Turrinis Zunge - Franz Friedrich Altmann - E-Book

Turrinis Zunge E-Book

Franz Friedrich Altmann

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Beschreibung

Mühlviertler Qualitätsjournalismus at its best: Gucki Wurm ist so was von bereit, die Dorf-Unterwelt komplett umzukrempeln! Von Law and Order ist im Mühlviertel keine Spur. Gudrun "Gucki" Wurm und ihr treuer Spitz Turrini, ohne den Gucki ganz sicher nicht auf Verbrecherjagd geht, mussten schon einiges aushalten: luftg'selchte Pfarrer, eine Bagger-Invasion in der örtlichen Bankfiliale und Nordic-Walking-Stöcke in Brustkörben von Pflegerinnen … Doch ihr neuester Fall schlägt wirklich alles: An den Ufern der Waldaist mutiert ein Kleinstadt-Politpromi nach dem anderen zur Wasserleiche. Guckis journalistischer Ehrgeiz ist geweckt: Sie wittert schon die Sensationsnachricht und ist als Erste am Tatort anzutreffen. Da versucht auch schon der Oberstleutnant Rammer, ihr und Turrini den Vorsprung unter den Pfoten wegzustibitzen. Wirklich ärgerlich! Und das ausgerechnet jetzt, wo Guckis Liebesleben völlig Kopf steht … "Ich hab mich so in Dich verschaut. Wie ein Borkenkäfer in eine Fichte – Sonst schreibert´ ich nicht so blöde Gedichte!" Kennst du Gucki Wurm schon? Fragst du dich, was das mit den Gedichten plötzlich soll? Warum sie vor lauter Herzschmerz sogar schon mit dem Dichten anfängt? Es ist nämlich so: Nach vielen Jahren der Einsamkeit sind Turrini und seine Jägermeister-Affinität plötzlich nicht mehr die einzige Konstante in Guckis Leben. Sie hat sich unsterblich verliebt – und diesmal ist es was Ernstes. Im Struppi hat sie die Liebe ihres Lebens endlich gefunden und dem Glück scheint nichts im Weg zu stehen. Außer halt die Ehefrau vom Struppi oder dass er nie Zeit für die Gucki hat. Bei dem ganzen Firlefanz droht Gucki rasch die Hundeleine zu entgleiten, denn Tote in der Waldaist und Liebesschwüre, die sich mehr nach Magengeschwüren anfühlen: Lieben und Sterben im Mühlviertel steht an der Tagesordnung. Schlimmer kann's nicht mehr werden! Glaubt Gucki. Denn dann wird ihre beste Freundin Mercedes entführt … Heile Welt und ländliche Idylle? Sicher nicht! Franz Friedrich Altmann zieht dem Mühlviertel die Lederhosen aus. Knickerbocker-Trachtgewand, weiße Stutzen, Bürgergarde: Zwischen den Hügeln des Landes ob der Donau treffen Gucki und Turrini auf Schurken. Schurken, die ihr nicht nur mit Waffen, sondern auch mit bösem Geschwätz begegnen, und denen sie am liebsten Turrinis Beißkorb umschnallen würd. Franz Friedrich Altmann zeichnet ein Ebenbild seiner Heimat, das den Höhen und Tiefen eines Jägermeisterrauschs gleicht (Frag bloß den Turrini, der weiß das!): Der ist scharf, derb, tut weh, aber garantiert dir den Spaß deines Lebens. Denn das Mühlviertel ist nicht so schlimm wie du denkst, nein, es ist noch viel schlimmer!

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Franz Friedrich Altmann

Turrinis Zunge

Kriminalroman

Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
XXI
Franz Friedrich Altmann
Zum Autor
Impressum
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für Okatzki

I

Zungenküssen tut man nicht! Damit mein ich jetzt aber nicht, dass sich das nicht gehört. Verglichen mit den ganzen Perversionen, die sich Volksschulkinder im Internet anschauen können, ist ja ein Zungenkuss was Harmloses. Praktisch für Kindergartenkinder. Nein, was ich mein, ist das Zeitwort zungenküssen. Das existiert nämlich nicht. Kein Mensch sagt: „Ich zungenküsse.“ Oder: „Du hast zungengeküsst.“ Oder: „Wir werden zungengeküsst haben.“

Gibt halt einmal nur das Hauptwort: Zungenkuss. Mein Gott, was das in meiner Jugend für ein geheimnisvolles Wort gewesen ist! War ich dann bei meinem ersten Zungenkuss direkt ein bisserl enttäuscht, wie watscheneinfach die ganze Sache ist. Also: Der Kuss an sich war einfach. Bis ich die Burgi so weit gebracht hab, dass sie sich küssen lasst, das war eh eine Schwerarbeit.

Aber das mit der Burgi ist eine andere Geschichte. Spar ich mir jetzt! Ich bin nur deswegen auf das Thema Zungenküssen gekommen, weil die Gucki gerade laut und deutlich sagt: „Zungenküssen ist der helle Wahnsinn!“

Schon ein bisserl komisch, wenn eine Frau, die ihr Geld mit Schreiben verdient, so gegen die Regeln der deutschen Sprache verstoßt. Gut, sie schreibt ja eh keine Romane, sondern nur für eine Lokalzeitung. Da spielt die Sprache wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle. Noch komischer aber ist es, dass der Satz Zungenküssen ist der helle Wahnsinn! von einer Frau geäußert wird, die ganz allein im Büro sitzt. Hat die leicht gar einen Huscher?

