Und dann war Totenstille - Rainer Ballnus - E-Book

Und dann war Totenstille E-Book

Rainer Ballnus

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Tatort Holsteinische Schweiz Das Gefängnistor in Lübeck öffnet sich und ein wegen Totschlags verurteilter Geschäftsmann verlässt den Knast als freier Mann. Nur den Hauch eines Moments kann er sein Domizil am Kellersee genießen, dann schlägt der Mörder zu. Eine teuflisch raffinierte Mordmethode lässt den Leichnam auf dem Obduktionstisch landen. Den Chef der Mordkommission quält Bauchgrimmen und das Verlaufen der Spuren im Sande beschleunigen seine Schmerz-Attacken. Doch er und seine Kollegen geben nicht auf. Selbst Müllkippen werden bewegt und modernste Elektronik bemüht. Der Chef-Ermittler allerdings erlebt den krönenden Abschluss im Krankenhaus. Seine Diagnose lautet: Helicobacter pylori. Die Kollegen können damit zwar nichts anfangen, aber dafür präsentieren sie ihrem Boss den Täter. Dieser muss, wie viele andere vor ihm, erkennen: Den perfekten Mord gibt es nicht. Auch diesem unterhaltsamen Krimi liegt ein authentisches Geschehen zu Grunde.

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Rainer Ballnus

Und dann war Totenstille

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Tatort Holsteinische Schweiz

Quietschend öffnete sich automatisch…

Werner Kröling saß an seinem Schreibtisch…

Im Obduktionssaal lag die Leiche…

Mittagszeit.

„Mein Vater war ein Schwein!“

„Ob Werner wirklich zum Arzt gegangen ist?“

„Und Sie bleiben dabei?“

Rudolf Schneider ließ sich im Wohnzimmer…

Kaum hatte ihr Chef…

Er quälte sich durch den Stadtverkehr…

‚Frühbesprechung’ am Abend.

Schenkenbach saß grinsend…

„Muss das unbedingt jetzt sein?

Jörg Unger lenkte den Dienstwagen.

Er stand am Bett seines alten Freundes…

Impressum neobooks

Tatort Holsteinische Schweiz

Das Gefängnistor in Lübeck öffnet sich und ein wegen Totschlags verurteilter Geschäftsmann verlässt den Knast als freier Mann. Nur den Hauch eines Moments kann er sein Domizil am Kellersee genießen, dann schlägt der Mörder zu. Eine teuflisch raffinierte Mordmethode lässt den Leichnam auf dem Obduktionstisch landen.

Den Chef der Mordkommission quält Bauchgrimmen und das Verlaufen der Spuren im Sande beschleunigen seine Schmerz-Attacken. Doch er und seine Kollegen geben nicht auf. Selbst Müllkippen werden bewegt und modernste Elektronik bemüht.

Der Chef-Ermittler allerdings erlebt den krönenden Abschluss im Krankenhaus. Seine Diagnose lautet: Helicobacter pylori. Die Kollegen können damit zwar nichts anfangen, aber dafür präsentieren sie ihrem Boss den Täter. Dieser muss, wie viele andere vor ihm, erkennen: Den perfekten Mord gibt es nicht.

Auch diesem unterhaltsamen Krimi liegt ein authentisches Geschehen zu Grunde.

Quietschend öffnete sich automatisch…

… die reichlich angerostete Eisentür für Fußgänger. Die Tür war eingepasst in das mächtige Eingangstor der Justizvollzugsanstalt in Lübeck-Lauerhof und das wiederum eingerahmt in die hohe Mauer mit den Stacheldrahtrollen. Von einem wolkenlosen Himmel schien an diesem Frühsommertag die Sonne. Die Vögel zwitscherten.

In der geöffneten Tür reckte sich Christian Baader. Er war gerade entlassen worden. Ungewöhnlich war seine Kleidung, ein grauer, leichter Anzug, italienischer Schnitt. Mit dem rechten Fuß schob er eine große Leinentasche vor die Tür, und er selbst trat ebenfalls einen Schritt nach vorn. Hinter ihm schloss sich wiederum automatisch geräuschvoll die Tür. Der elegant gekleidete Mann mit dem gepflegten Oberlippenbart zündete sich eine Zigarette an und drehte den Kopf nach links, denn von dort näherte sich in langsamer Fahrt eine dunkle, schwere Limousine.

