»Unsere Hoffnung heute ist die Krise« Interviews 1926-1956 - Bertolt Brecht - E-Book

»Unsere Hoffnung heute ist die Krise« Interviews 1926-1956 E-Book

Bertolt Brecht

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Beschreibung

Bertolt Brecht besaß, wie ein Zeitgenosse einmal bemerkte, die »seltene Gabe, ein Gespräch mit präzisen, drastischen Formulierungen bei den Fragen festzuhalten, auf die es heute ankommt«: Wie bekämpft man die Dummheit? Was setzt man dem Faschismus entgegen? Wie sieht eine neue Welt aus? Egal welche Fragen man an Brecht hat: In diesem Buch findet man seine überraschenden Antworten.

In 91 hier erstmals versammelten, größtenteils unbekannten Interviews, die sich über 15 Länder und eine ganze Karriere erstrecken, zeigt sich der große Klassiker der Moderne als wortmächtiger Medienkünstler. Sie rücken sein Werk nicht nur in ein neues Licht ̶ sie bilden einen unkartierten Teil dieses Werkes selbst.

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Seitenzahl: 1134

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Cover

Titel

Bertolt Brecht

»Unsere Hoffnung heute ist die Krise«

Interviews 1926-1956

Herausgegeben von Noah Willumsen

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 5159.

Erste Auflage 2023suhrkamp taschenbuch 5159Originalausgabe© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2023Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Brian Barth

Umschlagabbildungen: aus der Fotoserie Bertolt Brecht in London, 1936, Akademie der Künste, Berlin, Bertolt Brecht-Archiv FA 02/039.

eISBN 978-3-518-76812-9

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Vorrede

Interviews 1926-1956

»Von der Qualität einer Zahnpasta bis zu politischen Problemen«. Berlin, 1926-1932

Raimondo Collino Pansa – 15. Februar 1926

Das junge Theater und Mussolini. sorgen für zwei stürmische Aufführungen in Deutschland

Regina Reicherówna – 9. Mai 1926

Bertolt Brecht. Eigenes Interview der »Wiadomości Literackie«

Wolfgang Bardach – 29. Mai 1926

Die Zukunft des deutschen Theaters. Eine Unterredung mit Bert Brecht

Bernard Guillemin – 30. Juli 1926

Was arbeiten Sie? / Gespräch mit Bert Brecht

Hans Tasiemka – 6. Oktober und 26. Dezember 1927

Meinungen und Pläne

Richard Weichert und Alfred Kerr – 15. April 1928

Die Not des Theaters. Ein Dreigespräch zwischen Dichter, Theaterleiter und Kritiker.

Ernst Hardt, Herbert Ihering und Fritz Sternberg – 11. Januar 1929

NEUE DRAMATIK

. Gespräch zwischen Bert Brecht – Ernst Hardt – Herbert Ihering – Dr. Fritz Sternberg

Rolf Nürnberg und Willy Meisl – 27. Januar 1929

Drei streiten über Sport. Zur Abendunterhaltung des Berliner Senders am 27. Januar

Ernst Hardt und Herbert Ihering – 28. April 1929

KLASSIKERTOD

? Gespräch zwischen Bert Brecht – Ernst Hardt – Herbert Ihering

Alfred Joachim Fischer – 2. Oktober 1930

Der Brand um die »Dreigroschenoper«. Von Alfred Joachim Fischer

Klaus Neukrantz – 4. September 1931

Alfred Döblin: ›Ich höre lieber Moskau!‹. Bekannte Schriftsteller zu der Rußlandhetze des Deutschlandsenders

Unbekannt – 14. April 1932

Der Freiheit keine Gasse. oder Begegnungen im dunklen Gang der Zensur

Sergej Tretjakow – 12. Mai 1932

Bert Brecht

»Wem gehört die Welt«

Willy Oscar Somin – 8. Oktober 1932

Wie heißt Ihr neues Stück? Gespräche mit berliner Dramatikern

»Alles ist entweder-oder«. Exil, 1933-1947

Helge Bonnén – 30. Juli 1933

Die Kunst soll der Gesellschaft dienen. meint der Schriftsteller

BERT BRECHT

.

Luth Otto – 20. März 1934

KOMISCHE TRAGÖDIE

,

TRAURIGE KOMÖDIE

. Lang lebe Chaplin als Napoleon mit Melone und dem berühmten Spazierstock unterm Arm Jannings und Reumert können einpacken

Abraham Brustawitzki – 20. März 1935

Interview mit Bert Brecht

Ernst Fabri – 23. Mai 1935

»Die Wirklichkeit übertrifft alles«. Bert Brecht über seine Eindrücke in der Sowjetunion

Knud Rasmussen – 13. September 1935

EIN DICHTER

. in Verbannung.

Unbekannt – 30. Oktober 1935

Brecht anwesend für sein Stück

Martha Dreiblatt – 31. Oktober 1935

Der Autor des neuen Stückes der Theatre Union erzählt, wie er zum Arbeiterpublikum kam.

Von Martha Dreiblatt

Curt Loewe – 23. November 1935

Gespräch mit Bert Brecht. Etwas über revolutionäre Bedeutung und Schaffen des meistgelesenen aller in Deutschland illegalen Dichter

V. ‌J. Jerome und Hanns Eisler – 23. November 1935

GESPRÄCH JEROME

/

BRECHT

/

EISLER

.

SAMSTAG

, 23. Nov. 1935

Unbekannt – 24. November 1935

Bert Brecht, Dramatiker, macht seine Theorien zum Theater bekannt. Der Autor von ›Die Mutter‹ war einst ein Brennpunkt von Kontroversen auf der deutschen Bühne

Per Knutzon – 21. Februar 1936

Unbekannt – 24. Oktober 1936

Das Theater. Rundköpfe und Spitzköpfe

Jeanine Delpech – 2. Oktober 1937

BERT BRECHT SPRICHT MIT UNS ÜBER DIE DREIGROSCHENOPER

. die kürzlich in Paris aufgeführt wurde

Carl Heinz – 6. Januar 1939

NEUES THEATERSTÜCK VON BERT BRECHT

. Der verbannte deutsche Schriftsteller hat auf Thurø ein historisches Drama über Galilei und dessen Bedrängnis vollendet

Unbekannt – Anfang Mai 1939

INTERVIEW MIT BERT BRECHT

Unbekannt – 8. Mai 1939

Führen die Revue-Amateure die Dreigroschenoper auf? Dessen Verfasser, Bert Brecht, erklärt sich bereit, die Proben in Eskilstuna zu betreuen

Egidt – 18. Juni 1939

Bei Bert Brecht auf Lidingö

Sten Hellsten – 7. August 1939

PASSIVITÄT

wird Europas Untergang sein. Kommt schwedische Geschichte auf die Bühne von Eskilstuna? Bert Brecht im Herbst hier

Unbekannt – 7. August 1939

Die Gestapo hat das deutsche Theaterleben erstickt. Was das Ausland nicht von der deutschen Kultur rettet, geht unter

Martin Söderhjelm – 21. April 1940

Der Verfasser der ›

DREIGROSCHENOPER

‹ in Helsinki.

ZWEI ANGEFANGENE MANUSKRIPTE IM GEPÄCK

Jarno Pennanen – 26. April 1940

An die Auferstehung des Theaters – und der Menschheit – glaubt Bert Brecht, Autor der »Dreigroschenoper«. Der deutsche Schriftsteller reist mit seiner Familie nach Amerika – durch Finnland.

Henry Marx – 7. März 1943

Eine Unterredung mit Bert Brecht. Von

HENRY MARX

Lydia Infeld – Februar 1944

Interview mit Bert Brecht

Kurt Hellmer – 8. Juni 1945

Bert Brecht und sein Theater. Ein Interview – von

KURT HELLMER

Anne Hornemann – 16. Juni 1945

Exilierter deutscher Dramatiker froh, ein demokratisches Theater entwickeln zu können.

Von

ANNE HORNEMANN

Virginia Wright – 21. Juli 1947

* Virginia Wright. Theaterredakteurin

»Eine jede neue Zeit ist eben dunkel und widerwärtig«. Wiederkehr, 1947-1949

Unbekannt – Anfang November 1947

KULTURNACHRICHTEN

Hans Winge/Kurt Hirschfeld – 15. November 1947

Gespräch mit Bert Brecht

Vito Pandolfi – 15. Februar 1948

WANDERCHRONIKEN

Walter Becherer – 18. Februar 1948

ANTIGONE

. Ein Trauerspiel von Sophokles Uraufgeführt zu Athen im Jahre 442 v. ‌Chr.

P. ‌M. – 16. Juni 1948

Was nicht im Programmheft steht …. Einige prominente Gäste der Zürcher Juni-Festwochen

Jacek Frühling – 4. Juli 1948

Herr Puntila und sein Knecht Matti

Egon Vietta – 19. Oktober 1948

Bert Brecht am Zürichsee. Von

EGON VIETTA

Lieselotte Thoms – 24. Oktober 1948

Erst sehen, dann sprechen. Brechts Ankunft und erster Tag in Berlin

Heinrich Christian Meier – 16. November 1948

GESPRÄCH MIT BERT BRECHT

Jiří Václav Svoboda – 25. Februar 1949

Über »unamerikanische Umtriebe«, Theater und Sozialismus

Walther Pollatschek – 2. März 1949

Mit Bert Brecht bei Max Pechstein

Carl Linfert – 22. April 1949

Brechts Revolution der Poesie, 2. Abend

»Die Aufregungen der Ebenen«.

DDR

, 1949-1956

Ernst Schumacher – 21. Juli 1949

Gespräche mit Bertolt Brecht.

