Until Us: Jinx - Mary B. Moore - E-Book

Until Us: Jinx E-Book

Mary B. Moore

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Beschreibung

Ein Tätowierer mit Alpha-Qualitäten. Eine zurückgezogen lebende Künstlerin. Zwei Welten, die mit einem Boom kollidieren. Als Sienna Blake sein Tattoostudio betritt, um ihre Narben überdecken zu lassen, ändert sich für Jinx alles. Nicht nur, dass er sofort eine unglaubliche Anziehung zwischen ihnen spürt, es gibt auch eine gemeinsame Geschichte. Was Jinx damals in der Highschool vermasselt hat, will er heute wieder gut machen. Er nimmt sich vor, Sienna zu helfen, wieder zurück ins Leben zu finden. Sienna weiß, dass man die Vergangenheit niemals ganz auslöschen kann. Manche Dämonen verfolgen einen für immer. Als sie Jinx begegnet, schöpft sie Hoffnung, sich den Schattenseiten des Lebens nicht länger alleine stellen zu müssen. Bleibt nur die Frage, ob ihre Liebe stark genug ist, um auch die dunkelsten Momente gemeinsam zu überstehen. Until Us: Jinx ist Teil von Aurora Rose Reynolds Until-Welt. Wenn du Until You: July geliebt hast, ist Until Us: Jinx ein Must Read.

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Seitenzahl: 343

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Mary B. Moore

© Die Originalausgabe wurde 2021 unter dem

Titel Until Jinx von Mary B. Moore veröffentlicht.

© 2024 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Mirjam Neuber

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Redaktion & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-EPUB: 978-3-903413-94-8

www.romance-edition.com

Inhalt

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

Epilog

Über die Autorin

WREAKING HAVOC

Leseprobe

Jinx

»Dein Zwei-Uhr-Termin ist fällig, Mann«, rief Ramon, unser Piercer, der sich auch um den Empfang kümmerte. »Sie hat eine Zeichnung mitgebracht und will damit eine Narbe abdecken, wenn ich sie richtig verstanden habe.«

Grübelnd bedeckte ich die Bank mit einem frischen Tuch. Narben lassen sich nicht so einfach übertätowieren, es sei denn, sie sind sehr alt und ziemlich eben. Selbst dann musste man ein spezielles Verfahren anwenden, weil das Gewebe die Farbe nicht gleichmäßig aufnimmt. Es gab viele Leute, die Narben überdecken wollten, und zwar so schnell wie möglich. Das war definitiv keine gute Idee, weil sich die Haut durch den Heilungsprozess noch jahrelang verändern konnte. Je älter die Narbe, desto besser.

»Hat sie gesagt, wie alt die Narbe ist?«

»Ja, alt.«

Die Tür am Eingang des Studios kündigte meinen Termin an. Wir hatten keine Klingel oder einen Gong, wie es in anderen Geschäften üblich war. Stattdessen machte sich eine Stimme bemerkbar, die Yo! rief, wenn jemand hereinkam. Das hatte ich meinem Partner Blaze zu verdanken.

»Er wird gleich bei dir sein«, sagte Ramon. »Er bereitet gerade alles für dich vor.«

Ich tätowiere schon seit so vielen Jahren, dass ich mir keine großen Gedanken machte, was mich erwarten könnte. Doch irgendetwas irritierte mich, als ich den Namen der Frau in meinem Kalender las. Sienna Blake.

Als ich sie wenige Minuten später begrüßte, änderte sich daran nur wenig. Meine Kundin war nicht ganz einen Meter siebzig groß und erdbeerblond. Mehr konnte ich nicht erkennen, denn sie hielt ihren Kopf gesenkt, als sie mir die Hand schüttelte.

»Hey Sienna, schön, dich kennenzulernen. Ich bin Jinx. Wir beide haben einen Termin.« Sie nickte nur, und ich deutete mit dem Daumen in den hinteren Bereich. »Komm einfach mit in mein Zimmer. Ich habe schon alles für dich vorbereitet.«

Ich warf Ramon einen fragenden Blick zu. Er zuckte nur mit den Schultern und schüttelte leicht den Kopf. Offenbar kam ihm die Situation auch etwas seltsam vor. Vielleich war die Kundin nur etwas angespannt und würde sich wohler fühlen, wenn ich ein wenig mit ihr plauderte.

»Hast du dir schon mal ein Tattoo stechen lassen?«, wollte ich wissen und bat sie mit einer Geste in mein Zimmer.

Als sie schließlich sprach, war ihre Stimme leise, kaum mehr als ein Flüstern, und klang rau. »Ich habe eins an meinem Handgelenk. Aber bei diesem hier wird es vermutlich anders sein.«

Normalerweise war ich ein schweigsamer Typ. Wenn ich etwas zu bemerken hatte, dann eher in kurzen Sätzen. Mit ihr war das anders. Ich hatte das Bedürfnis, mit ihr zu reden, um sie aus ihrem Schneckenhaus zu holen.

»Da könntest du recht haben«, erwiderte ich grinsend. »Wenn ich richtig informiert bin, willst du ein Cover-up irgendwo an der Seite, nicht wahr?«

Statt sich auf ein Gespräch mit mir einzulassen, wie ich gehofft hatte, nickte sie nur und betrat den Raum. Ich beobachtete sie und war so sehr damit beschäftigt, dass ich gegen den Tisch stieß. Mit einem lauten Quietschen verschob ich ihn um ein paar Zentimeter.

»Mein Fehler. Wir haben ...« Denk nach, Jinx, denk nach. »Wir haben etwas umgeräumt, und ich habe mich noch nicht daran gewöhnt.« Gäbe es eine Bewertung für lahme Ausreden, hätte ich garantiert die Höchstnote bekommen.

»Kein Problem.«

»Du kannst dich gern dort drüben an den Tisch setzen. Dann sehen wir uns gemeinsam an, was für ein Tattoo du gestochen haben möchtest. Ramon sagte, du hast konkrete Vorstellungen«, plapperte ich und blieb auch noch mit meinem Fuß an einem der Hocker hängen. Zum Glück bekam ich ihn zu fassen, bevor er umfiel, und setzte mich.

Was war nur mit mir los? Ich hatte gerade mal zwei Minuten mit dieser Frau verbracht und war schon so fasziniert von ihr, dass ich Möbelstücke übersah. Ich wusste ja eigentlich nur ihren Namen, der mich beschäftigte, seit ich ihn gelesen hatte. Vielleicht erinnerte er mich an den einer Schauspielerin oder Sängerin?

