... und immer wieder Moses! - Klaus Ketterer - E-Book

... und immer wieder Moses! E-Book

Klaus Ketterer

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Beschreibung

Warum gehen in unserer heutigen Zeit immer wieder so viele Menschen irgendwelchen Hetzern auf den Leim? Warum folgen sie immer wieder theatralischen Auftritten, hinterhältigen Lügen und hohlen Versprechungen irgendwelcher Möchtegernführer? Warum drängt es die Menschen immer wieder "dazu zu gehören", zu was auch immer? Warum erkennen diese Schafe oft viel zu spät, dass sie meist nur manipuliert und ausgenutzt werden? Nationalismen, Ideologien, Religionen, Ethnien, bis hinunter zum Verein, dem Stammtisch in der Kneipe: überall dort tummeln sich allzu oft Menschen, die das Sagen haben wollen. Diese Verführungsschwätzer geben oft vor: "Ich will doch nur dein Bestes". Mag sein, doch sollten wir nicht bereit sein, ihnen das zu geben.Besser ist: im Rahmen gemeinschaftlich gesetzter Werte und Vereinbarungen selbst bestimmt zu leben, sich denen also zu verweigern, die zum Machtaufbau Ideologien, Religionen, Nationalismus und Rassismus benutzen und missbrauchen, die "Erbfeinde" erfinden, und Selbstmordattentäter zu Märtyrern umbenennen. Dieser sarkastische Roman ist eine Umdeutung dessen, was im Alten Testament von einem der berühmtesten Propheten der Geschichte, der sich zum Führer eines Volkes aufgeschwungen hat, niedergeschrieben wurde. Damit wird hier kein Anspruch auf Wahrheit erhoben! Obwohl diese andere Sicht nicht unlogisch ist. Zeigt sie doch die Methoden und die Mittel, mit denen schon immer, also auch in heutiger Zeit die Menschen verführt und manipuliert werden.

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Seitenzahl: 387

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Vorweg (zur Vermeidung von Störgefühlen)

Der Beginn einer Geschichte ohne Ende

Das geheime Manifest des Moses

Jitro, der erste Gefolgsmann

Die Erschaffung eines Propheten

Die Erfindung eines Gottes und seiner Worte und Taten

Aaron, der zweite Gefolgsmann

Freunde

„Wollt ihr das auserwählte Volk Gottes sein?“

Exodus Phase 1

Der Kampf um die Macht

Exodus Phase 2

Das Ende einer Geschichte ohne Ende

Und jetzt?

Jeder Mensch kann sich selbst Maximen setzen

Vorweg (zur Vermeidung von Störgefühlen)

Volksverführung? Wie kommt man da auf Moses? Der war doch ein Erretter aus der Sklaverei? Der hat doch sein Volk nicht „verführt“!?

Hier: Der Beginn der Beschreibung seiner selbst.

„So steht es geschrieben!“ Seit Jahrtausenden! Die Bibel, und darin das Alte Testament, sind selbstverständlich nicht das einzige ‚Geschriebene‘ mit diesem oder ähnlichem Inhalt. Gleichgültig aber, um welches Buch, welchen Text, welches darin dargestellte Gottesbild es sich handelt: Was „geschrieben steht“, galt über Jahrhunderte und Jahrtausende als unverbrüchliche Wahrheit. Je älter der Text, umso unverbrüchlicher. Obwohl Alter nichts adelt. Gar nichts! Weder Menschen noch Erkenntnisse, keine Offenbarungen und keine Wahrheiten, keine Sitten, keine Gebräuche und keine Riten.

Will ich einen Bibeltext jetzt, hier und heute anzweifeln? Das wäre das falsche Wort. Der Begriff ‚relativieren‘ kommt meiner Absicht näher. Ich will diesen uralten Text hinterfragen, neu deuten. Da bin ich nicht der Erste, weil die Jahrtausende lang gültige Hochachtung gegenüber dem ‚Geschriebenen‘ in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten drastisch abgenommen hat.

Warum schreibe ich diese fiktive Erzählung? Und warum mit Moses als Zentralfigur? Wie kommt man als ein vor mehr als einem halben Jahrhundert von jeder Religion selbstbefreiter und deshalb tief durchatmender Mensch in heutigen Zeiten auf die Idee, eine biblische Gestalt zur Zentralfigur einer umgedeuteten Geschichte zu machen? Verbunden scheint diese Frage manchmal mit versteckten Vermutungen, die ich hier beantworten möchte:

Nein, ich bin nicht verdeckt (Zitat: … „irgendwie, so ganz tief in dir drin“) doch noch religiös geblieben, wie es mit nachsichtig-wissendem, verständnisvollem Lächeln unterstellt wurde von Gesprächspartnern, die sich selbst nach langem Suchen (Zitat: „beim rechten Glauben“) angekommen wähnen. Menschen, die sich im Gespräch demonstrativ mit verklärter Mimik im Sessel zurücklehnen, die (so sagen sie) sich in diesem Glauben endlich sicher fühlen, die, (so sagen sie) endlich zufrieden sind und das auch bleiben wollen.

Nein, ich will auch niemandem seinen Glauben hinterfragen, diesen Glauben diskreditieren oder gar nehmen. Wenn er oder sie sich mit diesem Glauben zufrieden und glücklich fühlt, dann ist es gut. Aber nur dann, wenn sie oder er sich nicht mit Andersgläubigen streiten, sie sich nicht gegenseitig verachten und terrorisieren, sie keinen Andersgläubigen oder Nichtgläubigen (

Un

gläubigen!) quälen und töten mit der Behauptung oder Begründung, dass das ihr Gott so befohlen habe.

Doch bleibt die Frage: Warum stelle ich diesen Moses, diesen behaupteten und beschriebenen Religionsgründer, Propheten, Gesetzgeber und Führer, in den Mittelpunkt einer fiktiven Erzählung? Seine reale Existenz vor etwa dreitausend Jahren ist nicht historisch gesichert. Ebenfalls ist ungesichert, ob - wenn es ihn gegeben hat - er tatsächlich das gesagt, getan und bewirkt hat, was die ‚Schriften‘ über ihn berichten. Was über die Jahrhunderte und Jahrtausende viele Schriftkundige in unterschiedlichen, teils selbstgewählten Funktionen mit verschiedenen Absichten und Zielsetzungen über diesen Moses und sein Wirken niedergeschrieben haben, ist doch jenen, die sich dafür interessierten, schon seit den ersten Aufzeichnungen bekannt?!

Weiß ich etwa irgendetwas Neues über diesen Moses?

Nein! Diese von mir hier geschriebene Story basiert zwar auf den Bibeltexten des Alten Testaments, der Genesis und des Exodus, in ihrer Ausdeutung dieser Texte erzählt sie aber etwas Anderes als die Priester in den Predigten. Ich habe die Bibelerzählung umgedeutet. Ich erzähle sie mit (zwar möglichen) aber von mir erfundenen Hintergründen anders. Ich behaupte nicht, dass es so war, denn das wäre nicht beweisbar und deshalb anmaßend. Aber es hätte auch so gewesen sein können, und das ist nicht auszuschließen und deshalb nicht anmaßend.

Dass in dem von mir ‚Erfundenen‘ doch irgendetwas dabei ist, das mit dem übereinstimmt, was vor Jahrtausenden tatsächlich geschehen ist, entgegen der - zuerst mündlichen und dann schriftlichen - Überlieferung, kann und will ich hier also nicht behaupten.

Denn es geht mir nicht um diesen ‚historischen‘ Moses. Ich will ihm nichts andichten. Ob irgendetwas von dem, was über diesen Mann seit Jahrhunderten und Jahrtausenden ‚geschrieben steht‘, historische Wahrheit oder auch nur Erfundenes ist, kann und will ich hier auch nicht beurteilen. Ich will nichts ‚aufklären‘, keine Behauptungen aufstellen, will keine neue Mosesgeschichte schreiben, weder eine wissenschaftliche noch eine theologische.

