Väter ohne Kinder - Andrea Micus - E-Book

Väter ohne Kinder E-Book

Andrea Micus

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  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Viele Männer verlieren nach einer Trennung nicht nur die Partnerin, sondern auch den Kontakt zu ihren Kindern. Andrea Micus, die diese Situation aus der eigenen Familie kennt, schildert die dramatische Lage dieser Väter. Ihre Beispiele zeigen deren persönliches Leid, aber auch die gesellschaftliche Relevanz. Zugleich skizziert sie mögliche Lösungswege – zum Wohle aller Familienmitglieder.

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Seitenzahl: 261

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Über das Buch

Wie Väter leiden, wenn sie ihre Kinder nicht mehr sehen dürfen

Viele Männer verlieren nach einer Trennung nicht nur die Partnerin, sondern auch den Kontakt zu ihren Kindern. Andrea Micus, die diese Situation aus der eigenen Familie kennt, schildert die oft dramatische Lage dieser Väter. Ihre Beispiele verdeutlichen das persönliche Leid und auch die gesellschaftliche Relevanz. Zugleich skizziert sie mögliche Lösungswege – zum Wohl aller Familienmitglieder.

Andrea Micus

Väter ohne Kinder

Was für Männer nach einer Trennung auf dem Spiel steht

Kösel

Der Kösel-Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags für externe Links ist stets ausgeschlossen.

Copyright © 2015 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: Weiss Werkstatt, München

Umschlagmotiv: plainpicture / mia takahara, shutterstock / Kostsov, shutterstock / Goodluz

Lektorat: Imke Oldenbourg, Bremen

ISBN 978-3-641-13736-6

www.koesel.de

Inhalt

Vorwort

Warum Scheidungs- und Trennungsväter keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben

Sechs Väter erzählen

Markus: »Ich will nicht mehr leiden!«

Frank: »Meine Frau hat mich eiskalt ausgebootet!«

Thomas: »Die Eltern haben das Zusammenleben zu regeln!«

Hendrik: »Ich darf weder Vater noch Großvater sein!«

Fabian: »Meine Gefühle werden ein- und ausgeknipst!«

Dietrich: »Mein Sohn hat mich geschlagen!«

Es geht auch anders …

Nachwort

Anhang

Dank

Adressen

Literaturhinweise

Vorwort

Mein Sohn Alexander ist 16 Jahre alt. Seinen Vater hat er in den vergangenen drei Jahren gerade mal drei Stunden gesehen. Die letzte Begegnung dauerte zwanzig Minuten und fand kurz vor Weihnachten 2012 statt. Wir Eltern wollten es ganz anders. Bei unserer Trennung war Alexander drei Jahre alt und in den folgenden Jahren waren wir beide bemüht, die Verbindung zwischen Vater und Sohn auch trotz unserer räumlichen Distanz zu erhalten. Einige Jahre hat das prima geklappt. Wir haben uns beide vorbildlich verhalten. Doch dann kam es innerhalb weniger Wochen zum Bruch zwischen Vater und Sohn. Alexander wollte nicht mehr zu seinem Vater. Als Begründung sagte er, es »stimme gefühlsmäßig nicht mehr«. In der Folgezeit ergaben sich Situationen, die alle Beteiligten schmerzten. Es wurde viel zu viel interpretiert und viel zu wenig gesprochen. Misstrauen schlich sich ein und schnell waren die Gräben zu tief, um beherzt über sie hinwegzusteigen. Heute ist Alexander eines der vielen Kinder bei uns – ihre Zahl wird mit weit über eine Million angegeben –, die keinen Kontakt zu ihren Vätern haben, und das, obwohl alle Beteiligten gute Absichten hatten. Es gibt in diesem Fall keinen Schuldigen, nur Betroffene – und die Erfahrung, dass nach Trennungen alles möglich ist.