„Na endlich!“, murmelte er vor sich hin. Direkt vor ihm hielt die Nobelkarosse, und der Fahrer, ebenfalls in einem offenbar teuren und maßgeschneiderten mittelblauen Anzug und einer roten Krawatte mit einem viel zu großen Knoten, beeilte sich auszusteigen, um das Fahrzeug herumzugehen und die Beifahrertür zu öffnen.

„Schön, dass Sie wieder draußen sind, Herr Baader“, begrüßte er den Mann, der gerade die wieder gewonnene Freiheit zu genießen begann. Der lächelte ein wenig süffisant.

„Nun lassen Sie mal die Heuchelei, Lauscher. Übrigens, haben Sie nichts Besseres zu tun, als mich persönlich vor dieser“, er drehte sich noch einmal zum Gefängnistor um, „Herberge in Empfang nehmen?“

„Doch, doch, Herr Baader, die Geschäfte laufen ausgezeichnet. Wir sind bis Ende September nahezu ausgebucht. Und ich hatte Ihnen ja die Bilanz von…“

„Ich weiß, Lauscher, ich weiß!“, unterbrach Baader ihn barsch und stieg hinten in die Limousine ein.

„Also, warum haben Sie nicht den Fahrer geschickt?“

Lauscher ließ sich auf den Fahrersitz fallen und meinte ein wenig zögerlich:

„Ob Sie es glauben oder nicht, Chef, aber ich dachte, ich bereite Ihnen damit eine Freude.“ Dabei schaute er in den Rückspiegel und wollte aus der Mimik seines Chefs etwas ablesen, doch dessen Gesichtsausdruck verriet nichts. Er startete den Wagen und fuhr gemächlich davon.

Sie fuhren an einem Motorrad vorbei, das nur fünfzig Meter vom Gefängnistor entfernt parkte. Der Fahrer in Lederkleidung und einem heruntergeklappten dunklen Visier am Vollhelm sprach etwas in sein Handy, klappte es danach zusammen und verstaute es in der Motorradjacke.

Lübecks Innenstadt war überfüllt.

„Nehmen Sie nicht die Autobahn, Lauscher. Fahren Sie an der Küste entlang. Ich habe sie lang genug vermisst.“

Lauscher nickte und schlängelte sich an den Autolawinen vorbei in Richtung Ostsee.

„Wollen Sie noch ins Hotel?“ Er blickte fragend in den Rückspiegel. Doch Baader schüttelte den Kopf.

„Sie wissen doch, was ich jetzt machen werde“, gab er diesmal betont freundlicher zurück, beugte sich nach vorn und klopfte Lauscher zweimal kurz auf die Schulter. Und wieder nickte dieser. Natürlich wusste er, was sein Boss jetzt machen würde. Er wusste überhaupt alles von ihm, na ja, zumindest fast alles, griente er innerlich. Denn schließlich war er der Geschäftsführer von Baaders Hotel und hatte ihn beinahe wöchentlich mit allem Geschäftlichen, aber auch gelegentlich mit privaten Belangen im Knast aufgesucht und alles Wesentliche besprochen.

„Übrigens, das hat geklappt mit der Gruppe, von der ich Ihnen in der letzten Woche erzählt habe.“

„Ach“, zeigte sich Baader interessiert und beugte sich wieder nach vorn.

„Heißt das, wir sind bis in den Herbst hinein ausgebucht?“

„So gut wie, Chef. Und das Schöne ist…“. Es folgte eine intensive Geschäftsbesprechung, in der deutlich wurde, dass Lauscher den Laden, wie er sein Vier-Sterne-Hotel in Lübeck-Travemünde gern nannte, wirklich im Griff hatte.

Baader schaute nach draußen und las das Ortsschild: Timmendorfer Strand. Er lehnte sich entspannt zurück und genoss die Fahrt entlang der Küste, über Scharbeutz und Haffkrug.

„Sind ja doch schon ‘ne Menge Touris unterwegs“, staunte Baader. „Was ist denn das, Lauscher, davon haben Sie mir ja gar nichts erzählt!“

„Ach Sie meinen die neue Promenaden-Allee. Schön geworden, nicht? Das wurde aber auch Zeit. Bei diesen vorsintflutlichen Anlagen, da hätte ich niemals Urlaub gemacht“, regte sich Lauscher auf.