Sienna zog ein gefaltetes Blatt Papier aus ihrer Handtasche und reichte es mir wortlos mit leicht zitternder Hand.

»Du brauchst nicht nervös zu sein«, bemerkte ich möglichst beiläufig. »Ich steche schon seit Jahren und verspreche dir, dass ich einen guten Job machen werde.«

»Okay.«

Als ich das Papier auseinanderfaltete, war ich überwältigt von dem, was ich sah. Die Zeichnung bestand überwiegend aus riesigen Wellen, die so detailliert ausgeführt waren, dass ich das Gefühl hatte, sie könnten mich überrollen. Die Wellenkämme waren nicht weiß, sondern dunkel. Der Himmel darüber war beinahe schwarz vor Vögeln, die aufflogen.

»Verdammt«, sagte ich voller Bewunderung. »Wer immer das gezeichnet hat, ist ein Genie.« In der Schule und später auf dem College liebte ich den Kunstunterricht und hielt mich auch für recht gut darin. Ich liebte es, zu zeichnen und zu malen, aber so ein Konzept hätte ich mir niemals selbst ausdenken können.

»Danke«, sagte sie leise. Ich rollte auf dem Hocker sitzend näher an sie heran, bis ich weniger als einen halben Meter von ihr entfernt war.

»Darf ich fragen, wer das gezeichnet hat?« Sie hob den Kopf, und ich sah in ein wunderschönes Gesicht. Ihre braunen Augen wirkten etwas schwermütig, als sie mich anstrahlten.

»Das ist mein Entwurf. Ich wollte bildlich ausdrücken, wie ich eine unruhige Zeit in meinem Leben überwinde.«

»Also ein Tattoo, das für die Freiheit steht?«

»Nein, eher ein Tattoo, das mir meine Freiheit zurückgibt.« Sie sah mir in die Augen, während sie sprach, und ich hatte Mühe zu begreifen, was sie angedeutet hatte.

Es war nur schwer vorstellbar, dass jemand dieser Frau Böses wollte, und es tat mir weh, dass es jemand getan hatte.

»Was hast du für ein Tattoo auf deinem Handgelenk?«

Sie schob ihren Ärmel zur Seite und zeigte mir einen Pfeil, dessen gerade Linie einer Herzkurve glich. In der Mitte war eine kleine Lücke, als hätte das Herz für einen Moment ausgesetzt. Unter dem Motiv war ein Datum zu lesen, das elf Jahre zurücklag.

»Das habe ich mir drei Jahre nach dem Vorfall stechen lassen. Doch es reicht nicht. Ich muss auch die Narben loswerden, die mich immer daran erinnern. Deshalb bin ich hier.«

Ich biss mir auf die Unterlippe und betrachtete ihre Zeichnung, bevor ich zur ihr aufsah. »Deine Narben sind also elf Jahre alt?« Sie nickte, und ich lächelte sie aufmunternd an. »Ich hatte schon die Befürchtung, dass die Narben zu frisch sind. Dann sollte man nämlich kein Cover-up stechen, weil die Tinte verlaufen und das Tattoo ruinieren könnte. Aber in deinem Fall sollte das kein Problem sein.« Sienna hatte mir aufmerksam mit leicht geneigtem Kopf zugehört. Sie schien jede Information, die ich ihr gab, zu verinnerlichen.

»Ich habe absichtlich so lange gewartet, weil ich mir so was schon gedacht hatte. Mit einem missglückten Tattoo hätte sie vielleicht wieder mehr Macht über mich bekommen, und dann wäre alles umsonst gewesen. Ich lebte sehr zurückgezogen und musste mich erst darauf einstellen, den nächsten Schritt zu wagen. Jetzt war die Zeit dafür gekommen.«

Jedes Wort, das sie sprach, löste mehr Mitgefühl in mir aus. Aber es machte mich auch entschlossener, sie bei dem zu unterstützen, was sie erreichen wollte.

»Okay«, begann ich und musste mich räuspern. »Leg dich bitte auf die Liege, und zeig mir die Narbe. Dann ...«

»Narben«, unterbrach sie mich und erhob sich von ihrem Stuhl.

Jesus.

Sie zog ihr Oberteil seitlich etwas hoch und legte sich hin. Ihre glatte, cremefarbene Haut sah makellos aus, wären da nicht die vielen Narben. Sie waren nicht groß, vielleicht etwas mehr als einen Zentimeter lang, aber nicht sauber verheilt, sodass sich die Haut drum herum etwas zusammenzog. Mir war sofort klar, dass etwas Furchtbares passiert sein musste, an das sie täglich erinnert wurde.

»Um ein gutes Ergebnis zu erzielen, muss ich die Struktur deiner Haut kennen. Darf ich mit dem Finger darüber streichen?« Es war eine Regel, dass wir zuerst die Erlaubnis einholen mussten, bevor wir einen unserer Kunden berühren durften. Angesichts ihres Verhaltens und ihrer Vorgeschichte hätte ich das ohnehin getan.

»Kein Problem.«

Ich desinfizierte meine Hände und fuhr vorsichtig mit den Fingerspitzen über das vernarbte Gewebe. Ich spürte, wie sich ihr Körper versteifte. »Möchtest du diese Stelle mit den Wellen oder mit den Vögeln bedeckt haben? Ich würde die Wellen über die Stelle mit den meisten Narben legen und mit den Vögeln die weiter außen abdecken.«

»Das habe ich auch schon überlegt. Mir gefällt die Symbolik, dass der größere Haufen weggespült wird, während sich die Vögel den Rest holen.« Offensichtlich dachte sie so ähnlich wie ich, was für meine Arbeit immer von Vorteil war. Und ich freute mich umso mehr, dass sie mit ihrer Idee ausgerechnet zu mir gekommen war.

»Gut, dann schlage ich vor, dass wir mit dem größeren Teil beginnen. Die Dimensionen auf der Zeichnung passen perfekt. Ich übertrage die Wellenstruktur und zeichne dann die Vögel. Vielleicht muss ich sie anders anordnen. Aber das können wir dann noch besprechen.«

Sie nickte lächelnd, und ich spürte, dass sie mich beobachtete, während ich ihre Zeichnung kopierte. Sowohl Blaze als auch ich hatten dafür ein eigenes Gerät. Das hatte sich bewährt, weil wir uns nicht gegenseitig bei der Arbeit störten. Noch nie war ich so dankbar über diese Entscheidung, denn ich konnte Sienna noch ein paar Fragen stellen und hoffen, dass sie sich noch etwas mehr entspannte. Wie sie sich während des Stechens verhalten würde, wusste ich nicht. Manche Leute waren gesprächig und locker, was mir die Arbeit ungemein erleichterte. Andere schrien den Schmerz raus, und es gab auch Kunden, die ihren ganzen Körper anspannten, um den Schmerz besser aushalten zu können.

