Uncovered – Dein Selfie zeigt alles - Ilona Einwohlt - E-Book

Uncovered – Dein Selfie zeigt alles E-Book

Ilona Einwohlt

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Beschreibung

Dein Selfie außer Kontrolle Ein sexy Foto von der Neuen in der Klasse abstauben: für Mädchenschwarm Milan die ultimative Challenge. Ein Flirt mit der selbstbewussten Ella soll ihm bei seinen Kumpels den Bad-Boy-Titel sichern. Aber Ella, die ihn beim Judo locker auf die Matte wirft, ist so ganz anders als die Mädchen, die Milan bisher um den Finger gewickelt hat. Als es zwischen den beiden funkt, schickt Ella ihm das Selfie, auf das er gewartet hat. Aber längst hat sich Milan in Ella verknallt, so richtig. Die bescheuerte Wette ist für ihn Geschichte. Wäre da nicht sein Kumpel Tobi, der endlich nackte Haut sehen will - und der noch aus einem ganz anderen Grund ein Auge auf Ella geworfen hat … Wie nackt ist zu nackt? Ilona Einwohlt, die Expertin für alle Themen rund ums Erwachsenwerden, erzählt in ihrem neuen Roman eindrücklich, wie im Spiel mit sexy Bildern die Grenzen verwischen. Für Jungs und Mädchen ab 12 Jahren. Empfohlen als Klassenlektüre zu den Themen Sexting / Cybermobbing / Zivilcourage / Rollenbilder. Veranstaltungskonzept für Schulklassen in Zusammenarbeit mit JUUUPORT e. V. (www.juuuport.de).

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Seitenzahl: 203

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Ilona EinwohltUncoveredDein Selfie zeigt alles

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Ilona Einwohltwollte eigentlich Ernährungswissenschaftlerin werden. Aber dann las sie mitten in der Chemievorlesung Simone de Beauvoir, Julio Cortázar und Thomas Mann – und widmete sich fortan der Literatur. Längst ist aus der Germanistikstudentin eine erfolgreiche Autorin insbesondere für Kinder und Jugendliche geworden. In ihren Romanen geht es immer um aktuelle Themen mitten aus dem Leben, denn mit Interesse, Kritik und Leidenschaft verfolgt sie die gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit. Für Uncovered hat sie umfangreich recherchiert und sich nicht nur mit ihrer jungen Zielgruppe ausgetauscht, sondern auch von der Polizei, Jugendsozialarbeit und Medienpädagogik beraten lassen. Ilona Einwohlt, Jahrgang 1968, lebt mit ihrer Familie in Darmstadt.

www.ilonaeinwohlt.de

Zu diesem Titel stehen Unterrichtserarbeitungen zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Erstausgabe im Taschenbuch1. Auflage 2020© 2020 Arena Verlag GmbHRottendorfer Straße 16, 97074 WürzburgAlle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: semper smile WerbeagenturGmbH, unter Verwendung von Bildern von ©Getty Images/Westend61 (Stock-Foto. Mit Model gestellt.)E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

E-Book ISBN 978-3-401-80946-5

Besuche den Arena Verlag im Netz:www.arena-verlag.de

#LoveLines

LOVE stand auf der Schulmauer. Im Gegenlicht der Morgensonne konnte Milan die bunten Buchstaben nicht richtig erkennen. Vielleicht hieß es auch Lust. Oder Luft. Vielleicht war er auch noch nicht richtig wach, nach sechs Wochen Abhängen und Sommerferien kein Wunder. Milan blinzelte und rieb sich die Augen. Jetzt tanzten die Buchstaben erst recht. Lost.

»Hey, pass doch auf!« Wie aus dem Nichts stand Jule plötzlich vor ihm und funkelte ihn an. Sie wäre beinahe mit dem Fahrrad in ihn hineingerauscht.

»Pass doch selber auf«, zischte er zurück, zuckte mit den Schultern und machte, dass er weiterkam. Auf Stress mit Jule hatte er keine Lust. Seit er mit ihr vor einem halben Jahr wegen Paula Schluss gemacht hatte, suchte sie ständig einen Anlass, um sich mit ihm anzulegen. Sie hatte es ihm bis heute nicht verziehen, obwohl er sich kurz darauf auch wieder von Paula getrennt hatte.

