen die Vorderpfoten und kletzelt mit den Zähnen den Schraubverschluss ruckzuck herunter. Dann nimmt er das Flascherl behutsam zwischen die Zähne und hebt den Kopf, bis der ganze Jägermeister in seinen Schlund geronnen ist. Und am Schluss stellt er das Flascherl ganz artig wieder hin. Meistens rülpst er dann noch ordentlich. Gehört aber eigentlich nicht mehr direkt zum Kunststück. Praktisch eine Zugabe.

Aber nicht, dass jetzt wer glaubt, dass die Gucki ihrem Hund so einen Blödsinn beibringt. Der Leo Höllerer hat ihm das gelernt. Sozusagen der Babysitter, der hie und da auf den Turrini aufpasst. Wenn ihn die Gucki ausnahmsweis einmal nicht mitnehmen kann.

Mit dem Leo hat die Gucki sogar zwei Weihnachtsfeiern. Am Samstag in Frankys Bar und am Montag dann daheim bei der Gucki. Weil sie voriges Jahr am 24. Dezember einfach nicht allein sein wollt. Und den Leo eingeladen hat. Und heuer natürlich auch. So von wegen Tradition.

Ist wirklich ein stimmungsvoller Heiliger Abend geworden, voriges Jahr. Hat zwar keinen Christbaum gegeben, dafür aber gleich ein paar Flaschen Whiskey. Und statt Stille Nacht haben sie Auf Kreta bei Sturm und bei Regen gesungen. Hat die Gucki noch nie gestört, dass der Leo ein bisserl ein alter Nazi ist. Hat er sie nur noch mehr an ihren Opa erinnert.

Ist ja der wichtigste Mensch in der Gucki ihrem Leben, der Opa. Oder sagt man da war? Weil der Opa schon längst gestorben ist. Auf jeden Fall der wichtigste! Weil ihr Papa verunglückt ist, wie die Gucki noch ganz klein war. Ihre Mama aber ziemlich beschäftigt. Mit Spielcasinos, Männern und Alkohol. Ist die Gucki praktisch bei Opa und Oma aufgewachsen.

Drum kennt sie ja auch das Wort Damenspitz seit ihrer frühesten Kindheit. „Die Mama hat einen Damenspitz – die muss jetzt schlafen!“, hat es da immer geheißen, wenn ihre Mama wieder einmal am Vormittag auf allen Vieren bei der Haustür hereingekrochen ist. Hat die Gucki geglaubt, dass die Mama was Schlechtes gegessen hat. Einen Damenspitz halt. Und hat sich daher als Kind immer geweigert, einen Schaumspitz auch nur anzurühren.

Mittlerweile weiß die Gucki natürlich schon, was Alkohol ist. Und wie er wirkt, weiß sie auch. Nur ist ihr das wurscht. Weil ihr eh alles ziemlich wurscht ist. Wenn man einmal vom kleinen Turrini absieht. Am allerwurschtigsten aber ist ihr ihre Arbeit bei den Mühlviertler Nachrichten. Provinziell ist noch das schmeichelhafteste Wort, das ihr dazu einfällt. Dann folgen aber auch schon hirnlos,deppert und arsch­verfickt auf dem Fuß.

Eh klar, dass sie da nicht abhebt, wie jetzt das Telefon läutet. Weil aber die Renate – Prosecco hin, Gin her – eine ausgesprochen pflichtbewusste Sekretärin ist und der Gucki den Telefonhörer in die Hand drückt, wird heute doch noch was gearbeitet. Weihnachtsfeier praktisch verschoben.

Und zehn Minuten später sitzen die Damen samt Spitz auch schon im Auto und jagen mit 180 km/h über die Bundesstraße. Wär doch gelacht, wenn die Gucki keinen neuen Streckenrekord Freistadt – Bad Gstettn aufstellen tät!

II

Schwips – was für ein anmutiges Wort! Die ganze unbeschwerte Heiterkeit einer leichten Berauschung findet hier ihren allerschönsten sprachlichen Ausdruck. Ist sozusagen die poetische Form vom Damenspitz. Weil nur Damen beschwipst sein können. Herren hingegen nennt man in so einem Fall angeheitert, während man Frauen und Männer als leicht ange­soffen bezeichnen tät.

