Urlaub auf der Vulkaninsel - Rudolf Wildgruber - E-Book

Urlaub auf der Vulkaninsel E-Book

Rudolf Wildgruber

0,0

Beschreibung

Zum Abschluss der Grundschule erfüllt Förster Grimmel seiner Tochter Julia einen Herzenswunsch. Wolfgang Sickinger, Freund und Pilot, fliegt sie in seinem Raumschiff auf eine Vulkaninsel südlich von Taiwan. Mit dabei sind Annette, die Frau des Försters und Julias beste Freundin Lena. Auch die zwei Eichhörnchen Rebecca und Marie schleichen sich als blinde Passagiere ein. Auf der idyllischen Insel verbringen sie erholsame Urlaubstage. Als Julia und Lena von einem Ausflug nicht zurückkehren, beginnt eine verzweifelte Suche. Allmählich erfahren der Förster, Annette und Wolfgang, dass auf der Insel unheimliche Dinge vor sich gehen und der Vulkan von seltsamen Wesen bewohnt ist. Nachdem die Eichhörnchen Julia und Lena aufgespürt haben, schmieden sie einen gewagten Plan. Mithilfe von Feuerspuck, einem der letzten Feuerdrachen, wollen sie die Mädchen frei bekommen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2021

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



RUDOLF WILDGRUBER, Jahrgang 1955, lebt in München. Nach dem Abschluss des Informatik-Studiums an der TU München arbeitete er in verschiedenen Münchener IT-Firmen als Software-Entwickler, Projektleiter und Produktmanager. Seit dem Eintritt in den Ruhestand widmet er sich verstärkt der Fotografie als Hobby. Seine Fotos veröffentlicht er auf www.miramynd.com. Als zusätzliches Betätigungsfeld hat er im Oktober 2020 das Schreiben von Kinderbüchern aufgenommen.

URLAUB AUF DER VULKANINSEL ist der erste Band der Reihe »Förster Grimmel Abenteuergeschichten«. Weitere Bände sind in Vorbereitung.

Für meine Kinder und Enkelkinder

Inhaltsverzeichnis

ERSTER TEIL

1 Förster Grimmel überlegt

2 Julias letzter Schultag

3 Wolfgang Sickinger ist begeistert

4 Annette ist verzweifelt

5 Julia will etwas erleben

6 Julia besucht Lena

7 Julia trifft den Uhu

8 Annette kennt ein Geheimnis

9 Julia träumt

10 Lena schläft wieder ein

11 Rebecca und Marie sind neugierig

12 Wolfgang macht eine Führung

13 Julia und Lena putzen

14 Förster Grimmel und Annette kaufen ein

15 Rebecca und Marie schmieden eine List

16 Julia packt

17 Rebecca und Marie verstecken sich

18 Die Reise beginnt

ZWEITER TEIL

19 Das Raumschiff startet

20 Marie will nach Hause

21 Julia hat Hunger

22 Zwei blinde Passagiere

23 Julia macht Fotos

24 Das Raumschiff landet

25 Willkommen auf Lan Yu

26 Annette fährt

27 Alle essen Kokosnuss

28 Julia und Lena gehen schwimmen

29 Der festliche Empfang

30 Julia und Lena sind neugierig

31 Julia sieht rote Punkte

32 Wie im Paradies

33 Julia wird leichtsinnig

34 Die Langnasen werden bestaunt

DRITTER TEIL

35 Julia macht Fotos

36 Rebecca und Marie rasen zurück

37 Der Bürgermeister windet sich

38 Die Mädchen werden verschleppt

39 Die Suche beginnt

40 Die Jäger berichten

41 Rebecca hat einen Plan

42 Die Königskinder locken die Mädchen

43 Rebecca und Marie erkunden die Lage

44 Rebecca und Marie stärken sich

45 Der Bürgermeister erzählt

46 Oberförster Baumstangerl ist genervt

47 Rebecca und Marie flüchten

48 Der Bürgermeister macht Meldung

49 Die Königskinder sind großmütig

50 Rebecca und Marie berichten

51 Julia und Lena haben Durst

52 Hr. Hsu entwirft einen Plan

53 Der König ist unzufrieden

54 Julia und Lena wittern eine Chance

55 Lakko und Pyra machen eine Führung

56 Pyra hat Mitleid

57 Der Förster erklärt Plan B

58 Feuerspuck begrüßt die Besucher

59 Pyra kümmert sich um die Mädchen

60 Der Förster bittet die Eichhörnchen

61 Der König wird rührselig

62 Marie spricht mit den Mädchen

63 Rebecca schmollt

64 Der König ist mit Lakko zufrieden

65 Die Eichhörnchen essen gebrannte Nüsse

66 Der Drache verhandelt mit dem König

67 Annette schließt die Mädchen in die Arme

VIERTER TEIL

68 Der Angriff wird geplant

69 Förster Grimmel ist mutig

70 Der König spricht ein Urteil

71 Der Förster will abreisen

73 Der König schickt einen Suchtrupp los

74 Die Glühaugengespenster greifen an

75 Der König tobt

76 Die Hölle ist los

77 Der Drache knurrt

78 Feuerspuck stillt seinen Hunger

79 Julia will eine Geschichte schreiben

80 Max und Helena sind stolz

ERSTER TEIL

URLAUBSVORBEREITUNGEN

Sag mir wo die Weibchen sind.

Wo sind sie geblieben?

– Uhu Marlenerich

Schlagersänger im Grimmelwald

1 Förster Grimmel überlegt

Die Wettervorhersage war deprimierend. Förster Grimmel hatte sich durch mehrere Online-Wetterdienste geklickt und darauf gehofft, halbwegs positive Aussichten zumindest bei einem der Dienste zu finden. Diesmal aber waren sie sich einig. Ein dichtes Wolkenband zog sich seit Tagen von den östlichen Alpen bis zum Rhein und schien sich auch in den nächsten Tagen nicht aufzulösen. Nachdem es jetzt seit drei Tagen regnete, waren die Wege im Wald aufgeweicht und Holzarbeiten mit schwerem Gerät unmöglich. Zu Büroarbeiten hatte er keine Lust und auch die Steuererklärung konnte noch ein paar Wochen warten. Gleich würde Julia von der Schule heimkommen und bestimmt wieder fragen, was sie denn in den Ferien machen solle. Alle ihre Freundinnen und Freunde hatten seit Wochen von ihren Urlaubsplänen berichtet und Julia hatte sich neidisch das vollmundige Prospektgeschwurbel über Afrika-Safaris und exotische Abenteuerreisen in tropische Urwälder anhören müssen. Natürlich hatte sie zuhause davon erzählt und mit einem klagenden Blick ihre Eltern angeschaut.