»Hey, was geht!« Tobias umarmte ihn überschwänglich zur Begrüßung. »Mann, hab ich dich vermisst, Mann. Alter! Ey, freu mich, dich zu sehen.« Er führte ein Freudentänzchen auf und zog Milan dann in den Schwitzkasten, um ihn ordentlich durchzuknuffen.

»Jetzt werd bloß nicht sentimental!« Milan wehrte ihn lachend ab und boxte ihn zurück, Tobias war schon immer ein Raufbold gewesen. »Wie war’s in Kalifornien? Hab die Bilder in deiner Story gesehen…«

»Bestimmt cooler als mit deinen Eltern.« Tobi grinste breit und Milan verzog das Gesicht. Während Tobi an der Westküste herumpaddelte, war Milan in Südfrankreich gewesen, Surfcamp und Ferienhaus, wie jedes Jahr. Trotz Corona.

»Hab dir sogar was mitgebracht.« Tobias kramte in seinem Rucksack. »War bei Hot Topic … Hier.« Er hielt Milan ein schwarzes T-Shirt hin. Life’s a bitch. Go on and f*** it schrien ihm knallrote Buchstaben entgegen.

»Sehr cool, Alter!« Milan rückte seine Sonnenbrille zurecht und tat so, als ob es das beste Geschenk ever sei. Dabei wusste er schon jetzt, dass er das Shirt niemals tragen würde, nicht, solange seine Mutter seine Wäsche machte. Das ist frauenverachtend, hörte er sie sagen, egal, welches Argument er brächte. Bitch sagten doch alle und es war nichts dabei, es gab Shirts und Herzchenanhänger, die sich die Mädchen selbst kauften und schenkten. Und nannten Bijan & Co. ihre Gruppe nicht auch A-Bitches oder so ähnlich? Weil sie in der A waren, so wie andere in der B. Noch ein Schuljahr, dann wären sie alle in der Oberstufe und O-Bitches. Oder würden eine Ausbildung machen oder eine Ehrenrunde drehen. Milan schüttelte sich und strich sich mit einer lässigen Geste die Haare aus dem Gesicht.

Tobi grinste. »Das kannst du heute Nachmittag gleich anziehen, wenn wir das nächste Video drehen.«

»Träum weiter!« Milan winkte ab. Das war so eine von Tobis beknackten Ideen: Er wollte Influencer werden und coole Videos produzieren, ein paar hatte er schon ins Netz gestellt, Pranks & Fun, aber mit nur mäßigem Erfolg. Von Star keine Rede.

»Das wird der Hit, wirst schon sehen. Wir zwei beide! Dream-Team«, schwärmte Tobi weiter. »Vom Nice Guy zum Bad Boy, das ist doch das, was alle wollen. Zeig mir ein Mädchen, das nicht auf böse Jungs steht. Und du bist genau der Richtige! Schließlich hattest du schon eine Million Freundinnen und bist der Coolste von allen!« Er rempelte Milan übermütig in die Seite.

»Und wer bist du?«

»Dein Manager! Ich bring dich ganz groß raus.« Tobi tat so, als paffte er eine Zigarre.

»Fragt sich, wer von uns der Bad Boy ist.« Geschmeichelt zupfte Milan an seinem Lederarmband und lächelte Bijan zu, die an ihnen vorüberlief. Längst hatte er seinen Ruf weg. Dabei war er gar nicht so bad, wie Tobi behauptete. In Wahrheit hätte er gerne mal eine richtige Freundin gehabt. Aber irgendwie hielt er es nie lange mit einer aus. Und außerdem hatte er gemerkt, dass die Mädchen es mochten, wenn er wild und unangepasst und unberechenbar blieb. Jede aus dem Jahrgang schwärmte für ihn, was ihm natürlich unglaublich schmeichelte. Dabei war er gar nicht so sicher, dass er das nächste Schuljahr schaffte.