Ist der Schwips natürlich auch dem Untergang geweiht. Weil es ja längst keine Damen mehr gibt. Leider. Genauso ausgestorben wie der Säbelzahn­tiger. Nur dass mir um den nicht halb so leid ist, wie um die Damen!

Jetzt kommt es aber: Grad wie die Gucki die 50er-Beschränkung bei der Abzweigung nach Waldburg mit 150 km/h packt, passiert an diesem trüben Nachmittag schon das zweite Wunder: die Wieder­auferstehung des Schwips!

Und wieder ist es die Renate Heiligenbrunner, die dieses totgeglaubte Wort zum Leben erweckt. Indem sie in einer langgezogenen Rechtskurve einen ordentlichen Schluck Gin aus der Flasche nimmt und dann sagt: „Wenn ich so weitertu, krieg ich noch einen Schwips!“

Müssen wir uns die Renate ein bisserl genauer anschauen: Was ist das für eine Frau, die da an einem einzigen Tag gleich zweimal als Lebensretterin altmodischer Wörter in Erscheinung tritt? Richtig geraten: schon ein bisserl eine altmodische Frau!

Aber nicht, dass wir uns da falsch verstehen: Die Frau Redaktionssekretärin kann mit dem ganzen neumodernen Büro-Glumpert besser umgehen als wie die Gucki. Altmodisch ist sie nur privat. Hat in den zwölf Jahren, die die Gucki jetzt bei den Mühlviertler Nachrichten ist, noch nie eine Jeans angehabt. Oder ein T-Shirt. Trägt nur Röcke und Blusen. Genau wie ihre Kinder!

Halt „Kinder“ unter Anführungszeichen. Weil die Renate zu ihren Porzellanpuppen Kinder sagt. Richtige Kinder hat sie ja keine. Ist sich in ihrer Ehe mit dem Heiligenbrunner nicht ausgegangen. Weil doch ziemlich kurz, die Ehe. Weil der Heiligenbrunner – der hat nicht nur fest gesoffen – der hat auch ziemlich fest zugehaut. Hat die Renate nach der Scheidung dann ein für alle Mal genug gehabt von den Männern.

Dafür hat sie mittlerweile zweihunderteinunddreißig wunderschöne Puppen. Da ist die Queen Mum, die die Gucki gestern in Linz besorgt hat, noch gar nicht mitgerechnet. Wird dann Kind Nummer zweihundert­zweiunddreißig. Ist nämlich der Gucki ihr Weihnachtsgeschenk an die Renate. Liegt zwar schon im Kofferraum von der Gucki ihrem Porsche, wird aber erst am Montag ausgepackt. Weil da ist die Renate auch altmodisch: Ein Weihnachtspackerl wird halt einmal erst am Heiligen Abend aufgemacht.

„Wie kommt die Gucki ausgerechnet auf die Queen Mum?“, wird man jetzt fragen. „Die ist doch schon längst gestorben!“

„Die Gucki wird schon wissen, was sie der Renate schenkt!“, sag ich da nur. Die Renate ist ja nicht nur ihre Sekretärin – die Renate ist so was wie eine mütterliche Freundin. Bei der man im Notfall sein Herz ausschütten kann. Tut sie aber eh nicht, die Gucki. Ihr Herz ausschütten. Da beißt sie lieber die Zähne zusammen. Und wenn es einmal wirklich ganz arg ist, dann schüttet sie dem Turrini ihr Herz aus. Der ist nämlich seit Jahren stocktaub.

„Wie hat er dann grad vorher hören können, dass die Gucki Turrini gesagt hat?“, wird man jetzt fragen, wenn man gut aufgepasst hat. Keine Ahnung! Das fragt sich ja die Gucki selber auch. Hat er sowas wie einen sechsten Sinn? Manchmal glaubt die Gucki sogar, dass der Turrini gar kein Hund ist, sondern ein Schutzengel auf vier Pfoten, der halt ein bisserl aus dem Maul stinkt.