Meine Motivation für diese fiktive Erzählung liegt in unserer Gegenwart. Sie resultiert aus den aktuellen politischen Geschehnissen, den Nachrichten in den Medien, den News und Fake News, dem allseitigen Geschrei, der Empörung, den Ängsten sowie der Willkür und den Tricksereien mancher machthungriger Politiker, die es immer schon gegeben hat, der öffentlichen Pöbeleienwut der Demonstrantenmassen, die das, was sie als berechtigte Empörung bezeichnen und lautstark äußern, damit rechtfertigen, dass sie „das Volk“ seien und sich folglich nicht irren könnten, weil sie sich daran erinnern und darauf berufen, dass man ihnen mal erklärt habe, dass es so etwas wie ‚Schwarmintelligenz‘ gebe.

Meine Motivation für das Schreiben einer solchen fiktiven Erzählung ergibt sich weiter aus der - leider oft genug zu Recht behaupteten - Hinterlist des einen oder anderen Zugehörigen der „Eliten“, aus dem Machtmissbrauch mancher - durch Geld oder Politik - mächtig gewordenen Politiker und auch aus der oft ungenierten Gier, der Rücksichtslosigkeit, der Verlogenheit, der Brutalität von Mitgliedern unserer Gesellschaften, die es immer schon gegeben hat und auch zukünftig leider geben wird.

Deshalb ist ein weiterer, weit wichtigerer Grund für diese fiktive Erzählung die - immer wieder unbegreifliche - Manipulierbarkeit, die Verführbarkeit großer Volksmassen. Wie oft in der Geschichte ist „das Volk“ - letztlich zum eigenen Nachteil und weit überwiegend zum Nutzen der Herrschsüchtigen - manipuliert, also belogen, betrogen, verführt und benutzt worden! Hinter wem und was ist „das Volk“ immer wieder mal hergelaufen. Warum hat sich „das Volk“ immer wieder millionenfach als Marionetten benutzen lassen, und sind in der Folge die Menschen um ihr erarbeitetes Vermögen gebracht und sogar getötet worden? Und wie oft in der Geschichte ist das dann später, zu spät meist, auch erkannt worden?

Dann, meist aber erst, wenn alles zu spät ist, klagt „das Volk“ und leidet an den Folgen der Lügen, Untaten, Unfähigkeiten, Dummheiten, Charaktermängeln, der Gier, dem Machthunger, der vordem so frenetisch gefeierten und bejubelten „Führer“. Doch das nur für eine Generation. Dann wachsen neben den Unwissenden die Relativierer nach. Das sind die, für die ein solches Geschehen (hier nur als eines von vielen Beispielen) lediglich „ein Vogelschiss der Geschichte“ war, weshalb „das Volk“ das Geschehene wohl einfach unbeschwerter gewichten, oder - besser noch - aus dem Gedächtnis streichen soll.

Eine abgrundtief dumme Wertung!

Wäre sie berechtigt, könnte jeder Mörder sich damit rechtfertigen, dass der von ihm begangene Mord, der nur fünf Sekunden gedauert hat, nur ein Vogelschiss wäre in seiner Lebenszeit.

Wenn man die mehr als fünfzig Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges, den das NS-Regime unbestreitbar angezettelt hat, und die etwa sechs Millionen Toten der Konzentrationslager, zusammen also sechsundfünfzig Millionen Tote, aufteilen würde auf die etwa zweitausend Jahre der Geschichte, des „Abendlandes“ („Deutschland“ existiert als Nation erst seit etwa einhundertfünfzig Jahren), entfielen auf jeden Tag etwa siebenundsiebzig vom nationalsozialistischen Deutschland zu verantwortende Tote. Auf die zwölf Jahre des „Tausendjährigen Reiches“ wären es pro Tag knapp dreizehntausend Tote.

„Vogelschiss“?

Ob es von Ideologien und deren Vertretern verursacht wurde, oder von Religionen und deren Priestern, von Ethnien, sprachgewaltigen Nationalisten, von ‚Führern‘, Diktatoren, Kaisern, Königen und Fürsten, Revolutionären und Präsidenten: „das Volk“ lässt sich von jedem manipulieren, wenn es dieser Strippenzieher nur raffiniert genug anstellt. „Das Volk“ lässt sich belügen, benutzen, verschleißen, ausnehmen. Immer und immer wieder. Und dafür, wie man das am wirkungsvollsten und effektivsten macht, gibt es sogar Jahrhunderte alte Gebrauchsanweisungen wie die von Niccolò Machiavelli (*03.05.1469 in Florenz, †21.06.1527 ebendort. Verfasser von „Der Fürst“.)

Also: „Es steht (auch das!) geschrieben“! Und dass etwas „geschrieben steht“ gilt ja seit Urzeiten als wichtigstes Qualitätsmerkmal, als Fakt, als gesichert, als Wahrheit, für die viele ‚Volksgenossen‘ oder Gläubige sogar zu töten und auch zu sterben bereit waren (und sind!). Dieses Geschriebene hält man dann in Demonstrationen hoch und brüllt dazu oder schweigt demonstrativ-ekstatisch. Gleichgültig, welche Farbe der Einband hat (beispielsweise Rot), oder welches Symbol der Einband zeigt (beispielsweise ein Kreuz mit oder ohne Haken, mit Hammer und Sichel, mit arabischen oder chinesischen Schriftzeichen).

Lernt „das Volk“ aus der Geschichte nie etwas? Kann „das Volk“ aus der Geschichte nichts lernen? Es scheint so. Woran liegt das? Ist „das Volk“ tatsächlich ausreichend dumm, wie das von vielen Machthabern der Vergangenheit und der Gegenwart offensichtlich unterstellt wurde und wird, weshalb die Skrupel auch gering waren „das Volk“ einfach als Dienstleister auszunutzen und als Kanonenfutter zu verheizen? Weil es immer genug davon gab?

Diese Annahme liegt nahe. Denn wer sich manipulieren lässt, ist dumm - zumindest dümmer als die Manipulierer, die Strippenzieher, die machtversessenen Betrüger. Das gilt selbstverständlich - und leider - auch für mich. Denn auch ich bin in meinem Leben schon auf manchen Betrüger hereingefallen. Auch ich war und bin - zumindest hin und wieder - ganz offensichtlich dumm, dümmer also als die, die mich belogen und betrogen haben.

Ich empfinde das als ungeheuer ärgerlich! Sie nicht auch? Und die anderen? Ärgern sich die ‚Volksgenossen‘ nicht auch? Vermutlich schon, aber nur, wenn sie es schaffen, sich zu ihrer Dummheit zu bekennen, was nicht immer und was nur Wenigen gelingt. Aber erwächst aus der Selbsterkenntnis der eigenen Dummheit dann auch der ausreichend starke Wille, sich nicht fortwährend neu manipulieren zu lassen? Und wenn der Wille tatsächlich geweckt ist: Ist genug Wissen vorhanden, wie man Manipulation erkennt und wie man sich vor ihr schützen könnte?

Diese Fragen und die Suche nach den Antworten begründen meine Motivation für diese fiktive Erzählung.

Ich will hier den Versuch unternehmen, diese Manipulierbarkeit sowohl deutlich zu machen als auch ein wenig zu verringern, indem ich eine fiktive Erzählung schreibe, in der ich eine viel beschriebene und zitierte historische (?) Figur der Menschheit benutze, hinter der ein ganzes „Volk“ gedanklich und - soweit man den Erzählungen glauben darf - tatsächlich auch physisch hergelaufen ist. Ich dichte diesem Moses eine Motivation und ein Verhalten an, mit dem er „das Volk“ manipuliert haben könnte. Ich will das Gemisch der unterschiedlichen Motivationen für Manipulation und die für eine erfolgreiche Manipulation hilfreiche, und immer wieder angewandte Vorgehensweise, die Strategie und die Taktik aufzeigen, deutlich machen. Und dann auch das Ergebnis zeigen in seinen unterschiedlichen Ausprägungen.