Milan seufzte. »Ich darf dieses Jahr nicht sitzen bleiben!«

»Wirst schon nicht. Wollen wir später gleich ein paar Probeaufnahmen machen? Ich hab ’ne neue Digitalkamera!«, rief Tobias und legte seinen Arm um Milans Schulter. »Das wird ein geiles Schuljahr. Schau dich doch um, sind die Chicks nicht großartig in Form? Wie die alle gewachsen sind!« Er deutete begeistert auf die Ströme von Schülerinnen, die sich durch das große Eisentor Richtung Haupteingang bewegten. Nackte Haut und wippende Brüste, wohin man auch schaute.

Milan prustete los. Schon klar, sie würden in den kommenden Monaten den Spaß ihres Lebens haben. Noch war der Sommer nicht vorbei…

»Und? Was läuft mit Vanessa?«, fragte Tobi.

»Nichts mehr. Hab Schluss gemacht.« Milan steckte sich einen Kaugummi in den Mund und straffte die Schultern, weil in diesem Moment Alina an ihm vorüberlief. Sie lächelte. Let the game begin.

»Ey, lass mich raten: Du hast ’ne Neue?« Tobias blinzelte ihm verschwörerisch zu.

»Erzähl ich dir später«, antwortete Milan rasch und setzte ein geheimnisvolles Lächeln auf. Leon hatte sich in diesem Moment zu ihnen gesellt.

»Da seid ihr ja. Ich hab euch überall gesucht.« Leon klatschte ab. »Habt ihr schon gehört? Wir bekommen eine Neue in die Klasse. So ’ne Provinztussi aus ’nem Verein.«

Tobias nickte. »Bestimmt eine im Dirndl.«

Leon prustete los.

»Behalten wir den Müller als Klassenlehrer?«, fragte Milan und winkte Sophie zu.

»Den alten Fettsack?« Tobi verzog sein Gesicht und scannte im Vorübergehen drei Siebtklässlerinnen, die klongleich an ihnen vorüberwippten: knappe Shorts, weißes Top, lange blonde Haare, die bis zu ihnen nach Apfelshampoo dufteten. Eine von ihnen lächelte Tobias an, der zwinkerte lässig zurück. Offensichtlich hatte er in Kalifornien einen Crash-Kurs in Mädchenaufreißen belegt.

»Wir bekommen die Tuszynski«, meinte Leon. »Der Müller liegt mit Burn-out inklusive Diabetes zwei in der Klinik…«

»Die Tuszynski ist geil.«

»Was bin ich?«

Von den dreien unbemerkt war die Lehrerin hinter ihnen stehen geblieben, um eine Nachricht auf ihrem Handy zu tippen. Ein knallrot geschminkter Mund lächelte sie breit an.

»Unsere neue Klassenlehrerin«, beeilte sich Milan zu sagen. Kein Stress, bloß kein Stress, bitte, bitte, sendete er insgeheim ein Stoßgebet an den Gott der Schülerinnen und Schüler. Wollte er das Schuljahr schaffen, brauchte er die Tuszynski als Verbündete. Er lächelte sie charmant an. So, wie er das immer bei den Mädchen machte.

»Na, dann bin ich ja beruhigt.« Es funktionierte, Frau Tuszynski lächelte zurück und widmete sich wieder ihrem Smartphone. »Mist, verdammt«, fluchte sie leise. »Warum funktioniert das jetzt nicht?«

»Vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein?« Tobias schaute ihr beflissen über die Schulter.

»Äh, was? Nein, danke.« Die Lehrerin ließ das Handy schnell in ihrer Rocktasche verschwinden.