Aber das ist der Gucki ihre Privatsache. Geht keinen was an! Und außerdem gehört es eigentlich gar nicht da her. Wo waren wir gleich noch? Richtig, bei der Queen Mum!

Wie die Gucki auf die Queen Mum gekommen ist, ist leicht erklärt. Die Renate sammelt ja nicht irgendwelche Puppen, sondern Promis. Also Puppen, die prominenten Frauen ähnlich schauen. Wobei die allermeisten aus dem europäischen Hochadel stammen. Weil die Renate schon gern so Frauenzeitschriften liest, wo es hauptsächlich um Prinzessinnen geht.

Schaffen es nur ganz wenige Bürgerliche, dass sie von der Renate durch die Aufnahme in ihre Puppenfamilie sozusagen in den Adelsstand erhoben werden. Die Carla Bruni ist da so eine Ausnahme. Weil der ihr Gatte als französischer Präsident praktisch schon ein Monarch ist. Oder die Margit Fischer. Weil unser Herr Bundespräsident ja bis auf den fehlenden Bart wirklich schon fast so ehrwürdig daherkommt wie der Kaiser Franz Josef.

Am schwierigsten aber war es, eine Gucki zu kriegen. Weil es halt einmal keine Porzellanpuppe mit einer blonden Stoppelfrisur gibt. Hat die Renate zur Schere greifen müssen. Die schwarze Lederkluft hat sie dann sowieso selber genäht.

Um aber noch einmal auf die Queen Mum zurückzukommen: Die war schon immer ein ganz ein besonderer Liebling von der Renate. Hat ihre Tochter, die eher farblose Queen Elisabeth, mit ihren humorvollen Interviews, ihren exzentrischen Hüten und nicht zu­letzt mit ihrem legendären Gin-Konsum immer ein bisserl in den Schatten gestellt. Die Gucki hat sogar den Verdacht, dass die Renate nur wegen der Queen Mum Gin trinkt. Praktisch Vorbild. Wird nicht mehr lang dauern – dann wird die Renate auch noch so narrische Hüte tragen!

„Ja, ist denn das noch normal?“, wird man sich jetzt beschweren. „Da verzapft uns der Depp lauter Schwachsinn über das Englische Königshaus – und dabei wissen wir noch immer nicht, warum die Gucki und die Renate ihre Weihnachtsfeier sausen lassen und mit kriminell überhöhter Geschwindigkeit nach Bad Gstettn rauschen!“

Na, wegen dem Telefonanruf! Weil es das Fräulein Aistleitner war, das angerufen hat. Weil das Fräulein Aistleitner wirklich zu Recht behaupten darf: „Gott weiß alles – und ich erfahr alles!“

Sprich: eine Dorftratschen aus dem Bilderbuch, die alles, aber auch wirklich alles über einen jeden einzelnen ihrer Mitmenschen weiß.

„Fräulein Wurm“, hat sie angefangen am Telefon – mit der Anrede Fräulein ist sie nämlich konsequent: eine Frau wie die Gucki, die weder verheiratet noch verwitwet oder geschieden ist, ist beim Fräulein Aistleitner halt einmal ein Fräulein. „Fräulein Wurm“, hat sie also gesagt, „die Asylanten-Geschichte stinkt zum Himmel!“

Ist die Gucki natürlich sofort hellhörig geworden. Hat ja die letzten zwei Wochen über nix anderes geschrieben als über die Asylwerber. Praktisch die einzige Geschichte von Bedeutung im ganzen Mühlviertel. Sonst nur Weihnachtsfeiern und Sparvereinsauszahlungen. Nicht einmal spektakuläre Verkehrsunfälle hat es gegeben – einfach zu wenig Schnee heuer!