Warum Scheidungs- und Trennungsväter keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben

Sie reden nicht gern darüber. Wenn jemand nach ihren Kindern fragt, drehen sie sich weg und bekommen feuchte Augen. Manche wechseln schnell das Thema, erzählen, wie es im Job läuft und wo sie gerade ihren Urlaub verbracht haben. Viele lügen: »Mein Sohn macht jetzt sein Abitur. Er möchte dann Jura studieren« oder »Meine Tochter ist eine talentierte Tennisspielerin. Sie hat gerade ein Turnier gewonnen«, erzählen sie mit einer scheinbar beiläufigen Selbstverständlichkeit und legen Wert auf die Fassade der heilen Welt. Niemand soll wissen, dass sie diese Informationen von Nachbarn und Bekannten oder gar aus der Lokalzeitung haben und schon seit Jahren kein Wort mehr mit ihren Kindern gewechselt haben.

Sie sind kinderlose Väter. Ein Paradoxon. Aber bei uns ist es vielfache Realität. Die Rede ist hier nicht von den Vätern, die kein Interesse an ihren Kindern haben und sich um den Unterhalt drücken, vielmehr geht es um die unfreiwillig Kinderlosen. Konkrete Zahlen gibt es nicht, aber es sind Millionen Väter aller Altersstufen. Ursache für den rasanten Anstieg ist die hohe Zahl der Scheidungen und der Bruch nicht auf Dauer angelegter Beziehungen.

Es sind Männer aller sozialen Schichten und Altersklassen, ausgegrenzt und ihrer Vaterrolle beraubt, oft von schon kinderlosen Vätern auch zu enkellosen Großvätern geworden. Sie möchten nichts lieber als ihren Kindern Vorbild sein und ihnen Rat geben. Sie möchten schützen und unterstützen, da sein und teilnehmen können. Doch sie werden nicht gefragt, um nichts gebeten. Sie spielen keine Rolle im Leben ihrer Kinder.

Meist gab es keine übergreifende Ursache oder ein besonderes Ereignis als zwingenden Auslöser für den Kontaktabbruch. Es sind viele unterschiedliche Einflussfaktoren, die wechselseitig verschränkt in einem komplexen Zusammenspiel dazu führen, dass sich Väter und Kinder nicht mehr sehen. Dabei gibt es nicht den einen Schuldigen, »die böse Mutter« und »den gleichgültigen Vater«, sondern es gibt Verstrickungen, die zu individuellen Dramen führen und an deren Ende sich Väter im Abseits wiederfinden.

Die Gesellschaft nimmt sie meistens gar nicht wahr, denn ihr Leid fällt selten auf. Sie leiden im Verborgenen, verschließen den lebenslang bohrenden Schmerz fest in ihren Herzen. Und wenn das Leid sie krank gemacht hat, schieben sie es auf den Stress, die viele Arbeit, das Leben eben. Denn auszusprechen, was ihnen widerfahren ist, quält sie zu sehr. Männer leiden lieber stumm.

Einige aber haben sich organisiert. Sie kämpfen dagegen, sich mit der unfreiwilligen Kinderlosigkeit abzufinden. Sie versuchen mit ihren Schicksalen die Öffentlichkeit zu alarmieren, machen mit entsprechenden Eingaben Druck auf die Gesetzgeber. Doch die Chancen, ihre Kinder, egal in welchem Alter, zurückzugewinnen, sind gering. Denn verlorene gemeinsame Jahre lassen sich nicht nachholen und eine Beziehung, die sich in der Kindheit durch gemeinsames Erleben entwickelt hat, lässt sich nicht nachträglich aufbauen. Kinder kann man nur einmal aufwachsen sehen, und wer das verpasst, hat für immer verloren!

Aber die so aktiven Väter machen trotzdem weiter, trösten sich damit, dass sie zwar nicht für sich selbst, doch wenigstens für künftige Generationen etwas erkämpfen und ein Umdenken in der Gesellschaft erreichen können.