„Eben, Lauscher. Und das war doch gut für uns. Bedeutet das jetzt was für unseren Laden?“

„Sie fürchten, dass die Leute gar nicht mehr bis Travemünde kommen, nur weil hier die…“

„Ja, das meine ich“, ließ Baader seinen Geschäftsführer nicht ausreden.

„Also, das glaub’ ich nun wirklich nicht.“

„Glauben, glauben! Mensch Lauscher, es scheint, Sie haben darüber noch gar nicht nachgedacht.“

Lauscher war feinfühlig genug, um zu erkennen, dass es jetzt besser war, nicht zu antworten. Und das erwies sich als richtig.

„Na, ja, jetzt bin ich ja wieder da, und ich werde auch darüber nachdenken.“

Der unterkühlte Ton in Baaders Bemerkung war nicht zu überhören. Und wieder schwieg der Geschäftsführer.

Baader wollte sich nicht aufregen, nicht heute. Er konnte es kaum erwarten, sein Zuhause, seine Villa am Kellersee, die er vor vielen Jahren über einen Makler erstanden hatte, zu betreten. Eine wahre Perle unter den Villen an diesem herrlichen Gewässer! Endlich, sie fuhren gerade von der Umgehungsstraße ab und erreichten Eutin, die Kreisstadt, aber was noch viel wichtiger für ihn war, die Rosenstadt. Baader liebte Rosen über alles, und alle Besucher hatten in der Vergangenheit immer wieder seine Rosenpracht auf seinem herrschaftlichen Anwesen bewundert und bestaunt.

„Hoffentlich stehen meine Rosen gut“, gab er halblaut von sich, doch Lauscher hatte es gehört, und jetzt antwortete er auch, forsch und siegessicher:

„Sie werden staunen Chef! Alles gut in Schuss, wirklich! Darum habe ich mich persönlich gekümmert!“

Stolz schwang in seiner Stimme mit.

Beide bemerkten nicht den Fahrer auf dem Motorrad, das ihnen seit dem Verlassen der Justizvollzugsanstalt gefolgt war. Erst kurz vor dem Erreichen des parkähnlichen Grundstücks seines Chefs warf Lauscher einen Blick in den Innenrückspiegel und nahm in einiger Distanz diesen Motorradfahrer wahr. Doch er schien sich nichts dabei zu denken, zumindest sagte er nichts. Er löste per Knopfdruck ein Funksignal aus, steuerte auf die Einfahrt des sich lautlos öffnenden Tores zu und hielt vor dem breiten Garagentor.

„Na endlich!“

Laut ausatmend stieg Baader aus, reckte und streckte sich und sog die frische und saubere Luft in seine Lungen.

„Welch herrliche Landschaft!“

Der Hotelier drehte sich dabei im Kreise, mit ausgestreckten Armen, und als Lauscher nichts sagte, drehte er sich empört zu ihm um: „Menschenskind, denken Sie denn immer nur an Zahlen, Zahlen, Zahlen? Genießen Sie doch auch mal diese wunderbare Natur, hier im Herzen der Holsteinischen Schweiz!“

„Sie haben ja auch…“,

„… diese entbehren müssen, meinen Sie. Richtig, Lauscher, und genau das werde ich nachholen, auf der Stelle und ausgiebig!“

Baader reichte ihm die Hand.

„Bevor ich es vergesse, Lauscher, in der nächsten Woche, da schau ich mir alles noch mal genau an, die Bücher meine ich, und wenn alles so bleibt, dann können Sie sich darauf einrichten…“

„Aber Chef, kommen Sie doch erstmal richtig an“, wiegelte der Geschäftsführer die offenbar in Aussicht gestellte Gehaltserhöhung geschickt ab. Seine Mimik allerdings bewies deutlich, dass ihn allein die Ankündigung einer finanziellen Belohnung freute. Baader griente.

„Nur keine künstliche Bescheidenheit, mein Lieber!“

Lauscher ließ sich ohne Kommentar hinter das Lenkrad der Limousine fallen, startete und fuhr langsam davon, sorgsam darauf achtend, keinen Staub aufzuwirbeln.