Hat sich die Gucki aber gewundert: Die Asylwerber hätten nach Bad Gstettn kommen sollen, das Fräulein Aistleitner ist aber nicht die Dorftratschen von Bad Gstettn, sondern von St. Anton. Hat die Gucki nachfragen müssen:

„Kommen die Asylwerber jetzt leicht zu uns nach St. Anton?“, Wohnt ja auch in St. Anton, die Gucki. Und kennt daher das Fräulein Aistleitner dementsprechend gut. Und weil sie schon ein bisserl in Gin- und Prosecco-Laune ist, legt die Gucki noch ein Schäuferl nach: „Da sind wir zwei dann schon sittlich ziemlich gefährdet, gell, Fräulein Aistleitner? Also ich, ich weiß nicht, ob ich mich da zurückhalten kann: lauter so junge, starke Männer mit kohlrabenschwarzen Glutaugen!“

„Ist ja nicht eine jede eine so eine Schlampen wie Sie, Fräulein Wurm!“, zischt das Fräulein Aistleitner aus dem Telefonhörer. „Asylanten in St. Anton – das hätt uns grad noch gefehlt! Wo wir mit dem polnischen Pfarrer eh schon gestraft genug sind! Aber ich red ja gar nicht von St. Anton – ich red von Bad Gstettn! Weil sie jetzt da sind, die Asylanten. Still und heimlich haben sie sich eingenistet. Wie die Kuckuckseier! Und bezeugen kann ich das auch mit eigenen Augen. Weil ich nämlich vor Ort bin – wie es bei euch Reportern so schön heißt, wenn man wirklich selber wo ist. Und ich bin wirklich in Bad Gstettn. Auf Kirchenchorleiter-Tagung. Im Pfarrhof. Und direkt daneben ist das neue Asylantenheim. Und da kommen solcherne Rauchschwaden aus dem Rauchfang heraus, wie wenn sie einen ganzen Ochsen braten täten. Und stinken tut es auch, dass der Sau graust!“

Hätt die Gucki natürlich einiges zu sagen gewusst. Sagt es aber eh nicht. Weil es keinen Sinn hat. Weil beim Fräulein Aistleitner Hopfen und Malz verloren ist. Weil du eine gehässige alte Jungfer mit sechsundsiebzig Jahren nimmer ändern kannst. Sagt die Gucki also nur:

„Recht einen schönen Dank, Fräulein Aistleitner! Für Ihren Anruf im Namen der christlichen Nächstenliebe. Dann wünsch ich Ihnen noch viel Erfolg für Ihr allseits beliebtes Herbergsuche-Spiel im Pfarrheim. Können Sie ja heuer für die Rollen von Maria und Josef zwei Asylwerber engagieren. Dann tät es noch echter wirken!“

Aber so deppert ist das Fräulein Aistleitner dann auch wieder nicht, dass sie diese Anspielung nicht verstehen tät. „Du brauchst mir nicht erklären, was christlich heißt, du Rotzmensch, du freches!“, spuckt sie in ihr Senioren-Handy. „Eine wie du, die so gut wie nie in die Kirchen geht und dann auch noch eine notorische Kirchensteuerhinterzieherin ist, die braucht wirklich nicht ihre Goschen aufreißen!“

Und damit ist dieses vorweihnachtliche Telefongespräch auch schon beendet. Könnte man meinen, dass dieses Thema für die Gucki damit erledigt ist. Dass sie sich jetzt – vielleicht sogar ein bisserl erheitert – wieder ganz ihrer Weihnachtsfeier widmet. Schmeißt sich aber nicht in die Weihnachtsfeier, die Gucki, sondern in den Porsche.

Muss ich vielleicht doch noch die Vorgeschichte erzählen: Warum es bei uns Asylwerber gibt und warum sie keiner haben will. Damit man versteht, warum die Gucki jetzt so – und nicht anders handelt.

Das ist nämlich so: –. Pah, wo soll ich da jetzt anfangen? Weil wenn ich da bei Pontius und Pilatus anfang, dann sitzen wir morgen noch da! Also nur das Allerwichtigste.