Das Schicksal der kinderlosen Väter beginnt mit Sätzen wie »Es ist aus«, »Ich liebe einen anderen« oder »Wir passen nicht zusammen«. So enden Beziehungen zwischen Mann und Frau. Mittlerweile wird in Deutschland jede dritte Ehe geschieden, Jahr für Jahr etwa 180 000. Dazu kommen die Trennungen von Eltern ohne Trauschein, deren Anzahl wesentlich höher liegt. Doch von der Entscheidung, nicht mehr zusammen durchs Leben gehen zu wollen, sind eben nicht nur zwei Menschen betroffen. Es geht auch um die Kinder dieser Paare: 145 000 minderjährige Kinder erleben schätzungsweise Jahr für Jahr die Trennung ihrer Eltern. Aber auch ältere, formal erwachsene Kinder haben an dem Aus der elterlichen Zweisamkeit zu knapsen. Sie alle wünschen sich, dass beide Eltern weiterhin für sie da sind, dass ihre Mütter Mütter und ihre Väter Väter bleiben. Und so sieht es auch der Gesetzgeber vor: Auf dem Papier wird bei ehelichen Kindern das elterliche Sorgerecht in neunzig Prozent, bei unehelichen Kindern in fünfzig Prozent der Fälle zu gleichen Teilen ausgeübt, Tendenz steigend.

Also bleibt für die Kinder nach einer Trennung alles beim Alten? Der Gesetzgeber billigt jedem Kind ein Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen zu. Aber im Alltag ist das schwer umzusetzen. Gut, Männer wünschen sich im Kinderzimmer Gleichberechtigung, und natürlich können Väter genauso gut für ein Kind sorgen wie Mütter, es füttern, zur Schule bringen und ihm abends eine Geschichte vorlesen. Doch bis es zu einer Trennung kommt, herrschen bei uns auch heute noch überwiegend geschlechtsspezifische traditionelle Lebensmuster. Mehrheitlich kümmert sich die Mutter um Kind und Familie, während der Vater für das Einkommen zuständig ist. Nach der Geburt eines Kindes sind es nach wie vor zumeist die Frauen, die ihre Berufstätigkeit ganz aufgeben oder nur noch Teilzeit arbeiten. So sind derzeit knapp siebzig Prozent der Mütter mit Kindern unter drei Jahren nicht erwerbstätig, von den Müttern, deren jüngstes Kind jünger als ein Jahr ist, sind es sogar neunzig Prozent. Je älter die Kinder werden, desto häufiger gehen Mütter wieder arbeiten. Bei den 15- bis 17-Jährigen sind nur noch knapp dreißig Prozent ausschließlich zu Hause. Bei den Vätern dagegen ist die Beteiligung am Erwerbsleben weitgehend unabhängig vom Heranwachsen der Kinder. Gerade mal drei Prozent reduzieren aus familiären Gründen ihre Wochenarbeitszeit. Allerdings nehmen sieben Prozent für ein Jahr Elternzeit, Tendenz steigend. Doch dagegen steht die Zahl von neunzig Prozent bei den Müttern.

Eine Gleichstellung von Vätern und Müttern im Beruf ist mitnichten erreicht. Nachvollziehbar, dass Gerichte deshalb nach dem Grundsatz entscheiden: »Im Zweifel ist das Kind bei der Mutter am besten aufgehoben«, zumal die Rechtsprechung ja auch den Elternteil bevorzugt, der vor der Trennung den Großteil der Zeit mit dem Kind verbracht hat. Hier setzen die Fachleute einfach die größere emotionale Nähe voraus.