Baader ging zur riesigen Eingangspforte, erfreute sich wie immer an dem geräuschlosen Schließen, griff in die Hosentasche, holte den Schlüsselbund hervor und schritt gemächlich, aber doch zielstrebig auf die gediegene Eingangstür zu.

Auf der Straße, vielleicht fünfzig Meter von Baaders Grundstück entfernt, stand wieder der Motorradfahrer. Er hatte den Helm abgenommen und kurzfristig auf den Tank gelegt. Sich den rechten Handschuh in den Mund steckend, tippte er in ein Handy einige Ziffern ein und hielt es an sein Ohr.

Werner Kröling saß an seinem Schreibtisch…

… und hatte eine Tasse Kaffee vor sich. Eigentlich saß der Leiter der Lübecker Mordkommission gar nicht richtig auf seinem Bürosessel, sondern rutschte immer auf ihm hin und her.

„Sag’ mal, Werner, hast du was?“

Das war Liesa Freseke, die jüngste Mitarbeiterin in seinem Team und seine beste, wie er stets gegenüber den männlichen Kollegen betonte. Und weil sie die einzige Mitarbeiterin war, durfte er das auch ungestraft tun.

„Wieso?“, fragte Kröling zurück.

„Na, Mensch, so als Zappelphilipp kenne ich dich sonst gar nicht“, meinte Liesa erklärend. Und sie hatte recht, seit einigen Tagen war der Boss der Mordkommission irgendwie anders, vor allem war er oft schlecht gelaunt. Und das kannte sie eben auch nicht von ihm.

„Vielleicht solltest du mal Urlaub machen, Werner.“

Jörg Unger saß ihm ebenfalls gegenüber und nippte an seiner Kaffeetasse. Er war der „alte Hase“ im Team, und ihn konnte so gut wie nichts erschüttern.

„Ach lasst mich doch einfach mal in Ruhe!“

Kröling stand stöhnend auf und warf ein beantwortetes Fax ins Ausgangsfach.

„Da holt es sowieso keiner ab, Werner. Hast du vergessen, Maike hat ab heute Urlaub.“

Liesa konnte sich diese Spitze nicht verkneifen, doch sie war nicht böse gemeint, denn dafür schätzte sie seinen zwar etwas raubeinigen, aber doch herzlichen Umgangston. Mit Maike meinte sie die Schreibkraft. Der MK-Leiter hatte ihr jetzt den Kurz-Urlaub quasi ‚verordnet’, weil sie im Kommissariat für Tötungsdelikte „Saure-Gurken-Zeit“, sprich wenig zu tun hatten. Kröling erwiderte nichts, sondern nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz. Er war mit sich selbst unzufrieden und es ärgerte ihn, dass die anderen offenbar etwas davon mitbekamen. Seine Frau war vor gut einem Jahr gestorben und seither hatte er noch nicht wieder recht Tritt gefasst. Er wusste nicht, ob es noch die Trauer war oder ob er Angst hatte, wieder voll ins Leben einzutreten. Kollegen, Freunde hatten ihn wirklich nach dem schrecklichen Ende seiner an Brustkrebs verstorbenen Frau gut aufgefangen und begleitet. Doch jetzt spürte er immer mehr, wie sie hinter seinem Rücken die Augen verdrehten und manche drückten ihr Unverständnis auch verbal aus. „Du musst endlich wieder unter Leute, Werner“ oder „Du verkriechst dich ja immer mehr in dein Schneckenhaus, anstatt das Leben wieder einfach mal auszuprobieren.“ Die hatten alle gut reden. Nur einer verstand ihn. Leo Oberhof, sein Chef.

„Möchtest du nicht doch…“

Werner Kröling erschrak. Jörg Unger schob ihm den Teller mit den belegten Brötchen rüber. Es war ein festes Ritual in ihrer Runde. Wer Geburtstag hatte, war zu Kaffee und Brötchen „verdonnert“. Und der „alte Hase“ hatte heute Geburtstag.