»Darf ich fragen, wie das passiert ist?« Ich nahm die Zeichnung vom Kopierer und setzte mich mit dem Duplikat an den Zeichentisch, um es für die Übertragung vorzubereiten.

»Jemand hat auf mich eingestochen«, sagte sie so offen, dass ich innerlich zusammenzuckte.

»Mein Gott. Wurde die Person erwischt und bestraft? Geht es dir gut? Wer war es?«, stellte ich eine Flut von Fragen, bevor mir klar wurde, dass mich das nichts anging. »Tut mir leid, das habe ich nicht erwartet«, entschuldigte ich mich und fuhr mir mit der Hand durch mein Haar.

Sie lag auf der Liege und starrte an die Decke. »Ich finde es gut, dass du das alles wissen willst. Die meisten Leute reagieren ganz anders, wenn sie davon erfahren. Obwohl, mit so vielen rede ich gar nicht darüber.« Sie drehte ihren Kopf so, dass sie mich ansehen konnte. »Ich wurde in der Schule von einem Mädchen mit einem Bleistift niedergestochen. Offenbar gefiel ihr nicht, dass ich ihren Freund angelächelt habe.«

»Heilige Scheiße. Wurde sie verhaftet?«

»Ja, und auch verhört. Aber sie hatte einen guten Anwalt und Freunde an den richtigen Stellen, die sie rausgeholt haben.«

Während sie erzählt hatte, erinnerte ich mich an meine eigene Schulzeit und berichtete freimütig von meinen Erlebnissen. »Ich hatte in der Highschool eine Freundin, die eine Mitschülerin angegriffen hatte. Sie wurde auch verhaftet«, berichtete ich, als würden wir uns schon ewig kennen. »Sie war eine echte Psychopathin, und ich weiß bis heute nicht, warum ich überhaupt mit ihr ausgegangen bin. Vielleicht war sie so interessant für mich, weil ich so langweilig und sie so impulsiv und unberechenbar war? Nur wenige Stunden später hat mir ein Freund erzählt, was sie getan hatte. Noch am selben Abend habe ich ihr den Laufpass gegeben.«

»Ich weiß«, sagte sie ohne jede Gefühlsregung. Ich stutzte.

»Du weißt es?«

»Ja, ich bin diejenige, die von Hazel angegriffen wurde.«

Ich schaute von ihrem Gesicht auf die vielen Narben und wieder zurück, bevor mir klar wurde, was ihre Worte bedeuteten. »Du warst das?«

»Jane hat gesehen, dass ich dich im Kunstunterricht angelächelt habe. Sie hat mich sofort an ihre Freundin Hazel verpetzt, die mich schon eine ganze Weile geärgert hatte. Als ich am Nachmittag die Schule verlassen wollte, haben mich die beiden mit ein paar anderen Mädchen an der Treppe abgepasst.«

»Ich ...«, begann ich, obwohl ich sprachlos war. Als Mitglied der Broken Eagles hatte ich viel erlebt. Und nur ganz selten fehlten mir die Worte, die ich normalerweise lieber für mich behielt. Aber jetzt? Was zum Teufel sollte ich denn sagen? »Ich hatte keine Ahnung«, bemerkte ich leise.

»Es gibt nicht viele Leute, die davon wissen«, murmelte sie und blickte auf die nunmehr fertige Übertragung ihrer Zeichnung. »Hazels Eltern haben sich das Schweigen der halben Stadt erkauft.«

Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, konzentrierte ich mich auf die Übertragung und prüfte, ob ich auch keine der feinen Linien vergessen hatte. Das half mir, das Gehörte zu verarbeiten und mich innerlich auf das Tätowieren vorzubereiten. Wobei das beinahe unmöglich war, weil ich auf eine Art mit dieser attraktiven Frau verbunden war ...

Verdammter Mist!

»Es tut mir so leid, Sienna. Wenn ich gewusst hätte ...« Ich hielt inne und konnte nicht anders, als auf die vielen Narben zu starren. »Hazel hat mich gestalkt, nachdem ich mit ihr Schluss gemacht hatte. Als ich drohte, eine einstweilige Verfügung gegen sie zu erwirken, wurde sie von ihren Eltern für eine Weile bei einem Freund der Familie untergebracht.«

»Von mir hat sie eine bekommen. Mein Anwalt musste sie schon ein paarmal verlängern. Immer wenn sie bald ausläuft, schickt sie mir einen Bleistift und einen bösen Brief.«

»Was für eine psychotische Schlampe.« Ich seufzte, hob den Kopf und betrachtete Siennas schönes Gesicht. Sie lag noch immer auf dem Rücken und starrte an die Decke. »Weiß sie, wo du jetzt wohnst?«

»Nein, aber sie hat mich immer irgendwie ausfindig gemacht. Beim letzten Antrag auf Fristverlängerung hatte sie der Richter vorgeladen und ihr und ihrem Anwalt klargemacht, dass sie dringend psychologische Hilfe in Anspruch nehmen sollte. Anscheinend ist sie durch alle Raster gerutscht und war nie in Behandlung. Wenn sie keine Therapie beginnt, wird sie wegen Missachtung des Gerichts angeklagt. Parallel dazu kann ich einen Beschluss erwirken, der bis auf Weiteres gilt.«

»Was bedeutet das?«

»Dass sie mir fernbleiben muss, bis ein Gericht die Verfügung aufhebt«, erwiderte sie achselzuckend. Ich versuchte wieder, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, betrachtete ein letztes Mal prüfend die Übertragung, bevor ich den Hauptteil der Zeichnung ausschnitt.