Aber es gibt die stetig steigende Zahl der Väter, die erst in Elternzeit gehen und auch später den Kindern zuliebe auf eine stringente Karriere pfeifen. Oder die arbeitslosen Väter, die sich ganz bewusst der Kindererziehung widmen, weil die Mutter einen gut bezahlten Arbeitsplatz hat und mit ihrem Einkommen die Familie absichert. Sie gehen trotz ihres Engagements für den Nachwuchs vor Gericht im allgemeinen Mainstream der »Pro-Mutter-Entscheidung« unter. Denn den Richtern fehlt für die individuelle Beurteilung des Einzelfalles oft die Ausbildung und vermutlich auch die Zeit, um intensiv hinter die Kulissen zu schauen.

Also bleiben im Trennungsfall in rund neunzig Prozent der Familien die Kinder bei den Müttern. Die Väter packen ihre Koffer und räumen das Zuhause.

Die Folgen wiegen schwer. Denn die Väter sind in doppelter Hinsicht die Verlierer. Sie müssen jetzt nicht nur ohne die Partnerin, sondern auch ohne die Kinder und das Lebensmodell Familie leben. Damit verlieren sie das wohlige Gefühl, in einem Familiengefüge emotional eingebettet und als Vater anerkannt zu sein. Statt wie bisher mit einem von beruflichen und privaten Terminen rhythmisierten Tagesablauf, mit Zugehörigkeit und Geborgenheit, leben sie plötzlich wie Singles. Nicht mehr Schultermine und Kindergeburtstage, Sportveranstaltungen und Familienausflüge bestimmen ihren Alltag, sondern nur noch die Arbeit und, wenn keine neue Partnerin im Spiel ist, auch private Einsamkeit. Während sich die Mütter mit der Aufgabe der Kinderbetreuung vom akuten Trennungsschmerz ablenken, müssen Väter die schlimme Zeit überwiegend allein durchstehen. Ihre Kinder, mit denen sie bislang zeitlich und räumlich eng verbunden waren, sehen sie jetzt nur noch zu bestimmten festgelegten Zeiten. Eine Situation, die viele Trennungsväter schwer belastet und ängstigt, denn sie fürchten, allein schon dadurch die bislang innige Beziehung zu ihren Kindern zu verlieren.

Väter lieben ihre Kinder! Sie wollen Zeit mit ihnen verbringen, sie aufwachsen sehen und sich an ihrer Erziehung aktiv beteiligen. Sie wollen da sein, mitmachen und sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit ihrem Kind widmen. Und jetzt dürfen sie alle zwei Wochen für 48 Stunden präsent sein, herausgerissen aus den Alltagsabläufen und schnell abgeschnitten von den wirklichen Bedürfnissen ihrer Kinder. »Früher wusste ich noch am selben Tag, was meine Kinder in der Schule erlebt haben, und konnte mit ihnen darüber sprechen. Wenn ich sie aber wie jetzt erst zwei Wochen später wiedersehe, sind die Probleme gelöst – ohne mich«, erzählt Olaf, ein 38-jähriger Architekt. Er hat zwar immer sehr viel gearbeitet, um der Familie den Lebensstandard zu sichern, doch in seiner Freizeit hat sich für ihn alles um die Kinder gedreht. Gemeinsame Fahrradtouren und Spieleabende, Schulaufgabenbegleitung und Vorlesestunden. »Ich bin durch und durch Familienmensch. Ich weiß gar nicht, wie man allein lebt«, sagt er.

Bernd, Physiotherapeut und 34-jähriger Vater von fünfjährigen Zwillingen, hat ein Jahr Elternzeit genommen, während seine Frau als Ärztin arbeitete. »Ich habe zwei Säuglinge gewickelt und gefüttert, einer hatte eine chronische Bronchitis und schrie ständig. Ich kann die Nächte nicht zählen, die ich am Kinderbett gebangt und den Kleinen gestreichelt habe, während meine Frau schlief, um morgens fit für den Job zu sein. Kurz nach dem zweiten Geburtstag der Kinder hat sie sich in einen ihrer Kollegen verliebt und mir verkündet, dass ich ausziehen solle. Seitdem bin ich nicht nur als Mann, sondern auch als Vater nicht mehr nötig. Mehr noch, angeblich verursache ich den Kindern mit meinen Besuchen Stress. Ich kann gar nicht begreifen, was mit mir gerade passiert«, erzählt er, und seine Stimme klingt verbittert.

