Vater Los - Christoph Eydt - E-Book

Vater Los E-Book

Christoph Eydt

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Beschreibung

Vater Los erzählt die Geschichte aller Väter, die Vertrauen in den Rechtsstaat haben, die für ihre Kinder alles geben und letztlich vor der Richterbank stehen und nach einem Wortgefecht erfahren, dass sie keine Hauptbezugspersonen ihrer Kinder wären. Sie alle nehmen das Los auf sich. Simon, der Protagonist dieses Kurzromans, steht wie Don Quijot vor den Windmühlen: Er kämpft um das Aufenthaltsbestimmungsrecht von seinem Sohn Max und tritt dabei nicht nur seiner Ex-Frau gegenüber, die von jetzt auf gleich alle Lager abbrechen will, sondern auch einem Rechtssystem, welches an seinen eigenen Idealen zu scheitern droht. Die Geschichte von Simon zeigt nicht nur, wie Väter für ihre Rolle als gleichberechtigte Elternteile kämpfen müssen, sondern wie gesellschaftliche Strukturen eine Eigendynamik gewinnen, in der alles zu Bruch gehen kann - ohne Rücksicht auf den sogenannten Einzelfall.

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Seitenzahl: 192

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Inhalt

Erdbeben

Beziehungsmist

Entsorgung

Aufs Ganze

Im Nebel

Ad acta

Außer Kontrolle

ERDBEBEN

„Fuck! Schon wieder!“

„Was denn los?“

„Na Anna! Die ruft nun schon zum vierten Mal an.“

„Nimm doch ab!“

Ich kratzte mir am Hinterkopf, auch wenn es da gerade nicht juckte. Vielleicht war es ein Tick von mir, mich zu kratzen, wenn ich kurz überlegen musste, was ich wie sagen sollte. Sei des drum! Ich erwiderte ihr:

„Besser nicht. Wenn sie so aufdringlich ist, kann es nichts Gutes sein. Außerdem …“

„Außerdem was?“

Ich zögerte mit der Antwort, weil ich keine Lust hatte, das Ganze zu vertiefen. Aber irgendwie wollte ich es auch sagen: „Außerdem hat sie mir heute Morgen schon geschrieben, dass sie mir was Wichtiges mitzuteilen hätte. Etwas, was nur persönlich zu sagen wäre. Naja – oder halt telefonisch, wie es aussieht.“

„Und? Eine Ahnung, was es sein könnte?“

„Nein, ich weiß nur: Nichts Gutes!“

„Ach Mensch!“

Ich steckte mir eine Zigarette an, holte tief Luft, sehr tief, pustete die verdreckte Luft aus mir heraus und sagte: „Komm. Lass uns darüber gehen. Das Café sieht doch toll aus. So schön bunt!“

„Bunt? Darauf stehst du?“

„Nicht nur darauf!“

Ich zog sie an mich heran und gab ihr einen Kuss, den sie mir sofort mit ihrer Zunge erwiderte.

„Bäh!“, sagte sie. „Dein Qualm!“

„Hey, das ist meiner! Sei sensibler!“ Dabei kniff ich ihr in den Hintern, der zugegeben etwas dicker war, als ich es gewohnt war, aber bei Weitem nicht schlecht. Außerdem wollte ich mich selbst ablenken von dem fürchterlichen Gedankenkarussell, was meine Ex wohl von mir wollen würde, wenn sie so penetrant mich zu erreichen suchte.

Kathrin, meine Begleitung an diesem Tage, fragte mich:

„Wenn du schon hier zu Besuch bist: Was möchtest du denn noch so sehen?“

„Du meinst, abgesehen von deinem Hintern und dem Rest an dir?“

„Du bist unverbesserlich!“

„Ich gebe mir Mühe!“

„Nein. Ich meine natürlich was von der Stadt. Wir haben hier ja einiges zu bieten.“

„Ach? Ist das so?“ Ein Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen.