»Die ist auf Tinder!!!« Tobias grinste breit über sein sommersprossiges Gesicht. »Wie geil ist das denn! Ich melde mich gleich an!«

»Willst du sie matchen, oder was? Da bist du ein paar Jahre zu jung, Alter. Träum weiter…« Leon rollte mit den Augen, um dann wie nebenbei hinzuzufügen: »Ich bin übrigens mit Leonie zusammen.«

»What?!«, riefen Milan und Tobias wie aus einem Munde. »Du hast eine Freundin? DU?«

»Ja, und?« Leon schüttelte den Kopf und schaute Milan provozierend an. »Meinst du, die gehören alle dir?«

»Lass gut sein!« Milan winkte ab. Leonie. Er kramte in seinem Gedächtnis. Das war so eine Kleine, Kompakte aus der Parallelklasse, wenn er sich recht erinnerte. Blond. Wie alle. Um Ostern herum hatte sie ihm ständig Nachrichten geschickt, aber er war damals in Paula verknallt gewesen und hatte sich nicht weiter für sie interessiert. Jetzt war sie also Leons Freundin. Das freute ihn. Für beide.

»Und. Erzähl. Habt ihr schon?« Die Frage kam selbstredend von Tobias, doch zur Antwort zuckte Leon nur vielsagend mit den Schultern.

Milan grinste in die Runde.

»Und wenn?«

Leon war der beste Kumpel unter der Sonne. Sie kannten sich seit dem Kindergarten und waren in der Reihenhaussiedlung wie Brüder aufgewachsen. Wenn er jetzt Leonie knutschte, sollte ihm das nur recht sein, auch wenn es ihn insgeheim kiekste, dass sie für ihn fortan tabu war.

Also ob Leon seine Gedanken lesen konnte, blinzelte er zu Milan rüber. »Lass bloß die Finger von ihr. Die ist zu gut für dich.«

»Wetten, dass Milan sie trotzdem rumkriegt?«, warf Tobias ein, was ihm einen Rempler von Leon einbrachte.

»Milan ist doch ein Gentleman. Der würde nie im Leben seinem Kumpel die Freundin ausspannen, oder?!« Pietro hatte sich zu ihnen gesellt und funkelte Milan böse an.

»Haha! Was kann ich denn dafür, wenn du nur Hockey in der Birne hast?« Milan wusste sofort, auf was er anspielte. Lena hatte sich ihm damals an den Hals geworfen und behauptet, mit Pietro sei Schluss, weil er nie Zeit für sie hätte. Er hatte sie daraufhin ausgiebig getröstet.

»Lieber Hockey im Kopf als Stroh«, meinte Pietro verächtlich und Milan zuckte empfindlich zusammen. Pietro hatte seinen wunden Punkt getroffen.

Trotzdem konterte er fix: »Ich hab lieber eine Freundin im Arm statt ’nen Hockeyschläger!«

»Komm, lass unseren Latin-Lover in Frieden.« Das kam von Mirkan, Pietros Kumpel. Er sagte das weder vorwurfsvoll noch neidisch, eine simple Feststellung, die Milan wohlwollend registrierte. Er schnickte sich die Haare aus der Stirn.

»Stimmt!«, mischte sich Leon ein. »Milan war schon immer der Beliebteste. Damals im Kindergarten hat er mit seinem unwiderstehlichen Lächeln sämtliche Erzieherinnen um den Finger gewickelt.« Er stupste ihn in die Seite. »Dafür konnten wir dann ordentlich Quatsch machen, ohne dass sich jemand für uns interessierte.«

»Deal!« Milan nickte. Es hatte durchaus seine Vorteile, gut auszusehen, Frau Becker hatte ihm nur deswegen seine Lese-Rechtschreibschwäche verziehen. Deswegen hatte er jetzt im Sommer keine Nachprüfung machen müssen, die Direktorin hatte den Bescheid höchstpersönlich unterschrieben. Und die Mädchen lagen ihm reihenweise zu Füßen, er hatte die Qual der Wahl, konnte sich die Schönsten der Schönsten aussuchen. Leonie war einfach nicht schön genug. Und Pietro nicht sein Freund.

»Lass stecken! Die Freundin von meinem besten Freund ist tabu!«, winkte Milan ab. Ehrensache. So einer war er nicht, auch wenn ihm das Image vom Bad Boy ansonsten ganz gut gefiel. »Und sonst so? Was geht?«

»Ich hab ein paar geile Seiten entdeckt … nichts für hier, wenn du verstehst. Kommst du später zu mir?« Tobias fuchtelte mit seinem Smartphone herum. Bang! Dem Oppermann genau an die Schulter.