Diese neue Generation der an Gleichberechtigung orientierten Väter trifft es besonders, von ihren Kindern getrennt zu sein. Sie sind stolz darauf, sich engagiert und tatkräftig einen wichtigen Platz in der Familie erobert zu haben. Selbstverständlich waren sie bei der Schwangerschaftsgymnastik und der Entbindung dabei. Selbstbewusst haben sie sich die Säuglinge im Tragegurt umgebunden und jedes Krabbelgruppenfest mitgefeiert. Sie haben die vom Gesetzgeber 2001 eigens auch für Väter ins Leben gerufenen Elternzeiten in Anspruch genommen und waren auch bereit, beruflich zurückzustecken, wenn sie dafür ihren Kindern etwas geben konnten. Sie haben versucht, sich möglichst gleichwertig mit den Müttern um die Erziehung zu kümmern, so wie es ihre Partnerinnen von ihnen erwartet und gefordert haben.

Und dann ist plötzlich alles aus. Ob sie selbst ihre Partnerin verlassen oder von dieser verlassen wurden, ist egal. Ihr Lebenskonzept ist kaputt. Durch die Zerstörung der Familiengemeinschaft sind sie herausgespült aus dem System Familie, das die Mütter und die Gesellschaft den Vätern über viele Jahre schmackhaft gemacht haben. Mit der ausgesprochenen Trennung zählt das alles nicht mehr. Sie sind überflüssig. Gut, alle zwei Wochen können sie die Kinder holen. Muss aber nicht sein. Und schon gar nicht sollen sie mitsprechen.

Mütter, die vorher vehement die Mithilfe in Sachen Kindererziehung eingefordert haben, kommen jetzt prima allein mit den Kindern zurecht, und häufig ist auch schnell ein anderer Mann da, der Papa-Ersatz spielen kann. Die Väter sind raus, überflüssig, nutzlos und landen knallhart auf dem Boden der Realität. Das können sie nicht verstehen und schon gar nicht verkraften.

Denn es geht um mehr als um eine verlorene Partnerschaft, das aufzugebende Haus oder den nicht mehr stimmigen Freundeskreis. Es geht um das eigene Kind, für das sie plötzlich nicht mehr verantwortlich sein sollen, außer mit dem Druck auf den Knopf für die monatliche Online-Überweisung. Aber sie wollen Kontinuität, sie wollen ihre alte Rolle erhalten und ihre Kinder weiterhin betreuen. Deshalb versuchen sie wenigstens das Umgangs- und Besuchsrecht voll auszuschöpfen. Doch die Bemühungen sind wenig erfolgreich. Alarmierende Zahlen belegen das: Nach einer Studie der Universität Bremen hat schon während der Trennungsphase nur noch die Hälfte der Männer häufigen, knapp achtzehn Prozent wenigen und sogar gut dreißig Prozent gar keinen Kontakt mehr zu den Kindern, nach einem Jahr sind es sogar fünfzig Prozent. Andere Studien kommen auf noch alarmierendere Zahlen. Danach haben sechzig Prozent aller Kinder schon nach einem Jahr keinen Kontakt mehr zu ihren Vätern. Eine Katastrophe!