Von Ernst Schumacher

Modest Rainer – 18. August 1949

Ich suche Arbeit … und begegne Bert Brecht

Arrigo Jacchia – 3. August 1950

Der Schöpfer der »Dreigroschenoper« sehnt sich nach der Beurteilung des italienischen Publikums. Bertolt Brecht, der in Galileo den unsterblichen Verfechter der Freiheit sieht, möchte sein neustes Werk, das das Leben des großen Wissenschaftlers zum Thema hat, in Florenz aufführen

Walter F. Hiss – 5. Oktober M. ‌v. ‌W. – 10. Oktober 1950

»Der unbequeme Dichter«. Die »Abendzeitung« interviewte Bertolt Brecht als erstes westdeutsches Blatt

Abschiedsgespräch mit Brecht

Claude Morgan – 15. März 1951

Begegnung mit Bert Brecht. Interview mit dem Dichter während der Tagung des Weltfriedensrates / Von

CLAUDE MORGAN

Maximilian Scheer – 22. Dezember 1951

Gespräch mit Bertolt Brecht sowie jungen Regisseuren und Dramaturgen über Nachwuchsförderung und Inszenierungspraktiken

Marcel Reich-Ranicki – 9. März 1952

Gespräch mit Brecht und Helene Weigel

Erwin Axer und Jacek Frühling – 1. April 1952

BRECHT ÜBER ZEITGENÖSSISCHES DRAMA

Jacek Frühling

:

BRECHT ÜBER DAS AMERIKANISCHE THEATER

Annemarie Auer – 11. Juni 1952

Bertolt Brecht und seine Mitarbeiter über ihr Buch

Theaterarbeit

Pierre Abraham – 1. Juli 1954

Der Autor der »Dreigroschenoper« und der »Mutter Courage« in Paris

:

BEGEGNUNGEN

mit Bertolt

BRECHT

Claude Sarraute – 1. Juli 1954

Einige Momente mit Bertold Brecht

Jean-François Bergery – 7.-13. Juli 1954

»Armer B. ‌B.« in Paris

Alexandre Alexandre – 9. Juli 1954

Bert Brecht erweckte den Eindruck des Schüchternen.

SONDERBERICHT VON ALEXANDRE ALEXANDRE

Wilhelm Mach – 15. August 1954

Bei Bertolt Brecht

Johannes R. Becher und Ulrich Wallner – 2. Dezember 1954

Gespräch am Runden Tisch

Jewgenij Pralnikow – 22. Dezember 1954

Zu Gast bei Bertold Brecht

Rudolf Reinhardt – 23. Dezember 1954

Besuch bei Stalin-Friedenspreisträger Bertolt Brecht

Henry Hewes – 22. Januar 1955

BROADWAY POSTSCRIPT

Berlin und Brecht

Wera Küchenmeister und Tadeusz Kulisiewicz – 20. Februar 1955

Stunde der Akademie

Emanuel Litvinoff – 11. März 1955

INTERVIEW MIT BRECHT

Hans Bunge – April 1955

Unbekannt – 26. Mai 1955

Vollbrachtes und Geplantes. Zur Verleihung des Internationalen Stalin-Friedenspreises an Bertold Brecht

Roman Szydłowski – 29. Mai 1955

Gespräch mit Bertolt Brecht in Warschau

Henry Magnan – 25. Juni 1955

DAS

»

BERLINER ENSEMBLE

«

IN PARIS

:

STELLUNGNAHMEN VOM HR

.

BERTOLT BRECHT

Guy Leclerc – 25. Juni 1955

Bertolt

BRECHT

.

(Interview geführt von Guy

LECLERC

)

Vladimir Pozner – 26. Juni 1955

Bertolt

BRECHT IN PARIS

. mit seinem jüngsten Meisterwerk

Claude Bourdet und Ernst Sello – 30. Juni 1955

Eine Stunde mit Bertolt Brecht

Ludvík Kundera – August 1955

Sieben Mal bei Brecht

Wilhelm Szewczyk – 16. Oktober 1955

Zu Mittag bei Bertolt Brecht

Jean-Pierre Chabrol – 2. Februar 1956

Gespräch mit Bertolt Brecht. Von J.-P. Chabrol

Valerio Riva – 12. Februar 1956

Auf Wiedersehen, Brecht!. Der große deutsche Dramatiker gab gestern eine Pressekonferenz über seine Theatererfahrungen mit Arbeitern in Berlin

Arturo Lazzari – 13. Februar 1956

Vier Tage mit Brecht

Salvatore Quasimodo – 23. Februar 1956

TREFFEN MIT BRECHT IN MAILAND

. Der Autor der ›Dreigroschenoper‹, die erfolgreich im ›Piccolo Teatro‹ in Mailand aufgeführt wurde, offenbart seine Ideen zur Poesie und zum Theater in diesem Treffen mit unserem Quasimodo

Ruggero Jacobbi – Mai/Juni 1956

FÜNF FRAGEN AN BERTOLD BRECHT

Caroline Kohn – 2. Juni 1956

Karl Kraus und Brecht

:

Unsterblicher Zeuge der Zeit

Anhang

Ronald Hayman – November 1956

Ein letztes Interview mit Brecht

»Ich entstehe in der Form einer Antwort«. Nachwort

Die Kunstform unserer Zeit

Die Maske(n) des Bösen

Begegnung und Besetzung

Interviewpolitik

Zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit

Transnationalität

Fabrikationen, Erinnerungen, Untersuchungen

Das Ende der Interviews

Dank

Bibliografie

Personenregister

Fußnoten

Informationen zum Buch

Vorrede

Die erste Spur von Bertolt Brechts Interviews findet sich in einem Tagebucheintrag von Elisabeth Hauptmann am 13. Januar 1926: »Interview mit Brecht?« Aus den knappen Notizen von Brechts Mitarbeiterin ist ihre Verunsicherung noch herauszulesen: »Warschauer interviewt ihn f. ›Literarische Welt‹. Wie interviewt man. Fragen« (BBA 0151/004).1 Die Fragen betreffen weder die Zeitschrift Die literarische Welt, in deren neuester Ausgabe Brechts Großer Dankchoral erschienen war, noch den Journalisten Frank Warschauer, der zu Brechts ersten Berliner Bekanntschaften zählt. Was Brecht und Hauptmann in Aufregung versetzt, ist das Interview selbst: Neumodisch und rätselhaft bricht es als publizistische Zumutung in den Schriftstelleralltag hinein. Wie interviewt man? Die Frage setzt eine Reflexion über Medien und ihre Möglichkeiten in Gang, für die Brecht bis zu seinem Tod die geeignete Praxis suchen wird.

Obwohl es sich schon einen Platz auf der Zeitungsseite erobert hatte, befand sich das Interview noch in einer Phase seiner Entwicklung, in der Rollen nicht festgeschrieben, Erwartungen unklar und Grenzen kaum abgesteckt waren. Große Spielräume standen all jenen offen, die bereit waren, sich auf ein Experiment einzulassen, und genauso geht Brecht vor. Eine erste Versuchsanordnung hält Hauptmann einige Tage später, am 18. Januar fest:

Was soll im Theater gespielt werden?

Was wert ist, dass man sich 2 Stunden damit befasst.

Wir sind in den alten Theatern ebenso wenig am Platze wie Jack Dempsey bei einer Rauferei in einer Kneipe voll zur Geltung kommen kann. Da haut ihm einer einfach einen Stuhl über den Kopf + er ist k. ‌o.

Ebenso peinlich ist es, wenn sie, wenn sie ein Stück von uns in den Fingern haben, sich damit abplagen, es möglich. hellblau zu spielen, wo doch rosa gemeint war.2

– – – – – – – – – – – – – – – – – –

Was haben Sie gegen den Vorwurf zu erwidern: Sie stammeln!

Kein Mensch kann doch klarer sein.

Mein[e] Sprache ist mehr als deutlich, grammatisch vollkommen intakt + übersichtlich. Was ich sage, ist ebenso intakt + übersichtlich. Ich sage nur das, was ich ganz klar im Kopfe habe, und ich schreibe nur das, was ich sage. Meine Sekretärin kann das bezeugen. Bei mir ist alles auf den Gestus gestellt, deshalb muss es deutlich sein, ganz einfach.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wir passen nicht in diese Häuser! Wir haben einen anderen Geist. Wir halten unsere Zigarren anders als ihr. (BBA 0151/006-007)

In diesem ersten, hypothetischen Interview erprobt Brecht eine Gesprächstechnik, die auf ein unsichtbares, abwesendes Publikum einwirken soll. Der Dialog gerät zum komödiantischen Schlagabtausch, in dem die Fragen nur als Anlass für zitierfähige Pointen dienen, die am Interviewer vorbei an die breite Leserschaft gerichtet werden. In jeder Antwort versucht Brecht seine ganze Ablehnung des gegenwärtigen Theaters und der Gesellschaft, für die es steht, zu verdichten.

Am 26. Januar listet Hauptmann eine Reihe möglicher Fragen auf:

Was möchte[n] Sie gern beherrschen? Ausser Schriftstellern. Zu Ihrem Spaß u. Ihrer Erholung?

Was halten Sie vom Untergang des Abendlandes3 + von der Zukunft Amerikas –?

Was halten Sie für das Allernotwendigste, was die gegenwärtige Theaterkrise angeht.

Das Theaterelend in Ihrer Formulierung. (BBA 0151/009)

Was Brecht zu erwidern plante, wird nicht mitüberliefert, aber seine Bedenken und Hoffnungen gehen unmissverständlich aus den Fragen hervor. Er registriert die Gefahr einer Banalisierung durch ein Gesprächsformat, das in erster Linie Menschliches widerspiegeln will, findet jedoch schnell zu den großen Themen der 1920er Jahre, die ihn mit einer breiten Zeitungsöffentlichkeit verbinden: der Bruch mit der Vergangenheit, das Krisenbewusstsein der Gegenwart, die Zukunft von Kunst und Kultur.

*

Wie Brecht »[v]on der Spekulation zum Experiment« (BFA 21, S. 459) überging, davon erzählen die hier zum ersten Mal versammelten 91 Interviews.4 Zwischen 1926 und seinem Tod dreißig Jahre später entwickelte sich Brecht buchstäblich zu einem der gefragtesten Autoren seiner Zeit. Dass seiner herausragenden Medientätigkeit bisher nicht Rechnung getragen wurde, gehört zu den Rätseln seiner Rezeptionsgeschichte.

Sicherlich hat es Brecht, wie sich Hanns Otto Münsterer erinnerte, »seinen Interviewern nicht immer leicht gemacht«, sie »oft gründlich verulkt« (Münsterer 1966, S. 5). In späteren Jahren kultivierte er sogar den Ruf, »Interviews konsequent zu fliehen« (→ S. →), und mindestens ein gutgläubiger Journalist war überzeugt, Brecht würde alle, die ihn interviewen wollten, mit dem Ruf »Ich hasse Sie!« empfangen (→ S. →). Die Gesprächsbereitschaft, mit der er seinen Interviewer:innen begegnete, straft diese Gerüchte Lügen, aber nach seinem Tod galt seine Öffentlichkeitsscheu bald als verbürgte Tatsache.5 So kam es, dass während Brechts Bekannte die Legende von seiner privaten Gesprächskunst weiter pflegten (»lebhaft, klar, elektrisierend, daß man einfach mitgerissen wurde«6), die Dokumente seiner öffentlichen Äußerungen langsam aus dem Gedächtnis verschwanden.

Doch im Laufe der Zeit häuften sich vereinzelte Hinweise, hilfreiche Anhänge und schwer zuzuordnende Zitate; gleichwohl kam es zu keiner systematischen Bergungsarbeit, die das knappe Dutzend nachgedruckter Interviews in ihren eigentlichen Kontext gestellt hätte.7 Kontur und Größe des Gegenstands verwischten.

Die sprachliche und geografische Streuung seiner Gespräche hat ihre Wahrnehmung sicherlich gehindert. Die hier abgedruckten Interviews erschienen ursprünglich in elf Sprachen und wurden in 15 Ländern publiziert: Brasilien, Dänemark, Deutschland (Deutsches Reich, ABZ, BBZ bzw. BRD und SBZ bzw. DDR), England, Finnland, Frankreich, Italien, Österreich, Polen (2. Republik und Volksrepublik), Schweden, die Schweiz, die Tschechoslowakische Republik, die UdSSR und die USA. Weitere belegte, aber bisher nicht auffindbare amerikanische, tschechoslowakische und niederländische Interviews lassen vermuten, dass die tatsächliche Anzahl um die 100 liegt.

Mit Ausnahme seiner schriftstellerischen Anfänge in Augsburg und München gab Brecht in jeder Phase seiner Karriere Interviews. Während der Weimarer Republik kam es zu 15 Gesprächen (1926-1932), für die ein streitlustiger publizistischer Enthusiasmus und das Experimentieren mit dem neuen Medium Rundfunk (→ S. →, →, →, →, →) bezeichnend sind. Obwohl Brecht in diesen Jahren nur ein Interview außerhalb Deutschlands gab (in der UdSSR, → S. →), wurden zwei seiner frühsten Berliner Interviews für ausländische Zeitungen geführt (Italien und Polen, → S. →, →).

Die nächste Phase, die mit seiner Flucht einsetzt und bis zur Rückkehr nach Europa andauert (1933-1947), umfasst 26 Pressegespräche, die alle Stationen von Brechts Exil nachzeichnen: die vielen Umzüge und Neuanfänge und die wenigen Inszenierungen und Literaturabende, zu denen er anreist; in den USA wurde er allerdings nur sporadisch um Kommentar gebeten.

In der Nachkriegszeit (1947-1949), die Brecht hauptsächlich in der Schweiz verbrachte, kehrt sich dieses Verhältnis um: Brechts Wohnstätten und Inszenierungen werden nun zu Wallfahrtsorten für Journalist:innen aus der Schweiz, aus Deutschland, Italien und Polen. Dadurch, sowie durch eine medienwirksame Reise nach Berlin, entstehen in kurzer Abfolge zwölf weitere Interviews.

Die letzte und ergiebigste Periode beginnt mit seiner Übersiedlung in die SBZ bzw. spätere DDR (1949-1956). Diese 38 Gespräche gehören zu einer neuen Epoche in der Geschichte der Form des Interviews, die umfassender und offener wird. Brecht beschäftigt sich wieder mit dem Rundfunk (→ S. →, →, →), zu dem er in der Exilzeit nur selten Zugang hatte (→ S. →); entsprechend der kollektiven Arbeitsweise des 1949 neu gegründeten Berliner Ensembles (BE) finden die Gespräche nun oft in Gruppen statt. Während das BE zum Gravitationszentrum für Theatermenschen aus der ganzen Welt wird, geraten dessen Gastspiele (Paris 1954, 1955) sowie die künstlerischen und kulturpolitischen Besuche Brechts (Warschau 1952, 1955; Mailand 1956) zu Medienereignissen, die international wahrgenommen werden.

Obwohl weniger als die Hälfte all seiner Interviews ursprünglich auf Deutsch erschien, wurden fast alle auf Deutsch geführt. Brecht konnte zwar Englisch (und auch etwas Französisch und Dänisch), doch habe er sich in der Regel »geweigert, als deutscher Dichter diese ihm an sich teure Sprache zu sprechen« (Eisler 1975, S. 90). Zu den wenigen Ausnahmen gehören, soweit sich das rekonstruieren lässt, einige Gespräche mit amerikanischen Interviewer:innen (World-Telegram, evtl. Jerome, Hewes und – »halb auf Englisch, halb auf Deutsch« – Hornemann) sowie mit einem Engländer (Litvinoff). Selbst in den USA sprach er oft auf Deutsch: wahrscheinlich mit Dreiblatt, sicherlich mit Loewe, Marx und Infeld (die alle für deutschsprachige Medien schrieben). Seine dänischen, schwedischen und finnischen, polnischen und tschechischen Gesprächspartner konnten fast alle Deutsch; die Franzosen Delpech und Bourdet erwähnen diese Verständigungssprache sogar direkt (bei Bergery und Leclerc ist dagegen Englisch wahrscheinlich). Mit Jacobbi kam es zu einem »Gespräch in diversen Sprachen, wild vermischt« (vor allem Französisch), während Collino Pansa, Pandolfi und Lazzari nachweislich Dolmetscherinnen zur Verfügung standen. Aber in der Regel waren deutsche Sprachkenntnisse Bedingung für ein erfolgreiches Interview. Diese Vermittlung, die Brecht mit einem immer globaleren Publikum verband, ist zweifellos eine der wesentlichen Leistungen der Journalist:innen.

*

In den die Interviews einleitenden Texten werden die Gesprächspartner:innen, das Medium und der Anlass kurz vorgestellt, ggf. unter Heranziehung von Memoiren oder Archivmaterial zur Gesprächssituation. Wo Angaben in den Interviews unpräzise sind, geben die Fußnoten Auskunft; dort werden auch Anspielungen auf Inszenierungen und Premieren, auf Texte, Übersetzungen, Veröffentlichungen und andere Lebensereignisse erklärt. Namen und Lebensdaten sind im Personenregister angeführt; Binnenverweise erfolgen mit Pfeil (→) und Seitenangabe. Sekundärliteratur wird nur auf Deutsch zitiert – ggf., wo nicht anders gekennzeichnet, in der Übersetzung des Herausgebers. Zeitgenössische Zeitungs- und Zeitschriftenartikel werden in der Bibliografie nicht aufgeführt; Kurzbelege werden stattdessen im Fließtext angegeben. Fast alle Interviews konnten den originalen Zeitungen entnommen werden; in einigen Fällen waren nur Zeitungsausschnitte zu finden (i. ‌d. ‌R. aus Brechts eigener Sammlung im BBA), weshalb bibliografische Angaben fehlen können. Die typografische Vielfalt der Originale ist in Buchform kaum wiederzugeben; auf eine völlige Standardisierung wurde jedoch verzichtet, offensichtliche Tipp- oder Druckfehler wurden stillschweigend korrigiert. Fremdsprachige Interviews, die zu Brechts Lebzeiten auf Deutsch erschienen, werden in den historischen Übersetzungen wiedergegeben.

Im Nachwort wird Brechts Medienarbeit ästhetisch und politisch in die Geschichte des Interviews eingeordnet.

Kurz nach Brechts Tod träumte sein Freund Hanns Eisler von einem Band »›Gespräche mit Brecht‹«, der in einer Reihe mit EckermannsGesprächen mit Goethe stehen könnte: Es wäre »eine literarische Sensation, […] weil da ja glänzende Formulierungen, Gedanken, Einsichten veröffentlicht werden können« (Eisler 1975, S. 36).8 Neben einer Fülle von biografischen Details, vergessenen Geschichten und unbekannten Persönlichkeiten sind auch sie in diesem Band reichlich zu finden.

Noah Willumsen

1Hauptmanns Tagebuch ist (mit kleinen Abweichungen) in NB 5 nachgedruckt.

2Vgl. »Aperçu über Kritik«, BFA 21, S. 325.

3Über Oswald SpenglersUntergang des Abendlandes (1918) hatten Brecht und Warschauer schon 1920 diskutiert (BFA 26, S. 168).

4Zum geplanten, nicht realisierten Interview mit Warschauer → S. →.

5Günter Glaeser etwa glaubte, dass die Existenz von weiteren Interviews »höchst unwahrscheinlich« sei, da Brecht diese Art von Öffentlichkeit gemieden haben soll (Nagavajara 1994, S. 50).

6So sein Freund Henry Peter Matthis, zit. nach Gebhardt 1966, S. 38.

7BiG I, eine Sammlung von sehr verschiedenartigen Zeugnissen, enthält einen Anhang mit fünf Zeitungsinterviews, der in der DDR-Ausgabe (BiG II) fehlt, die dafür zwei Rundfunkgespräche aus der DDR aufweist (vgl. Seidel 1978). Einige Gespräche wurden in John Willetts Sammlung Brecht on Theatre. The Development of an Aesthetic (1964) aufgenommen und dadurch international rezipiert. Als sehr nützlich erwiesen sich für die Recherche zu dieser Sammlung die Studien von Helge Hultberg (1962), James K. Lyon (1980, 1994), Hans Peter Neureuter (2007), Ingrid Pietrzynski (2003) und Werner Wüthrich (2003, 2015). Barbara Konietzny-Rüssels vielversprechende Abhandlung (2007) bietet dagegen in Ermangelung eigener Archivforschung wenig mehr als eine ausführliche Rezension von BiG I.

8Friedrich Dieckmann griff diesen Vorschlag auf und empfahl, einen solchen Band »in die Planungen der Brecht-Editionen« aufzunehmen (Dieckmann 1973, S. 22), doch die Herausgeber der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe (1988-2000) bestanden auf dem Editionsprinzip der Schriftlichkeit (vgl. Knopf 2003, S. 456, und Wizisla 1999, S. 37).

Interviews 1926-1956

»Von der Qualität einer Zahnpasta bis zu politischen Problemen«

Berlin, 1926-1932

Raimondo Collino Pansa – 15. Februar 1926

Brechts erstes Gespräch mit einem Pressevertreter war offenbar ein Fehlschlag. Über das Treffen am 30. Januar schreibt Elisabeth Hauptmann in ihrem Tagebuch: »Brecht ist gestern von Secolomann interviewt worden. […] Er sagt, der Italiener sei ein dummer Mann, so durch + durch Gefühl – eben dumm« (NB 5, S. 727). 

Der Italiener war Raimondo Collino Pansa. Nach seinem Militärdienst im Ersten Weltkrieg arbeitete er als Journalist und wurde Chefredakteur von La Libertà, Organ der Liberalen Partei Trentino. Mit Il Trittico del fante (1919) trat er auch als Dichter auf, 1923 wurde er London-, dann Berlin-Korrespondent für die traditionsreiche liberaldemokratische Mailänder Tageszeitung Il Secolo. Vor der Jahrhundertwende war sie die meistgelesene Zeitung Italiens; in den 1920er Jahren hatte sie allerdings nicht nur stark an Bedeutung eingebüßt, sondern war 1923 auch auf eine neue redaktionelle Linie umgeschwenkt: die vorbehaltlose Unterstützung von Mussolini. Trotz ihres enthusiastischen Konformismus konnte die Zeitung sich nur bis 1927 halten. 

Vermutlich war das Gespräch für Collino Pansas Kolumne »Die intellektuelle Bewegung in Deutschland« in Secolos kultureller Monatsschrift Secolo XX vorgesehen; offenbar war er mit dem Resultat unzufrieden. Erst der Eklat bei der Matinee vom Lebenslauf des Mannes Baal. Dramatische Biografie unter Brechts Regie am 14. Februar 1926 gab den Anlass für eine Verwertung. So hat sich in seinem Bericht darüber die letzte Spur vom verlorenen ersten Interview Brechts erhalten – wenngleich Brecht später schimpfte, dass dabei »alles ganz anderes herausgekommen [ist] als ich es gemeint hatte« (→ S. →). 

Wie viel Deutsch Collino Pansa verstand, ist unklar; jedenfalls notierte Hauptmann, dass »Lotte Eisner dolmetschte« (NB 5, S. 727) – eine Freundin Brechts, die später als Filmkritikerin berühmt wurde und damals für das Berliner Tageblatt und Die literarische Welt schrieb. Da sie auch Englisch, Französisch und Italienisch konnte, führte sie häufig »Interviews mit ausländischen Künstlern« (Eisner 1988, S. 75). An der unglücklichen Schreibweise von Brechts Namen war Collino Pansa aller Wahrscheinlichkeit nach unschuldig. Um noch am selben Tag in Mailand erscheinen zu können, musste sein Bericht wohl telefonisch übermittelt werden. 

Das junge Theater und Mussolini

sorgen für zwei stürmische Aufführungen in Deutschland

Berlin, 15. Morgens. 

(R. ‌C. ‌P.) Gestern Morgen wurde das intellektuelle Berlin zu einem literarischen Duell zwischen den Vertretern des neuen und des alten Theaters geladen. In Deutschland gibt es zurzeit eine lebhafte Bewegung gegen das von Max Reinhardt verkörperte Theater.1 Seine Inszenierungen empfindet man als sehr pompös, zwar überreich an Farben, doch nicht reich an Leben und Dynamik. So bildete sich die Vereinigung des jungen Theaters, die eine geradezu schematische Nüchternheit zum Ziel hat, und wir sind Zeugen eines Versuchs, der an die Rückkehr zum Präraffaelismus in der Malerei erinnert.2

Eine der Leitfiguren dieser Bewegung, Bertoldo Bretht, hat gestern Morgen eines seiner Werke vorgestellt: Ball, in dem in einer langen Reihe von Bildern, über den Zeitraum von vierzehn Jahren, aus dem Leben eines einfachen Mannes erzählt wird. Zu jedem Akt tritt ein Erzähler vor, um das Thema anzukündigen, das behandelt werden soll. Bretht selbst behauptete, dass sein Theater an die Schlichtheit der Vision der Laterna magica erinnern soll. Die Ausstattung ist äußerst merkwürdig. Die Handlung spielt sich zwischen zwei Kulissen ab, die wie ein offenes Buch schräg zueinander aufgebaut sind. Der verbleibende Bühnenraum stellt die Straßen der Stadt oder den Wald dar, je nachdem. Die Aufführung wurde mit Pfiffen und Applaus aufgenommen. 

Viele ältere Damen der höheren Schichten, die die Tradition vertraten, gekleidet in prächtige Pelze, fielen dadurch auf, dass sie mit kleinen Trillerpfeifen vor dem Mund beharrlich pfiffen.3 Es brach ein Handgemenge aus, welches sich im Hof des Theaters fortsetzte und ein Einschreiten der Polizei erforderte. Das Kuriose dabei ist, dass der Versuch im Deutschen Theater stattfand, das zu den Reinhardt-Bühnen gehört und für den Anlass angemietet worden war. Das Theater wurde dafür ausgewählt, den Charakter des Kampfes und der Herausforderung zu betonen. 

Gestern wurde in Breslau eine neue Fassung von GoldonisDiener zweier Herren aufgeführt. Das Publikum demonstrierte mit feindseligen Rufen gegen Mussolini. Der Welt am Montag zufolge hat das krakeelende Publikum die Bühne stürmen wollen und sogar Stühle gegen die Schauspieler geworfen, sodass die Aufführung unterbrochen werden musste und erst nach einer guten halben Stunde fortgesetzt wurde, nachdem mehrere Zuschauer von der Polizei abgeführt worden waren.4

R. ‌C. ‌P., »Il teatro giovane e Mussolini rendono burrascose due recite in Germania«, in: Il Secolo, 15. Februar 1926, Jg. 59, Nr. 21715, S. 2. – Aus dem Italienischen von Raffaella di Tizio und Noah Willumsen.

1Mit berühmten Inszenierungen wie Sommernachtstraum (1905) führte Reinhardt ein sinnliches, fantastisches Regietheater ein. Er leitete mehrere Theater in Wien und Berlin, darunter das Deutsche Theater, wo Brecht von 1924 bis 1925 als Dramaturg angestellt war.

2Die Junge Bühne, 1922 von Moriz Seeler gegründet, veranstaltete Matineen an wechselnden Berliner Bühnen, bei denen junge Autoren wie Arnolt Bronnen, Marieluise Fleißer und Brecht neue, oft provokative Werke zur Aufführung bringen konnten. Trotz ihres Minimalbudgets war es »eine Angelegenheit von ›Tout Berlin‹, und die Leute opferten gern ihre Sonntagvormittagsruhe, um bei einer solchen Theaterschlacht dabei zu sein« (Zuckmayer 1966, S. 445). Nach Baal war »der Höhepunkt der ›Jungen Bühne‹ überschritten und vielleicht auch ihre Mission erfüllt« (Tramer 1965, S. 261); Brecht wandte sich gegen das Projekt (→ S. →) und es kam nach Jahresende nur zu einem weiteren Versuch.

3Ein Zuschauer erinnerte sich: »Man pfiff, schrie, heulte, klatschte im Zuschauerraum. Die Schauspielerin schwang sich aufs Klavier, bearbeitete mit den Füßen die Tasten und sang dazu: ›Allons, enfants de la patrie!‹ Der Lärm wurde ungeheuer. Ich glaubte, eine Panik werde ausbrechen« (Jahnn 1957, S. 425). Andere waren allerdings überzeugt, »hätten nicht ein paar Trillerpfeifen etwas Leben und Bewegung in das Haus gebracht – es wäre ein stilles, stimmungsloses Leichenbegängnis geworden« (Hollaender 1932, S. 91). Unter denen, die »durch provozierendes Lachen und Reden« störten, war Alfred Kerr (Ihering 1967b, S. 221).

4Carlo Goldonis beliebtes Commedia-dell'arte-Stück Der Diener zweier Herren (1746) wurde am 13. Februar 1926 von Renato Mordo am Breslauer Thaliatheater inszeniert; Carola Neher spielte Beatrice. Wie in Berlin berichtet wurde: »Hier erregte nun zunächst die in Tairoffs Spuren wandelnde Art der Inszenierung Unwillen und Unruhe. Dann putschten einige besonders ›christlich-deutsche‹ Führer die Menge durch Rufe wie ›Mussolini!‹ auf, und ein kaum glaublicher Skandal begann. Das Publikum stürzte schreiend gegen die Bühne vor, Stühle wurden nach den Darstellern geworfen, die Vorstellung musste abgebrochen werden. Erst nachdem Hunderte das Haus verlassen, wurde das Spiel beendet« (Die Welt am Montag, 15. Februar 1926).

Regina Reicherówna – 9. Mai 1926

Als Kritikerin und promovierte Germanistin rezensierte Regina Reicherówna literarische und literaturwissenschaftliche Werke v. ‌a. aus dem germanischen Sprachraum für Wiadomości Literackie (›Literarische Nachrichten‹), die wohl wichtigste Literaturzeitschrift Polens. Die 1924 von Antoni Borman und Chefredakteur Mieczysław Grydzewski gegründete Wochenschrift stand dem Dichterkreis Skamander nah und war progressiv, aber parteilos. Wie Die literarische Welt in Berlin, deren Beiträge nicht selten von WL nachgedruckt wurden, nahm sie sich Les Nouvelles littéraires (→ S. →) zum Vorbild. Sie zeichnete sich durch die Breite und Internationalität ihrer Interessen aus, die sich in Reportagen, Literaturberichten und Interviews niederschlugen: Allein 1926 wurden etwa Ilja Ehrenburg, Hugo von Hofmannsthal, Luigi Pirandello und Paul Valéry von ihr befragt.

Reicherównas Interview mit Brecht gehört zu einer Reihe von Gesprächen, die sie im April 1926 bei einem Aufenthalt in Berlin führte. Wie sie in ihrem Artikel erklärt, orientierte sie sich dabei an Vorschlägen aus der Redaktion der Literarischen Welt, die gleichzeitig eine ähnliche Interviewreihe gestaltete (→ S. →). Außer mit Brecht sprach Reicherówna mit Alfred Döblin, Bernard Kellermann, Jakob Wassermann und – offenbar nach Brechts Empfehlung – mit Gottfried Benn; im nächsten Jahr folgten Gespräche mit Arnolt Bronnen und Thomas Mann. Über ihre Karriere danach ist wenig bekannt; sie widmete sich weiter der deutschen Literatur, bis sie 1939 im deutschen Bombenangriff verstarb.

Junge deutsche Dramatiker

Bertolt Brecht

Eigenes Interview der »Wiadomości Literackie«

Berlin, im April 1926

In Brechts »Baal« sagt ein halb betrunkener alter Bettler: »Geschichten, die man versteht, sind nur schlecht erzählt.«1 Mithin auch von allem gereinigt, wodurch sich das merkwürdige Geflecht der Wurzeln alter, tief in die Erde eingewachsener Bäume vom durchschaubaren Mechanismus eines Kinderspielzeugs unterscheidet. Brechts Dramen sind, entgegen allem Anschein, so verwickelt und voller Unklarheiten wie das Leben selbst. »Baal« ist übrigens weniger die Fiktion eines Dichters als vielmehr die tatsächliche Biografie eines Menschen, der alles Mögliche durchlebte: Er war ein genialer Verführer, arbeitete eine Zeit als Kellner in einem zweitklassigen Restaurant, schrieb sich der Kriminalpolizei einigermaßen fatal ins Gedächtnis, wurde zum Liebhaber einer Milliardärin und betätigte sich später als Zuhälter.2 Dieser Mensch, der pausenlos seine Beschäftigung wechselte, hatte angeblich immer ein unglaubliches Glück – auf unerklärliche Weise vermochte er seine Umgebung zu bezaubern.

In Brechts Stück ist er, was er wirklich war: ein Mensch, der das Leben wie eine reife Orange aussaugt, um schließlich in Furcht und Einsamkeit zu sterben – mit »soviel Himmel ‌… unterm Lid«.3 Brecht schreckt nicht vor dem einzigartigen Durcheinander der Ereignisse zurück, wie es nur das Leben selbst hervorzubringen vermag; seine dramatische Geschichte vom Baal hat nichts vom in der deutschen Literatur traditionellen Typ der »Entwicklungsgeschichte«.4 Baal stirbt vor der Tür einer Hütte, die Augen zu den Sternen gewandt, nicht besser, nicht klüger, nur des Lebens satt. Womöglich ist dieser statische Umgang mit der Handlung des Dramas ein Ausdruck des lyrischen Temperaments des Autors. Brecht schreibt schöne Balladen, von denen ein großer Teil in einem Band mit dem Titel »Die Hauspostille« erschienen ist.5 Der Verfasser von »Baal«, »Im Dickicht« und »Trommeln in der Nacht« ist außerdem (zusammen mit Lion Feuchtwanger, dem Verfasser des Romans »Jud Süß«, wie Brecht in der Einleitung zu dem Drama anmerkt) Autor einer auf Marlowe zurückgehenden »Geschichte« über Edward II.6 Es besteht kein Zweifel daran, dass er viel von den alten englischen Dramatikern gelernt hat. Doch neu und originell ist in seinem Drama die Gleichwertigkeit der Ereignisse – es gibt hier keine Peripetien und Momente der höchsten Spannung, es gibt nicht einmal unerhörte Abenteuer, alles spielt sich auf einer Ebene ab. Diese Ereignisfülle, die bisher nur in der Epik möglich war, hat Brecht ins Theater eingeführt.

* * *

Um zehn Uhr morgens klopfe ich an Bert Brechts Tür. Er wohnt im sechsten Stock, in einem Maleratelier, das durch eine Art verborgene und enge Leiter mit dem Haupttreppenhaus verbunden ist.7 Von innen ist ein nervöses »Hallo« zu vernehmen, und kurz darauf erscheint die in eine lederne Aeronautenjacke gekleidete schmale Gestalt Brechts in der Tür. Durch das von Sonne durchflutete Atelier führt mich der deutsche Dramatiker in ein kleines Zimmer, in dem außer dem noch nicht allzu ordentlich gemachten Bett zwei Stühle an einem kleinen Tisch stehen; ich bekomme den besseren, während Brecht sich mit akrobatischem Geschick auf dem zweiten, löchrigen und zur Schau mit einem orientalischen Kelim bedeckten Stuhl niederlässt. Er erzählt mir von seinen Arbeiten wie jemand, der mühsam eine Masse verstreuter, einander jagender Gedanken in logische Kategorien zu fassen versucht. Das ist aber keineswegs ein unklares Denken. Im Gegenteil, Brecht scheint in seinem Kopf alles sehr gut geordnet zu haben. 

– Herr Brecht, wie es scheint, haben Sie nicht zur Gruppe der Expressionisten gehört.

– Nein. – Brecht lächelt verlegen. – Ich bin sehr viel später gekommen ‌… Wen planen Sie hier noch zu besuchen?

Ich zähle die Autoren auf, die man mir in der Redaktion der »Literarischen Welt« empfohlen hat.

– Das ist zu wenig, – sagt Brecht. – Man hat Ihnen die besten Leute verschwiegen. Gehen Sie zu Gottfried Benn,8 zu Feuchtwanger, zu Ihering. Die »Literarische Welt« ist eine Clique für sich. Davon gibt es in Berlin eine ganze Menge.

– Und welcher Clique würden Sie sich zurechnen?

– Einer Gruppe von jungen Regisseuren, Schauspielern und Theaterleuten überhaupt. Ihering, Kortner, Engel, Piscator zählen dazu.

– Ist diese Gruppe mit einem bestimmten Berliner Theater verbunden?

– Nein. Unsere Theater sind rückständig. Und selbst wenn sie Werke neuer Autoren wie Bronnen spielen, dann wissen sie nicht, wie man sie spielen muss.9 Reinhardt gehört ganz und gar zum alten Theater. 

– Warum organisieren sich dann die jungen Autoren und Schauspieler nicht eine eigene kleine Bühne? In Deutschland gibt es doch mehr Mittel als irgendwo sonst.

– Aber es gibt keine Schauspieler. Es gibt keine jungen Schauspieler. Die alten sind demoralisiert, und die jungen sind eigentlich auch schon alt. Das neue Theater muss sich eigene Schauspieler und ein eigenes Publikum heranziehen.

In diesem Augenblick geht mir der Gedanke durch den Kopf, dass die jungen Autoren bei uns wegen des deutlich geringeren Ballasts der Tradition auch weniger Schwierigkeiten zu überwinden haben.

– Warum versuchen Sie denn nicht, mit einem polnischen Theater ins Gespräch zu kommen?

– Ja, – sagt Brecht, der fest zu glauben scheint, Warschau liege in Prag, das seiner Überzeugung nach in der gegenwärtigen Ordnung ein eigener und unabhängiger Staat ist, – ich habe gehört, dass es in Prag gute Theater gibt.

– Nein, Warschau ist die Hauptstadt von Polen, und Prag gehört noch zu Tschechien. Geographie ist eindeutig nicht Ihre Stärke. Aber das macht nichts. Auch wir haben gute Theater!

– Kann man denn dort komplizierte Sachen spielen? Meine Stücke verlangen eine sehr komplexe Inszenierung. Das wäre wirklich sehr angenehm. Man könnte dort hinfahren und alles anschauen. Ich glaube, es gehen sogar Aeroplane dorthin.

– Ja, gehen sie. Aber man kann auch mit dem Zug fahren. Das ist sicherer. Die Reise dauert nur zwölf Stunden.

In diesem Augenblick spüre ich, dass ich ewige Verachtung auf mich gezogen habe. Aber Brecht ist zu verblüfft über die geringe Entfernung zwischen Warschau und Berlin. Er dachte natürlich, nach Warschau sei man eine Woche unterwegs. Doch trotz allem ist er einer der besten Männer des Gegenwartstheaters. Shakespeare war noch schlechter in Geographie.10 Brecht notiert sich die Adressen polnischer Theater, besonders interessiert ihn die Nachricht von einer Inszenierung von Kaisers »Kolportage« in Verbindung mit einem Kinematographen.11

– Ich inszeniere meine Stücke selbst. Vor kurzem wurde in Berlin mein letztes Stück, »Baal«, gespielt, das ich ebenfalls selbst inszeniert habe.12

– Welchen Weg wird das neue Theater gehen? 

– Es ist nicht leicht, das präzise zu beschreiben. Ich habe vor kurzem versucht, es einem wichtigen italienischen Kritiker zu erklären, der mich für »Secolo« interviewte, und hinterher ist alles ganz anderes herausgekommen, als ich es gemeint hatte.13 Ich stelle mir die Sache so vor: Unter den heutigen Umständen hat das Theater nicht einmal ein Publikum. Die Menschen, die heute ins Theater gehen, haben keine Einfachheit, keine Naivität mehr. Das neue Theater braucht ein neues Publikum. Wir müssen die Massen ins Theater bringen. Der soziale Umsturz ist eine notwendige Voraussetzung für eine Reform des Theaters.

– Bei uns in Łódź gab es eine Arbeiterbühne.14 Aber dort sind vor allem Menschen hingegangen, die sich beruflich mit dem Theater befassten. Obwohl im Ensemble Arbeiter waren, haben sich die Arbeitermassen nicht besonders für die Bühne interessiert.

– Weil die Arbeiter noch nicht genug Erfahrung haben, um das moderne Theater zu verstehen. Sie müssen noch vieles lernen. Heute gefallen ihnen vor allem realistische Inszenierungen, Lokomotiven, die auf die Bühne gefahren kommen, Pferde, Tiere, echter Schnee. Aber ich denke nicht an die Arbeiter, sondern an etwas dazwischen, an die Leute aus der entlegenen Provinz, an Handwerker, an Studenten, die sich noch die Naivität und Einfachheit des Empfindens bewahrt haben.

– Heißt das, dass sich das künstlerische Programm für Sie unmittelbar mit dem sozialen Programm verknüpft?

– Ja, genau darum geht es.

– Es scheint, als würden die meisten jungen Autoren in Deutschland so denken.

– In jedem Fall vertreten sie alle linke Positionen. Es gibt hier sogar eine Gesellschaft in der Art der französischen »Clarté« – sie heißt »Linke Leute«.15 Wir sind aber keine Parteileute.

– Und was möchten Sie in Ihren Dramen letztlich erreichen?

– Ich versuche, epische Elemente ins Drama einzuführen, mehr Naivität, mehr Primitivismus.16 Alle meine Stücke zielen eigentlich in diese Richtung. 

– Wie kommen Sie zu Ihren Ideen?

– Wenn ich das wüsste ‌… Beim Zeitunglesen.

– Was schreiben Sie jetzt?

– Ich schreibe amerikanische Erzählungen, die »Die Erbauung New-Yorks« heißen werden und die Zeit der Entstehung Amerikas und die Rolle der großen Millionäre wie Vanderbilt behandeln.17 Außerdem schreibe ich eine Komödie mit dem Titel »Mann ist Mann«.18

– Ist das alles?

– Außerdem arbeite ich an einer Biografie des amerikanischen Boxers Samson-Körner.19 Das ist Samson da im anderen Zimmer, einer meiner Freunde hat ihn gemalt.

Brechts helles Atelier hat etwas von der Schlichtheit und Zweckmäßigkeit seiner amerikanischen Ideen.

– Wie schön Sie es hier haben, sage ich unwillkürlich.

– Ach, es ist schrecklich.

– Spielen Sie?

(An der Wand steht ein in die Ecke gezwängtes Klavier.)

– Erbärmlich.

Regina Reicherówna.

→Regina Reicherówna, »Młodzi dramatopisarze niemieccy Bertolt Brecht. Wywiad własny ›Wiadomości Literackich‹«, in: Wiadomości Literackie, 9. Mai 1926, Jg. 3, Nr. 19 (123), S. 2. Mit zwei Porträtfotos von Brecht bzw. Brecht und Paul Samson-Körner (Alice Domker). – Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann.

1Vgl. BFA 1, S. 60.

2Den dokumentarischen Charakter betonte Brecht mit dem Titel der neuen Fassung, Lebenslauf des Mannes Baal. Dramatische Biografie, die im Februar aufgeführt wurde (→ S. →). Er insistierte schon im Januar, dass es sich dabei um »das Leben eines Mannes, der wirklich gelebt hat«, handele; dass er ihn nur als »Josef K.« identifizierte, ließ aber Zweifel an seiner Behauptung aufkommen (BFA 24, S. 11; vgl. aber Hillesheim 2005, S. 235).

3Aus »Choral vom Manne Baal« (BFA 11, S. 108).

4Deutsch im Original, ebenso die im Folgenden genannten Titel von Brechts und Feuchtwangers Werken.

5Obwohl die Gedichte schon im Satz waren, trat der Kiepenheuer-Verlag Ende Mai doch vom Vertrag zurück, woraufhin sie nur als »einmaliger unverkäuflicher Privatdruck« in 25 Exemplaren erschienen; die offizielle Erstveröffentlichung im Propyläen-Verlag erfolgte erst 1927 (vgl. BFA 11, S. 301).

6Brechts erste drei Stücke, für die er 1922 den Kleist-Preis bekam, waren Baal, Trommeln in der Nacht, das erste aufgeführte Brecht-Stück überhaupt (Premiere: 29. September 1922), und Im Dickicht (ab 1927: Im Dickicht der Großstädte, Premiere: 9. Mai 1923). Leben Eduards des Zweiten (1592) des elisabethanischen Dramatikers Christopher Marlowe bearbeitete Brecht mit seinem Freund und literarischen Mentor Lion Feuchtwanger (Premiere: 19. März 1924). Nach einem Streit über die Autorschaft musste Brecht dem Stück einen Hinweis voranstellen: »Dieses Stück schrieb ich mit Lion Feuchtwanger« (BFA 2, S. 8).

7Helene Weigel überließ Brecht ihre Atelierwohnung in der Spichernstraße 16 (Wilmersdorf) im Februar 1925, wo er bis zu seinem Umzug in die Hardenbergstraße 1A im Oktober 1928 wohnt.

8Trotz ihrer politischen Gegensätzlichkeit zählte Brecht den »todessüchtigen Benn«, den er seit 1922 kannte, zu den Repräsentanten der »jungen Generation« (BFA 15, S. 300; NB 5, S. 729).

9Die Aufführung von Arnolt BronnensVatermord mit der Jungen Bühne wäre 1922 Brechts erste Regie gewesen, wenn er nicht aufgrund von Konflikten mit den Schauspieler:innen ersetzt worden wäre. Bronnen war seit 1921 enger Freund und Mitarbeiter Brechts, näherte sich aber später den Nationalsozialisten an; sein Verhältnis zu Brecht kühlte merklich ab.

10Shakespeare schickt Antigonus (wissentlich oder nicht) mit dem Schiff nach »Böhmen, eine wüste Gegend am Meer« (Wintermärchen, III.3).

11Brecht lobte Georg Kaiser als Begründer einer rationalen Dramaturgie und schimpfte ihn als den »redselige[n] Wilhelm des deutschen Dramas« (BFA 21, S. 49). Kaiser schrieb um die 70 Theaterstücke, darunter die Komödie Kolportage (1924, vgl. BFA 21, S. 118); Reicherówna bezieht sich auf die Warschauer Inszenierung von Aleksander Zelwerowicz (Premiere: 7. April 1925, siehe WL, 11/1925).

12Zur Inszenierung → S. →.

13Das Interview mit Collino Pansa → S. →.

14Scena Robotnicza (1923-1927), geleitet von Witold Wandurski.

15Clarté war ein internationalistischer, pazifistischer Intellektuellenverein um Henri Barbusse. Sein deutsches Pendant, ›Linke Leute‹, von Kurt Hiller begründet, trat 1926 mit dem Programm auf, »von der Zukunft her gegen das Konservative in der Gegenwart Opposition [zu] machen« (Berliner Tageblatt, 1. März 1927). Beteiligt waren neben Richard Huelsenbeck, Martin Raschke und Erich Weinert mehrere Mitglieder der Gruppe 1925 (→ S. →) wie Brecht, Ernst Blass, Manfred Georg und Walter Mehring.

16Erste Erwähnung des ›epischen Theaters‹ im Druck. In einem Tagebucheintrag aus dieser Zeit protokolliert Hauptmann Brechts erste »Formel fürs ›epische Theater‹«: »aus dem Gedächtnis spielen« (NB 5, S. 732). Das Gespräch mit Guillemin, in dem Brecht sich »für das epische Theater« ausspricht, fand, obwohl erst im Juli gedruckt, schon im Februar 1926 statt (→ S. →).

17Als Titel sonst nicht überliefert; Knopf identifiziert die Erzählungen mit dem Stückentwurf Dan Drew (1925/26), der den Aufstieg und Untergang des gleichnamigen Eisenbahnbarons im Konkurrenzkampf mit Cornelius Vanderbilt behandelt (Knopf 2019, S. 18). Offenbar sind sie den »Ökonomieprojekten« wie Mann aus Manhattan (1924) und Jae Fleischhacker (1924-1929) zuzuordnen, in denen Brecht den modernen amerikanischen Kapitalismus und seine Krisen untersuchte (Berg und Jeske 1998, 81-91).

18Unter dem Titel Galgei arbeitete Brecht schon zwischen 1918 und 1921 daran; 1924 griff er den Stoff wieder auf und stellte mit Elisabeth Hauptmann die erste Fassung im Sommer 1926 bereit (Premiere: 25. September 1926).

19Brecht lernte Paul Samson-Körner 1925 über Emil Burri kennen. Aus seinem Interesse am Boxen und an neuen journalistischen Formen kristallisierte sich 1926 Der Lebenslauf des Boxers Samson-Körner, erzählt von ihm selber, aufgeschrieben von Bert Brecht (BFA 19, S. 216-235) heraus. Das in WL mitgedruckte Bild der beiden entstand als Werbefoto für den Lebenslauf in Querschnitt (3/1926).

Wolfgang Bardach – 29. Mai 1926

Durch seine eigentümliche Verbindung von sozialistischer Politik und ästhetischem Idealismus gehört der Theaterkritiker und -produzent Wolfgang Bardach zu den schillerndsten, wenn auch leider vergessenen Figuren der Berliner Theaterszene. Dabei wurden seine Angriffe auf ›Theaterkonzerne‹ wie den Reinhardts und seine Agitation für die Freiheit der Künste und die genossenschaftliche Organisation der Künstler breit rezipiert. Er schrieb für Die Weltbühne und Der Kritiker, vor allem aber für Das Kleine Journal. Wochenblatt für Politik, Gesellschaft, Theater, Börse, Sport, Film, eine progressive Zeitschrift mit hochkarätigen Kulturbeilagen, die die neuen journalistischen Formate wie Rundfrage und Interview in großem Stil pflegte. 

In den Jahrgängen 1925 und 1926 bildete die sogenannte ›Theaterkrise‹ das zentrale Anliegen ihrer Theaterbeilage Das Kleine Theater-Journal. Die einzige Lösung sah Bardach in der »Forderung nach einem neuen Kulturtheater«, das »absolut unabhängig von finanziellen und künstlerischen Hemmungen nur der Sache des Theaters dienen« sollte (KTJ, 15/1926). Die Junge Bühne (→ S. →, Fn. 2) war für ihn nur ein »Anfang auf dem Wege zum Kulturtheater«: Einerseits sei das Niveau der neuen Dramen (etwa von Marieluise Fleißer, KTJ 18/1926) zu gering, um »nur mit Uraufführungen lebender Dichter [zu] arbeiten«; andererseits habe sie sich zu sehr auf eine Strömung spezialisiert: »So wurde aus der ›Jungen Bühne‹ eine Bronnen-Brecht-Bühne«. In dieser Kritik unterschied sich Bardach deutlich von seinem Kollegen Hans Tasiemka (→ S. →), der mit seinem Artikel »Seeler – Bronnen – Brecht« ein klares Bekenntnis zu dem jungen Theater geliefert hatte (KTJ, 8/1926). Allerdings hatte Bardach als Leiter der Gemeinschaft für neue Theaterkultur, die eigene Matineen der ›jungen Generation‹ organisierte (Klaus Mann, Ernst Kamnitzer, Ernst Gläser), wenig Anreiz, Moriz Seelers Konkurrenzveranstaltungen zu loben. Gerade diese ablehnende Haltung kam Brecht zupass, als er sich von der Jungen Bühne zu distanzieren suchte. 

1933 wurde Bardach von seinem Beruf ausgeschlossen. Sein Plan, nach Brasilien auszureisen, scheiterte an den Papieren. 1941 wurde er der Firma Osram als Zwangsarbeiter unterstellt; er starb in Auschwitz (Ackermann/Heißerer 2014). 

Die Zukunft des deutschen Theaters

Eine Unterredung mit Bert Brecht

Immer wieder hört man in den künstlerischen Kreisen von einer Theaterkrise sprechen. Je nach der Einstellung des einzelnen werden die Gründe der Krise wo anders gesucht. Der Theaterdirektor meint die wirtschaftliche Krise, weil sein Theater schlecht besucht ist. Der Kritiker spricht von der Theaterkrise und meint damit das Fehlen eines starken Dramatikers. 

Aber auch von einer Darstellungskrise kann man sprechen. Wir hatten Gelegenheit, mit dem bekannten Dramatiker Bert Brecht ausführlich über die gegenwärtigen Theaterprobleme zu sprechen. 

Unser Gespräch nahm seinen Ausgang bei der »Jungen Bühne«. »Die junge Bühne«, so sagte Brecht, »war einmal eine revolutionäre Tat. Heute hat sie ihr Ziel erreicht und ist eigentlich überflüssig geworden.1 Um Stücke junger Dramatiker aufzuführen, braucht man keine Versuchsbühne mehr. Mit der »Jungen Bühne« ging es so wie mit der sozialdemokratischen Partei in der Politik. Beide sind heute staatserhaltende Elemente geworden. Die dramatische Jugend kommt heute an den Bühnen – z. ‌B. im Staatlichen Schauspielhause – zu Worte, so wie heute Sozialdemokraten in Ministerposten sitzen. Jetzt kommt es darauf an, die zweite wichtigere Theaterrevolution zu organisieren und durchzuführen.2 Die breite Masse des Publikums interessiert sich nicht mehr für das Theater. Sie hat keine Fühlung zu den Darstellern auf der Bühne. Wenn das Publikum ehrlich wäre, so würde es zugeben, daß es 

sich heute im Theater langweilt.

Die Schuld an dieser Tatsache liegt in der Darstellung. Das Spiel der Schauspieler geht nicht über die Rampe. So ist keine Beziehung mehr zwischen Bühne und Zuschauerraum. Wenn das Publikum trotzdem meistens ruhig zuhört, so liegt das an der guten Erziehung der Theaterbesucher, die sich fürchten, ihre Langweile offen zu zeigen und für ungebildet gehalten zu werden. 

Das Theater muß wieder erreichen, daß sich jeder Zuschauer so gut unterhält, wie er es in einem mittleren amerikanischen Film tut. So wie heute unsere Theater rein räumlich beschaffen sind, wird dieser ideale Zustand kaum erreicht werden können. Wir müssen bei Aufführungen auf die bisherigen Theater verzichten. Das Beste wäre, man würde in den Kinos der Münzstraße spielen.3 Gewiß ist das technisch unmöglich. Aber man wird versuchen müssen, in einfachen Biersälen zu spielen. Der Nachteil der unvollkommenen Bühne wird reichlich dadurch aufgewogen, daß das Publikum in einem Biersaal ganz anders sich einstellt. Hier läßt man sich nicht den langsamen theatralischen Stil gefallen. Hier zwingt man plötzlich den Schauspieler, der ja in einem Saale dem Publikum viel näher ist, 

freier und ungehemmter zu spielen.

Auf einer richtigen Bühne ist es unmöglich. Ich habe es im »Baal« versucht.4 In den ersten Proben waren die Schauspieler so, wie ich sie wollte und der Erfolg war da. Aber bei der Aufführung kam wieder der alte Theatergeist über sie und sie wurden von der alten Tradition wieder ergriffen. 

Gewiß wird dieses neue Theaterexperiment auf Widerstände bei den Schauspielern stoßen. Sie sind teilweise zu sehr an den alten Trott gewöhnt, als daß sie noch neue Wege gehen könnten. Trotzdem sollte man nicht mit Anfängern spielen, sondern mit den Schauspielern, die doch noch umzubiegen sind. Die größten Hoffnungen habe ich in dieser Beziehung für Homolka.5Auch Erwin Faber ist ein Schauspieler, mit dem ich in diesem neuen Geiste künstlerisch arbeiten könnte.6

Die Frage des Stückes ist beinahe nebensächlich geworden. Am besten ist für dieses neue Experiment Shakespeare, da er am leichtesten ist. Unter den jungen Dramatikern ist kaum einer, den es sich noch auf einer Experimentierbühne aufzuführen lohnt. Bronnens und meine eigenen Stücke kann jedes Theater spielen. Vielleicht Hesse-Buris »Amerikanische Jugend« ist ein Werk für eine Experimentierbühne.7

Gelingt es nicht, auf dem von mir gezeigten Weg eine 

neue Beziehung zwischen Theaterpublikum und Bühne

herzustellen, dann glaube ich, daß überhaupt unsere Generation die Fühlung nicht mehr mit dem Theater finden wird.« 

Auf meinen Einwand, daß diese neue Methode ganz starke Regisseure braucht, meinte Brecht: »Gewiß, unsere heutigen großen Regisseure werden diesen neuen Weg nicht mehr gehen können. Dann muß man eben nach neuen Regisseuren suchen. Ich halte es für gar nicht ausgeschlossen, daß Dilettanten die Aufgabe erfüllen können. Am besten ist es natürlich, wenn der neue Regisseur, wie ich selber, das Handwerk beherrscht und die technischen Dinge gelernt hat. Trotzdem hielt ich z. ‌B. die Regie des Dilettanten Bronnen bei der Aufführung von Jahnns »Pastor Ephraim Magnus« für interessanter, als die meisten anderen Regieleistungen unserer anerkannten Größen.8 Gewiß wird das erste Experiment einer Biersaalaufführung nicht glücken. Aber es muß unternommen werden, um der Sache des Theaters willen. Eine solche Aufführung wäre eine wirklich theaterrevolutionäre Tat.« 

Auf unsere Frage, ob Brecht bereit ist, die Konsequenzen aus seinen Anschauungen zu ziehen, antwortete er, daß er gerne einen Shakespeare oder Hesse-Buris »Amerikanische Jugend« in einem Biersaal inszenieren würde. Die »Gemeinschaft für Neue Theaterhalter« wird ihm in der nächsten Spielzeit dazu Gelegenheit geben.9

Wolfgang Bardach.

1In einem Notizbuch Brechts aus dieser Zeit heißt es: »Es war ein guter Gedanke, diese Bühne jung zu nennen, es lag darin, daß sie nur so lange Sinn haben sollte, als sie jung war« (BFA 21, S. 717).

2Vgl. »Die Liquidierung der Jungen Bühne« (BFA 21, S. 290-292).

3Berühmt-berüchtigte Kinostraße in Berlin. Brecht schreibt etwas später: »Das Theater wäre heute vielleicht imstande, mit seinen besten Schauspielern unter bester Regie des besten Stückes (von Shakespeare!) ein kleines Kino in der Münzstraße wirklich geistig zu rechtfertigen. In den großen Palästen muß es versagen« (BFA 21, S. 309).

4Zu dieser Inszenierung → S. →.

5Oskar Homolka spielte den Baal in der Inszenierung der Jungen Bühne sowie den Mortimer in der Uraufführung von Leben Eduards II. von England (→ S. →).

6Faber spielte den Kragler in der Uraufführung von Trommeln in der Nacht (Premiere: 29. September 1922), den Garga in der Uraufführung von Im Dickicht (Premiere: 9. Mai 1923) und die Titelrolle im Leben Eduards II. an der Seite Homolkas; sein Filmdebüt gab er in Mysterien eines Frisiersalons (1923) von Brecht, Erich Engel und Karl Valentin.

7Emil Burri (auch Hesse-Burri) war bei mehreren Stücken, etwa bei Mann ist Mann, Brechts Mitarbeiter; bei der Uraufführung von Die Mutter (Premiere: 17. Januar 1932) führte er Regie. Als die Junge Bühne BurrisAmerikanische Jugend inszenieren wollte, warnte ihn Brecht vor dem »gefährlichste[n] und korrumpierteste[n] Unternehmen der Berliner Theaterbourgeoisie« (BFA 28, S. 283); die Aufführung (Premiere: 15. Mai 1927) war ihre letzte.

8Für sein Drama Pastor Ephraim Magnus (1919) erhielt Hans Henny Jahnn 1920 den Kleist-Preis. Brecht bearbeitete das Stück für die Uraufführung in DAS Theater (Premiere: 24. August 1923); Regie, »in die Brecht öfters eingriff«, führte Bronnen (Bronnen 1978, S. 107).

9Gemeint ist die Gemeinschaft für neue Theaterkultur. Zu einer Zusammenarbeit ist es nicht gekommen.

Bernard Guillemin – 30. Juli 1926

Zunächst Nachrichtenredakteur bei Ullstein, dann Interviewer von Autoren wie Ernst Weiß und Thomas Mann, etablierte sich Bernard Guillemin bald als einer der »weitsichtigsten Literaturkritiker der 20er Jahre« (Roth 1978, S. 127). Angesichts verschärfter Zensurmaßnahmen wurde er Mitglied der linken Schriftstellervereinigung Gruppe 1925: Spätestens bei ihrer Gründung im November 1925 lernte er Brecht kennen sowie viele Schriftsteller aus dem Umfeld der Literarischen Welt, die zu ihrer wichtigsten Plattform wurde. 

Die 1925 von Willy Haas nach dem Vorbild von Les Nouvelles littéraires (→ S. →) gegründete Wochenzeitung sollte »mit aktuellen Neuigkeiten gefüllt [sein], literarischen Neuigkeiten, Neuigkeiten aus dem Theater- und Kunstleben, und zwar nicht nur aus Deutschland, sondern aus der ganzen Welt« (Haas 1983, S. 153). Sie sollte »eine Zeitung der offensten Diskussion« zwischen Literaten aller Lager sein (LW, 1/1925). Hauptanziehungspunkt waren die neuen journalistischen Formate: »die Rundfragen, die Zyklen […] und die Interviews« (Haas 1963, S. 488). »Was arbeiten Sie?« hieß eine Reihe von »Gespräche[n] mit deutschen Dichtern« über ihre Arbeitsgewohnheiten und -pläne, die vom 8. Januar 1926 an erschien: Franz Werfel, Alfred Döblin, Hugo von Hofmannsthal, Max Brod, Leonhard Frank, Robert Musil, Carl Sternheim, Jakob Wassermann, Thomas Mann und Bruno Frank und letztlich Bertolt Brecht wurden von Interviewern wie Haas, Leo Lania, Oskar Maurus Fontana und Klaus Mann befragt. Ursprünglich sollte das Gespräch mit Brecht von einem befreundeten Journalisten, Frank Warschauer, geführt werden (→ S. →); nach Warschauers Absage sprang Guillemin für ihn ein. Zum Termin am Morgen des 1. Februar ist Guillemin allerdings nicht erschienen: Seine Entschuldigung, er sei »vor 12 unausgeschlafen + unberechenbar«, soll Brecht »erstaunt« haben (NB 5, S. 727). 

Als sie sich später im Monat endlich trafen, gelang es Guillemin dennoch, eine produktive Gesprächssituation herzustellen, ohne sich in den Vordergrund zu drängen: »Ich möchte gleich sagen, dass ich keine interessante Unterhaltung zwischen Ihnen und mir bringen will. Ich will mich lediglich auf meine Funktion als Ausfrager […] beschränken, das heisst ich werde Ihnen einige Fragen vorlegen, die Sie mir, wenn Sie Lust haben, beantworten«. Er sei auch thematisch flexibel, sollte es »etwas Besonderes« geben, »über das Sie gerne […] interviewt werden« oder »worüber Sie nicht interviewt werden möchten« (BBA 0448/141). Hauptmann wohnte dem Interview bei und schrieb mit; ihre Notizen stimmen mit dem gedruckten Text weitgehend überein, obwohl einige Themen wie »Pirandello« und der »3. Richard« offenbar entfallen mussten (BBA 0448/142f.). 

Das Interview wurde breit rezipiert, ja sogar als Brecht-Werbetext eingesetzt (Köpnick 2018, S. 4). Als Robert Musil es las, soll er Guillemin erklärt haben, mit dessen 

Formulierungen bezüglich des Verhältnisses von Irrationalismus und Intellektualismus in der dichterischen Gestaltung, oder allgemeiner gesagt, Welterfassung, völlig übereinzustimmen. Er fügte sogar hinzu, daß dies auf sein eigenes Werk doch viel mehr zuträfe als auf Brecht, und bedauerte, daß ich meine Formulierungen nicht zu einer Charakterisierung der Absichten Musils in einem Gespräch mit ihm selbst aufgespart habe (Guillemin 1975, S. 28).

Auch Brecht beschäftigte das Gespräch weiter: In der zentralen Frage lässt sich unschwer die Inspiration für ein weiteres ›Interview‹ ausmachen, das er als »Mühsal der Besten« veröffentlichte: »›Woran arbeiten Sie?‹ wurde Herr Keuner gefragt. Herr Keuner antwortete: ›Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.‹« (BFA 18, S. 15) 

Noch 1926 wurde Guillemin Feuilletonchef der Magdeburgischen Zeitung, die er mit Beiträgen von Walter Benjamin, Alfred Döblin, Marieluise Fleißer und Brecht (BFA 19, S. 189-195, 196-198, 245-252, 276-279, 280-283, 596-598) zum Schaukasten für erstrangige moderne Literatur transformierte (vgl. Berg und Jeske 1998, S. 181). Nach 1933 wurde seine Kritik am Nationalismus und Irrationalismus nur eindringlicher und er musste bald das Land verlassen, erst nach Zagreb, wo er sich als Journalist in serbokroatischer Sprache zu etablieren versuchte, dann über Italien nach Kalifornien. Der Karriereneustart gelang ihm nicht noch einmal: »Hitler hat meine literarische Karriere zerstört« (zit. nach Roth 1978, S. 131). 

Was arbeiten Sie? / Gespräch mit Bert Brecht

Bert Brecht wohnt im Westen der Stadt, dicht unter dem Dach, aber zugleich hoch über den Dächern, in einem hohen, weiten Atelier.1 Er spricht – ohne den Fluß der Schönrednerei, vielmehr beständig mit dem Ausdruck experimentierend – eine keineswegs geschliffene, aber mit einfachen Gleichnissen durchsetzte und mit solchen Wendungen gesättigte Sprache, die aus dem eigentümlichen, unübersetzbaren Bestand – aus dem Vollen der Sprache selbst genommen sind. Zuweilen spricht er wegwerfend, auf eine den Gegenstand seiner Missbilligung gleichsam wegtilgende Art. Doch im ganzen gewinnt man den Eindruck, daß er zu jenen ganz wenigen Menschen gehört, die auch im Umgang mit den Ideen noch jene geistvolle und phantasiereiche Höflichkeit zu entfalten wissen, die heute fast ausgestorben ist. Vielleicht ist es nur dieser seltenen Höflichkeit den Ideen gegenüber zu danken, daß wir im Laufe unseres Gespräches überhaupt zu einem gemeinsamen Ergebnis gelangt sind. Das Ergebnis selbst erscheint mir wichtig genug, bereits an dieser Stelle vorweggenommen zu werden: Er war erreicht als Brecht das unauflösbar Chaotische im Stoffe selbst und die überragende Rolle des verstandesmäßigen Erkennens im Umgang mit den Stoffen gleichermaßen bejahte. Damit war der Punkt gewonnen, wo Irrationalismus und Intellektualismus sich versöhnen. Denn das höchste Gebot des Verstandes lautet: das Chaotische als einen nicht aufzulösenden Rest, gleichsam als den überlaufenden Teil des Wirklichen zu respektieren und die Gestaltung danach einzurichten. In der Einrichtung selbst aber waltet fast nur der Verstand. Desgleichen in der Haltung des wahren Empfangenden, der immer versuchen muß, das Kunstwerk bis zu jener letzten Grenze zu verstehen, wo eben das Chaotische beginnt. In diesem Sinne ist der Intellektualismus eine Methode des Geistes, der Irrationalismus eine Eigenschaft der Wirklichkeit. Dieser setzt jenem zwar eine Grenze. Da aber für den Geist die Grenzen bekanntlich im Unendlichen liegen, bedeutet jede voreilige Verwerfung des Intellektualismus zugleich eine Verkennung alles dessen, was im Endlichen irgendwie vollendbar ist, also letztlich nichts anderes, als eine gestaltfeindliche Trägheit vor dem Irrationalismus der Wirklichkeit.2 – Schließlich sei bemerkt, daß ich alles, was Brecht mir auf seine Weise – im Brechtschen »Slang« sagte, in eine absichtlich mit herkömmlichen Begriffen arbeitende Sprache übersetzt habe. Diese einer größeren Allgemeinheit dienliche Übertragung – das ist der ganze Sinn des Interviews.

»Habe ich unrecht, wenn ich in Ihnen zugleich einen Lyriker und einen Dramatiker sehe?« 

»Meine Lyrik hat mehr privaten Charakter. Sie ist mit Banjo- und Klavierbegleitung gedacht und bedarf des mimischen Vortrags. Im Drama hingegen gebe ich nicht meine private Stimmung, sondern gleichsam die Stimmung der Welt. Mit anderen Worten: eine objektiv angeschaute Sache, das Gegenteil von Stimmung im gewöhnlichen und poetischen Sinn.« 

»Das ließ sich bei der Aufführung Ihrer Stücke nicht immer erkennen.«