Hierzu also habe ich Moses ausgesucht. Denn diese Figur und ihre Geschichte bietet sich für eine solche fiktive Neuerzählung an, sie drängt sich geradezu auf, weil zwei relevante Voraussetzungen vorliegen: Erstens ein „Volk“, dem es nicht gut ging, und das zudem in einem fremden Land lebte und dort herumkommandiert und ausgenutzt wurde und zweitens eine „Ver-Führer“-Person, dem dieses „Volk“ gevolkt (sorry: gefolgt) ist.

Die Frage danach, was dieser Moses für ein Mensch war, will ich hier also weder stellen noch beantworten. Ich will diese Figur niemandem wegnehmen. Ich frage mich aber: Was für eine Person könnte er - abweichend von der heroisierenden biblischen Darstellung - möglicherweise gewesen sein? Welche Motivation könnte bei ihm - anders als überliefert - vorgelegen haben dafür, sich der Unterstützung und des Vertrauens eines Volkes zu versichern, es dazu zu bringen, ihm auf eine viele Jahre dauernde entbehrungsreiche Wanderung durch die Wüste zu folgen, mit der Absicht, ein „gelobtes“ (ein angeblich von einem Gott versprochenes) Land blutig zu erobern? Und wie könnte er das praktisch organisiert haben und warum?

Natürlich könnte man auch der Frage nachgehen: Gab es diesen Moses tatsächlich? Oder war und ist er nur eine Fiktion, ein nützliches Wunschbild politisch und sozialpolitisch interessierter Einzelner (oder Gruppen) in den nachfolgenden Jahrhunderten und Jahrtausenden? Ist diese Person, dieser Moses, möglicherweise nur zur immer neuen Identitätsstiftung einer Menschengruppe erfunden worden? Für zwölf „Stämme“, für die ein Gefühl der Zusammengehörigkeit neu geschaffen werden musste, damit sie beherrschbar wurden und blieben? Damit man die Individuen dieser Stämme mit dem Hinweis „du bist doch ein …“ immer neu verpflichten konnte auf ein „du musst…!“, „du sollst…!“ oder „du darfst nicht…!“? Denn auch diese seinerzeitigen Schreiber, die unseren heutigen Anforderungen an Chronisten nicht ansatzweise gerecht werden könnten, haben nicht nur abgeschrieben und auch nicht nur wiedergegeben, was mündlich überliefert war, sondern haben auch ihre eigenen Gedanken, Gefühle, Wünsche und Absichten dieser Figur angehängt, haben auch politische Ziele damit verfolgt, ihre eigenen, oder auch die von fürstlichen Auftraggebern.

Gedanken habe ich diesem Moses zugeordnet, Motive, Ziele und auch einen Teil seiner bisher so nicht beschriebenen Taten, die bei dieser Figur im Gegensatz zu fast allem stehen, was in den vielen unterschiedlichen, verherrlichenden Schriften zu finden ist. Diese meine mutwilligen Unterstellungen sind zwar alle denkbar, zumindest nicht auszuschließen, doch kann und will ich nicht ernsthaft behaupten, dass sie die Wahrheit oder auch nur einen Teil davon wiedergeben.

Wir leben in unseren westlichen Demokratien weitgehend sicher, weitgehend friedlich, weitgehend freiheitlich. Die strengen Reglementierungen der Religionen, Kirchen, Fürsten, Diktatoren und Ideologen haben wir (leider nur weitgehend) hinter uns. (Das Loslassen des verbliebenen, abgrenzenden Begriffes der ‚Nation‘ und des immer mal wieder aufflammenden Hangs, einer menschlichen ‚Lichtgestalt‘ zuzujubeln und zu folgen, wird noch etwas dauern).

Die Aufklärung und die unter ungeheuren Verlusten und Schmerzen gewonnenen Erkenntnisse aus den Exzessen der Gewalt und den Kriegskatastrophen, haben zumindest die meisten von uns westlichen Staatsbürgern zu Einsichten und daraus folgend zur Gestaltung von Sozialstrukturen gebracht, in denen es sich friedlich, gerecht, sicher und meist auch komfortabel leben lässt. Daran haben wir uns inzwischen gewöhnt. Zu sehr gewöhnt. Ja, es gibt immer noch Lügner, Diebe, Schläger, Räuber, Mörder, Vergewaltiger, Betrüger, Einbrecher, Terroristen. Und kaum hat man die einen gefasst, sind schon wieder die nächsten am Werk. Ausrotten lässt sich das offensichtlich nicht.

Warum nicht? Die Frage ist naiv. Denn wir kennen selbstverständlich die Antwort: Weil wir Menschen sind. Der Mensch ist von seiner Natur her neben aller Sozialverträglichkeit eben auch ein Sozialstörer oder gar -zerstörer. Und wir wissen auch, warum. Weil die Interessen des Individuums und des Sozialwesens nur teilweise deckungsgleich sind.

Aber die Auswirkungen der individuellen Abweichungen vom sozialen Konsens halten sich meistens von der Zahl der Geschehnisse und den Auswirkungen her so weit in Grenzen, dass sich für die Allgemeinheit keine größere Aufregung lohnt. Der Rechtsstaat wird es schon machen, denken wir meist und übersehen dabei etwas sehr Grundsätzliches, sehr Wichtiges: Die „bösen“ Eigenschaften des Menschen sind immer noch da. Unterschwellig. Sie schlafen oder lauern auch in jedem von uns. Gedämpft durch Wohlergehen, gebändigt durch Zivilisation und den Abwägungsprozess zwischen Selbstsucht, Machtgelüsten, Gier und dem Wissen um die möglichen Folgen.

Bekommt aber ein Individuum die Chance, sein inneres Archaikum ungehindert ausleben zu können, und sich - mit welchen Mitteln auch immer und dabei seine Absichten verschleiernd - dabei der Unterstützung einer großen Gruppe, eines „Volkes“ zu versichern, dann wird sich immer mal wieder ein solches Individuum finden, das diese Chance bedenkenlos nutzt.

Wenn das Volk nicht wachsam ist, wenn es zulässt, dass die Macht nicht gesplittet bleibt (Gewaltenteilung), sondern wieder einmal auf irgendeine politische, ideologische, religiöse, revolutionäre oder finanzmächtige „Führer“-figur konzentriert wird, dann wird es sich wieder einmal als zu dumm erweisen.

Wie wird dann das Ergebnis aussehen? Das Volk wird erneut manipuliert werden. Und es wird wieder einmal leiden und zu spät feststellen, dass es sich als zu dumm erwiesen hat. Obwohl der jeweils entstehende Schaden nie wieder behebbar ist, bleibt der Lerneffekt sehr begrenzt und ist nach einer Generation wieder fast verschwunden. Ein „Führer“ beispielsweise hat dann plötzlich angeblich „doch nicht alles falsch gemacht“. Ein neu erstarkter Nationalismus thematisiert und bewertet plötzlich wieder „Rassenunterschiede“, Religionen stehen wieder zur Begründung von Abgrenzungen, Machtansprüchen und Gewaltexzessen zur Verfügung, und kunstvoll herbeigeredete Feinde begründen und rechtfertigen den erneuten Machtaufbau und die Machtkonzentration auf neue Lichtgestalten.