„So, damit das Drängeln endlich aufhört: Ich habe Magenschmerzen! So einfach ist das. Es tut mir Leid, Jörg, ausgerechnet an deinem Geburtstag. Aber lasst mich einfach in Ruhe! Okay?“

Der Chef-Ermittler schaute seine beiden Kollegen streng an und fasste kurz an seinen Bauch. Die beiden warfen sich einen schnellen Blick zu, konnten sich ein leichtes Grienen nicht verkneifen, und Liesa meinte trocken:

„Das hättest du uns doch gleich sagen können, dann hätte Jörg einiges an Kosten eingespart.“

Kröling wollte gerade aufbegehren, da klingelte das Telefon im Sekretariat, gleich nebenan mit offener Verbindungstür.

Liesa machte Anstalten, sich zu erheben, doch der Chef winkte ab.

„Lasst man, esst nur noch ein paar Brötchen mehr. Ich wisst ja, wer den Schaden hat…“, meinte Kröling ein wenig ironisch und erhob sich stöhnend. Er stakste, anders konnten die beiden seinen Gang nicht nennen, ins Büro der Sekretärin und nahm den Hörer ab. Und die beiden hörten zwischendurch immer wieder mal ein ‚ja’ oder ein ‚aha’. Nach dem Auflegen kam der MK-Leiter zurück. Die beiden Kollegen schauten ihn neugierig an, denn sie hatten Mordbereitschaft. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, als er sagte:

„Da kommt etwas auf uns zu, das wird euch nicht gefallen!“

Christian Baader schritt betont langsam durch die Räume seiner Villa. Niemand war im Haus. Über den Möbeln waren weiße Laken ausgebreitet. Vorsichtig nahm er sie ab, setzte sich in einen bequemen Sessel und schaute durch die riesige Fensterscheibe seiner Wohnhalle nach draußen in die herrliche Blütenpracht im Grünen. Dabei strich er immer wieder über den Velours der Sessellehne. Er wirkte sehr nachdenklich. Ein leiser Stoßseufzer kam über seine Lippen. Doch dann schlug er mit beiden Händen auf die Armlehnen, stützte sich ab und sprang aus dem Sessel.

„So, nun ist genug gejammert!“, gab er sich selbst einen Ruck. Nach einer kurzen Inspektion der anderen Räumlichkeiten nickte er zufrieden, trat durch die Eingangstür nach draußen, blickte zur Grundstückseinfahrt und registrierte den Motorradfahrer, auf dem Krad sitzend, den Vollschutzhelm mit dem heruntergeklappten Visier auf dem Kopf und offenbar eine Landkarte studierend.

Baader schaute nach oben in den blauen Himmel und murmelte:

„Es wird langsam Zeit.“

Auf einer leicht abschüssigen Straße, inmitten eines hohen Tannenwaldes, den die Sonne kaum durchdringen konnte, war in einiger Entfernung der Ruf eines Waldkauzes zu hören. Es herrschte nur sehr wenig Verkehr. Gerade als ein Lkw die Straße mit ziemlicher Geschwindigkeit entlang donnerte, schaffte es ein Rehkitz im letzten Moment, rechtzeitig die Fahrbahn unverletzt zu überqueren.

Etwa zweihundert Meter nach einer leichten Rechtskurve ragte in Fahrtrichtung Schönwalde ein hoher Betonmast für eine Oberleitung hervor. Er stand ungefähr drei Meter vom linken Fahrbahnrand entfernt an einer ansteigenden Böschung. Neben diesem Mast stand ein Mensch, angelehnt und telefonierte mit einem Handy.

„Nein, ich kann dir nicht sagen, wo ich jetzt bin, und was ich gerade tue. Begreif es doch endlich! Ich bin erwachsen und kann frei entscheiden!“

Doch der Anrufer schien sich nicht so leicht abspeisen zu lassen.

„Damit du es endlich weißt, ich will nicht in deine Firma einsteigen, niemals! So und jetzt lege ich auf, ich habe zu tun!“

Wütend drückte der Mensch die Austaste, steckte das Handy in seine Jeanstasche und bückte sich nach unten. Dort lag etwas, was er in den nächsten Minuten dringend benötigte. Gerade wollte er es aufheben, da klingelte sein Mobiltelefon erneut.

„Oh, nein, nicht schon wieder!“, stöhnte er zwar laut auf, kam aber wieder aus der Hocke nach oben und schaute auf dem Display nach der Nummer. Eiligst meldete er sich.