Aber nein, da kann ich alle beruhigen! Die Gucki führt keine Selbstgespräche – die Gucki redet mit dem Turrini. Aber nicht, dass jetzt wer glaubt, dass sie mit dem Theaterdichter Peter Turrini telefoniert – nein, sie redet mit ihrem Hund. Der heißt nämlich auch Turrini. Weil er dem Theaterdichter wirklich total ähnlich schaut.

Und ein vifer Hund ist er auch. Hat den Satz Zungenküssen ist der helle Wahnsinn! auf Anhieb verstanden. Trotz der sprachlichen Unkorrektheit. Drum springt der Turrini jetzt mit den Vorderpfoten auf der Gucki ihre Knie und wartet darauf, dass sie sich zu ihm hinunterbeugt und er ihr einen Zungenkuss geben kann.

Bei einem Zungenkuss ist ein Hund mit seiner elendslangen Zunge jedem Mann sowieso haushoch überlegen. Dafür ist es nicht so günstig, wenn Hundepfoten und Seidenstrümpfe zusammenkommen. Da ziehen die Strümpfe nämlich den Kürzeren. Laufmaschen vorprogrammiert! Geht aber nicht, dass die Gucki daherkommt wie die Pippi Langstrumpf. Grad heute nicht! Weil heute ja nicht irgendein Tag ist, sondern der erste Jahrestag der Liebe ihres Lebens. Und weil sie heute von der Liebe ihres Lebens zum Mittagessen ausgeführt wird.

Muss ich vielleicht erklären, warum die Gucki gar so romantisch daherdenkt? Warum sie dieLiebe ihres Lebens nicht einfach ihren Liebhaber nennt? Ganz einfach, weil es bei der Gucki trotz ihrer sechsundvierzig Jahre keine große Kunst ist, die Liebe ihres Lebens zu werden. Weil der Gucki ihr Liebesleben bis vor einem Jahr darin bestanden hat, dass sie mit wildfremden Männern ins Bett gehupft ist. Und mit jedem nur ein einziges Mal. Sprich: Sex ja – Gefühle nein! Und die paar Mal, wo sich die Gucki wirklich verliebt hat, ist die Geschichte immer traurig ausgegangen. Entweder waren die Männer kriminell oder sie sind ihr weggestorben. Eh klar, dass die Gucki von der Liebe genug gehabt hat.

Dafür hat es sie jetzt umso schlimmer erwischt. Rennt sie auf der Stelle in die Stadt und kauft neue Strümpfe. Weiß eh, wo es romanescogrüne Seidenstrümpfe gibt. Und was sie kosten, weiß sie auch: neunundsiebzig Euro! Hat ja erst gestern welche gekauft. Samt Straps, Höschen und BH in derselben Farbe. Und weil sie bei der Gelegenheit auch einen lachsrosa Raulederminirock und einen eng anliegenden lachsrosa Angorapullover gekauft hat, hat sie in einer Stunde ein halbertes Monatsgehalt verklescht. Bereut sie aber kein bisserl!

Genau vor einem Jahr hat es angefangen, dass sich die Gucki auf einmal komplett anders angezogen hat. Wie eine Frau nämlich. Vorher war sie ja immer wie ein Mann zusammengerichtet: schwarze Stiefel, schwarze Jeans, schwarzes Hemd, schwarze Lederjacke. Und aufgeführt hat sie sich auch wie ein Mann: rauchen, saufen, stänkern, ordinär daherreden. Gut, das tut sie eigentlich alles nach wie vor. Aber wenigstens mit ein bisserl Schminke im Gesicht und mit lackierten Nägeln. Heute in Romanescogrün.

Wenn du mich fragst: Mir gefällt die Gucki jetzt um Häuser besser. Seit sie sich sozusagen als Frau geoutet hat. Seit der Pubertät hat sie sich als Mann verkleidet – genau vor einem Jahr hat sie damit aufgehört. Da war sie immerhin schon fünfundvierzig. Na ja, besser spät als gar nie!

Weil aber momentan sowieso nix passiert, außer dass die Gucki Strümpfe kaufen geht, kann ich sie wenigstens gleich einmal vorstellen. Für diejenigen, die sie noch nicht kennen. Die meisten Leute im Bezirk Freistadt kennen sie ja eh. Weil sie seit neunzehn Jahren für die Mühlviertler Nachrichten schreibt. So eine Gratiszeitung, die auch genauso viel wert ist: nämlich gar nix. Außer man interessiert sich für Lokalpolitik, Vereinsnachrichten und Sterbefälle. Die Sterbefälle werden übrigens laut einer Umfrage, die die Mühlviertler Nachrichten bei ihren Lesern gemacht hat, am liebsten gelesen. Aber mit den paar Leuten, die in einer Woche im Bezirk Freistadt sterben, kannst du halt einmal keine Zeitung füllen.