Das Resümee ist keineswegs nur eine Vermutung, es ist eine deprimierende Erkenntnis: Wir, das Volk, sind manipulierbar, weil wir dämlich sind! Wir lernen nicht, zumindest nicht nachhaltig. Wir jubeln den Manipulierern, wenn diese unsere Emotionen hochpeitschen, immer wieder frenetisch zu. Irgendwann kommt dann - nach einem verlorenen Krieg, einem wirtschaftlichen Zusammenbruch und anderem - die Ernüchterung, die Empörung, die Wut, die Scham.

Und wo bleibt der Lerneffekt? Letztlich bleibt er: bei null! Von der Generation, die gejubelt hat, wollen es die meisten nicht gewesen sein. Außerdem sei doch „nicht alles schlecht gewesen“. Die nächste Generation hat dann alles schon fast vergessen. Es braucht sich nur der nächste Manipulierer in die Öffentlichkeit drängen, Versprechungen machen und Emotionen hochpeitschen, und schon jubeln wir erneut.

Das Volk kann sich nicht irren? Die „Schwarmintelligenz“ verhindere das? Ein Schwarm besteht immer aus sehr vielen Individuen mit wenig Intelligenz und sehr wenigen mit viel Intelligenz, allein deshalb, weil Intelligenz leider eine knappe Ressource ist, die nicht gleichmäßig verteilt ist.

Intelligenz und Klugheit haben eine große Schnittmenge. Die Intelligenz garantiert zwar keine Klugheit, begünstigt sie aber. Die Klugen und die Dummen unterscheiden sich in der Selbstwahrnehmung. Die Klugen wissen um die bei ihnen verbliebene Dummheit, sie sind ständig auf der argwöhnischen Suche nach dieser Dummheit bei sich selbst, um sie zu bekämpfen. Die Dummen wischen meist jede Selbsterkenntnis beiseite. Sie halten sich für - zumindest ausreichend - klug. Je mehr Dumme beieinander sind, für umso klüger halten sie sich. Sie glauben, dass sich Klugheit in der Masse addiert. Die Herde oder der Schwarm habe die größere Klugheit als der Einzelne, behaupten sie. Sie übersehen, dass sich nicht nur die Klugheit, sondern auch die Dummheit in der Masse addiert. Die Verteilung der Klugheit gleicht einer Pyramide mit der hohen Klugheit an der Spitze und der niedrigen Klugheit an der breiten Basis. Der Schwarm agiert und reagiert nur mit seinem Mittelwert auf alle Anforderungen, und dieser Mittelwert liegt weit unterhalb der mittleren Höhe der Pyramide in seinem Schwerpunkt. Meist obsiegt in der Masse, in der alle eine gleichwertige Stimme haben, also die Dummheit, weil sie zahlenmäßig größer ist, und weil zur Dummheit auch die gewaltsame Durchsetzung der Dummheiten gegenüber der Klugheit gehört, weil die Gewalt den Dummen meist als die jeweils einfachere Lösung erscheint.

Auch jeder Kluge kann sich irren, denn „sich irren ist menschlich“. „Das Volk“ kann sich nicht irren, weil die Schwarmintelligenz das verhindert? Eine dumme Behauptung! Diese würde nur stimmen, wenn man die Gehirne ausschalten könnte. Denn ohne Gehirn kann man weder klug sein noch sich irren, weil man zwischen richtig und falsch gar nicht unterscheiden kann. Dann ist man dämlich.!1

Schlussfolgerung:

Das Volk agiert und reagiert allzu oft dumm. Das gilt auch für mich, denn auch ich gehöre dazu. Das ist schrecklich! Daran will ich etwas ändern und fange bei mir an, indem ich mir die seit jeher praktizierten Tricksereien und Manipulationen vor Augen führe, mit denen Macht aufgebaut, verteidigt und missbraucht wurde und wird. Um die uralten Abläufe der Volksverführung darzustellen, bietet sich eine historische Figur an, der hier die Rolle des machthungrigen Manipulierers von mir angehängt wird.

Moses wird mir verzeihen, wenn er die hehre, edle, von einem Gott beauftragte Person wirklich gewesen sein sollte, als der er in den Schriften dargestellt wird. Denn dann war er ein „guter“ Mensch, als der er meine Motivation verstehen und akzeptieren, und mir verzeihen wird, dass ich ihn benutzt habe.

Sollte er nicht der Gottgesandte, der edle Mensch mit ausschließlich altruistischen Absichten gewesen sein, sollte er so oder so ähnlich agiert haben, wie ich ihn hier als Manipulierer darstelle, wird er nur die Achseln zucken und grinsen.

Heimlich gegrinst oder höhnisch gelacht haben die meisten Mächtigen dieser Welt immer schon, wenn sie wieder einmal erfolgreich das Volk verführt hatten und benutzen konnten.

1 Eine Anmerkung nebenbei: Hinsichtlich der Bedeutung der Eigenschaftsworte „herrlich“ und „dämlich“ liegt die Vermutung nahe, dass diese wertenden Bezeichnungen von einem unverschämten Macho kreiert worden sein könnten. Sehen Sie das nicht auch so, meine Damen? Doch dem sei nicht so, wird behauptet!

Der Beginn einer Geschichte ohne Ende

Moses wächst als adoptierter Sohn der Schwester des ägyptischen Pharaos Sethos im Palast auf. Als junger Mann erschlägt er einen der Aufseher der Bauarbeiter des Pharaos und muss aus dem Herrschaftsbereich des Pharaos flüchten. Er kommt beim Volk der Midianiter auf dem Sinai unter. Dort heiratet er Sephora, die älteste Tochter von Jitro, dem Hohepriester vom Gott des heiligen Berges.

Der Unterschied aber eines Lebens als Prinz von Ägypten und des Lebens als Viehzüchter ist groß. Sehr groß!

Für Moses:

zu groß!

Lange schon hatte Moses gespürt, er werde über sein zukünftiges Leben nachdenken müssen. Gründlich! Er wusste, dafür brauchte er Abstand, Ruhe, einen weiten Blick.

Jitro, der Vater von Zippora, seiner Frau, der Hohepriester des Volkes der Midianiter, dem er - Moses - jetzt auch angehörte, hatte ihm einmal gestanden, dass er, wenn er Ruhe zum Nachdenken brauche, auf den heiligen Berg steige. Dort, auf dem Berge Horeb, könne er dann zu sich kommen. Denn der Zugang zu sich selbst öffne sich erst in der absoluten Ruhe. Dort oben finde er diese Ruhe. Dort sei niemand, der stören könne. Dort finde er seine Lösungen. Dort treffe er seine Entscheidungen. Dort begegne er seinem Gott.

Im Osten war das erste Licht zu sehen. Die Kälte biss schmerzhaft in die Haut. Kein Windhauch. Die kargen Felsen färbten sich zögernd unter den ersten Strahlen der Sonne. Die kaltfrostige Stille war ein riesiger, nach allen Seiten hin offener Raum. Offen für alles. Für Blicke, für Gedanken, für Rufe, ja, auch für verzweifelte oder wütende Schreie, die von der Unendlichkeit nachsichtig verschluckt und nicht aggressiv und aufpeitschend zurückgeworfen wurden.

Moses spürte es: Die von Jitro geweckte Hoffnung erfüllte sich. Hier konnte er sich fragen. Hier konnte er Antworten finden. In seinen dickwolligen Umhang gewickelt, hatte er zwischen den Steinbrocken nach der Anstrengung des gestrigen Aufstiegs tief geschlafen. Jetzt war er wach, hellwach. Die Stirn war kalt.

Die ersten wärmenden Strahlen. die auf die Felsen fielen, hoben die Luft sachte an diesen hoch und brachten den Duft des wenigen Grüns tief unten zu ihm hin. Ein hingehauchter Kuss des Lebens in dieser steintoten Unbeweglichkeit.

