Varsity Heartbreaker: June & Lucas - Ginger Scott - E-Book
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Varsity Heartbreaker: June & Lucas E-Book

Ginger Scott

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Beschreibung

Lucas Fuller war Junes Ein und Alles, ihr bester Freund, ihr erster Schwarm - und ihr erster Kuss. Doch als June die Schule wechseln muss, ist plötzlich alles anders, und die beiden verlieren sich aus den Augen.
Jetzt, zwei Jahre später, ist June wieder zurück an ihrer alten Highschool und hofft auf einen Neuanfang - auch mit Lucas, dem sie dort jeden Tag über den Weg läuft. Doch während sie versucht, die Funkstille zu brechen, hat Lucas nicht vor, June je wieder in ihr Leben zu lassen. Kann es trotzdem eine Zukunft für die beiden geben?

ONE. Wir lieben Young Adult. Auch im eBook!


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Seitenzahl: 424

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Titel

Widmung

1

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Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

Über dieses Buch

Lucas Fuller war Junes Ein und Alles, ihr bester Freund, ihr erster Schwarm – und ihr erster Kuss. Doch als June die Schule wechseln muss, ist plötzlich alles anders, und die beiden verlieren sich aus den Augen.

Jetzt, zwei Jahre später, ist June wieder zurück an ihrer alten Highschool und hofft auf einen Neuanfang – auch mit Lucas, dem sie dort jeden Tag über den Weg läuft. Doch während sie versucht, die Funkstille zu brechen, hat Lucas nicht vor, June je wieder in ihr Leben zu lassen. Kann es trotzdem eine Zukunft für die beiden geben?

Ginger Scott

Varsity Heartbreaker:June & Lucas

Aus dem Amerikanischen von Anita Nirschl

Für Autumn.

Du verstehst mich so gut.

1   

Es ist schon ziemlich übel, wenn ein Mädchen zusehen muss, wie die eigene Zukunft in Rauch aufgeht. Schätze, ich bin ein bisschen melodramatisch, wenn man bedenkt, dass meine Mom diejenige ist, die ihren Job verloren hat, nicht ich. Und ehrlich, ich hasse es, wie sehr meine Träume von ihrer Arbeit abhängen. Ich habe das noch nie für fair gehalten, aber es gibt viele Dinge in meinem Leben, die ich ungerecht finde, die aber dennoch untrennbar mit mir verwoben sind. Was macht da noch eins mehr?

Meine Mom hat bei Tiny Prints Studio gearbeitet, im Einkaufszentrum am Rand von Allensville, unserer Stadt, die so was wie ein Pickel auf der Stirn von Indianapolis ist. Wir sind eine nette kleine Pustel, aber wirtschaftlich? Die meisten der Kaufhäuser haben dichtgemacht, als vor einem Jahr das riesige Outlet-Center an der Autobahn eröffnete, und die leeren Räume wurden von einer Privatschule, einem Pfandleiher und einem Gebrauchtwarenladen übernommen. Abgesehen von den wenigen verbliebenen Fast-Food-Buden war das Fotostudio das einzige der ursprünglichen Geschäfte, das in der Plaza noch betrieben wurde ... bis Dienstag.

Die Miete für das Studio wurde dem Pärchen, dem der Laden gehörte, zu viel, und in den Ruhestand zu gehen war viel einladender, als zu verhandeln. Sie schenkten meiner Mom ein paar der älteren Ausrüstungsgegenstände, verkauften den Rest und machten sich dann auf in wärmere Gefilde in irgendeinen Rentnervorort in der Nähe von Phoenix.

Währenddessen arbeitet Kristen Mabee wieder im Hochzeitsbusiness und fotografiert Hochzeitsfeiern überall in der Region, damit wir in diesem beschissenen Haus bleiben können, das voller beschissener Erinnerungen daran ist, wie mein beschissener Dad uns im Stich gelassen hat.

Und ich?

Nun, fürs Erste keine Montessori-Schule mehr. Die ist zwar nicht so teuer wie eine vornehme Privatschule, trotzdem kostet sie etwas, und die öffentliche Schule ist gut und gratis. Und alles, was übers Community College hinausgeht, ist auch vom Tisch, es sei denn, die Bowlingbahn gibt mir eine Gehaltserhöhung von hundert Dollar die Stunde. Unwahrscheinlich. Für meine unmittelbare Zukunft wünsche ich mir jedoch inständig, es gäbe eine Möglichkeit, mir die Fotoausrüstung meiner Mom auszuborgen, um das Foto auf meinem Schülerausweis zu retuschieren, bevor ich meinen ersten Tag zurück an der Allensville Public antrete. Ich vermisse die Geborgenheit der winzigen Montessori-Schule, in die ich während meines vorletzten Highschool-Jahres gehen durfte, wirklich sehr.

»June, es ist doch okay!« Meine beste Freundin Abby reißt mir den Ausweis aus der Hand und wirft ihn auf den Rücksitz. Dort hinten herrscht Chaos, also kann ich von Glück sagen, wenn ich ihn wiederfinde, bevor am Montag die Schule losgeht.

»Ich schiele.« Seufzend klappe ich die Sonnenblende runter und schalte das Licht des kleinen Spiegels an. Sehe ich eigentlich immer so aus oder nur auf diesem einen Foto?

»Das wird doch nie jemand zu Gesicht bekommen. Versprochen«, sagt sie.

Ohne wirklich davon überzeugt zu sein, dass ich im wahren Leben nicht doch so aussehe, klappe ich die Sonnenblende wieder hoch und lasse mich auf den Sitz zurückfallen.

Das Foto haben bereits sechs Leute gesehen, und die Schule hat es sich für die Anmeldung zweimal kopiert. Wenn das in dem Tempo so weitergeht, prangt mein Highschool-Ausweis-Foto demnächst von Plakatwänden.

»Versprichst du mir, dass ich auf dieser Party jemanden kenne?«

Ich bin nicht besonders gut im Kontakteknüpfen. Das hat es so reizvoll gemacht, letztes Jahr auf eine kleine Schule zu gehen. Je näher wir dem Haus der D'Angelos kommen, desto unwohler fühle ich mich in meinem T-Shirt. Ich schwöre, es ist beim Waschen eingelaufen. Ich kaufe keine bauchfreien Shirts, trotzdem sehe ich meine Haut, wenn ich die Arme halb hebe. Und der hohe Bund meiner Jeans klappt um, wodurch der Reißverschluss eine Beule macht, als wäre ich ein Sportler mit riesigem Sackschutz. Mich auf dem Sitz windend zerre ich die enge schwarze Hose tiefer über meine Hüften, während ich gleichzeitig das schwarz-weiß gestreifte T-Shirt Richtung Taille runterziehe.

Abby wirft einen Blick auf mich und lacht.

»Du spinnst doch. Du siehst toll aus. Und da sind alle, die du noch aus der zehnten Klasse kennst. Es wird so sein, als wärst du nie weg gewesen.« Sie parkt auf einem freien Platz am Straßenrand ungefähr vier Häuser vom Haus der Zwillinge entfernt. Autos säumen beide Seiten der Straße, und wir können die Musik hämmern hören, sobald Abby die Fahrertür öffnet.

»Ich mag die Leute aus der Zehnten alle eigentlich gar nicht. Und es hatte einen Grund, warum ich weggegangen bin.«

Trotz der Kühle der Spätsommerluft sammelt sich Schweiß in meinem Nacken.

»Du bist weggegangen, weil du geglaubt hast, dass die Leute dich nicht mögen.«

Sie verdreht tatsächlich die Augen, als sie das sagt, was mich ein bisschen nervt. Sie lässt es so unbedeutend wirken. Sie hat immer gedacht, dass ich mir das meiste davon einfach nur eingebildet habe, aber ein paar Tatsachen waren definitiv nicht zu leugnen. Dass ungefähr ein Dutzend Mal Hundekacke auf der Motorhaube meines Autos hinterlassen wurde, wenn es vor der Schule parkte, war nur die Spitze des Eisbergs.