»Der Herr von den Hagen, wer sonst!« Herr Oppermann lächelte süffisant und hielt Tobias’ Arm fest, sodass das Handy in die Luft gestreckt blieb wie die Fackel der Freiheitsstatue. »Alle mal herschauen, so bitte nicht! Lösch das! Wenn ich dich noch einmal damit erwische, ist das Handy weg.«

Das Display zeigte für alle sichtbar ein üppiges Paar Brüste, die Umstehenden grölten und applaudierten, die meisten senkten peinlich berührt den Blick.

»Fragt sich, wer von uns hier das Schwein ist«, zischte Tobias und steckte sein Handy in die Hosentasche, nachdem der Oppermann kopfschüttelnd abgezogen war.

»Deswegen ist er Medienpädagoge geworden.« Leon prustete los.

»Ey, kommt, wir machen sein Handy klar. Wetten, der ist auch auf Tinder? Und dann kuppeln wir ihn mit der Tuszynski.« Tobias schaute breit grinsend in die Runde.

»Wetten, das schaffst du nicht?« Leon hielt seinem Blick stand.

Milan rollte die Augen. Nicht schon wieder! Tobias liebte Wetten, egal, ob es ums Wetter oder Weltmeisterschaft ging, Tabasco exen oder Alkohol aus dem Chemiesaal klauen, er hatte die verrücktesten Ideen. Ging es anfangs noch um so nette Dinge wie Schokolade oder Gummibären, waren die Wetteinsätze mittlerweile deutlich gestiegen: Haare mit Olivenöl einfetten, Salzwasser trinken oder eine Woche lang einen Katzenohrhaarreif tragen.

»Wetten, doch?« Tobias hielt ihm die Hand hin. »Der Verlierer muss sich die Sackhaare rasieren und ins Gesicht kleben.«

»Was?« Leon wirkte geschockt.

Milan prustete los. Dann folgte er Leons Blick, der gebannt über Tobias’ Schulter hinwegschaute. Jetzt sah er, was ihm die Sprache verschlug. Genauer gesagt: WER.

»Kneif mich mal«, flüsterte Tobias leise, der ebenfalls mit offenem Mund Richtung Hofeinfahrt schaute. »So was hat die Welt noch nicht gesehen.«

#Catwalk

War ja klar, dass sie wieder alle guckten. Ella zog den Kopf ein, während ihre ältere Schwester die Schultern straffte und ihr Kameralächeln anknipste. Soeben liefen sie auf den Schulhof und wie immer, wenn Claire irgendwo auftauchte, zog sie sämtliche Blicke auf sich. Kein Wunder, sie war einsfünfundachtzig groß und ihre Haare schimmerten selbst abseits des Scheinwerferlichts seidig weich. Claire hatte das, was man in der Modelwelt als Attitude und Personality feierte, sie hatte Tausende Follower. In ihrer Gegenwart ging die Sonne auf und zauberte allen ein Lächeln ins Gesicht. Claire war nicht nur ausgesprochen hübsch, sondern auch zu gut, um wahr zu sein. Seit etlichen Monaten hatte sie aus dieser bezaubernden Gabe einen Beruf gemacht: Sie arbeitete als Model, weswegen sie mit ihren fast achtzehn Jahren immer noch kein Abitur in der Tasche hatte. Das sollte sich jetzt ändern.

Ella senkte den Kopf und ließ ihre Haare wie einen Vorhang vor ihr Gesicht fallen. Dass ihre große Schwester wieder regelmäßig die Schulbank drückte, war nicht die einzige Veränderung in ihrem Leben. Zu Beginn der Sommerferien waren sie von Norddeutschland nach Hessen gezogen, vom platten Land in die Berge, vom Dorf in die Stadt. Ihre Eltern hatten sich getrennt und die Mutter zog es zurück in die Heimat, so einfach war das, so kompliziert war das.