Jetzt war er weit weg von allen Menschen, aller Hitze, allem Staub, allem Lärm, aller Müdigkeit, allen Pflichten, allen Sorgen. Jetzt konnte er Entschlüsse fassen. Denn eine Frage, die er sich selbst stellen musste, lauerte seit Tagen in seinem Kopf und seiner Brust:

Wie wollte er sein zukünftiges Leben gestalten?

Sollte es immer so weiterlaufen, wie es in den letzten Jahren gelaufen war? Wollte er für den Rest seines Lebens Viehhirte bleiben? Er, Moses, war als Sohn israelitischer Eltern in Ägypten geboren, von seiner Mutter aber ausgesetzt worden, um ihn vor der Ermordung durch die Soldaten des Pharaos zu schützen. Doch war er von einer ägyptischen Prinzessin - der Schwester des Pharaos - gefunden, gerettet und angenommen worden. Er war als Prinz in Ägypten groß geworden, hatte dieselbe Bildung bekommen wie sein Stiefvetter Ramses, der leibliche Sohn des Pharaos Sethos.

Ja, er hatte, wie das bei jungen Männern nicht selten ist, seine aufflammenden Emotionen nicht im Zaum halten können und den Aufseher getötet, als der einen der israelitischen Arbeiter mit einer Peitsche schlug, und er hatte den Toten im Sand verscharrt. Das war eine vollkommen unangemessene Reaktion gewesen. Er hatte einem Menschen, zudem einem Familienvater, das Leben genommen. Diese Tat war Mord. Er war zum Mörder geworden. Die Familie des Getöteten hatte schrecklich gelitten. All das hätte für ihn als Prinzen keine schlimmen Konsequenzen gehabt, wenn der Ermordete nicht der Sohn eines hohen Priesters gewesen wäre.

Darum hatte er fliehen müssen, weil der Pharao erbost war und ihn zudem vor der Rache des einflussreichen Vaters des Erschlagenen nicht schützen konnte und wollte, da er sich mit dem nicht überwerfen durfte. Deshalb hatte Ramses, der Sohn des Pharaos Sethos, ihm - Moses - heimlich den Rat gegeben, Ägypten schnell zu verlassen, damit Sethos ihn nicht bestrafen müsse. Es bedurfte keines Hinweises, dass der Pharao zwar verärgert war wegen des Totschlags, die Tat und das Opfer ihm aber letztlich gleichgültig waren. Wichtiger war dem Pharao die Loyalität des Hohepriesters, die wollte der Pharao nicht verlieren, schon gar nicht durch die Tat eines gebürtigen Israeliten, den seine - des Pharaos - Schwester mit ihrer emotionalen Schwäche als ausgesetzten Säugling aus dem Nil gerettet und dann als eigenen Sohn großgezogen hatte, weil sie selbst keine Kinder bekommen konnte. Moses hatte immer wieder zu spüren bekommen, dass Pharao Sethos, ihn nicht besonders achtete. Für Sethos war er immer nur ein nützlicher Spielkamerad für dessen Sohn Ramses gewesen. Nach dieser Tat war er nutzlos und sogar schädlich geworden. Der Pharao hatte sich von ihm abgewandt.

Also hatte er aus dem Land des Pharaos flüchten müssen. Er war mit einigen wenigen schnell zusammengesuchten Habseligkeiten nach Osten durch die Wüste geritten und vom Nomadenvolk der Midianiter aufgenommen worden. Dort hatte er wenige Monate später Zippora, die älteste Tochter des obersten Priesters der Midianiter zur Frau genommen. Jetzt war er Nomade und Viehzüchter. Er war nun, weitere Jahre später, auch Vater von zwei Söhnen, und trug damit Verantwortung für eine Familie.

Doch damit war er auch sehr weit weg von den luxuriösen Lebensumständen und Möglichkeiten eines ägyptischen Prinzen. Sollte das nun bis an das Ende seines Lebens so bleiben? Auch jetzt noch, nachdem der Vater des Erschlagenen gestorben war, von dort also keine Rache mehr drohte? Schwer erträglich, diese Vorstellung. Mehr noch als das: Unvorstellbar war das für ihn.

Was aber wollte er über das hinaus erreichen, was ihm nach der Flucht das Leben bei den Midianitern bisher ermöglicht hatte? Denn das war ihm von Anfang an nicht genug gewesen. Als Prinz aufgewachsen und erzogen worden reichte sein Blick weit über das hinaus, was sich jeder der Midianiter auch in seinen schwärmerischsten Träumen vorstellen konnte. Das galt auch für seinen Schwiegervater Jitro, den obersten Priester. Denn diese Menschen kannten nichts anderes als das Leben in der Höhle der eigenen Erfahrungen und Vorstellungen. Für sie galt ausschließlich: Das Leben einfach immer so weiterführen bis an ein Ende im Staub der Wüste. Visionen und weit gesteckte Ziele gab es nicht. Das Leben in den Grenzen nur der eigenen Fähigkeiten, den Gittern der eigenen Körperlichkeit galt den meisten Menschen als Selbstverständlichkeit. Andere, weiterliegende Grenzen der Möglichkeiten ihres Lebens und ihrer Zeit erkannten sie nicht, konnten sie nicht erkennen, denn sie waren an das Hier und Heute gekettet. Sie waren gefesselt an die Blicke und Worte der anderen um sie herum, an das Lachen und Weinen ihrer Kinder, an Freundschaft und Feindschaft, Gier und Hass, Hunger und Durst, Müdigkeit und Verzweiflung, Leidenschaft und kurzzeitige Befriedigung.

Auf den Weg hinaus aus diesem Elendstal, aus dieser Höhle menschlicher Kurzsichtigkeit, macht sich kaum ein Mensch. Die meisten denken darüber nicht einmal nach, weil das, was sie erkennen können, nur das ist, was ihnen ihre Sinne zeigen. Die aber zeigen ihnen nur diese Höhle, in der sie leben. Und wenn es doch einem gelingt, die Suche nach dem Ausgang zu beginnen, den Versuch zu unternehmen, hinauszublicken und einen ersten Eindruck dieses unendlichen Raumes außerhalb dieser Höhle zu bekommen, so kann er sich den Zurückgebliebenen doch nicht verständlich machen, kann dieser Suchende die anderen nicht davon überzeugen, sich ebenfalls auf den Weg zu einer neuen, sich ständig erweiternden Vorstellungswelt zu begeben. Einen Weg, von dem sie allermeist nicht einmal glauben wollen, dass es ihn überhaupt gebe, weil sie allein die Vorstellung ängstigt, es könne eine andere Welt als die ihnen bekannte geben. Es ängstigt sie, immer auf der Reise bleiben zu müssen, niemals irgendwo dauerhaft anzukommen. Einen Weg zu gehen ohne festes Ziel der Vergewisserung, ohne Aussicht auf Ankunft, das war den Menschen immer schon unheimlich, erschien ihnen immer schon bedrohlich, war für sie immer schon schwankender Grund, der schwindelig machte.

Und so würde es für die Menschen immer sein, wusste er. Die Menschen brauchen immer und immer wieder neu Halt, Gewissheit, vorstellbare Grenzen, hinter die nicht gedacht und geschaut werden muss, weil es dahinter angeblich nichts mehr gibt. Denn dass Erobern neuer Räume ist weit ungewisser, mühsamer und gefahrvoller als das Verteidigen von etwas Erreichtem, hinter dem man sich verschanzen kann. Die meisten Menschen wollen nicht immer weitersuchend reisen. Das ist ihnen zu anstrengend. Sie wollen „ankommen“. Und sie sind allermeist sogar stolz darauf, halten es sich also zugute „angekommen“ zu sein. Als hätten sie ein allgemein anerkanntes Ziel als einer von wenigen erreicht. Für diese Ankommer ist es unerträglich und inakzeptabel, wenn das angeblich erreichte Ziel relativiert wird, wenn es als Selbstberuhigung abgewertet wird, oder wenn ihnen nachgewiesen wird, dass sie über das Ziel, dass sie angeblich erreicht haben, noch nicht einmal die wichtigsten Fakten wissen.