Eigentlich wollt ich ja die Gucki vorstellen. Also: Heißen tut sie Wurm Gudrun. Sagt aber jeder nur Gucki zu ihr. Arbeiten tut sie in Freistadt. Besser gesagt, ihr Büro ist in Freistadt. Als Journalistin muss sie natürlich im ganzen Bezirk herumfahren und die Leute ausfratscheln. Ist gar nicht so leicht, das Ausfratscheln. Weil halt nicht viel passiert bei uns. Hat auch keiner was zum Erzählen. Höchstens Gerüchte oder Verleumdungen kannst du dir da anhören. So wie jetzt auch. Kaum sitzt die Gucki wieder im Büro und will grad die neuen Strümpfe anziehen, da läutet auch schon das Telefon.

„Ist dort das Fräulein Wurm?“, will eine Frau wissen. Nimmt es mit der Sprache ganz genau. Wer nicht verheiratet oder verwitwet oder wenigstens geschieden ist, ist bei ihr ein Fräulein.

„Ja, so eine Überraschung: das Fräulein Aistleitner!“, zwitschert die Gucki in den Telefonhörer. An einem Tag wie heute kann ihr nicht einmal die Dorftratschen von ihrem Heimatort St. Anton die Laune verderben. „Um was geht es denn leicht?“

Aber das Fräulein Aistleitner kommt der Gucki heute nicht mit einer Gießkanne, die am helllichten Tag am Friedhof von St. Anton gestohlen worden ist, vermutlich von einer gewissen Herta, und auch nicht damit, dass der gottlose polnische Pfarrer am Freitag eine Leberkässemmel gegessen hat – das Fräulein Aistleitner kommt der Gucki doch tatsächlich mit einer Leich!

Mehr erfährt die Gucki leider nicht. Weil das Fräulein Aistleitner jetzt ausgiebig die Vorzüge von ihrem Seniorenhandy erörtert, zu dem sie sich vor zwei Jahren durchgerungen hat. Heut kann sie es wirklich einmal brauchen. Ist ja am Arsch der Welt. Nein, so ein Wort nimmt eine pensionierte Volksschuloberlehrerin natürlich nicht in den Mund! Fernab der Zivilisation, sagt sie. Dauert dann aber noch eine halbe Ewigkeit, bis die Gucki endlich erfährt, wo das Fräulein Aistleitner überhaupt ist. Beim Kraftwerk an der Waldaist nämlich, an der Grenze zwischen Blumenthal und St. Anton. Und direkt vor der Staumauer treibt eine Leiche. Eindeutig ein Mann. Hat ja eine Hose an. Weil Hosen halt einmal nix für Frauen sind. Das Fräulein Aistleitner hat in ihrem ganzen Leben noch nie eine Hose angehabt. Außer der Trainingshose beim Seniorenturnen.

„Was machen Sie eigentlich bei der Waldaist?“, will die Gucki jetzt wissen. Kann sich ja durchaus vorstellen, dass eine gehässige alte Frau wie das Fräulein Aistleitner eine verhasste Journalistin wie die Gucki nur so zum Spaß ins Aisttal schickt. Praktisch zum Verarschen!

„Na, heute ist doch die Fußwallfahrt der Katholischen Frauenbewegung nach Kaltenberg. Das müssten Sie doch eh wissen! Ist ja in der Zeitung gestanden. Oder hat man Sie bei den Mühlviertler Nachrichten schon hinausgeschmissen?“

„Tät ich dann im Büro sitzen?“, fragt die Gucki zurück.

„Muss ich Ihnen ausnahmsweis einmal recht geben. Also, was ist? Kommen Sie jetzt her oder nicht? Dass ich meine Zeugenaussage machen kann. Weil ich die Leich als Erste gesehen hab – und nicht die Resi, das verlogene Miststück!“

„In einer halben Stunde bin ich da. Beten Sie in der Zwischenzeit halt einen Rosenkranz! Und auf keinen Fall die Polizei anrufen! Sonst können Sie sich das Interview samt Foto in die Haare schmieren!“

Mit der halben Stunde hat die Gucki den Mund ziemlich voll genommen. Von Freistadt nach St. Anton brauchst du mit dem Auto zwanzig Minuten. Und dann noch einmal zwanzig Minuten zu Fuß bis zum Kraftwerk. Wird die Gucki fliegen müssen. Tut sie eh. Zumindest fast. Ihr VW Porsche ist ja kein Oldtimer aus den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Er hat nur eine alte Karosserie. Motor, Fahrwerk und Bremsen stammen aus einem neuwertigen Porsche Boxter. Hat ihr der Fuzzi zusammengebastelt. Ein begnadeter Kfz-Mechaniker, mit dem die Gucki schon seit Jahrzehnten tarockiert.

Packt die Gucki also den Freistädter Stadtberg in Rekordzeit und beschleunigt dann auf der Landstraße auf 220 km/h. Im Ortsgebiet von St. Moritz muss sie natürlich auf 100 km/h zusammenbremsen. Ist der Turrini, der wie immer am Beifahrersitz hockt, schwer enttäuscht. Liebt ja die Geschwindigkeit noch mehr als sein Frauli.