»Einfach lächeln, Ella, lächeln und winken!«, wisperte ihr Claire durch die Zähne zu. Ella tat ihr den Gefallen und lächelte, auch wenn es unter Garantie niemand bemerkte. Für den ersten Schultag hatte Claire wohlweislich ein normales Outfit gewählt und sich kaum geschminkt, was in ihrem Fall immer noch Aufsehen genug erregte – weil ihre Jeans einen besonders coolen Schnitt besaß und der Pulli mit dem floralen Print nicht gerade unauffällig wirkte. Neben Claire sahen die Großstadtgirls ganz schön blass aus, da konnten sie sich noch so Mühe geben. Ella dagegen trug wie immer Jeans und ein kurzes Shirt dazu. Trainiert, wie sie war, konnte sie sich bauchfreie Klamotten ohne Probleme leisten, legte aber ansonsten wenig Wert auf Styling. Wenn sie sich so umschaute, fühlte sie sich schon jetzt als Exotin zwischen all den geschminkten und gestylten Mädchen. Das konnte ja lustig werden. Sie hörte bereits die Kommentare von wegen Landei und Dorfkind. Aber wenn es so lief wie immer, würde kaum einer von ihr Notiz nehmen. Manchmal hatte es auch Vorteile, unsichtbar zu sein.

»Gehst du heute Abend ins Judotraining?«, fragte Claire. »Ich würde mitkommen …« Sie zupfte unnötigerweise an ihrem Bauch herum.

»Echt jetzt?« Ella strich sich die Strähne hinters Ohr und schaute ihre Schwester überrascht an. Früher hatten sie immer gemeinsam trainiert, man könnte sagen: Sie waren beide im Dojo groß geworden. Aber dann hatte Claire mit dem Modeln begonnen und Ella einen Gurt nach dem nächsten gemacht. Mittlerweile war die kleine Schwester der großen haushoch überlegen, zumindest was die Kampftechniken und Erfolge auf der Matte betraf.

»Klar, meinst du, ich lass dich allein in die Meute? Schau dich doch um! Das sind Hyänen, die warten nur darauf, dass du einen Fehler machst. Wie bei den Models. Willkommen im Club!« Claire lächelte immer noch, nur Ella bemerkte ihre leicht hochgezogene Augenbraue und den angespannten Zug um den Mundwinkel. »Take care, wir sehen uns später …« Sie warf Ella Küsschen zu und lief den Gang entlang zu den Unterrichtsräumen im anderen Gebäudetrakt.

Ella sah ihr mit gemischten Gefühlen hinterher. Claire ging mit erhobenem Kopf, als wäre die Kamera auf sie gerichtet. Der Schülerstrom, der ihr entgegenkam, teilte sich wie von selbst, kein einziger Tritt, kein Rempler, kein Widerstand. Der bebrillte Lehrer, der hinter ihr lief, hatte es dagegen schwer, sich gegen die Masse zu behaupten.

Seufzend kramte Ella ihr Handy hervor und startete die Aufnahme. Auf das Training heute Abend in dem neuen Judoverein freute sie sich, der einzige Lichtblick. In den letzten zwei Wochen war sie lediglich locker laufen gewesen und hatte ihre täglichen Liegestütze gemacht. Nach zwei Wochen Judocamp war es wie kalter Entzug, nicht mehr täglich, ach was, stündlich auf der Matte zu stehen und zu kämpfen, unzählige Male die Würfe zu üben, sich Schrittfolgen einzuprägen. Judo war ihr Leben! Und ihre Zukunft, wie Alex, ihr bester Freund und Kumpel aller Zeiten, prognostizierte. Claudia, ihre Trainerin, war da kritischer, glaubte aber fest daran, dass Ella alsbald den Braungurt bestehen und dann bereit für den Schwarzgurt sein würde. Bis dahin war es zwar noch ein weiter Weg, aber Ella war fest entschlossen, alles dafür zu tun, um den 1. Dan zu erreichen und sich den Titel ehrenvoll zu erkämpfen.