„Na endlich. Das wurde ja auch langsam Zeit!“

Nach einem kurzen Zuhören waren nur noch ein kurzes „ja“ und wenig später ein „okay“ zuhören, und danach war das Gespräch beendet. Der Mensch hörte einen vorbeifahrenden Wagen, ohne ihn zu sehen, drehte sich um und sah in den Wald.

„Hoffentlich geht alles gut“, murmelte er und bückte sich noch einmal. Ihm war alles andere als wohl in seiner Haut.

Baader verließ die Villa durch den Haupteingang in Motorradkleidung. Auf dem Weg zur Garage löste er per Fernbedienung ein Funksignal aus, und das Tor öffnete sich wie von Geisterhand.

In der Garage parkten zwei schwere Wagen und ein wenig abgesetzt davon stand an der rechten Seite ein aufgebocktes Motorrad, abgedeckt mit einer Plane. Baader nahm sie behutsam ab und schaute verliebt auf seine Maschine. Das Metall blinkte beinahe staubfrei.

„Da hat Lauscher ja wirklich Wort gehalten“, sprach er fast andächtig leise und fuhr mit der Hand über den blitzenden Silbertank und den Ledersitz. Doch dann gab es für ihn kein Halten mehr. Plötzlich schien er es sehr eilig zu haben, nahm die Maschine vom Bock, rollte sie nach draußen, startete sie, und der Motor sprang auf Anhieb an. Der tiefe Sound des Motors versetzte ihn in Hochstimmung.

„Was kann es Schöneres geben“, jubelte Baader mit rauer Stimme und schmunzelte dabei, klappte das Visier hinunter, schwang sich auf sein Krad, spielte ein paar Mal mit dem Gas und dann fuhr er los. Im Rückspiegel sah er, wie das Tor sich wieder wie von selbst schloss. An der Grundstückseinfahrt wiederholte sich das Spielchen. Und dann war es endlich soweit. An der Einmündung zur Straße schaute er nach rechts und nach links. Er sah wieder den Kradfahrer, der immer noch auf seiner Maschine saß und vermutlich in einer Autokarte las. Baader zögerte einen Augenblick. Er überlegte, ob er ihn ansprechen sollte. Vielleicht brauchte der ja eine Orientierungshilfe. Doch auf der anderen Seite hätte er ja schließlich von sich aus ein Signal geben können, dachte er, und überhaupt, ich will jetzt los. Entschlossen, sofort sein Vergnügen zu suchen, gab er Gas und brauste davon.

Der unbekannte Motorradfahrer schaute dem davonfahrenden Baader nach. Als dieser hinter der nächsten Straßenbiegung seinen Blicken entschwand, tippte er in sein Handy eine Nummer ein und betätigte die Freisprecheinrichtung.

Der Mensch in der tiefer gelegenen Straßenböschung hatte sich zwischenzeitlich von dem Hochspannungsbetonmast gelöst und die Straßenseite gewechselt. Jetzt stand er auf der rechten, ebenfalls leicht abschüssigen Böschung an der Straße nach Schönwalde, mitten im Wald, genau neben einer riesigen Tanne. Mehrmals hatte er bereits nach oben in den Himmel geschaut, und ihm war regelrecht schwindelig geworden. Über seinem Kopf schien sich der Himmel zu drehen. Plötzlich klingelte sein Handy, und als habe er darauf gewartet, griff er schnell in seine Hosentasche und presste wenig später das Mobiltelefon an sein Ohr, denn genau in diesem Augenblick fuhr offenbar wieder ein Laster mit großem Getöse die recht hügelige Straße entlang. Nach kurzem Hineinhören sagte er: „Okay, ich weiß Bescheid. Was? Ja, verdammt!“

Seine Stimme klang verärgert. Genau so schnell, wie er das Handy aus seiner Hosentasche gezaubert hatte, so schnell war es auch wieder in ihr verschwunden.

„Na, denn wollen wir mal“, murmelte er.

Bevor er am Fuße der Tanne in die Knie ging, lauschte er angestrengt. Doch er nahm nur die natürlichen Waldgeräusche wahr. Der Lastwagen war längst nicht mehr zu hören.