Die neuen Strümpfe hat die Gucki gar nicht erst angezogen. Jetzt muss sie auch noch ihre Stöckelschuhe ausziehen. Mit denen kommst du auf einem Waldweg nicht weit. Und dann wird auch schon gerannt. Eh klar, dass der Turrini vorn ist. Ist ja um dreiundvierzig Jahre jünger als sein Frauli und raucht auch nicht zwei Packerl Gauloises ohne Filter am Tag. Schnauft die Gucki bald wie die alte Dampflok, mit der die zwei letzten Sonntag auf den Schafberg gefahren sind.

An die Wörter Sonntag und Schafberg darf die Gucki jetzt gar nicht denken. Weil sie sonst gleich eine Wut kriegt. Oder einen Kummer. Oder beides. Wollte ja letzten Sonntag eigentlich mit der Liebe ihres Lebens auf den Schafberg. War alles schon ausgemacht. Er holt sie in der Früh ab – und dann geht es bei strahlendem Frühlingswetter hinauf auf den Berg. Die Liebe ihres Lebens hat sie aber nicht abgeholt, sondern angerufen. Seine Frau, die eigentlich in Wien ein Konzert gehabt hätte, ist krank geworden. Sommergrippe. Kann er leider nicht weg. Müssen sie ihren Ausflug halt verschieben. Sobald es einen neuen Konzerttermin gibt, gibt es auch einen neuen Schafbergtermin.

Die Gucki ist trotzdem auf den Schafberg gefahren. Mit dem Turrini. Praktisch zufleiß. Hat aber die traumhafte Aussicht auf sämtliche Seen des Salzkammergutes nicht recht genießen können. Aus lauter Ärger. Aber nicht über die Liebe ihres Lebens hat sie sich geärgert – über sich selber hat sie sich geärgert. Dass sie akkurat mit einem verheirateten Mann was angefangen hat. Dass sie sich mit dem bisserl Zeit, das dieser Mann für sie überhat, zufriedengibt. Und dass sie – das ist ja das Allerschlimmste an dieser Geschichte – diesen Mann rettungslos liebt!

Die Gucki ist so tief in ihre traurigen Gedanken versunken, dass sie fast in die Horde alter Weiber hineingerennt wär, die den Waldweg blockieren. Obwohl die ihren Rosenkranz eh so laut herunterleiern, wie wenn sie damit den Toten aufwecken wollten. Der Rosenkranz endet aber abrupt, weil das Fräulein Aistleitner statt „Bitt für uns!“ auf einmal „Na, so was Ausgschamts!“ plärrt. Gemeint ist damit der wirklich eng anliegende Pulli vom Fräulein Wurm, der ihren Busen noch üppiger erscheinen lässt, und natürlich auch der sündhaft kurze Minirock. Sieht man ja direkt das Höschen?

Die Gucki reagiert nicht einmal auf diese Begrüßung. Hat auch keine Zeit, dass sie sich bekreuzigt. So viel Pietät tät sich bei einer Leiche schon gehören! Aber die Gucki ist um Punkt eins mit der Liebe ihres Lebens verabredet. Im Dorfwirt in Elz. Und jetzt ist es halb zwölf. Bleibt ihr allerhöchstens eine Stunde Zeit für ihre Ermittlungen.

Zuerst wird einmal fotografiert. Wirklich malerisch, wie da die Leiche bäuchlings im bernsteinbraunen Wasser der Waldaist treibt. Weißes Hemd, Knickerbockerlederhose, weiße Stutzen. Eigentlich nix Besonderes. Seit ein paar Jahren ist ja bei uns Tracht wieder in Mode. Da ist die knallorange Schwimmweste schon viel auffälliger. Die Gucki kennt kein einziges Trachtengeschäft, das Schwimmwesten führt.

Leider ist die Leiche für eine eingehende Untersuchung zu weit weg. Hat sich in einem Strudel verfangen und treibt im Kreis, mindestens zwei Meter von der Staumauer entfernt, auf der die Gucki steht. Jetzt hätte sie ihr Taschenmesser gebraucht. Hat sie sonst immer mit. Heute nicht. Weil du in einem Minirock halt kein Messer einstecken kannst. Kann die Gucki also nicht einfach einen Haselnussstecken abschneiden und die Leiche herausfischen. Sagt sie halt: „Such!“

Springt der Turrini auch schon ins eiskalte Wasser, packt die Leiche an einem Hemdsärmel und paddelt mit seiner Beute zum Frauli. Muss sich natürlich ordentlich anstrengen: so ein kleiner Hund – und so ein großer Mann! Wie so ein winziger Schlepper, der ein riesiges Containerschiff sicher in den Hafen zieht.

Jetzt muss die Gucki nur mehr Hafenkran spielen – dann liegt die Leiche auch schon auf der Staumauer. Aber noch immer bäuchlings. Weil sich die Gucki schon ein bisserl überwinden muss, bis sie den Leichnam auf den Rücken dreht. Ist dann auch wirklich so ein unappetitlicher Anblick, dass die Wallfahrerinnen auf der Stelle mit einem schmerzensreichen Rosenkranz anfangen.

Dabei hat das der Mann ja eh nimmer gespürt, wie ihm die Fische die Augen aus den Höhlen genascht haben. Trotzdem kennt ihn die Gucki sofort. An seinem markanten Schnurrbart, der ein Stück über die Oberlippe drüberhängt. Ein Bart, wie ihn der Nietzsche gehabt hat, wenn den wer kennt. Das war so ein Philosoph, der narrisch geworden ist. Kann leicht passieren, wenn man zu viel nachdenkt. Auf jeden Fall kann die Leiche nur der Ritter Egon sein: FPÖ-Stadtrat und Kommandant der Bürgergarde Freistadt.

Muss ich vielleicht erklären, was eine Bürgergarde ist. Werden die meisten Leute ja nicht kennen. Also: Ein Haufen älterer Männer verkleidet sich als Soldaten. Mit farbenprächtigen Uniformen. Aber nicht nur im Fasching, sondern ganzjährig. Da wird dann bei allen möglichen Gelegenheiten in der Gegend herummarschiert und mit Platzpatronen in die Luft geschossen. Praktisch wie die Tiroler Schützen – nur dass sie sich nicht dem Patriotismus zum Land Tirol verschrieben haben, sondern der Sehnsucht nach der österreichischen Monarchie.

Jetzt aber interessant: Da ist der Ritter Egon Kommandant der Bürgergarde – und hat nicht die geringste Ahnung von der Monarchie. Damals hat es doch viel mehr Böhmen, Ungarn oder Kroaten gegeben als deutschsprechende Österreicher. Waren die Ausländer praktisch in der Mehrheit. Trotzdem hat der Ritter in den letzten Jahren ununterbrochen Leserbriefe an die Mühlviertler Nachrichten geschrieben, in denen er gegen die Ausländer im Allgemeinen und gegen die Asylwerber im Besonderen geschimpft hat. Wenigstens hat er seine Briefe nicht als Kommandant der Bürgergarde unterzeichnet, sondern als FPÖ-Stadtrat.

Grad vor vierzehn Tagen hat die Gucki wieder einmal einen Leserbrief vom Ritter veröffentlicht. Weil er gar so deppert war:

Hat die Gucki bitter bereut, die Veröffentlichung von diesem Leserbrief. Weil dann zahllose Anrufe, Briefe und E-Mails gekommen sind. Und alle haben dem Ritter recht gegeben. Kein Einziger, der ihm widersprochen hätt!

Momentan hat die Gucki aber wirklich keine Zeit, dass sie über den Schwachsinn vom Herrn Stadtrat nachdenkt. Jetzt geht es um die entscheidende Frage, ob der Ritter einfach ersoffen ist oder ob wer nachgeholfen hat. Sprich: War es ein Unfall oder ein Mord?

Ein Unfall interessiert die Gucki kein bisserl. Außer der Ritter hat um drei in der Früh mit drei Promille mit seinen Kameraden gewettet, dass er in der Waldaist bis nach Ibiza schwimmen kann. Das wär schon eine schöne Geschichte. Ein Mord wär ihr aber trotzdem lieber. Eigentlich interessieren sie an ihrem Beruf nur die Morde. Sind aber selten. Praktisch nur alle heiligen Zeiten. Weil Freistadt halt nicht Chicago ist. Ist ja nicht einmal Linz Chicago. In Linz ist ja mordsmäßig auch nicht viel los.

Drum hat die Gucki bei jedem einzelnen Mord mit der Kriminalpolizei Oberösterreich so ein Gfrett. Weil der Oberstleutnant Otto Rammer, der Leiter der Abteilung Leib und Leben, genauso sehnsüchtig auf einen Mord wartet wie die Gucki. Und weil er den Ehrgeiz hat, endlich einmal vor dieser Journalistentussi einen Mord aufzuklären. Ist ihm nämlich seit neunzehn Jahren nicht gelungen. Drum spinnt er ja so auf die Gucki. Abgesehen vom Beruflichen gibt es aber noch was ganz was anderes, was ihn an der Gucki reizt. Trotz aller Bemühungen ist es ihm noch immer nicht gelungen, diese geile Sau zu ficken. Ärgert ihn womöglich noch mehr.

Gut, dass der Rammer die Gucki jetzt nicht sehen kann. Wie sie mit der Leiche herumfuhrwerkt. Wie wenn der Ritter ihr Eigentum wär. Spurentechnisch gesehen ein schweres Verbrechen! Aber die Gucki muss den Ritter ja ausziehen, wenn sie wissen will, ob er schon tot oder verletzt war, bevor man ihn in die Waldaist geschmissen hat. Außerdem ist sie sowieso neugierig, ob die frommen Wallfahrerinnen ihren Rosenkranz weiterbeten, wenn sie bei der Unterhose angekommen ist. Oder ob sie davonrennen?

Kommt aber gar nicht so weit. Kaum hat die Gucki dem Ritter sein Leinenhemd mit dem blau eingestickten FPÖ ausgezogen, springen ihr auch schon die tiefvioletten Striemen an den Knöcheln ins Aug. Der war eindeutig gefesselt. Sogar ziemlich brutal. Vermutlich Kabelbinder. Ist es also eindeutig ein Mord!

„Ist eh schon höchste Zeit geworden!“, freut sich die Gucki. Ist auf einmal direkt fröhlich, so fröhlich wie schon lang nimmer. Wenn du nämlich ein Gspusi mit einem verheirateten Mann hast, der kein bisserl daran denkt, sich von seiner Frau zu trennen, dann bist du entweder total glücklich oder total unglücklich. Aber fröhlich – fröhlich bist du garantiert nie!

II

Ist schon fast ausgestorben, das Miteinandergehen. Sagen nur mehr ältere Leute. So zwischen sechzig und siebzig. Hat man gesagt, wie sie jung waren. In den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Da ist nämlich noch gegangen worden – und nicht nur gefahren. Da haben die Kleinkinder eine Gehschule gekriegt – kein batteriebetriebenes Auto. Und in die Schule ist man gegangen – und nicht mit dem Schulbus gefahren. Eh klar, dass unsere Kinder das Gehen komplett verlernen.

Na, so was? Da hab ich mich wieder einmal komplett verrennt! Eigentlich wollt ich ja erklären, was miteinander gehen heißt. Heißt nicht, dass zwei Menschen Sex miteinander haben. Da tät man sagen: was miteinander haben. Heißt wirklich nur, dass zwei miteinander gehen. Aber halt ziemlich oft. Praktisch immer, wenn es möglich ist. Miteinander in die Schule, miteinander ins Kino, miteinander sinnlos in der Gegend herum. Und immer so nah nebeneinander, dass jeder gleich sehen kann, dass die zwei zusammengehören. Kann Hand in Hand sein – kann aber auch eng umschlungen sein.

Kurzum: Wenn zwei miteinander gehen, dient das weniger der Fortbewegung als der Demonstration der Zusammengehörigkeit. Sprich: Man will miteinander gesehen werden. Nur um das geht es! Ob die zwei auch miteinander ins Bett hupfen, ist nicht von Bedeutung. Wichtig ist, dass die ganze Welt sieht, dass sie ein Paar sind.

Um dieses wunderbare Gefühl stirbst du natürlich, wenn du ein Gspusi mit einem verheirateten Mann hast. Der will natürlich kein bisserl mit dir gesehen werden. Zumindest nicht von Leuten, die ihn kennen. Kann sich die Gucki mit der Liebe ihres Lebens also nur dort treffen, wo ihn keiner kennt. Gibt aber im ganzen Bezirk Freistadt nicht viele Orte, wo den Herrn Professor Astor keiner kennt. Ist ja seit siebenundzwanzig Jahren Lehrer für Deutsch und Geschichte am Gymnasium Freistadt. Da kennen dich nicht nur ein Haufen Schüler und ein Haufen Eltern – da kennen dich dann auch noch sämtliche ehemaligen Schüler und ehemaligen Eltern.

Jetzt muss ich aber doch einmal das Rätsel lösen, von wem die komischen Gedichte sind, mit denen die einzelnen Kapitel unserer Geschichte anfangen. Von der Gucki nämlich. Sind eigentlich kurze Briefe an die Liebe ihres Lebens. Jedes Mal, wenn sie sich treffen, kriegt er wieder ein paar solche kleine, quadratische Zettel. Richtige Briefe kann ihm die Gucki ja nicht schreiben. Tät seiner Frau ja auffallen. Dafür sind im Verlauf des letzten Jahres schon mindestens dreihundert solche Zettel zusammengekommen. Ob er die unter seinen Unterhosen versteckt oder ob er sie wegschmeißt? Ist der Gucki eigentlich wurscht. Schreibt die Gedichte ja mehr für sich selber. Damit sie sich über ihre Gefühle klar wird. Leider muss die Gucki zugeben, dass ihre Gedichte in letzter Zeit immer aggressiver und immer depressiver werden. Pendeln praktisch zwischen Bösartigkeit und Verzweiflung hin und her.

Müssen wir uns den Adressaten dieser Gedichte einmal ein bisserl genauer anschauen. Der Herr Professor Astor ist ein ausgesprochen bunter Hund. Praktisch das genaue Gegenteil von den grauen Mäusen, die im Schuldienst die Regel sind. Trägt zu einem grauen Anzug grundsätzlich ein knallbuntes Hemd. Und wenn er einmal ein einfärbiges Hemd anhat, dann nur zu einem karierten Anzug, der alle Farben spielt. Ist also alles andere als eine unauffällige Erscheinung, der Herr Professor.

So hat ihn die Gucki ja auch kennengelernt. In seiner Eigenschaft als Professor. Weil er der Deutschlehrer und Klassenvorstand von der kleinen Gucki ist. Die kleine Gucki aber ist die Tochter von der Gucki ihrer Jugendfreundin Sybille. Wird kleine Gucki genannt, damit man sie von der großen Gucki unterscheiden kann. Wobei die kleine Gucki zur großen Gucki Tante Gucki sagt. Obwohl sie nur ihre Taufpatin ist. Genau genommen war es die kleine Gucki, die die große Gucki mit der Liebe ihres Lebens verkuppelt hat. Hat der Tante Gucki ihren Klassenvorstand praktisch auf dem Silbertablett serviert. Und wie hat die kleine Gucki das gemacht? Mit ein paar harmlosen Schimpfwörtern!

Weil sich die Tante Gucki in den Kopf gesetzt hat, der kleinen Gucki Sprachunterricht zu geben. Wie soll denn aus dem Kind was werden, wenn die Mama und der Papa nur Hochdeutsch reden? Mit Hochdeutsch bist du im Mühlviertel genauso untendurch, wie wenn du Tschetschenisch reden tätest. Falls es so eine Sprache überhaupt gibt. Hat also die kleine Gucki von der großen Gucki regelmäßig Nachhilfestunden im Mühlviertler Dialekt gekriegt. Hat sich aber akkurat die Schimpfwörter am besten gemerkt. Und nicht nur gemerkt, sondern auch verwendet. So wie in der Schule. Hat der Herr Professor Astor was unternehmen müssen. War ja Klassenvorstand. Hat er einen Brief geschrieben. Aber nicht an die Eltern, sondern gleich an die Tante Gucki:

Blöderweise war der Brief eingeschrieben. Die Gucki aber nicht daheim, wie der Briefträger gekommen ist. Hat sie am nächsten Tag ins Kaufgeschäft Wöss nach St. Anton fahren müssen. Brief abholen. Und das an einem Mittwoch! Wo sie eh immer spät dran ist. Weil sie ja am Dienstag immer in der Meierhanslhütte tarockiert. Gestern ist es wieder einmal vier in der Früh geworden. Und zwölf Flascherl Bier waren es auch. Oder waren es vierzehn? Auf jeden Fall hat die Gucki den Brief gelesen und ist dann mit einer ziemlichen Wut im Bauch nach Freistadt gefahren. Gleich ins Gymnasium. Jetzt braucht sie nur mehr die Schulbibliothek zu finden – und dann Gnade Gott diesem Herrn Klassenvorstand!

„Soll das Buch für den Hund sein? Tim und Struppi könnt ich ihm empfehlen. Oder kennt er das schon?“, werden die Gucki und der Turrini freundlich empfangen. Von einem extravagant gekleideten Herrn mit struppigen, grauen Haaren. Schaut überhaupt nicht so aus, wie sich die Gucki einen Klassenvorstand vorgestellt hätte. Ist sie so baff, dass ihr die Sprache wegbleibt. Dem Turrini nicht. Bellt den Mann fröhlich an und beschnuppert seine knallroten Stiefeletten.

„Wurm. Die Tante von der Bürstinger Gudrun aus der 1a!“, bringt die Gucki dann doch noch heraus.

„Das ist aber wirklich nett, dass Sie sich herbemüht haben, Frau Magister!“, sagt der komische Klassenvorstand und streichelt dabei den Turrini. Dass sich der das gefallen lasst? Normalerweis knurrt er, wenn ihm ein Fremder zu nah kommt.

„Was gibt’s?“, reißt die Gucki jetzt das Gespräch an sich. Ist ja bisher nur blöd dagestanden und hat blöd geschaut.

„Nehmen Sie doch Platz!“, sagt der Herr Klassenvorstand und deutet auf zwei Thonet-Sessel neben einem Kaffeehaustischerl mit einer Tischplatte aus Marmor. „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“

Wie dann gleich drauf ein erstklassiger Espresso und ein Glas Wasser vor der Gucki stehen, ist ihr Zorn auch schon verraucht. Macht den Herrn Klassenvorstand also nicht zur Sau, sondern schildert ganz offen ihre Gründe für den Sprachunterricht mit der kleinen Gucki. Der Herr Klassenvorstand nickt die ganze Zeit verständnisvoll und sagt nur von Zeit zu Zeit: „Aha!“

Trotzdem kann sich die Gucki nicht recht auf das Thema konzentrieren. Weil vor ihr ein ausgesprochen gut aussehender Mann sitzt: groß, schlank, wunderschöne Hände, extrem grüne Augen. Ein bisserl bunt angezogen ist er halt: Hemd und Stiefeletten knallrot, der moosgrüne Samtanzug mit violetten Streifen.

„Liebe Frau Magister Wurm!“, muss der Herr Klassenvorstand jetzt einspringen. Weil die Gucki vor lauter Schauen ganz aufs Reden vergisst. „Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass sogenannte Schimpfwörter eine Bereicherung für die deutsche Sprache darstellen. Aber halt nur in Situationen, wo sie hinpassen. Wenn die kleine Gucki in der Pause ihre Freundin Celine ein verficktes Gfrast nennt, dann ist das wunderbar. Wenn sie aber mitten im Unterricht die Englischprofessorin ein verficktes Gfrast nennt, dann ist das eine Betragensnote!“

Und dann zählt der Herr Klassenvorstand die allerärgsten Schimpfwörter auf, die die kleine Gucki in der letzten Woche im Unterricht von sich gegeben hat. Vom siebenseidenen Sechter für den Herrn Geografieprofessor bis hin zur notgeilen Nebenerwerbsnutte für die Frau Religionsprofessorin.

„Dieses kleine Flitscherl knöpf ich mir vor!“, zischt die Gucki. Schämt sich im nächsten Moment aber in Grund und Boden. Kann ja selber nicht den Mund aufmachen, ohne dass ihr ein Schimpfwort herausrutscht.

Aber der Herr Klassenvorstand überhört das Flitscherl und wechselt abrupt das Thema. Er lädt die Gucki ins Kino ein: Isle of Dogs, ein Film, in dem Hunde die Hauptrolle spielen.