Die alte Standuhr in Förster Grimmels Arbeitszimmer schlug zwölf. In einer Stunde würde der Schulbus Julia am Zufahrtsweg zur Försterei absetzen, bis dahin musste er sich zu einem Entschluss durchringen. Vor drei Jahren waren sie zuletzt im Urlaub gewesen. Mit Schaudern dachte er daran zurück. Aus einem spontanen Entschluss heraus, hatten sie damals am Abend online ein Zimmer in einer Pension gebucht und waren im Morgengrauen mit ihrem klapprigen VW-Bus nach Italien aufgebrochen. Gegen Mittag waren sie voller Vorfreude auf Strand und Meer auf der Straße, die durch die Lagune von Venedig nach Lido di Jesolo, führte. Es lagen noch ca. 8 km vor ihnen als sie in einen Stau gerieten. Die Straße machte eine leichte Rechtskurve – vielleicht eine Baustelle, dachten sie. Nach der Kurve hatten sie einen besseren Blick nach vorne und sahen eine lange Schlange von Wohnmobilen und Caravans. Vielleicht war ja die Anreise an einem Samstag doch nicht ihre alleinige Idee. Es ging im Schritttempo voran und gegen Abend erreichten sie die Via Flora. »Ihr Ziel liegt auf der linken Seite«, meldete das Navigationsgerät. Förster Grimmel brachte den VW-Bus zum Stehen, auf der Rückbank lag Julia seit zwei Stunden in tiefem Schlummer. Seine Frau Annette schaute ungläubig nach links. Ein Gemüsefeld erstreckte sich im Dämmerlicht so weit das Auge blicken konnte. Förster Grimmel hatte ein Zimmer mit Vollpension in der Pension Illusore gebucht. Die Bilder von der Pension, den Außenanlagen und den Zimmern waren sehr ansprechend gewesen. Bei sofortiger Bezahlung des Gesamtpreises gab es obendrein noch 10% Rabatt. Er hatte keine Sekunde gezögert und das Geld überwiesen. Vermutlich, dachte er, hatte ihn das Navigationsgerät an eine falsche Adresse geführt. Er wählte die auf dem Ausdruck der Reservierungsbestätigung angegebene Telefonnummer. »Kein Anschluss unter dieser Nummer«, erklärte ihm eine freundliche Computerstimme.

»Du hast dich bestimmt verwählt«, ermunterte ihn Annette. Sie hatte bemerkt, wie Förster Grimmel gedankenverloren sein Mobiltelefon anstarrte. Von vorne näherte sich auf der einsamen Landstraße ein Wagen der Carabinieri. Er fuhr an ihnen vorbei, wendete an der nächsten Einbiegung und kam hinter ihnen zum Halt.

Ein Polizist stieg aus und klopfte an die Seitenscheibe.

»Kann ich Ihnen helfen?«

Förster Grimmel reichte ihm wortlos den Ausdruck. Nach einem kurzen Blick, seufzte der Polizist und erklärte mit wortreichen Gesten, dass sie auf ein Betrugsportal hereingefallen waren. Sie waren heute schon die vierte Familie, die hier gestrandet war. Der Polizist war so hilfsbereit und lotste sie dann auf einen Parkplatz, wo sie die Nacht im VW-Bus verbringen konnten. Gegenüber dem Parkplatz war eine nette Pizzeria, in der sie sich für die Nacht stärken konnten. Die Stimmung war leicht getrübt, denn Julia hatte mittlerweile mitbekommen, dass etwas komplett schiefgelaufen war. Der Polizist hatte ihnen eine Visitenkarte des Touristenbüros gegeben. Dort konnten sie am nächsten Morgen ein Zimmer in einer Pension buchen und der Urlaub fand nach dem anfänglichen Schrecken ein versöhnliches Ende.

Die Standuhr schlug zur Viertelstunde und Förster Grimmel schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er erinnerte sich an ein Gespräch mit seinem Freund Wolfgang, der ihm gesagt hatte, dass er unbedingt ein paar Flugstunden absolvieren müsse, um seine Pilotenlizenz nicht zu verlieren. Das wäre eine Möglichkeit, kam es ihm in den Sinn. Er griff zum Mobiltelefon und wählte Wolfgangs Nummer. Wolfgang war gerade in seiner Werkstatt und für Förster Grimmels Idee sofort aufgeschlossen. Nach dem Gespräch lehnte sich Förster Grimmel in seinen Bürostuhl zurück und strich sich zufrieden über den Bauch. Ein dumpfes Ziehen in ebendiesem brachte ihm zu Bewusstsein, dass es an der Zeit war, das Mittagessen zuzubereiten. Er und Annette hatten sich die Hausarbeit geteilt. Gestern hatte Annette ein Kompott aus frischen Aprikosen gekocht und heute war er an der Reihe einen Kaiserschmarrn auf den Tisch zu zaubern. Bei seiner Tochter, das wusste er, würde er damit punkten. Von Mehlspeisen konnte sie gar nicht genug bekommen. Und wenn er ihr und Annette nach dem Mittagessen seinen Plan für die Urlaubsreise vorstellen würde, dann würden sie auch noch die nächsten drei Tage Regenwetter in freudiger Erwartung überstehen.

Försterhaus im Grimmelwald

2 Julias letzter Schultag

Julia saß im Schulbus neben ihrer besten Freundin Lena. Der letzte Schultag vor den großen Ferien war wie im Flug vergangen.

»Hoffentlich kommen wir in dieselbe Klasse«, sagte Lena. Nächstes Schuljahr würden sie beide auf das neusprachliche Thomas-Mann-Gymnasium in Grimmelshausen an der Ilm gehen.

»Sicher doch«, erwiderte Julia. »Wenn nicht, dann machen meine Mama und mein Papa einen Aufstand.« Auf ihre Eltern konnte sie sich verlassen, wenn sie auch oft mit ihrem übertriebenen Aufräum- und Sauberkeitsfimmel nervten. Aber sie war richtig stolz, dass ihr Vater eine Försterei leitete und ihre Mutter ein Start-Up-Unternehmen gegründet hatte. Dass sie nicht solche Schnöseleltern hatte, wie manche in ihrer Klasse. Die brachten ihre Kinder mit dem SUV in die Schule und überhäuften sie mit Designerklamotten. Und dass sie nicht tagelang auf Dienstreisen auf anderen Kontinenten waren und das Au-pair-Mädchen die Kinder betreuen musste.