»Ich kann das direkt auf deine Haut auftragen, sodass es den größten Teil abdeckt, wie wir besprochen haben.« Sienna nickte, und ich ging zum Waschbecken und wusch mir die Hände. »Ich glaube, es ist besser, die Vögel per Hand direkt auf die Haut zu zeichnen und dann zu stechen. Du wolltest doch, dass sie an den Wellenkämmen etwas größer sind, und kleiner werden, wenn sie in den Himmel aufsteigen. Habe ich das richtig verstanden?«

»Solange die Narben überdeckt sind, hast du freie Hand. Mach es so, wie du es für richtig hältst.«

Nachdem ich die Haut vorbereitet und das Bild übertragen hatte, betrachtete ich die Stelle, an der die Farbe zurückblieb. Mit einem Lächeln und einem Daumen hoch von Sienna nahm ich meinen orangefarbenen Stift zur Hand und skizzierte die Vögel, wobei ich darauf achtete, dass sie genauso aussahen wie auf ihrer Vorlage. Die nächste Farbe, die ich benutzte, war dunkler, damit ich die Umrisse besser mit der Nadel nachzeichnen konnte.

Als ich fertig war, rollte ich mich auf meinem Hocker zurück und gab ihr ein Zeichen aufzustehen. »Sieh dir alles im Spiegel an. Wenn du sicher bist, dass es dir gefällt, können wir loslegen.«

Ich hatte mich absichtlich aus dem Gespräch zurückgezogen, um sie nicht emotional zu überfordern. Tattoos gestochen zu bekommen, sind für viele Leute eine heikle Sache, die schnell sehr emotional werden konnte. Und ihre Ausgangsbedingungen waren nicht gerade ideal. Außerdem wusste ich nicht, ob sie irgendwelche Auslöser hatte, und wollte nicht riskieren, versehentlich ein falsches Wort zu sagen. Immerhin hatte sie erzählt, dass sie sehr zurückgezogen lebte und sich auf neue Situationen einstellen musste.

Ja, ich sollte vorsichtig sein und es behutsam angehen lassen.

Sienna stand vor dem Spiegel und betrachtete noch immer die Skizzen auf ihrer Haut. »Das Motiv ist perfekt. Meinst du, dass die schwarze Farbe gut geeignet ist, dauerhaft alles zu verdecken?«

»Das sollte funktionieren. Mit ein bisschen Erfahrung weiß man, wie man Narbengewebe tätowiert, ohne dass die Farben auslaufen oder verblassen. Es kommt darauf an, wie man die Pigmente in die Haut einbringt. Wenn man beispielsweise ein unerwünschtes Tattoo abdecken will, sollte man bei dem neuen Motiv darauf achten, keine flächigen Bereiche neu zu stechen.«

Unsere Blicke trafen sich im Spiegel, und sie errötete leicht. »Vor einiger Zeit habe ich regelmäßig eine Sendung über Tätowierer gesehen, die schlechte Tattoos ausbessern oder überdecken. Daher weiß ich auch, was alles schiefgehen kann.«

Ich klopfte auf die hölzerne Tischplatte und lächelte ihr aufmunternd zu, bevor ich mich der kleinen Schublade zuwandte, in der ich meine Tinte aufbewahrte.

»Welche Farbe sollen die Wellen haben? Wir können auch gern die Tinte mischen, um einen besonderen Farbton zu erzielen.«

Sie setzte sich wieder auf die Liege und ließ vergnügt ihre Füße pendeln, während sie über meine Frage nachdachte. Das war toll, weil sie vorhin so verschlossen gewirkt hatte. Ich konnte nur hoffen, dass sie sich in meiner Nähe gut fühlte, denn Entspannung kommt von Vertrauen. Obwohl wir nicht viel Zeit mit dem Tattoo verbringen würden, bedeutete es mir sehr viel, dass sie sich in meiner Gegenwart wohlfühlte.

»Wenn es möglich ist, möchte ich gern ein dunkles Blau, das in einen türkiseren Farbton übergeht, mit einem hellen Blau an der Spitze der Welle. Und wenn du der Meinung bist, dass es nicht zu kitschig aussieht, möchte ich am Wellenkamm graue oder schwarze Schatten, direkt neben dem Hellblau. Es soll so aussehen, als kämen die Vögel aus dem Wasser, um in die Freiheit zu fliegen.«

Ich wusste, was sie meinte, und nickte, während ich etwas schwarze Tinte in ein kleines Gefäß gab. »Das kann ich machen, kein Problem.« Nachdem sie die gewünschten Farbtöne ausgewählt hatte, füllte ich jeweils etwas davon in weitere Gefäße und stellte sie bereit. »Ich könnte dein Oberteil so befestigen, dass du es nicht ständig festhalten musst. Und dann können wir auch schon loslegen.«

Während der gesamten Vorbereitungen erklärte ich ihr, was ich machte. Sogar als ich aufstand, um mir die Hände zu waschen, wusste sie schon vorher, was ich tun würde. Ich wollte gerade bei ihr absolut sicher sein, dass sie nicht durch unerwartete Bewegungen erschreckt wurde. Ich war immer sehr aufmerksam, was diese Dinge betraf, doch bei ihr war ich übervorsichtig.

Als alles bereit war, nahm ich die Maschine und tauchte die Nadel in die schwarze Tinte. »Zuerst zeichne ich den Umriss nach, anschließend die Schattierungen, weil sie die gleiche Farbe haben. Und zum Schluss wird alles schön bunt. Aber ich warne dich«, fügte ich hinzu und drückte sanft ihren Arm, »es wird sich anders anfühlen als bei deinem Tattoo auf dem Handgelenk.«

Ihre vollen Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln, und ich erstarrte. Sie war wunderschön, aber dieser unschuldige und doch amüsierte Ausdruck ließ sie noch attraktiver aussehen.

Jetzt setzte auch meine Erinnerung wieder ein, und ich wusste plötzlich, wer sie war. Sie hatte im Kunstunterricht das Pult neben meinem. Damals hatte sie lange Haare, die ihr fast bis zum Hintern reichten, und sie trug sie entweder zu einem Pferdeschwanz gebunden oder zu einem Zopf geflochten.

Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich erst wieder in der Realität ankam, als sie verstummte. »Entschuldige. Was hast du gesagt?

»Ich sagte, dass ich weiß, dass es wehtun wird. Aber mach dir keine Sorgen. Ich bin härter im Nehmen, als ich aussehe.«

Daran bestand kein Zweifel, nach allem, was sie bisher erlebt hatte. Trotzdem bat ich sie, sich bemerkbar zu machen, wenn die Schmerzen unerträglich werden sollten. Ich wusste, dass vor allem das Stechen auf der Seite höllisch sein konnte.

Sobald ich die Nadel in ihre Haut drückte, machte ich mir innerlich Vorwürfe, weil ich ihr wehtun musste. Natürlich war das ziemlich blöd gedacht, weil sie dieses Tattoo unbedingt gewollt hatte. Normalerweise war ich viel rationaler. Deshalb wunderte ich mich auch darüber, dass mich alles an Sienna Blake aus dem Gleichgewicht brachte.