»Abby, jemand hat buchstäblich mein Auto hochgehoben und in den Graben neben der Schule gestellt. Für so eine arschige Aktion muss man sich absprechen. Das ist ein ziemliches Zeichen.«

»Ja, ich weiß. Aber die Leute an dieser Schule sind eben einfach Arschlöcher, ich meine, allgemein. Zu jedem.« Mit einem halbherzig anerkennenden Nicken klappt sie ihren eigenen Spiegel runter, um das Rot auf ihren Lippen nachzuziehen. Dann dreht sie sich zu mir um und hält mir das Gloss hin. Als ich ablehne, zuckt sie die Schultern. Abby ist eine Bilderbuchschönheit. Ihr Haar hat diese Karamellfarbe, die jeden Sommer heller wird, und ihre Haut ist von einem satten Braun. Sie hat in der achten Klasse Kurven bekommen, und ihre Haut ist fein und makellos. Ihre Mom hat sie zum Modeln gebracht, als sie noch klein war, und in letzter Zeit hat sie ein paar große Print-Werbungen an Land gezogen. Bei tausend Dollar pro Auftrag hat sich auf ihrem College-Konto im Lauf der Jahre genug Geld für eine Elitehochschule angesammelt. Ich war immer ihre alternativ angehauchte Freundin mit fast schwarzen Haaren, die ich manchmal zu zwei Zöpfen geflochten trage, weil das buchstäblich die einzige Frisur ist, die ich kann. Meine Freundin hat immer gesagt, sie würde ihre Haare und Kurven sofort gegen meine grünen Augen eintauschen. Ich wünschte, solche Tauschhandel gäbe es wirklich. Deal! Viel Spaß mit dem schlaksigen Körper, den Knubbelknien und den A-Körbchen.

»Schau, alle sind älter geworden«, fängt sie an, während sie ihren Spiegel zuklappt und mit ihren langen Fingernägeln in Richtung meines Türgriffs wedelt, um mich dazu zu drängen, auszusteigen. Meine Hand nimmt den Griff, aber ich kann mich nicht dazu durchringen, die Tür zu öffnen. »Du lebst zu sehr in der Vergangenheit. Die Leute interessieren sich nicht mehr für Streiche und kindisches Verhalten wie Beleidigtsein oder was auch immer.«

»Du meinst Mobbing«, korrigiere ich. Beleidigt zu sein würde bedeuten, dass ich etwas falsch gemacht habe, und ich würde wissen, wem ich Unrecht getan habe. Ich wusste nie irgendetwas davon. Es waren nur diese kleinen Gemeinheiten, die immer aus dem Nichts kamen und sich anhäuften. Und ja, vielleicht hat Abby recht — unsere Schule ist voll von unreifen Witzbolden. Ich habe gesehen, dass auch andere von den Streichen betroffen waren. Aber mich, mich hat es zermürbt.

»Na schön, Mobbing. Alles, was ich sage, June, ist, wir werden dieses Jahr achtzehn – wir alle. Das sind sie, die letzten Momente uneingeschränkter Freiheit und Jugend! Wir sollen feiern und lange wegbleiben und vielleicht sogar — Schnappatmung! — in einem Fach durchfallen, das für unser Zeugnis nicht zählt. Und es gibt so viele Jungs, die wir küssen müssen! Ich weiß, dass du Jungs auf Partys küssen willst, June.«

Ich hasse es, dass ich rot werde, als sie mich aufzieht. Rasch steige ich aus dem Auto aus, einfach um ihrer Unterhaltung zu entkommen, doch das zögert das Unvermeidliche nur hinaus. Sie wird wieder von Lucas Fuller anfangen.

Alles kommt immer wieder auf ihn zurück.

Ich bin in meinen Nachbar verliebt, seit er zu Beginn unseres sechsten Schuljahrs nebenan eingezogen ist. Wir wurden sofort Freunde, obwohl ich zugegebenermaßen zuerst hauptsächlich von seinen Grübchen und blauen Augen angezogen war. Unsere Moms haben sich darin abgewechselt, uns zur Schule zu fahren. Wir waren im selben Sommer-Schwimmteam. Und wir haben Nachmittage damit vertrödelt, uns den klebrigen Saft von Eis am Stiel mit Traubengeschmack von den Armen zu lecken, während wir uns auf dem Dach des alten Buicks sonnten, den mein Dad in unserem Garten gelagert hatte. Technisch gesehen hatte ich mit Lucas Fuller meinen ersten Kuss — das war für eine Wette in der achten Klasse hinten im Bus bei einem Schulausflug. Unsere Lippen waren gespitzt, da war null Zunge, und unsere Augen waren weit offen. Sogar nach diesem linkischen Kuss verging kein einziger Tag, ohne dass wir zusammen abhingen oder einander ›Gute Nacht‹ texteten. Im ersten Highschool-Jahr brachte ich meine Mom einmal dazu, mich zwei Autostunden weit zu fahren, damit ich mir ein Footballspiel von ihm ansehen konnte, und bei seinen Heimspielen war ich immer die, die am lautesten schrie.

Hauptsächlich — mehr als alles andere — war Lucas Fuller mein Lieblingsmensch. Ich bin schüchtern, schrecklich schüchtern, aber nie bei ihm. Wir hatten einen Pakt, dass wir uns nie anlügen würden und dass es null Geheimnisse zwischen uns geben würde.

Jetzt sind nur die Erinnerungen geblieben.

Im Sommer nach unserem ersten Highschool-Jahr hat alles einfach aufgehört. Alles — keine gemeinsamen Fahrten, keine Blicke in meine Richtung, keine Zurkenntnisnahme meiner Existenz. Ich rief an und textete und hinterließ so viele unbeantwortete Nachrichten. Wenn ich zu ihm rüberging, öffnete niemand die Tür, selbst wenn ich wusste, dass sie alle zu Hause waren. Etwa zu der Zeit ließen sich meine Eltern scheiden, und meine Großmutter zog bei uns ein, weil sie zu krank wurde, um allein zu leben. Meine Mom arbeitete und pflegte sie, und wenn sie es nicht konnte, tat ich es. Die Mitarbeiterin vom Hospiz kam und ging, die Habseligkeiten meiner Großmutter wurden bei einem Flohmarkt in unserer Einfahrt verkauft, damit wir genug Kleingeld zusammenkratzen konnten, um ihre letzten paar Ausgaben zu begleichen. Meine Welt brach zusammen, und mein bester Freund, der Mensch, der geschworen hatte, dass wir nie Geheimnisse voreinander haben würden, war direkt nebenan und gleichzeitig eine Million Meilen weit weg. Das war die Zeit, in der Abby und ich uns näherkamen. Sie hatte vieles von dem, was ich durchmachte, selbst erlebt, und sie ist die Art von Mensch, die darauf besteht, einem zu helfen.

Aber mich zu dieser Party zu schleppen? Das fühlt sich nicht besonders nach Hilfe an. Eher nach Folter.

»Und sieh sich das einer an. Da steht ja ein schwarzer Nissan-Pick-up mit ... oh! FULLER1 auf dem Nummernschild!« Abby zeigt in Richtung eines übergroßen Reifens, als ob ich nicht wüsste, dass das Lucas' Truck ist, von dem sie redet.

»Er ist auf jeder Party, Abs. Und nein, ich werde nicht mit ihm reden. Ist ja nicht so, als wüsste er nicht, wo er mich findet. Wenn er reden wollte, dann hätten wir das inzwischen getan.« Ich sehe hinunter auf meine Füße, während ich mit geballten Fäusten in den Hosentaschen über den Asphalt schlurfe. Nach wenigen Schritten laufe ich in die offenen Arme meiner Freundin, sie packt mich an den Schultern und schüttelt mich, bis ich ihr in die Augen sehe.

»Vielleicht solltest du es einfach endlich hinter dir lassen und den heutigen Abend damit verbringen, mit jemand anderem — verdammt, irgendjemand anderem zu reden.« Abbys Augen flehen mich um Zustimmung an, ausnahmsweise mal einen Abend lang zu versuchen, eine normale Abschlussklässlerin zu sein.

»Du bist jemand anderes. Ich rede mit dir«, witzle ich. Damit scherze ich nur zum Teil.

Abby stößt sich von mir ab, geht ein paar Schritte rückwärts und starrt mich dabei herausfordernd an, bevor sie sich auf dem Absatz umdreht.

»Ich meinte jemanden mit einem Penis. Und nein, bevor du noch einen Witz reißen kannst, ich habe nicht heimlich einen Schwanz in meiner Hose versteckt.« Ihr Schritttempo wird schneller und bringt uns näher zur Eingangstür des Partyhauses. Ich lache ein bisschen, innerlich, weil ihr Peniswitz lustig war, aber spätestens als ihre Hand fest auf der Türklinke der D'Angelos liegt, ist aus meiner Belustigung das Bedürfnis, mich zu übergeben, geworden.

»Bereit?«, fragt sie.

»Nein.«

Ihr Mund verzieht sich, um »Tja, Pech« zu sagen, und mit einem einzigen Schubs sind wir drin.

Musik dröhnt aus zwei verschiedenen Räumen um die Wette, das harte Wummern von Indie-Punk, das versucht, zwerchfellerschütternde Hip-Hop-Beats zu übertönen. Gesichter, die ich nicht wirklich wiedererkenne, nicken Abby und dann mir zu, als wir durch das überfüllte Wohnzimmer in Richtung Küchenbereich gehen. Zwei Mädchen schreien einander über einen mit Bierdosen und E-Zigaretten übersäten Couchtisch hinweg an, wer hier wen nicht respektiert. Die überwältigend laute Geräuschkulisse verstärkt meinen Drang, wegzurennen. Abby muss das spüren, denn sie packt meine Hand und zieht mich eng an ihre Seite, bis wir zu der offenen Tür kommen, die in den Garten führt.

»Warum soll das nochmal Spaß machen?«, sage ich dicht an ihrem Ohr. Ich bin mir trotzdem nicht sicher, ob sie mich hören kann.

Sie bückt sich und klappt eine rote Kühlbox voll Eiswasser und schmelzenden Eiswürfeln auf. Dann fischt sie mit der Hand darin herum und holt zwei Bier heraus.

»Hier. Du trinkst eins«, sagt sie, während sie die Lasche aufzieht und mir dann den Rand der Dose an den Mund hält, als wäre ich ein Baby, das gefüttert werden muss. Kopfschüttelnd trete ich rückwärts und nehme ihr die Dose aus der Hand.

»Ich mag Bier nicht.«

»Du hast Bier noch nie probiert«, kontert sie.

Unser Mini-Wettstarren dauert ungefähr zwei Sekunden, bevor ich nachgebe und einen kleinen Schluck trinke. Zufrieden schnellen ihre Mundwinkel hoch, doch als sie den Kopf in den Nacken legt, um von ihrem eigenen Bier zu trinken, schütte ich ein wenig von meinem auf den Steinboden und verziehe den Mund. Bier ist widerlich.

»Oh, mein Gott, ist das —? Nein, das kann nicht sein!« Ich erkenne Tory D'Angelos Stimme, ohne mich zu ihm umzudrehen zu müssen. Seine Anwesenheit motiviert mich, einen weiteren Schluck von meinem Bier zu trinken; plötzlich bereue ich es, so viel davon verschüttet zu haben.

»June Mabee!« Er legt mir von hinten die Hände um die Hüften. Ich spucke aus, was ich noch im Mund habe, und drehe mich mit einem Zucken meines Ellbogens von ihm weg. Wir stehen uns nicht nahe. Genau genommen war die einzige echte Interaktion zwischen ihm und mir, als ich ihn in der Neunten in Physik von mir habe abschreiben lassen. Ich hasse mich dafür, dem Gruppendruck nachgegeben zu haben. Ich hätte den Arsch durchfallen lassen sollen.

»Aww, Maybe-Mabee, was ist los?« Er ist betrunken, was seine Arschigkeit noch ein wenig verstärkt. Er zieht mich schon seit der Junior High wegen meines Nachnamens auf. Wirklich so clever, ihn zweimal zu sagen.

»Du hattest recht, Abby. Alle sind so erwachsen geworden«, sage ich und werfe meiner Freundin einen eisigen Blick zu. Ihr Mund verzieht sich zu einem ironischen schiefen Lächeln, aber sie streitet meine Argumentation nicht ab. Irgendwie schwierig, wenn Tory immer noch an uns klebt und dabei jegliche persönlichen Abstandsregeln bricht. Die meisten Mädchen lassen ihm das durchgehen, wegen seines Aussehens? Er kommt Perfektion verdammt nahe. Während er sich einiges darauf einbildet, ist sein Zwillingsbruder nahezu ahnungslos, welche Macht ihm damit zur Verfügung stehen könnte. Gebräunte Haut, markantes Kinn, hellbraune Haare, wodurch sie beide irgendwie aussehen, als kämen sie gerade vom Joggen am Strand — Die D'Angelo-Jungs könnten Calvin-Klein-Models sein.

»Hast du keine Neuntklässlerin, die du anbaggern musst?« Ein Hoch auf Abbys Selbstbewusstsein. Einer der größten Vorzüge unserer Freundschaft ist ihre Fähigkeit, Dinge auszusprechen, von denen ich mir wünsche, ich könnte sie sagen.

»Immer noch sauer, weil ich mir diesen Sommer keinen von dir hab blasen lassen, Abs?« Er drückt allen Ernstes seine Zunge in seine Wange, um seine geschmacklose Antwort zu unterstreichen. Was für ein Idiot. Sie wird ihn in Grund und Boden stampfen.

»Ist er nicht eher so ...« Meine Freundin nimmt eine dünne Salzstange aus einer Schüssel auf dem Terrassentisch und hält sie Tory zwischen Daumen und Zeigefinger vor die Nase. Seine Augen verfinstern sich, und sein Kiefer zuckt. Obwohl nur wir drei hier sind, um Zeuge ihrer Retourkutsche zu werden, trifft ihn der Witz und ist ihm peinlich. Ich wünsche mir auf der Stelle, ich könnte meine grünen Augen gegen dieses Talent eintauschen.

»Komm, June. Sieht so aus, als wären die coolen Kids alle da drüben«, sagt meine Freundin. Sie lässt den wütenden Stier einfach stehen, ohne ihm weiter Beachtung zu schenken, und nimmt meine Hand, um mich über die Terrasse fortzuziehen.

»Er wird sich an den heutigen Abend wahrscheinlich völlig falsch erinnern und denken, ich wär diejenige gewesen, die das alles gesagt hat.« Ich steige auf einen Balken der hölzernen Terrassenbrüstung und ziehe mich hoch, um mich darauf zu setzen. Abby tut dasselbe, schwingt aber ein Bein darüber, sodass sie rittlings mir zugewandt auf dem Geländer sitzt.

»Gut. Dann wirst du den Ruf haben, dass du dir von Arschlöchern nichts gefallen lässt«, sagt sie, während sie ihr Handy aus der kleinen Handtasche holt, die sie quer über den Körper trägt. Sie hält es hoch, bevor ich protestieren kann, und knipst ein Foto von mir.

»Warum? Warum machst du das immer? Du musst doch schon eine endlose Sammlung von mir haben, wie ich verdammt dumme Gesichter mache«, protestiere ich. Aber ich muss auch ein bisschen lachen.

»Wenn es nicht so gut gegen deine miesen Stimmungen helfen würde, dann würde ich es nicht machen.« Sie schießt noch ein weiteres Foto, bevor sie das Handy in das Reißverschlussfach ihrer Handtasche zurücksteckt.

Dass sie hunderte dieser Fotos hat, nagt ein bisschen an mir. Das bedeutet, dass ich hunderte Male in mieser Stimmung war. Ich musste zurück an die Public kommen, weil wir uns die Montessori-Schule nicht mehr leisten konnten, also vielleicht bedeutet das, ich kann mich ein wenig neu erfinden. Vielleicht hat Abby ein bisschen recht damit, dass wir alle älter werden — keiner von uns ist noch derselbe, der wir vor zwei Jahren waren. Ich bin nicht mehr dieselbe. Zumindest muss ich das nicht sein.

»Tut mir leid.« Halb schreie ich die Worte meiner Freundin zu, weil die Musik es immer noch schwer macht, etwas zu verstehen. Ich werde es wahrscheinlich nicht schaffen, mich mehr als dieses eine Mal bei ihr zu entschuldigen, also muss ich sichergehen, dass sie es hört.

Ihr Mund formt sich langsam zu einem Lächeln, und sie blinzelt mich mit ihren dichten schwarzen Wimpern klimpernd an, bevor sie sich weit genug vorlehnt, um mir einen sanften Stups gegen die Schulter zu geben.

»Aww, June. Du wirst ja ganz rührselig.«

Gespielt beschämt kneife ich die Augen zu.

»Entschuldigung angenommen. Ich bin mir zwar nicht sicher, wofür du dich entschuldigst, aber ich werde sie mir mal aufsparen und einlösen, wenn mir danach ist«, sagt sie.

»Okay.« Lachend öffne ich die Augen wieder, während meine Freundin den Kopf in den Nacken legt und ihr Bier austrinkt. Anschließend lehnt sie sich wieder vor und greift nach meiner Dose, um zu prüfen, wie viel noch drin ist. Sie ist immer noch fast halb voll, trotz der Portion, die ich weggeschüttet habe, also widerstrebt es mir, sie ihr zu geben.

Ihre Augen trüben sich argwöhnisch.

»Eine von uns muss uns nach Hause fahren. Lass mich das sein, okay? Ich bin sowieso keine große Biertrinkerin.« Ich halte ihren Blick fest, während wir beide die Dose zwischen uns umklammern. Sie hat noch nicht wirklich eingewilligt, also lasse ich nicht los.

»Versprochen, Abby. Ich werde bleiben, und ich werde Spaß haben, nur eben nicht mit Bier, okay?«

Ihre Augen verengen sich ein wenig mehr. Sie kauft mir das Ganze immer noch nicht ab.

»Vorschlag, wie wär's damit? Was auch immer die da drin auf den Sofas gerade machen,« — irgendein dummes Spiel, über das ich mich normalerweise lustig machen würde — »du nimmst mein Bier, und ich werde bei diesem Spiel mitmachen.« Ich bereue mein Angebot in der Sekunde, in der die Dose meine Hand verlässt. Abby kippt fast die Hälfte davon hinunter, bevor sie sich mit dem Unterarm übers Kinn wischt und ihr Bein vom Geländer schwingt, um sich auf die Terrasse zu stellen.

Scheiße. Wir werden ein Partyspiel spielen.

»Na dann, also gut«, sagt sie, verschränkt unsere Finger und zieht mich vorwärts, bis ich den Kampf ums Gleichgewicht verliere und auf meine Füße falle.

Da ich nicht so aussehen will, als würde ich in diese Sache hineingeschleift — obwohl es so ist —, hake ich mich bei meiner Freundin unter und lächle sie an. Sie ist nicht überzeugt. Lachend wirft sie den Kopf in den Nacken, lässt mich aber das Gesicht wahren, während wir uns unseren Weg nach drinnen bahnen. Auf der großen Couchgarnitur würfeln Leute um einen riesigen kofferartigen Tisch herum und ziehen kleine Zettel aus einer Schüssel, je nach Anzahl der Augen, die sie würfeln. Abby und ich knien uns hinter ein paar der anderen auf den Boden.

»Ich bin nicht als nächstes dran. Du bist die nächste!« Eines der vielen Gesichter, die ich nicht kenne, aber schon mal gesehen habe, gibt einem anderen mir irgendwie bekannten Mädchen einen Schubs. In ihrem Anfall von nervösem Gekicher schaut diejenige mit den Würfeln in der Hand in meine Richtung.

»Hey, Neue! Du bist dran.«

Galle steigt mir brennend in die Kehle.

»Oh, nein.« Abwehrend hebe ich die Hand und schüttle den Kopf, als würde ich Hors d'oeurves ablehnen.

»Sie ist nur schüchtern. Sie wird mitspielen. Was spielt ihr denn?« Abby nimmt die Würfel und lässt sie in meine Handfläche fallen, nachdem sie zuerst meine Faust vom Teppich hochheben und mir die Finger aufbiegen muss.

Ich starre sie mit betont weit aufgerissenen Augen und angehaltenem Atem an, doch sie schüttelt mich ab.

»Du hast es versprochen«, sagt sie, hält den Rest ihres Biers hoch und kippt ihn dann mit einem zischenden »Ahh« hinunter.

Resigniert hole ich tief Luft, während das Mädchen, das mich vorgeschlagen hat, die Regeln erklärt. »Du würfelst eine Zahl und ziehst dann so viele Mutproben.«

»Also könnte ich zwölf Mutproben machen müssen?«, frage ich, als würde ich diese Würfel wirklich werfen.

»Oh, mein Gott, nein! Du ziehst sie, und dann darf die Person, die vor dir dran war, aussuchen, welche du machen musst. Zum Beispiel hat Naomi mich in ihrem BH zur Küche hin- und zurücklaufen lassen!«

Dieses Spiel wirkt unglaublich komplex für das, was es wirklich ist: Wahrheit oder Pflicht, ohne den Teil mit der Wahrheit. Ich würde gern beantragen, dass wir den Wahrheitsteil wieder mit aufnehmen, aber das kommt daher, dass ich schrecklich langweilig bin.

»Also, wer darf meine Mutprobe aussuchen?« Ich tue immer noch so, als hätte ich wirklich vor mitzuspielen.

»Ich.« Diese Stimme erkenne ich wieder, ohne mich umzudrehen.

Von all den mir unbekannten Gesichtern hier gehört diese Stimme zu einem, das ich ganz sicher wiedererkennen werde. Solange ich Lucas Fuller schon liebe, werde ich von Ava Pryor gehasst. Ich würde ja sagen, dass sie für all die dämlichen Streiche verantwortlich ist, unter denen ich in meinem ersten Highschool-Jahr leiden musste, aber offenes Mobbing ist nicht ihr Stil. Sie ist eher die Sorte Mädchen, die dich mit einem brennenden Blick vernichtet, und dieser Blick hat die erstaunliche Macht, dir mit einem einzigen Schlag ihrer Wimpern das Gefühl zu geben, völlig unbedeutend zu sein. Ich sehe über meine Schulter, und dieser stechende Blick wartet bereits darauf, mein Ego — das bisschen, was davon vorhanden ist — vollständig zu vernichten.

»Lola war als Letzte dran«, sagt das Mädchen, das ich als Naomi identifiziert habe.

»Nur weil ich mir Bier nachschenken musste. Rutscht rüber.« Ava wedelt mit den Fingern, und die Mädchen rücken auseinander, um ihr in der Mitte der Couch Platz zu machen. Auf ihrem Weg, sich zu setzen, drängt sie sich zwischen Abby und mir hindurch.

»Ich werde das nicht machen«, raune ich meiner Freundin zu. Doch sie hat mir die Würfel bereits abgenommen und auf den Tisch geworfen.

»Es wird Zeit, dass du dich behauptest und ein bisschen Mumm zeigst.« Ich sehe ihr in die Augen und versuche sie stumm anzubetteln, mir da rauszuhelfen und meine Runde zu übernehmen, aber das leichte Recken ihres Kinns verrät mir, dass sie mich zwingen wird, diese Feuerprobe durchzustehen.

»Vier«, sagt Ava, einen Hauch Enttäuschung in der Stimme, dass ich eine so niedrige Zahl gewürfelt habe.

»Okay, dann ziehe ich also ...« Ich greife nach der Schüssel, und Ava schiebt sie mit der Spitze ihres weißen Canvas-Sneakers in meine Richtung.

Ich ziehe sie zu mir und durchsuche den Inhalt in der Hoffnung, in den schlecht zusammengefalteten Papierstreifen irgendwelche Hinweise zu finden, aber es nützt nichts. Es ist egal, wie tief ich in der Plastikschüssel krame. Ich ziehe vier Zettel oben aus dem Haufen und werfe sie auf den Tisch, während ich mich auf meine Fersen zurücksetze.

»Mal sehen.« Ava lehnt sich vor und reibt sich die Hände. Schwitzend beobachte ich, wie sie den ersten Zettel sorgfältig auseinanderfaltet und mit dem Blick über die gekritzelte Zeile wandert. Sie zwirbelt eine Locke ihrer weißblonden Haare um den Finger, während ihr Mund stumm die Wörter formt. Ich starre eindringlich auf ihr Gesicht und versuche von ihren Lippen abzulesen. Sie hält inne und schaut durch ihre dicken falschen Wimpern zu mir hoch. Einer ihrer Mundwinkel hebt sich.

»Das da.« Sie wirft den Zettel auf den Tisch, aber bevor ich ihn nehmen kann, tut Abby es.

»Du hast sie noch nicht alle gelesen«, sagt meine Freundin, während sie auf den Zettel sieht und leise lacht.

»Nicht nötig. Der hier macht das Rennen.« Ava lehnt sich auf den übergroßen Polsterkissen zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und schlägt die Beine übereinander.

»Hast du Angst vorm Dunkeln? Vor Spinnen?« Abby schnippt mir den Zettel mit dem Zeigefinger zu, und ich hebe ihn auf und lese.

VERBRING FÜNF MINUTEN IN DER GARAGE IM DUNKELN

»Äh, eigentlich nicht ... glaube ich.« Ich habe das Gefühl, dass da wahrscheinlich ein Trick dabei sein könnte, also werde ich den Mund nicht zu voll nehmen. Die Sache hat einen Haken. Das weiß ich.

»Gut, dann sollte die Zeit ja wie im Flug vergehen«, sagt Ava, nun beide Seiten ihres Mundes zu einem unheilvollen Grinsen verzogen. Sie schaut in den dunklen Flur hinter mir, wo, wie ich vermute, die Garagentür ist.

»Jetzt gleich?« Das klang dumm. Natürlich jetzt gleich.

»Mhm«, sagt sie und wedelt mit derselben Lässigkeit mit ihren Fingern wie vorhin, als sie die Mädchen zwang, ihre Plätze aufzugeben. Ava ist ein Stereotyp. Und dieses Stereotyp ist Bitch.

»Also gut«, sage ich durch ein Seufzen hindurch. Ich komme auf die Füße und ziehe meine Jeans ein wenig hoch, da sich mein Shirt inzwischen wie ein gottverdammtes Bustier anfühlt.

»Braves Mädchen«, sagt Abby und gibt mir einen Klaps auf den Hintern, bevor ich mich auf den Weg zur Garage mache. Naomi folgt mir dicht auf den Fersen, wahrscheinlich um die Tür hinter mir zu verriegeln. Checkt eigentlich irgendeine von ihnen, dass ich von innen den Knopf drücken kann?

Dieser Fluchtplan zuckt mir durch den Kopf, als ich die Tür öffne, doch dann weicht er schnell einem Gefühl von Panik und so heftigem Grauen, dass mir die Knie leicht nachgeben. Naomi schubst mich hinein und schlägt die Tür zu. Das Schloss rastet hinter mir ein, und mein Blick trifft auf den von Lucas. Er sitzt auf einem Klappstuhl mit seinem Handy in der Hand.

»Oh, fuck.« Verachtung spricht aus seinem Mund, genau in dem Moment, als alles schwarz wird. Das hier war der Haken. Fünf Minuten im Dunkeln, eingesperrt in der Garage, aber nicht allein.

Sondern mit Lucas Fuller.

Ich wirble herum und taste mit flachen Händen an der Wand entlang nach einem Lichtschalter oder dem Garagenöffner. Etwas sticht mich seitlich in die Handfläche, als ich sie näher zur Tür schiebe.

»Scheiße!«, murmle ich kaum hörbar und berühre tastend meine Haut. Sie ist feucht. Ich habe mich an etwas geschnitten. Mein Handy ist in meiner Gesäßtasche, also nehme ich es umständlich mit der anderen Hand heraus; es rutscht mir aus den Fingern und knallt zu meinen Füßen auf den Boden. Am liebsten würde ich weinen. Gleichzeitig will ich auf etwas einschlagen.

Ich gehe gerade in die Hocke, als das Licht einer Handytaschenlampe den Boden vor mir ein Stück erhellt. Blinzelnd sehe ich hoch und in den Blitz von Lucas Handy.

»Danke«, sage ich. Ich fühle mich gedemütigt und beschämt. Mein Handy liegt gleich unter dem vorderen Teil eines der Autos. Langsam gehe ich tiefer und strecke die Hand aus, bis ich es erwische und näher zu mir ziehen kann. Die Garage wird wieder dunkel.

Mit der Hoffnung, dass es noch funktioniert, tippe ich auf mein Handy und setze mich zurück auf die Fersen. Resigniert beschließe ich die restlichen vier Minuten, die ich noch hier festsitze, in dieser erbärmlichen Kauerhaltung zu bleiben. Die Sprünge auf meinem Handydisplay nehmen fast die ganze Oberfläche ein, und eine der Ecken ist schlimm abgesplittert. Bei meinem Glück werde ich sicher eine Möglichkeit finden, mich daran in den Finger zu schneiden ... nochmal.

Der Metallstuhl, auf dem Lucas saß, schrappt über den Boden, also schaue ich hoch, ob ich ihn sehen kann. Seinen Umriss kann ich erkennen. Er streckt seine langen Arme in die Höhe, und ich wette, wenn er ein bisschen springen würde, könnten seine Fingerspitzen die Decke berühren. Er trägt ein helles T-Shirt und Jeans, und ein Flanellhemd um die Hüfte gebunden. Nur mit meinem Handylicht ist es zu dunkel, um sagen zu können, ob er mich ansieht oder nicht, und ich bin mir nicht sicher, was mir lieber wäre.

Als seine Füße schlurfend näher kommen, nehme ich eine entspannte Sitzhaltung ein, die Beine wie eine Brezel unter mir verschränkt, und halte mein kaputtes Handy auf dem Schoß, um mit den Fingerspitzen vorsichtig übers Display zu streifen und Abby Flüche in schreienden Großbuchstaben zu schicken. Flackernd geht die Innenbeleuchtung des Autos rechts von mir an, und aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Lucas sich hineinlehnt. Er drückt auf einen Knopf neben dem Rückspiegel, und das Garagentor hebt sich.

Ich stehe auf, um mir den Staub von Knien und Hintern zu wischen, und werfe meine Haare zurück. Genau in diesem Moment stehe ich der Ursache meines stechenden Schmerzes, den ich manchmal verspüre, wenn ich aus meinem Schlafzimmerfenster sehe, von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Diese blauen Augen leuchten immer noch wie Saphire, sogar im schwächsten Licht, aber die jungenhaften Grübchen sind harten Konturen und einem kantigen Kiefer gewichen, der emotionslose Lippen umrahmt. Lucas war schon immer fünf oder zehn Zentimeter größer als ich, aber dieser Unterschied fühlt sich jetzt sogar noch größer an, als er auf mich herunterstarrt.

»Ich wusste nicht, dass du hier drin bist.« Scheiße, da habe ich seit zwei Jahren nicht mit ihm gesprochen, und die ersten Worte, die ich sage, sind eine jämmerliche Entschuldigung dafür, zur gleichen Zeit mit ihm in einer Garage zu sein. Ich straffe die Schultern und zwinge mich, aufrechter zu stehen, um größer zu wirken. Sein Kopf neigt sich kaum merklich zur Seite, und er hebt die Hand, um mir den Garagentüröffner hinzuhalten. Ich nehme ihn, und ich hasse mich dafür. Das hier ist nicht, wie diese Unterhaltung zwischen uns laufen sollte. Er sollte sich entschuldigen, nicht ich. Und er sollte mir Blumen schenken, nicht irgendeinen mit Klebeband zusammengehaltenen Garagenöffner aus dem Auto eines seiner blöden Freunde.

»Sag Ava, dass sie ein Arsch ist.« Er bleibt nicht, um auf meine Antwort zu warten, sondern dreht sich um und marschiert mit langen Schritten aus der Garage, die Hände in die Hosentaschen gestopft und mit einem Tempo, das deutlich macht, wie schnell er von mir wegkommen will.

Es ist noch etwas mehr als eine Minute von meiner Zeit hier drin übrig, angenommen, diese Arschlöcher haben vor, an ihrer eigenen dummen Regel festzuhalten. Als Lucas um die Büsche am Ende der langen Auffahrt verschwindet, habe ich mich entschieden, seinen letzten Rat anzunehmen. Mit dem Garagenöffner in der Hand nehme ich denselben Weg hinaus wie Lucas und betrete das Haus durch die Eingangstür. Mit den Ellbogen bahne ich mir einen Weg durch die Menge. Ich werfe den Garagenöffner in die Schüssel mit den Mutprobenzetteln, und die Lästerparty, die wahrscheinlich gerade abgeht, verstummt augenblicklich. Ich spüre die Augen meiner besten Freundin auf mir, ohne hinsehen zu müssen. Mein Blick ist auf die Eisprinzessin konzentriert, die sich vorlehnt und die Hände auf ihren geschlossenen Knien faltet, als wäre sie eine Art Lady.

»Du bist ein Arsch, Ava.« Ich halte ihren Blick einen Atemzug lang fest, gerade lange genug, um sie verstehen zu lassen, dass ich es ernst meine und dass ich keine Angst mehr vor ihrer Meinung über mich habe. Ich weiß nicht, woher ihr Groll gegen mich kommt, aber ich habe ihr nichts getan. Wenn sie so weitermachen will, dann ist das ihre Sache.

Ich werfe einen Blick zu der Stelle hinunter, wo meine Freundin immer noch auf dem Boden sitzt, und das anerkennende Grinsen, das sich auf ihrem ganzen Gesicht ausbreitet, verrät mir zwei Dinge: Erstens, ich habe sie gerade köstlich unterhalten, und zweitens, sie gibt mir für heute Abend einen goldenen Stern.

»Dieses Spiel ist kindisch. Nächstes Mal bringe ich die Spiele zur Party mit, Ladys, und dann haben wir richtigen Spaß.« Abby zwinkert Ava zu, als sie aufsteht und mitten durch die Gruppe der Mädchen geht, die sich immer noch um die Szene drängen. Sie greift in ihre Tasche und gibt mir ihre Schlüssel, dann hakt sie sich bei mir unter, und wir kehren dieser ersten Dosis Drama den Rücken, die nicht die letzte sein wird, die wir in diesem Jahr erleben werden.

Ich sage kein Wort, und sie stellt keine Fragen, während unsere Füße den Asphalt betreten und wir uns durch die Reihen von Autos entlang der Straße schlängeln. Ich bemerke, dass Lucas' Truck immer noch da ist, in dem Moment gehen seine Scheinwerfer an, und der Motor erwacht brüllend zum Leben.

»Sieht so aus, als findet hier noch jemand, dass diese Party ziemlich lahm war«, sagt meine Freundin. Und weil sie mein Fels in der Brandung ist, und weil ich sie nicht anlüge, erzähle ich ihr alles.

»Er war in der Garage. Und er ist auch ein Arsch.« Diesen letzten Teil hebe ich mir auf, bis wir genau an seinem heruntergekurbelten Fenster vorbeigehen. Ich sehe in seine Richtung, nachdem ich das gesagt habe, und unsere Blicke treffen sich einen kurzen Moment lang. Als Abby und ich eine weitere Autolänge entfernt sind, fährt er mit quietschenden Reifen davon.

»Na, wenn das keine neue June Mabee ist«, sagt sie und rempelt mich mit ihrer Hüfte an. Ich stoße ein schwaches gurgelndes Lachen aus und lächle mit zusammengekniffenen Lippen. Doch mein Lächeln erstirbt, sobald unsere Arme sich loslassen und meine Freundin zur Beifahrerseite ihres Wagens geht.

Sicher, ich bin stolz auf das, was ich getan habe. Das bedeutet aber nicht, dass ich mir nicht inständig wünsche, nichts davon wäre passiert.

2   

Ich schätze, ich habe mir einen Namen gemacht, der über »dieses Mädchen, das neben den Fullers wohnt«, hinausgeht. So werde ich normalerweise genannt, besonders von den Mädchen, die in der Junior High und unserem ersten Highschool-Jahr für Lucas geschwärmt haben. Ein paarmal haben seine Groupies versucht, sich mit mir anzufreunden, nur um zu einer Pyjamaparty eingeladen zu werden und ihn von meinem Fenster aus anschmachten zu können.

Aber da haben sie sich ins Knie geschossen. Ich mache nämlich keinen Pyjamapartys, außer mit Abby, und die zählt nicht, weil sie praktisch zur Familie gehört. Diese Regel hat meine Mom aufgestellt. Sie ist komisch, was Fremde im Haus angeht. Noch mehr, seit mein Dad gegangen ist. Ich denke, sie ist vielleicht ganz schön misstrauisch geworden. Schätze, ich auch.

Ich frage mich, wie viele Übernachtungsanfragen ich wohl jetzt bekommen werde, wo ich »das Mädchen, das Ava Pryor die Meinung gegeigt hat«, bin. Vielleicht war das eine Abschreckung für andere. Obwohl, durch die Tatsache, dass ich jetzt mit nicht nur einer, sondern drei anderen Personen durch die Flure der Public gehe, kann ich nicht abstreiten, dass Ava einen Arsch zu nennen eine Art Quanten-Effekt hatte.

»Also, von wo bist du hergezogen?«, fragt Naomi, meine erste Freundin von der Party.

Abby lacht so heftig, dass sie ihren Iced Latte ausspuckt. Ihre Mom hat ein Café, also starten wir jeden Morgen dort. Sogar als ich auf eine andere Schule ging, sind wir beide eine halbe Stunde früher aufgestanden, um unsere Kaffeeklatsch-Zeit zu haben.

»Ihr kennt euch schon seit der vierten Klasse, als du hierhergezogen bist, Naomi«, sagt Abby. Sie und ich sehen einander mit schiefem Lächeln an, während Naomi buchstäblich wie angewurzelt stehen bleibt.

»Wir hatten in der Zehnten denselben Klassenlehrer«, füge ich mit einem Grinsen hinzu. Ich zucke ich mit den Schultern, aber um die Wahrheit zu sagen, bin ich auch erst gestern Abend drauf gekommen, als ich sie beide in meinem Jahrbuch der zehnten Klasse nachgeschlagen habe.

»Ich hab sie wiedererkannt«, prahlt Lola, während sie den Kopf in den Nacken legt, um sich die Krümel aus ihrer Studentenfuttertüte in den Mund zu schütten. Es ist schwer zu sagen, ob sie blufft oder nicht. Lola hat eine gewisse Großspurigkeit an sich, jedoch von der ansprechenden Sorte. Wenn ich sie besser kenne, werde ich ihr sagen, dass sie genauso aussieht wie das Mädchen aus Clueless.

»Ich muss mich im Sekretariat melden«, verkünde ich beim ersten Klingeln der Schulglocke. Abby gibt mir einen unbeholfenen Umarmungsdrücker von der Seite. Sie testet die Grenzen der Kleidervorschriften heute wirklich aus. Weniger mit der Länge ihrer Shorts, sondern vielmehr mit den Worten auf ihrem Shirt. Ich bin mir ziemlich sicher, das Sternchen, das für das U zwischen dem F und dem CK steht, wird man nicht einfach so durchgehen lassen.

»Wir haben alle die erste Mittagspause, also werde ich uns einen Tisch frei halten«, ruft Naomi über das Gedränge zwischen uns hinweg. Sie mag zwar nur eins fünfundfünfzig sein, aber sie macht ihre kleine Größe mit Stimmgewalt wieder wett.

Leicht beschwingt durch die Tatsache, dass ich irgendwie mein letztes Jahr auf der Highschool mit richtigen Plänen für die Mittagspause starte, anstatt mit meinem Tablett ziellos durch die Tischreihen zu wandern, stoße ich die Tür auf und bemerke nicht, dass jemand von der anderen Seite direkt darauf zukommt. Wenn es keine Glastür wäre, hätte ich sie vielleicht stärker aufgestoßen, aber die vertraute dunkelblaue Wolle und die weißen Lederärmel von Lucas' Teamjacke zu sehen ist, wie von einem blinkenden roten Stoppschild und Leuchtraketen getroffen zu werden.

»Tut mir leid.« Verdammt. Schon wieder Entschuldigungen.

Ich trete zurück, um ihn durchzulassen, aber zu meiner Überraschung macht er dasselbe. Ich bemerke das kurze belustigte Zucken um seinen Mund. Es war nicht ganz ein Lachen, aber es war definitiv Lichtjahre von der finsteren Miene entfernt, die ich gestern Abend bekommen habe.

Da ich nicht will, dass er seine Meinung ändert, drücke ich die Glastür weiter auf und gehe hindurch. Er streckt die Hand aus, um die schwere Tür aufzuhalten, und genau in dem Moment, in dem ich loslasse, streifen seine Fingerspitzen meinen Handrücken. Es ist nichts weiter als ein Versehen, und ich sehe das leichte Zurückzucken seines Arms, als es passiert. Die Wirkung auf mich ist allerdings genau das Gegenteil. Mir wird heiß und kalt vom Adrenalinschub und der lang verlorenen Zuneigung. Ich könnte schwören, dass er mich geschnitten hat, so stark ist das Gefühl, das in meiner Hand zurückbleibt.

»June!« Maggie Williams war zusammen mit meiner Mom auf der Highschool. Nicht hier, ironischerweise, sondern in Fort Wayne. Sie und Mom sind eher Facebook-Freundinnen als echte Freundinnen, aber Maggie war immer nett. Und es ist gut, ein vertrautes Gesicht im Sekretariat zu haben.

»Lucas! Warte!«, ruft sie gerade, als sich die Glastür schließt. Schnell drehe ich mich um, um zu sehen, ob er es gehört hat. Ich hoffe dabei, er kommt davon, ohne dass sie irgendeine peinliche Verbindung herstellt, wie zum Beispiel ihn daran zu erinnern, wer ich bin, obwohl wir Nachbarn sind. Aber der gute Schüler und wohlerzogene Junge, der Lucas ist, gewinnt den Kampf, er dreht sich um und öffnet die Tür einen Spalt, um sich anzuhören, was sie zu sagen hat.

»Kannst du June hier zu deiner ersten Stunde mitnehmen? Sie ist in deiner Klasse.«

Ich bin ziemlich sicher, sowohl Lucas als auch mir kommt es gerade ein bisschen hoch. Es herrscht definitiv eine bedeutungsschwangere Pause. Die Luft steht lange genug still, dass Maggie zweimal gereizt blinzelt und den Zettel schüttelt, den sie mir hinhält. Diese kleine Bewegung löst mich aus meiner Erstarrung, und ich nehme ihr meinen Stundenplan aus der Hand.

»Sicher«, sagt Lucas und lässt sein typisches schmallippiges Lächeln aufblitzen. Ich kenne ihn gut genug, um zu erkennen, dass es das Lächeln ist, das er zeigt, wenn er gute Miene zum bösen Spiel macht. Dieses Gesicht hat er gezogen, als Tory D'Angelo beim Football-Bankett der achten Klasse als wertvollster Spieler ausgezeichnet wurde, und er hat es erneut gemacht, als seine Eltern ihm vor drei Jahren sagten, dass sie Silvester mit Camping im Yosemite-Park verbringen würden, nur sie drei. Diese Lippen sind jetzt gerade luftdicht zusammengepresst, und das Lächeln wird verpuffen, sobald wir wieder hinaus in den Flur treten.

»Sag Bescheid, falls du heute irgendetwas brauchst, okay, Schätzchen?« Maggie geht bereits wieder ans Telefon, Stift in der Hand und Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Nicht, dass ich sie bitten könnte, das Leben ein kleines Stück zurückzuspulen und die Idee, mich von Lucas irgendwo hinbringen zu lassen, nicht zu erwähnen. Aber wenn sie nicht so beschäftigt wäre, hätte ich ihr vielleicht noch ein oder zwei Fragen stellen können, um Zeit zu schinden und ihn davonkommen zu lassen.

Lucas ist auch so ziemlich gut darin, davonzurennen. Für jeden Schritt, den er macht, muss ich zwei machen. Ich bin nicht um so viel kleiner, also weiß ich, dass er sich absichtlich beeilt. Unsere erste Stunde ist Physik, im entferntesten Gebäude auf dem Schulgelände, das bedeutet, »Ich werde total verschwitzt und außer Atem sein, bis mein Hintern dort einen Platz findet«.

Den Teil habe ich laut gesagt. Scheiße.

»Nicht mein Problem«, sagt Lucas über die Schulter hinweg. Seine Arme schwingen, als wäre er ein Speedwalker. Er stößt die Doppeltüren des A-Gebäudes auf und hält sie gerade weit genug offen, dass ich hinter ihm hindurchhuschen kann. Wahrscheinlich hat er gehofft, sie würden mir gegen die Schulter knallen. Alles, worauf ich mich konzentrieren kann, sind seine Lederärmel, und dass es ein bisschen warm ist, nun, da wir draußen sind.

»Weißt du, es hat siebenundzwanzig Grad und ist schwül«, sage ich und schaffe es irgendwie, den Mund zu halten, bevor ich noch etwas darüber, wie dämlich seine Jacke ist, hinzufüge. Ich finde außerdem, dass er süß darin aussieht, was mich gerade völlig durcheinanderbringt. Mir ist sowohl körperlich als auch emotional heiß, und ich will es an dieser Jacke und dem Ego, das sie repräsentiert, auslassen. Ich habe ihn nicht mal in einem Spiel der Schulauswahl spielen sehen.

Er antwortet nicht, und das ist wahrscheinlich am besten so. Außerdem, entweder werde ich schneller, oder er wird langsamer, denn die Lücke zwischen uns wird kleiner. Schüler eilen an uns vorbei, wahrscheinlich um alle Plätze in unserem Klassenzimmer zu besetzen, das immer noch knapp vierhundert Meter entfernt ist. Ich bin beinahe im Einklang mit seinen Schritten, als er sich umdreht und mitten auf dem Weg stehen bleibt.

»Wir müssen das nicht tun, weißt du.« Er zeigt auf mich und dann auf sich selbst. Ich habe keine Ahnung, was er meint, meine Miene scheint dies auszudrücken, denn er erklärt es. »So zu tun, als hätten wir irgendeine Verbindung oder so was. Du hast dein Leben, ich hab meins, das ich mir hier aufgebaut habe. Geh einfach zum Unterricht, häng mit deiner Freundin rum, krieg deine glatten Einser oder was auch immer.«

»Freunde«, unterbreche ich ihn.