Für die Männer ist es ein emotionaler Super-GAU, der sie bis ins Mark trifft. Es war doch ganz anders geplant. Sie haben sich zu ihren Kindern ans Bett gesetzt und ihnen zu erklären versucht, warum sie nicht mehr mit der Mama zusammen sein können oder sollen. Sie haben gesagt, warum sie ausziehen, eine neue Frau lieben, keine Streitereien mehr wollen, und, und, und. Aber immer endeten ihre Gespräche mit den Sätzen: »Das, was zwischen Mama und mir ist, hat mit dir nichts zu tun. Ich bleibe natürlich dein Papa!«

Und jetzt das! Was passiert denn da, was führt dazu, dass diese Sätze zwar noch in den Köpfen der Kinder herumschwirren, aber nicht gelebt werden? Bewahrheitet sich beim Auszug nur einfach das Sprichwort: »Aus den Augen, aus dem Sinn«?

Nein – so einfach ist es nicht!

Die Ursachen für die väterliche Entfremdung sind vielfältig. Auch wenn auf gesellschaftlicher und medialer Ebene stark polarisierende Debatten stattfinden, muss man festhalten: Die oder den Schuldigen gibt es nicht. Eine Trennung wirbelt Emotionen auf und stößt Abläufe an. Der Rest entwickelt sich quasi von selbst.

Einmal ist es die veränderte Wohnsituation, die oft auch mit großer räumlicher Distanz einhergeht. Denn in der modernen mobilen Gesellschaft bleiben Eltern nicht zwangsläufig an einem gemeinsamen Ort, sondern ziehen quer durch Deutschland oder sogar ins Ausland. Dabei geht es nicht nur um Jobs, die die Mütter brauchen, um allein ihre finanzielle Eigenständigkeit wiederzuerlangen oder aufrechtzuerhalten, sondern auch um Unterstützung, die sie in der neuen Lebenssituation suchen. Viele ziehen in die Nähe ihrer Eltern, viele auch zu einem neuen Partner. Für die Väter ist es häufig zeitlich und finanziell aufwendig, den regelmäßigen Kontakt zu den Kindern zu pflegen. Manche müssen viele hundert Kilometer zurücklegen, um ihre Sprösslinge zu sehen, und vor Ort fehlt eine Unterkunft, in der Nähe und Vertrautheit gepflegt werden können. Hier kommen jetzt auch die unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten ins Spiel. Eine Untersuchung des Österreichischen Instituts für Familienforschung hat ergeben, dass bei Vätern auch der soziale Status über die Häufigkeit des Kontaktabbruchs entscheidet. Väter, die über eine höhere Bildung verfügen, verlieren seltener den Kontakt zu den Kindern. Daraus lässt sich ableiten, dass anderen schlichtweg das Geld fehlt, um häufige Reisen und auch eine entsprechende Wohnung mit Kinderzimmer zu finanzieren.

Oft sperren sich auch die Kinder nach Trennungen schnell gegen den Kontakt mit dem Vater, weil sie den Wechsel zwischen Vater und Mutter als Stress empfinden. Sie stehen schulisch unter Druck, haben am Wochenende einen engen Freizeit-Kalender mit Einladungen zu Geburtstagsfeiern und Sportevents, und eigentlich möchten sie einfach nur mal »chillen«. Doch stattdessen müssen sie den Rucksack packen. Wenn sie Glück haben, müssen sie nur die Kinderzimmer wechseln, wenn es sie schlechter trifft, werden sie von A nach B gefahren. Statt die Freizeit im heimischen Wohnzimmer zu verbringen, sitzen sie mit ihrem Vater in Cafés oder verbringen die Stunden mit Zoo- und Kinobesuchen. Sie haben den Papa lieb, ganz bestimmt, aber die Umgangsrituale gehen ihnen schlichtweg auf die Nerven, das Wochenendpendeln – zwischen zwei Wohnungen, zwei Familien und häufig auch noch zwischen zwei Städten – stresst. Abwechselnd Ferien oder unregelmäßige Besuche, okay. Aber ständig unterwegs sein, nein danke! Die Reaktion der Kinder ist nur zu verständlich. Die guten Absichten finden auf dem Papier, in den Gerichtssälen oder in den Köpfen der Eltern statt. Kinder denken anders. So viel Highlights kann der Vater gar nicht bieten, dass sie nicht doch das Herumgereichtwerden irgendwann satt haben.

Noch entscheidender für den Vater-Kind-Bruch aber ist die mangelnde Kooperation der Mütter, die unter anderem bewusst oder unbewusst versuchen, das Zusammensein von Vater und Kind einzuschränken und den anderen Elternteil auszugrenzen.

Dabei sind die Gründe für den mütterlichen »Boykott« vielfältig. Das Ende einer Beziehung bringt Verletzungen, Trauer, Wut und Kränkungen mit sich. Hinter dem Paar liegt eine Zeit voller gegenseitiger Abwertung, Streits in Endlosschleifen, Sarkasmus und Demütigungen. Man braucht Abstand und zwingt ihn leider schon aus Gründen des vermeintlichen Selbstschutzes auch seinem Kind auf, das ja bei einem lebt. Man will den Ex-Partner nicht sehen. Im besten Fall, weil man ihn noch liebt und seine Nähe das Herz weinen lässt. Man mutet einer Frau viel zu, wenn sich der Mann wegen einer neuen Liebe von ihr getrennt hat und dann gutgelaunt in der Tür steht, um die gemeinsamen Kinder für das Wochenende abzuholen. Er fährt dann heim zur neuen Frau und lebt sein Familienglück weiter, mit den eigenen Kindern, aber veränderter Rollen-Besetzung. Die Neue spielt jetzt auch noch Ersatzmutti, während die ausrangierte Mutter allein zurückbleibt und abends ins Kissen weinen kann.

»Mein Mann hat sich nach zwölf Jahren Ehe in seine Sekretärin verliebt. Blutjung, sehr attraktiv, fröhlich und ungebunden«, erzählt die 46-jährige Gundula, Hausfrau und Mutter von zwei Söhnen. »Mit ihr drehte er völlig auf, kleidete sich frecher, gönnte sich tolle Wochenend-Trips, kaufte sich ein Cabrio. Damit fuhr er in unregelmäßigen Abständen vor, um unsere beiden Kinder zu holen. Braungebrannt, gutgelaunt, ein Gewinner-Typ. Wenn er dann mit den beiden im offenen Auto losbrauste, habe ich mich ins Bett gelegt und geflennt. Ich fühlte mich alt, hässlich, ausrangiert, aber auch benutzt. Aber trotz allem liebte ich ihn noch und wünschte mir nichts mehr, als dass er zu mir zurückkehrte. Ich habe Jahre gebraucht, um ihn aus meinem Herzen zu kriegen.«

Verlassene Frauen wie Gundula sollen gute Miene zum bösen Spiel machen. Sollen sie, machen aber nur wenige. Sie spielen nicht mit, aus dem einfachen Grund, weil sie immer noch lieben und durch das Abgeschobensein zutiefst verletzt sind!

Auch andere erlittene Kränkungen führen dazu, dass Frauen jede Begegnung mit dem Ex-Partner scheuen. Bevor sich ein Paar trennt, hat es in der Regel schon mächtig gescheppert und es ist viel an Vertrauen und gutem Willen zu Bruch gegangen. Es hat Rücksichtslosigkeiten und Beleidigungen und oft sogar Gewalt gegeben. »Das letzte Jahr unserer achtzehnjährigen Ehe war schlimm. Wir haben nur gestritten und uns ständig bekriegt. Ich war nur froh, dass es endlich vorbei war und ich meine Ruhe hatte«, erinnert sich die 39-jährige Jasmin, Hausfrau und Mutter zweier halbwüchsiger Mädchen. Sowie ihr Mann vor der Tür steht, um die Mädchen zu holen, beginnt ihr Herz zu rasen. »Stress-Symptome«, attestiert ihr der Hausarzt. Also bleibt die Tür zu!