Und ich mochte es. Sehr sogar.

Nach etwa zehn Minuten räusperte sie sich. »Ich bin nicht zerbrechlich, weißt du. Du kannst ruhig mit mir reden, wenn du willst.«

Ich setzte die Nadel ab und sah sie an. »Bist du sicher? Nein, warte. Ich habe total vergessen, dich zu fragen, ob du gegen irgendetwas allergisch bist und ob es Dinge gibt, die ich vermeiden sollte. Du weißt schon, damit es für dich erträglicher wird. Ich hätte das schon vorher mit dir klären müssen. Tut mir leid.«

Diesmal verzog sich ihr ganzer Mund zu einem Lächeln, und ich musste alles tun, um nicht zu starren.

»Es gibt wirklich ein paar Dinge. Ich habe dir ja erzählt, dass ich nicht gern unter Menschen bin. Aber auf den Termin bei dir habe ich mich lange vorbereitet. Deshalb komme ich klar, und mir geht es gut. Außerdem erklärst du mir immer, was du als Nächstes tun wirst. Und du bewegst dich nicht zu schnell. Das hilft mir, mit der Situation besser umzugehen. Das ist mehr, als die meisten Menschen tun, und das macht einen großen Unterschied.«

Erleichtert tauchte ich die Nadel wieder in die Tinte und konzentrierte mich auf meine Arbeit. Ich war nicht nervös oder angespannt, sondern nur sprachlos, dass sie so offen zu mir war. Das Surren der Maschine brachte mich schneller wieder in mein inneres Gleichgewicht, als ich vermutet hatte.

»Ich finde es toll, dass du dich für das Tattoo entscheiden hast«, bemerkte ich, obwohl mir eine ganz andere Frage auf der Zunge lag. Ich konnte einfach nicht begreifen, dass Hazel möglicherweise meinetwegen dermaßen überreagiert hatte. Das war einfach unvorstellbar.

»Hat sie dich lebensbedrohlich verletzt?«, wollte ich wissen und hob mir die Frage, die mich noch mehr beschäftigte, für einen späteren Zeitpunkt auf.

Sienna räusperte sich, bevor sie antwortete. »Du weißt, dass sie mich mit einem Bleistift attackiert hat. Sechsmal, bis die Spitze abgebrochen ist und über der Niere stecken blieb. Ich wurde operiert, aber es dauerte eine Weile, bis ich mich erholt hatte, weil ich nach der Operation eine Infektion bekam. Deshalb habe ich dieses Tattoo am Handgelenk. Es zeigt meinen Herzschlag, der ... Es war verdammt knapp.«

Ich betrachtete die kleine Tätowierung und spürte Übelkeit aufsteigen. Zum Glück hatte ich mich schnell wieder gefangen. »Du bist danach mit deinen Eltern weggezogen.«

»Ja, nach Utah auf die Farm von Moms Eltern. Ich wurde zu Hause unterrichtet, während ich mich erholte. Danach war ich immer ... Ich hatte Angst vor der Welt. Inzwischen komme ich viel besser damit klar, weil ich einige Therapien gemacht habe und ziemlich viel Zeit vergangen ist. Ich muss mich nur darauf vorbereiten, das Haus allein zu verlassen.«

»Auch wenn du nur in einen Supermarkt willst?«

»Das geht inzwischen. Aber ich bestelle lieber online und hole die Sachen dann ab. Manche Läden liefern auch.«

Ich konnte mir partout nicht vorstellen, mit dieser Angst zu leben. Für mich war es selbstverständlich, mich frei in der Öffentlichkeit zu bewegen. Sienna dagegen hatte nach dem Angriff von Hazel viel zu viel Angst davor, überhaupt unter Menschen zu gehen. Das brachte mich wieder zu meiner ursprünglichen Frage. Ich musste es einfach wissen, unterbrach meine Arbeit und suchte ihren Blick.

»Du hast gesagt, sie hat es getan, weil du mich angelächelt hast.« Sie nickte und sah mich ganz offen an. »Machst du mir deswegen Vorwürfe? Wenn ich geahnt hätte, dass sie dazu fähig ist, hätte ich alles getan, um sie aufzuhalten.«

»Du hast keine Schuld. Nicht einmal annähernd. Ich bewundere dich, dass du zu dem stehst, woran du glaubst, und mit ihr Schluss gemacht hast. Ihre Freundinnen haben versucht, alles zu vertuschen. Aus Angst, dass Hazel ihnen etwas antun könnte.«

Mit zusammengepresstem Kiefer starrte sie auf ihre fest zusammengeballten Hände. »Niemand wollte als Zeuge aussagen. Alles wurde vertuscht. Deshalb wurde sie auch freigesprochen. Und ich war viel zu sehr damit beschäftigt, wieder gesund zu werden. Es gab nur wenige Menschen, die sich nicht einschüchtern ließen und Moral bewiesen haben. Aber du schon.«

»Wenn ich das gewusst oder nur geahnt hätte ... Ich schwöre, ich hätte versucht, dich zu beschützen.«

An Sport hatte ich kein Interesse, war eher der Typ, der von Kunst besessen war. Trotzdem war ich kein Außenseiter und recht beliebt. Vermutlich hatte Hazel es deshalb auf mich abgesehen. Sie verbreitete in der Schule, dass wir zusammen waren, sobald sie mich um ein Date gebeten hatte. Ich war plötzlich ihr Freund und dachte, es sei einfacher, eine feste Freundin zu haben statt jede Woche eine neue. Es dauerte nicht lange, bis ich ihre Boshaftigkeit nicht mehr ertragen konnte. Doch jedes Mal, wenn ich versuchte, es zu beenden, schlich sie nachts in mein Zimmer und machte mir eine Szene. Irgendwann war es mir egal, ob wir ein Paar waren oder nicht. Wenige Monate später, nach meinem Abschluss, würden sich unsere Wege ohnehin trennen, und die Sache hätte sich erledigt.

Von Hazels Angriff auf Sienna hatte ich nur nebenbei erfahren und wurde auch nicht von der Polizei dazu befragt. Ich nahm mir vor, Nico Mayson zu bitten, für mich in der Sache zu recherchieren. Weil seine Nichte mit Wes, dem Präsidenten der Broken Eagles, verheiratet war, begegneten wir uns ab und zu im Club.

