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Key West gehört zu den schrillendsten und geschichtsträchtigen Orten an der Südküste von Florida. Folgen Sie diesem Freiluft-Bühnenstück Zeile für Zeile und lassen Sie sich immer wieder von neuen Ereignissen und Überraschungen inspirieren.
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Seitenzahl: 223
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Diese romantische Geschichte widme ich allen Kinder der Welt, vor allem Sonja, Daniel, Benjamin, Emma, Katharina, Fabian, Alexander, Henri, Ingeborga, Sacha, Maximilian, Anna Alice, Julia Astrid, Hans und Regina, Cornelia, Lina, Franziska, Carl und Anna, Patrik, Christine, Theresa, Wendy und Monica.
Wenn ich an einem Buch oder einer Geschichte arbeite, schreibe ich jeden Morgen möglichst früh nach Sonnenaufgang.
Niemand stört dich, und es ist kühl oder kalt, und deine Arbeit wärmt dich langsam auf.
Ernest Hemingway
INTRO
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
Key West ist eine legendäre, ja faszinierende Stadt, eingebettet in den blauen Golf von Mexiko. Vor allem die zuckerweißen Korallenstrände laden zum Tauchen und zum Träumen ein. Dazu gesellen sich unter den grün leuchtenden Palmen die pastellfarbenen Häuser im Conch-Stil. Ein ganzes Jahrzehnt lebte dort auch der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway. Seine Bücher, wie zum Beispiel »Der alte Mann und das Meer«, wurden zu Welterfolgen. In Florida, an der türkisblauen Lagune mit ihrem atemberaubenden Licht und ganzjährigem milden Klima, spielt die folgende Erzählung:
Als dieses mondäne Paradies einzuschlafen drohte, kam ein gewisser Mike Mc Caine mit seiner hübschen Ehefrau Scarlett, er nennt sie auch Göttin der Liebe, in diesen Garten der Götter und sprühte vor Lust, mit seiner großen träumerischen Vision endlich wieder High Society in die Stadt zu holen. Jedoch änderte ein banaler Unfall so manches und stellte das bisherige Leben in Key West komplett auf den Kopf. Folgen Sie nun diesem Freiluft-Bühnenstück Akt für Akt und lassen Sie sich immer wieder von neuen Ereignissen und Überraschungen inspirieren.
Gelangweilt blicken Judy und Tom auf die Karte von Florida, vor der die Lehrerin steht. Da gibt es sowieso nicht allzu viel Neues zu sehen. Inzwischen kennen die meisten Kinder ja sowieso fast alles über ihr eigenes Land oder ihren Bundesstaat, denken sich die beiden insgeheim.
»Die Stadt Key West befindet sich größtenteils auf der gleichnamigen Insel am Westende der Florida Keys. Der englische Name leitet sich von der spanischen Bezeichnung ‚Cayo‘ für kleine flache Inseln im Golf von Mexiko ab. Der Hauptteil der Stadt befindet sich auf der Insel Key West, daneben umfasst das Stadtgebiet noch vier weitere Inseln. Vor der Westküste liegt das nur per Boot erreichbare kleine Sunset Key.«
Endlich schrillt die Pausenglocke an der Key West High School. Gott sei Dank, dass heute Freitag ist. Jeder packt schnell seine Sachen zusammen und versucht möglichst auf kürzestem Weg nach Hause zu kommen. Erleichtert stürmen die Kinder aus ihren Klassenzimmern ihren freien Tagen entgegen. Auch Judy und Tom haben es eilig, denn sie wollen noch auf die Festwiese gehen, um sich dort mit den anderen Freunden zu treffen.
»Und vergesst den Hemingway und den Southernmost Point nicht«, ruft die Lehrerin noch vergeblich den hinausstürmenden Schülerinnen und Schülern nach. Doch die meisten von ihnen sind mit ihren Gedanken schon im Wochenendfieber, denn am Ortseingang organisiert heute die örtliche Gemeinde das große Bürgermeisterfest zu Ehren der Wahlen, die traditionell alle vier Jahre stattfinden.