Die Försterei lag mitten im Wald, fast 6 km von Grimmelshausen entfernt und war durch einen 200 m langen Zufahrtsweg an die Landstraße angebunden. Der Schulbus bog gerade vom Ort auf die Landstraße ab, in 10 Minuten würde er sie an der Einmündung zur Försterei absetzen. Lena würde noch länger im Bus bis zum nächsten Weiler fahren, wo ihre Eltern einen Bauernhof hatten.

»Habt ihr schon Pläne für die Sommerferien?«, wollte Julia wissen.

»Ach, du weißt doch, meine Eltern haben voll zu tun auf dem Hof. Wir müssen die Ernte einbringen. Vielleicht, wenn wir bis Ende August das Getreide abgeerntet haben, fahren wir ein paar Tage zu den Großeltern nach Südtirol.« Lenas Mutter Veronika kam aus Brixen im Pustertal und hatte nach der Lehre als Hotelfachangestellte ein dreimonatiges Praktikum in einem Münchner Hotel gemacht. Dort hatte sie auf einem Faschingsball Georg, einen Burschen vom Land, kennengelernt. Nachdem sie zwei Jahre zwischen Brixen und Oberbayern gependelt war, hatten sie geheiratet und waren auf den Hof von Georgs Eltern in der Nähe von Grimmelshausen gezogen.

»Dann kannst du mich ja oft besuchen, meine Eltern kommen vor lauter Arbeit auch nicht auf die Idee, eine Reise zu buchen« verabschiedete sich Julia von Lena.

Der Schulbus hielt an der Einmündung zur Försterei. Julia stieg als einziges Kind aus und winkte Lena, als der Bus an ihr vorbeifuhr. Mit ihrer roten Regenjacke war sie der einzige Farbfleck vor dem tristen, regenverhangenen Wald.

Sie drehte sich um und spähte aufmerksam unter die Farne am Wegrand. Ein braunrotes Fellbündel stach ihr in die Augen.

»Komm raus, ich hab dich gesehen«, rief Julia. Eine spitze Schnauze kam aus dem Farnzweigen hervor.

»Endlich kommst du« begrüßte sie der Fuchs, »ich muss dir Neuigkeiten erzählen«. Zusammen trotteten sie langsam den Weg zur Försterei entlang. »Ich bin Papa geworden. Meine Frau hat heute Nacht drei Welpen geworfen.« Bei diesen Worten streckte der Fuchs stolz seine behaarte Brust hervor.

»Wow, das ist toll. Ich freue mich so für euch. Ich will eure Kinder mal sehen, wenn sie den Fuchsbau verlassen dürfen. Das muss ich sofort meinem Papa erzählen.«

»Ich schicke dir den Uhu, wenn es soweit ist. Jetzt gehe ich wieder zu meinem Bau und schlafe weiter. Letzte Nacht habe ich kein Auge zugetan, das war eine Aufregung.« Mit diesen Worten bog der Fuchs in den Wald ab und war verschwunden.

Die letzten Meter zur Försterei lief Julia ganz schnell und noch auf der Türschwelle rief sie: »Papa, Papa, der Fuchs hat Junge bekommen.«

3 Wolfgang Sickinger ist begeistert

Nach dem Telefongespräch mit Förster Grimmel war Wolfgang Sickinger, genannt Captain, ganz aufgeregt. Von Grimmels Idee war er sofort begeistert gewesen. Endlich konnte er mal wieder sein Fluggerät präsentieren und ein bisschen die Erinnerungen an alte Zeiten aufleben lassen. Wolfgang war bereits 70 Jahre alt und schon fast 10 Jahre in Rente. In seinem früheren Leben war er Raumschiffkapitän gewesen. Seine Einsätze hatten ihn durch das ganze Sonnensystem geführt. Die Fahrt zum Mond war fast alltäglich gewesen, sie hatten Versorgungsgüter für die Basisstation der europäischen Allianz transportiert. An die Fahrten zum Mars und zur Venus erinnerte er sich besonders gerne. Sie waren die Höhepunkte seiner Karriere gewesen. Damals hatte man zum ersten Mal den neuen Interstellar-Antrieb getestet, der das Raumschiff bis auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigen konnte. Es hatte sich nur um Test- und Erkundungsfahrten gehandelt, die Technologie war damals noch in Erprobung. Seitdem hatte sich viel getan und die ersten Bodenstationen auf Mars und Venus waren gegründet worden. Doch das war alles erst nach seiner aktiven Zeit geschehen und Wolfgang hatte das nur mehr in den Nachrichten verfolgt. Von seiner ehemaligen Crew waren noch drei Leute am Leben, mit denen er sich immer am Jahrestag der ersten Venusmission traf. Von Jahr zu Jahr wurden die Erzählungen wilder, die gemeisterten Gefahren größer und die Emotionen rührseliger. Mit seinem analytischen Verstand konnte er das alles auf die Fakten reduzieren, doch seit der Scheidung von seiner Frau kurz nach Beginn der Rente, gab er sich mit Lust dem Fabulieren und Übertreiben hin.

Der Übergang vom Berufsleben in die Rentenzeit war, wenn er ehrlich zu sich war, der Auslöser für die Scheidung gewesen. Schon zwei Jahre vor Ende seiner aktiven Zeit, hatte ihn die Raumfahrtbehörde kaltgestellt. Aus Altersgründen, so die Begründung, war er zur Logistikabteilung versetzt worden und durfte sich mit Lieferanten und Subunternehmern herumschlagen. Seiner Laune hatte das nicht gutgetan und die Tatsache, dass er nun täglich nach Hause kam und die Wochenenden gänzlich zuhause verbrachte, hatte das Verhältnis zu seiner Frau aufs Äußerste gespannt. Verwundert, aber letztlich doch erleichtert, hatte er mitbekommen, dass seine Frau nach und nach alle ihre Besitztümer außer Haus geschafft und schließlich selbst fortgeblieben war. Die Scheidung, ein Jahr später, war dann reine Formsache gewesen. Nachdem er zwei Monate in Selbstmitleid versunken war und häufig ohne bewusstes Ziel im Internet Kleinanzeigen studiert hatte, blieb sein Blick an einer Anzeige hängen. Die Raumfahrtbehörde hatte ein Raumschiff der ersten interstellaren Generation zum Verkauf an einen Liebhaber angeboten. Anstelle der Technologiekomponenten, die der Geheimhaltung unterlagen, sollten als Ersatz herkömmliche Komponenten, also beispielsweise ein Hyperschallantrieb und eine lasergestützte Navigation bereitgestellt werden. Der Einbau dieser Komponenten oblag dem Käufer. Wolfgang, also der Captain, wie er sich stolz in Erinnerung rief, war sich seiner beschränkten handwerklichen und technologischen Fähigkeiten durchaus bewusst, er vertraute aber auf seine ehemalige Crew. Und so kam es, dass sich alsbald Wolfgang und die drei verbliebenen Crewmitglieder auf einer nahegelegen Basis der Raumfahrtbehörde ans Werk machten. Nach zwei Jahren harter Arbeit erhob sich das Raumschiff mit dem Captain am Steuerpult zum ersten Mal nach dem Umbau zehn Meter senkrecht in die Luft. Die Mitarbeiter der Raumfahrtbasis und die Crewmitglieder applaudierten und feierten das Ereignis mit einem kleinen Feuerwerk. Nach zwei weiteren Monaten Feintuning und der abschließenden Freigabe durch die Zulassungsbehörde, konnte der Captain mit seiner Crew endlich zum Jungfernflug starten.