»Ich bin mir sicher, dass du mir geholfen hättest«, bemerkte Sienna, und ich zuckte leicht zusammen. »Aber du hättest nichts tun können. Du hättest weder Hazels Angriff auf mich verhindern können, noch wärst du als Zeuge zugelassen worden. Hazels Familie hatte viel zu viel Einfluss.« Sie räusperte sich. »Der leitende Beamte, der meinen Eltern den Vorfall meldete, war zufällig der Ehemann der besten Freundin von Hazels Mutter. Schon nach wenigen Tagen schloss er den Fall wegen Mangel an Beweisen. Ihr Anwalt war der gleichen Meinung und argumentierte, dass Unfälle immer wieder passieren, obwohl dieser besonders tragisch war. Dafür könne man das Gesetz nicht verantwortlich machen. Daher wurde Hazel nicht angeklagt. Sie hatte behauptet, ich sei auf der Treppe gestolpert. Bei dem Versuch, mich aufzufangen, habe ich mich an ihrem Bleistift verletzt. Ihre Aussage stand gegen meine. Zumindest konnte mein Anwalt eine einstweilige Verfügung erwirken, weil mich Hazel auch danach bedrohte. Und vor ein paar Jahren habe ich es endlich geschafft, dass sie sich per richterlichem Beschluss in Therapie begeben muss, aber ...« Sie zuckte mit den Schultern.

»Das war richtig, Sienna. Sie ist krank und gemeingefährlich.«

»Mehr kann ich nicht tun, um mich vor ihr zu schützen. Trotzdem hat sie immer noch so viel Macht über mich, dass ich Probleme habe, mein Haus zu verlassen. Aber ich weigere mich, das zu akzeptieren, und konzentriere mich auf meine Leben und meine Zukunft.« Sie atmete mehrmals tief durch und entspannte sich etwas, bevor sie mir zunickte.

Ich setzte wieder die Nadel an und grübelte vor mich hin. Es bestand kein Zweifel daran, dass Hazel ein eiskaltes, verlogenes, bösartiges und herzloses Miststück war. Ich wusste bisher nur nicht, wie gestört sie war.

Sienna erwähnte immer wieder ihren mentalen Kampf, und obwohl ich sie kaum kannte, sah ich in ihr einen der stärksten Menschen, die ich je getroffen hatte. Körperliche Stärke war relativ leicht zu erlangen, geistige nicht.

Nach einigen Minuten fragte mich Sienna, was ich nach der Highschool getan hatte. Wir plauderten ein wenig, und ich schaffte es sogar, sie mit einigen Geschichten, die ich erlebt hatte, zum Lachen zu bringen. Sie interessierte sich für die Broken Eagles, den Motorradclub, dem ich angehöre, und wollte viel darüber wissen.

Sie erzählte, dass sie gern töpferte und die Keramik auch verzierte. Dass sie gut zeichnen konnte, hatte sie ja schon bewiesen. Aber dass sie damit ihren Lebensunterhalt verdiente, machte mich neugierig, weil ich handwerkliche Dinge liebte und jeden Abend zeichnete, um mich vor dem Einschlafen zu entspannen. Das brachte mich auf eine Idee.

Ich könnte anbieten, ihr bei ihren Entwürfen zu helfen. Vielleicht würde sie Ja sagen. Dann könnte ich sie wiedersehen, ohne mich zu sehr aufzudrängen.

Als wir uns voneinander verabschiedeten, unterbreitete ich ihr meinen Vorschlag. Sie stimmte nicht direkt zu, gab mir aber ihre Nummer.

Offensichtlich zeigten die Vögel, die sie unter ihrem Shirt trug, bereits ihre Wirkung.

Sienna

»Warum hast du nichts gesagt? Ich wäre so gern dabei gewesen«, sagte Maddie am Telefon, nachdem ich ihr von meinem Tag berichtet hatte. »Ich hätte mit Karen die freien Tage getauscht und dich begleiten können.«

Wir waren beste Freundinnen, seit wir fünf Jahre alt waren, und auch der Umzug von Tennessee nach Utah hatte daran nichts geändert. Als ich plante, wieder zurückziehen, schmiedete sie Pläne und organisierte meinen Umzug.

Maddie vereinte alles in sich, was schön war, und ich liebte sie wie eine Schwester.

»Weil ich mich daran gewöhnen muss, auf mich allein gestellt zu sein, Mads. Ich bin neunundzwanzig. Meinst du nicht, dass es höchste Zeit dafür ist?«

»Ja, aber ich wäre trotzdem gern dabei gewesen. Allein schon wegen der Männer, die in dem Studio arbeiten. Wer von ihnen hat dir dein Tattoo gestochen?«

»Jordan Quinn«, antwortete ich.

Einen Moment lang sagte sie nichts, bevor sie losplapperte, wie es ihre Art war. »Deshalb kam mir der eine bekannt vor ... Ist er immer noch so heiß wie damals auf der Highschool? Ich habe ihn öfter von Weitem gesehen, hatte aber nie die Gelegenheit, ihn aus der Nähe zu betrachten.«

Lächelnd streckte ich mich auf der Couch aus, bis ich ein Brennen an der Seite spürte. »Er ist viel heißer als damals, Süße. Und seine Arme sind komplett mit richtig tollen Tattoos bedeckt. Wenn du die sehen würdest ...«, neckte ich meine Freundin und wusste, dass das nächste Detail, das ich ihr verraten würde, sie noch mehr interessierte. »Oh, und er ist Mitglied in einem Motorradclub ...«, erzählte ich so beiläufig wie möglich.

»Die Broken Eagles«, hauchte sie und hörte sich an, als würde ich ihr die beste Nachricht der Welt erzählen.

»Genau die. Ich wusste gar nichts darüber. Aber es klang so, als würden sie auf der Seite der Guten stehen.«

»Zumindest sind sie alle sehr heiß. Sie zu sehen, ist mein Highlight des Tages.«

Ich stellte mir vor, wie Maddie am Fenster der Arztpraxis hing, in der sie arbeitete, und die Straße beobachtete, die sie jeden Tag entlangfuhren. »Wenn du das sagst ...«

»Du wirst schon sehen. Wie war er? Sanft oder eher männlich dominant?« Ihre seltsamen Fragen brachten mich zum Lachen, und ich konnte gerade noch verhindern, mit der Hand über meine Narben zu reiben. Das tat ich immer, um die Nerven zu irritieren und damit die Schmerzen zu lindern. Zumindest in den nächsten Tagen sollte ich die Stelle nicht berühren. Außerdem war der Schmerz ein anderer, seit ich das Tattoo hatte.