Auch Mike Mc Caine macht sich auf den Weg dorthin. Er ist auch einer der Mitbewerber für das Bürgermeisteramt. Es geht ihm, wie den anderen Bewerbern auch, so Vieles durch den Kopf an einem solchen Tag. Es ist auch schon eine Weile her, dass er mit seiner bezaubernden Scarlett nach Key West gezogen ist. Alles war damals noch so neu für die beiden und sie wünschten sich nichts sehnlicher, als an diesem wunderschönen Ort bleiben zu dürfen. Da gab es einfach alles, was ihre beiden Herzen begeisterte. Die Menschen waren sehr freundlich und hilfreich, so dass ihnen die Willkommenszeit sehr leicht gemacht wurde.
Im Zuge der globalisierten Welt rückt auch Key West immer mehr in den Fokus der multikulturellen Gesellschaft. Man gibt sich weltoffen und liberal in vielen Fragen, die auf der Tagesordnung stehen. Natürlich wäre es schön, wenn Mike Mc Caine eines Tages dieses nicht ganz leichte Amt des Bürgermeisters übernehmen könnte. Er würde jedenfalls alles versuchen, diesen Ort wieder an die Spitze der oberen Zehntausend zu bringen. Er wünscht sich, dass wie früher wieder ein neuer Hauch von High Society über den Highway in die Stadt hineinweht. Wenn er könnte, würde er jedem Einwohner das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein. Ja, das würde dann zu seinen Aufgaben gehören, wenn sie ihn zum Bürgermeister ernennen würden.
Im Festzelt, das sich dort zu den Burger-Buden und Geisterbahnen gesellt, ist die Stimmung zurzeit sehr gut. Die Betreiber der Fahrgeschäfte freuen sich über den hohen Andrang der vielen Besucher. Die Sonne lacht von einem blauen Himmel und überstrahlt dabei mit ihrem Glanz noch die ganze Show. Aus dem Festzelt hört man die Reden der Bewerber für das Bürgermeisteramt bis ins Gelände hinaus und der Applaus will oft nicht enden. Auch im Vorgarten sitzen die Gäste auf ihren schattigen Plätzen und haben sich gegenseitig viel Neues zu erzählen. Ganz hinten im Zelt sitzen der Gemeindepfarrer Pater Don, der Mitbewerber Mike Mc Caine und seine reizende Frau Scarlett. Am Rednerpult fordert nun der Leiter der Bürgermeisterwahl Mike Mc Caine auf, ans Mikrofon zu kommen.
»Liebe Gäste und Anwesende, empfangen Sie nun unseren letzten der vier neuen Bewerber für das Bürgermeisteramt, Mister Mike Mc Caine mit einem großen Applaus!«
»Oh, Mike, das bist ja du«, ruft Scarlett ganz entzückt.
Verhaltener Applaus füllt nun den ganzen Raum, als Mike Mc Caine gelassen ans Rednerpult tritt. Natürlich sind viele der Anwesenden gespannt, was dieser »Neuling« den Bürgerinnen und Bürgern von Key West erzählen wird, um das Amt von Mister Howard Ford zu übernehmen, der ja schon über ein Jahrzehnt im Regierungsmodus ist. In diesem Jahr haben sich vier neue Kandidaten für dieses Amt einschreiben lassen. Doch gegen die Übermacht des zurzeit regierenden und bei allen Menschen sehr populären Bürgermeisters Ford werden sie kein leichtes Spiel haben, dieses schwierige Amt zu übernehmen. Das weiß mit Sicherheit auch Mike Mc Caine, der nun vor dem Angesicht der Wahrheit steht und ganz entspannt den anwesenden Gästen entgegenlächelt. Ohne den Blick von ihnen zu nehmen, fängt er mit seiner Bewerbungsrede an:
»Liebe Bürgerinnen und Bürger von Key West, von Florida und natürlich von ganz Amerika, ich verspreche euch, dass ich für diesen wundervollen Ort, an dem dieses wunderbare Licht unsere Strände erleuchtet und wie ein Erkennungszeichen des Lebens und natürlich auch der Freude ist, alles zum Besten tun werde. Schützend lege ich meine Hand über dieses Land, um es für die Zukunft nach oben zu bringen. Natürlich kann man einen so schönen und bezaubernden Ort wie Key West nicht auf den Kopf stellen, um das alles ändern zu wollen, was man für richtig hält. Aber man kann versuchen, das eine oder andere neu zu denken, um so einen kompromissvollen Weg in die Zukunft zu finden. Der Maler Vincent van Gogh sagte einmal: Was wäre das Leben, wenn wir nicht den Mut hätten, einfach alles zu versuchen. Ja, und genau das würde ich tun, es versuchen, dass dieser Ort im Lauf der Zeit wie umgewandelt wäre. Den Dingen auf den Grund gehen, Änderungen anstreben, auch wenn sie manchmal eben auch wehtun würden. Nach meiner Wahl zum Bürgermeister würde dann vielleicht die ganze Welt von Key West sprechen!«