Mit Augenaufschlag und einem verliebt-verklärten Blick sagte sie: „Und ein ganz besonderes Highlight gibt’s bei mir zuhause. Natürlich mit Führung. Das volle Programm!“

Ich blieb stehen, hielt Kathrins Hand, um sie zu mir zu ziehen und erwiderte: „Da bin ich gespannt wie ein Flitzebogen. …

Ok! Das klang nun weniger erotisch als gedacht.“

Sie lachte, und noch während sie dabei war, mich zu küssen, vibrierte es schon wieder in meiner Hose. Meine Gedanken waren wie beim Pawlowschen Hund sofort bei meiner Ex. Ich wusste nicht, ob sie es war, die da anrief, aber alles in mir war auf Alarm programmiert. Ich konnte Kathrins Kuss nicht erwidern. Im Gegenteil: Ich wollte sie in diesem Moment wegstoßen. Ich wollte nicht unsensibel sein, was ich da natürlich schon längst war, und gab mir Mühe, sie sanft von mir fort gleiten zu lassen. Das Vibrieren hörte auf und ich zog das Handy aus der Tasche:

Anrufe in Abwesenheit: 7.

„Hm“, dachte ich, „wenn es dringend wäre oder sogar ein Notfall mit Max, dann würde sie mir sicher schreiben.“

Gleich danach schoss es durch mich hindurch:

„Was, wenn ihm was passiert ist?“

„Bitte lass den kleinen Mann gesund sein!“ (Keine Ahnung, an wen oder was ich das adressierte.)

Kathrin drängelte inzwischen und wollte unbedingt wissen, was denn nun los sei, aber ich konnte ihr nichts sagen. Nichts Neues. Im Westen nichts Neues. Sozusagen.

Ich packte mein bisschen Mut und rief bei meiner Ex an.

Es klingelte.

Neunmal. Dann legte ich auf.

Sie nahm nicht ab.

Fünf Minuten und eine Unterhaltung mit Kathrin weiter, klingelte ich nochmal durch. Wieder nichts.

„Ach komm! Lass uns noch einkaufen und dann zu dir nach Hause gehen, ja?“

„Und du willst nichts von der Stadt sehen?“

„Tut mir leid. Jetzt erstmal nicht. Das mit Anna nervt mich. Ich bin nicht wirklich bei der Sache. Sorry!“

Sie wollte nach meiner Hand greifen, die ich aber keinesfalls fassen wollte. Ich zog mich zurück und merkte, wie sich alles in mir verkrampfte. Es war bizarr; so, als würde ich mich vollständig selbst beobachten, als wäre ich ein Versuchskarnickel in irgendeinem perversen Labor. Da war ich in dieser tollen Stadt mit dieser tollen Frau und meine Gedanken schwirrten nur um dieses beschissene Telefon und das, was mir meine Ex wohl mitteilen wollte. Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nur:

Es kann nichts Gutes sein.

Kurze Vibration.

Ha!

Was?

Da steht: „Muss dringend mit dir reden. Persönlich. Wann geht das?“

Mein Herzschlag schien sich zu beschleunigen. So kam es mir zumindest vor. Meine Hände wurden eiskalt. Ich steckte mir die nächste Kippe an. Und nur ein wenig von mir entfernt, stand sie da. Kathrin. Ratlos. Überfordert. Traurig. Entweder litt sie mit mir oder sie war von der gesamten Situation einfach nur enttäuscht. Und wer hätte es ihr verübeln können?

Wir gingen noch einkaufen. Aldi. Das passte, denn dort gab es Wein im Sonderangebot. Ich holte mir einen Rotwein und noch bisschen was zu essen.

Während Kathrin an der Kasse stand, versuchte ich noch dreimal Anna zu erreichen. Keine Reaktion. Also schrieb ich ihr und wollte wissen, wann es mit Telefonieren mal klappen würde.

Nach wenigen Minuten konnten wir uns auf eine Zeit einigen.

Und ich wurde nervöser. In 30 Minuten sollte es soweit sein.

Ok! Bis dahin wäre wir zurück in Kathrins Wohnung gewesen, hätten die Einkäufe sortiert und eingeräumt und ich hätte vielleicht schon etwas vom Wein trinken können.

Die Rückfahrt mit Kathrin erinnerte an ein Begräbnis. Eine beklemmende Stille herrschte im Auto und ich hatte weder Kraft noch Lust, diese zu durchbrechen. Es ging einfach nicht. Ich kam mir vor wie ein Gefangener, gefesselt an den Autositz, geknebelt mit einem Telefon.

Das Treppenhaus kam mir unendlich groß vor. Stufe um Stufe schritt ich nach oben. Noch zehn Minuten. Dann war es soweit.

Noch fünf Minuten.

Ich drehte mir eine Zigarette und verließ die Wohnung, öffnete im Treppenhaus ein Fenster, lehnte mich hinaus und zündete die Zigarette an. Das Handy lag auf dem Fensterbrett. Ich starrte darauf, als wollte ich es nur mit meinen Blicken bedienen. Dann läutete es.