Als der Abschluss des Umbaus in greifbare Nähe gerückt war, hatte sich Wolfgang in der Umgebung von Grimmelshausen an der Ilm, seiner Geburtsstadt, nach einem geeigneten Anwesen für sich und das Raumschiff umgesehen. In dem Weiler, in dem Lena mit ihren Eltern wohnte, pachtete er einen stillgelegten Bauernhof und baute einen geeigneten Landeplatz. Das Bauernhaus bezog er selbst und die Scheune baute er zur Werkstatt um. Natürlich hatte er die Ankunft des Raumschiffes vorher angekündigt und so waren die Bewohner des Weilers und auch die Familie des Försters zugegen, als das Ungetüm einschwebte. Trotz einiger Bedenkenträger wegen der Lärmemissionen, war die Mehrheit der Nachbarn positiv gestimmt. Als der Captain nach der Landung dem Raumschiff entstieg brandete ihm Jubel, vermischt mit ein paar Buh-Rufen entgegen. Eine ausgewählte Gruppe von zehn Personen, der auch die Försterfamilie und Lenas Familie angehörten, durfte mit dem Captain einen Rundflug über Grimmelshausen und den Weiler machen. Seit diesem Tag schwärmen Julia und Lena von dem unvergleichlichen Erlebnis. Nur zu den notwendigen regelmäßigen Flügen zum Erhalt der Pilotenlizenz und jährlich einer Reise mit seiner Crew, hat sich das Raumschiff seitdem in die Luft erhoben. Umso mehr freute sich Wolfgang über den Anruf von Förster Grimmel, der für die nächsten Tagen Abwechslung in seinen eintönigen Tagesablauf versprach.

4 Annette ist verzweifelt

Förster Grimmel stand am Herd und zerteilte den Kaiserschmarrn in der Pfanne, als er den Ausruf seiner Tochter vernahm. Gleich darauf stand sie auf der Schwelle zur Küche und erzählte, was sie vom Fuchs gehört hatte.

»Das ist eine freudige Überraschung«, sagte Förster Grimmel. »Vor ein paar Tagen erst habe ich die Fuchsmutter gesehen, da hatte sie schon einen dicken Bauch. Wir müssen in den nächsten Tagen den Fuchs besuchen, dann bringen wir ihm ein paar Leckerbissen.«

»Au ja«, rief Julia. »Und was gibt es heute bei uns zum Essen?«

»Kaiserschmarrn mit Aprikosenkompott« erwiderte Förster Grimmel.

»Super, das ist mein Lieblingsessen.«

»Geh und hol deine Mutter, der Tisch ist gedeckt.«

Julia lief zum Arbeitszimmer ihrer Mama und öffnete leise die Tür. Wenn Annette in ihre Arbeit vertieft war, musste man vorsichtig sein. Eine Störung zum unpassenden Zeitpunkt konnte einen mächtigen Wutausbruch zur Folge haben. Annette starrte auf ihren Bildschirm und fluchte leise vor sich hin. Nach ihrem Lehramtsstudium für die Grundschule hatte Annette einige Jahre bis zur Verbeamtung als Lehrerin in Grimmelshausen gearbeitet. Als dann Julia zur Welt kam, hatte sie sich nach dem Erziehungsurlaub aus Familiengründen freistellen lassen. Mit der Grundschule blieb sie über ihre Tochter verbunden, hatte aber noch keine Lust, wieder in ihren Beruf zurückzukehren. Stattdessen hatte sie vor einem Jahr die Idee, einen Online-Shop hochzuziehen. Ihr Hobby war der Garten und die Aufzucht von Blumen, Gemüse und Kräutern. Die Kräuter trocknete sie und machte daraus Mischungen für Küche und Tee. Unter der Webadresse www.bonherb.wo konnte man diese Mischungen kaufen. Nachdem eine schnell zusammengeschusterte Fassung der Homepage schon die ersten Kunden angezogen hatte, wollte sie nun eine überarbeitete Version mit schicken Fotos und besserem Bedienkomfort freigeben. Leider konnten ihre autodidaktischen Programmier- und Designfähigkeiten nicht mit ihren Ambitionen Schritt halten und deswegen fand sie keinen Ausweg aus dem Tal der Frustrationen. Der Shop warf auch nicht so viel ab, dass sie sich davon eine professionelle Agentur leisten konnte.

»Mama«, machte Julia sich leise bemerkbar, »der Papa hat den Tisch gedeckt und das Essen fertig«.

»Na, das ist doch mal eine gute Nachricht. Diese Software bringt mich zum Verzweifeln.« Mit einem Seufzer stand sie auf, nahm die Hand ihrer Tochter und ließ sich von ihr Richtung Esszimmer ziehen.

»Voila«, sagte Förster Grimmel, als er mit der dampfenden Pfanne aus der Küche kam und sie auf einen Untersetzer stellte. »Bon appetite.«

5 Julia will etwas erleben

Beim Mittagessen erzählte Julia vom letzten Schultag. Die Kinder waren sehr aufgeregt gewesen, aber auch sehr traurig, weil die Zeit in der Grundschule zu Ende war. Alle hatten sie von ihren Urlaubsplänen geschwärmt: eine Expedition durch den Amazonas-Regenwald, eine Reise zu den Gletschern von Grönland, ein Camping-Urlaub im Yellowstone-Nationalpark, eine Rundreise durch Neuseeland, und so weiter und so fort. Nur Lena und Julia waren schweigsam geblieben und hatten sich nach der Zeugnisausgabe sofort in den Schulbus gesetzt.

»Wann machen wir endlich mal richtig Urlaub?«, fragte Julia, nachdem sie mit dem Essen fertig war. »Die Fahrt nach Italien vor drei Jahren war ja ganz nett, aber alle meine Freunde dürfen etwas richtig Aufregendes im Urlaub erleben.«

»Na ja«, schmunzelte Förster Grimmel, »bei uns im Wald gibt es doch auch jede Menge Abenteuer zu erleben. Du kennst so viele Tiere, den Fuchs, den Uhu, die Eichhörnchen und denk doch mal an die Moorgespenster. Ich kann mich erinnern, dass du in den letzten großen Ferien ganz schön durcheinander warst, als du Marie aus dem Sumpf gerettet hast.«

Ein Schaudern durchlief Julia, als sie sich an die letzten Tage der vergangenen Sommerferien erinnerte. Beim Sprung von einem Weidenbaum zum anderen war Marie, das rotbraune Eichhörnchen, von einem Zweig abgerutscht und – dem Himmel sei Dank – auf einem großen Seerosenblatt im Sumpfweiher gelandet. Julia hatte gerade mit Lena am Ufer des Weihers Libellen beobachtet, als Marie mit einem dumpfen Plumps auf dem Blatt landete. Mit vor Schreck geweiteten Augen und zitterndem Fell hatte Marie nach Hilfe gerufen. Glücklicherweise hatten sie in der Nähe einen langen abgestorbenen Ast gefunden, den sie schnell zum Seerosenblatt hinüberschoben. Erst nach einigen Minuten und gutem Zureden hatte sich Marie auf dem wackligen Ast zum Ufer zu balancieren getraut. »Du weißt doch, dass du nicht über dem Wasser von Ast zu Ast springen sollst«, hatte Julia Marie getadelt. »Was hättest du gemacht, wenn wir nicht zufällig hier gewesen wären?« »Ach, dann hätte ich die Moorgespenster gerufen und die hätten mich ans Ufer getragen«, hatte Marie schnippisch erwidert. Julia hatte Lena kopfschüttelnd angeschaut und mit den Augen gerollt. Bis heute wusste sie nicht, ob es die Moorgespenster wirklich gab. Vielleicht war es ja nur ein Märchen, das man kleinen Kindern erzählte, damit sie nicht so nahe an Sümpfe und Moore gingen. Und wenn es sie wirklich gab, waren sie überhaupt böse und gefährlich oder vielleicht doch ganz nett und hilfsbereit?

»… und da können wir zwei Wochen ausspannen« sagte gerade ihr Papa, als sie aus ihren Erinnerungen wieder in die Gegenwart zurückkehrte. Verständnislos schaute sie ihn an und dann zu ihrer Mama. Beide blickten sie mit einem breiten Grinsen an.

»Freust du dich denn gar nicht, Julia?« fragte Annette mit gerunzelter Stirn. »Du kannst auch Lena mitnehmen, wenn ihre Eltern es erlauben.«

»Mama, Papa, ich habe gerade nicht zugehört, weil ich an die Sommerferien vom letzten Jahr gedacht habe. Heißt das, wir fahren doch in Urlaub?« Erwartungsvoll und mit weit aufgerissenen Augen starrte Julia ihre Eltern an.

»Also nochmal« fing Förster Grimmel an. »Ich habe Wolfgang Sickinger gefragt ob er nicht mal wieder einen Ausflug mit dem Raumschiff machen will und er war sofort Feuer und Flamme. Du weißt ja, dass er regelmäßig Flugstunden nachweisen muss, sonst verliert er seine Pilotenlizenz. Er sagt, er kennt eine einsame Insel etwas östlich von Taiwan in der Philippinensee, Lan Yu heißt sie. Es wohnen nicht viele Leute dort, es gibt dort erloschene Vulkane, Höhlen, einsame Strände und es ist fast schon tropisch warm.«

Mit leuchtenden Augen sprang Julia auf und umarmte ihre Mama und ihren Papa. »Das ist die schönste Überraschung, ich freu mich so, das muss ich gleich Lena erzählen. Wann fahren wir los?«

»Ich muss erst meinen Chef, Oberförster Baumstangerl, informieren, damit er sich in unserer Abwesenheit um den Wald kümmert. Dann müssen wir alles für die Reise vorbereiten und Wolfgang helfen, das Raumschiff startklar zu machen. Heute ist Mittwoch, ich gehe davon aus, dass wir bereits am Sonntag abheben können. Das kläre ich noch mit Wolfgang ab.«

6 Julia besucht Lena

Gleich nachdem sie den Geschirrspüler eingeräumt hatte, machte sich Julia auf den Weg zu Lena. Vom Försterhaus führte ein schmaler Waldweg direkt zu dem etwa 2 km entfernten Weiler. Zuerst zog sich der Weg am Rande einer kleinen Fichtenschonung hin, dann durch einen lichten Buchenwald bis zum Waldrand. Von dort waren es knapp 500 m über einen Feldweg zwischen einem Weizenfeld und einem Kartoffelacker. Vom Waldrand aus konnte man schon die Rückseite des Bauernhofs sehen. Die letzten Meter lief Julia, denn sie brannte darauf, Lena von der geplanten Reise zu erzählen. Auf der Südseite des Bauernhofes kam sie an einer Wiese mit Obstbäumen und einem umzäunten Gemüse- und Kräutergarten vorbei. Wie sie richtig vermutet hatte, war Lena bei ihrem Pony auf der Pferdekoppel. Georg, Lenas Vater, hatte vor zwei Jahren dem Drängen seiner Tochter nach einem Pferd nachgegeben, einen Teil der Wiese eingezäunt und einen Pferdestall gebaut. Das Pferd, ein scheckiges Shetland-Pony hatten sie über einen befreundeten Bauern erhalten, der einen Pferdehof betrieb. Das Pony gehörte einer Familie aus Ingolstadt. Deren Tochter Emilia hatte vor zwei Jahren Abitur gemacht und sollte zum Studium nach Oxford gehen. Sie konnte sich also nicht mehr um das Pony kümmern und hatte schweren Herzens einen Pflegepaten gesucht. So kam Rosi, das Pony, zu Lenas Familie. Emilias Familie zahlte monatlich das Futtergeld und Emilia konnte in den Semesterferien ihr Pony besuchen und ausführen.

»Lena, Lena, wir können in Urlaub fahren, wir können sogar fliegen« rief Julia als sie bis auf Hörweite an die Pferdekoppel herangekommen war.

Verdutzt schaute Lena auf die heranstürmende Julia. Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, was das bedeutete.

»Dann kann ich dich ja gar nicht besuchen und mit dir in den Wald gehen, wenn ihr wegfährt«, stammelte Lena und ein trauriger Blick streifte Julia.

»Ach Blödsinn, du darfst ja mitkommen, wenn es deine Eltern erlauben«, lachte Julia.

Ungläubig schaute Lena Julia an: »Wirklich? Ist das dein Ernst?«

»Ja, natürlich, meine Eltern freuen sich, wenn du mitkommen darfst. Der Captain fliegt mit uns in seinem Raumschiff auf eine einsame Vulkaninsel bei Taiwan.«

»Wo ist denn das? Das habe ich noch nie gehört?« rief Lena.

»Keine Ahnung«, antwortete Julia, »ist doch auch egal. Es gibt Meer und erloschene Vulkane, es ist warm und wir können jede Menge Abenteuer erleben. Vielleicht sehen wir sogar Meeresschildkröten oder Delfine.«

So schnell sie konnten liefen Lena und Julia zum Bauernhof. Lenas Vater schraubte gerade an einem alten Traktor herum und Lenas Mutter Vroni saß auf einer Bank in der Sonne. Lena sprudelte los und nach einigen Nachfragen hatten Lenas Eltern die Urlaubspläne verstanden. Skepsis breitete sich auf ihren Gesichtern aus und den beiden Kindern rutschte bereits das Herz in die Hose.

»Da muss ich erst mit dem Förster telefonieren und mir das in Ruhe erklären lassen«, sagte Georg bedächtig. Er holte sein Mobiltelefon heraus und wählte dessen Nummer. Die beiden Mädchen schauten verzagt zu, als Georg mit dem Förster sprach. Nach einigen Minuten konnten sie den Gesprächsfetzen entnehmen, dass der Förster Georgs Bedenken ausräumen konnte und sie schöpften Hoffnung. »Na gut« sagte Georg zu Vroni, »das ist eine sichere Insel, die Vulkane sind alle seit langem erloschen. Bestimmt werdet ihr dort jede Menge Spaß haben.«

Vroni seufzte: »Meinen Segen habt ihr auch. Ihr dürft aber nicht leichtsinnig sein und nur machen, was Julias Eltern erlauben«.

»Ja, das tun wir«, jubelten Lena und Julia im Chor, »großes Indianer-Ehrenwort«. Dann liefen sie zurück zum Pony, erzählten ihm alles und schmiedeten bereits die ersten Pläne. Als der Tag sich zum Abend neigte, verabschiedete sich Julia von Lena und ihren Eltern und lief freudestrahlend zum Försterhaus zurück.

7 Julia trifft den Uhu

Auf dem Rückweg durch den Wald, kam Julia lautlos flatternd der Uhu entgegen. »Hallo Uhu, hast du gehört, der Fuchs hat drei Junge bekommen?«

»Ja, ich habe ihn gerade getroffen. Er hat es mir freudestrahlend erzählt. Jetzt kommt bei ihm Leben in die Bude. Die Kleinen werden ihm noch den Pelz vom Kopf fressen«, rief der Uhu verschmitzt. »Ich freue mich so für ihn und seine Frau. Ach, würde ich doch endlich auch eine Frau finden. Hier im Wald leben so viele Vögel – Amseln, Drosseln, Stare, Meisen, sogar einen Mäusebussard habe ich gestern erspäht – aber ein lediges Weibchen ist mir noch nicht vor meine scharfen Augen gekommen.«

»Du musst halt Geduld haben, lieber Uhu«, erwiderte Julia »und in der Nacht laut Huhu rufen. Irgendwann wird ein junges Weibchen vorbeifliegen und dein Werben erhören.«

»Wenn du meinst, Julia«, krächzte der Uhu, »dann setze ich mich halt wieder auf die hohe Tanne. Aber wie du hörst, bin ich schon ganz heiser.«

Uhu im Grimmelwald

»Nur nicht aufgeben«, ermunterte ihn Julia, »bis wir vom Urlaub zurück sind, hast du bestimmt ein junges Weibchen gefunden.«

»Was, ihr wollt wegfahren und uns ganz allein zurücklassen? Was ist, wenn am Wochenende wieder die Stadtleute in Scharen in den Wald kommen und nachts Partys feiern? Wer soll sie dann verscheuchen?« entrüstete sich der Uhu.

»Keine Angst, das überlebt ihr schon. Wir sind ja nur zwei Wochen weg und außerdem kommt Oberförster Baumstangerl als Vertretung ins Försterhaus. Der wird für Ruhe und Ordnung im Wald sorgen« entgegnete Julia. »Und wer weiß, vielleicht fliegt uns ja auf Lan Yu eine Uhudame zu, die sich mal ein oberbayrisches Uhu-Männchen ansehen will. Gib mir doch mal eine deiner Federn mit, dann könnte ein Weibchen schon mal dran schnuppern.«

Der Uhu rollte mit den Augen, packte eine seiner Brustfedern und riss sie mit einem kleinen Schmerzenslaut aus. »Hier, pass gut auf sie auf. Nicht dass du sie verlierst. Sag mal, Lan Yu, ist das nicht diese kleine Vulkaninsel in der philippinischen See?«

»Ja genau« rief Julia erstaunt, »hast du etwa von der Insel gehört?«

»Ich glaube schon«, versuchte sich der Uhu zu erinnern, »unsere Lehrerin in der Uhu-Schule hat uns mal ein gruseliges Märchen erzählt, das auf Lan Yu spielte. Ich weiß nicht mehr genau, wie sich die Geschichte zutrug. Es sind immer wieder junge Uhu-Kinder auf unerklärliche Weise verschwunden, wenn sie auf die Spitze des Vulkans fliegen wollten. Na ja, das Märchen sollte wohl die Uhu-Kinder davon abhalten, zu nahe an den Vulkan zu kommen. Vielleicht gab es da ja giftige Dämpfe oder Spalten mit glühender Lava. Das Märchen ist bestimmt eine reine Erfindung. Versprich mir, dass du dort vorsichtig bist und keine leichtsinnigen Sachen machst.«

»Du hast mir ganz schön Angst eingejagt«, sagte Julia mit belegter Stimme. »Ich verspreche dir, dass ich mich vom Vulkan fernhalten werde. Jetzt muss ich mich aber sputen, meine Eltern warten bestimmt schon mit dem Abendessen auf mich.« Julia winkte dem Uhu zu und lief schnell zum Försterhaus.