Es folgt großes Gelächter im Festzelt. Gemeindepfarrer Pater Don schließt die Augen. Er spürt jetzt schon innerlich, dass die Chancen auf den Bürgermeisterposten für seinen Freund Mike Mc Caine mit jedem Versprechen, das er in die Menge hinausbläst, immer mehr schwinden. Er weiß auch mit Gewissheit, wie viele Bewerber, die ebenfalls gegen den übermächtigen Howard Ford antraten, in der Vergangenheit gescheitert sind. Sie waren mit ähnlichen Ankündigungen, Key West berühmt machen zu wollen, ins Rennen gegangen und kläglich unterlegen. Doch das Einzige, was Key West heute auszeichnet, ist, dass es eben nicht so berühmt ist. Dort, inmitten des Golfs von Mexiko, passiert eben nicht viel und manchmal rein gar nichts, was diesen Ort in die Schlagzeilen der Welt bringen würde. Meistens erinnern sich die Menschen dort draußen auf dem Globus an den berühmten Hemingway, der ein ganzes Jahrzehnt dort wohnte. Wahrscheinlich kennt auch fast jeder sein berühmtestes Buch vom alten Mann und dem Meer.
Die drei Cheer-Girls von Mike Mc Caine kreischen auf und tanzen vor dem Rednerpult. Gelächter auch hinten im Zelt. Doch Mc Caines Worte gehen im Trubel der Zuhörer fast unter. Auf einmal steht eine Besucherin mit pechschwarzen langen Haaren und pinkfarbenem Pulli auf, stellt sich dem Publikum und Mike Mc Caine als Nadia vor und konfrontiert ihn mit folgender Frage:
»Was würden Sie denn als neuer Bürgermeister von Key West konkret anders machen, welche genauen Ziele streben Sie an, wenn Sie diese verwirklichen könnten, Mister Mc Caine?«
Wahrlich eine gute Frage, was ich konkret anders machen würde, geht es Mc Caine durch den Kopf. Aber kann ich sie heute schon beantworten? Man muss natürlich als Erstes die Kirche im Dorf lassen und ihnen nicht zu viel versprechen, was man später dann wiederum bereuen würde. Ich werde dennoch versuchen, einen passenden Weg zu finden, um den Wählerinnen und Wählern eine Alternative zu den bisherigen Kandidaten zu präsentieren.
Mc Caine richtet seinen Blick in die Mitte des Zeltes, wo die Lady inmitten der vielen Zuhörer steht. Er blickt sie lächelnd an. »Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage, die Sie mir da gestellt haben und sie lässt sich nicht ohne Weiteres beantworten. Jeder hat natürlich auch das Recht, eine ehrliche Antwort zu bekommen. Statt Neues zu entdecken, sich offenen Fragen zu stellen, klammern wir uns viel zu oft an das Alte, an das Alltägliche, an das Stinknormale. Mir geht es ja genauso. Mit der Zeit wird man dann unzufrieden und fragt nach dem Grund. Wenn wir jedoch kleine Dinge um uns herum umgestalten, verändern wir unser Umfeld und im Grunde uns selbst. Doch diese kleinen Herausforderungen, die eine Regierung manchmal so stark machen, gehen oft schnell zur Neige. Das Leben verläuft nicht immer nach Plan und so muss man eine andere Strategie suchen. Ebenso, wenn gewisse Grundsätze immer gleich bleiben, nehmen wir Menschen sie irgendwann nicht mehr wahr. Man kann zusammen Ideen entwickeln und Erfahrungen teilen. Wir fühlen uns dann mit den Erneuerungen ein bisschen eingeschlossen in unserer kleinen Welt. Man schöpft Hoffnung und Zuversicht für eine neue Zeit, die uns Bewohnern viel Freude schenkt. Ich danke Ihnen.«
Stille im Zelt. Mc Caines Redezeit ist um. Man hat sich im Allgemeinen an diesem Freitagmittag schon auf das Wochenende eingeschossen. Für emotionale Festreden fehlt den meisten Zuhörern einfach die Geduld und die dazugehörende lockere Atmosphäre. Alle sind noch sehr angespannt und müde von einer recht anstrengenden Arbeitswoche. Und nun kommt einer und verspricht ihnen Zukunftsoptimismus. Das muss man erst verstehen und zu einem späteren Zeitpunkt angemessen würdigen.