Er musste sich dem entziehen, darüber hinauswachsen. Die Grenzen überwinden, die für ihn bisher der Horizont seiner Möglichkeiten gewesen war. Das war möglich, denn er wusste, dass sein eigenes Erkenntnis- und Vorstellungsvermögen keine festen Grenzen hatte. Sein Feld war unendlich viel größer, fast grenzenlos.

Aber warum sollte er sich dabei um die anderen bemühen? War es für das eigene Leben nicht weit nützlicher, den kleinen, mühsam errungenen Abstand zur Vorstellungswelt seiner Mitmenschen, den weiteren Blick, nur zum eigenen Vorteil zu verwenden? Hier bot sich doch an, die anderen wie Vieh an den Nasenringen hinter sich her zu ziehen, ihnen den Blick und die Gedankenwelt auszurichten, wenn auch nur in den Grenzen dessen, was sie kannten und verstanden, Grenzen, die wie Zäune eine Weide begrenzten, Zäune, von denen er nicht wollte, dass sie auch für ihn galten. Die anderen wollte er nicht beunruhigen, sie nicht aus diesem abgegrenzten Gebiet befreien. Sie sollten seinem Zugriff erhalten bleiben. Er wollte allein diesen Zaun der kargen Weide überwinden. So konnte er jederzeit auf diese Menschenmassen zugreifen, konnte sie wie Vieh für sich selbst nutzbar machen.

Dachte er - an diesem Punkt angekommen - weiter, stolperte er über die Feststellung, dass er sich selbst wieder einzukreisen begann in dem, von dem er sich fragen musste, ob er das nicht hinter sich lassen sollte. Doch auch an dieser Frage angekommen lag für ihn eine Weiterung der eigenen Vorstellungswelt auf der Hand: die Erkenntnis, dass man nicht herauskommt aus seinem menschlichen Denken. Dass die menschliche Vorstellung der eigenen Lebenswelt einer von innen verspiegelter Hohlkugel gleicht, deren Spiegelbild bei Annäherung das Ich verzerrend überwältigt. Einer Hohlkugel, deren Grenzen das Individuum zwar weiten kann, wenn es sich auf den Weg macht, die es aber letztlich nie überschreiten kann. Die Menschlichkeit konnte auch er – Moses - nicht verlassen. Er konnte sie nur ertragen und leben. Wie jeder Mensch.

Wenn das so ist, dachte er, dann sollte ich das akzeptieren.

Jitro, der Oberste des Clans und Zippora, seine Frau, ebenso wie die anderen Midianiter hatten nur schwache Vorstellungen davon, was es hieß, als Ägypter in den Palästen des Pharaos groß zu werden. Sie hatten keine Lehrer wie er gehabt, wussten kaum etwas von dem, was er an Wissen und Können auf seinen Lebensweg mitbekommen hatte. Die Vorstellungswelt dieser Menschen war sehr eng begrenzt. Seine war sehr viel größer. Doch war sie ihm selbst immer noch viel zu klein. Daran wollte und musste er noch arbeiten.

Moses hatte in sich gekehrt vor sich hingestarrt. Nun hob er den Blick. Die Sonne stand eine Handbreit über dem Horizont.

Eine erste Frage hatte er sich schon beantwortet, bevor er am gestrigen Tag hierhin aufgestiegen war. Er wollte nicht so weiterleben wie bisher. Er wollte sich aus dieser Höhle, aus der Ärmlichkeit und Mühsal dieses Lebens hier wieder befreien. Die darüberhinausgehenden Fragen musste er sich aber noch beantworten: Was genau wollte er? Und wie konnte er diesen Willen umsetzen?

Er kannte die Herrlichkeit der Macht. Das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmtheit, welches er als Prinz genossen hatte. Dieses unglaublich erhabene Gefühl, welches er mit seinem Mord verspielt hatte, und dass er erst nach diesem Verlust richtig zu schätzen gelernt hatte. Diese Mixtur aus Sorglosigkeit, Unabhängigkeit, Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmtheit, dieses unbeschwerte Lebensgefühl war es, was er zurückhaben wollte.

Auf dem noch unbekannten Weg dorthin würde er seine Familie mitnehmen. Denn diese war nützlich. Zum einen war sie ein Rückzugsraum, den er nicht verspielen durfte. Zum anderen musste er einsehen, dass er emotional gefesselt war, dass er seine Söhne und Zippora liebte. Liebe war ein wichtiger Baustein eines guten Lebens, war Teil der Hohlkugel. Diesen Teil durfte er nicht ignorieren.

Denn auch das war es, was er im Kreis der Herrschenden gelernt und verinnerlicht hatte: Sein eigenes Glück und die eigene Zufriedenheit standen zwar als oberstes Ziel über allem, doch Voraussetzung für ein Erreichen und Sichern dieses Ziels war, dass auch das soziale Umfeld, die Mitmenschen, die Beherrschten einen Anteil an Glück und Zufriedenheit bekamen. Denn erst die daraus resultierende Zustimmung und Zuneigung verstärkte und sicherte im Gegenzug die eigene Sicherheit, Zufriedenheit und die Bestätigung, auch altruistisch gedacht und gehandelt zu haben. Er wollte also nicht zu den Herrschern gehören, die den eigenen Interessen bedenkenlos und jederzeit alles opfern, was zur Verfügung steht, die dabei aber die Zustimmung des Volkes verlieren.

Solche Zirkelschlüsse durfte er niemandem bekennen, weil es keine gelebte Moralität, sondern Herrschergedanken waren, die er gelernt hatte in seiner Prinzenzeit. Denn es galt auch: Moralität als absoluten Wert zu setzen, das war nichts für einen Herrscher. Moralität ist für einen Herrscher bestenfalls in ihrer demonstrativen Form nützlich, indem er sich damit schmückt oder verkleidet. „Seht her, ich bin der Gute, ich repräsentiere, vertrete und verteidige die grundlegenden Werte unserer Gemeinschaft, ich bin eure moralische Instanz!“

Moralität ist für die Machthaber also oft oder gar meist nur ein Mittel zum Zweck, was den Beherrschten verschwiegen wird. Moralität ist eines der vielen Werkzeuge der Herrscher, welches man je nach Zweckmäßigkeit verwendet oder weglegt. Das war für ihn, wie für jeden Herrschenden, absolute Selbstverständlichkeit, die aber nur an wenige Vertraute weitergegeben werden durfte. Gerechtigkeit war für einen Machthaber nur das, was dem Recht entsprach, das er selbst gesetzt hatte. Widerspruch verunglimpften die Machthaber immer schon als Feindschaft und Terror. Zur Bekämpfung und Bestrafung passten sie „das Recht“ einfach an. So würde er, Moses, es auch machen.

Der Feuerball war aufgestiegen. Hoch im Blau zog ein Geier majestätisch seine Kreise. Ein Symbol der Freiheit. Doch kein Herrscher wäre auf die Idee gekommen, einen Geier als Wappentier zu wählen. Das wäre zu verräterisch.

Er musste sich konzentrieren!