„Wann und wo?“, will die Gucki wissen.

„Heute um 19 Uhr im Cineplexx Linz.“

„Von mir aus.“

„Übrigens“, wird der Herr Klassenvorstand zum Schluss jetzt direkt privat. „Ihre entzückende Nichte ist sprachlich wirklich hochbegabt. Hat den Busen von ihrer Tante Gucki als waffenscheinpflichtig beschrieben. Hat dabei kein bisserl übertrieben!“

Ist die Gucki rot geworden. Und hat sich hoch und heilig geschworen, nie wieder ohne BH in eine Sprechstunde zu gehen. Ist doch seit ihrer Pubertät nimmer rot geworden. Wird ja auch jetzt schon wieder rot. Wenn sie nur dran denkt! Obwohl das Ganze eh schon ein Jahr her ist! Besser gesagt, auf den Tag genau ist es heute ein Jahr her, dass sie die Liebe ihres Lebens kennengelernt hat: am 23. Mai 2018.

Trotz dieser romantischen Erinnerungen fährt die Gucki wie eine gesengte Sau. Dass das Heck von ihrem VW Porsche in jeder Kurve ausbricht. Damit sie an ihrem Jahrestag nur ja nicht zu spät kommt. Die Liebe ihres Lebens hat ja auch heute nicht viel Zeit. Mehr als ein Mittagessen und ein paar Zärtlichkeiten in der Gucki ihrem Bett werden auch heute nicht drin sein. Ist die Gucki schon neugierig, was für eine Ausrede die Liebe ihres Lebens heute wieder daheim erzählen wird.

„Maturavorbereitungen!“, sagt der Herr Professor. „Hab ich in letzter Zeit so oft gesagt, dass meine Frau glauben wird, meine Schüler haben bei mir acht Jahre lang nix gelernt und müssen jetzt in vier Wochen alles nachholen.“

Da sitzen die zwei aber schon im Wirtshaus und studieren die Speisekarte. Die Gucki wär an sich an der gebratenen Stelze interessiert. Kann ja das lustige Krachen vom knusprigen Schwartl vom Nebentisch herüberhören. Verzichtet aber schweren Herzens. Bestellt von wegen Partnerlook auch einen gebratenen Saibling auf Bärlauchrisotto. Weil die Liebe ihres Lebens ausgerechnet Vegetarier sein muss!

Aber nicht, dass jetzt wer glaubt, die Gucki redet ihren Liebhaber mit Liebe meines Lebens an. Tut sie nicht. Wär erstens viel zu lang und zweitens extrem peinlich. Denken tut sie aber schon: Liebe meines Lebens. Und zwar ziemlich oft – wenn nicht sogar Tag und Nacht! Wie sagt die Gucki dann? Von Anfang an nur Struppi! Weil sie Hunde mag und weil er sie mit seinen ständig zerzausten, grauen Haaren an einen besonders drolligen Drahthaarfoxterrier aus dem Film Isle of Dogs erinnert.

Ein Film, der ihr Leben total verändert hat! Also: nicht der Film – das, was nach dem Film passiert ist. Sind die zwei noch in einen Gastgarten gegangen. War ja ein warmer Frühlingstag. Haben ein Bier getrunken und viel gelacht. Waren dann schon am Weg zu ihren Autos und wollten heimfahren. Sind sie direkt neben der Donau gegangen. Die Lichter der Stadt haben sich im Wasser gespiegelt. Gerauscht hat das Wasser natürlich auch. Auf jeden Fall hat die ganze Stimmung auf die Gucki so romantisch gewirkt, dass sie den Struppi geküsst hat. Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. Dafür aber mitten auf den Mund! Kein Bussi, sondern ein richtiger Zungenkuss!

Gegen das Küssen an sich hat der Struppi nichts einzuwenden gehabt. Aber gegen die hell erleuchtete Straße, auf der der Kuss stattgefunden hat. Hat er die Gucki also zum schummrigen Donauufer hinuntergeschleppt. Dort haben die zwei dann stundenlang herumgeschmust, wie wenn sie mitten im Abschlusstraining für die Zungenkuss-Weltmeisterschaft in Reykjavík stehen täten.

Warum hat die Gucki den Struppi geküsst? Wie ist es überhaupt zu diesem folgenschweren Kuss gekommen? Die Gucki hat sich oft genug ihr Hirn darüber zermartert, was sie dazu gebracht hat. Übermut oder gar Mutwillen war es bestimmt nicht. Am ehesten noch Magie: Sie hat diesen Mann geküsst, weil sie das in diesem Moment einfach tun hat müssen. Sonst hätt es sie vor lauter Sehnsucht zerrissen!

Was man vielleicht dazusagen muss, ist, dass die Gucki sehr wohl gewusst hat, dass der Herr Professor Astor verheiratet ist. Hat ja am Nachmittag die kleine Gucki von der Schule abgeholt und nach Strich und Faden verhört. Eine Elfjährige weiß alles über ihren Deutschprofessor. Noch dazu, wenn er ihr Klassenvorstand ist und die Bühnenspielgruppe leitet, in der sie gerade ihre internationale Karriere als Schauspielerin beginnt.