Ich ließ es dreimal klingeln, dann nahm ich ab und sagte:

„Hi. Jetzt scheint es ja zu klappen.“

„Hmmm.“

„Also? Worum geht es? Ich hatte dir ja schon gesagt, dass alles ok ist, solange wir an unserem Plan festhalten.“

„Ja. Genau darum geht es. Ich will dir nur meine Entscheidung mitteilen.“

„Was denn für eine?“

„Ich melde Max an der Schule ab und ziehe mit ihm nach Stole.“

Ich musste schlucken, drückte die Zigarette aus und presste meine Hand auf das Fensterbrett als wollte ich es durchbrechen. Mit gedrückter Stimme sagte ich:

„Nee. Das geht nicht. Wir haben uns solange darauf verständigt. Ich habe mir extra eine Wohnung in Schulnähe geholt.“

„Ja. Das ist Pech. Naja. Nun weißt du jedenfalls Bescheid. Ich brauche deine Zustimmung für den Umzug.“

„Die kriegst du nicht.“

„Also willst du, dass es vors Gericht geht? Kannst du haben!“

„Findest du das nicht absurd, so im Affekt irgendwohin zu ziehen?“

„Das wirkt auf dich nur so. Das ist alles überlegt.“

„Und was ist mit unserem Plan? Max sollte uns beide öfters sehen. Wir hatten uns extra für die Schule da entschieden. Das ist unter Dach und Fach.“

„Nein, ist es nicht. Ich werde das kündigen. Also: Wann krieg ich deine Zustimmung?“

„Boah – ich bin erstmal sprachlos. Das ist wieder so ein Knaller von dir.“

„Wie du meinst. Wäre schön, wenn du mir bald Bescheid gibst.

Bis dann!“

Und dann hörte ich nur noch das standardisierte Tuten im Telefon, was für mich dem Ticken einer Bombe gleichkam, auch wenn die Bombe nun geplatzt war.

Fuck!

Wieso?

Warum nur?

Ich verstand gar nichts mehr. Am liebsten hätte ich das Telefon aus dem Fenster geworfen, aber da hätte ich sicher nicht die Person getroffen, die ich hätte treffen wollen.

Ruhe bewahren.

Einatmen.

Ausatmen.

Der Klos im Hals machte mir einen gleichmäßigen Atemrhythmus mehr als schwer. Ich musste nach Luft ringen. Solange waren wir uns einig – und nun wollte sie alles über Bord werfen. Einfach weg. Wertlos. Dreckig. Sinnlos.

Ich hangelte mich das Treppenhaus hinauf, betrat Kathrins Wohnung, setzte mich an den Wohnzimmertisch und schwieg.

Sie merkte sofort, dass es eine Hiobsbotschaft war und traute sich kaum zu fragen.

Schließlich sagte ich:

„Anna hat angerufen.“

„Ja. Das sehe ich.“

„Und wie erwartet: Nur Scheiße!“

„Was denn?“

„Sie will mit Max umziehen.“

„Ich dachte, er soll in Merreburg auf die Schule gehen.“

„Ja. Dachte ich auch. Die Schule denkt es vermutlich noch immer.“

„Und wieso?“

„Keine Ahnung. Vermutlich, weil sie diesen neuen Typen da hat – seit drei Wochen.“

„Drei Wochen?“

„Ja. Der wohnt zumindest da, wo sie hinziehen will. Und Max soll auch mit.“

„Boah. Was ist das für ein Scheiß? Denkt die überhaupt nach?“

„Vermutlich nicht. Keine Ahnung.“

„Das geht doch nicht. Du musst bei sowas doch zustimmen.“

„Ich weiß. Und sie weiß es auch. Sie wollte auch meine Zustimmung.“

„Und?“

„Na ich hab erstmal abgelehnt – und dann kam schon das Gericht ins Spiel.“

Betroffenes Schweigen.

Kathrin sagte dann:

„Ja. Ich denke, bei sowas solltest du echt vors Gericht gehen.

Das ist doch nicht normal.“

„Vor allem ich habe extra diese scheiß Wohnung genommen, hänge an der fest dank Mietvertrag. Dann haben wir den Schulvertrag. Und das Absurde: Sie arbeitet in Merreburg und will nun in eine ganz andere Richtung hinziehen, wo sie über eine Stunde fahren muss, um nach Merreburg zu kommen.