8 Annette kennt ein Geheimnis

Beim Abendessen löcherte Julia ihre Eltern mit Fragen zur bevorstehenden Reise. »Wann fliegen wir jetzt genau? Soll ich Badesachen mitnehmen oder Wanderschuhe? Wird es dort kalt sein? Brauche ich warme Sachen zum Anziehen?«

»Langsam, langsam«, schmunzelte Annette, »ich habe schon mit Wolfgang darüber gesprochen. Er kennt die Insel. Vor vierzehn Jahren haben sie einmal einen Übungsflug dorthin gemacht. Auf der Insel herrscht subtropisches Klima, die Temperatur fällt auch nachts kaum unter 20 Grad. Allerdings regnet es im Sommer häufig, aber nur kurz, es ist gerade Regenzeit. Die Insel hat ein paar geschützte Buchten, da kann man im Meer baden.«

»Wir fliegen am Sonntag«, schaltete sich Förster Grimmel in die Unterhaltung ein. »Wir haben also genau drei Tage um das Raumschiff startklar zu machen und unsere Sachen einzuräumen. Morgen und übermorgen helfe ich Wolfgang, die Motoren und die Steuerung zu überprüfen. Am Samstag können wir dann unsere Sachen ins Raumschiff bringen. Vermutlich werden wir vorher auch noch eine kurze Runde drehen, um zu testen, ob alles in Ordnung ist.«

»Wollt ihr wissen, was mir Wolfgang noch erzählt hat?«, schaute Annette die beiden verschwörerisch an.

»Au ja«, rief Julia aufgeregt, »gibt es ein Geheimnis?«

»Ja«, flüsterte Annette leise und beugte sich vor. »Ihr dürft es niemandem weiter erzählen. Wolfgang ist es einfach so rausgerutscht, als ich ihn über die Insel ausgefragt habe. Auf einer kleinen Nachbarinsel gibt es die letzte Kolonie weltweit mit Feuerdrachen. Er war ganz erschrocken, als ihm bewusst wurde, dass er mir das gar nicht hätte erzählen dürfen und hat mich eindringlich angefleht, es niemandem zu verraten.«

»Ich sage es bestimmt nicht weiter«, beeilte sich Julia zu versichern.

»Von mir wird es auch niemand erfahren«, grummelte Förster Grimmel. »Obwohl sich im Internet hartnäckig Gerüchte halten, dass es eine solche Insel gibt. Auf der Seite www.drachen-suche.wo kannst du nachlesen, was die Leute für Vermutungen haben. Alle paar Tage meldet sich dort ein Wichtigtuer und behauptet, er wüsste wo die Insel ist. Das ist wie mit Nessie und Loch Ness. Wenn dann andere Leute die Insel besuchen, ist von Drachen nichts zu sehen. Vielleicht hat dir ja Wolfgang einen Bären – oder sollte ich sagen Drachen – aufgebunden?«

»Na ja«, meinte Annette zweifelnd, »zuzutrauen wäre es ihm. Auf meine Nachfragen hat er nur gemeint, er wüsste die Lage der Insel. Sie sei auf keiner Karte verzeichnet und auch auf den Satellitenaufnahmen im Internet ist die Insel wegretuschiert. Das hat die Regierung von Taiwan veranlasst, denn man hatte die Befürchtung, dass die Insel sonst von Touristen überrannt würde. Die Drachenkolonie ist ein sehr empfindliches Ökosystem und ein Einschleppen von Krankheiten durch Besucher würde das Weiterleben der Drachen gefährden. Als sie damals den Übungsflug absolviert hatten, mussten sie wegen Problemen mit dem Triebwerk auf der Insel notlanden. Glücklicherweise konnten sie dort das Triebwerk mit den mitgeführten Ersatzteilen notdürftig reparieren. Als sie gerade wieder starten wollten, haben sie bemerkt, dass sie von einem Rudel Drachen umstellt waren. Es war eine brenzlige Situation, die Drachen sind ja nicht ungefährlich. Mit einem Feuerstoß hätten sie die Außenhaut des Raumschiffes möglicherweise beschädigen können.«

Mit aufgerissenen Augen hatte Julia den Worten von Annette gelauscht. »Und wie sind sie dann von dort wieder weggekommen?«, wollte sie wissen.

»Das wollte er mir nicht sagen«, erwiderte Annette. »Das wäre eine längere Geschichte, die er uns ein anderes Mal erzählen könnte.«

9 Julia träumt

Nachdem sie den Tisch abgeräumt und sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, wollte Julia ein paar Kapitel in ihrem Buch weiterlesen. Normalerweise konnte sie es gar nicht erwarten, die nächsten Kapitel im Moorgespensterbuch zu lesen. Sie war beim dritten Band der Reihe »Die unheimlichen Erlebnisse der schrecklichen Moorgespenster« angelangt und musste oft von ihren Eltern ermahnt werden, endlich das Licht auszumachen und zu schlafen. Aber heute schweiften ihre Gedanken immer wieder ab zur bevorstehenden Urlaubsreise und zu dem was Wolfgang ihrer Mutter über die Dracheninsel erzählt hatte. Ob sie Wolfgang überreden könnte, einen Abstecher zur Dracheninsel zu machen? Was wäre das für eine Aufregung, wenn sie in ihrer Klasse im nächsten Schuljahr heimlich aufgenommene Drachenfotos herzeigen könnte? Sie müsste es natürlich geschickt anstellen. Wenn sie es wollte, konnte sie auch ihren Vater so bezirzen, dass er ihr alle Wünsche von den Augen ablas. Bei Wolfgang würde ihr hoffentlich während der Reise einfallen, wie sie ihn dazu bringen könnte, dass er einen Ausflug zur Dracheninsel vorschlug. Auf jeden Fall musste sie ihre kleine Digitalkamera auf die Reise mitnehmen. Ein kleines Video wäre schon eindrucksvoll. Sie würde von Anfang an im Mittelpunkt ihrer neuen Schulklasse stehen. Die Wahl zur Klassensprecherin wäre dann bestimmt nur eine Formalität. Und einer Klassensprecherin würden die Lehrer keine schlechten Noten geben.

Mit einem Seufzer legte sie das Buch weg, sie hatte keine Seite gelesen, und knipste die Nachttischlampe aus. Mit geschlossenen Augen stellte sie sich vor, wie das Raumschiff in einer Wolke aus aufgewirbeltem Staub startete. Langsam gewann es an Höhe, schwebte über den Wolken und beschleunigte bis auf 5-fache Schallgeschwindigkeit. Auf dem Monitor in der Kommandozentrale wurde ein schwarzer Punkt im blauen Meer größer und größer. Jetzt waren die Umrisse der Insel Lan Yu zu erkennen, weiße Brandungswellen an den schroffen Felsklippen, ein grüner Gürtel zog sich um die Insel und in der Mitte ragte der Vulkan auf, eine dünne Rauchfahne verwirbelte in der Luft.

Julia atmete tief und gleichmäßig. Der Uhu saß auf dem Fenstersims, nickte ihr einen Gutenachtgruß zu und schwang sich lautlos in die Dunkelheit.

10 Lena schläft wieder ein

Ein Sonnenstrahl kroch langsam über die Bettdecke auf Julias Gesicht zu. Schläfrig öffnete sie die Augen und erwartete Meeresrauschen zu hören und Palmen zu sehen. Verwundert blickte sie sich um. Sie lag in ihrem Bett und erinnerte sich allmählich, dass der Flug auf die Insel nur ein Traum war. Sie hatte ja noch nicht einmal ihren Rucksack gepackt.

Es klopfte an der Tür und ihre Mutter streckte den Kopf herein. »Das Frühstück ist fertig. Der Förster geht danach zu Wolfgang und hilft ihm, das Raumschiff startklar zu machen.«

»Darf ich mitkommen?«, fragte Julia. » Vielleicht kann ich helfen, die Wohnräume zu putzen? Lena würde sich sicher auch gerne das Raumschiff anschauen.«

»Da musst du mit deinem Vater reden«, erwiderte Annette, drehte sich um und ging die Treppe zum Erdgeschoß hinunter.

Julia zog sich schnell an und rannte in die Küche. Noch bevor sie sich an den Frühstückstisch gesetzt hatte, sprudelte sie ihre Fragen heraus.

Der Förster freute sich, dass Julia ihn begleiten und bei der Arbeit mithelfen wollte. »Natürlich kannst du mitkommen. Je mehr Leute wir sind, desto schneller geht es mit den Vorbereitungen.«

Hastig aß sie ihre Marmeladensemmel und trank eine Tasse Tee. Als sie Lena anrief, dauerte es gefühlte drei Minuten bis endlich die Verbindung zustande kam. »Steh auf du Schlafmütze, wir können Wolfgang und Papa helfen, das Raumschiff herzurichten. Oder hast du etwas anderes vor?«, rief Julia aufgeregt ins Telefon, ehe Lena auch nur ein Wort sagen konnte.

»Das ist super, klar bin ich dabei. Ich muss aber erst meine Eltern fragen, frühstücken und mein Pony versorgen. Ihr könnt ja schon mal zu Wolfgang gehen, ich komme dann sofort rüber, wenn ich damit fertig bin«, erwiderte Lena mit schlaftrunkener Stimme und unterdrückte ein Gähnen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es gerade mal viertel nach sieben war. Mit einem Seufzer legte sie auf, sank auf ihr Kissen zurück und fiel augenblicklich wieder in Schlaf.

Annette packte für Förster Grimmel und Julia eine Brotzeit ein und stellte ihnen die gefüllten Trinkflaschen auf den Tisch. Punkt acht Uhr machten sich Förster Grimmel und Julia auf den Weg. Als sie im Wald verschwunden waren, räumte sie den Frühstückstisch ab und schaltete den Geschirrspüler ein. Anschließend ging sie in den Gemüse- und Kräutergarten und erntete eine Handvoll Stangenbohnen, die trotz des Dauerregens reif geworden waren. Danach verzog sie sich in ihr Arbeitszimmer und vergrub sich in die Arbeit für ihren neuen Internetauftritt.

11 Rebecca und Marie sind neugierig

Kaum waren Förster Grimmel und Julia ein Stück in den Wald gegangen, hüpften Rebecca und Marie auf ihre Schultern. Julia zuckte zusammen und stieß einen spitzen Schrei aus. »Sagt mal, müsst ihr mich so erschrecken? Könnt ihr euch nicht vorher bemerkbar machen? Ich hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen.«

»Och, das tut uns leid«, piepsten die beiden Eichhörnchen im Chor. »Wir waren gerade auf Futtersuche, da haben wir euch gesehen. Es ist zum Mäusemelken, wir können uns einfach nicht merken, wo wir im letzten Herbst die Nüsse vergraben haben.«

»Wenn ich eure Eltern, Max und Helena, richtig verstanden habe«, empörte sich Julia, »war es mit eurem Fleiß nicht weit her. Sie sagen, ihr habt alles andere gemacht, nur keine Nüsse gesucht und vergraben. Da müsst ihr nicht so scheinheilig tun, wenn ihr es auf die Nüsse in meiner Hosentasche abgesehen habt.«

Rebecca und Marie verdrehten die Augen und kuschelten sich an Julias Hals. »Du bist und bleibst unser Lieblingsmensch, Julia. Wir erzählen dir auch die neuesten Neuigkeiten aus dem Wald. Weißt du schon, dass der Fuchs Junge bekommen hat?«

Julia griff in ihre Hosentasche und gab jedem Eichhörnchen eine Haselnuss. »Das weiß ich längst, der Fuchs hat es mir gestern selbst erzählt.«

Rebecca und Marie nahmen die Haselnüsse mit den Vorderpfoten und knabberten sie an. Mit den Hinterpfoten hielten sie mühelos das Gleichgewicht auf Julias schwankenden Schultern. Julia und Förster Grimmel hatten nach einem kurzen Halt ihren Weg Richtung Weiler fortgesetzt.

»Wo geht ihr hin?«, wollte Rebecca in einer kurzen Knabberpause wissen. »Und warum bist du nicht in der Schule?«, setzte Marie hinzu.

»Wir gehen zu Wolfgang und helfen ihm, sein Raumschiff startklar zu machen. Am Sonntag fliegen wir nämlich ganz weit weg auf eine Vulkaninsel und machen Urlaub. Außerdem habe ich Ferien, die Schule ist geschlossen«, erklärte ihnen Julia.

»Dürfen wir mitkommen und uns das Raumschiff ansehen, ich habe noch nie eines gesehen?«, bettelte Marie.

»Ist es größer als ein Auto?«, wollte Rebecca wissen.

Nach einem Blick auf Förster Grimmel, der zustimmend genickt hatte, schaute Julia nach links und nach rechts auf die Eichhörnchen. »Ja, ihr könnt gerne mitkommen. Ihr müsst mir aber versprechen, dass ihr nicht alleine im Raumschiff herum hüpft und keinen Unsinn macht.«