Mc Caines Gedanken ziehen weiter. Es ist gerade für ihn, als neuen Bewerber für das Bürgermeisteramt, nicht so einfach, in wenigen Sätzen das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Sie haben ja bisher von den anderen schon einiges gehört, was man hier im Ort alles noch besser machen könnte. Aller Anfang ist schwer und am heutigen Tag ist es umso schwieriger, ihnen noch mehr an guten Vorsätzen zu übermitteln.
Urplötzlich brandet von hinten Applaus durch das Festzelt. Die meisten Zuhörer gucken nach hinten, was da los ist. Einige von ihnen stehen auf und spenden Mike Mc Caine Standing Ovations, während er wieder zu seinem Platz zurückkehrt. Scarlett ist ebenfalls vor Freude aufgesprungen und animiert die noch sitzenden Personen, zu applaudieren. So springt der Funke plötzlich auf fast alle Anwesenden über. Auch wenn es von den meisten als kleiner Spaß angesehen wird, machen doch einige bei diesem kleinen Spielchen mit.
Ein letztes Mal lächelt Mc Caine in Siegerpose den Fotografen zu und zeigt ihnen das Victory-Zeichen. Aber die meisten der wenigen Reporter packen ihre Kameras bereits in ihre Fototaschen und verlassen das Zelt. Ein letzter Versuch von Mc Caine, die Cheer-Girls erneut zum Tanzen zu bewegen, scheitert kläglich. Jetzt wird es auch Pater Don zu viel. Ausgerechnet sein bester Freund Mike Mc Caine bedient sich an solch hochsensiblen Sprüchen, um in den Mittelpunkt zu rücken. Er macht sich auf den Weg, um Mike abzuholen. Pater Don hat eine mächtige Statur und er wirkt auf die Menschen charismatisch und sehr vertrauenerweckend, wenn er so aufgeschlossen durch die Menge geht.
»Los, Mike, komm schon, lass uns gehen«, bittet er ihn etwas genervt.
»Na, wie war ich?, Pater Don, sag schon«, will er von ihm wissen.
»Du warst wunderbar, Mike, wunderbar! Komm, lass uns ziehen!«
»Spricht man so über seinen besten Freund?«, entgegnet ihm Mike.
Aber Pater Don sagt nichts. Mike Mc Caine schaut in Dons enttäuschtes Gesicht.
»Du warst klasse, Mike, komm, lass uns jetzt gehen, die Show ist vorbei!«
Beide gehen wieder zurück an ihren Tisch im Festzelt und werden dort freudig von Scarlett empfangen.
»Oh Mike, du warst wunderbar, das hast du alles sehr gut und überzeugend gesagt. Ich halte dir ganz fest die Daumen, dass du ebenso die Herzen der Wählerinnen und Wähler für dich gewonnen hast. Das hast du einfach prima gemacht. Mach nur weiter so! Übrigens, woher hast du diesen schönen Spruch von van Gogh?«
»Ach, der stand heute Morgen in meinem Kalender und so dachte ich mir, der passt doch gut in meine Rede, meist du nicht auch?«
»Ja, klar, er passte wunderbar. Du hattest auf jeden Fall den Mut, es mit diesem Spruch zu versuchen, das war prima Mike.«
Aber Pater Don ist nicht so begeistert wie Scarlett. Er weiß aus eigenen Erfahrungen, was Worte für die Menschen bedeuten, wenn sie nur so auf sie hinabprasseln. Manchmal kann der Schuss eben auch nach hinten losgehen. So wendet sich Pater Don schnell Mikes Frau Scarlett zu.
»Mrs. Mc Caine, darf ich Sie beide noch auf einen kleinen Drink draußen an der frischen Luft einladen«, fragt er sie höflichst.
»Aber gerne, Pater Don, das ist sehr nett von Ihnen.«
Alle drei machen sich auf den Weg und suchen sich draußen irgendwo ein schattiges Plätzchen. Mc Caine ist sichtlich froh, dass er aus dem muffigen Festzelt hinausgehen kann, denn er braucht jetzt frische Luft. Natürlich ist er mit seiner kurzen Rede innerlich nicht ganz zufrieden.
Doch er wollte den Leuten nicht noch mehr versprechen. Als Anfang einer erfolgreichen Karriere wird es vorerst genügen, denkt er sich heimlich.
Vor dem Eingang sind ein paar Tische unter den Palmen aufgestellt. Volksfeststimmung pur, so würden die Amerikaner ihr Fest selbst beschreiben. Ein wenig Kitsch, ein wenig Kultur und ein bisschen Romantik, so könnte man in diesem Jahr das Motto dieses Stelldicheins auch nennen.
Sie nehmen an einem freien Tisch Platz und bestellen bei der Bedienung jeweils ein kühles Getränk. Pater Don hebt die Hand und sagt:
»Aber nur unter einer Bedingung: wenn ich diese Runde schmeißen darf.
Mike und Scarlett lachen und nicken dieser Drohung von Pater Don zu.
Während sie noch auf die Getränke warten, blickt Mike immer wieder auf das kleine Wahrsager-Zelt gegenüber seines Sitzplatzes. Es scheint etwas auszustrahlen, das ihn magisch anzieht.
»Warum blickst du immer dort hinüber, Mike?«, fragt ihn Scarlett.
»Ach, nur so, ich bin noch etwas neugierig, was meine Wahl angeht«, antwortet Mike.
»Ja, das kann ich verstehen, er ist halt noch ein grüner Bursche mit wenig Erfahrung, wenn er demnächst in den Ring steigen muss«, antwortet Pater Don spöttisch und zaubert damit dennoch Scarlett ein Lächeln ins Gesicht.
»Da haben Sie Recht, Pater Don, im ganzen Leben ist man stets am Anfang«, antwortet ihm Mrs. Mc Caine ganz spontan.
Nun hält es Mike Mc Caine auf seinem Sitz nicht mehr aus. Mit einem Ruck steht er auf und geht davon. Pater Don und Scarlett schauen ihm verblüfft nach. Was hat Mc Caine jetzt wieder vor?, fragen sie sich.
»Ich bin gleich wieder da, fangt doch schon mal an«, sagt er und verschwindet mit hastigen Schritten in Richtung Wahrsager-Zelt. Beide blicken ihm entgeistert nach. Resigniert sagt Pater Don an Scarlett gerichtet:
»Die ganze Welt ist eine Bühne und all die Männer und Frauen nichts als Schauspieler, nicht wahr, Mrs. Scarlett?«
Pater Don zeigt auf den flüchtenden Mike, der ihn bei seiner Scarlett zurücklässt.
»Da hatte Shakespeare wohl Recht, als er das sagte«, grinst Pater Don zu Scarlett hinüber.
»Ja, da ist was Wahres dran, die ganze Welt ist eine Bühne«, antwortet sie ihm.
Nun bringt die Bedienung das Bestellte und beide stoßen schon mal miteinander an. Sie hoffen natürlich, dass Mike bald wieder zu ihnen zurückkehren wird. Wahrscheinlich ist er in seiner Euphorie geradezu verrückt nach einer Zukunftsprognose, geht es den beiden Zurückgebliebenen durch den Kopf.
»Heute haben wir ja wirklich schönes Wetter, gerade passend zu unserem schönen Fest, nicht wahr, Mrs.Mc Caine?«
»Ja, da haben Sie Recht, Pater Don, das passt wirklich gut am heutigen Tag.«
Doch Scarlett wirkt unruhig. Ständig blickt sie zum Wahrsager-Zelt hinüber und fragt sich zurecht, was ihr Mann dort drüben wohl zu suchen gedenkt.
Mike Mc Caines Blick ist fest nach vorne gerichtet und zielt auf das kleine Schild, das am Zelteingang angebracht ist:
»MADAME DELON BLICKT IN IHRE ZUKUNFT«
Oh ja, ein Blick in die Zukunft, ja, das könnte ich jetzt gebrauchen, um ein kleines Stück von der kommenden Zeit zu erhaschen. Das wäre doch schön, wenn mir jemand sagen könnte, was aus mir wird. Vielleicht gibt es ja so eine Art Trend, dem ich nur zu folgen brauche. Gerne lasse ich mich von Vorhersagen überraschen. Ich vertraue dieser Madame Delon, dass sie die Begabung hat, die Zukunft vorauszusehen. Man ist ja geradezu verrückt darauf, etwas Neues zu erfahren, denkt er sich am Eingang des Zeltes.
Er schiebt den schweren roten Satinvorhang zur Seite und zwängt sich ins Innere des Zeltes. Da steht in der Mitte ein schwarzer Tisch, darauf flackert eine Kerze, daneben erkennt er eine Wahrsager-Kugel. Muffige Luft füllt nun Mc Caines Lungen. Er schaut sich kurz um und kann nichts Erwartungsvolles sehen und will gerade wieder das Zelt verlassen, als plötzlich die Wahrsagerin hinter ihm steht. Sie kam wie aus dem Nichts. Hatte sie sich etwa versteckt und ihn beobachtet, als er ins Zelt kam?
Mc Caine zuckt ein bisschen zusammen und bringt kein Wort über die Lippen. Sie kommt auf ihn zu, bleibt ebenfalls stumm und blickt ihrem neuen Gast tief in die Augen. Wie das Kaninchen vor der Schlange schauen sich beide wortlos an. Langsam schiebt sie dann behutsam Mc Caine zum Tisch und bittet ihn, Platz zu nehmen. Sie setzt sich ihm gegenüber und streichelt dabei sanft mit ihrer Hand über die Glaskugel. In ihrem Gesicht ist noch das Licht der flackernden Kerze sichtbar.
Ohne eine Frage der Wahrsagerin abzuwarten, sagt Mc Caine zu ihr:
»Ich möchte wissen, ob und wie hoch ich die Wahl gewinnen werde?«
»Aber gewiss, Mister Mc Caine, das werden wir gemeinsam für Sie herausfinden«, antwortet sie ihm forsch.
»Woher wissen Sie denn meinen Namen?«, stottert Mc Caine etwas ungläubig.
»Wissen«, antwortet ihm die Wahrsagerin, »Wissen gehört sozusagen zu meinem Beruf, sonst wären Sie doch nicht bei mir, oder?«
Nun ist Mc Caine bedient. Mit so etwas hatte er beileibe nicht gerechnet. Da kommt er sich schon schön blamiert vor. Wahrscheinlich war die Frau auch auf der Wahlveranstaltung dabei und hat so seinen Namen herausspioniert. Alle möglichen Gedanken schießen nun Mc Caine durch den Kopf. Und diese Stimme. Von irgendwoher kennt er diesen Akzent. Aber von wo?
»Legen Sie bitte beide Hände flach auf den Tisch und blicken Sie tief in die Kugel«, fängt Madame Delon an, ihn anzuweisen.
Dann beginnt Madame Delon, beschwörende Worte zu sprechen, die kein Mensch versteht. Warum wohl nennt sich die Wahrsagerin Madame Delon?, geht es Mc Caine beim Blick in die Kugel durch den Kopf. Kennt sie mich wirklich oder tut sie nur so. Er versucht krampfhaft, ihr kurz in die Augen zu blicken, ohne den Kopf zu heben. Aber es gelingt ihm nicht. So hebt er kurz den Blick zu ihr. Madame Delons Augen sind geschlossen und mit ihren Händen umklammert sie die Glaskugel. Aus ihrem Mund sprudeln lange beschwörende Worte, Texte und Formeln in den Raum, von denen Mc Caine nur Wortfetzen wahrnimmt. Es ist jedoch verdammt schwül in diesem Zelt und so bekommt er kaum noch Luft. Für längere Sitzungen ist diese Art von Vorhersage wohl ungeeignet. Langsam lockert Mc Caine mit der rechten Hand seine Krawatte. Die Wahrsagerin sieht das und flüstert in ihren Text: »Nicht bewegen!«
Das Geplapper von Madame Delon geht weiter und weiter, so dass Mc Caine schon etwas ungeduldig wird. Er starrt, wie es ihm Madame Delon befohlen hat, starr in die Kristallkugel, kann aber bis jetzt nichts sehen. Seine Augen brennen, sein Atem wird schwerer, doch das unterdrückte Reden der Wahrsagerin hört nicht auf. Auf einmal nimmt es an Schnelligkeit zu und hört plötzlich ebenso abrupt auf. Madame Delon ist über dem schwarzen Tisch zusammengebrochen. Ihr Kopf liegt quer zwischen der Kristallkugel und der flackernden Kerze auf der Tischplatte.
Mc Caine löst den Blick von der Kugel und schaut Madame Delon fragend an, die, als sei sie tot, auf dem schwarzen Tisch liegt. Langsam richtet sie sich wieder auf.
»Alles in Ordnung, Madame Delon?«, fragt Mc Caine sie vorsichtig.
»Es tut mir leid, junger Mann, aber ich kann nichts über Ihre Zukunft voraussagen! Da ist einfach nichts, da gibt es einfach absolut nichts zu sagen!«
Nun ist Mike Mc Caine noch verwirrter als vorher. Er kann aus seiner Sicht einfach nicht begreifen, warum die Wahrsagerin nichts über ihn vorhersagen kann. Sie sagte da sei nichts, gar nichts. Die gute Frau hätte doch bloß irgendetwas sagen können, egal was, Mc Caine hätte es ihr doch geglaubt. Auch wenn es ein schlechtes Ergebnis der Wahl gewesen wäre. Lieber ein schlechtes Ergebnis als gar keines, denkt er sich. Aber Madame Delon sagte, es sei absolut nichts da! Und genau das kann Mc Caine nicht begreifen. Was aber hat das für mich zu bedeuten?, fragt er sich.
»Ich bitte Sie, Madame Delon«, bettelt er sie in seiner Verzweiflung geradezu an, »versuchen Sie es nochmal! Es muss doch irgendetwas in dieser verdammten Kugel über mich zu sehen sein!«
Mc Caine ist innerlich außer sich vor Wut, weil er einfach nicht begreifen will, was Madame Delon ihm schon sagte. Aber er lässt sich nichts anmerken, was seine Unruhe angeht.
»Ich will meinen Wahlsieg sehen, verstehen Sie das, Madame Delon, meinen Wahlsieg bei der Bürgermeisterwahl. Werde ich denn siegen?«, bekräftigt er nochmals ausgiebig seinen Zukunftswunsch.
»Also gut«, sagt die Wahrsagerin fast resignierend, »ich will es für Sie nochmals versuchen!«
Sie richtet sich auf, geht zum Vorhang und öffnet ihn für einen kurzen Moment. Kühlere Luft strömt nun ins In nere des Zeltes und sorgt für etwas Durchzug. Nun atmet sie tief durch, schließt ihn wieder, nimmt Platz und umschließt mit ihren Händen erneut die Kristallkugel.
»Bitte, Mister Mc Caine, bleiben Sie ganz ruhig sitzen und konzentrieren Sie sich mit Ihren Augen ganz fest auf die Kugel.«
Von Neuem beginnt sie mit dem Stimmengewirr. Immer heftiger und schneller sprudeln ihre Worte aus ihr heraus, so dass man sie kaum noch versteht. Mc Caine steht der Schweiß im Gesicht. Längst müsste er wieder zurück bei Scarlett und bei Pater Don sein, die bestimmt schon auf ihn warten und sich seinetwegen wohl schon Sorgen machen. Er hat Angst, sich zu bewegen und starrt weiterhin auf die Glaskugel. Seine Hände zittern. Fest umklammert er die Tischkante. Die Kerze flackert nun so heftig, als würde sie augenblicklich ausgehen. Das Murmeln von Madame Delon nimmt kein Ende. Beschwörende Worte, undeutliche Wortfetzen prasseln auf Mc Caine nieder. Mike spielt schon mit dem Gedanken, klammheimlich das Zelt zu verlassen, um sich davonzuschleichen. Doch plötzlich kann Mc Caine zwischen den vielen geflüsterten Formeln ganz deutlich das Wort Unfall wahrnehmen. Er spitzt die Ohren und tatsächlich flüstert Madame in aller Deutlichkeit: »Ich sehe einen Unfall.«
Mc Cains Blick verlässt die Kugel und er schaut direkt in Madame Delons Augen, die sich genau in diesem Augenblick wieder öffnen. Er wiederholt sanft fragend: »Einen Unfall, wie meinen Sie das, Madame Delon?«
Sie nickt ein bisschen und wiederholt ihren simplen Satz: »Einen Unfall eben!« Mit letzter Kraft haucht sie diesen Ausdruck in die Dunkelheit des Zeltes und bricht erneut vor Erschöpfung über dem Tisch zusammen.
Nun ist Mc Caine komplett bedient. Er zahlt Madame Delon das vereinbarte Honorar und verlässt in Windeseile und schweißgebadet das Wahrsager-Zelt.
»Ein Unfall, ein Unfall«, kommt es ihm immer wieder über die Lippen. Als wäre er auf einmal hypnotisiert, schlendert Mike Mc Caine geradewegs an dem Tisch vorbei, an dem seine Frau Scarlett und Pater Don sitzen.
»Hey, was ist los mit dir, alter Junge? Hier sind wir, komm zurück, Mike, setz dich doch wieder zu uns und erzähle, was du dort im Zelt gesucht hast«, ruft ihm Pater Don spöttisch nach.
»Was hast du denn, Mike, komm zurück, hier sind wir«, versucht Scarlett ihn noch zur Umkehr zu überzeugen. Doch alle Versuche der beiden gehen ins Leere.
Mike läuft geradewegs auf die Straße hinaus. Wie ein Roboter wiederholt er immer wieder den Satz: »Ich sehe einen Unfall.«
Scarlett springt nun von ihrem Tisch auf, rennt ihm nach und hält Mike am Ärmel fest.
»Hey, Mike, was ist los mit dir, wo willst du hin? Wir sitzen doch dort am Tisch.«
Aber ihr Mike wirkt plötzlich wie betäubt. Er ignoriert Scarletts Worte, als seien sie unbedeutend, und geht stur weiter, als würde ihn niemand mehr auf der ganzen Welt aufhalten können.
»Ein Unfall«, flüstert er erneut ins Leere und bleibt dann mitten auf der Straße stehen.
»Was sagst du da für einen Schwachsinn, Mike, wach auf, ich bin‘s Scarlett!«
»Ist es etwas Ernstes mit ihm?«, fragt Pater Don nach.
»Ich weiß nicht, was auf einmal mit Mike los ist, er ist wie benebelt«, antwortet Scarlett.
»He, Mike, alter Junge, was ist los mit dir? Wach auf und setz dich wieder zu uns.«
»Sie sagte, es gäbe ein Unfall!«
»Ach, so ein Quatsch. Menschen glauben an das, was sie sich wünschen, so ist das eben im Leben.«
»Wer hat das denn gesagt, etwa der liebe Gott?«, lästert Mike zu Pater Don.
»Nein, Julius Cäsar«, antwortet ihm Pater Don wie aus der Pistole geschossen.
Nun stehen alle drei mitten auf der Straße. Scarlett und Pater Don halten Mike an beiden Ärmeln fest. Nun wäre eine gute Idee von Vorteil, um sich aus dieser aus dem Ruder laufenden Situation zu retten.
»Ich bringe euch beide nach Hause«, bietet sich Pater Don spontan an und schiebt das Ehepaar Mc Caine ohne ein weiteres Wort zu verlieren in seinen Wagen, den er am Straßenrand geparkt hat.
Wieder zuhause angekommen, legen sich Mike und Scarlett nach diesem anstrengenden Tag sogleich erschöpft ins Bett. Ein kleines Nachmittagsschläfchen wird uns guttun