Wie konnte er ein Herrscherleben in Wohlstand, in Unabhängigkeit und Sicherheit erreichen? Eine mögliche Antwort hatte diese Frage am vorherigen Tag durch einen Boten des neuen Pharaos gefunden. Diesen Boten hatte ihm sein Bruder Aaron schon vor einem Monat angekündigt. Aaron und er hatten sich über die Jahre immer mal wieder Nachrichten geschickt. Die jetzige Botschaft aus dem Reich der Pharaonen war eine, die sein Leben verändern konnte: Pharao Sethos, der Vater von Ramses, war gestorben. Moses‘ Stiefvetter Ramses war nun Pharao Ramses II. Und Ramses brauchte ihn, bat ihn, ja, forderte ihn auf, zurückzukehren und ihm zu helfen, die immer wieder aufbegehrenden Israeliten ruhig zu halten, damit er, der Pharao, deren junge Männer weiterhin zur Hilfe beim Bau seiner Paläste, Tempel und Grabstätten benutzen konnte. Sollte er - Moses - diesem Ruf nun folgen? Er würde zwar in das frühere Leben zurückkehren können. Doch er würde erneut abhängig sein von der Gunst, dem Wohlwollen eines höher gestellten obersten Herrschers. Denn jetzt, als selbstständiger Viehzüchter des Volkes der Midianiter war er zwar vergleichsweise arm und fast ohne Macht, er musste hart arbeiten und das Leben war vergleichsweise sorgenvoll und karg, aber er war immerhin frei und unabhängig! Was also war ihm wichtiger: Wohlstand oder Freiheit?

Doch gab es da noch einen dritten Weg! Selbst Herrscher werden und damit Reichtum und Freiheit vereinen! Nein, Ramses als Pharao der Ägypter konnte er keinesfalls verdrängen. Dieser Gedanke war abwegig.

Denn er wusste: Um absolut frei, unabhängig und sorgenfrei ein luxuriöses Leben führen zu können, musste er selbst - ähnlich, wie ein Pharao - der Herrscher über mindestens mehrere Zehntausend, besser noch mehrere Hunderttausend oder gar Millionen Menschen werden. Denn zu glauben, dass er sich zur Erreichung eines solchen Ziels allein auf seine eigene Arbeitskraft, seine eigene Kampfkraft, seine eigene Intelligenz verlassen könne, wäre einfältige Hybris. Das auch deshalb, weil der Einsatz der eigenen Kräfte gleichzeitig die eigene Lebenszeit auffrisst. Wer gesicherte Unabhängigkeit und Wohlstand allein durch den Einsatz der eigenen Kräfte und Fähigkeiten zu erreichen und zu erhalten trachtet, hat selbst kaum noch die Zeit, die erarbeiteten Früchte auch zu genießen. Das gelingt nur, wenn man sich - auf welchem Wege und mit welchen Mitteln auch immer - möglichst viele Menschen, die für einen arbeiten und kämpfen, dienstbar macht. Wie das zu erreichen ist, hatte er als Prinz gelernt. Eine einmal errungene Macht zu stabilisieren, zu erhalten war schon eine große Herausforderung. Noch sehr viel aufwendiger und schwieriger war es aber, eine solche Macht aus dem Nichts heraus aufzubauen.

Allein mit Gewalt gelingt das im Anfang nur bei einer sehr kleinen Zahl von Menschen. Schneller und nachhaltiger gelingt es einem nach Macht Strebenden, indem er durch Versprechungen und Verlockungen der Teilhabe an Reichtum und Macht einen kleinen Kreis von Mitstreitern korrumpiert, die wiederum durch kleinere Versprechen und Verlockungen ihrerseits Mitstreiter gewinnen. So wächst vor allem in armen, unterdrückten Menschengruppen schnell die Bereitschaft, eine hierarchisch strukturierte Arbeits- und Kampfgemeinschaft zu bilden.

Zur Stabilisierung einer solchen Gemeinschaft musste er ein möglichst starkes Zusammengehörigkeitsgefühl aufbauen. Dazu gehörte auch die Bereitschaft zur Akzeptierung und Übernahme von gegenseitigen Verpflichtungen, und die Anerkennung gemeinsamer Wertvorstellungen. Als Initiator des ganzen Geschehens musste er diese Werte setzen, und er musste dafür sorgen, dass sie eingehalten wurden und das Verletzungen bestraft wurden.

Doch dieses System des gegenseitigen Versprechens und der gegenseitigen Verpflichtung - das wusste Moses - funktioniert bei nur einem Menschen als oberster Instanz bestenfalls mit einigen hundert Menschen. Es ist nicht stabil genug für eine dienstbare und dienstbereite Gemeinschaft von Hunderttausenden. Die Aufrechterhaltung der Stabilität einer so viel größeren Gesellschaft verlangt zusätzlich die Bereitschaft und die Möglichkeit, auch Gewalt gegen große Menschenmassen einsetzen zu können. So wie es der Pharao vormachte. Doch dazu bedurfte es meist einer langen Entwicklung über Generationen hinweg, in der sich eine solche hierarchische Struktur allmählich verfestigen konnte. So viel Zeit würde er, Moses, nicht haben. Was also tun? Zur Beantwortung dieser Frage an sich selbst musste er zuerst einmal die vorhandenen Randbedingungen, Möglichkeiten und Ressourcen klären.

Da gab es den Herrscher eines großen Reiches, der ihm wohlgesonnen war und der ihn brauchte. Wenn er skrupellos und raffiniert vorging, konnte er diesen Herrscher benutzen. Eine sehr gute Voraussetzung.

Da gab es eine aus mehreren Hunderttausend Personen bestehende inhomogene Menschenmasse, die Israeliten, die mit ihren Lebensbedingungen nicht zufrieden waren und auch nicht sein konnten und die er im Auftrag des Pharaos betreuen und beeinflussen sollte. Diese Menschen sprachen eine eigene Sprache, über die sie sich zusammengehörig fühlten, und sie hatten eine gemeinsame Geschichte, die über die Generationen hinweg allerdings inzwischen in Vergessenheit zu geraten drohte. Diese Menschenmasse konnte er nutzen.

Innerhalb dieser Menschengruppe der Israeliten hatte er als enge Verwandte seine Schwester und seinen Bruder, die ihn den Israeliten gegenüber legitimieren konnten. Ein recht brauchbares Instrumentarium.

Zudem hatte er in das Nomadenvolk der Midianiter hineingeheiratet. Sein Schwiegervater war der Hohepriester des Gottes vom heiligen Berg, auf dem er hier stand. Das war eine einflussreiche Position, die er sich ebenfalls nutzbar machen konnte. Ressourcen waren also vorhanden. Zudem hatte er selbst einiges zu bieten. Seinem Auftraggeber und Gönner, dem Pharao, konnte er das Volk der Midianiter als zusätzliche Zahler von Abgaben anbieten. Die Midianiter konnte er mit dem Versprechen locken, dass sie unter den Schutz des Pharaos gestellt und mit Weideland und Wasser bedacht würden.

Was aber konnte er den Israeliten versprechen? Sie hatten schlechte Erfahrungen mit den Pharaonen und auch dem Volk der Ägypter gemacht. Es würde ihnen nicht reichen, dass er - Moses - einer der Ihrigen war. In ihren Augen war er nur der Beauftragte des Pharaos. Das erzwang zwar Respekt, schuf aber kein Vertrauen. Diese Menschenmasse nachhaltig zu überzeugen und für sich einzunehmen, verlangte mehr als Redekunst, voluminöse Versprechen und theatralische Auftritte, deren Wirkung meist recht schnell verpufft, wenn der Redner nicht kurzfristig liefern kann. Das verlangte zusätzlich eine übermenschliche Autorität, eine über dem obersten Herrscher stehende, eine übergeordnete allmächtige, göttliche Kraft. Einen Gott, der die Gemeinschaft beschwört, der Gesetze erlässt, der lobt und tadelt, straft und rächt. Ein solcher Gott musste das Identifikationszentrum und der Gesetzgeber dieser Menschenmasse werden, auf das er - Moses - sich als (Ver-) Führer und Herrscher berufen konnte.

Ziel und Vorgehensweise waren ihm damit klar:

Zuerst musste er für sich selbst einen Plan erarbeiten, eine Strategie manifestieren. Dieses Manifest musste er streng geheim halten. Dann musste er mit Jitro, seinem Schwiegervater, dem obersten Priester der Midianiter, den ersten Mitstreiter gewinnen, beschloss er. Jitro musste überzeugt und. als erster Gefährte für diesen Weg gewonnen werden. Dann musste er einen Plan entwerfen, mit dem der Pharao zu überzeugen war, dass das Volk der Israeliten so beruhigt werden könne. In diesen Plan mussten dann schon die Maßnahmen eingebaut sein, die vordergründig dem Pharao dienten, hintergründig aber auch ihn, Moses, für späteren Machtgewinn begünstigen sollten. Den vordergründigen Teil dieses Planes musste er dann dem Pharao vorstellen. Das waren die nächsten Schritte.

Moses erhob sich und trat an den Rand des Felsens. Er blickte ins Tal. Tief unter ihm standen in der Ferne die Zelte und Hütten, sah er das Vieh als kleine bewegliche Punkte auf den Weideflächen. „Ich werde euch beherrschen!“, forderte er sich mit lauter Stimme selbst auf. Er ahnte nicht, wie das für ihn selbst enden werde, und auch nicht, dass er mit diesem Entschluss eine die Welt und die Menschen bewegende Geschichte in Gang setzte, deren Ende nicht abzusehen war.

Das geheime Manifest des Moses

Moses will nicht sein ganzes Leben Viehzüchter bleiben. Dazu war sein Leben am Hofe des Pharaos zu prägend für ihn. Er will wieder zu den Herrschenden gehören. Das verlangt Willen und Intelligenz, eine Menschenmasse, die bereit ist, für ihn zu arbeiten und zu kämpfen und seinen Befehlen zu folgen. Und es braucht ausgesuchte Mitstreiter und eine sorgfältige Planung. die er sich selbst als Manifest diktiert.

Ich, Moses, adoptierter Sohn der Schwester des Pharaos, also Prinz von Ägypten, dem Reich des Pharaos, setze mir hiermit folgendes Ziel für die zweite Hälfte meines Lebens:

Macht!

Und damit die Schaffung der bestmöglichen Lebensbedingungen für mich und meine Familie, den Clan, und für die folgenden Generationen

durch Verbesserung unserer Sicherheit gegen persönliche Angriffe, Unfälle, Krankheit, Intrigen und Betrug, damit wir dauerhaft und zuverlässig ungefährdet, sorgenfrei glücklich und zufrieden leben können,

durch Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, so dass wir mit wenig Arbeit und ohne Sorgen unser Leben angenehm und schön gestalten können,

durch Verbesserung der Umweltbedingungen, indem wir uns die Landschaft und die Gesellschaft, in der wir leben, frei wählen können

durch Ausweitung meiner Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung, so dass ich die Regeln setzen kann, nach denen wir leben,

durch Schaffung und Sicherung des Zugriffs auf alle denkbaren und wünschbaren Ressourcen,

durch Schaffung und Sicherung der Unabhängigkeit von anderen Machthabern und Machtzentren, so dass ich und meine Familie frei von Willkür übergeordneter Kräfte leben können,

durch Schaffung und Sicherung meiner herausgehobenen Stellung innerhalb des Sozialgefüges, so dass sich alle vor mir verneigen müssen, ich mich aber vor keinem anderen verneigen muss.

Durch Aufbau und Sicherung eines unantastbaren Andenkens an meine Person und Taten für die nächsten Jahrhunderte zur heutigen Befriedigung der Einschätzung meiner selbst.

Maßnahmen zur Erreichung der Ziele:

Als Prinz von Ägypten habe ich gelernt: Zur Erreichung dieser Ziele muss ich ein Herrscher werden, brauche ich folglich zuerst einmal ein Volk, also eine möglichst große Zahl von Menschen, die meinen Weisungen folgen, die für mich und meine Familie arbeiten und kämpfen. Da ich diese große Zahl von Dienstleistern und Kämpfern aber weder erzwingen noch bezahlen kann, müssen sich diese Dienstleister und Kämpfer gleichzeitig selbst versorgen. Ich darf ihnen also für mich und meinen Clan nur einen kleinen Teil ihrer Arbeits- und Kampfkraft abverlangen.

Gleichzeitig muss ich diesen Menschen vorgaukeln, dass sie nichts für mich, sondern letztlich alles nur für sich selbst tun, wenn sie meinen Weisungen und Forderungen Folge leisten, dass sie also nicht mir dienen, sondern ich ihnen, und dass das allermeiste dessen, was sie an Ressourcen meiner Verwaltung unterstellen müssen, doch nur wieder ihnen zugutekommt. Dass ich ihnen also nur den richtigen Weg weise, dass ich ein genialer, weitblickender Führer bin, der nur für sie da ist und alles nur für sie tut. Und der damit so beschäftigt und ausgelastet ist, dass er nicht mehr selbst für sich und seine Familie sorgen kann, weshalb das vom Volk geleistet werden muss.

Hierfür muss ich aber erst einmal ein solches Volk haben. Eine Menschenmasse ist noch kein Volk. Diese Menschenmasse muss eine Identität, also ein möglichst starkes Gemeinschaftsgefühl vermittelt bekommen und so erst zu einem Volk werden. Die Menschen müssen sich zusammengehörig fühlen. Selbst große Volksmassen können nichts Großes leisten und schaffen ohne ein gemeinsames Narrativ, ein Bewusstsein von Zusammengehörigkeit. Eine gemeinsame Sprache ist hierfür schon hilfreich. Aber auch

gemeinsame Werte,

gemeinsame Ziele,

gemeinsame Hoffnungen,

gemeinsame Ängste

gemeinsame Feinde

müssen gefunden oder erfunden werden. Gemeinsame Feinde sind besonders hilfreich für den Machtaufbau. Die müssen nicht nur erfunden, sondern auch über Generationen hinweg vererbt werden, denn echte oder auch nur behauptete Feinde schweißen ein Volk besonders schnell und stark zusammen.

Und eine gemeinsame Geschichte muss ich schreiben, zu der ich sicherlich auch das eine und andere ergänzend erfinden muss, bei der man sicherlich auch viel von dem, was meist mündlich schon überliefert ist, überhöhen muss, damit das Volk es als eine Art ererbten Verdienst schätzen lernt und darauf stolz ist. All das muss dann aber auch als absolute Wahrheit durchgesetzt werden. Und das verlangt den Aufbau und die Akzeptierung einer zentralen Machtinstitution. Ohne eine zentral lenkende Macht wird aus einer Menschenmasse kein Volk. Skeptiker und Abweichler müssen unter Druck gesetzt und nötigenfalls auch liquidiert werden können.

Ein solches Volk muss ich - mit Hilfe von mir ausgewählten Mitstreitern - aus den vorhandenen Menschenmassen zuerst einmal erschaffen. Ich muss die Menschen auf mich ausrichten. Die Menschenmassen, die für mich in Frage kommen, sind:

die Israeliten, die von den Ägyptern immer noch als Außenseiter empfunden werden, die auch immer wieder von den Pharaonen ausgebeutet werden. Diesen bin ich blutsverwandt, bei ihnen leben meine Schwester und mein Bruder, ich spreche auch ihre Sprache, ich werde sie im Auftrag des Pharaos ‚betreuen‘. Das schafft mir gute Chancen ihr Führer zu werden;

die Midianiter, die mich nach meiner Flucht aufgenommen haben, deren Hohepriester mein Schwiegervater Jitro ist. Die Midianiter muss ich als Erste überzeugen. Das gelingt am besten mit Jitro. Ihn muss ich für meinen Plan zuerst gewinnen. Er muss und er wird der erste vertraute Mitstreiter sein.