Das ist so ein Käse. Max hat in Stole niemanden. Seine Familie ist hier. Ich bin hier. Er kennt die Schule und auch schon die anderen Kinder. Es ist alles vorbereitet. Und nun sowas …“

„Ach Mann!“

Ich stand auf, zog mein Hemd gerade und ging zu einem kleinen Holzschrank, wo ich vorhin noch eine Weinflasche abgestellt hatte. Die öffnete ich und schenkte mir ein.

Ein günstiger Rotwein aus dem Aldi-Markt. Dann drehte ich mir eine Zigarette und verschwand nochmal im Treppenhaus.

Als ich zurückkam sagte Kathrin:

„Ich kenne hier eine Familienanwältin. Wenn du willst, stell ich den Kontakt für dich her.“

Ich schwieg, weil ich mir keine Antwort zutraute. Irgendwie beängstigte es mich, meine Familie vor Gericht zu sehen. Noch mehr aber hatte ich Angst vor dem Ausgang des Ganzen. Vielleicht würde sich Anna aber auch alles nochmal überlegen.

Auch gingen mir die Bilder von Max nicht mehr aus dem Kopf, wie wir zusammen laufen lernten, wie er Schritt für Schritt in diese Welt gefunden hatte und wie vertraut wir miteinander waren. Es war alles so sinnvoll, er hätte eine für uns gute Schulform genießen können, hätte seine Eltern in seiner Nähe gehabt und auch alle anderen Familienmitglieder. Und dann wurde es auf einmal so sinnlos: Er sollte fort, irgendwohin, wo er nur seine Mutter hatte und einen fremden Kerl. Von Schulbildung ganz zu schweigen. Ob der Kleine überhaupt wusste, was ihm bevorstand? Hätte es ihn gestört? Tja. Zig Fragen schossen inzwischen durch meinen Kopf und ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte.

Kathrin, die immer wieder meine Nähe suchte, ging mir auf die Nerven. Sie meinte es gut, keine Frage! Aber manchmal sollte man es auch gut sein lassen. Als ich dies so dachte, wusste ich: Wow! Was bist du nur für ein riesen Arschloch!

Oder? War ich eines? War ich nicht doch einfach nur in der Situation haltlos überfordert? Und wie hätte eine mir fast fremde Frau helfen können, mit der ich gerade dabei war, sich einander anzunähern? Nein, das hätte ich ihr nicht zumuten können. Ich war einfach nur mit mir beschäftigt, alles drehte sich um meine Gedanken, meine Gefühle, meine Welt. Und in dem Momente wusste ich: Kathrin ist davon kein Teil. Sie durfte es auch nicht werden, drohte in meiner Welt das, was gemeinhin Untergang genannt wird. Ihr Beistand tat mir gut und zugleich wuchs in mir die Ablehnung ihr gegenüber, weil mein Raum vollgestopft war mit Müll und ich nicht bereit war, diesen zu entmisten. Ich wusste noch nicht einmal, wo ich Müllsäcke hernehmen sollte.

Kathrin rief ihre befreundete Anwältin an und gab mir das Telefon in die Hand. Mit dem Wein in der Rechten und dem Handy in der Linken. Weit entfernt hörte ich eine Frauenstimme:

„Na da haben Sie ja nun was an der Backe!“

Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Spöttisch und im Affekt lachte ich und sagte: „Ausgesucht habe ich es mir nicht.“

„Erzählen Sie mal!“

„Was kann ich dazu groß erzählen? Ich habe es eben erst erfahren. Aber ich versuche mal die Kurzfassung:

Meine Ex-Frau und ich sind seit 2016 getrennt, seit Anfang 2019 geschieden. Unser Sohn, Max, wurde 2013 geboren. Er wird dieses Jahr eingeschult. Aufgrund einer schlimmen neurologischen Störung sowie aus pädagogischen Gründen heraus haben wir ihn letztes Jahr an einer Privatschule in Merreburg angemeldet. Anmeldeverfahren hat geklappt, Vertrag wurde letztes Jahr unterschrieben.“

„Von Ihnen beiden?“

„Ja.“

„Ok. Dann darf Ihre Ex-Frau da schon mal nicht eigenmächtig kündigen.“

„Ja.“ Ich musste wieder lachen. „Sagen Sie ihr das!“

Schweigen.

Ich redete weiter: „Seit letzte Woche habe ich eine Wohnung in Schulnähe. Wir wollten, dass Max uns beide regelmäßig und oft als Eltern haben kann. Meine Ex arbeitet auch in Merreburg.“

„Und nun?“

„Naja, nun will sie all das über Bord werfen. Seit knapp drei Wochen kennt sie einen Mann in Stole. Das ist die völlige Gegenrichtung zu Merreburg. Und seit einer halben Stunde weiß ich, dass sie nun mit unserem Kind dorthin ziehen will.“

„Ok. Also es ist schon einmal gut, dass Sie den Vertrag in der Hand haben und zeigen können, dass sie beide das unterschrieben haben.“

„Ja. Aber ich weiß nicht so recht, was ich tun kann. Hab keine Lust, in einen Krieg zu ziehen.“

„Keine Sorge! Das müssen Sie nicht. Der Krieg ist zu Ihnen gekommen!“

„Ist das nicht schlimm?“

„Ja. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle. Sie müssen wissen, was Sie wollen.“

„Ich will definitiv diesen Umzug verhindern. Max hätte an dem neuen Standort nichts außer seine Mutter. Ich wäre als Bezugsperson nicht da. Der Rest seiner Familie auch nicht.

Und wir haben ja gemeinsam als Eltern einen anderen Weg entschieden.“

„Ok. Ich schlage vor, dass Sie als Erstes alle Argumente für Ihren Standort sammeln, dann die Argumente gegen den Wunsch der Mutter. Und dann sollten Sie sich überlegen, wie Ihr Leben mit Ihrem Kind weitergehen könnte.“

„Und Sie denken, es geht nicht ohne Gericht?“

„Klar geht es ohne, aber dann können Sie nur noch hinterherwinken. Ich rate Ihnen, sofort Antrag bei Gericht zu stellen.

Das muss schnell gehen. Wenn Ihre Ex-Frau erstmal Tatsachen geschaffen hat, gibt es nahezu keinen Weg zurück.“

„Wie jetzt?“

„Kein Gericht der Welt wird ein Kind zu einem Umzug zwingen, wenn es sich einmal irgendwo eingelebt hat – auch wenn die Mutter gegen das Recht verzogen ist, also ohne väterliches Einverständnis. Glauben Sie mir das!“

„Hm.“

„Deshalb: So schnell wie möglich handeln.“

„Ich will aber keine Schlammschlacht.“

„Auch die wird kommen. Was meinen Sie, was ich da schon alles erlebt habe? Es geht um Ihr Kind!“

„Sie hat mir in der Vergangenheit schon immer üble Sachen vorgeworfen.“

Ein lautes Lachen am anderen Ende. Und dann: „Tja, wenn alles wahr wäre, was Ex-Frauen über ihre Ex-Männer, also die Kindsväter sagen, dann wären 95 % von denen pädophil oder schwerste Alkoholiker.“

„Nicht Ihr Ernst?“

„Und wie. Deshalb: Handeln Sie.“

„Können Sie mich denn anwaltlich vertreten?“

„Grundsätzlich ja, aber ich bin erstmal zwei Wochen im Urlaub.“

„Hm. Verstehe. Ok. Also vielen Dank erstmal. Ich muss das nochmal sacken lassen.“

„Ja. Ist gut. Sie können mich telefonisch noch bis Montag erreichen.“

„Vielen Dank!“

„Na gerne. Wiederhören.“

„Tschüss.“

Ich gab Kathrin das Telefon und sie setzte sich auf eine kleine lederne Couch am Fenster.

„Und?“, fragte sie dann.

„Hast ja vermutlich schon einen Großteil mitgehört. Geht wohl vor’s Gericht.“

„Naja, manchmal sind solche Strukturen halt doch sinnvoll, auch wenn du dich immer über sie beschwerst.“

„Was heißt ‚immer‘? Ich finde es nur schlimm, dass fremde Menschen über ein ganzes Familienschicksal entscheiden, obwohl sie im Prinzip nichts kennen.“

„Hm. Wird hier halt so geregelt.“

„Ja. Ich weiß. Und das ist auch das erste Mal, wo ich denke, dass es sein muss.“

Ich drehte mir noch eine Zigarette. So langsam legte sich meine Unruhe und ich konnte endlich wieder in klareren Mustern denken. Da war diese Anwältin. Gut! Das war eine Meinung.

Ich habe auch noch einen Kumpel, der Anwalt ist. Hatte zwar schon ein paar Jahre keinen Kontakt mehr zu ihm, aber ok.

Und dann mal noch das Jugendamt. Vielleicht auch noch eine Familienberatungsstelle? Es waren so viele Möglichkeiten, die sich mir aufboten, aber im Innersten wusste ich: Letztlich ist das nur ein Herumgeschlittere, nur um eine ganz bestimmte Entscheidung zu verzögern. Aber das war mir klar, von daher:

Alles gut! Die Zeit musste ich mir nehmen. Kathrin vertiefte sich unterdessen in ihre Hefter. Sie musste noch für eine Prüfung lernen und ich schämte mich, dass ich ihr Leben nun mit meinem so belasten musste. Aber irgendwie konnte ich es nicht verhindern. Ich wollte nicht fort von ihr.

„Willst du, dass ich abfahre?“, fragte ich, noch bevor ich mit der Fluppe ins Treppenhaus verschwand.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Naja, ich kann mir vorstellen, dass ich gerade nicht die beste Unterhaltung bin – geschweige denn überhaupt nur angenehm.“

„Hm. Ja. Es ist schon scheiße. Aber dafür kannst du ja nichts.

Ist diese mistige Anna. Ich hasse sie. Sie macht da was in uns kaputt.“

„Hm.“

Schweigend ging ich ins Treppenhaus und schloss die Tür so leise ich konnte, um die beklemmende Stimmung nicht noch durch Lärm zu verschlimmern. Aber vielleicht hat gerade dieser gefehlt? Vielleicht wäre es besser gewesen, einmal so richtig Krach zu machen, statt sich in den Mantel des Schweigens zu hüllen?

Zurück in der Wohnung ging ich auf Kathrin zu, griff nach ihrer Hand und flüsterte: „Danke!“

Sie schenkte mir einen Kuss auf die Wange und wollte mir dann ihre Zunge in den Mund drücken, was ich aber rechtzeitig abwehren konnte. Es wäre kein aufrichtiger Kuss meinerseits gewesen. Dann lieber ganz sein lassen. SEIN lassen.

Ich griff zu meinem Telefon und klingelte meinen Kumpel an.

Es läutete ein paar Mal, dann:

„Hi.“

„Ja. Hi. Hier ist Simon.“

„Ach Mensch! Altes Haus.“

„Ja, du, pass auf: Ich hab mal eine fachliche Frage.“

„Oh je. Na dann hau mal raus.“

Ich erzählte ihm die ganze Story. Und er antworte mit einer Mischung aus Nüchternheit und Witz:

„Da haste dir ja ne geile Ex ausgesucht. Also pass auf: Lass es sein. Du hast keine Chance.“

„Überhaupt keine?“

„Neee.“ Ein hämisches Lachen. Und dann: „Was denkst du, wo du lebst? Wir sind hier in Deutschland.“

„Ja, und? Ist doch ein Rechtsstaat.“

„Klar ist es das. Aber das Recht vertritt eine ganz klare Position. Und du stehst auf der Verliererseite. Je eher du das akzeptierst, desto besser für dein Kind.“

„Sagst du mir das nur, weil du damals auch zum Teilzeitvater wurdest?“

„Quatsch! Ey, ich hatte schon so viele Väter am Gericht vertreten. Die Mutter muss schon eine richtig kaputte Person sein, ehe die Gerichte sagen, dass die Kinder zum Vater kommen.“

„Und was ist mit dem Kindeswohl?“

„Was soll damit sein? Es ist nicht gefährdet, und damit Ende Gelände.“

„Ich habe gelesen, dass es nicht nur darum geht, dass keine Kindeswohlgefährdung vorliegt, sondern dass es Anspruch ist, das Kindeswohl optimal zu fördern.“

„Solange der Kleine was zu essen hat, eine Schule besucht und gesund ist, ist alles paletti für deine Ex. Da kannste Kopfstand machen!“

„Denkst du echt? Obwohl wir gemeinsam entschieden haben, dass das Wohl von Max auf eine ganz andere Weise gefördert werden soll?“

„Ja. Das ist der Lauf der Welt. Menschen ändern ihre Meinung.