Er zuckt mit den Schultern und runzelt genervt die Stirn.

»Du hast gesagt, ich soll mit meiner Freundin rumhängen, aber ich habe Freunde, Mehrzahl, Lucas.« Du warst früher einer davon.

»Sicher. Nur ...« Er verstummt kurz, und sein Kiefer versteift sich auf die Weise, wie er es immer tut, wenn er frustriert ist. So viele seiner Nuancen haben sich in meine Erinnerungsdatenbank verewigt. Mit einem leichten Kopfschütteln schaut er zum Himmel und holt einen tiefen Atemzug, bei dem sich seine Schultern schnell heben und senken. Dann landet sein Blick wieder auf mir. »Ich sage nur, es ist nicht so, als würden wir einander jetzt wirklich noch kennen. Das ist alles.«

Er dreht sich um und setzt den Weg fort, aber ich mache mir nicht die Mühe, mit ihm mitzuhalten. Ich lasse ihm mehrere Meter Vorsprung, genug, dass sich die Türen des Wissenschaftsgebäudes hinter ihm schließen, während ich noch viele Schritte vor mir habe. Ich lasse ihn gehen, für den Fall, dass ich weinen muss, aber eigentlich bin ich nur stinksauer. Mein Magen verkrampft sich, und ich könnte schreien. Meine flache Hand legt sich auf den Griff der Doppeltür, aber ich halte inne, bevor ich sie aufstoße, und überprüfe mein Spiegelbild in der getönten Glasscheibe. Ich will nicht so aussehen, wie ich mich fühle. Obwohl ich die Leute hier nicht wirklich gut kenne, wissen sie genug über mich, um sich zusammenzureimen, dass ich einst in den Kerl verknallt war, der gerade den Physikkurs betreten hat. Ich laufe ihm bereits hinterher. Ich muss nicht auch noch aufgebracht deswegen aussehen.

Mit einem einzigen schweren Seufzer stoße ich die rechte Tür auf und schlüpfe leise hinein. Die Schulglocke hat schon geklingelt, und die Tür des Klassenzimmers ist geschlossen. Aber ich habe dieses goldene Verspätungsticket in Gestalt eines Stundenplans für neue Schüler, also kann ich mir Zeit lassen. Meine Schritte sind gemessen, ein Bruchteil dessen, was sie draußen waren. Warum diese Zeit nicht auch nutzen, um mich abzukühlen. Ich habe mich von Abby dazu überreden lassen, mein Haar glatt und offen zu tragen. Aber es fühlt sich wie eine feuchte warme Decke auf Rücken und Schultern an, und ich bin ziemlich sicher, meine Arbeit mit dem Glätteisen, die komischen Wellen rauszubügeln, war nun völlig umsonst. Meine Haare sind nicht lockig, aber auch weit davon entfernt, vollkommen glatt zu sein. Sie sind eher zerzaust, ohne dieses Supermodel-Image, das dieses Wort heraufbeschwört.

Die Tür des Klassenzimmers fliegt schwungvoll auf, aber es gelingt mir, den Türgriff noch zu erwischen, bevor sie gegen die Wand knallt. Trotzdem erregt mein Auftritt die Aufmerksamkeit der meisten. Ich konzentriere mich auf den Lehrer, einen älteren Mann in einem Hemd, wie mein Dad sie hatte — poloshirtähnlich mit einer einzelnen Brusttasche. Die Farbe des Tages ist Orange. Knallorange. Ich frage mich, wie der Rest seines Kleiderschranks aussieht.

»Tut mir leid. Ich bin neu, und ich musste noch ins Sekretariat«, erkläre ich, was den verärgerten Ausdruck verfliegen lässt, der sich gerade auf seinem Gesicht bilden wollte.

Er war in meinem ersten Highschool-Jahr noch nicht hier. Ich kannte alle Lehrer, auch wenn ich nur vielleicht sechs Schüler kannte.

»Oh, ja! Miss Mabee.« Vereinzeltes Gekicher wird mehr schlecht als recht als falsches Husten getarnt. Leute in meinem Alter finden Alliterationen so lustig. Er nimmt meinen Zettel und schiebt seine Brille auf die Nasenspitze. Er hat dünne, quer über den Kopf gekämmte Haare, und das Gel, mit dem er die Strähnen fixiert hat, ist noch feucht. Es glänzt.

»Ich hoffe, Sie sind mit einem Platz in der ersten Reihe zufrieden«, sagt er, während er sich über den Rand seines Pults beugt, um mein Formular zu unterschreiben. Mit der Spitze seines Kugelschreibers zeigt er auf den einzigen freien Platz im Klassenzimmer. Aber ich habe ihn bereits bemerkt, und auch die gut eins achtzig große genervte Sportskanone, die dahintersitzt.

»Hier, bitte«, sagt der Lehrer und reicht mir meinen Zettel zurück. Ich konzentriere meinen Blick auf den Namen des Lehrers auf dem Blatt anstatt auf den Stuhl, hinter dessen Klapptisch ich rutsche. Er hat ihn nicht gesagt, als ich reinkam, also ist mir die Aussprache immer noch ein Rätsel — Slatvka.

Sobald ich auf meinem Stuhl sitze, lehne ich mich vor und stütze die Ellbogen auf die kleine Schreibfläche, damit sich mein Haar nicht mit irgendetwas Lucas-Zugehörigem hinter mir verheddert. Ich bin so besessen von dieser Angst, dass ich in meinen Nacken greife und mir die Haare über die rechte Schulter wische, dabei wickeln sie sich um meinen Druckbleistift und schleudern ihn herum wie eine wild gewordene Schaukel.

»Oh, mein Gott«, flüstere ich, gerade als der Bleistift sich löst und auf den Boden fällt, wo er natürlich nach hinten wegspringt. Ich fahre mir mit den Fingern durch die nun zerzausten Haare, um sie über meiner Schulter glattzustreichen, bevor ich mich seitlich von meinem Stuhl herunterlehne und versuche, meinen Stift zu erreichen. Unser Lehrer schreibt gerade eine Liste der Materialien, die wir für das Fach besorgen müssen, an die Tafel. Dann wird er gleich den Lehrplan austeilen, was bedeutet, ich habe ungefähr noch drei Sekunden, bevor er sich umdreht und meine Verrenkungsnummer sieht. Der Rest der Klasse wird bereits Zeuge dieses spektakulären Anblicks. Ich liege fast flach in meinem Stuhl, den Kopf praktisch auf Lucas' Schreibfläche hinter mir, während meine Hand wild auf dem Boden umhergrabscht, ohne etwas anderes als heiße Luft zu erwischen.

Lucas stöhnt und schnippt mir mit dem Finger auf den Kopf.

»Setz dich hin«, sagt er, lehnt sich nach rechts, während ich mich aufsetze, und hebt mühelos meinen Bleistift auf. Ich verdrehe mich gerade genug, um ihn von der Seite anzusehen, während ich den Bleistift nehme. Er lässt nicht sofort los, sondern hält ihn noch zwei, drei zusätzliche Sekunden lang fest, um sicherzugehen, dass ich das Brennen der Blicke aller auf mir spüre. Das ärgert mich, und das Danke, das ich auf den Lippen hatte, wird gegen eine völlig andere Antwort ausgetauscht.

»Den hättest du auch schon eher aufheben können.« Ich schenke ihm meinen besten finsteren Blick, worauf er die Spitze loslässt, dabei den Radiergummi rauszieht und ihn wieder auf den Boden wirft, wo er gut ein, zwei Meter weit weghüpft. Ich stoße ein schwaches Lachen aus, bevor ich mich ein letztes — allerletztes — Mal zu ihm umdrehe.