Erstens: Österreich ist ein reiches Land. Ich mein: Natürlich gibt es auch bei uns arme Leut. Aber verglichen mit den Armen in den armen Ländern sind die noch immer steinreich. Und: Österreich hat ein Asylgesetz. Das heißt, wir müssen alle Leute, die in ihrer Heimat aus irgendwelchen politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden, bei uns aufnehmen. Sprich: nicht gnadenhalber – nein, per Gesetz! Versteht sich natürlich ganz von selber, dass auch Leute bei uns um Asyl ansuchen, die daheim kein bisserl verfolgt werden. Ganz einfach, weil sie in ihrer Heimat nicht die geringste Chance auf ein menschenwürdiges Leben haben. Tät ich ja auch an ihrer Stelle!

Auf jeden Fall wird es gar nicht so leicht sein, die richtigen von den falschen Asylwerbern zu unterscheiden. Sonst täten sich die Asylverfahren nicht so in die Länge ziehen. Wie wenn die Beamten, die das bearbeiten, einen internen Wettbewerb hätten, wer das allerlängste Asylverfahren zusammenbringt. Angeblich ist derzeit ein Beamter von der BH Vöckla­bruck mit neuneinhalb Jahren Spitzenreiter.

Wie dem auch sei – eine Freud mit den Asylwerbern haben in Österreich die allerwenigsten. Erstens: weil sie ein Geld kosten. Sprich: unser Steuergeld! Müssen ja wo untergebracht und verpflegt werden. Solang das Asylverfahren rennt, dürfen sie ja bei uns nicht arbeiten, die Asylwerber. Können sich also nicht selber derhalten.

Zweitens aber: Weil die Asylwerber Fremde sind. Aber schon komplett Fremde! Und mit den Fremden haben wir es halt einmal nicht so. Bei uns im Mühlviertel ist ja schon ein Linzer ein Fremder. Jeder, der nicht von da ist, ist ein Fremder!

Grad letzten Sonntag hat die Olga, die alte Wirtin im Gasthaus Otter nach einem Blick aus dem Fenster mit unheilschwangerer Stimme festgestellt: „Da kommen zwei Fremde!“

Hat sich die Gucki, die grad beim Frühschoppen gesessen ist, mindestens zwei Türken, wenn nicht sogar zwei Deutsche erwartet. Und wer ist bei der Tür hereingekommen? Der Bauernnazl Hias und der Punzinger Wolfi. Zwei Blumenthaler. Blumenthal ist die Nachbargemeinde von St. Anton. Sprich: grad einmal acht Kilometer weit weg. Wenn das schon Fremde sind, dann ist ja ein Moldawier wirklich ein Außerirdischer!

Und wie ist das jetzt mit dem Asylwerberheim in Bad Gstettn? Besser gesagt mit dem geplanten Asylwerberheim. Weil ja aus dem ganzen Plan nix geworden ist. Oder doch?

Genau das will die Gucki jetzt aber wissen. Und bremst ihren Porsche auf einen Hunderter herunter. Ist ja schon längst im Ortsgebiet von Bad Gstettn. Und kann auf ein Strafmandat wegen Schnellfahren, vor allem aber auf eine Alkohol­kontrolle ruhig verzichten.

„Wie kommt eine Provinzjournalistin wie die Gucki eigentlich zu einem Porsche?“, – die Frage wird dem einen oder dem anderen wahrscheinlich schon die längste Zeit auf der Zunge liegen. „Verdient die wirklich so viel mit derana Schreiberei – oder geht sie so nebenher ein bisserl auf den Strich? Praktisch als strenge Herrin? Weil sie ja immer so ein Leder-Zeugs anhat?“

Kann ich alle beruhigen: weder – noch! Die Gucki hat – wie so viele andere stolze Autobesitzer auch – ganz einfach einen Mordstrumm Kredit laufen und stottert ihren Porsche kleinweis ab. Warum sie sich aber ausgerechnet einen Porsche 911 Carrera zugelegt hat, könnt ich jetzt lang und breit erklären – nur geht das momentan nicht. Weil die Gucki in dem Moment mit quietschenden Reifen vor dem Pfarrheim Bad Gstettn einparkt.

Tatsächlich, auf das Fräulein Aistleitner kann man sich verlassen: Aus dem Rauchfang vom Nachbarhaus steigt wirklich eine mächtige Rauchwolke. Wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch! Und stinken tut es auch himmelschreiend! Das Haus selber ist ziemlich heruntergekommen. Kann sich die Gucki nur zu gut vorstellen, dass man da in dieser Bruchbude tatsächlich Asylwerber einquartiert hat.

Da muss man jetzt dazusagen, dass der Staat Österreich für einen Asylwerber grad einmal siebzehn Euro pro Tag zahlt. Für Unterkunft und Verpflegung. Eh klar, dass es da kein Vier-Sterne-Hotel spielt. Und auch keinen Haubenkoch! Mehr so das Gegenteil. Kommen eigentlich nur Tourismusbetriebe in Frage, die schon in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein bisserl veraltert waren. Und wie das Essen dort schmecken wird, kann sich auch ein jeder vorstellen: Was kann man denn erwarten bei einer Vollpension um 17 Euro? Beschweren können sich die Asylanten eh nicht. Sonst heißt es gleich: „Was bist du dann noch da, wenn es dir daheim besser schmeckt?“ Und dann müssen sie auch schon schön brav ihre Goschen halten, die Asylanten.

Jetzt bin ich aber direkt vom Thema abgekommen. Wir waren ja bei der Gucki. Wie sie sich grad das Asylwerberheim anschaut. Offensichtlich hat man die Asylwerber in einem Wirtshaus unter­gebracht. Besser gesagt: in einem ehemaligen Wirtshaus. Steht anscheinend schon längere Zeit leer, das Gasthaus Kirchenwirt: der Putz am Abbröckeln, die Fenster voller Spinnweben, der Gastgarten verwildert.

Leider ist auch die Haustür ziemlich eingerostet. Keiner macht auf – da kann die Gucki noch so fest pumpern. Bleibt ihr nichts anderes über, als dass sie sich auf die Suche nach einem Hintertürl macht. Und da ist es auch schon: eine Holztür, nur mit einem Vorhängeschloss gesichert.

Ist aber natürlich für eine wie die Gucki kein ernstzunehmendes Hindernis. Weil sie in ihrer Lederjacke nicht nur das große Taschenmesser mit dem Hirschhorngriff eingesteckt hat, sondern auch das kleine Schweizer Messer. Mit Schlitz- und Kreuz-Schraubenzieher. Da hat die Renate noch gar nicht „Ist das nicht Hausfriedensbruch?“, gesagt, ist die Tür auch schon offen.

Und dann dauert es auch nicht lang, bis der Turrini die Quelle von diesem bestialischen Gestank aufgespürt hat. Im ersten Stock oben. Eine schwere Eisentür. Mit schmiedeeisernen Verzierungen drauf. Die bellt der Turrini so scharf an, wie wenn es keine schwarze Tür, sondern eine schwarze Katze wär.

Sieht die Gucki auf einen Blick, dass sie bei derana Tür mitsamt ihren zwei Taschenmessern kein Leiberl hat. Aber ein Brecheisen passt halt einmal nicht in ihre Lederjacken. Während sich die Gucki also auf die Suche nach einem Werkzeug macht, das sie als Hebel einsetzen kann, klopft die Renate ganz höflich an die Tür und drückt dann vorsichtig die schmiedeeiserne Schnalle nieder. Ist ja eh nicht zugesperrt!

Aber so richtig froh wird sie nicht, die Renate, wie jetzt die Tür mit einem grauenhaften Quietschen aufgeht. Weil es die Tür zur Selchkammer ist. Erstens Rauch, zweitens Gestank, drittens aber der Herr Pfarrer. Überlegt die Renate sogar, ob sie jetzt ein Kreuzzeichen machen soll. Macht aber dann doch lieber einen ordentlichen Schluck aus ihrer Gin-Flasche.

Und weil es wirklich der hochwürdige Herr Pfarrer von Bad Gstettn ist, der da an einer Kette in der Selchkammer baumelt, kann die Kronen Zeitung am nächsten Tag mit einer wirklich saftigen Schlagzeile aufwarten:

Geselchter Pfarrer stinkt zum Himmel

III

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