Das ist kein Verbrechen. Menschen machen Fehler. Auch kein Ding. Lass es gut sein. Du bringst nur Sturm ins Wasserglas.“

„Aber irgendwas muss ich doch tun.“

„Nee. Musste nicht. Sei froh, wenn der Kleine gesund ist und kümmere dich um einen soliden Umgang. Vielleicht kannst du noch Schadenersatz fordern, wenn sie tatsächlich den Schulvertrag brechen will, aber mehr auch nicht.“

„Hm. Schadenersatz ist mir egal. Ich will einfach nur, dass wir an dem Plan festhalten.“

„Tja. Das wird nichts, mein Bester.“

„Das ist ernüchternd.“

„Ja. So ist das manchmal. Naja, ich muss jetzt los. Denk dran:

Ich habe dich nun gewarnt. Also: Hau rein!“

„Vielen Dank dir.“

Kathrin wagte es kaum, mich anzugucken, fragte aber trotzdem:

„Der sieht es wohl nicht so optimistisch?“

„Nee. Überhaupt nicht. Er meint, es geht nicht darum, dass Max besonders gut gefördert wird, sondern es geht nur darum, dass sein Wohl nicht gefährdet wird. Das war’s. Also ein extrem niedriger Anspruch, wie mir scheint.“

„Was für eine Scheiße! Kein Wunder, wenn es so viele kaputte Kinderseelen gibt.“

„Tja. Familiengerichte verdienen, Psychologen verdienen, Pädagogen, Sozialarbeiter, und, und, und verdienen. Dank an die Helferindustrie!“

„Ach Mann!“

„Hm. Schon krass. Es geht nicht darum, dass ein Kind besonders weit die Leiter hochkommt, sondern dass es nicht von der untersten Stufe fällt.“

„Abgefuckt!“

„Wem sagst du das?!“

Ich lehnte mich an Kathrins Schulter und gemeinsam schwiegen wir. Es tat gut, denn endlich konnte ich wieder richtig durchatmen, erhob mich und sie sagte:

„Du bist extrem unruhig.“

„In Anbetracht der Umstände sicher doch verständlich, oder?“

„Ja. Aber nur schade!“

„Ich weiß. Tut mir leid.“

Ich griff zum Telefon, wandte mich von Kathrin ab und wählte die nächste Nummer. Nun wollte ich mit dem Jugendamt sprechen.

„Jugendamt …“ – bla, bla, bla. Irgendwie konnte ich nicht mehr, aber ich war so in einem Eifer, dass ich unbedingt noch mit weiteren Leuten telefonieren wollte.

„Schönen guten Tag. Ich habe eine Frage. Es geht um eine Familiensache.“

„Um was genau? Unterhalt?“

(Fuck! Wie klischeehaft!)

„Nein. Geht um Aufenthaltsbestimmungsrecht.“

„Ok. Dann verbinde ich Sie. Liegt schon ein Verfahren vor?“

„Wie?“

„Na ist es vor Gericht? Gibt es ein Aktenzeichen?“

„Ach so. Nein, nein.“

„Gut. Einen Moment bitte!“

„Dankeschön.“

Warten.

Eine Minute,

zwei,

drei.

Meine Fresse. Was brauchen die solange?

Ah!

„Guten Tag. Sie sprechen mit Frau Lange. Was kann ich für Sie tun.“

„Ja. Schönen guten Tag. Mein Name ist Simon Mochem und ich habe eine Frage zum Aufenthaltsbestimmungsrecht.“

„Ok.“

Jupp. Dann erzählte ich auch dieser Frau meine Story.

Sie hielt sich recht knapp und antwortete:

„Naja, eigentlich müsste es erstmal zu einer Mediation kommen. Da sitzen wir alle an einem runden Tisch und suchen nach Kompromissen.“

„Kompromisse? Die Einschulung von Max ist in wenigen Wochen!“

„Verstehe. Und die Kindsmutter ist vermutlich an keinem Kompromiss interessiert?“

„Nein. Das hat sie deutlich zu verstehen gegeben. Ich solle im Prinzip nur dem Umzug zustimmen.“

„Tja, Herr Mochem, vielleicht wenden sie sich noch an eine Elternstelle. Also am besten ist es für das Kind, wenn man sich außergerichtlich einigen kann.“

„Das weiß ich. Und ich will auch nicht vors Gericht, wenn ich es vermeiden kann.“

„Naja, wenn Sie aber nun sagen, dass die Einschulung schon in wenigen Wochen ist und Ihr Sohn schon an einer Schule angemeldet ist. Also … ich würde dann vielleicht doch einmal zu einem Fachanwalt für Familienrecht gehen.“

„Hm. Und dann?“