»Er war beides«, erwiderte ich knapp.

»Du verschweigst mir etwas, Blake.«

»Dass ich dich lieb habe?«

»Nein.«

»Wie toll deine Haare aussehen?« Das war nicht einfach nur so dahingesagt. Maddie gehörte zu den Frauen, die ihren Stil und ihre Haarfarbe oft änderten. Die burgunderrote Tönung, die sie kürzlich gewählt hatte, stand ihr unglaublich gut.

»Danke für das Kompliment, aber das meine ich nicht.«

»Okay«, lenkte ich ein, weil ich wusste, dass sie immer weiter fragen würde. »Ich habe ihm die ganze Geschichte mit Hazel erzählt.«

Es war so still in der Leitung, dass ich beinahe den Verdacht hatte, sie hätte sich auf den Weg zu mir gemacht und könne jeden Moment vor meiner Haustür stehen.

»Maddie?«

»Ich ... Verdammt, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Wie hat er darauf reagiert?«

»Er war sauer und wütend und sagte, er hätte nicht zugelassen, dass alles vertuscht wurde. Offenbar hatte er nicht viel von all dem mitbekommen.«

»Die ganze Beweisaufnahme war eine einzige Farce. Hazel wurde nicht angeklagt, weil ihre Mommy ihrem Kumpel Mortimer einen geblasen hat.« Ich lächelte schwach und gab ihr insgeheim recht.

»Jedenfalls hat er mich gefragt, ob er sich meine Arbeiten ansehen darf. Ich glaube, er zeichnet immer noch viel. Und die Skizze, die ich für das Tattoo gemacht hatte, gefiel ihm auch.«

Ein Schrei ertönte, und ich konnte mir vorstellen, wie Maddie durch den Pausenraum der Praxis tanzte. »Du bist so ein Glückspilz, aber ich liebe dich trotzdem.« Sie lachte. »Was hast du zu ihm gesagt?« Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn mit meiner Antwort nicht zurückgewiesen hatte. Daher war ich gespannt auf Maddies Meinung.

»Ich habe ihm gesagt, dass er sich alles auf meiner Website ansehen kann, weil ich nicht gern Leute in meinem Haus habe. Naja, abgesehen von dir.«

»Wow, du hast dich ihm gegenüber geöffnet«, bemerkte sie überrascht. »Meinst du, du könntest dich dazu durchringen, ihn zu dir einzuladen?« In Gedanken ging ich meine mentalen Techniken durch und wandte sie auf die Situation an.

»Ich weiß nicht ...«, begann ich und erinnerte mich an den Zweck des Tattoos. »Weißt du was? Ja, ich glaube, das könnte ich. Wenn ich das Haus verlasse, bereite ich mich ja auch darauf vor. Das könnte auch andersrum funktionieren. Ich weiß, dass ich mich nicht immer nur verkriechen darf, sondern mich von der Vergangenheit befreien muss. Deshalb habe ich mir ja das Tattoo stechen lassen. Vielleicht schaffe ich es, in Zukunft etwas mehr zu leben.«

Darüber zu reden, half mir. Ich fühlte mich, als würden mich die Vögel ermuntern, die Gefängnismauern einzureißen und die Vergangenheit zu begraben. Elf lange Jahre hatte ich kein richtiges Leben geführt. Jetzt war es an der Zeit, damit zu beginnen.

»Das wäre großartig, Süße. Und du weißt, dass ich immer für dich da bin.«

»Ich weiß. Du bist unbezahlbar.«

»Sienna«, flüsterte sie, und ich hörte, wie nachdenklich sie war.

Um sie abzulenken und aufzumuntern, gestand ich ihr ein weiteres Detail, das ich bisher verschwiegen hatte. »Ich habe ihm meine Nummer gegeben.«

»Was?«, quietschte sie lauthals und schien einen Freudentanz aufzuführen, wenn ich die Hintergrundgeräusche richtig deutete.

»Maddie, du wirst die Patienten zu Tode erschrecken. Beruhige dich.«

»Entspann’ du dich«, rief sie lachend.

»Ich bin ganz entspannt«, erwiderte ich und wusste, dass ich zuerst ihre Jubelstürme abwarten musste, bevor ich wieder normal mit ihr reden konnte.

»Meine beste Freundin, meine Schwester im Geiste, hat einem heißen Kerl ihre Nummer gegeben, nachdem dieser den Tag damit verbracht hat, sie mit seinen Händen zu bearbeiten. Ich bin so aufgeregt, dass ich nicht anders kann, als meine Freude zum Ausdruck zu bringen.«

»Maddie, mach dir nicht zu viele Hoffnungen. Daraus wird nichts. Jedenfalls nicht auf diese Weise. Aber es wäre schön, wenn wir Freunde werden könnten.«

Bevor ich wieder in mein Elternhaus zog, hatte ich mich mithilfe meines Therapeuten darauf vorbereitet. Er hatte mich ins Land der Lebenden zurückgeholt. Trotzdem war es nicht leicht gewesen, die Ängste und Emotionen zu kontrollieren, die mein Heimatort in mir auslösten. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen. Doch dank meiner Entschlossenheit meisterte ich auch diese Herausforderung.

Ich wusste, dass ich nicht allein sein würde, weil Maddie und ihre Familie in der Nähe wohnten. Hazel war weit weggezogen, und sogar ihre Mom wohnte fast eine Stunde entfernt.

Endlich hatte ich die Phase meiner Genesung erreicht, in der ich unabhängig sein und wie ein normaler Mensch leben wollte. Ich war fest entschlossen, das zu tun.

Mein Problem war eher die Verwundbarkeit. Hazel hatte mir immer wieder gezeigt, wie geschickt sie mich aufspüren konnte und wie entschlossen sie war, mich total aus dem Gleichgewicht zu bringen, wenn ich gerade aufrecht stand. Nachdem sie nur noch die Möglichkeit hatte, eine Therapie zu beginnen oder ins Gefängnis zu gehen, hatte ich das Gefühl, den nächsten Schritt wagen zu können. Und dabei einen Freund an der Seite zu haben, mit dem ich sogar über Kunst reden konnte, war eine angenehme Vorstellung.

»Das kannst du unmöglich erst gemeint haben«, bemerkte Maddie entrüstet. Ich war so abgelenkt von meinen Gedanken, dass ich nicht verstand, was sie damit sagen wollte.