Auch tiefe persönliche Abneigung gegen den ehemaligen Partner spielt eine Rolle. Der 42-jährige Werner hat aufgrund seines Alkoholproblems seine Familie verloren. »Es ist zu viel passiert«, sagt seine gleichaltrige Frau Ute. »Ich verachte ihn heute und schon seine physische Nähe widert mich an!«

Bei vielen Frauen geht es aber auch schlichtweg um Rache, jenen unbändigen Wunsch, dem »Bösewicht« zu schaden, der sie betrogen, verletzt oder beleidigt hat. Jeder Rache geht ein Verlust voraus, in diesem Fall der der großen Liebe! Bei einer Trennung ist sie unwiederbringlich ruiniert. Frauen fühlen sich gerade dann gedemütigt, wenn der Partner untreu war. Das trifft sie an ihrer empfindlichsten Stelle. Sie wollen jetzt passiv Erlittenes in aktiv Gehandeltes verwandeln. Die Revanche ist ihre Form der Psycho-Hygiene. Das Opfer rächt sich, indem es selbst zum Täter wird. Der Akt der Vergeltung schafft Genugtuung. Rachegefühle sind also etwas Alltägliches, Reinigendes. Der alttestamentarische Ausspruch »Auge um Auge, Zahn um Zahn« erfreut sich größerer Beliebtheit als das heilige Gebot der Vergebung. Psychologen raten häufig sogar dazu, sich Luft zu machen. So zeigt man: »Hier bin ich und ich lasse mir nichts mehr gefallen!« So weit, so gut. Doch Vorsicht! Rache darf weder kriminell noch maßlos sein und schon gar nicht darf sie sich gegen Unbeteiligte richten. Und wer Kinder benutzt, um sich am Ex-Partner zu rächen, verhält sich unmoralisch und verwerflich.

Aber meistens sind es gar nicht diese dramatischen Gefühle, die entscheiden. Oft ist es nur der Eindruck, dass der Ex nicht mehr in den neuen Alltag passt. Denn wenn die Vaterrolle mit einem neuen Partner besetzt ist, wird der leibliche Vater gern als Störenfried gesehen, der sich einmischt, auf den man Rücksicht nehmen muss und den man eigentlich überhaupt nicht mehr braucht.

So vielschichtig die Gründe der Blockade-Mütter also auch sind – Liebe und Selbstliebe, Rücksicht und Angst, Unwissenheit und Unsicherheit oder auch archaische Rachegelüste –, sie wecken bei Männern erst Ängste und später Wut. Von Müttern, die ihnen die ehemals gemeinsame Haustür vor der Nase zuschlagen, fühlen sie sich regelrecht »abgewatscht«. Wer lässt sich das schon gefallen? Die Trennung ist auch bei ihnen nicht verarbeitet, erlebte Aggressionen sind noch frisch. In Kopf und Herz herrscht Ausnahmezustand. So ungerecht und brutal zurückgewiesen, ist es natürlich, dass sie sich wehren. Sie schlagen zurück, mit den Waffen, die sie haben: Meistens ist das ein besserer finanzieller Background. Den nutzen die Väter und erzeugen auf diese Weise Druck. Sie sperren die Konten, zeigen sich kleinlich beim Aufteilen des Hausrats und des Vermögens, sind knauserig beim Unterhalt. Und Druck erzeugt Gegendruck, das weiß man aus der Physik. Es kommt immer häufiger zu unschönen Szenen, die Konflikte peitschen sich hoch. Und schneller als man es sich hätte träumen lassen, verläuft die Frontlinie direkt durchs Kinderzimmer, denn hier sind beide Seiten besonders empfindlich. Wenn man den anderen treffen will und kann, dann in Bezug auf die Kinder. Bei beiden Elternteilen wächst die Angst, sie zu verlieren. Die Stellungen werden ausgebaut, die Kriegsschauplätze erweitert.

ENDE DER LESEPROBE