»Hey, ich bin jetzt in meiner neuen Schule angekommen«, kommentierte sie gut gelaunt und setzte ihren Weg fort. »Man trennt hier Müll, stellt euch vor, und es gibt eine Wasserquelle für alle … hier am Kiosk kann man Äpfel und vegane Fruchtschnitten kaufen, klingt gesund. Oh, und Studentenfutter, das ist gut.« Ella nickte dem Hausmeister zu. Dann sprach sie selbst in die Kamera, winkte den Betrachter näher heran: »Heute Abend zeig ich euch dann den neuen Judoverein. Aber ich weiß jetzt schon, dass euch niemand ersetzen kann.« Ella verabschiedete sich mit einem Kussmund und stellte das Video in ihre Story. Für ihre alten Freunde aus der Heimat, die sie vermissten und umgekehrt. Denen Ella versprochen hatte, ausführlich von ihrem neuen Leben zu berichten, was sie hiermit einlöste. Unzählige andere, die sie nicht persönlich kannte, sahen es auch. Ella hatte mittlerweile knapp vierhundert Follower.

Dann ging sie offline. In der Schulordnung hatte gestanden, dass während der Unterrichtszeiten Handyverbot herrschte. Wenn sie sich so umschaute, schien sich kaum jemand daran zu halten.

Ella schaute auf ihren Zettel. E 308, ihr zukünftiger Klassensaal, lag im dritten Stock. Wie groß diese Schule war! Ganz anders als ihr altes, schrammeliges Schulgebäude mit den löchrigen Vorhängen, wo die Zeit stehen geblieben war. Dieses hier war frisch saniert und mit Smartboards ausgestattet, alles wirkte hell und modern. Ein gutes Zeichen. Sogar eine digitale Ankündigungstafel gab es. Sänger*innen fürs Weihnachtsmusical gesucht! Bitte in der zweiten großen Pause bei Frau Tuszynski melden. Gute Idee, dachte Ella. In ihrer alten Schule war sie im Chor gewesen.

Langsam ließ sich Ella von der Menge den Flur entlangschieben und die Treppe hinauf, bis sie vor dem besagten Raum stand. Sie straffte die Schultern, aber ihr machte natürlich niemand Platz. Fokussieren, atmen, den Gegner im Auge behalten, hörte sie Alex’ Stimme im Ohr. Ihr Trainingspartner hatte es stets verstanden, sie zu motivieren und voranzutreiben. Keine Angst. Mutig voran. Und Ella war dem nur allzu gerne gefolgt. Aber heute? So mulmig war ihr selbst vorm letzten Wettkampf nicht gewesen, und da hatte sie lauter Braungurte als Gegnerinnen gehabt, die mindestens einen Kopf größer waren als sie.

»Hey, Kleine, die Unterstufen sind im Nebengebäude!«, rief ihr jemand zu. Unwillkürlich zuckte sie zusammen. War ja klar, dass so eine Bemerkung kommen musste. Aber gleich heute am ersten Schultag? Ein rotblonder Typ drängelte sich an ihr vorbei und warf ihr einen abschätzenden Blick zu. Hatte der nicht vorhin ständig zu ihnen hinübergeglotzt, als sie den Schulhof betreten hatten? Seine wasserblauen Augen irritierten sie, man konnte sich nicht in ihnen festhalten, so durchsichtig schienen sie zu sein.

»Schon klar!«, murmelte Ella und lief einfach weiter. Was hatte sie sich nicht schon alles anhören müssen: Kleine, Maus, Bonsai, Feder, Zwerg, Spargel, Floh … Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte sie sich eine Strichliste gemacht, wer was wie oft gesagt hatte. Mittlerweile hatte sie es aufgegeben.

Vor ihrem Klassenraum blieb sie stehen, er war noch zugeschlossen.

»Hey, pass doch auf!« Ein dunkelhaariges Mädchen rempelte gegen sie, in letzter Sekunde konnte Ella einem Schwall Cola ausweichen.

»Oh, sorry, tut mir leid.« Das Mädchen scrollte wieder an ihrem Handy herum und ignorierte die braune Pfütze zu ihren Füßen.

»Typisch Jule! Wenn die ihre Likes checkt, merkt sie nichts. Hier!« Ordentlich manikürte Hände reichten ihr ein Taschentuch.

»Nichts passiert!«, wehrte Ella ab und schaute interessiert zu dieser Jule hinüber, die in ihr Display vertieft war.