»Wie bitte?«

»Du willst genauso wenig seine Freundin sein, wie ich den geheimen Wunsch habe, Kleidergröße fünfzig zu tragen.«

Ich konnte mir gerade noch ein Lachen verkneifen, weil Maddie nur einen Meter fünfzig groß und sehr zierlich war.

»Sienna, du musst dir über zwei sehr bedeutende Dinge im Klaren sein: Du hast ihm – die Potenz des heißen Kerls, der er auf der Highschool war – deine Nummer gegeben. Und du willst daran arbeiten, ihm die Tür zu deinem Haus zu öffnen. Das ist ein riesiger Schritt nach vorn.«

»Okay, Süße, du hast recht.«

»Gut«, murmelte sie. »Und wenn du Glück hast, wird vielleicht noch etwas anderes riesig sein.«

»Madison Shepherd«, knurrte ich dramatisch und verkniff mir ein Lachen.

»Was? Ich habe nur von seinem Motorrad gesprochen. Was dachtest du denn?«

»Na klar. Aber ich kann dich beruhigen: Ich habe sein Motorrad gesehen, und wenn ich mich nicht getäuscht habe, ist es ziemlich groß.« Ich konnte mich kaum noch zusammenreißen, so sehr erheiterten mich ihre Andeutungen. »Bye, Süße«, rief ich ihr noch zu, beendete den Anruf und lachte laut los.

Nur wenige Sekunden später erhielt ich eine Nachricht.

Madison:

Du bist so eine miese Freundin. Vielleicht ist Mr Quinn interessanter ;-)

Ich wollte ihr antworten, doch dann sah ich, dass ich eine weitere Nachricht erhalten hatte.

Unbekannt:

Wie stehen die Chancen, dass ich dich überreden kann, mir die große Schüssel auf deiner Website persönlich zu zeigen? Sie würde im Studio fantastisch aussehen. JQ

Das ging aber verdammt schnell.

Mit zittrigen Fingern öffnete ich Maddies Nachricht und tippte eine Antwort.

Ich:

Er hat mir eine Nachricht geschickt, während wir telefoniert haben. Er will wissen, ob ich ihm die große Schüssel zeige, die ich letzte Woche online gestellt habe. Persönlich!

Maddie wusste, wovon ich sprach, denn wir hatten das schwere Teil zusammen in den Garten getragen. Aus ästhetischen Gründen wollte ich die Schüssel draußen fotografieren. Das Bild, das ich auf meine Website gestellt hatte, war wirklich gelungen. Im Hintergrund war das Feld zu sehen, das an meinen Garten grenzte, wobei der rustikale weiße Zaun dazwischen dem Foto das gewisse Etwas verlieh. Das lag vielleicht auch daran, dass die Schüssel auf einem Baumstumpf stand. Normalerweise platzierte ich meine Objekte auf einem verwitterten Picknicktisch aus Holz, der allerdings nicht stabil genug für dieses Stück war.

Ich betrachtete die drei Punkte, die auf meinem Display tanzten, während Maddie tippte. Sie tendierte dazu, Romane zu schreiben, und ich wurde langsam ungeduldig, bis endlich ihre Nachricht erschien.

Maddie:

Was hast du geantwortet?

Ich:

Du brauchst gefühlt fünf Minuten, um vier Wörter zu schreiben? – Noch nichts. Was würdest du ihm antworten?

Diesmal musste ich nur wenige Sekunden auf ihre Reaktion warten.

Maddie:

Ich zeige dir meins, wenn du mir deins zeigst.

Ich:

Inwiefern ist das hilfreich?

Obwohl ich in mich hinein grinste, wurde ich leicht nervös. Es war lange her, dass ich an einem Tag so oft lachen musste, und es fühlte sich großartig an.

Maddie

:

Dadurch erhöht sich deine Chance, schneller von ihm flachgelegt zu werden. Dann wirst du mir auf ewig dankbar sein müssen.

Ich kam mir wie die Grinsekatze vor, als ich beschloss, mich mental auf seinen Besuch vorzubereiten, und eine Nachricht an ihn tippte. Wenn Maddie hier gewesen wäre, hätte sie vermutlich witziger geklungen. Immerhin war es kein Problem für mich, ein paar Sätze an einen beinahe Unbekannten zu schreiben.

Ich:

Ja, sie würde dort sicher toll aussehen. Kannst du mir ein paar Tage Zeit geben, um ein paar Projekte zu beenden?

Das war nicht einmal gelogen, denn ich hatte vier Aufträge, die fertiggestellt und verschickt werden mussten, und drei Objekte, die fertig waren und nur darauf warteten, fotografiert und online gestellt zu werden. Es handelte sich dabei um eher untypische Vasen und Schalen. Schon vor einiger Zeit hatte ich Skizzen dafür angefertigt und mich dann so mutig gefühlt, sie auch zu produzieren. Wenn ich sie nicht bald zum Verkauf anbieten würde, weil ich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit Bedenken hatte, würde ich sie vermutlich in meinen Abstellraum bringen, in dem alle Objekte landeten, die ich als nicht gut genug betrachtete. Eines davon war eine Schale in Form eines Frauentorsos, die ich sehr mochte. Ich hatte sie sogar zum Kauf angeboten, aber dann zurückgezogen, nachdem ich einige sehr seltsame Kommentare bekommen hatte. Ich beschränkte mich lieber darauf, die Stücke anzubieten, die eher den üblichen Vorstellungen entsprachen.

Wenn man seine Produkte online vermarkten wollte, war man beinahe gezwungen, die sozialen Medien zu nutzen. Aber aus irgendeinem unsinnigen Grund meinten die Leute, das gäbe ihnen das Recht, bösartige und gemeine Kommentare zu schreiben. Vermutlich, weil sie ihre wahre Identität verbergen konnten. Ich konnte diese Art von Kritik zwar ertragen, spürte aber, wie sie meine Kreativität bremste und mir den Spaß an der Arbeit nahm.

Bei der Torso-Schale war ich mir absolut sicher, sie anbieten zu wollen. Sie war außergewöhnlich und etwas gewagt, feminin und durch die schwarze Glasur mit den zarten blauen Details doch raffiniert. Bevor ich Zweifel an meinem Werk bekam, wollte ich sie zum Verkauf anbieten. Sie war beinahe zu einem Sinnbild für meinen Plan geworden, mich etwas mehr aus meiner Komfortzone herauszuwagen.

Mein Telefon riss mich aus meinen Grübeleien.

Maddie: