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Wird Ihnen heiß, wenn Sie vor Publikum treten? Fürchten Sie, zu stottern, wenn Sie eine Rede halten müssen? Haben Sie Angst, im Rampenlicht zu stehen? Kurz gesagt: Leiden Sie unter Lampenfieber? Kein Problem, meint Raoul Biltgen, Ihnen kann geholfen werden! In diesem kompakten und sehr lesenswerten Ratgebertext berichtet der Buchautor, Schauspieler und Psychotherapeut aus seiner Praxis und verrät, wie man seiner Angst aktiv begegnet und sie sicher hinter sich lässt. Ergänzt wird der Beitrag durch einen ausführlichen Praxisteil mit Atemübungen sowie Tipps zur Selbstmodulation. Das ist nicht nur für Autoren auf der Lesebühne interessant, sondern für alle, die vor Publikum auftreten oder sprechen müssen. Mit ausführlichem Praxisteil und zahlreichen Übungen! "Überleben vor Leuten" ist ein E-Single aus dem Tatort-Schreibtisch-Ratgeber "Hört mir jemand zu?".Mehr Informationen unter www.tatort-schreibtisch.de
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Seitenzahl: 63
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Tatort Schreibtisch ist eine Buchreihe, in der ausschließlich versierte Profis zu Wort kommen. Basierend auf ihren langjährigen Erfahrungen, geben Fachleute ihr Wissen weiter und ermöglichen einen grundlegenden und vor allem praxisorientierten Einblick in ihre Arbeit. Mehr Informationen und weitere Texte unter: www.tatort-schreibtisch.de
Raoul Biltgen
Überleben vor Leuten
Wie man Lampenfieber und Angst überwinden und Bühnenpräsenz erreichen kann
KICKVerlag
Inhalt
Prolog
1. Angst
2. Bühnenpräsenz
3. Einstellungsmodulation
4. Paradoxe Intention
5. Selbstdistanzierung
6. Selbstbewusstsein
7. Körper und Geist
Übungen
1. Atemübungen
2. Lernen Sie sich kennen
Epilog
Literaturliste
Prolog
Es war am 13. Juni 1998, ich saß in Reihe 1 auf Platz 1 im Wiener Akademietheater und sah „Fin de Partie“, Samuel Becketts „Endspiel“ in der Inszenierung von George Tabori mit Gert Voss als Hamm und Ignaz Kirchner als Clov. Ja, ich besitze noch die Eintrittskarte, sie hat mich 500 Schilling gekostet. Es war mir schon beim Kauf der Karte klar, dass ich an diesem 13. Juni großes Theater sehen würde, allerdings war ich nicht darauf gefasst, dass ich an diesem 13. Juni einen jener ganz ganz wenigen Theatermomente erleben würde, die sich für den Rest des Lebens einprägen. Zunächst amüsierte es mich sehr, mit welcher Leichtigkeit Tabori, Voss und Kirchner dieses schwere Stück Theater angingen, spielerisch, lustig, um anschließend in ein Drama zu gleiten, das nicht anders konnte, als zutiefst zu berühren. Kein Wunder, bei solchen Meistern ihrer Kunst.
Und dann.
Voss sitzt in der Mitte der bis zur Brandmauer offenen, fast leeren Bühne, alle Dialoge sind gesprochen, alle Tragödie zweier Menschen, die nichts kennen als sich und ihre ewigen Machtspielchen und Demütigungen, ist erlebt und überlebt. Ein letztes Mal Fin de Partie, am Ende des Stücks und des Lebens und der Hoffnung. Voss beginnt mit dem großen Schlussmonolog Hamms. Und wie er mit dem Text umgeht, wie er das alles lebt, ist ein Genuss und erschreckend zugleich. Und was macht Kirchner als Clov? Er geht. Nein, das stimmt nicht: Er verlässt Hamm. Ewig weit weg geht Kirchner als Clov an der Brandmauer entlang, von rechts nach links, langsam, sehr langsam, und mit jedem Schritt ist sein Verlassen klarer, eindrucksvoller, unabänderlicher. Kirchner tut nichts anderes als gehen. Und doch kann ich meinen Blick keine Sekunde von ihm wenden. Es ist dieser letzte Gang, der sich in mein Hirn einbrennt und dem ich vielleicht meine komplette Laufbahn als Schauspieler seither hinterherstrebe.
Was war es, das in diesen Bühnenmomenten die Aufmerksamkeit der Zuschauer dermaßen gebannt hat? Und wie kann man eine solche Präsenz auf der Bühne erreichen, auch wenn man nicht eine Größe ist wie jene Giganten der Bühne, die ich erleben durfte?
Denn selbst wer nicht Schauspieler ist, kann in die Verlegenheit kommen, auf eine Bühne treten und vor Menschen sprechen zu müssen. Wer dort steht, möchte sich der Aufmerksamkeit des Publikums sicher sein.
1. Angst
Was kann ich also tun, um auf einer Bühne wahrgenommen zu werden?
Oder anders gefragt: Wie kann ich das vermeiden, wovor ich Angst habe?
Angst ist vielfältig, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Zum Beispiel die Angst, dass die Zuschauer sich langweilen, eher ihre Fingernägel betrachten als mich und darüber nachdenken, wie sie am besten den Raum verlassen, ohne allzu viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Oder die Angst, dass ich auftrete und auf der Bühne stehe, und nachher kann sich niemand mehr an mich erinnern, wie wenn der Abend nie stattgefunden hätte, eine Zeit des Vakuums, eine Leere meiner Nicht-Präsenz. Oder dass ich mich schrecklich blamiere. Dass ich etwas Falsches sage, mich verlese, mich verhasple, hinfalle, wenn ich auftrete, hinfalle, wenn ich mich setzen will, hinfalle, wenn ich längst schon sitze.
„Die Aufmerksamkeit richtet sich in der Angst zunehmend auf das, was möglicherweise passieren könnte. Dabei werden wir uns bewusst, dass es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen keine Sicherheit gegen Eventualitäten gibt.“1
1 Längle 2011, S. 121
Das Schlimmste, das Endgültige, wovor wir uns fürchten, ist das Sterben, die Todesangst, die ich in dem Moment erlebe, wenn ich dort stehe und alle Ängste gleichzeitig über mich hereinbrechen.
Kennen sie solche Situationen? Ich kenne sie. In einem solchen Moment verspürt man nichts mehr als den Wunsch, einfach im Boden zu versinken, weg zu sein, den Abend ungeschehen zu machen und nie nie mehr irgendjemandem unter die Augen treten zu müssen.
„Niemand hält eine überwältigende Angst auf Dauer aus. Bei bleibender Angst entwickelt sich ein Vertrauensverlust ins eigene Vermögen, in die Gewissheit, das eigene Leben bewältigen zu können. Immer mehr gerät die Notwendigkeit, die Angst zu bewältigen oder sie auf irgendeine Weise in den Griff zu bekommen, ins Zentrum der Aufmerksamkeit.“2
2 von Dach 2011, S. 22
Zur Beruhigung: Selbst Profis leiden unter Lampenfieber. Auch große Schauspieler haben Angst, zu versagen. Vielleicht sogar, weil sie Profis sind, weil die Erwartungen an sie so hoch sind. Ich kenne Schauspieler, die sich tatsächlich vor jedem Auftritt übergeben mussten und irgendwann einen Schlussstrich zogen.
Man muss nicht auf die Bühne, wenn man nicht will.
Man kann ja lügen. Akute Magenverstimmung zum Beispiel. Plötzliche Blindheit. Oma tot. Vermeidungsstrategien gibt es wie Geröll im Gebirge.
Das Problem ist, dass sehr viele Menschen immer wieder gezwungen sind, vor anderen Menschen zu sprechen, ob auf einer Party oder aus beruflichen Gründen: Manager (und Managerinnen, klar) müssen Quartalsberichte vorstellen, Studenten müssen Referate halten, Schriftsteller bei Lesungen auftreten. Wenn man einmal mit einer Notlüge angefangen hat, um den Auftritt zu vermeiden, kann es nur noch schlimmer werden. Die Angst wird krankhaft, es entsteht eine Spirale. Sie haben nicht mehr nur Angst vor dem, was passieren kann, Sie haben Angst vor der Angst.
„Eine der gefährlichsten Fallen, in denen Menschen sich verfangen, ist die übermäßige Angst. Wird ihr nicht per Selbstführungskraft Einhalt geboten, bricht sie irgendwann über den Betreffenden herein und besetzt sein ganzes Leben.“3
3 Lukas 2008, S. 35
Mir sind Fälle bekannt, in denen allein der Gedanke, vor Menschen auftreten zu müssen, Panikattacken ausgelöst haben.
Lassen Sie es nicht so weit kommen!
So wie man Angst und Panikattacken psychotherapeutisch angehen und bekämpfen kann, so gibt es viele Möglichkeiten, der Angst vor dem Bühnenauftritt zu begegnen und sie zu überwinden, bevor sie sich zu einer krankhaften Situation ausgewachsen hat.
Manche der Herangehensweisen, die ich in Folge vorstellen möchte, sind der Psychotherapie, andere der darstellenden Kunst entlehnt. Zusammen ergeben sie ein umfassendes Bild dessen, was jeder für sich zuhause oder auch in Zusammenarbeit mit anderen tun kann, um seine Angst zu überwinden. Das Ziel wird sein, sich Schritt für Schritt dem anzunähern, was Sie von sich selber bei einem Auftritt vor Publikum erwarten. Denn um eines vorauszuschicken: Die eigenen Erwartungen, die eigenen Wünsche an eine Bühnensituation sind wesentlich wichtiger als irgendwelche angenommenen Erwartungen von Zuschauern oder gar Veranstaltern.
2. Bühnenpräsenz
Angeblich gibt es Menschen, die eine vollkommen natürliche Bühnenpräsenz haben, denen das Charisma förmlich in die Wiege gelegt wurde.
„Bis heute ziehen solche Menschen andere in ihren Bann. […] Aber bis heute gibt es keine Formel, die erklärt, warum manche Menschen dies vermögen und andere nicht.“4
4 Horcher 2015
Das klingt sehr praktisch, denn das heißt, entweder man hat es, oder man hat es nicht. Wenn nicht, dann kann man – leider leider – auch nichts machen.
Doch. Man kann.