»Ich bin Marie!«, stellte sich die Besitzerin der polierten Fingernägel vor. »Und du bist die Neue, stimmt’s?«

»Yup!« Ella nickte. Sie versuchte ein Lächeln, was ihr nur mühsam gelang. Das wäre der Moment gewesen, um etwas Nettes zu sagen und Freundschaft zu schließen. Claire hätte damit keine Probleme gehabt. Sie hätte nach dem coolsten Lehrer oder der nächsten Party gefragt oder sonst etwas Lässiges gesagt. Nicht so Ella, sie war viel zu schüchtern dafür. Deshalb schwieg sie lieber und schielte aus dem Fenster.

»Der Oppermann kommt gleich«, plapperte Marie einfach weiter. »Eigentlich hätte der längst unseren Raum aufschließen müssen, wir sind ja nicht mehr in der Unterstufe.« Neugierig musterte sie Ella von oben bis unten. »Wo kommst du her? Ostfriesland, gell?«

»Kann man so sagen.« Ihre alten Judofreunde hatten sie vorgewarnt und ihr zum Abschied ein Buch mit Ostfriesenwitzen geschenkt. »Damit du mitlachen kannst.« Das Buch lag unberührt in einem der unzähligen Umzugskartons. Sie hatte nicht erwartet, dass so schnell jemand darauf anspielen würde.

»Postest du unter #Ostfriesenmädchen? Konnte dich nicht finden. Wie heißt du denn?« Jule hatte sich wieder zu ihnen gedreht, diesmal ohne ihre Flasche dabei auszukippen. Sie hatte immer noch ihr Handy am Wickel und schaute Ella noch nicht einmal an.

»Bisschen viele Fragen auf einmal, findest du nicht?«, rutschte es Ella heraus. Sofort biss sie sich auf die Lippe. Die Chance hatte sie vertan, die Gelegenheit war vorbei, sich von ihrer besten Seite zu zeigen und sich mit den Mädchen in ihrer neuen Klasse gut zu stellen.

»Stimmt, hast recht!« Zu ihrer Überraschung war Jule nicht die Bohne sauer, sondern lächelte sie jetzt freundlich an. Mittlerweile hatten sich ein paar andere Mädchen neugierig zu ihnen gestellt. Sie dufteten nach Mango-Vanille und waren tipptopp geschminkt, als hätte sich einer von Claires Stylisten um sie gekümmert.

Ella verzog ihr Gesicht und atmete tief durch. Himmel, wo war sie hier gelandet! So eine Klasse voller Püppchen hatte ihr gerade noch gefehlt. Hoffentlich waren wenigstens die Lehrer normal. Sie wandte sich ab und tat so, als suche sie dringend etwas in ihrem Rucksack.

»Was ist denn das für eine?«, hörte sie es hinter ihrem Rücken tuscheln. »Guten Tag sagen kann die auch nicht, was?« – »Kommt vom platten Land.« – »Fischköppe können halt nicht reden.«

Oh Mann!

In diesem Moment kam Bewegung in die Truppe, der Klassensaal wurde aufgeschlossen und jeder stürmte voran auf der Suche nach den besten Plätzen. Unschlüssig folgte Ella. Im Türrahmen blieb sie stehen. Nicht so zögerlich, hörte sie Alex sagen. Kein Wunder, wenn du mit dieser Körperhaltung zum Opfer wirst. Mutig voran! Attacke! Du musst zeigen, dass du gewinnen willst! Sieger erkennt man am Start!

#NeuHier

Wie war’s? Die Nachricht stammte von Alex, Ellas Judokumpel und bestem Freund aus der alten Heimat.

Öde!, schrieb Ella zurück. Dann tippte sie seine Nummer.

»Hey, du!« Alex klang nicht wirklich überrascht, als er ihre Stimme hörte. »Erzähl!«

»Die sind total unsportlich«, begann Ella, während sie im Kühlschrank nach etwas Essbarem suchte. Seit ihrem Umzug war er chronisch leer. Nur Claires Joghurts stapelten sich. »Alle tragen die neusten Sneaker, teure Klamotten und die Mädchen sind mega geschminkt. Und ins Gym